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Sie nannten mich Unkraut
Roman in Einfacher Sprache
Spaß am Lesen Verlag
Autorin: Marion Döbert
Redaktion: Jürgen Genuneit
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
© 2019 | Spaß am Lesen Verlag, Münster.
Nichts aus dieser Ausgabe darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältigt, in einer automatisierten Datenbank gespeichert oder in irgendeiner Weise – elektronisch, mechanisch, in Form von Fotokopien, Aufnahmen oder auf andere Art – veröffentlicht werden.
ISBN 978-3-947185-76-4
Marion Döbert
Sie nannten mich Unkraut
Roman in Einfacher Sprache
Schwierige Wörter oder Ausdrücke sind unterstrichen. Die Erklärungen stehen in der Wörter-Liste am Ende des Buches.
Inhalt
Zu Hause
Die Taufe
Die Feier
In der Schule
Zehn Jahre
Schicksal
Laura
Auf keinen Fall!
Die Entscheidung
Zurück
Die Betriebs-Feier
Das Drama
Vorbei
Frau Hansen
Malen
Die Insel
Kein Unterricht
Im Gewächs-Haus
Essen
Das Kind
Post
Helfen
Die Ausstellung
Der Brief
Zu spät?
Über Marion Döbert
Wörter-Liste
Zu Hause
Eines Tages ersticken wir hier alle zusammen:
meine Eltern, meine Schwester und ich.
Wir ersticken dann wie der Kleine.
Der Kleine, der nur kurz mein Bruder war.
Er hat einfach keine Luft mehr bekommen.
Hier, in diesem Zuhause
ohne Luft, ohne Liebe, ohne Worte.
Am liebsten würde ich das Fenster aufreißen.
Aber dann würde mein Alter mich anbrüllen:
Du spinnst wohl, Jakob!
Meine Eltern wollen den Mief.
Sie wollen diese schlechte Luft.
Diese feuchte Wärme.
Diesen Geruch von Weich-Spüler.
Diesen Geruch von feuchter Wäsche
und Zigaretten-Rauch.
Meine kleine Schwester hat überlebt. So wie ich.
Wenn man den Anfang überlebt,
dann kommt man irgendwie durch.
Aber manchmal wünsche ich mir,
ich hätte den Anfang nicht überlebt.
Meine kleine Schwester sitzt auf dem Töpfchen.
Mitten im Wohnzimmer, vor dem Fernseher.
Alles passiert vor diesem Fernseher:
essen, rauchen, streiten und Pipi machen.
Meine kleine Schwester heißt Jacqueline.
Meine Eltern rufen sie Jäckie.
Aber eigentlich ist es egal,
wie wir Kinder heißen.
Hauptsache, wir halten unsere Klappe.
Deshalb sitzt Jäckie auf dem Piss-Pott.
Mit dem Schnuller im Mund.
Sie starrt in den Fernseher.
Das Licht flimmert blau über ihr Gesicht.
Von morgens bis abends.
Manchmal macht sie Pipi.
Aber sie merkt es nicht.
Ich merke es am Geruch.
Sogar durch den Rauch
der Zigaretten hindurch.
Im Zimmer nebenan liegt ein neues Baby.
Im Eltern-Schlafzimmer.
Ein neues Brüderchen.
Ein neuer Versuch.
Wegen dem Kindergeld.
An seinem kleinen Bett hängt ein Gerät.
Wenn das Baby nicht atmet,
piept es im Wohnzimmer.
„Geh mal nachsehen!“, sagt mein Vater.
„Immer ich“, stöhnt meine Mutter.
Jäckie macht wieder Pipi.
Ich will ihr den Po abwischen.
Jäckie schreit.
Ihr Po ist wund.
Da soll keiner rangehen.
„Bring Zigaretten mit!“, ruft mein Vater.
Meine Mutter kommt aus
dem Schlafzimmer zurück.
„Wieder mal falscher Alarm“, sagt sie.
Sie stöhnt und lässt sich ins Sofa fallen.
Am liebsten würde ich das Fenster aufreißen.
Oder meinem Vater die Fresse polieren.
Aber ich bin noch zu jung.
Vielleicht erstickt er ja an seinem Raucher-Husten.
Jeden Morgen denke ich daran.
Jeden Morgen, wenn er seinen Schleim abhustet.
Ich hoffe, dass der Alte verreckt.
Die Taufe
Der neue kleine Bruder heißt Marcel.
Wir sitzen alle in der Kirche.
Alle Tanten, Onkel, Brüder und Schwestern.
Meine Eltern, Jäckie und ich.
Marcel wird getauft.
Meine Mutter hat sich extra die Haare gefärbt.
Schwarz, wie immer.
Dabei steht ihr Schwarz überhaupt nicht.
Ihre blasse Haut wirkt dadurch noch blasser.
Und außerdem fallen ihr die Haare aus.
Von der Färberei.
Von der billigen Farbe.
Ich sitze in der Kirche hinter meiner Mutter.
Ich sehe die weiße Haut zwischen ihren Haaren.
Die kahlen Stellen werden immer größer.
Meine Eltern sind nervös.
Das hier dauert ihnen zu lange.
Sie wollen eine rauchen.
Aber der Pfarrer stellt schon wieder eine Frage:
„Glauben Sie an Gott, den allmächtigen Vater?“
Mein allmächtiger Vater nickt.
Und er sagt: „Ja.“
Dieser Lügner!
Mein Vater glaubt nicht an Gott.
Er schimpft über die Pfaffen, den Papst und die Kirche.
„Die ziehen einem nur das Geld aus der Tasche“, sagt er immer. „Mit ihrem Hokuspokus.“
Der Pfarrer fragt weiter:
„Werden Sie Ihren Sohn Marcel
zu einem Kind Gottes erziehen?“
Meine Mutter nickt.
Dabei sucht sie nach ihrem Feuer-Zeug.
„Werden Sie für Ihren Sohn Marcel beten und auch für die anderen Kinder dieser Welt?“
Meine Eltern nicken und sagen leise: „Ja.“
Aber ich weiß:
Die Kinder dieser Welt sind ihnen so egal wie Jäckie, Marcel und ich.
Diese ganze Taufe hier soll nur eins bringen:
Geld und Geschenke.
Alle sind erleichtert,
als der Pfarrer zum Schluss Amen sagt.
Alle gehen schnell aus der Kirche.
„Meine Güte, hat das gedauert“,
sagt Tante Trude.
„Glaubt der Pfarrer wirklich
an diesen ganzen Mist?“, fragt Onkel Gerd.
„Gibt es bei euch was zu essen?“, fragt Tante Else.
„Und was zu trinken?“, ruft Tante Käthi.
Ich schiebe Marcel im Kinderwagen.
Dabei trage ich Jäckie auf dem Arm.
„Popo aua“, weint sie.
Natürlich tut ihr der Hintern weh.
Den halben Tag lang sitzt sie auf dem Töpfchen.
Meine Eltern sparen an den Windeln.
Sie haben keine Lust,
der Kleinen frische Windeln zu geben.
Die kosten zu viel Geld.
Wenn ich was sage, schreit der Alte mich an:
„Seit wann weißt du, wie man Kinder erzieht?“
Ich singe Jäckie was vor, um sie abzulenken.
Ein Lied, das ich aus der Schule kenne.
Ich kenne aber nur den Anfang.
Deshalb singe ich immer wieder:
„Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten?“
Ich habe in der Schule nicht verstanden,
um was es in dem Lied geht.
Aber der Anfang von dem Lied gefällt mir.
Die Gedanken, die sind geheim.
Die kann keiner erraten.
Meine Gedanken gehören mir.
Und nicht meinem Alten.
Auch nicht meiner Mutter.
Da können sie lange raten, was ich denke.
Jäckie ist von meinem Singen eingeschlafen.
Marcel auch.
In meinen Gedanken bin ich der Papa.
In meinen Gedanken bin ich ein echter Papa für Jäckie und Marcel.
Ein Papa, der seine Kinder lieb hat.
Wenn ich mal ein Vater werde, dann werde ich meine Kinder lieben.
Die Feier
Nach der Taufe gibt es eine Feier.
Normalerweise.
Meinen Eltern ist egal, was normal ist.
Aber wenn es um Geld und Geschenke geht,
dann machen sie alles mit.
Deshalb laden sie alle zu uns nach Hause ein.
Die Tanten und Verwandten.
Die Brüder und Schwestern.
Alle, die sie eigentlich nicht leiden können.
Der Tisch ist gedeckt.
Frikadellen, Gurken, Schwarz-Brot und Brötchen.
Roll-Mops mit Zwiebeln, Schmalz, Wurst und Käse.
Später gibt es dann Süßes:
Käse-Kuchen und Bienen-Stich.
Und abends gibt es Häppchen.
Aber dann essen die Gäste meistens nicht mehr.
Abends sind sie voll.
Voll bis oben hin.
Nicht nur vom Essen.
Sondern auch vom Trinken.
Bier und Schnaps. Wein und Likör.
Je mehr sie trinken,
desto lauter wird es.
„Bring Jäckie ins Bett!“, sagt meine Mutter.
Endlich merkt sie, dass Jäckie weint.
Seit einer Stunde weint meine kleine Schwester.
Tanten und Onkel haben sie herumgereicht.
Von dem einen Arm hier auf den anderen Arm da.
Marcel habe ich schon in Sicherheit gebracht.
Ich habe ihm sein Fläschchen gegeben.
Zum Glück hat das keiner mitbekommen.
Sonst hätten sie Marcel auch so herumgereicht.
Und ich weiß, wovon ich rede.
Ich weiß, wie das alles enden kann.
Früher, als ich klein war und als mein Onkel kam.
Bei irgend so einer Feier.
Ins Kinderzimmer ist er gekommen.
Er wollte Küsschen geben.
Ein Gute-Nacht-Küsschen.
Und dann hat er seine Zunge
in meinen Mund geschoben.
Wenn sie trinken,
dann muss man in Deckung gehen.
Dann muss ich meine Geschwister verstecken.
Und später auch mich.
Wenn alle weg sind.
Wenn nur noch mein Vater
im Wohnzimmer ist.
Wenn er dann glaubt,
er ist der Größte.
Der Stärkste.
Der Tollste.
Dann muss ich so tun,
als würde ich schlafen.
Sonst packt der Alte mich, und dann schlägt er zu.
Weil ich der Einzige bin,
der noch da ist und der sich nicht wehren kann.
Mein Vater ist jähzornig und unberechenbar.