Knechts, glaubte sie treulos, ließ alsbald den unschuldigen
jungen Gesellen am Schweif eines wilden Pferdes
den felsigen Burgweg hinab zu Tode schleifen
und warf die ebenso unschuldige Gemahlin vom Söller
des Palas hinab in den waldigen Felsenabgrund.
Aber Engel schirmten die Unschuld; sanft sank Ida,
von unsichtbaren Händen getragen, durch schützendes
Gezweig auf weiches Moos. Inbrünstig dankte sie den
Heiligen für ihre wunderbare Rettung und wandelte
weit von der Burg hinweg in eine unwegsame Wildnis.
Dort erbaute sie sich eine Hütte von Gezweig und
lebte als Einsiedlerin nur dem Gebet und der Andacht.
Wasser war ihr Getränk, Waldbeeren und Wurzeln
waren ihre Nahrung. Bald darauf sagte ein Diener
dem Grafen von seines Mitgesellen Ringfund im Rabennest,
und nun lastete seine Tat schwer auf des
Grafen Seele. Einstmals verirrte sich unversehens ein
Jäger des Grafen in diese Waldeinöde und fand die
Einsame. Schnell trug er diese Kunde zu seinem
Herrn, der längst jene übereilte Tat eines doppelten
Mords ohne Verhör und Richterspruch bereute, und
der Graf eilte zu der Einsiedlerin, wollte sie wieder
hinauf in sein Schloß führen und erflehte ihre Vergebung.
Aber Ida ließ sich nimmer bewegen. Der Graf
von Toggenburg nahm das Kreuz, entbot seine
Dienstmannen rings im Schweizerlande und zog mit
ihnen, zur Büßung und Entsühnung seiner Tat, nach
dem Heiligen Lande, dort gegen die Ungläubigen zu
fechten. Dort kämpfte er mit in großen Schlachten und
machte seinen Namen gefürchtet – aber es zog ihn die
mächtige Sehnsucht im Busen immer wieder nach der
Heimat zurück; immer noch hoffte er, Ida werde sich
wieder mit ihm einigen, denn nie hatte er sie mehr geliebt,
als seit er sie wiedergefunden. Und nach einem
Jahre schiffte er wieder der Heimat zu. Aber da er
nach Ida fragte, ward ihm die Kunde, daß sie im Kloster
Fischingen den Schleier genommen und dort lebe,
still und heilig. Da tat der Graf sich allen ritterlichen
Geschmuckes ab, hing Wehr und Waffen in seine Kapelle
und pilgerte hinab gen Fischingen als armer Einsiedler,
erkor sich einen Platz in der Nähe des Klosters,
darin lebte, büßte und betete der Graf, bis er
starb.
10. Der Pilatus und die Herdmanndli
In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land,
im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von
Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich
sind. Absonderlich viel Redens ist von dem hohen
Berge Pilatus und den Zwergen, die sonst in seinem
Geklüft wohnen, die heißen Herdmanndli. Der Pilatus,
das ist der rechte und wahre Broch- oder
Brockenberg der Schweiz, auf welsch Fraxmont
(mons fractus) geheißen, auf lateinisch aber mons pileatus,
Hutberg, weil im Land die bekannte Rede
geht:
Hat der Pilatus einen Hut,
So steht im Land das Wetter gut.
Aber es geht die Sage, daß nach Christi unseres Herrn
Leiden, Tod und Auferstehung der römische Landpfleger
Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar,
daß der Satan seinen Leichnam hergetragen, und da
habe er am Berge den ungeheuerlichen See gefunden,
der hat weder Zu- noch Abfluß und ist wegen der unergründlichen
Tiefe schwarz und gräßlich anzusehen,
ein unheimlicher Moorgrund. Lange hat die Sage gelebt,
daß, wer etwas in den See werfe, alsbald ein heftiges
Unwetter mit Hagel und Wolkenbrüchen errege,
wie auch das Gewässer den Krienser Boden und Luzern,
die Stadt, in den Jahren 1332 und 1475 in große
Not gebracht, darum hat man Fremde nicht gern hinzugelassen,
und das Hineinwerfen von Steinen oder
Holz bei Leib- und Lebensstrafe verboten. In diesen
See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil
sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt, andere
sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt. Die
Herdmanndli, die wohnten vielfach in der Pilatushöhle,
die hoch oben liegt, tief und schaurig. Sie waren
den Menschen gar gut und hülfreich, gar »gespäßige
Lüet«, wie die Hirten sagen, sie verrichteten nachts
der Menschen Arbeit; kamen vom Berg auch herunter
in die Täler, schafften und ackerten redlich, und ein
Herdmanndli konnte mehr verrichten als zehn Meister
mit allen Knechten. Aber sehen ließen sich die
Manndli wunderselten, und auch da hatten sie lange
graue Kutten an, die bis auf die Erde reichten, daß
man nimmer ihre Füße sah. Einem Hirten begegnete
es, daß er einen reichtragenden Kirschbaum oben am
Berge hatte, dem pflückten die geschäftigen Zwerglein
die Kirschen ab und brachten sie zum Trocknen
auf die Hürden, daß hernach gutes Kirschwasser gebrannt
werden konnte, der Hirt ward aber neugierig,
zumal mocht' er gern die Füße der Herdmanndli
sehen, war her und streute Asche rings um den Baum,
als die Früchte im nächsten Jahre wieder reiften. Die
Herdmanndli kamen, pflückten redlich die Kirschen
ab, und am Morgen sah der Hirt ihrer Füßlein Spur in
der Asche. Es waren eitel kleine Gänsefüße. Der Hirte
lachte und sagt' es freudig seinen Genossen an, daß er
nun wisse, was für Füße die Herdmanndli haben. Die
Zwerge aber ergrimmten, zerbrachen des Hirten Dach
und Fach, versprengten seine Herde, zerknickten den
Kirschbaum Ast um Ast, und ihrer keines kam jemals
wieder herunter, den Menschen hülfreich zu sein. Sie
blieben droben in ihrer tiefen Höhle und in ihrem Geklüft
wohnen. Der Hirte aber wurde ganz tiefsinnig,
schlich bleich umher und hat nicht lange gelebt.
11. Die Bergmanndli schützen Herden und
Fische
Die Bergzwerge schätzen und lieben die Gemsen, sie
wollen nicht, daß die Jäger sie töten, und manchem
Alpenjäger ist es deshalb schon gar schlecht ergangen.
Guten Jägern, denen sie wohlwollten, haben sie
wohl auch das eine und das andre Stück z'weg gestellt,
der durft' aber denn bei Leib und Leben nit
mehr schießen, als mit den Bergmanndli verakkordiert
war, sonst schmissen sie ihn die Felsen hinunter und
bliesen ihm das Lebenslicht aus elendiglich. Da war
einmal ein Gemsjäger, der verstieg sich hoch in die
Felsen, auf einmal stand ein eisgraues Bergmanndli
vor ihm da und sprach ihn zornig an: Was verfolgst
du meine Herde? – Der Jäger war ganz erschrocken
und sprach: Hab' ich doch nit gewußt, daß die Gemsen
dein sind. – Sprach der Berggeist: Du sollst jede
Woche vor deiner Hütte ein Grattier finden, aber du
hütest dich und schießest mir kein andres. – So geschah's,
der Jäger fand alle Wochen den frischen Braten,
der macht' ihm aber gar keine Freud, er konnte
die Jagdlust nicht bezwingen, stieg wieder hinauf zu
Berg und Holz, ward auch bald eines
Gemsenleitbocks ansichtig, auf den legte er rasch an,
zielte und schoß – aber wie er losdrückte, hob sich
hinter ihm der Berggeist aus dem Boden und zog ihm
die Haxen unterm Leib weg, daß er niederstürzte und
in den Abgrund hinunterschmetterte.
In Malters saß ein Untervogt, der hieß Hans Bucher,
der wollt' auch gern einmal ein Herdmanndli
sehen; war gar ein eifriger Fischer und Jäger, aber
sonst ein frommer Mann, stieg eines Tages hinauf am
Pilatus, folgte dem Rümligbach und wollte gern Forellen
fangen, da sprang ihm jählings ein
Herdmanndli hinterwärts auf den Rücken und drückte
ihn mit solcher Gewalt mit dem Gesicht in den Bach
nieder, daß er schier vermeinte, er müsse versaufen.
Dabei sagte das Herdmanndli zürnend: Ich will dir
wohl lehren meine Tierlein fangen und jagen. – Als
der Untervogt nach Hause kam, war er halbtot und
sah im Gesicht aus wie der Tod von Ypern; war auch
auf der einen Seite erlahmt und kam nimmermehr auf
den Berg, zu jagen oder zu fischen.
In Obwalden war ein alter Landammann, der hieß
Heinrich Immlin, der hat selbst erzählt, wie er einmal
zum Pilatus hinangestiegen auf die Gemsjagd, da begegnete
ihm ein Zwergmanndli und heischte, er solle
flugs umkehren. Nun ist der Landammann ein starker
stattlicher Mann gewesen, der spottete des Zwergs
und sagte: He, du wirst wohl große Macht haben, mir
was zu wehren! – Kaum gesagt, so sprang ihn der
Zwerg an, drückt' ihn an einen Felsen, schwer wie ein
Pferd, daß ihm schier die Seele ausfuhr und die Sinne
ihm vergingen. Lag da eine halbe Stunde für tot, bis
die Seinen ihn fanden, erquickten und heimführten.
12. Die Herdmanndli ziehen weg
Es ist schon viel gesagt, wie gut gegen die guten
Menschen die Berglütlenen des Pilatus waren; kleine,
zwei Fuß hohe Männlein mit grünen oder grauen
Röckchen, mit Füßen, die man nicht sah, langem Silberbart
bis zur Erde herunter, die hüteten das edle Gestein
im Berge, waren den Menschen hülfreich, kamen
wohl auch und begehrten Speise, liebten insonderheit
das Schweinefleisch, und wer ihnen gab, hatte es gut
und erfreute sich ihrer Gunst. Wenn ihnen die Sennerinnen
etwas Milch beiseite stellten, so molken und
fütterten sie, und waren ganz heimisch bei den Mägden;
sie konnten auch wahrsagen aus Karten und
Händen und waren geschickt zu allen Dingen, aber erzürnen
durfte man sie nicht. Wem sie im Sommer
beim Heuen halfen, der konnte zufrieden sein, sie
mehreten das Heu wunderbar. Manchmal sahen sie
auch dem Heuen zu und halfen nicht. Einstmals verdroß
das einen Heuer, der machte mit noch einem Kameraden,
bevor die Arbeit anging, ein Feuer auf den
Felsstein, darauf die Herdmanndli zu sitzen und zuzusehn
pflegten, und kehrten dann geschwind Asche und
Kohlen vom heißen Steine weg. Als die Manndli
kamen und den Stein betraten, verbrannten sie sich
ihre Füße. Da schrien sie überlaut: O böse Welt! O
böse Welt! – und kamen nimmermehr wieder.
So auch kamen Bergmanndli vom Pilatus ins Haslital
von der Flüh herunter, den Heuern zuzuschauen;
die waren gewohnt, sich auf die Äste und Zweige
eines schattigen Ahornbaumes zu setzen. Das merkten
Schälke und sägten die Äste knapp durch, daß die
armen Manndli herunterfielen. Da erhuben sie ein
jämmerlich Geschrei und riefen:
O wie ist der Himmel so hoch!
O wie ist die Untreu so groß!
Heute hier und nimmermehr!!
Und nachher hat sich im Haslital niemals wieder eins
sehen lassen.
13. Der Dürst
Um den moorigen See auf dem Pilatus und im ganzen
Berggehege tobt der Dürst, das ist der wilde Nachtjäger,
wie in Thüringen, im Vogtland und am Harz, der
hat zur Gesellschaft auch ein gespenstig Weib, wie
der Hackelberg die Tut-Osel, der wilde Jäger Thüringens
die Frau Holle und der des Vogtlandes die Frau
Berchta, die heißen sie drunten im Entlibuch, hart an
des Bergstocks Westwand, das Posterli, und in Luzern
kennen sie die Sträggele, die, wie die Hollefrau
und die wilde Berchta, den faulen Mägden die Rocken
wirrt. Mit gar wildem Saus und Braus fährt der Dürst
über die Almen daher, reißt und rüttelt an den Sennhütten,
bricht mächtige Baumstämme, wirft Felsen in
die Gründe und führt wohl auch Kühe mit sich hoch
in die Luft, die nimmer wieder herunterkommen oder
halbtot und ausgemolken etwa erst am dritten Tag.
Wenn ein Hirte das gewahr wurde, konnt' er noch
Einhalt tun durch den Alpsegen, wenn er den zeitig
durch einen Milchtrichter rief, daß der Dürst ihn noch
hören konnte, so sank die entführte Kuh ganz sanft
wieder auf die Matte nieder.
Auf der Bründler Alp über Eigenthal kann man
wohl noch heute den Alpsegen im Abendruf der Sennhirten
vernehmen, der lautet gar wunderbar durch die
Feierstille der Natur, wie Orgeltöne und Glockenklang,
und widerhallt aus allen Klüften die Flichbanden
nieder, wie Geistermusik. Das ist der Ruf und der
Segen: Ho – ho – ho – öh – ho! – Ho – hi – ho –
ho! – Ho lobe! Ho lobe! – Nehmet alle Tritt in Gottes
Namen, in unserer lieben Frauen Namen! Lobi Jesus,
Jesus, Jesus Christ! Ave Maria! Ave Maria! Ave
Maria! Ach, lieber Herr Jesus Christ, behüt Gott aller
Leib, Seel, Ehr und Gut, was in die Alp gehören tut.
Das walt Gott und unsre herzliebe Frau, das walt Gott
und der heilige Sankt Wendel! Das walt Gott und der
heilige Sankt Antoni! Das walt Gott und der heilige
Sankt Loy! – (Aloysius.)
14. Von Drachen und Lindwürmen
Auf dem hohen Pilatus hat es Drachen und Lindwürme
vollauf gegeben, die hausten in unzugänglichen
Höhlen und Schluchten des gewaltigen
Alpenbergstocks. Oft haben Schiffer auf den Seen sie
mit feurigen Rachen und langen Feuerschweifen vom
Pilatus herüber nach dem Rigi fliegen sehen. Solch
ein Drache flog einstmals in der Nacht vom Rigi zurück
nach dem Pilatus; ein Bauer, der, von Horn bürtig,
die Herden hütete, sah ihn, und da ließ der Drache
einen Stein herunterfallen, der war wie eine Kugel geformt
und glühend heiß; der war gut gegen allerlei
Krankheit, wenn man davon eine Messerspitze voll
abschabte und dem Kranken eingab. Zu andrer Zeit
hat man einen grauslich großen Drachen aus dem Luzerner
See die Reuß hinaufschwimmen sehen.
Einstmals ging ein Binder oder Küfer aus Luzern
auf den Pilatus, Reifholz und Holz zu Faßdauben zu
suchen; er verirrte sich, und die Nacht überfiel ihn,
mit einem Male fiel er in eine tiefe Schlucht hinab.
Drunten war es schlammig, und als es Tag wurde, sah
er zwei Eingänge in der Tiefe zu großen Höhlen, und
in jeder dieser Höhlen saß ein greulicher Lindwurm.
Diese Würmer flößten ihm viel Furcht ein, aber sie
taten ihm kein Leid; sie leckten bisweilen an den
feuchten salzigen Felsen, und das mußte der Küfer
auch tun, damit fristete er sein Leben, und das dauerte
einen ganzen Winter lang. Als der Frühling ins Land
kam, machte sich der größte Lindwurm auf und flog
aus dem feuchten Loche heraus mit großem Rauschen:
der andre kleinere kroch immer um den Küfer
herum, liebkoste ihn gleichsam, als wolle er ihm zu
verstehen geben, daß er doch auch mit heraus sollte.
Der arme Mann gelobte Gott und dem heiligen Leodager
in die Stiftskirche im Hof zu Luzern ein schönes
Meßgewand, wenn er der Drachengrube entrinne,
und als der zweite Drache sich anschickte, aufzufliegen,
hing er sich ihm an den Schweif und fuhr mit auf,
kam also wieder an das Licht, ließ sich oben los und
fand sich wieder zu den Seinen. Doch lebte er nicht
lange mehr, weil er der Nahrung ganz entwöhnt war,
hielt aber Wort und sein Gelübde, ließ ein prächtiges
Meßgewand fertigen, darauf die ganze Begebenheit
sticken und alles in das Kirchenbuch einzeichnen. Es
soll diese Wundergeschichte sich ereignet haben 1410
oder 1420, und vom 6. November des einen Jahres
bis zum 10. April des folgenden hauste der Küfer bei
den Lindwürmern.
15. Winkelried und der Lindwurm
Zu Wylen, einem Dorfe nicht weit vom Pilatus, saß
ein Mann, der hieß Winkelried, und in der Nähe droben
am Berge hauste ein schädlicher Lindwurm, der
fraß Menschen und Vieh und verödete den ganzen
Landstrich, so daß ihn die Umwohner Öd-Wyler
nannten. Nun hatte der Einwohner Winkelried ob
einer Mordtat Leib und Leben verwirkt und war
flüchtig worden, der sandte Botschaft, daß er, wenn
man ihn wieder annehmen wolle, Mut habe, den Lindwurm
zu bestehen. Diesen Kampf vergönnte man ihm
gern, er bewahrte sich gut mit scharfem Schwert, und
statt des Schildes hielt er in der linken Hand eine
Dornwelle. Diese stieß er dem Drachen, sowie der auf
ihn losfuhr, in den weitaufgesperrten Rachen hinein.
Das waren dem Lindwurm zu viele Zahnstocher auf
einmal; er wand und krümmte sich, und sowie Winkelried
eine Blöße sah, stieß er ihm mit sichrer Hand
das Schwert in den Leib. Der Lindwurm sank tot nieder,
von seinem Blute troff Winkelrieds Schwert, der
schwang es hoch und freudig als Sieger und hatte sein
Leben gewonnen, aber nur, um es alsbald zu verlieren.
Denn vom Schwert ab floß das giftige Drachenblut
und rann ihm über die Hand und den Arm, das
brannte alsbald wie Feuer der Hölle, und der Held
starb an diesem Brand. Das Land hatte er befreit, das
Drachenloch wird noch heute gezeigt.
Ein andres Drachenloch zeigt man bei Burgdorf
mitten im Berner Lande. Es zogen zwei Herzöge von
Lenzburg aus zu jagen, die waren Brüder und hießen
Sintram und Bertram, oder nach andern Guntram und
Waltram, und kamen in einem wilden Wald an ein
wüstes Geklüft, darin lag ein ungeheurer Drache, der
ebenfalls die Landschaft umher zur Einöde machte.
Als der die jungen Jäger gewahrte, fuhr er alsbald auf
sie los und schlang den Bertram, den Jüngsten, mit
Haut und Haar durch seinen weiten Schlund hinab,
Sintram aber fiel voll Mut den Drachen an, hieb ihm
den Kopf ab, schnitt ihm den Leib auf und half seinem
Bruder, der noch lebendig war, heraus. Danach
ließen die Brüder der heiligen Margaretha zu Ehren
eine Kapelle an dem Orte erbauen und die Tat durch
ein Bild verewigen.
16. Kastelen-Alpe
Auf der Kastelen-Alpe wohnte ein reicher Bauer, der
hatte viele Herden und Matten, und drunten in Kriens
hatte er eine arme Muhme, die war Witwe, hatte nur
eine einzige Tochter und nährte sich mit dieser gar
kümmerlich, lag auch schwer an der Gicht darnieder.
Da entschloß sich das Maidli, hinauf auf die Alp zum
reichen Vetter zu gehen und ihn um eine Unterstützung
anzusprechen. Da stieg ein schrecklich Gewitter
am Himmel auf, als sie auf der Alpe ankam, ihr aber
ward kein Trost und keine Gabe, nur Hohn und
Scheltworte, und sie ließen droben auch trotz des drohenden
Wetters das Mägdlein wieder fortgehen. Das
kam tüchtig in das Wetter und erreichte mit Not die
Hütte eines Sennen, das war ihr Bube Aloys, der hatte
noch einen kleinen Käs, den gab er ihr für sie und ihre
Mutter. Raschen Schrittes eilte die Dirne abwärts, da
glitt sie auf der glatten Trift, fiel hin, und der Käs
rollte in die Tiefe, unaufhaltbar in unzugängliche
Felsklüfte. Weinend und kummervoll schaute die
arme Dirne dem entrollten Käse nach, da faßte etwas
ihre Hand, und sie erschrak zum Tode, und bei ihr
stand so ein klein winziges graues Herdmanndli, das
hatte auf seiner Schulter das verlorengegangene
Stückchen Alpenkäse, etwa so groß wie ein Viertels-
mühlstein und in der Hand ein Büschel Kräuter, und
sprach: Magst den Käs mit heimnehmen und deiner
Mutter von den Kräutern einen Tee kochen, sollst
nicht mehr hülflos weinen. – Hoch droben im Gebirg
aber tobte das Unwetter noch fort, über alle Maßen
greulich, und war ein Donnern, Tosen und Krachen,
als ginge die Welt unter. Wie das Maidli zur Mutter
kam, war der Käs ein Stück so schweres Gold geworden,
und vom Kräutertee wurde die Mutter ganz gesund.
Über die Kastelen-Alp aber hatte sich im Gewitter
ein Bergsturz geschüttet, die Matten verwüstet,
die Herden erschlagen und ein Stein, etwa so groß wie
ein Alpenkäs, hatte dem geizigen Vetter einen Fuß
abgeschlagen. Später ist er noch zu seiner Muhme
Haus gehinkt gekommen und hat gebettelt.
17. Blümelis-Alpe
Im Berner Oberland liegt ein Bergzug, die Klariden
geheißen, darauf waren herrliche Weiden, alle voll der
kräftigsten Alpenkräuter und Blumen, so daß jede
Kuh des Tages dreimal gemolken werden konnte und
jedes Melken dritthalb Maß in den Milcheimer gab.
Da war auch eine Alp, die war absonderlich schön,
triftreich und ganz voll Blumen, deswegen hieß man
sie auch die Blümelis-Alp. Darauf hatte ein reicher
Hirte sein Haus, das war ihm weit nicht schön genug,
wollt's schöner haben, baut' ein großes neues, baute
eine Treppe von eitel Käsen, darüber ging er mit seiner
liebsten Sennerin, seinem Hund und seiner Kuh,
und wenn die Käsetreppe schmutzig geworden war,
so ließ er sie mit Milch abwaschen. Im Tale wohnte
des Hirten fromme Mutter, die wußte nichts von ihres
Sohnes Frevel und gottlosem Tun, ging einmal eines
Sonntags hinauf auf die Blümelis-Alpe, wollte die
Sennerei besuchen, und erdürstete sehr, bat deshalb,
als sie kam, um einen Labetrank. Die Sennerin sah
die Alte gar ungern kommen, und der Sohn desgleichen,
und beide fürchteten deren Vorwürfe und wollten
sie gern bald wieder hinab haben. Und als die Alte
trank, fand sie, daß eine ruchlose Hand Sand auf die
Milch gestreut hatte. Da wandte sich die Alte alsbald
von hinnen, schritt die Alpe hinunter, stand drunten
still, hob die Hände empor und verwünschte die Gottlosen.
Alsbald brach ein Wetter los, wie wenn der
Jüngste Tag käme, und der kam auch für die Blümelis-
Alp und für alles, was auf ihr lebte, Hirt und Sennerin,
Kuh und Hund – Haus und Gehöft – alles fand
seinen Untergang, und über die Alpe lagerten sich
Gletschereis und Felsentrümmer. Auf diesem öden
Gefild spukte nachher der Geist des Hirten umher und
klagte:
Ich und min Kathryn,
Min Kuh Brandlin,
Und min Hund, der Rhyn
Müssen stetig uf Klaride syn!
Es geht die Sage, diese umirrenden Geister wären
zu erlösen, wenn einmal an einem Karfreitag ein
frommer Senne die gespenstige Kuh ganz stillschweigend
ausmelke, der Dornen an den Handschuhen
habe. Einstmal wagt' es einer, ob die Kuh sich wegen
der Dornen noch so wild stellte, und hatte schon den
Eimer halb voll. Da klopft' ihn ein Mann auf die
Schulter und fragte: Schäumt's auch wacker? – Der
Senn vergaß des Schweigens Bedingung und sagte: O
ja, es schäumt wohl. – Da riß mit einem Ruck die
Kuh sich los, trat den Eimer um und verschwand, und
die Geister der Blümelis-Alp blieben unerlöst.
18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn
Hoch im Alpengebirge, ohnweit Welschlands Grenzen
und dem hohen Monte Rosa, des Name schon italienisch
genannt wird, hebt sich ein mächtiger Bergstock,
das Matterhorn geheißen, darunter liegt der
Matterberg mit einem Gletscher, dessen ablaufendes
Gewässer die Visper bildet, welche noch ihre Wellen
nach deutschem Boden herabrollt. Da droben, wo
jetzt nur das Schweigen der Öde lagert oder das Eis
der Gletscher donnernd kracht, habe voreinst, so geht
die Sage, eine blühende Stadt gelegen. Dahin sei auf
seiner ewig rastlosen Wanderung auch der ewige
oder, wie man in der Schweiz sagt, der laufende Jude
gekommen, da haben die Leute ihm angesehen, daß er
der laufende Jude war, und kein Mensch habe ihn in
sein Haus aufnehmen wollen. So habe der laufende
Jude gesagt, indem er bekümmert über der Menschen
Härte hinweggegangen: Jetzt finde ich hier eine Stadt,
und wenn ich werde wiederkommen, wird hier doch
wachsen Gras, und werden stehen Bäume, und werden
liegen große Felsen, und wird nichts mehr zu sehen
sein von Häusern und Gassen, Mauern und Türmen.
Und wenn ich nochmal werde kommen wieder, wird
hier doch nichts mehr zu sehen sein von Gras und
Kräutern, Bäumen und Steinen, sondern als nur
Schnee und Eis, und wird liegen, als so lang ich noch
muß wandern. – Und alles ist so in Erfüllung gegangen,
wie der laufende Jude gesagt hat, der wandern
muß bis an der Welt Ende, weil er unsern Heiland auf
seinem Todesgange nicht Ruhe vor seiner Haustüre
vergönnt hat, und wird allemal, wenn er hundert Jahre
alt geworden, wieder so jung, wie unser Heiland war,
da er nach Golgatha wanderte.
Tiefer drunten im Vispertale, wo man von oben
herein in das Nicolaital eingeht, liegt ein Dorf unterm
Weißhorn, das heißt Täsch, und über Täsch rechter
Hand lag auf sonniger Matte noch ein Dorf gleichen
Namens, da stand einmal eine reiche Bäuerin, die
hatte überm Feuer einen Kessel mit Anke (Rahm),
den sott sie, und sollte gute Butter geben. Da kam ein
armer alter Mann herein und bat, sie möge ihm doch
ein Weniges von ihrer Anke zur Speise geben, ihn
hungere gar sehr. Geh weg, du Lump! sagte die Frau,
hier ist nichts übrig für solche Stromer. – O Bäuerin!
sprach der Mann, hättest du mir etwas gegeben, so
hätt' ich deinen Kessel segnen wollen, daß er nimmermehr
leer geworden, so aber sei verflucht mit dem
ganzen Dorfe! – Und da krachten alsbald droben der
Cimagipfel und das Mittaghorn zusammen und schütteten
Fels auf Fels herunter, und der ganze Ort wurde
unter Trümmern begraben, und blieb nichts mehr
sichtbar als die Fläche des Kirchenaltars, und über
diesen fließt jetzt ein Bächlein aus dem Praborgne-
Gletscher, der das Dorf überdeckt, herunter nach
Täsch durch die Felsenschluchten in die Visp.
19. Mutter Gottes am Felsen
Unterhalb Täsch, wo das Dorf St. Nicolaus das Nicolaital
beschließt oder dem, der im Gebirg von unten
heraufkommt, eröffnet, hebt sich hoch über St. Nicolaus
der Räti mit einer schroffen Felswand gegen das
Tal; an dieser Wand steht ein kleines Muttergottesbild
von Stein. Früher stand es unten am Weg, da
flehte einer zu ihm, blieb aber unerhört, da griff er, als
er wiederkam, hin und warf das Bild mit Unrat, und
da weinte das Bild. Dennoch warf er's noch einmal,
da hob sich das Bild hoch hinauf an die Felswand,
dort stand's nun, und niemand konnt' es erlangen. Den
Talleuten jammerte das, sie hatten das Bildchen lieb
gehabt und es sehr verehrt und mochten's gar zu gern
wieder herunter haben. Aber der Felsen an jener
Wand war gar zu steil, keiner vermochte daran emporzuklimmen,
und keine Leiter reichte zu solcher
Höhe. Darauf wurden sie in St. Nicolaus Rates einig,
sie wollten's von oben versuchen, und eine Schar erkletterte
den Rätigipfel, und sie hatten sich Merkzeichen
gemacht, und gerade über dem Bilde wurde nun
an starken Seilen ein Mann hinabgelassen, der sollte
es heraufholen. Schon war der Mann fast am Bilde, er
sah es schon stehen, da sah er, wie das Seil immer
dünner wurde, wie ein Bindfaden, und dachte, daß es
nicht halten werde und er jämmerlich in den tiefen
Abgrund stürzen, und schrie: Zieht auf, zieht auf, der
Strick wird dünne! – Sie ließen ihn aber noch immer
weiter herab, jetzt war er am Bilde, jetzt hätt' er's nehmen
können, aber da war das Seil dünn geworden wie
ein Haar, und er schrie nochmals: Um Gottes willen,
zieht auf, sonst bin ich verloren! – Da zogen die Männer
ihn hinauf, und je weiter er aufwärts kam, je dikker
und stärker wurde wieder der Strick. Da nahmen
die Leute von St. Nicolaus wahr, daß das Bild am
Fels und nicht in einer Kapelle stehen wollte, wie
jenes auf dem Milzeberg im Frankenlande auch nicht
in einer Kapelle blieb, sondern auf seinem Felsblock
am Wallfahrerweg seinen Stand behauptete.