Czytaj książkę: «k-punk», strona 19

Czcionka:

Scrittis süßer Wahn 211

»Sein neues Album heißt White Bread, Black Beer…

›Warum? Ich lebe eigentlich nur von diesen beiden Dingen – Guinness und wunderbares, weiches, mat­schi­ges, ganz ungesundes Weißbrot aus der türkischen Bäckerei um die Ecke. Außerdem ist es eine An­spie­lung auf die Zeit, als ich in den 1980ern in New York mit all den R&B-Musikern gearbeitet habe – wenn man etwas gespielt hat, dass ihnen nicht gefiel, verzogen sie das Gesicht und sagten, ›Alter, das ist so weißbrotmä­ßig‹. Das bedeutete, dass es aus der ›weißen‹ Popkultur kam, die man für leblos, substanzlos und qualitativ minderwertig hielt, sie hatte keinen ›Soul‹. Und das habe ich mir gemerkt, denn ich misstraue ›Soul‹ und ich mag Weißbrot-Popmusik. Und in gewisser Weise ist dieses Album eine Feier dessen.‹«

Interview mit Green Gartside, Time Out212

»Statt Erfüllung und Auflösung vermittelt Scrittis Mu­sik das Glück des Diskurses des Liebenden, in all sei­nen Ellipsen, Widersprüchen und Wiederholungen, der endlosen Suche nach einem unerreichbaren Objekt. Die körperlosen, tiefenlosen, nicht-linearen Effekte und die Anleihen bei der Sprache der Liebe im Pop versuchen, die übliche Äußerung des Begehrens in kohärenten Trie­ben und einer stabilen Identität rückgängig zu machen, während sie zugleich dieselbe ›Soul‹-Sprache nutzen oder wiederholen, mit der das Selbst im Pop versucht wird, wieder ganz zu machen: das süße Nichts neben und in der sexuellen Heilung.«

Paul Oldfield, »After Subversion:

Pop Culture and Power«213

Was für eine faszinierende Verbindung: Scritti Polittis leise beeindruckendes neues Album hören – oder besser gesagt, von ihm verführt und entzückt zu werden – und gleichzeitig Mladen Dolars His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme lesen. Wenn es stimmt, wie Simon Reynolds schreibt214, dass White Bread, Black Beer ein Album ohne ein »klangliches Konzept« ist, müssen wir dann davon ausgehen, dass es sich um Green Gartsides Version eines Seelenstriptease handelt? Nach all den Ver­schiebungen, Abweichungen, gibt es nun endlich die Ent­hüllung: Das bin ich? Der Titel des Albums scheint eine solche Deutung nahezulegen, er suggeriert eine negative Alchemie, die Rückführung der erhabenen Algama auf irgendwelches Essenszeug. Ohne ein klangliches Kon­zept, bleibt uns nur noch die honigsüße Stimme, eine unverwechselbare Stimme im Pop – und die Stimme, so wurde uns zumindest immer erzählt, ist die Trägerin der reinen Präsenz, Garant der Authentizität und Wahrhaftig­keit…

Genau das ist es, was Dolar hinterfragt. Dolar sagt nicht, dass Derridas Behauptung falsch war, dass die Stim­me in einer bestimmten Form der Metaphysik privi­legiert wurde, sondern er sagt, dass dies nicht die ganze Geschichte ist. »Es gibt noch eine andere metaphysische Geschichte der Stimme, in der die Stimme keinesfalls als Garantin der Präsenz auftritt, sondern vielmehr als ge­fährlich, bedrohlich und potenziell verderblich gilt.«215 Bezeichnenderweise verläuft Dolars alternative Ge­schich­te der Metaphysik über die Auseinandersetzung mit Musik. (Es ist im Übrigen schwer, Platons von Dolar zitierte Mahnung nicht als Kritik an der Pomo-Pop­ideo­lo­gie und dem nos­talgischen Rockismus zu lesen. Es heißt bei Platon, »eine neue Art der Musik einzuführen muß man sich hüten, weil es das Ganze gefährden heißt; denn nirgends wird an den Weisen der Musik gerüttelt, ohne dass die wichtigs­ten Gesetze des Staates mit erschüttert würden«.) Dolars Argu­ment ist, dass das Gesetz des Logos immer versucht hat, sich von einer als weiblich und chaotisch verstan­denen Stimme zu distanzieren, dass aber der Logos von der Stimme nicht loskommt und sogar von ihr abhängt: Ist die Stimme des Vaters der grundsätzlichste Ausdruck des Gesetzes?

How could your nothings be so sweet? // Wie können all deine Nichtse so süß sein?

Was hat es also mit Greens Stimme auf sich? Oder, um dieselbe Frage von einer anderen Seite aus zu stellen: Was ist die minimale Differenz, die Scrittis Dekonstruk­tion von der echten Sache unterscheidet? Man neigt dazu, das Zersetzende und Beunruhigende von Scrittis Musik auf der Ebene der Signifikanten zu verorten, als hätte seine Subversion nur mit Wortspielen zu tun und als wäre seine Stimme nur ein Ort der natürlichen Expressivität. Doch, wie Dolar schreibt, die »Objektstimme« ist weder die Stimme abzüglich aller sinnlicher Eigenschaften noch die Stimme, die, um zur reinen Quelle ästhetischer Lust zu werden, jeder Bedeutung entkleidet wurde. Bei Greens Stimme schwanken wir kontinuierlich zwischen zwei Arten des Un-Sinns: dem Unsinn des »Liebesdiskurses«, den an Kinderlieder erinnernden Wiederholungen von Phrasen in Babysprache, denen jede Bedeutung abgeht und die dennoch zu den wichtigsten Äußerungen gehö­ren, die Menschen benutzen und hören; und dem Unsinn der Stimme als Klang, eine andere Art des süßen Nichts. Deswegen wirken die Texte von Scritti so anders, wenn man sie liest; die Stimme verhindert geradezu, dass man sie hört, außer als sinnlose, sonorische Blöcke und mechanisch wiederholte Refrains.

Das Beunruhigende an Cupid & Psyche 85 im Ver­gleich zu dem Pop, der ihm vorausging, ist die Abwesen­heit irgendeiner selbstbewussten Metapräsenz. Hier sehe ich die Dinge ein bisschen anders als Simon, der schreibt, dass Cupid & Psyche »von Liebe« handelt, statt »ver­liebt« zu sein. Mir scheint, dass die eigentümliche Tie­fen­losigkeit von Cupid & Psyche mit dem fehlenden Abstand zwischen der Form des Songs und dem Subjekt zu tun hat; die Songs instantiieren den Liebesdiskurs, aber sie kommentieren ihn nicht. Die Lieder auf Cupid & Psyche handeln auf unheimliche Weise von nichts, ganz so wie die Liebe. Man vergleiche beispielsweise Cupid & Psyche mit ABCs The Lexicon of Love (einem Album mit Liebesliedern über Liebeslieder, wenn es so etwas geben kann). Martin Frys Präsenz ist auf The Lexicon of Love allgegenwärtig, spürbar in jeder gehobenen Augenbraue und jedem Anführungszeichen. Doch bei Cupid & Psyche erfahren wir herzlich wenig von dem »echten«, biographischen Green hinter und jenseits des Albums; statt eines Selbstbewusstseins gibt es eine »Reflexivität ohne Selbst – kein schlechter Name für das Subjekt.«216 Es gibt nur die Leere, die Stimme und die Signifikan­ten­kette, die für alle Zeit in einem Kaufhaus voller Spiegel abläuft, einer flüsternden Galerie des süßen Nichts … Ver­störend ist an Cupid & Psyche die Suggestion, dass Liebe genau das ist, diese unpersönliche, idiotische Rei­merei, das und nichts mehr ist Liebe. Deswegen ist Cupid & Psyche weitaus verstörender als die vermeintliche »Rück­kehr in einen prä-linguistischen Zustand« des »Kris­teva’schen« Psychedelic-Rocks der späten Achtzi­ger, den Simon so feiert (und der auch in dem Essay von Paul Oldfield als Vergleich für die Musik Scrittis heran­gezogen wird); die angebliche »ozeanische Auflösung des Selbst« geht nicht nur davon aus, dass eine solche Auflösung überhaupt möglich ist, sondern auch, dass es ein »echtes Selbst« gibt, das aufgelöst werden kann. Wie die ersten beiden Alben von Roxy Music ist auch bei Cupid & Psyche die Message weitaus radikaler: Das ver­meintlich »reale«, »authentische« Selbst, mit seinem emo­tionalen Kern, ist eine strukturelle Illusion; unsere wichtigsten »inneren« Gefühle sind abgedroschene Wie­derholungen; es gibt keine Intimität, nur die Extimität.

I guess it’s a sickness / that keeps me wanting … // Ich glaub’, es ist eine Krankheit / die mich weiter begehren lässt…

Das Exzessive von Greens Stimme liegt in ihrer Süße, eine Süße, die ungesund und krank wirkt, die uns selbst dann warnt, wenn sie uns verführt. Greens Stimme ist synthetisch und kandiert statt authentisch und ganz­heit­lich. Sie klingt inhuman und zwar derartig, dass wir bei dem Klang der hochgepitchten, schnalzenden Stimmen im Rave sofort an Scrittis androgynes Krähen denken muss­ten. All dies findet sich in dem Song, den ich am fas­zinierendsten auf Cupid & Psyche finde, der Maschi­nen­ballade »A Little Knowledge«, in der Green mit einer Stimme, die wie von einer Frau klingt, ein Duett singt, wobei es sich in Wahrheit um einen dem Fairlight-Syn­thesizer entsprungenen, synthetischen Sukkubus handelt, einer Verwandlung seiner eigenen Stimme. (Dieser Aus­tausch mit einem synthetischen Gespenst geschieht, be­vor die »echte Frau«, die Session-Musikerin B.J. Nelson offiziell auftritt…)

Es lohnt sich, an dieser Stelle daran zu erinnern, dass Green tatsächlich so etwas wie der weiße Geist ist, der im zeitgenössischen Black Pop herumspukt. Spätestens seit More Brilliant Than Sun ist klar, dass die (Nicht-)Wur­zeln von Disco, Techno und House in weißer Synthetik bestehen – Moroder brachte Donna Summer mit dem Labyrinth der Synthesizer in Kontakt, Chic wollte Roxy Music werden, Cybotron stahl den Akzent und den Sound von Ultravox. Dass Cupid & Psyche als Vorlage für den zeitgenössischen R&B diente, ist allerdings weit weniger bekannt. Cupid & Psyche bildeten ein »neues Paradig­ma« für den globalisierten Pop – vermittelt vor allem über den Einfluss auf Jam und Lewis’ Produktion von Janet Jacksons epochalem Album Control, aber auch auf­grund ihrer Ahnung – oder unternehmerischen Risiko –, dass das Fleisch und Blut von Soul (oder dem, was man Soul nannte) mit der Künstlichkeit und Abstraktions­ma­schine des Hip Hop verschweißt werden konnten. Skank Bloc Bologna wurde der blobale217 Second-Hand-Laden des Kapitals. Cupid & Psyche ist auf unheimliche Weise unpersönlich, aber anders als die inszenierte Form des Un­persönlichen bei Kraftwerk, Numan und Visage, von denen afroamerikanische Hip Hopper, Techno- und House-Pioniere in den frühen 1980er Jahren fasziniert waren. Scrittis Ausstreichung der Seele funktioniert über eine neurotische, perfektionistische, hoch-penible Simu­la­tion der hyper-amerikanisierten »Sprache der Liebe«. Es geht nicht um technische Maschinen versus echte, gefühlvolle Wesen, sondern um »authentische Emotio­nen«, die sich selbst der Bedeutung und der Klangma­schi­nen entziehen. (Es ist deswegen kein Zufall, dass ein anderer Zerstörer der Seele, Miles Davis, Scrittis Lieder gecovert und mit Green zusammengearbeitet hat.)

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der Titel des neuen Albums erklären, der auf den ersten Blick voll­kommen unangemessen wirkt, da die so leicht wie ein Soufflé dahinschwebenden Lieder alles andere als flei­schige, kohlenhydrat-schwere Pampe oder bierselige Blä­hungen sind. Aber was, wenn diese Substanzen nicht »elementar« und »lebensspendend« sind, sondern der nicht-vitale Exzess, ohne den das Leben nicht wäre? Was, wenn »Weißbrot« nicht das Normale und Nährrei­che meint, sondern das Synthetische, und »Schwarz«-Bier nicht auf das Heimelige und Schwere, sondern das Süchtig-machende verweist.

Es liegt eine performative Flachheit in dem Eröff­nungs­lied und der ersten Single, »The Boom Boom Bap«; es ist ein Lied über Wehmut und Sucht, worin allein schon etwas eindrucksvoll und wunderbar Süchtig-machendes liegt. Ich kann ehrlich sagen, dass ich von den ersten Takten an, in denen Greens Stimme ertönte, fasziniert war. »The Boom Boom Bap« ist so erhaben und schmerz­haft austariert, dass man versucht ist, immer wieder auf Rewind zu drücken, damit man sich auf dem Plateau des Songs verliert, wo die dem Pop eigene Dring­lichkeit anti-klimaktisch suspendiert wird.

Play it over and over again / play it over and over again // Spiel es immer und immer wieder / Spiel es immer und immer wieder

Bei »The Boom Boom Bap« geht es, wie Green im Interview mit Simon berichtet, vordergründig um den schmalen Grat »zwischen Verliebt-sein und auf ungesun­de Weise von etwas abhängig zu sein«. Die drei Ab­hängig­keiten, von denen der Song handelt, sind Alkohol, Hip Hop – »der Titel bezieht sich auf die Bass-Drum im Hip Hop und den synkopierten Takt« – und Liebe. Sucht ist der pathologische Motor des Lebens. »Der Beat mei­nes Lebens«, wie es in dem Song heißt, ist kein natür­licher, biologischer Rhythmus, sondern der anorganische Puls des (Todes-)Triebes. »Wenn Hooks töten könnten«, sinniert Green, und weiß, dass sie das natürlich können; Sucht kann tödlich sein, aber von gar nichts abhängig zu sein, ist fast nach tödlicher und lähmender.

Wenn man sich irgendwann aus der zärtlichen Umar­mung von »The Boom Boom Bap« befreit hat, sieht man sich einem Album aus Brüchen und Fragmenten, aus Splittern und Skizzen gegenüber, bei denen alles endet, bevor man es erwartet (was das Bedürfnis hervorruft, alles immer und immer wieder zu hören). Glücklicher­wie­se macht sich Greens Obsession für Hip Hop nicht einfach durch die Präsenz von Rap geltend (was hört man gerade häufiger als Rap?), sondern durch gewisse Leer­stellen in der Produktion, die dafür sorgen, dass die Songs sich niemals zu einem Ganzen zusammen­schlie­ßen.

Letzte Woche habe ich mit Owen [Hatherly] darüber gesprochen, wie die Musiktechnologie aus der Mitte der 1980er Jahre allen Pop in eine trockene, vergilbte, hoch­glänzende Fadheit hineingezogen hat: die beiden auffäl­ligs­ten Ausnahmen in diesem Trend waren Cupid & Psyche (das gerade aufgrund seiner absoluten Identi­fika­tion mit der Zeit und der Technik gelingt) und Kate Bushs Hounds of Love. White Bread, Black Beer ist gewissermaßen Greens spätes Hounds of Love, ein Album, auf dem man die Popgeschichte (und seine eigene) betrachten kann, ohne sie zu wiederholen, auf dem Stile durchquert werden, ohne dass es wie inkon­sis­tenter Eklektizismus wirkt. Gerade die Weigerung, ein zeitgenössisches Album zu produzieren, rückt es umso mehr ins Jetzt, als wenn nach irgendeiner Form von Coolness gestrebt worden wäre.

Die Verweise auf London, auf die »britischen Haus­haltwarengeschäfte« und die Namen von Greens Schul­lehrern stellen ein Ortsgefühl wieder her, das auf Cupid & Psyche, mit seinem Glanz eines mittel-atlantischen, »dritten Orts«, einem Proto-Starbucks, gnadenlos ausge­stri­chen wurde. Das bedeutet natürlich auch die Wieder­herstellung einer biographischen Besonderheit; die Songs sind kein Liebeslabyrinth mehr, in das jeder eintreten kann, sondern Reisen in die Erinnerung, deren Weg­mar­ken nur Green erkennt. Unter all den Einflüssen, die man auf dem Album erkennt, sind die Apollonier, Brian Wil­son und Paul McCartney, am eindrücklichsten. Handelt es sich bei dem Album also um den Versuch einer Er­lösung durch Melodie? Um Genesung – von einer Krankheit? Um Heilung – des Selbst?

And when I’m with you baby

I know just who I am

And no one understands the way you do

Darling

(Und Baby, wenn ich bei dir bin, / dann weiß ich, wer

ich bin / Niemand versteht so gut wie du / Liebling)

Wenn man Green Zeilen wie diese singen hört, dann ist das eine spukhafte, beunruhigende Erfahrung, da Greens Stimme all die Spuren von Cupid & Psyche trägt, die jede Geste des »es wirklich ernst Meinens« oder des »wahren Seins« unterlaufen und ironisieren. Aber wenn man den Song, aus dem diese Zeilen stammen (»Locked«), ge­nauer anhört, dann ist nichts wie es scheint. »Die Leute wollen ein Stück von mir«, singt Green, »doch was sie bekommen, ist nicht, was sie scheint« (»People want a piece of me … but who they get is not what she seems.« Eine Autobiographie wäre immer noch eine Form des Schreibens (und zwar die trügerischste von allen) und das »du«, das normalerweise der Adressat des Liebeslieds ist, ist niemals der angebliche Partner, der »echte Mensch aus Fleisch und Blut«, sondern das große Andere. Deswegen ist David Kelsey in Highsmiths Der süße Wahn – der ultimative Titel im Sinne Scrittis –, ein Mann, der seine pathologischen Liebesaffären in der Form von Briefen an sein imaginiertes Anderes führt (die von ihrem vermeint­lichen echten Adressaten aus Fleisch und Blut ignoriert oder missverstanden werden), der Liebende in seiner reins­ten Form … All die Parallelen von Liebe und Sucht auf White Bread, Black Beer legen nahe, dass Scritti, der Schriftsteller, immer noch weiß, dass Liebe sowohl Krank­heit als auch Heilung ist, und deswegen bleibt Scrittis Süße wahnhaft und sein Wahn süß…

Am Ende sein 218

2006 startete James Kirby, der Mann hinter dem Label V/Vm und dem Musikprojekt The Caretaker ein Download-Projekt namens The Death of Rave. Die Tracks sind von einer hauchdünnen, fast schon durchsichtigen Qualität, als seien sie Phantasien oder Phantome des Originals, dem treibenden Klang des Rave. Als ich Kirby kürzlich interviewte, erklärte er mir, dass das Projekt begonnen wurde, um an eine bestimmte Energie zu erinnern, von der er glaubte, dass sie aus der Dance Music verschwunden sei. (Energy Flash war natürlich der Titel, den Simon Reynolds dieser verdichteten Studie über Rave und seine Nachkommen gegeben hat.) Die Frage ist: Waren Rave und seine Ableger Jungle und Garage nur das – ein kurzer Energieblitz, der seitdem verschwunden ist? Oder, was noch besorgniserregender wäre, ist das Ende von Rave nur ein Symptom einer umfassenderen Kulturkrise? Können kulturelle Ressourcen versiegen, so wie es natürliche Ressourcen tun?

Diejenigen von uns, die zwischen den 1960er und 1990er Jahren aufgewachsen sind, haben sich an die schnellen Veränderungen der Populärkultur gewöhnt. Theo­retiker des Zukunftsschocks wie Alvin Toffler und Marshall McLuhan konnten überzeugend darlegen, dass unser Nervensystem selbst von diesen technologischen Entwicklungen und ihrer Verbreitung beschleunigt wurde. Artefakte der Populärkultur trugen eine technische Signatur, die einen präzisen historischen Index hatte: Neue Technologie war deutlich hörbar und sichtbar, so dass es unmöglich ist, einen Film oder eine Platte aus den 1960er Jahren mit denen ein halbes Jahrzehnt später zu verwechseln.

Unsere gegenwärtige Dekade ist jedoch von einem abrupten Prozess der Verlangsamung gekennzeichnet. Mit einem Gedankenexperiment lässt sich das verdeutlichen. Man stelle sich vor, in der Zeit zurückzureisen und einem Jungle-Fan Musik der neueren Dance-Genres vorzuspielen – Dubstep oder Funky beispielsweise. Es ist anzunehmen, dass er beeindruckt wäre, aber nicht davon, wie viel, sondern wie wenig sich verändert hat. Jungle war 1989 kaum vorstellbar; Dubstep und Funky hingegen sind zwar keine bloßen Pastiches, aber sie stammen nichtsdestotrotz aus der Klangmatrix, die anderthalb Jahrzehnte zuvor entstanden ist.

Natürlich heißt das nicht, dass sich die Technologie nicht weiterentwickelt hat. Aber sie wurde von ihrer kulturellen Form abgelöst. Die Gegenwart ließe sich vielleicht sogar als Moment der Diskrepanz zwischen der Vorwärtsgerichtetheit der Technologie und der bremsenden Stagnation und Retardierung der Kultur beschreiben. Wir hören Technologie nicht mehr. Der Klang des technologischen Durchbruchs, den uns Pop einmal versprach, ist nach und nach verschwunden – beispielsweise das Hineinbrechen von Brian Enos analogem Synthesizer in Roxy Musics »Virginia Plan« oder die kantige Cut-and-Paste-Fremdheit, die vom frühen Rave ausgeht. Vielleicht sehen wir Technik noch, beispielweise CGI im Kino, aber die Rolle von CGI ist paradox: Das Ziel von CGI ist, sich selbst unsichtbar zu machen und es wurde benutzt, um ein bereits bestehendes Modell der Wirklichkeit zu verfeinern. HD-Fernsehen ist ein anderes Beispiel desselben Syndroms: Wir sehen dieselben alten Dinge wie vorher, nur heller und glänzender. Am meisten spüren wir die Technik im Feld der Distribution und der Konsumption. Downloading und das Web 2.0 haben bekanntermaßen neue Formen des Zugangs zur Kultur erschlossen. Aber diese lebten parasitär von den alten Medien. Das Gesetz des Web 2.0 ist, dass alles zurückkommt, egal ob Werbeclips, Informationssendungen oder lang vergessene Serien: Geschichte vollzieht sich einmal als Tragödie, das andere Mal auf YouTube. Popkünstler, die aufgrund ihrer Präsenz im Internet berühmt wurden (Sandi Thom, Arctic Monkeys) sind in ihrer Form merkwürdig archaisch; in jeden Fall wurden sie durch die bekannten Promomaschinerien der großen Platten- und Werbefirmen hindurch getrieben. Es gibt Peer-to-Peer-Distribution aber keine Peer-to-Peer-Produktion.

Die besten Blogs sind eine Ausnahme; sie verlaufen an den Mainstreammedien vorbei, die, aus den Gründen, die Nick Davies letztes Jahr in Flat Earth News beschrieben hat, immer konservativer geworden sind, dominiert von Presseerklärungen und PR. Im Allgemeinen hält uns das Web 2.0 jedoch dazu an, uns wie Zuschauer zu verhalten. Das liegt nicht nur an der endlosen Versuchung des Rück­blicks, den die immer größer werdenden Onlinearchive bieten, sondern auch daran, dass wir dank der omnipräsenten Aufnahmegeräte die Archivare unseres eigenen Lebens werden: Wir erleben niemals Live-Events, weil wir zu beschäftigt sind, sie aufzunehmen.

Doch gerade die Dauerbeschallung nimmt Kulturen die Zeit und den Raum, in dem sie wachsen können. Es gibt noch kein Web 2.0-Äquivalent zu der Szene, die die UK-Dance-Musik der 1990 nährte: jene Assemblage aus Dub­platten, Piratenradio und dem Dancefloor, die als Laboratorium für neue Klänge diente. Dieser Kreislauf wurde zwar immer noch von bestimmten Momenten durchbrochen (die Klubnacht oder die Radiosendung), doch weil alles im Web 2.0 wiederholt werden kann, ist seine Temporalität diffuser. Die Tendenz scheint auf eine Art Netz­werk-Solipsismus hinzuweisen, ein globales System von Individuen, die eine immer homogenere Kultur konsumieren, zu Hause an ihrem Bildschirm oder durch ihre Ipod-Kopfhörer.

All das macht Fredric Jamesons These, dass die postmoderne Kultur unfähig ist, sich ihre eigene Gegenwart vorzustellen, umso überzeugender. Die Zeitspanne zwischen kulturellen Brüchen wird länger, die Brüche selbst werden bescheidener und subtiler und es sieht aus, als sei diese Entwicklung endgültig. Alex Williams, der das Blog Splintering Bone Ashes betreibt, geht sogar noch weiter, wenn er schreibt, dass, »was wir erlebt haben, nur ein kurzes Aufflackern war, das sich vielleicht niemals wiederholt – 150 Jahre des enormen Resourcenverbrauchs, dem Äquivalent einer epischen Amphetamin­session. Was wir jetzt sehen ist kaum mehr als ein düsteres ›Runterkommen‹, eine gewaltige Verlangsamung.« Vielleicht ist diese Perspektive zu pessimistisch. Was aber feststeht, ist, dass die Technologie allein keine neuen Formen der Kultur hervorbringt.