Czytaj książkę: «Er, Sie und Es», strona 10

Czcionka:

Sie führte ihn geradenwegs in den Hof. »Schau. Also das ist eine Rose.«

Yod ging darauf zu und streckte eine Hand aus, um eine Blüte zu untersuchen. Dann zog es mit einem Ausruf seine Hand zurück. »Sie ist bewaffnet.« Es packte die gewaltige alte Kletterrose, riss sie mitsamt Spalier und Krampen von der Wand und zerrte die Wurzeln aus der Erde.

»Yod! Was hast du getan!« Sie schlug ihn, bevor sie nachdenken konnte, im Zorn. Ihn zu schlagen fühlte sich ganz so an, als schlüge sie einen Menschen, nur dass er nicht zusammenzuckte. »Dieser Rosenstrauch war sechzig Jahre alt. Ich habe diese Rosen geliebt!«

Das Cyborg stand da und schaute auf die gewaltige Ranke, die es von der Hofmauer gerissen hatte. »Ich habe dich erzürnt.«

»Yod, ich hätte dich nicht schlagen sollen.« Es wusste es ja nicht besser.

»Ich möchte dich nicht ärgerlich und unglücklich machen. Shira, ich habe nie verstanden, warum Menschen sich entschuldigen, aber jetzt habe ich das Bedürfnis, es zu tun. Sie versuchen, dieses Gefühl loszuwerden, im Unrecht zu sein. Sie drücken den Wunsch aus, das ungeschehen zu machen, was sie getan haben, aber es ist getan und Bedauern ist sinnlos. Was kann ich tun, um das zu reparieren?« Es begann in der Erde zu scharren und pflanzte die ausgerissenen Wurzeln wieder ein. »Bitte, Shira, sag mir, was ich tun soll, um rückgängig zu machen, was ich beschädigt habe.«

»Ich fürchte, sie wird eingehen, aber wir werden sie zurückschneiden und es versuchen.« Sie holte einen Spaten aus dem Gartenschuppen. »Warum hast du sie angegriffen?«

»Sie hat mich zuerst angegriffen, Shira … Das war ein Dorn?«

»Spürst du Schmerz? Ist das möglich?«

»Ich wurde mit Lust- und Schmerzzentren gebaut. Ich mutmaße, dass Avram mich dadurch kontrollieren wollte und dass es mich motivieren soll, neben meiner Hauptprogrammierung zu Schutz, Überleben und Informationsbeschaffung.«

»Ich habe dich hergebracht, um die Rose kennenzulernen. Was davon übrig ist.« Sie seufzte, und mit der Schere, mit der sie die alte Kletterrose zurückgeschnitten hatte, entfernte sie aus dem Haufen abgehackter Zweige einen Stängel mit gelben Blüten.

Yod streckte behutsam eine Hand aus. Es ergriff eine Rose, pflückte sie geschickt und führte sie an sein Gesicht. »Die Farbe, der Duft und die Form entsprechen genau der Information in meinem Speicher. Aber sie hat auch eine seltsam angenehme Haptik. Ich denke, man könnte es beschreiben als … wie Samt, vielleicht? Benutze ich einen Vergleich korrekt?«

»Ausgezeichnet, Yod.« Sie ertappte sich dabei, dass sie lächelte. Lächeln, wie fühlte sich das eigenartig an; wie wenig hatte sie in ihrer jüngsten Vergangenheit zu lächeln gehabt.

»Ich muss jedoch anmerken, dass die Samt-Analogie äußerst unvollkommen ist. Ich kann die einzelnen Bestandteile des Samt-Flors erspüren – ich kenne das Material von den Vorhängen des Wohnzimmers in Avrams Wohnung. Im Falle des Tasterlebnisses der Rose ist die sanfte Glätte gleichmäßiger als ein Flor, und es ist mehr Feuchtigkeit vorhanden.«

»Trotzdem, erinnerst du dich an das Robert-Burns-Gedicht?«

Yod sagte es mit perfekter Imitation ihrer Intonation auf.

»Also, was meint er damit?«

»Er meinte, dass die Frau schön war wie diese Blume, und vielleicht, dass sie nach Parfüm roch.«

»Woher weißt du, dass die Rose schön ist?«

»Meine Basis sagt mir, sie wird von Menschen dafür gehalten: dass Blumen schön sind, obwohl es andererseits auch scheint, dass Menschen oft verschiedener Meinung darüber sind, wer oder was schön ist, und dass jede Epoche andere Ansichten hat. Schönheit ist kein Begriff, den ich nützlich finde. Ich verstehe nicht, was er bedeutet, außer Eleganz im Design.«

»Das Gedicht hat noch einen weiteren Sinn. Weißt du, wie lange Rosen sich halten?«

»Nein.« Yod neigte den Kopf und wartete.

»Blumen sind zumeist Geschöpfe des Augenblicks. Diese Rose da beginnt schon zu welken. Wenn du ihren Stängel in Wasser stellst, wird sie sich ein paar Tage halten.«

»Deswegen bedeutet ein Blumenvergleich kurze Dauer.«

»Richtig.«

Es runzelte die Stirn. »Dann ist es ein trauriges Gedicht.«

»Nicht direkt. Aber da ist ein Unterton von Sterblichkeit. Bei uns gibt es oft einen Unterton von Sterblichkeit.«

»Ich bin auch sterblich, Shira. Ich kann abgeschaltet werden, außer Dienst gestellt werden, zerstört werden.«

»Und du kannst Schmerzen fühlen, was mich überrascht. Aber wie empfindlich bist du?«

»Ich bin überhaupt nicht empfindlich. Menschen sind erstaunlich empfindlich, wenn ich eure Konstruktionspläne recht verstehe.«

»Der Gedanke von Konstruktionsplänen für Menschen ist metaphorische Sprache, Yod, da wir nicht konstruiert oder gebaut werden, sondern geboren.«

»Ich versuche die Bindung zu verstehen, die durch den Geburtsvorgang entsteht. Sie ist ziemlich stark?«

»Es gibt keine stärkere Bindung.«

»Ich kann deinem Gesicht ablesen, dass meine Erwähnung der Mutterschaft dich bestürzt hat.«

»Sie ist kein Thema, mit dem ich objektiv umgehen kann, noch nicht, vielleicht nie. Ich versuche die ganze Zeit über, nicht an meinen Sohn zu denken.«

»Ich möchte mein Mitgefühl ausdrücken – ist das die richtige Begrifflichkeit? –, aber ich weiß nicht, wie ich das tun kann, ohne dich weiter an das zu erinnern, was du vergessen möchtest.«

»Ich habe nicht die Absicht, es zu vergessen, Yod, aber ich danke dir.« Warum erzählte sie einer Maschine von ihrem Schmerz? Es war, wie sich beim Haus ausweinen, als sie ein sehr kleines Mädchen war und noch nicht verstand, dass das Haus nicht lebendig war. »Wir sollten ins Labor zurückkehren.«

»Aber das Gedicht, das du mir beigebracht hast, ist doppelsinnig. Woher weißt du, dass er von der Frau spricht? ›Meine Liebe gleicht einer roten Rose‹ könnte seine eigenen Gefühle für sie meinen. Sie könnten das sein, was er als schön preist und als vergänglich ankündigt.« Er hob eine Augenbraue, lächelte ihr leicht zu und wartete.

»Daran habe ich noch nie gedacht.« Sie schaute Yod erstaunt an. »Offen gestanden, ich würde das Gedicht weniger mögen, wenn ich dächte, dass Burns es so gemeint hat. Auf seine Beziehung passt diese Deutung wahrscheinlich, so wie auf die meisten, aber das ist kein Grund zum Feiern. Du hast das Thema gewechselt. Wir sollten zurückkehren.«

»Müssen wir? Ich würde gern alles von deinem Haus sehen. Die Bäume interessieren mich auch. Ich habe sie von Avrams Fenstern aus gesehen, aber ich bin ihnen noch nie nahe gekommen.« Er benahm sich anders mit ihr, als er es im Labor mit Avram getan hatte. Er war ein bisschen weniger schreckhaft und sehr viel ausdrucksvoller. Er war ihr gegenüber viel lebhafter geworden, seit sie ins Haus gekommen waren. »Die Blätter sind an jedem anders. Ist das … Obst?«

»Das sind unreife Pfirsiche.«

Es entstand eine Pause, während Yod abfragte, was ein Pfirsich war. Als er die Frucht untersuchte, wollte sie ihn schon warnen, sie nicht abzureißen, aber dann bemerkte sie, wie außerordentlich präzise und sorgfältig er seine Hände gebrauchte. Sie gewöhnte sich langsam an das leicht verdutzte Stirnrunzeln der Konzentration, das ihn überkam, wenn er neue Informationen aus seinen Datenbanken abrief. »Hast du hier ein Zimmer? Gadi hat ein Zimmer in Avrams Wohnung. Avram hat auch ein Zimmer, das nur seins ist. Dazu gibt es Gemeinschaftsräume wie die Küche, wo die Nahrung zubereitet wird –«

»Das ist üblich. Ja, obwohl ich vor Jahren von zu Hause weggegangen bin, hat Malkah das Zimmer für mich so bewahrt, wie ich es verlassen habe. Vor der Kisrami-Pest von ’22, so wurde mir erzählt, wohnten mehrere Familien in diesem Haus, aber jetzt nur noch wir beide.«

Er kam ein letztes Mal zur Kletterrose zurück. »Geschöpf einer Stunde. Doch auch meine Vorgänger waren zumeist Geschöpfe einer Stunde. Außer Gimel. Er wird mich wahrscheinlich überdauern. Aber er ist nicht lebendig.«

»Hältst du dich selbst für lebendig?«

»Ich bin mir meiner Existenz bewusst. Ich denke, ich plane, ich fühle, ich reagiere. Ich nehme Nährstoffe zu mir und gewinne daraus Energie. Ich wachse geistig, wenn ich auch nicht körperlich zunehme, aber macht mich das Unvermögen zur Fettleibigkeit weniger lebendig? Ich spüre das Verlangen nach Gesellschaft. Wenn ich nicht zeugungsfähig bin, so sind das viele Menschen auch nicht. Wird nicht die Hälfte eurer Bevölkerung von Unfruchtbarkeit heimgesucht?«

Sie beschloss, auf dieses Thema nicht weiter einzugehen. Stattdessen führte sie ihn in die Küche. »Was meinst du damit, deine Vorgänger waren Geschöpfe einer Stunde?«

»Benutze ich die sinnbildliche Sprache nicht korrekt?«

»Das kann ich nicht sagen, bevor du es weiter erklärst.«

»Du kennst das Schicksal von Alef. Du warst zugegen, nicht wahr?«

»Avram hat dir davon erzählt?«

Yod blieb stehen und wandte sich zu ihr um. Seine Augen bohrten sich in sie. »Avram hat mir nichts erzählt. Ich verschaffte mir Zugriff zu seinen Aufzeichnungen. Außer Gimel, den man völlig zu Recht zurückgeblieben nennen kann, hat Avram jeden meiner Brüder zerstört.«

»Alle Cyborgs, die dir vorangingen, meinst du.«

»Sie hatten alle ein Bewusstsein, Shira, außer Gimel. Einen völlig lebendigen Geist.«

»Das verstört dich.«

»Wenn deine Mutter vor deiner Geburt acht Geschwister von dir umgebracht hätte, weil sie nicht ihren Vorstellungen entsprachen, wärst du da nicht beunruhigt?«

»Du fürchtest, dass er dich auch zerstören wird?«

»Ich wäre töricht, wenn mir dieser Gedanke nicht gekommen wäre.« Dann lächelte er, mit melancholischem Ausdruck. »Deshalb rede ich ihn mit Vater an.«

»Bitte was?«

»Es ist ein schwacher Versuch, eine Bindung herzustellen, die mich vielleicht bewahren wird. Woher weiß ich, dass er nicht beschließt, mich zu verschrotten? … Also zeige mir das Haus.«

»Warum interessierst du dich dafür?«, fragte sie, führte ihn aber dennoch in das zentrale Computerarchiv, Malkahs Büro daheim und das Gehirn des Hauses. Ihr war bewusst, dass er das Thema zweimal taktvoll gewechselt hatte, und sie merkte außerdem, dass sie ein anderes Fürwort dachte: ›er‹.

Er setzte sich an den Computer und koppelte sich rasch an die Schnittstellen. Sie nickte ihm zu, dass er ihren Stecker benutzen konnte. Schließlich würde Yod sie nicht mit Keimen infizieren. Sie bezweifelte, dass Bakterien auf ihm gediehen; er gab wohl keinen fruchtbaren Nährboden ab. »Sogar in ihren Programmen«, bemerkte er ein paar Minuten später, während er die Verbindung löste, »erhält man einen starken Eindruck von Malkahs Persönlichkeit, ist dir das aufgefallen?«

»Ich denke, das gilt für alle kreativeren Systeme.«

Er wartete darauf, dass sie ihn führte, also tat sie es, durchs Wohnzimmer, dann hinauf zu den oberen Zimmern. Doch als sie die Treppe hochkamen und den im ersten Stock rundum laufenden Balkon betraten, kündigte das Haus Malkah an. Yod beugte sich über das Geländer und winkte. »Malkah! Schau, ich bin zu Besuch. Shira hat mich hergebracht.« Sofort stieg er über die Brüstung und ließ sich wie eine Katze auf die Steinfliesen im Hof fallen. Shira beugte sich vor. »Yod! Alles in Ordnung?«

»Vollkommen.« Er wirkte verwundert. Er eilte auf Malkah zu, die ihm ihre weit geöffneten Arme entgegenstreckte. Shira stöhnte und stieg langsam die Treppe hinunter. Malkah mochte ja ein Stück weit recht haben, man musste Yod als eine Art Wesenheit behandeln, eine Maschine mit Bewusstsein, aber ihn in die Arme zu schließen schien mehr als abstrus.

Als sie zu ihnen stieß, hatte sich Malkah in ihren gewohnten Sessel gesetzt und Yod kniete vor ihr, er redete sehr viel schneller, als sie ihn je hatte sprechen hören, die Worte überkugelten sich: »… wie sehr ich dich vermisst habe. Über die Datenleitung zu kommunizieren ist nicht das Gleiche, wie dich zu sehen, das verstehe ich jetzt.«

»Avram entschied, dass ich einen schlechten Einfluss auf Yod hatte, also schloss er mich aus.«

»Einen schlechten Einfluss?«, fragte Shira.

»Ich bin für einen Teil von Yods Programmierung verantwortlich. Avram hat mich als letzte verzweifelte Karte ins Spiel gebracht, um das Projekt zu retten.«

»Malkah, ich habe hier heute etwas Schlimmes getan. Ich habe deine Kletterrose zerstört.« Er erklärte es rasch.

»Yod, du kannst nichts für deine gewalttätigen Triebe, aber ich habe versucht, ein Gegengewicht einzubringen. Mit der Zeit wirst du vielleicht lernen, deine Kraft klüger einzusetzen.«

»Malkah ist meine Freundin. Die Einzige, die mich als Person behandelt und nicht als Werkzeug.« Er strahlte sie beide an, ein offenes, unschuldiges Lächeln der Freude. »Aber du hast mich heute mehr zu einer Person gemacht, indem du mich in die Welt hinausgebracht hast.«

»Aber, Malkah, wieso bist du so früh nach Hause gekommen?« Shira las die Zeit auf ihrer inneren Uhr ab. Es war 14:35:11. Bald musste sie Yod ins Labor zurückbringen.

Malkah lehnte sich in ihrem Sessel zurück, erschöpft oder von etwas bedrückt. »Yod informierte mich über die Datenleitung, dass er hier ist.«

»Du bist sehr schnell«, sagte Shira zu ihm. Sie hatte es überhaupt nicht gemerkt.

Er nickte, immer noch strahlend. »Der Schnellste.«

»Wir hatten heute Vormittag wieder einen Unglücksfall«, sagte Malkah und rieb sich heftig die Augen. »Aviva Emet.« Sie seufzte, ihre Hände umklammerten die Armlehnen ihres Sessels.

»Was meinst du damit, wieder ein Unglücksfall?«, fragte Shira.

»Im letzten Jahr wurden fünf unserer Programmierer getötet und zwei weitere zu menschlichem Gemüse reduziert. Es passiert, während sie in die Basis eingestöpselt sind und arbeiten. Überdies wird uns unser Zeug gestohlen. Wir nehmen an, dass es Piraten sind. Sie morden, und dann stehlen sie.«

Plötzlich verstand Shira. »Und Yod soll darauf vorbereitet werden, sich in die Basis zu begeben und diese Bedrohung zu bekämpfen?«

Malkah nickte. »Unter anderem.«

»Ich kannte Aviva Emet gar nicht. War sie eine Freundin?«

»Sie war jünger als du, Shira, und hochintelligent. Sie kam letzten Herbst her und hat sich alles selber beigebracht. Das, wofür sie sie umbrachten, um es zu stehlen, war etwas, was wir zu einem sehr guten Preis verkaufen wollten. Es war für den Verkauf noch nicht vollständig genug, aber offensichtlich genügte es, um gestohlen zu werden.«

Shira fragte Yod: »Verstehst du, was sie mit dir vorhaben?«

»Ich wurde geschaffen, um zu dienen.« Yod zuckte die Achseln. »Ich bin besser dazu geeignet, diese Überfälle zu untersuchen als irgendjemand sonst. Vielleicht bald.« Er stand auf und schaute sich nach etwas um, worauf er sitzen konnte. Da kein passender Stuhl vorhanden war, hob er einen Granitblock auf, eine alte Pferdetränke, die im Garten stand, und stellte ihn beiläufig neben Malkahs Sessel, zu einer Gesprächsrunde. Malkah warf Shira einen amüsierten Blick zu. Sie nahm sich sichtlich zusammen, wie sie es immer nach einem seelischen Schock tat. Malkah hatte Shira in dem Glauben aufgezogen, dass die richtige Antwort auf einen Schicksalsschlag ist, sich aufzurichten und voranzuschreiten. Falls Malkah der getöteten Frau nahe gestanden hatte, so würde Shira das nur nach und nach herausfinden, denn sie trauerte langsam und nur dann und wann.

Shira beobachtete immer noch Malkahs Verhalten gegenüber Yod. Es war fast kokett. Es schockierte sie etwas. Malkah reagierte auf Yod eindeutig wie auf ein männliches Wesen. Shira hatte erlebt, wie Malkah mit Katern flirtete, aber mit einer Maschine?

Wie Shira befürchtet hatte, war Avram wütend. Er wies Yod an, in das innere Labor zu gehen, aber Yod setzte sich still in die Ecke.

»Ich habe dir befohlen hinauszugehen.«

»Es wäre aber nicht vernünftig für mich, es zu tun. Das hier betrifft mich, Vater.«

Avrams Augen glitzerten vor Zorn. Es gibt Menschen, die vor Zorn anschwellen, dachte Shira, aber Avram schien davon heller zu strahlen. »Wie kannst du es wagen, ihn aus dem Labor rauszubringen?«

Sie zwang sich, nicht zu katzbuckeln und möglichst ruhig zu klingen. »Er braucht mehr Erfahrung, mehr Anregung, als er sie eingesperrt hier drin erhält. Es wird Zeit für ihn, unter Menschen zu kommen. Er muss lernen, in Gesellschaft zu funktionieren. Avram, wir müssen irgendwo anfangen. Wenn wir zusammen sind, werden die meisten Leute sich damit beschäftigen, dass ich zurück bin und welchen Klatsch sie gehört haben. Yod wird ein wenig geschützt sein.«

»Wo hast du ihn hingebracht?«

»Nur in mein Haus und dann zurück.«

»Wir haben Malkah gesehen«, gab Yod unaufgefordert von sich. »Sie kam nach Hause. Ich war sehr froh darüber, mit ihr zu reden.«

Wie Shira auffiel, erwähnte er nicht, dass er Malkah gerufen hatte.

Avram wandte sich wieder ihr zu. »Hast du sie allein gelassen?«

»Nein«, sagte sie. »Ich war die ganze Zeit mit Yod zusammen. Wovor hast du Angst?«

»Lass sie ja nie allein zusammen. Ich traue Malkah nicht.«

»Ich schon«, sagte Yod leise. »Sie ist meine Freundin.«

Avram schnaubte. »Wie auch immer, ich gebe zu, dass er schon Fortschritte gemacht hat. Aber sei außerordentlich vorsichtig. Lass ihn vorläufig noch mit niemand reden und gib keine komplizierten Erklärungen ab. Sollen wir uns auf eine Tarnung einigen? Wir werden sagen, er ist mein Vetter, wie du vorgeschlagen hast, und er ist gekommen, um als mein Laborassistent zu arbeiten. Alle wissen, dass ich seit Davids Unfall keinen hatte.«

Sie war erleichtert, dass Avrams Zorn besänftigt war. Es machte sie zuversichtlicher für die Zusammenarbeit mit ihm. Hinter Avrams Rücken schrieb Yod etwas in die Luft: den hebräischen Buchstaben Chet, die Ursache von Davids tödlichem Unfall.

12Shira
Das Meer bringt Wandel

Shira stand im Labor, knapp einen halben Meter von Yod entfernt. Er warf ihr einen Blick zu, den sie nur als komplizenhaft deuten konnte. Sie spürten beide, dass etwas los war. Sie wunderte sich nicht mehr darüber, dass sie ihm Emotionen zuschrieb: Es mochten nur Abbilder menschlicher Gefühle sein, aber da ging etwas in ihm vor, das ihren eigenen Reaktionen entsprach, und die ständige Haarspalterei war reine Energieverschwendung.

Vor ihnen tigerte Avram auf und ab. Mit dem Handrücken fegte er einen Bücherstapel und Speicherkristalle zu Boden. Automatisch schlüpfte Gimel dazwischen und flitzte hin und her, um die Ordnung wiederherzustellen, während Avram tigerte. »Ist er wirklich mein Sohn? Manchmal frage ich mich! Oh, ich weiß, Sara war mir treu, aber in der Klinik, da kann ein Fehler passiert sein. Man hört von so was. Wenn man nicht den Genabdruck prüft. Was ich getan habe. Irgendwas ist danebengegangen. Irgendwas ist falsch gelaufen, und ich schwöre, er müsste verschrottet werden, wie man ein Experiment verschrottet, in das man seine Jahre und sein Geld gesteckt hat und das man schließlich abschreiben muss!«

Selbst jetzt wollte sie Gadi instinktiv beschützen, ihn verteidigen. Sie zwang sich, so zu klingen, als sei sie kaum interessiert. »Was hat Gadi denn angestellt?«

»Er hat sich wieder in Schwierigkeiten gebracht. Große Schwierigkeiten.«

»Welcher Art?«, fragte Shira vorsichtig. Sie war sich nicht sicher, ob sie es wissen wollte, aber sie hatte kaum die Wahl. Nichts würde heute geschehen, bevor sie Avram nicht beruhigt hatte, bevor er aus dem Weg war und sie arbeiten ließ. Yod beizubringen, als Mensch durchzugehen, war mehr als eine Ganztagsbeschäftigung, aber oft amüsant, denn sie spielten miteinander Szenen durch wie aufgeweckte Kinder, übten im Spiel die Interaktionen, die er bald im Ernst mit den Menschen der Stadt führen musste. Seine Fragen verblüfften sie. »Was bedeutet ›entschuldigen Sie‹? Entschuldigen für was? Wenn ich etwas nicht tun sollte, warum es tun? Wenn es zulässig ist, warum um Verzeihung bitten?«

Wie wenig Zeit hatten sie beide gebraucht – die gerade mal sechs Wochen, die sie nun zusammenarbeiteten –, um sich gegen Avram zusammenzutun, still, fast insgeheim, vertrauten sie einander mehr als ihrem Chef. Yod nahm sich zusammen, aber Avrams Anspannung weckte offensichtlich seinen Verteidigungsdrang, denn er ballte immer wieder die Fäuste. Er bebte vor dem, was bei einem Menschen Sorge gewesen wäre. Bei Yod war es ihrer Vermutung nach der unerfüllte Drang zu handeln: sich zu bewegen, zu verteidigen, anzugreifen. Unwillkürlich schloss sich seine Hand um die Tischkante und brach ein Stück des Metallrandes ab. Er sah verlegen aus und stopfte es in die Tasche der Shorts, die sie ihm gekauft hatte.

Avram blieb endlich stehen und wandte sich zu ihnen um. »Das darf nicht aus diesem Zimmer gelangen, obwohl wir vielleicht nicht verhindern können, dass es rauskommt. Gadi hat … Er hatte sexuelle Kontakte mit einem fünfzehnjährigen Teenager.«

»Einem männlichen oder einem weiblichen?«, fragte Yod ausdruckslos.

»Einem Mädchen. Mein Sohn ist ein eitler Geck, aber er ist geradezu eintönig heterosexuell.«

Die Sexualität war einer der Bereiche, die von Multi zu Multi, von Stadt zu Stadt, völlig unterschiedlich waren. Was an einem Ort die Norm war, war an einem anderen verboten. Bei Uni-Par, Gadis Multi, war die üblichste Eheform eine Triade. Shira empfand einen siedend heißen Mischmasch von Gefühlen, wie ein Topf voll zäher Karamellmasse kurz vor dem Überkochen, nur dass keinerlei Süße darin lag, sondern bloß Groll, Schuld, Mittäterschaft. Versuchte Gadi immer noch, jenen verlorenen geheimen Ort aus reiner Zuckersüße, verschmelzenden Körpern und Herzen wiederzuerschaffen? Sie wusste, eine Zeitlang hatte er diese verlorene Ekstase im Drogenrausch gesucht, doch vergeblich. »Wo ist das passiert?«

»In Aserbaidschan. Er kann von Glück sagen, dass er mit heiler Haut da rauskommt. Man hat ihn öffentlich ausgepeitscht. Wenn Uni-Par ihn nicht so überbewerten würde, wäre sein Kadaver längst Stoff für ein Recyclingkraftwerk. Wegen seiner Atmos haben sie eine Prügelstrafe ausgehandelt und dürfen ihn im geschlossenen Schwirrer wegschaffen.«

»Er entwirft die imaginären Welten der Stimmies?«, fragte Yod. »Und die Leute schätzen die Begegnung mit exotischen Landschaften?«

Shira und Avram nickten beide, ohne Yod anzuschauen. Shira fragte, wobei das Zittern ihrer Stimme sie verriet: »Und wohin?«

»Hierher. Er ist in Ungnade gefallen. Oh, sie werden ihn zurückholen. Bei Uni-Par hat niemand ein Gedächtnis von mehr als sechs Monaten.«

Sie fühlte sich in der Falle. Sie musste heraus. Sie konnte nicht. Sie merkte, dass ihr Atem sich beschleunigt hatte. Yod, dessen Gehör abnorm empfindlich war, wollte etwas sagen, doch sie bat ihn mit einer Geste zu schweigen. Er verstand.

»Ich möchte, dass du weißt, Shira, ich habe ihn nicht hierher eingeladen. Ich fand seinen letzten Besuch strapaziös genug, und das war nur ein verlängertes Wochenende. Wie mein Sohn und ich es sechs Monate unter einem Dach aushalten sollen, ist mir völlig rätselhaft. Wie kann er nur so ein schmock sein? Er handelt, ohne zu denken, genau wie als Kind. Er ist nie erwachsen geworden, nie!«

Sie merkte, sie konnte nur kurze Sätze bilden, wollte sie ihre Stimme, ihre wachsende Panik beherrschen. »Wann kommt er?«

»Morgen.«

»So bald …«

»Ja, nicht?« Avram schaute sie durchdringend an. »Du freust dich auch nicht mehr auf ihn als ich.«

»Ich fühle mich wohl, wenn ich mit ihm von Bild zu Bild rede. Diese angenehme elektronische Distanz gibt mir Sicherheit.«

»Das ist wirklich unangenehm. Und gerade, wo wir etwas vorangekommen sind. Yod hat sich von Tag zu Tag entwickelt, seit du mit ihm arbeitest. Sein Fortschritt liegt durchweg über der von mir projektierten Kurve.«

Yod warf ihr einen verstohlenen Blick der Dankbarkeit zu. Sie zwang sich zu einem schwachen Lächeln für Avram. »Ich bin auch der Meinung, wir machen Fortschritte.«

Als Avram sie schließlich verließ, versuchte sie, einen der kognitiven Tests durchzuführen, aber plötzlich konnte sie nicht anders: Sie riss sich den Stöpsel aus der Schläfe und ließ das Programm abstürzen. »Yod, ich muss ins Freie. Außerhalb der Hülle. Hast du eine Schutzhaut oder soll ich allein gehen?«

»Du meinst, in das, was die Ödnis genannt wird? Licht und Luft ohne Schutz? Ich benötige keine Schutzhaut. Ich wurde so gebaut, dass ich die Ödnis ohne Schutz ertragen kann.«

»Trotzdem werden wir dir eine suchen. Niemand darf deine einzigartigen Fähigkeiten entdecken. Ich wette, Gadis Schutzhaut ist noch da, wo er sie immer aufbewahrt hat.« So war es. Shira eilte kurz nach Hause, um ihre zu holen, und stieß dann wieder zu Yod.

Die Stadtgrenzen wurden viel schärfer bewacht als sonst üblich, deshalb meldete sich Shira ordnungsgemäß ab. Sie ging schnell. Die Bucht. Sie wollte den Trost des Meeres. Seit ihrer Rückkehr war sie noch nicht einmal schwimmen gewesen; in all den Jahren bei Y-S war sie nicht schwimmen gewesen. Yod hielt leicht mit ihr Schritt, sein Kopf schnellte hin und her in unablässiger Überwachung. »Was ist das?« Er ging in Verteidigungsstellung.

»Ein Aasgeier.« Er hatte ein totes Kaninchen gefunden. Kaninchen hatten die UV-Strahlung überlebt, indem sie zu Nachttieren wurden. »Das sind Vögel, die in der Ödnis leben können. Nicht beachten.« Sie hastete über die Dünen und durch kleine morastige Mulden mit Preiselbeeren und blühendem Schlehengestrüpp. Die Luft roch salzig. In den Dünen war es wirklich heiß. Sie schwitzte ausgiebig unter dem Hartgel. Sie ging zur versunkenen Stadt hinunter. Es war Ebbe, deshalb lagen einige der alten Straßen trocken, Tang nistete zwischen den zerborstenen, jahrhundertealten Betonplatten. Sie mussten an etlichen Ruinen vorbeilaufen, dann vorbeiwaten, bis sie an einen guten Badestrand kamen. Seit die Bucht über versunkenes Marschland, über Küstenhäuser und Straßen gestiegen war, seit verheerende Wirbelstürme sie jedes Jahr heimsuchten und Trümmer von Gebäuden, Fahrzeugen und Gerätschaften unter Wasser zurückließen, war ein guter Strand einer, wo sie in der Hoffnung schwimmen konnte, nicht von verborgenen Wrackteilen verstümmelt oder aufgespießt zu werden.

Sie hockten auf einer Ruinenmauer, die einmal zum Erdgeschoss eines Hauses gehört hatte, inzwischen fortgespült und halb begraben. Sie schälte sich aus ihrer Schutzhaut, nahm das wasserdichte Fett, das sie schützen sollte, zögerte dann, sich vor Yod weiter auszuziehen. In Tikva wurden Kindern keine Tabus über Nacktheit eingepflanzt. Niemand unter zwölf zögerte, sich seiner Kleider zu entledigen, mit dem Ergebnis, dass niemand über zwölf ein natürliches Schamgefühl besaß.

Sie hatte seitdem in Kulturen wie Y-S gelebt, die strikte Vorschriften besaßen, welche Körperteile zu welchen Gelegenheiten hergezeigt werden durften. Das ging mit starren Geschlechterrollen einher – natürlich nicht bei der Arbeit, denn da konnte sich solchen Unsinn niemand leisten, aber in jedem anderen Lebensbereich. Frauen, die sich zum Dinner umzogen, entblößten auf Y-S-Empfängen oft ihre Brüste, wohingegen die Beine stets bis zur Mitte der Wade züchtig bedeckt blieben. Der Rücken blieb üblicherweise nackt; der normale Dienstanzug mit seinem tief ausgeschnittenen Rücken sollte sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Muskulatur und die Kondition zeigen. Für Frauen war es jedoch Sitte, die Ohren und den Nacken bedeckt zu halten, ihr Haar hatte wenigstens schulterlang zu sein und war oft künstlich glatt gezogen. Malkah hatte Shiras Haar erst in der letzten Woche zu einer schnittigen Kappe gestutzt. Bei Uni-Par, Gadis Multi, war Nacktheit ein Statussymbol. Je höher man in der Pyramide stand, desto weniger trug man, um desto besser die Ergebnisse der neuesten kosmetischen Operationen an seinem Körper zur Schau zu stellen. Bei Aramco-Ford trugen Frauen meterlange Stoffbahnen und kurze, durchsichtige symbolische Schleier.

Sie hatte nie einen Badeanzug besessen, und sie wollte schwimmen. Sie wollte das Salzwasser spüren, wollte es an all den winzigen Hautverletzungen und Abschürfungen ihres Körpers brennen spüren wie wohltuendes Sandpapier; sie sehnte sich danach, die Heilwirkung vom Salz zu fühlen, sich außen nass zu fühlen und trocken im Innern. Warum zögerte sie, sich vor einer Maschine auszuziehen?

»Kannst du schwimmen, Yod?«

»Ja, obwohl das eine Fertigkeit ist, die ich noch nie aufgerufen habe. Ich bin programmiert, es zu genießen, all meine Funktionen auszuüben. Schwimmen wir in diesem bewegten Wasser?«

»Das ist die Massachusetts-Bucht und ja, wir schwimmen darin.« Sie hockte immer noch in Slip und Shirt da. Schließlich zog sie das Tanktop aus, ließ nur Bustier und Slip an, steckte das Harzmesser in den Saum, rieb sich mit Schutzfett ein und watete ins Wasser. Yod zog sich sogar noch schneller aus. Er stand auf der Kante der zerfallenden Mauer und sah skeptisch drein. Er sog Luft in langen, pfeifenden Atemzügen ein, während sein Mittelteil sich sonderbar blähte. Natürlich; er war viel schwerer als ein Mensch gleicher Größe. Er musste sich extra aufpumpen, um nicht unterzugehen. »Komm rein«, rief sie.

»Das Wasser ist radioaktiv und hoch verschmutzt mit toxischen Chemikalien, darunter Petrokohlenwasserstoffe, Essigsäure, Chloroform –«

»Das ist der einzige Ozean, den wir in unserem Hinterhof haben. Er wird uns genügen müssen.«

Sie schaute zu ihm hinüber, wie er da unschlüssig am Rand des Wassers stand. Sein Körper hatte überall genau die gleiche Farbe, ein sattes Olivbraun. Er besaß Schamhaare, wenngleich nahezu keine Brustbehaarung. Er war mit einem Bauchnabel ausgestattet, absurderweise, und auch einem Penis, von dem sie rasch den Blick abwandte. Er sah aufgedunsen aus, prallvoll mit Luft. »Wenn du nicht kommst, warte da auf mich.«

»Shira, das ist gefährlich. Warte.« Sie hörte ein gewaltiges Aufklatschen und dann lautes Strudeln.

Sie trat Wasser und wartete. Er kam mit seiner Programmierung noch nicht ganz zurecht. Er spritzte nach allen Seiten, planschte, fuchtelte und strampelte. Sie schwamm zu ihm zurück. Sie bewegte sich kräftig, geschmeidig. Wie immer, seit sie schwimmen konnte, fühlte sie sich im Wasser sofort zu Hause. Seltsam, dass sie gerade heute den Wunsch hatte zu schwimmen, denn das war etwas, was sie immer mit Gadi getan hatte oder, als sie noch viel kleiner war, mit Malkah, die gar nicht abgeneigt gewesen war, sich zur Bucht davonzustehlen, zu einer Zeit, als es noch nicht so gefährlich war wie jetzt. Je höher das Wasser stieg, desto mehr Fallen verbargen sich darin, außerdem gab es viel mehr Organpiraten. Das Meer war seit jeher ihre große Zuflucht, vor der Schule, vor zu Hause, vor Spannungen.

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