Czytaj książkę: «Der rote Champion»

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Marie Madeleine

(Baronin von Puttkamer)

Der rote Champion

Inhaltsverzeichnis

I. Kapitel

II. Kapitel

III. Kapitel

IV. Kapitel

V. Kapitel

VI. Kapitel

VII. Kapitel

VII. Kapitel

VIII. Kapitel

IX. Kapitel

X. Kapitel

XI. Kapitel

XII. Kapitel

XIII. Kapitel

XIV. Kapitel

XV. Kapitel

XVI. Kapitel

XVII. Kapitel

XVIII. Kapitel

IX. Kapitel

Impressum

I. Kapitel

»Sag’ mal, wer sind denn die beiden süßen Mädel?« fragte der blonde Kerkow von den Kronprinzhusaren den neben ihm stehenden Kürassier.

»Nanu, das weißt du nicht?« sagte dieser erstaunt.

»Woher soll ich’s denn wissen?« — des langen Kerkow Stimme klang ungeduldig, — »ich bin doch das erste Mal auf diesem schönen Provinz-Rennplatz. Woher soll ich denn eure Lokalbeautés kennen, cher cousin

»Aber das ist doch die Turfkomtess, das ist doch Thea Dahlweg,« sagte der Kürassier.

»Ach nee,« rief der Husar überaus interessiert und warf das Monocle ins Auge.

»Darum wundere ich mich doch gerade, dass du sie nicht kennst. Sie begleitet ihren Vater doch auf alle Rennplätze.« —

»Ja, ahnst du denn überhaupt, seit welch undenklichen Zeiten ich auf keinem Rennplatz mehr war,« sagte der Husar betrübt, »die Kriegsakademie war mein Verderb. Da sitzt man nun drei Jahre und ochst, und nachher ist es noch sehr die Frage, ob man überhaupt in den Generalstab kommt! Doll! — — — Und dick bin ich geworden bei der Stubenhockerei!

Was glaubst du denn, was ich jetzt für ein Gewicht in den Sattel bringe. Unter 75 Kilo kann ich überhaupt nicht reiten.« —

»Na, du kannst dich ja wieder dünn hungern!« tröstete der Kürassier.

»Und ich kenne ja keinen Menschen mehr!« klagte Kerkow weiter, »nicht mal die Turfkomtess, von der ihr alle immer so viel redet. Als ich auf Akademie kam, war sie wohl noch ein Baby. Wie alt mag sie denn sein?« .

»Achtzehn oder neunzehn.« — — »Herrgott, wie nett! Stell mich doch vor. Wer ist denn die Braune, mit der sie geht?«

»Das ist ihre Cousine, ein Fräulein von Nordstetten. Ein sehr nettes, ulkiges Mädchen. Sie interessiert sich auch für Sport, — aber sie tut es so mehr par genre; sie hat nicht so viel Pferdeverstand wie die Komtess. Übrigens sehen die beiden famos zusammen aus.«

Die beiden Offiziere sahen bewundernd zu den jungen Mädchen hinüber, die — von einem halben Dutzend Leutnants umgeben — an der Barriere standen.

Sie trugen beide hellblaue Batistkleider mit weißen à-jour-Stickereien, hellblaue Chiffonhüte, — und diese Gleichartigkeit der Kleidung ließ die große Verschiedenheit ihrer Gesichtszüge noch schärfer als sonst hervortreten.

Die Turfkomtess hatte Haare vom hellsten Blond, schwere Lider über kalten, blauen Augen; ihre Gesichtszüge zeigten die herbe, edle Schönheit, die man speziell in der norddeutschen Aristokratie findet. Die Unbeweglichkeit von Theas Gesicht, die gemessenen Bewegungen ihrer hohen, schlanken Gestalt bildeten einen scharfen Gegensatz zu dem ungestümen Wesen ihrer Cousine.

Alice von Nordstetten lachte sehr laut und zeigte dabei ihre leuchtenden Zähne; sie trug ihr goldbraunes Haar so lose aufgesteckt, dass hier und da eine Locke frei ins Gesicht hing; wie der verkörperte Übermut stand sie da, umspielt von den glühenden Sonnenlichtern des Julinachmittags.

»Ich freue mich rasend auf das Hohenhelm-Jagdrennen,« sagte sie zu dem hübschen Ulanen neben ihr, »ich mag überhaupt nur Herrenreiten leiden; bitte, holen Sie mir ein Ticket für diese 20 Mark.«

»Auf wen setzen Sie denn, gnädiges Fräulein?«

»Und Sie fragen noch?« klang es entrüstet zurück.

»Auf ,Feuerfest’, selbstverständlich.«

»Warum selbstverständlich?«

»Na, weil Borndorf ihn reitet.« —

»Ach so!« sagte der Ulan ironisch; eine Wolke von Unmut ging über sein Gesicht.

»Kein Gedanke, dass ,Feuerfest’ siegt,« mischte sich die Turfkomtess ins Gespräch, »der Handikapper hat ihm 76 ½ Kilo aufgebrummt.« —

»Na aber, wenn Borndorf ihn reitet?« erwiderte Fräulein von Nordstetten eigensinnig.

»Fliegen lassen kann Herr von Borndorf die Pferde auch nicht,« erwiderte Komtess Thea kühl, »übrigens — da du es noch nicht zu wissen scheinst — man setzt auf die Pferde und nicht auf die Reiter.« —

»Ich will aber auf Borndorf Sieg wetten.« —

Thea Zuckte die Achseln. »Tu, was du nicht lassen kannst.«

Fräulein von Nordstetten wandte sich von neuem dem hübschen Ulanenleutnant zu. »Bitte, Graf, besorgen Sie das Ticket. Wenn Sie es auch in Uniform nicht selbst dürfen, so kennen Sie gewiss Leute, die eins holen können.«

Der Angeredete verbeugte sich schweigend und ging.

Thea sah ihm nach, dann sagte sie mit unterdrückter Stimme zu ihrer Cousine: »Du machst dich geradezu lächerlich!« —

»Warum?« fuhr Alice auf.

»Erstens, sprich mal leise, es ist nicht nötig, dass wer anders uns hört. Nimm dich doch zusammen, Alice! Du sprichst ewig bloß von Herrn von Borndorf.«

»Aber ich schwärme doch für ihn!« —

»Das brauchst du doch nicht jedem auf die Nase zu binden.«

»O Gott, er ist zu süß!« seufzte Alice, »sieh bloß!« —

Mit leuchtenden Augen blickte sie einem der fünf Reiter entgegen, die — hart an der Barriere vorbei — zum Start aufgaloppierten.

Dieser eine war ein kleiner, schlanker Ulan, auf dessen hübschem Knabengesicht momentan ein sorgenvoller Ernst lag.

Seine Aufmerksamkeit war so gespannt auf die Hecke vor ihm konzentriert, dass er keinen Blick für Alice hatte, die ihm zärtlich-sehnsüchtig nachsah.

»Du, Thea, er hat mich gar nicht angesehen,« sagte sie tiefbetrübt. —

»Aber ich bitte dich, zwanzig Schritt vor einem Hindernis!« —

»Und so melancholisch sah er aus!« —

»Ja, weil er weiß, dass er’s mit ,Feuerfest’ nicht schaffen kann. Zu viel Gewicht! Ich sagte dir ja, du solltest nicht auf ihn wetten.«

Alice warf trotzig den Kopf zurück und nahm dann das Ticket entgegen, das ihr Graf Balz besorgt.

In diesem Augenblick gab eine Glocke das Zeichen, dass der Start gelungen. —

»,Feuerfest’ führt!« rief Alice strahlend.

In der Tat zeigte der braune Hengst, der sehr gut vom Start abgekommen war, den Weg, aber ,Queen Maud’, welche von einem Kronprinzhusaren gesteuert wurde, war ihm dicht an den Gurten.

Und schon vor dem Tribünensprung fiel ,Feuerfest’ zurück, und ,Tropenfieber’, der Schimmelwallach des Herzogs von Langenbruch rückte zu ‘Queen Maud’ auf, die er im Einlauf um eine Länge schlug.

»Wie schade, — o wie schade!« sagte Alice von Nordstetten, und zerrte nervös an der großen Schleife, die um den Stiel ihres Sonnenschirms geschlungen war.

Sie hörte kein Wort von der eifrigen Debatte zwischen ihrer Cousine und mehreren der Leutnants.

Sie sah nichts als den kleinen Ulanen auf dem braunen Hengst, in dessen Zügel eben der Trainer griff, um ihn langsam zur Waage hinunter zu führen…

»Bitte, wir wollen zur Waage!« flehte Alice ihre Cousine an.

»Aber was sollen wir denn da?« fragte die Turfkomtess erstaunt, »erstens muss ich Papa aus der Restauration abholen, und dann muss ich in die Box von ,sweet beast’; sie kommt im übernächsten Rennen.«

Die beiden jungen Mädchen schritten, von einigen der Leutnants begleitet, quer über den Sattelplatz mit dem sonnenverbrannten, spärlichen Rasen, auf ein großes Leinwandzelt zu, in welchem sich die Restauration befand.

Ein bunter Menschenschwarm hatte sich an den Holztischen drinnen niedergelassen; aber unter all den andern war Theas Vater eine so auffallende Erscheinung, dass sie ihn auf den ersten Blick herausfanden.

Graf Balz brach ihnen Bahn durch die dicht gedrängte Menschenmenge am Büffet, und einige Augenblicke später ließen sich die drei am Tische des Grafen Dahlweg nieder.

Theas Vater war noch heute ein vollendet schöner Mann. Der broncebraune Teint seines schmalen Gesichtes kontrastierte seltsam mit seinem weißen Haupthaar. Auch der nach englischer Mode bürstenförmig geschnittene kleine Schnurrbart war schneeweiß. Aber in des Grafen türkisblauen Augen — dem Erbteil seiner schwedischen Mutter — loderte noch immer das Feuer der Jugend; noch immer war in ihnen der heiße und feuchte Glanz, der so vielen Frauen gefährlich gewesen, — vielleicht es jetzt noch war...

»Na, nett, dass ihr euch endlich hier sehen lasst, Kinder,« hatte Graf Dahlweg zu seiner Tochter und zu seiner Nichte gesagt; »danke, lieber Balz, dass Sie die Mädels hierher begleitet. Sie nehmen doch auch ein Glas von dieser Bowle. Ich kann sie Ihnen dringend empfehlen. — Aber wer hat denn das Jagdrennen gemacht? ,Tropenfieber’? Sieh mal an! Na, da wird sich der Herzog freuen, — hatte ja ein tolles Pech, diese ganze Saison!« —

»Ich auch, Papa!« sagte Thea betrübt.

»Aber, liebstes Kind, mit deinen zwei Gäulen! Da kannst du wahrhaftig nicht viel verlangen. Sei froh, dass du so’n netten Papa hast, der dir überhaupt Rennpferde kauft!

Gott, da du so darauf branntest, — warum denn nicht? Aber schwere Klasse ist weder ,cousin’ noch ,sweet beast’.« —

»Sollte ,cousin’ nicht im Hohenhelm-Jagdrennen laufen?« fragte Graf Balz, indem er sich an Fräulein von Nordstetten wandte.

»Ja, mit Trostburg im Sattel, — der rote Husar.

Sie kennen ihn natürlich, — aber er hat seit vorgestern ein mulmiges Bein, — lachen Sie doch nicht so! Ich meine ja, der Gaul hat ein mulmiges Bein, — und da hat Thea Reugeld gezahlt!«

»Und ,sweet beast’?«

»Na, die kommt ja im nächsten Rennen.« —

Alice hielt dem Ulanen ihr Rennprogramm hin, in welchem die Worte ›Röbersdorfer Jagdrennen‹ angestrichen waren.

Unter den Pferden, die dieses Rennen bestritten, befand sich ,sweet beast’, die fünfjährige Schimmelstute der Gräfin Thea Dahlweg.

»Ich muss jetzt in die Box, Papa.« —

»Gut, ich komme mit.« —

Sie schritten alle vier bis zu den Holzverschlägen, in welchen die Pferde für das nächste Rennen gesattelt wurden.

Lächelnd klopfte Thea der Stute den Hals. — Sie standen dicht beieinander, die schlanke, weiße Stute und das schlanke, weiße Mädchen, beide goldübergossen von brennendem Julisonnenschein. — —

Da fiel ein Schatten über den Weg.

Ein großer, hagerer Kürassierleutnant verbeugte sich vor Thea und begrüßte dann die drei anderen.

»Ich habe mich im Interesse meiner Tochter recht gefreut, dass Sie ,sweet beast’ reiten, lieber Baron,« sagte Graf Dahlweg verbindlich. —

»Was man aus dem Gaul ’rausholen kann, werde ich schon ’rausholen!« erwiderte der Kürassier, indem er sich in den Sattel schwang und in den Kreis ritt, in welchem die anderen Pferde, die am nächsten Rennen teilnehmen sollten, schon bewegt wurden.

»Ich wusste gar nicht, dass der rote Champion Ihr Pferd reitet,« sagte Graf Balz zu Thea.

»Wer?« unterbrach Alice.

»Kennen Sie nicht Baron Hofs Spitznamen: ›der rote Champion,‹ so genannt wegen seiner impertinenten Haarfarbe und wegen seines Championats, das er in diesem Jahre zum dritten Male zu behaupten hat.«

»Diesmal wird Borndorf Champion,« rief Alice.

»Denkt nicht daran,« lautete Theas kühle Entgegnung, »dieses Rennen wird er allerdings gewinnen.« —

Sie betrachtete nachdenklich prüfend den großen Fuchshengst, auf dem Borndorf eben vorüberkam.

Zu Alicens größtem Entzücken grüßte dieses Mal der kleine Ulan.

Die Turfkomtess aber hatte nur Augen für sein Pferd.

»Sieh mal, Papa, wie wundervoll ,Rurik’ heute in Form ist. Und bloß 60 Kilo. Ich fürchte, er siegt im Handgalopp.« — .

»‘Sweet beast’ sieht heute auch sehr gut aus,« tröstete der Vater und wies auf die Schimmelstute, die eben vorbeikam.

Der Freiherr von Hof, der rote Champion, saß in nachlässigster Haltung im Sattel; sein hageres Gesicht mit den harten; blauen Augen trug einen unendlich gleichgültigen Ausdruck.

Er grüßte flüchtig herüber und ritt dann den anderen nach zum Start. — — —

Und dann standen die vier wieder an der Barriere, und mit fieberhafter Aufmerksamkeit wartete Thea auf das Zeichen des Starters. —

Endlich fiel die Flagge. Dicht geschlossen kam das Feld bis zum Tribünensprung; dann aber nahm ,Cayenne’ die Führung, und ihr Reiter, ein junger Dragoner, der sein erstes Rennen ritt, forderte sie zu einer Höllenpace auf, die nur zwei der übrigen Pferde akzeptierten, nur ,Rurik’ und ,sweet beast’.

Beim Torbeger Bogen fiel ,Cayenne’, vollständig ausgepumpt, zurück und — das übrige Feld weit hinter sich lassend — rasten ,Rurik’ und ,sweet beast’ auf gleicher Höhe dahin.

Beim Wassergraben aber, den Borndorf mit ,Rurik’ tadellos genommen hatte, machte ,sweet bieat’ einen Rumpler, der den roten Champion aus dem Sattel warf.

Theas Hand, die das Fernglas gehalten, fiel schwer hernieder.

Aus! — — Keine Chance mehr! — —

Ihre schimmernden Zähne gruben sich tief in ihre Unterlippe.

»Na, diesmal hat dein Borndorf gewonnenes Spiel!« sagte sie heiser zu ihrer Cousine.

»Du! Hof ist ja wieder im Sattel!« Alice schrie beinahe vor Überraschung.

Und durch die angestauten Menschenmassen ging ein wildes, verworrenes Rufen: »Hof!« »Der rote Champion.« Immer wieder wurde der Name des populärsten aller Herrenreiter geschrien, gebrüllt in allen Tonarten!

Und immer geringer wurde der riesige Abstand zwischen ,Rurik’ und ,sweet beast’.

Zwanzig Längen nur noch — — und schon waren es nur zehn — — — nur fünf.

Bei der letzten Hürde lag nur noch eine Länge zwischen ihnen, und dann warf Hof mit übermenschlicher Gewalt sein Pferd vor, Borndorf weit hinter sich lassend. — —

Und aller Augen sahen nur ihn, nur ihn, den roten Champion. Er hatte seine Mütze beim Sturz verloren; sein Haar hing ihm wie rotes Gold wirr in die Stirne hinein; aus einer Hautwunde an seiner linken Wange floss ihm ein breiter Streifen Blut am Gesicht herunter. Man sah nur ihn, — nur die weit ausholende Handbewegung, mit der er die Peitsche auf den Gaul niedersausen ließ, — — immer wieder, — mit automatischer Regelmäßigkeit klatschte sie nieder auf den schweißtriefenden Pferdeleib, — — und immer wieder — und noch einmal — — und bis durchs Ziel! — —

Das aufgeregte Rufen schwoll brausend an, — wie ein Triumpflied auf den roten Champion war’s; — — dann aber drängte die Menge eilfertig auseinander, zur Restauration und zum Totalisator. — —

Die Turfkomtess stand regungslos an der Barriere; sie erwiderte nichts auf die vielen Glückwünsche, die ihr dargebracht wurden.

In ihrem totenblassen Gesicht leuchteten ihre Augen wie im Fieber.

Später, — — als die Glocke schon zum neuen Rennen läutete, ging sie allein in die Box von ,sweet beast’.

Die Stute lag, zum Tode erschöpft, auf der Erde; ihr Atem ging keuchend und stoßweise durch die weitgeöffneten Nüstern.

Thea schickte den Stallknecht fort, der im Begriff war, das Pferd abzuwaschen.

Sie blieb ganz allein mit dem röchelnden und erschöpften Tiere, dessen glatte Haut schweißbedeckt war, und an dessen Flanken das Blut hinunterrieselte.

»Von seinen Sporen, —« sagte die Turfkomtess wie im Traume vor sich hin, und sie legte ihre kühlen, weißen Hände auf die heiße, rote Wunde.

Das Pferd zuckte zusammen.

Da schlang ihm Thea beide Arme um den Hals, und ein tränenloses Schluchzen schüttelte ihren schlanken Körper wie ein Krampf. — —


II. Kapitel

Die Wagen, die vom Rennen kamen, bewegten sich in langer Reihe, den schlangenförmigen Windungen des Weges folgend, hinauf zum ›Imperial‹, dem Hotel, in dem ›man‹ das Renndiner zu nehmen pflegte.

Der Besitzer und der Direktor des Hotels standen schon zum Empfang bereit. Und sie kamen alle: — Mietswagen mit uneleganten Insassen, — ein paar anständig bespannte Jagdwagen von Gutsbesitzern aus der Umgegend, — das Automobil eines Kommerzienrats aus Berlin W., — der wundervolle Grauschimmel Viererzug des Prinzen Hachingen-Büttendorf, — das dogcart einer bekannten ›professional beauty‹, — die Krümperwagen der Kronprinzhusaren, deren Offizierskorps fast vollzählig aus der nahen Garnison herüber gekommen war, — alle diese so verschiedenartigen Gefährte fuhren langsam rechts um das Rasenrondell, in dessen Mitte ein Springbrunnen seine leuchtende Wassergarbe hoch in die blaue Luft hineinschleuderte, — hielten vor dem Portal und fuhren langsam weiter, nachdem die Insassen ausgestiegen.

Bald herrschte ein buntes Gedränge aus der Terrasse des Hotels.

Ein unruhiges Hin und Her entstand, bis jeder den ihm reservierten Tisch gefunden.

Dann begann die Melodie des Speisens anzuschwellen: eine schwirrende, lachende Unterhaltung, zu welcher das Klingen der Gläser, das Klirren der Messer und Gabeln, die geflüsterten Fragen der Kellner den Begleitakkord bilden.

Soweit man von der Terrasse aus sehen konnte, erblickte man sanft geschwungene Höhenzüge, von hohen, dunklen Tannen ganz überdeckt.

Der untergehende Sonnenball tauchte den ganzen Himmel in Glut und Glanz und warf einen rosigen Widerschein auf die schwatzende, essende Menge.

Nur eine war da, die nicht aß, nur manchmal wie im Traum den Sektkelch an die Lippen führte und geradeaus starrte — in die sinkende Sonne hinein.

Man sah der Gräfin Thea Dahlweg keine Freude an über den ersten Sieg ihrer Stute, und der rote Champion schien etwas verstimmt darüber zu sein.

Graf Dahlweg hatte ihn im Namen seiner Tochter, als der Besitzerin des siegenden Pferdes, für diesen Abend eingeladen.

Er saß Thea gegenüber.

»Sie sind mir wohl böse darüber, dass ‘sweet beast’ gesiegt hat?« fragte er sie in seiner brüsken Weise.

Und dann, als Thea keine Antwort gab, ereiferte er sich förmlich. »Das passt Ihnen wohl nicht, dass ich den Gaul tüchtig ’rangenommen habe? Na, mit Glacéhandschuhen anfassen, das ist nicht meine Manier. Wenn Ihnen meine Manier nicht passt, dann kann Ihnen ja wer anders Ihre Gäule reiten.«

Thea sprach noch immer nicht. —

»Aber Sie haben ja wundervoll geritten, lieber Baron,« begütigte Graf Dahlweg, »geradezu wundervoll.«

»Ganz kolossal!« bestätigten die beiden Leutnants, die noch mit am Tisch saßen, Graf Balz, der getreue Verehrer Alicens, und Herr von Meerenburg, ein Vetter der Dahlwegs, den man zufällig auf dem Rennplatz getroffen.

Doch die allseitige Anerkennung der Herren schien dem Freiherrn von Hof nicht zu genügen; mit seiner schneidenden, tiefen Stimme fuhr er fort: »Nee, nee, dann lasst doch wer anders reiten,« — und ein ironisches Lächeln verzog seinen Mund, »vielleicht Borndorf.« —

Alice, die bis dahin genauso schweigsam gewesen wie Thea, wiederholte »Borndorf« und seufzte.

Dann fuhr sie fort in ihrer interessanten Beschäftigung, nach einem der Nebentische hinüber zu sehen, an welchem in größerem Kameradenkreise Borndorf saß.

Der kleine Ulan saß und redete; wie ein lustig plätscherndes Bächlein floss ihm die Rede von den Lippen.

Einige der andern hörten ihm zu, andere widmeten sich ganz der Pfirsichbowle, oder plauderten miteinander.

Man konnte nicht sagen, dass der kleine Borndorf sich mit seinen Kameraden unterhielt, es war mehr ein Monolog zu nennen.

Und manchmal drangen Bruchstücke dieses Monologs zu Dahlwegs Tisch hinüber: — — »und da merkte ich gleich, er pullt sich tot,« oder »es war natürlich Blech„Mayflower’ von einem Dreikilojungen reiten zu lassen — —«

Mit schauerndem Entzücken lauschte Alice diesen Offenbarungen und nur mit Mühe unterdrückte sie einen Ausruf des Bedauerns, als Borndorf nach einem Blick auf die Uhr hastig aufsprang und sich zum Gehen rüstete.

»Nanu? Doch nicht schon jetzt?« fragte einer der Kameraden entrüstet.

»Jawohl, höchste Zeit, in die Klappe zu gehn,« sagte der kleine Ulan betrübt, »um viere muss ich auf die Bahn zur Morgenarbeit und ,Ach was’ ist einer der schwierigsten Gäule, die ich je geritten habe.«

»Trink wenigstens noch ein Glas zum Abschied.«

»Ach nee, mein Lieber, ich kenne das Höllische deiner Bowlenmischung gerade zur Genüge.« — —

Der andere hielt ihm lachend ein neu gefülltes Glas hin.

Borndorf kämpfte ein paar Augenblicke mit sich, aber er widerstand der Versuchung.

»Man muss sich auch etwas versagen können!« entschied er.

Herzlichen Abschied von den Kameraden, — ein Gruß zu Dahlwegs Tisch hinüber, — dann ging er.

Alice sah ihm nach, ganz versunken in süße Träume, aus denen sie recht unsanft durch den roten Champion geweckt wurde.

»Ich weiß nicht, was Sie an dem kleinen Idioten finden!« sagte er brüsk zu ihr.

Alice war tödlich beleidigt. Weniger dadurch, dass ihre Gefühle so rau ans Licht gezerrt wurden, als durch die geradezu entsetzliche Bezeichnung, mit welcher der Freiherr von Hof ihr Ideal bedachte.

»So — Idiot?« sagte sie empört, »es ist mir rätselhaft, wie Sie auf diese Bezeichnung kommen, Herr von Hof! Der spricht besser Französisch als Sie — — und englisch kann er auch ein bisschen, und Klavierspielen kann er auch, wenn auch nicht gerade sehr gut — —«

»Und tanzen kann er auch, und sogar singen tut er, wenn er gereizt wird!« ergänzte der rote Champion.

Fräulein von Nordstetten fand vor Empörung keine Worte mehr.

Aber die Turfkomtess mischte sich jetzt ins Gespräch.

»Ihre Art, über einen Kameraden zu sprechen, ist jedenfalls bemerkenswert, Baron!« sagte sie kühl.

Der rote Champion erwiderte nichts, aber er war blass geworden.

Ein ungemütliches und verlegenes Schweigen lagerte über der Gesellschaft, und die Stimmung hob sich erst dann, als Herr von Hof sich verabschiedet hatte.

»Grässlicher Mensch!« sagte Alice aus tiefster Seele.

Graf Balz stimmte ihr zu, sagte jedoch gleich darauf: »Aber ein kolossal schneidiger Soldat ist er jedenfalls.« —

»Und reitet wie ein Gott,« ergänzte Leutnant von Meerenburg bewundernd.

»Na, na, es gibt sicher bessere Reiter!« trotzte Alice.

»In Deutschland nicht!« mischte sich Graf Dahlweg ins Gespräch, »nein wirklich, Alice, das verstehst du nicht; er ist bestimmt unser bester Herrenreiter.

Und was sein wenig liebenswürdiges Wesen anbetrifft, so muss man eben die Geschichte seiner Jugend berücksichtigen.«

»Was für eine Geschichte?« fragte Alice neugierig.

»Nun — — — er hat seine Eltern früh verloren,« erwiderte Dahlweg mit leichter Verlegenheit und bemühte sich, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

Später, als seine Tochter und seine Nichte eifrig einer fabelhaften Jagdgeschichte des Grafen Balz lauschten, sagte er leise zu Meerenburg: »Kennst du eigentlich die Sache mit Hofs Eltern, Vetter?«

»Nein.«

»Es war ja auch lange vor deiner Zeit. Weißt du, Hofs Mutter war eine geborene Wetterau, eine Tochter von dem tollen Wetterau, der seine acht Güter verjeute. Na, da er ihr nichts anderes zu vererben hatte, so hat er seiner Tochter den Leichtsinn vererbt; als junges Mädchen ging es noch; sie hielt sich ganz gut, aber nachher, als Hof sie geheiratet hatte, ließ sie sich die Cour machen, dass es schon nicht mehr schön war. Ob sie nur flirtete oder ob sie sich wirklich gegen ihre Pflichten als Gattin verging, — wer will das entscheiden!

Jedenfalls nach einigen Jahren kam die Geschichte zum Klappen. Hof schoss sich mit einem Vetter seiner Frau, einem ganz jungen Kerl von den Kronprinzhusaren. Es war wohl weniger Absicht von dem kleinen Husaren als ein unglücklicher Zufall: — der Ehemann bekam eine Kugel in die Lunge und war in zwei Minuten tot. Schade! Hof war ein reizend netter Mensch.

Na, — was die Frau anbetrifft, so weiß man nicht, was aus ihr geworden ist. Sie ging nach Amerika, nachdem die Verwandten ihres Mannes ihr das einzige Kind korrekterweise weggenommen.

Dies Kind, der rote Champion, war damals höchstens fünf Jahre alt und verstand noch nichts von dieser schauderhaften Geschichte. Aber er hat sie wohl früh genug verstehen gelernt, — viel zu früh —

Und ich glaube, das hat den schlimmen Einfluss auf sein Leben gehabt. Wenn ein Mensch seine eigene Mutter verachten muss —«

Graf Dahlweg unterbrach sich.

Er hatte zu bemerken geglaubt, dass eine purpurne Röte in dem Gesicht seiner Tochter aufflammte.

Sollte sie etwas von seiner Erzählung gehört haben?

Aber nein! Sie war sicher viel zu wohlerzogen, um einem Gespräche zu lauschen, das nicht für ihre Ohren bestimmt war.

Und ihre Stimme klang so kühl wie immer, als sie ihrem Vater Gute Nacht sagte.

»Also um fünf gehen wir zur Morgenarbeit auf die Bahn. Ich werde bestellen, dass man dich um vier Uhr weckt, Papa.« —