Czytaj książkę: «Weiße Wölfe am Salmon River»
Lutz Hatop
WEIßE WÖLFE AM SALMON RIVER
Roman
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelfoto Arctic Wolf © josefpittner – Fotolia
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Kapitel 1 – Als alles begann
Freunde
Das Abenteuer beginnt
Shonessi
Reißende Wasser
Ein heißes Bad
In letzter Minute
Freund oder Feind
Weiße Wasser
Ein riesiger Kochtopf
Wehrlos
Kapitel 2 – Gewonnen und verloren
Littlefoot
Das rote Haus
Begegnung in Yellowknife
Die Hütte im Wald
Eisige Zeiten
Die Fährte der Wölfe
Das Zerwürfnis
Der Rückzug
Kanutour mit Folgen
Glückliche Zeiten
Salmon River
Der heilige Wald
Das Ende?
Alles verloren
Kapitel 3 – Ein neues Leben
Heimkehr
Madlen
Tom Baxter, im Zentrum der Macht
Besuch aus Kanada
Entscheidung in der Schorfheide
Die verlassene Ranch
Erstes Lebenszeichen
Langersehntes Wiedersehen
In Sicherheit
Wayra King
Mittelalter versus High Tech
Kapitel 4 – Erlösung
Auf Burg Falkenberg
Traufgang Felsenmeer
Anruf aus Vancouver
Wieder in Kanada
Insel ohne Namen
Ohne Ausweg
Jäger und Gejagte
Nanuk
Die Geisel
Den Tod vor Augen
Der Schrei der weißen Wölfe
Eine schwere Entscheidung
Preisgegeben
Hochzeit in Iskut
Der Prozess
Gefangen im goldenen Käfig
Endlich angekommen
KAPITEL 1 – ALS ALLES BEGANN
Freunde
Blaubeuren, März 2002. Eine Kleinstadt am Rande der Schwäbischen Alb, unweit Ulm. Marc Mezger, 28 Jahre alt, stand vor den zwei wichtigsten Entscheidungen seines bisherigen Lebens. Lehrzeit, Ausbildung, das Beamtenverhältnis auf Probe endete in zwei Tagen. Endlich war es soweit, die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit bei der Kriminalpolizei in Ulm. Ein lang gehegter Traum sollte wahr werden.
Die Feier war für Freitag angesetzt, zuvor musste er noch eine zweite Entscheidung treffen. Er stand fast in der Mitte des weiten Platzes, mit sich und der Welt zufrieden, seine Augen erfassten den riesigen 161m hohen gotischen Westturm des Ulmer Münsters, ein Gebirge aus Stein. Die Spätnachmittagssonne tauchte den hellen Muschelkalkstein in ein gelbliches Licht. Filigran war die Schauseite mit seinen Fialen, Streben, Spitzen und figürlichen Darstellungen. Licht und Schatten machten die Fassade noch lebendiger. Ja, das war der richtige Ort.
Er griff in seine rechte Jackentasche, holte eine kleine Schachtel heraus, hob das Oberteil ab und begutachtete glücklich den Inhalt. Er dachte an sie, an Ella. Sie wusste nichts von seinem heutigen Vorhaben. Gedankenverloren erinnerte er sich. An den Kajakkurs auf der Donau, er der Trainer. Sie, eine Schülerin, die nur widerwillig ihrem Freund zuliebe an dem Kurs teilnahm. Schnell entdeckten beide ihre Zuneigung füreinander. Noch größer dann die Überraschung, als er feststellte, dass ihre Eltern in der großen Villa gegenüber seinem Elternhaus lebten. Wie konnte er sie nur so lange übersehen.
Ella, ein Energiebündel ohnegleichen. Lange glatte schokoladenbraune Haare umrahmten ein ebenmäßiges ovales Gesicht. Lachte sie, lachten auch ihre braungrünen Augen, verzauberten fast jeden. Insbesondere Marc. Nachdenklich machte er sich auf den Weg zu seinem Auto, ob sie wohl ja sagt?
Während der Fahrt spielte er hundert Varianten durch, passierte immer wieder kleinere Schneefelder, die sich im Schatten vor der Sonne retten konnten. Der Schnee war nicht mehr leuchtend weiß, sondern grau und schmutzig. Es war Mittag, als er sein Elternhaus erreichte, einen Winkelbungalow inmitten eines recht großen Grundstückes aus den 60er Jahren. Er parkte direkt an der Straße vor dem Haus, überquerte sie, lief den Plattenweg zur Villa. Er fasste in die Jackentasche, die Schachtel war noch da, drückte die Klingel. Die Tür öffnete sich, Sandra, die jüngere Schwester von Ella stand in der Tür.
„Hallo Marc, kommst du zu mir?“ Sie lachte.
„Nein, Sandra, leider nicht. Ist Ella da?“
„Klar, komm rein, sie ist in ihrem Zimmer.“
Ella wohnte noch immer bei ihren Eltern, studierte in Ulm Medizin.
Marc nahm die Treppe hinauf zwei Stufen auf einmal, blieb vor der Tür stehen, klopfte leise an. Eine helle Stimme antwortete: „Ja, bitte?“
Als er in das Zimmer trat, war Ella bereits von ihrem Stuhl aufgestanden. Er hatte sie überrascht, sie stellte sich so vor den Bildschirm ihres PCs, dass er nichts sehen konnte. Irritiert und unsicher kam die Frage: „Komme ich ungelegen, soll ich wieder gehen?“
Ella hatte sich bereits wieder gefangen, lief auf ihn zu.
„Hallo Marc, du hier? Um diese Zeit. Hast du keinen Dienst? Grüß Gott erst mal.“ Sie lachte ihn an. „Nein, du kommst nicht ungelegen, komm, lass uns runtergehen, da sitzen wir besser“, fasste ihn unter den Arm und zog ihn aus dem Zimmer. Im Wohnzimmer setzte sie sich auf das Sofa. „Setzt du dich zu mir?“
Marc hatte immer noch seine Jacke an. „Zieh doch mal deine Jacke aus, so kalt ist es bei uns auch nicht. … Hallo, redest du nicht mehr mit mir? Warum bist du gekommen?“
Marc zog seine Jacke aus, nicht ohne sich vorher das kleine Schächtelchen zu nehmen. Endlich konnte er sie begrüßen, mit einem Kuss. Seine Neugier war geweckt. Warum hatte sie ihn aus dem Zimmer komplimentiert? Was versteckte sie vor ihm? Er wollte Bescheid wissen.
„Hast du Geheimnisse vor mir?“
„Ja…aa, habe ich. Stopp. Keine weiteren Fragen mehr, du erfährst es schon noch. Nur nicht jetzt.“ Sie legten ihren Finger auf seinen Mund, flüsterte unwiderstehlich: „Bitte, habe Geduld. Du erfährst es früh genug.“
Marc nickte, gab nach. Erfahren sollte er das Geheimnis jedoch nie!
Der Zeitpunkt war gekommen, er holte die Schachtel hervor, drückte sie Ella in die Hand. „Für dich, mach auf.“
Sie hatte eine Ahnung, riss das Geschenkpapier ab, hob den Schachteldeckel, tat völlig überrascht. „Oh, ein Ring?“
„Ella, was soll das? Ich meine es ernst?“
Auch Ella blickte ihn eindringlich an. Der Schalk in ihren Augen war nicht mehr vorhanden. „Gut Marc, was möchtest du mit dem Ring?“
„Das weißt du doch?“ Alles, was er sich im Auto überlegt hatte, war nicht mehr vorhanden. Ella schaute ihn an, nickte.
„Herr Mezger, so nicht. Wenn, dann bitte richtig.“
„Du meinst, mit Antrag? So richtig?“
Sie sagte kein Wort, reagierte nicht. Marc räusperte sich, rutschte aus dem Sofa, ging mit einem Knie auf den Boden, nahm den Ring, griff ihre linke Hand und schob den Ring auf ihren Finger.
„Ella?“
„Ja?“
„Ich liebe dich. Ich möchte mit dir für immer zusammen sein. Willst du meine Frau werden?“
Sie rutschte aus dem Sofa, umarmte, küsste, hauchte ihn an: „Ja, Marc ich will. Bis zum Ende meines Lebens. Ich liebe dich.“
Sie lagen sich in den Armen, auch er flüsterte nur noch: „Du machst mich zum glücklichsten Menschen der Welt.“
„Ich weiß.“
Ella wollte eine Verlobungsfeier, schon am nächsten Abend. Schnell waren die Aufgaben verteilt. Freunde und Bekannte wurden angerufen und eingeladen. Wichtig für Marc waren seine besten Freunde, Gerhard Huber und Hartmut von Halden. Gerhard sagte sofort für sich und seine Frau Susanne zu. Hartmut druckste herum, suchte nach Ausflüchten. Marc wollte das überhaupt nicht einsehen, gab ihm schließlich zu verstehen, dass er beider Freundschaft auf das Spiel setzt, wenn er nicht sofort mit der Wahrheit herausrückt.
Hartmut fiel es schwer, gestand Marc schließlich, dass er sich in Ella verliebt hatte, sie ihn deutlich und scharf zurückwies wegen eines anderen. Dieser andere war Marc. Marc, obwohl geschockt, beschwor Hartmut, die Freundschaft nicht einfach wegzuwerfen. Es dämmerte ihm, dass der damalige Freund, der sie zum Paddelkurs überredet hatte, wohl Hartmut war. Beide einigten sich auf ein gemeinsames Bier, sie wollten sich aussprechen.
Marc teilte seinen Eltern das freudige Ereignis noch am frühen Abend mit, bevor sie ins Ulmer Stadttheater fuhren. Ella wartete mit einer Überraschung auf, sie schloss sich seinen Eltern an, wollte unbedingt in Ulm vor dem nächsten Abend noch etwas erledigen. Marc, enttäuscht, den Abend allein zu verbringen, rief kurzfristig Hartmut an, so konnten sich beide auf das vereinbarte Bier treffen und reden. Einen Tag vor der Verlobungsfeier.
Sie trafen sich im Ulmer Fischerviertel, in einer rustikalen Szenekneipe, setzten sich an die Bar in die Ecke, waren so einigermaßen ungestört.
„Hartmut, habe ich dich richtig verstanden, du warst mit Ella zusammen, als sie sich bei dem Paddelkurs angemeldet hat?“
Hartmut nickte, „wir sind schon sechs Monate miteinander gegangen, war eine tolle Zeit. Ich hatte noch niemals so eine Frau gekannt“, er blickte Marc an, „ich wollte, dass sie mit uns mal eine Flusstour macht. Einfach nur tatenlos teilnehmen ging bei ihr nicht, immer wollte sie aktiv dabei sein. Du kennst sie. Dann passierte es. Sie kam am Abend vom Kurs zurück, wir haben uns zum Essen getroffen. Sie war anders als sonst. Knallhart hat sie mir zu verstehen gegeben, dass es aus sei und sie sich in einen anderen verliebt hätte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings noch keine Ahnung in wen.“
Marc konnte Hartmut nicht folgen. „Ein halbes Jahr? Warum hast du mir nie von ihr erzählt? Wusste Gerhard davon?“
Hartmut verneinte, wollte beide Freunde mit Ella überraschen, nach Beendigung des Paddelkurses. Eine Frage trieb Marc um, „weißt du noch, welcher Kurstag das war?“
Hartmut lachte gequält auf, „wie könnte ich das vergessen. Der dritte, … von sechs Tagen. Schon am dritten Tag hat sie es gewusst. Verstehst du? Sie wusste, dass sie dich liebte.“
Marc lehnte sich zurück, atmete tief durch. Sein Blick verklärte sich.
„Diesen Tag werde ich allerdings auch nicht vergessen. Ha! …, Ella. Immer musste sie das letzte Wort haben, egal was ich ihr als Trainer sagte. Das hat mich schließlich so genervt, dass ich sie einfach im Kehrwasser ins Wasser drückte.“ Er lächelte dabei. „Klar, sie ist dann reingefallen. Als sie prustend wieder auftauchte und sich am Boot festhielt, hab ich ihr zu verstehen gegeben, dass ich hier auf dem Wasser das Sagen habe und sie sich danach richten muss, sonst sei der Kurs für sie zu Ende.“
Ungläubig schaute Hartmut seinen Freund an. „Das verstehe ich nicht, klingt nicht wie eine Liebeserklärung.“
„Ich bin noch nicht fertig. Was glaubst du, was sie dann gemacht hat?“ Hartmut zuckte die Schultern. „Sie hat sich an meinem Kajak mit ganzer Kraft hochgezogen, ehe ich´s kapiert hatte, lag ich im Wasser… und dann hat sie mich noch an der Eskimorolle gehindert. So ein Biest.“
Hartmut musste lachen. „Und das dir, einem der besten. Ähm, wo ist denn da bitteschön die Liebe?“
„Wir sind aufgetaucht, haben beide unsere Boote an Land gezogen. Ich wollte sie schon rausschmeißen, da reichte sie mir ihre Hand und meinte: 'Unentschieden? Lass uns das Kriegsbeil begraben.' Sie hat mich dabei angeguckt, wie es noch nie zuvor eine Frau getan hat, hat mir gesagt 'Ich mag dich' … und mir dann einen Kuss gegeben.“
„Wie, einen richtigen?“
„Nein, nur einen flüchtigen, aber auf den Mund.“
„Oh verstehe. Was hast du dann gemacht?“
„Erstmal gar nichts. Ich habe den Kurs für den Tag abgebrochen, alle Schüler reingeholt, bin dann ins Vereinsheim gegangen. Sie kam natürlich auch, hat sich zu uns gesetzt. Irgendwann bin ich dann mit ihr an die Donau gegangen, haben uns unterhalten“, seine Stimme bekam einen sehnlichen Unterton. „Dann ist es passiert.“
Hartmut hatte ein Auge zusammen gekniffen, seine Fäuste ballten sich. Marc nahm das wohl wahr.
„Was ist passiert, bist du mit ihr gleich in…“
Marc fasste ihn am Unterarm, „nein, ich habe mich einfach verliebt. Was du meinst, kam erst viel später. Sie sagte zu mir, ich müsste das verstehen, sie wollte zuerst mit ihrem Freund reinen Tisch machen. Ella ist keine, die mit jedem in die Kiste steigt, das hat mir imponiert.“
Hartmut entspannte sich: „So war das. Sie hat dir nie gesagt, dass ich ihr Freund war?“
„Nein, nie. Wahrscheinlich wollte sie unsere Freundschaft nicht gefährden. Ich werde sie aber morgen darauf ansprechen. Diese Geheimnistuerei ist viel schlimmer.“ In diesem Augenblick musste er daran denken wie was auch immer sie vor ihm zu verbergen suchte. „Hartmut, ich bitte dich, komm morgen zu meiner Verlobungsfeier, du bist mein bester Freund.“
„Und Gerhard? Er nicht mehr?“
Marc verdrehte die Augen, er musste sich beherrschen.
„Ihr beide natürlich. Er kommt, hat zugesagt.“
„Alleine?“
„Nein, natürlich nicht. Mit Susanne. Nun hör aber auf!“
Hartmut legte seine Stirn in Falten, rutschte von seinem Barhocker, warf einen 10 Euro-Schein auf den Tisch, drohend klang seine Stimme.
„Du hast mir sie ausgespannt. Du hast gewusst, dass sie einen Freund hat. Sie war liiert, das hat dich wohl nicht gestört. Vergiss es, ich komme nicht. Wir sprechen uns noch. Habt ihr schon einen Termin für die Hochzeit?“
„Nein …“
Kein Tschüss, Wiedersehen oder Ade kam von ihm, als Hartmut die Kneipe verließ.
Marc dagegen blieb sitzen, bestellte sich noch ein Kellerpils, dachte nach. Die Bardame, eine üppige Blondine stellte ihm das Bier hin.
„Na, Probleme?“
Marc überlegte, ob er antworten sollte. Warum nicht.
„Kann man so sagen. Ich habe meinem besten und ältesten Freund die Frau ausgespannt.“
Sie blickte Marc durchdringend an, „nicht die feine Art, weder bei einem Freund noch bei jemand anderem. Ihr Kerle denkt dabei nie weiter, immer nur an das eine. Und regelmäßig fallen wir Frauen immer wieder auf euch rein. Das ist eine richtige Sauerei. Ich habe da null Verständnis. … Ich dachte zuerst, du seist anders, bist eigentlich der sympathischere Typ.“
Er nickte, lächelte dabei.
„Ganz meine Meinung. Hätte ich das gewusst, wäre auch nichts dergleichen passiert. Okay, ich gebe zu. Sie hat gesagt, sie hätte einen Freund, wollte auch mit ihm Schluss machen, bevor sie was Neues anfängt.“
„Oh, das ist etwas anderes. Du hast es nicht gewusst?“
Marc schüttelte vehement den Kopf, „nein, ich habe es erst heute erfahren, einen Tag vor meiner Verlobung.“
Sie pfiff durch die Zähne, schaute ihn sich genau an.
Sieht gut aus, der Typ. Scheint auch ehrlich zu sein.
Lockige kurze dunkelblonde Haare und blaue Augen machten ihn interessant. Sie schätzte ihn auf 1,80m, eher ein bisschen weniger. Er wirkte durchtrainiert, war schlank. Ein kleiner Bauchansatz störte nicht.
„Ein Dreitagebart könnte nicht schaden, der stünde dir gut an, dann wär das Bubenhafte weg.“
„Wie bitte, was?“
Das kam unvermittelt und für ihn überraschend.
„Du hast mich schon verstanden. Übrigens, ich heiße Katrin. Und du?“
„Marc.“
„Freut mich, dich kennen zu lernen. Das mit dem Dreitagebart war ernst gemeint.“ Dann kam sie zur Sache, unvermittelt stellte sie die Frage. „Liebst du sie?“
Er nickte, zeigte ihr Bild. Sie lachte.
„Oh, das Gegenteil von mir, dann bin ich wohl nicht dein Typ. Schade. Du könntest mir gefallen.“
Er lächelte nur gequält, fand die Bemerkung nicht gut, ließ sie kommentarlos stehen. Sie redete ohne Unterbrechung weiter, „dann ist die Entscheidung gefallen. Dein Kumpel muss sich wieder einkriegen, sonst steht er am Ende mit leeren Händen da, hat seinen Freund auch noch verloren. Marc mach´s gut. Viel Glück mit deiner Freundin.“
Marc bedankte sich, trank sein Bier aus und bezahlte.
Früher Morgen, 07.30 Uhr. Marc schloss die Wohnungstür hinter sich und lief die Treppe vom ersten Obergeschoss hinunter zur Haustür. Die Garage lag in zweihundert Metern Entfernung. Auf dem Fußweg kamen ihm zwei uniformierte Polizeibeamte entgegen. Unvermittelt sprach ihn der ältere der beiden Männer an.
„Entschuldigen Sie! Kennen Sie einen Marc Mezger?“
„Das bin ich, mein Name ist Marc Mezger. Warum? Wollen Sie zu mir?“
Marc beschlich ein ungutes Gefühl.
„Nicht hier, lassen Sie uns zu Ihrer Wohnung gehen.“
Marc sträubte sich, was war passiert. Außerdem zeigten beide Beamte eine äußerst ernste Miene. Er wurde immer unruhiger.
„Nein, sagen Sie mir bitte augenblicklich, warum Sie mich aufsuchen. Ich muss zu meiner Dienststelle. Ich bin übrigens ein Kollege, Kripo.“
„In der Direktion?“
„Ja, am Münsterplatz.“
Beide Beamte blickten sich an, der eine nickte dem anderen zu.
„Herr Mezger, wir haben eine sehr schlechte Nachricht für Sie!“
Marc fühlte, wie sich ein unsichtbarer Strick um seinen Hals legte und sich langsam zuzog.
„Paul und Irmtraud Mezger, sind das Ihre Eltern?“ Marc nickte, musste schlucken. „Sie sind gestern um 19.00 Uhr mit dem Auto tödlich verunglückt! Das Krankenhaus hat Sie gestern Abend leider nicht telefonisch erreicht.“
Er konnte es kaum fassen, geschweige denn begreifen. Fragte wie automatisch gesteuert: „wie ist das passiert? Sie hatten keine Chance?“
Ein Beamter schüttelte den Kopf. „Nein, keine. Der LKW rammte sie frontal, sie waren sofort tot.“ Marc unterbrach den Beamten.
„Hat mein Vater überholt?“
„Nein, der LKW ist auf die falsche Fahrbahnseite geraten, wahrscheinlich Sekundenschlaf. Es war noch eine weitere Person mit im Auto, eine junge Frau.“
Marcs Augen wurden riesengroß.
Nein, bitte nicht, nur das nicht. Nicht auch noch Ella.
Er begann am ganzen Körper zu zittern.
„Wer war die junge Frau? Wissen sie ihren Namen.“
„Das dürfen wir Ihnen leider nicht sagen…“
Marc unterbrach den Beamten, seine Stimme zitterte beim Sprechen.
„Meine Freundin heißt Ella Wegener, war sie …“
Gedanken schossen durch seinen Kopf, was hatte sie gesagt, bis zum Lebensende, ganze fünf Stunden …
Er konnte den Satz, seinen Gedanken nicht mehr zu Ende denken, nicht mehr vollenden, bekam keinen Ton mehr heraus. Der Polizeibeamte brauchte nicht zu sprechen. Marc sah die Antwort in den Augen. Seine Beine gaben nach. Bevor er zusammenklappte, stützte ihn einer der beiden Polizisten. Sofort wurde die Rettung verständigt.
Zwei Wochen waren seither vergangen, Marc saß in seiner Wohnung, konnte sein Unglück immer noch nicht fassen. Binnen einiger Minuten war sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Seit dieser Mitteilung krankgeschrieben, verfiel er immer mehr in Depressionen, ließ sich gehen. Zudem griff er erst selten, dann regelmäßig zur Flasche.
Selbst als sein offizieller Krankenstand aufgehoben wurde, ließ er sich nicht bei seiner Arbeitsstelle blicken. Die Krönung war schließlich der Auftritt bei seinem Dienstvorgesetzten in volltrunkenem Zustand, nachdem die Suspendierung über ihm verhängt worden war. Die Folgen waren verheerend, er verlor erst den Arbeitsplatz, dann seinen Beamtenstatus, schließlich seine Wohnung. Zum Weg „auf die Straße“ fehlten nur noch Zentimeter.
Wenige noch verbliebene Freunde, hier insbesondere seine langjährigen und besten Freunde Gerhard sowie Hartmut hielten ihm die Treue. Hartmut hatte Marc verziehen. Der Tod Ellas traf auch ihn hart. In seinem tiefsten Innern indes war er froh, dass es sie nicht mehr gab.
Immer wieder versuchten sie, ihn für Paddeltouren zu gewinnen. War er jedoch mal mit dabei, dann nie nüchtern. Langsam aber sicher wendeten sich alle, Freunde wie Verwandte, von ihm ab. Eben bis auf diese beiden, die nicht aufgeben wollten. Insbesondere Hartmut war ständig bei ihm. Er hatte keine Eltern, die für ihn da waren, aufgewachsen bei seiner Großmutter, hatte er immer wieder Marc um seine Eltern beneidet. Schon als Kinder spielten sie zusammen im Sandkasten . Gerhard kam erst als Teenager zu den beiden dazu. Alle drei waren unzertrennlich. Sie fingen gemeinsam mit dem Kanusport an, pflegten ihr Hobby intensiv über die Jahre weiter. Selbst als Gerhard seine Susanne heiratete, tat das der Freundschaft keinen Abbruch. Auch Ella fügte sich allem Anschein nach nahtlos in die Gruppe ein. Sie wie auch Hartmut verloren kein Wort über ihre gemeinsame Vergangenheit.
Aber ein einziges Mal schien es zwischen Marc und Hartmut zu kriseln, der Grund war Ella, denn Hartmut hatte sich in einem zweiten Versuch um sie bemüht. Deutlich hatte sie ihn zurück gewiesen, vor Marc, Gerhard und seiner Frau Susanne. Zu provokativ ging Hartmut auf Ella zu, stellte Marc bloß. Marc und Hartmut benötigten nicht nur eine Aussprache, um die Krise zu beseitigen.
Marc war zwischenzeitlich in sein Elternhaus eingezogen, fast jeden zweiten Tag schaute Hartmut von Halden nach ihm. An einem Montagabend war es wieder so weit. Hartmut klingelte an der Haustür, Marc öffnete die Tür einen Spalt breit, worauf Hartmut sofort seinen Fuß dazwischen steckte. Als er dieses menschliche Wrack namens Marc vor sich sah, traf ihn das zutiefst. Obgleich er zweimal in der Woche vorbei schaute, war die Entwicklung in den letzten vier Tagen verheerend. Marc hatte sich weder gewaschen noch seine Kleidung gewechselt, entsprechend waren seine Ausdünstungen.
Hartmut fackelte nicht lange, rief Gerhard und Susanne an, die er um sofortige Unterstützung bat. Vierzig Minuten später trafen beide endlich ein. Nachdem sie sich verständigt hatten, packten beide Männer Marc, entkleideten ihn und steckten ihn in die Badewanne. Während Hartmut auf Marc aufpasste, sammelte Gerhard sämtliche Flaschen ein und vernichtete alle weiteren Alkoholvorräte in der Toilette. Susanne versuchte gleichzeitig, Ordnung in das Haus zu bekommen, ein mühseliges Unterfangen. Mit Unterstützung beider Männer hatten sie bis zum späten Nachmittag das Gröbste geschafft. Susanne musste nach Hause ihre beiden Kinder vom Kindergarten abholen.
Größer war der Aufwand, Marc einigermaßen nüchtern zu bekommen. Nach acht Stunden endlich wieder leidlich ansprechbar, setzten sich beide Männer mit Marc an den Tisch. Vor ihm lag ein Berg von Post. Missmutig nahm Marc einen Briefumschlag nach dem anderen in die Hand und legte diesen sogleich desinteressiert auf die Seite. Gleichermaßen wollte er mit einem großen braunen Umschlag verfahren, Hartmut nahm diesen jedoch entgegen, öffnete ihn und hielt den Inhalt, einen Brief Marc direkt vor Augen. Der Brief war von seinen Eltern und mit der Hand geschrieben. Sofort war Marc hellwach, mit zittrigen Händen begann er zu lesen:
Lieber Marc, wenn du diesen Brief liest, sind wir nicht mehr am Leben. Zuallererst bitten wir dich um Verzeihung, denn die nächsten Zeilen werden dich mit Sicherheit aufwühlen. Nun aber der pragmatische Teil. Du bist unser Alleinerbe, das Haus gehört dir. Die beiden vermieteten Wohnungen in Ulm und Neu-Ulm ebenso. Barvermögen und Aktien auch, allein das sind um die 400.000 DM. Dein Vater meint, dass allein die beiden Wohnungen einen Wert von 300.000 DM haben. Verkaufe sie. Lieber Marc, dein Vater und ich lieben dich über alles, du bist und warst für uns das wichtigste überhaupt.
Aber: wir sind nicht deine Eltern. Wir haben dich im Alter von zwei Wochen von einer jungen Mutter bekommen und dich adoptiert. Sie muss sehr jung gewesen sein, 14 oder 15. Sie konnte dich wohl nicht behalten. Besonders ich habe es einfach nicht über mein Herz gebracht, dir die Wahrheit zu sagen, dein Vater wollte das immer. Ich hatte fürchterliche Angst, dass du uns verlässt und deine leibliche Mutter suchen wirst. Sie wird, wenn ich diese Zeilen schreibe, Mitte dreißig sein. Glaub mir bitte, ich habe keine Ahnung wie sie heißt, geschweige denn wo sie lebt. Mir ist durchaus bewusst, dass du beim Lesen dieser Zeilen viel durchmachen musst, denke aber bitte daran, dein Leben geht weiter, wirf es bitte nicht weg. Sprich mit unserem Notar, Herrn Dr. Ralf Schmidt und regle alles. Und behalte uns bitte in guter Erinnerung, vergiss uns nicht.
Marc legte den Brief auf die Seite, ein Ruck ging durch seinen Körper. Er blickte seine beiden Freunde an, bedankte sich für die Hilfe und versprach, sein Leben wieder zu ordnen. Hartmut machte einen Vorschlag, der beide, Marc und Gerhard geradezu paralysierte.
„Was haltet ihr davon, im Spätsommer eine Kajak-Expedition in Kanada zu machen?“
Erst ungläubiges Schweigen, dann nahmen beide begeistert den Vorschlag auf.
„An welche Flüsse hast du dabei gedacht? Mensch Hartmut, das ist eine Superidee. Marc, davon träumen wir doch schon lange, was meinst du?“
Marc nickte nur unterstützend, er hatte Kopfschmerzen.
„Ich habe einen fürchterlichen Kater. Ich glaube, ich muss mich erst mal hinlegen und wieder richtig nüchtern werden. Dann kümmere ich mich um das Haus hier und meine privaten Sachen. Lasst uns doch am Mittwoch im Vereinsheim zusammensitzen und mal grob planen.“
Am darauffolgenden Tag suchte Marc den Notar auf, betraute ihn mit der Regelung seiner Vermögensverhältnisse und beauftragte einen Immobilienmakler zum Verkauf des Hauses und der beiden Eigentumswohnungen. Schon jetzt stellte sich heraus, dass die Vermögenswerte bei deutlich über 2 Millionen DM lagen, da kurz zuvor der Euro eingeführt wurde, besaß er ungefähr 1,5 Millionen Euro an aktuellen Vermögenswerten. Nach Erledigung der Pflicht folgte die Kür, zum ersten Mal seit dem Tod seiner Eltern und von Ella freute sich Marc auf das Treffen mit seinen Freunden. Mit Absicht fuhr er zwei Stunden früher zum Vereinsheim der Ulmer Kanuten, welches direkt am Flussufer der Donau unterhalb der Eisenbahnbrücke lag.
Marc betrat, nachdem er Neoprenanzug, Helm und Schwimmweste angelegt hatte, die große zweigeschossige Bootshalle im Erdgeschoss, ging zu den Boxen der Wildwasserkajaks und zog seinen knallgelben Gattino aus dem Regal. In Paddlerkreisen galt dieses Kajak als Dickschiff und nicht mehr zeitgemäß. Marc war die Meinung der anderen egal. Das Boot war für ihn immer wieder richtig, egal ob schweres oder leichtes Wildwasser, selbst für Wanderfahrten war es einsetzbar. Das Kajak lässig über die rechte Schulter gehängt, das Paddel in der linken Hand marschierte er die 150m zur Kiesbank an der Donau. Normalerweise war diese mehrere Meter breit, aufgrund des leichten Hochwassers aber nur mehr einen halben Meter. Nachdem er das Boot abgelegt hatte, blickte er zufrieden auf die Eisenbahnbrücke. Bedingt durch das Hochwasser bildeten sich an der unteren Seite der großen Steinpfeiler kräftige Kehrwasser.
Mit Kehrwasser bezeichnet man im Wildwasser Bereiche, in denen sich die Strömung flussaufwärts kehrt oder zumindest stark verlangsamt. Diese „Umkehr“ (oder Verlangsamung) der Fließrichtung des Wassers wird durch Wirbelbildung hinter angeströmten Hindernissen in Fließgewässern hervorgerufen. Die Technik des Hineinfahrens in ein Kehrwasser ist die wichtigste Voraussetzung zur Befahrung eines sportlichen Flusses.
Noch war niemand außer ihm auf dem Wasser, er hatte die ganze Brücke für sich alleine. Er zog das Boot hangaufwärts auf den Grashang, setzte sich auf dem Trockenen in das Kajak, schloss die Spritzdecke und rutschte mit Tempo in die Donau. Auf dem Wasser war es sofort wieder da, dieses unglaublich gute Gefühl! Er und das Kajak bildeten eine Einheit. Mit kräftigen Schlägen drückte er das Kajak dicht am Ufer entlang langsam flussaufwärts. Ein kleines Kehrwasser ausnutzend, legte er beim Ausfahren in die schnelle Strömung das Boot auf die Kante, hielt sich mit einer hohen Paddelstütze sicher im Wasser und fädelte mit einem kräftigen Ziehschlag in das Kehrwasser hinter dem ersten Brückenpfeiler ein. Auf diese Weise überquerte er die gesamte Breite der Donau bis zur Mündung eines Nebenarmes der Blau. So pendelte er ein paarmal über die Donau, immer wieder neue Spielarten austestend. Die früher vorhandene Sicherheit stellte sich langsam wieder ein. Nach zwei Stunden intensiven Trainings kehrte er zwar ausgepowert, aber glücklich an das Ufer zurück.
Am Ufer wurde er bereits von seinen beiden Freunden Hartmut und Gerhard erwartet, die ihn freudig begrüßten. Er wurde langsam wieder der alte. Marc zog sich noch schnell um, räumte Boot und Material auf und ging zu seinen beiden Freunden in die Gaststätte des Vereinsheimes. Die hatten sich bereits zwei Weißbiere bestellt. Lachend nahm er am Tisch Platz, „Ich kann's noch, ein super Gefühl. Ihr habt schon bestellt?“
Marc legte nach und bestellte sich ebenfalls Bier und etwas zu essen. Mit wichtigem Gesicht begann Hartmut:
„So Jungs, ich habe mir einiges überlegt. Unser Ziel ist Kanada, der äußerste Nordwesten, Wildnis pur und traumhafte Flüsse.“
Gerhard hakte ein, „an welchen Fluss dachtest du denn?“
„Zuerst an den Yukon, 780km von Whitehorse bis Dawson City.“
Marc ergänzte noch, „nicht schlecht, auf den Spuren Jack Londons und des Goldrausches.“
„Genauso habe ich auch gedacht, bei weiterem Studium bin ich dann auf den South Nahanni gestoßen. 600km pure Wildnis, kein einziger Ort. Wir müssen uns mit dem Wasserflugzeug zum Einstieg einfliegen lassen. Die ersten vier Tage Wildwasser, ein Hochgenuss von leichtem bis mittlerem Schwierigkeitsgrad, dann der höchste Wasserfall Kanadas mit fast 100m und vier Canyons, einer großartiger als der andere. Ich schlage den South Nahanni vor. Wir brauchen für die Befahrung gute zwei Wochen. Was meint ihr?“