Der Schattenreiter

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Der Schattenreiter
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Der Schattenreiter

Westernroman

von Logan Kenison

Das Buch

»Geh hinters Haus und übe!«, sagte Ma. »Schieß so lange auf etwas, bis du es triffst. Übe, mein Junge!«

Ich tat es. Den ganzen Nachmittag lang schoss ich auf Äste, Zweige, Blüten, Steine. Bis mir die Ohren von den Detonationen schmerzten. Bis mir das Handgelenk wehtat. Bis es Abend wurde und Ma neben mich trat.

»Du bist gut, Grant. Gut genug für diese Verbrecher.«

»Was willst du damit sagen, Ma?«

»Du wirst jetzt zu Irving Burdette hinüberreiten und ihn erschießen.«

»Aber … wieso, Ma?«

»Er hat die Morde an deinem Vater und deinem Bruder in Auftrag gegeben. Burdette hat sieben Revolvermänner ausgesandt, um sie zu töten. Jetzt sende ich dich aus, um ihn zu töten.«

Der Autor

Logan Kenison (vormals Joe Tyler) ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.

Inhalt

Impressum

Der Schattenreiter (Roman)

Weitere Titel von Logan Kenison

Impressum

09/2018

Copyright dieser Ausgabe: 2020 by Logan Kenison

Lektorat: Carola Lee-Altrichter

Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors.

Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Episode "Ein Taschenmesser für Jodi" (Orig.: "The Jackknife", USA, 1962) der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.fernsehjuwelen.de

Kontakt: logan.kenison@gmx.de

Der Schattenreiter

Westernroman

von Logan Kenison

Als ich an jenem Tag gegen elf Uhr aufs Feld hinauskam, um frisches Wasser und das Mittagessen zu bringen, fand ich meinen Pa und meinen Bruder Cole tot vor – ermordet.

Sie waren blutüberströmt, von zahllosen Kugeln durchsiebt, und auch die zwei Pferde, die den Pflug gezogen hatten, waren tot.

Der Himmel an jenem Tag war blau und wolkenlos, in den hohen Gräsern zirpten die Grillen und irgendwo in der Ferne schrie eine Krähe.

Ich musste nicht weinen. Nicht in diesen Moment. Eine eisige Kälte gefror mein Herz zu Stein. Die Kälte breitete sich in alle Organe aus, bis in die Haarspitzen, die Finger, die Zehennägel.

Ich stand nur da und blickte auf die zwei toten Menschen und die zwei toten Tiere.

Und vor mir öffnete sich der Boden, und für einen Moment sah ich in die Hölle hinab.

*

Meine Ma und ich schaufelten Gräber in der Nähe des Hauses, bei der Sykomore, die vor ein paar Jahren von einem Blitz gespalten worden war. Wir begruben Pa und Cole. Wir sprachen ein Gebet, dann gingen wir zum Haus. Auf der Schwelle blieben wir noch einmal stehen und sahen zurück. Ma sagte, es sei gut so, denn so könne sie immer zu ihren Lieben hinübersehen, bis in alle Ewigkeit, denn sie würde die Farm niemals verlassen.

Dann gingen wir ins Haus. Ma setzte für sich Kaffee auf, und zu mir sagte sie:

»Geh, hol den alten Remington deines Vaters aus dem Schlafzimmer.«

Ich tat es.

»Hol Munition und den Waffengurt deines Vaters, Grant.«

Ich tat auch dies.

»Schnall ihn dir um.«

Der Gurt und die Waffe waren Vaters Heiligtum gewesen. Niemals hatten Cole oder ich diese Dinge berühren dürfen. Mein Pa lehrte mich, wie man mit der Henry Rifle einen Bock schoss, aber den Colt hatte er mich nie anfassen lassen. So fühlte es sich befremdend an, den Gurt umzuschnallen und den Revolver hineinzustecken. Er war schwer, und doch fühlte ich mich nun wie ein Mann. Der Gurt war mir beinahe zu groß, ich musste ihn bis zum letzten Loch zuziehen.

»Geh hinters Haus und übe, Grant. Schieß so lange auf etwas, bis du es triffst. Übe!«

Ich tat es. Den ganzen Nachmittag lang schoss ich auf Äste, Zweige, Blüten, Steine. Bis mir die Ohren von den Detonationen schmerzten. Bis mir das Handgelenk wehtat. Bis es Abend wurde und Ma neben mich trat.

»Du bist gut, Grant. Gut genug für diese Verbrecher.«

»Was willst du damit sagen, Ma?«

»Du wirst jetzt zu Irving Burdette hinüberreiten und ihn erschießen.«

»Aber … wieso, Ma?«

»Er hat die Morde an deinem Vater und deinem Bruder in Auftrag gegeben. Burdette hat sieben Revolvermänner ausgesandt, um sie zu töten. Jetzt sende ich dich aus, um ihn zu töten.«

»B-bist du … sicher, Ma?«

»Ja. Er hat angekündigt, uns von hier zu vertreiben, weil dein Vater sein Angebot abgelehnt hatte. Burdette will das ganze Land für sich allein haben. Für sich und seine verdammten Rinder. Er hasst uns Farmer. Deswegen hat er deinen Pa und Cole ermorden lassen. Geh, Grant. Reite! Reite zu ihm hinüber und erledige ihn.«

»Ja, Ma.«

Ich ging in den Stall und sattelte das letzte uns verbliebene Pferd.

Meine Ma hatte mir etwas Essen zusammengepackt und steckte es in die linke Satteltasche. In die rechte tat sie Unterwäsche und ein Hemd.

»Du brauchst danach nicht wieder zurückzukommen, Grant. Reite fort. Lass dich nicht erwischen. Von niemandem! Wenn sie dich jagen, verlasse Arkansas. Komm nie wieder zurück. Ich – ich werde auf der Farm bleiben – für immer. Mich bringt hier niemand weg. Es ist meine Rache an Burdette, dass ich für immer hierbleibe. Und deine Rache ist es, dass du ihn erschießt.«

»Verstehe, Ma.«

»Und nun los, Junge. In den Sattel mit dir! Reite hinüber und gib’s dem verdammen Schwein.«

Ich stieg auf und gab der alten Betsy einen Schenkeldruck. Sie lief an, und ich verließ die Farm. Als ich ein Stückweit geritten war, hielt ich an und blickte noch einmal zurück. Die Heimstatt lag verlassen in der Talsenke. Nun kam die Nacht, und Ma würde allein sein. Würde ich sie je wiedersehen?

Dann wandte ich mich um und ritt weiter.

Ich war fünfzehn Jahre alt.

*

Ich erreichte Burdettes Ranch lange nach Einbruch der Nacht. Um ehrlich zu sein, ich hatte mich verirrt und musste nach dem Weg suchen. Denn ich war zuvor nicht sehr viele Male zu ihm hinübergeritten. Nur ein oder zwei Mal, als wir Gemüse hinüberbrachten, das er gnädiger Weise bei meinem Pa gekauft hatte.

Schließlich tauchte der große Bau vor mir auf.

Aus einigen Fenstern fiel Lichtschein. Viele andere jedoch lagen im Dunkeln. Es war ein gewaltiges, weiß angestrichenes Haus, beinahe ein Palast.

Ich stieg vom Pferd und sah in den Ranchhof hinab, achtete auf all die Kleinigkeiten, Geräusche und Bewegungen, die mir sagten, wo die Menschen dort unten sich befanden und was sie taten.

Die Lichter im Bunkhouse waren gelöscht. Sicher schliefen all die Cowboys und Rancharbeiter, die dort unten lebten. Und auch die Dienstboten, die im Haus Tätigkeiten zu verrichten hatten, schliefen, denn in dem Anbau war es ebenfalls dunkel.

In einem zwischen Bunkhouse und Dienstbotenflügel stehenden Haus brannte noch Licht. Ich vermutete, dass dort die Revolvermänner einquartiert waren. Jene Männer, die Irving Burdette ausgesandt hatte, um meinen Pa und Cole zu töten.

Ab liebsten würde ich sie alle erledigen, denn in mir toste die Hölle. Doch das war unmöglich. Ich war ein Junge, und gegen sieben professionelle Revolverschwinger konnte ich nicht bestehen.

Ich konzentrierte mich also auf den Auftrag, den Ma mir gegeben hatte. Irving Burdette. Doch wie sollte ich an ihn rankommen?

Ich nahm die Henry Rifle aus dem Scabbard und schlich vorsichtig die steile Anhöhe hinab. In der Dunkelheit war dies nicht ganz einfach.

Als ich ungefähr auf halber Höhe war, hatte ich eine Idee.

Ich legte die Rifle an, zielte kurz und schoss.

Das Projektil durchschlug die prächtige weiße Tür des palastartigen Ranchgebäudes. Von meinem Versteck aus und auf die Entfernung konnte ich sogar bei diesem schlechten Licht das Loch sehen, das die Kugel geschlagen hatte.

Ich lachte grimmig in mich hinein.

Dafür hätte ich nicht den ganzen Nachmittag üben müssen, bis ich halbtaub wurde und mir der Arm wehtat. Nein, mit dem Gewehr umzugehen verstand ich, denn Pa hatte mich darin schon frühzeitig unterwiesen.

Ich brauchte nur noch zu warten.

Denn unten brandete Geschrei auf. Lichter wurden angezündet, und Männer in Unterwäsche mit Petroleumlampen stürmten aus dem Bunkhouse. Auch die Revolvermänner traten vor die Tür und schauten, was los war.

Im Haupthaus wurde es ebenfalls lebendig. Menschen versammelten sich vor der Tür und bestaunten oder beschimpften das Loch, das ich in sie hineingeschossen hatte.

Der Rest war sehr einfach. Sobald ich Irving Burdette ausmachte, den ich an seiner Kleidung und der Statur erkannte und auch daran, dass er lautstark die Befehle erteilte, begann ich zu zielen. Es war eine gute Entfernung für einen Schuss mit der Henry Rifle. Und noch während sie berieten, wer dieses Loch geschossen haben konnte, und von woher, zog ich den Abzug durch.

Irving Burdette brach an Ort und Stelle zusammen.

*

Die Revolvermänner schwärmten aus. Plötzlich hielten sie alle ihre Colts in den Händen, und ich sah, wie sie in der Dunkelheit verschwanden.

Nun machten sie Jagd auf mich.

Währenddessen entstand am Haustor Geschrei. Eine Frau kreischte haltlos, und Männer brüllten. Alle, die keine Waffen in Händen hielten, liefen dort zusammen.

Ich kraxelte im Schutz der Dunkelheit den Hang hinauf.

 

Ich hatte aus der Dunkelheit geschossen, niemand hatte das Mündungsfeuer gesehen. Sie hatten also keine Ahnung, wo sie mich suchen sollten.

Und so schaffte ich es ungesehen zu meinem Pferd.

Ich nahm es am Zügel und führte es langsam und zu Fuß weit in die Wildnis hinein. Wir machten kaum Geräusche, Betsy und ich. Dann stieg ich auf und ritt davon. Es war eine mondbeschienene Nacht, und der nachtblaue Himmel über mir leuchtete, und die Sterne glitzerten.

Es wäre eine schöne Arkansas-Nacht gewesen, wenn nicht der Tod seine Ernte gehalten hätte.

Ich versuchte, in ein Waldstück zu gelangen und hoffte, dass dort meine Spuren nicht zu finden wären.

Als der Morgen graute, erreichte ich einen gewaltigen Felsbrocken, aus dessen Seiten Geröll brach, und der mit schwarzen Kiefern bewachsen war. Das Land hier war feucht, und überall wuchsen Gräser, Büsche und Bäume.

Im Schutz dieses Felsens stieg ich vom Pferd und richtete mir ein Lager ein. Ich aß von den Lebensmitteln, die Ma mir mitgegeben hatte, und trank eiskaltes Wasser aus einer nahen Quelle.

Ich kannte meinen Auftrag, und wie es aussah, hatte ich ihn erledigt.

Nun galt es, dem Aufgebot zu entkommen, das mich ganz bestimmt jagen würde.

Ich überlegte, wohin ich reiten sollte.

In der Wildnis würde ich es bestimmt noch eine Weile aushalten, wenn es draufankäme. Ich könnte Wild schießen und über einem Feuer braten. Wasser fand ich hier überall, es gab zahlreiche Creeks und Quellen, und auch Gras für das Pferd war im Überfluss vorhanden. Nein, ich musste nicht in eine Stadt oder eine Ansiedlung reiten.

Von der ganzen Sache war ich unheimlich müde geworden, und ich schlief gegen den Felsen gelehnt ein. Am späten Nachmittag weckte mich der Schrei eines Vogels.

Ich war erstaunt, dass ich immer noch ganz allein war.

Niemand war gekommen.

Niemand, der mich jagte oder verhaften, erschießen oder aufhängen wollte.

Ich stand auf und merkte, wie steif ich geworden war von der Härte des Felsens, gegen den ich mich gelehnt hatte. Ich reckte und streckte mich, dann sah ich mich nach meinem Pferd um.

Es hatte sich hierhin und dorthin bewegt, hatte gegrast und geruht und war längst schon bereit für einen Ritt.

Ich redete mit ihm, dann sattelte ich auf und packte alles zusammen. Ich ritt zunächst ein wenig ziellos umher, doch dann packte mich die Neugier. Zu gern wollte ich wissen, was auf Burdettes Ranch los war. Was hatte mein Schuss alles angerichtet und ausgelöst? Was war dort in der Zwischenzeit geschehen?

Ich richtete es so ein, dass ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit auf einem der nordöstlichen Hügel eintraf und so auf das Anwesen hinabblicken konnte.

Im Licht der Abendsonne sah ich Auflösungserscheinungen.

Die Türen des Ranchhauses und des Gebäudes der Revolvermänner stand offen. Die Tür des Bunkhouse war angelehnt. Ein Stalltor knarrte und schwenkte im Wind hin und her. Aus ein paar geöffneten Fenstern wehten Gardinen heraus.

Die Ranch wirkte wie ausgestorben.

Das machte mich stutzig. Waren sie alle ausgeflogen? Bestimmt waren sie nicht nur zu einer Beerdigung gefahren, denn sonst hätten sie diese Türen und Fenster alle geschlossen. Das Anwesen machte den Eindruck, als wäre es von all diesen Menschen im Stich gelassen worden.

Ich wartete in meinem Versteck und beobachtete, doch nichts rührte sich dort unten. Auch gab es nicht die geringsten Hinweise darauf, dass noch Tiere im Stall wären.

Ich beschloss nachzusehen.

Ich glitt durch ein kleines Wäldchen aus dunkelgrünen Spitzpinien und erreichte die Rückseite des Pferdestalls. Ich brach ein Brett aus der Wand und stieg ein.

Drinnen umfing mich eine angestaute und von der Sonneneinstrahlung aufgeheizte Luft – aber keine Pferde. Alle Boxen waren leer.

Ich lauschte, aber nichts war zu hören.

Auch die Pferdeknechte waren verschwunden.

Und dann schob sich ein Bild von den Dingen, die geschehen waren, nachdem ich den Rancher erschossen hatte, vor meine Augen.

Die Cowboys hatten bemerkt, dass die Rinder jetzt herrenlos geworden waren. Denn Carol, die junge Frau von Irving Burdette, war nicht stark genug, das Anwesen und all die Dinge, die mit der Ranch zu tun hatten, zusammenzuhalten. Die Cowboys waren aufgebrochen und haben die Herden zusammengetrieben. Sie bedienten sich jetzt am Reichtum der Ranch, die mit einem Mal ohne ordnende und befehlende Hand war.

Und auch die Revolvermänner hatten plötzlich keinen Auftraggeber mehr. Bestimmt war auch ihr Haus verlassen, denn sie waren alle fortgegangen.

Ich trat zum Stalltor und öffnete es, blickte über den Ranchhof.

Wagenspuren und Hufsiegel zeichneten sich in großer Zahl am Boden ab. Es war, als ob ein plötzlicher Run eingesetzt hatte. Jeder hatte der Erste sein wollen, um sich am Vieh der Burdette-Ranch zu bedienen.

Ja, die Cowboys trieben die Rinder davon. Und die Revolvermänner waren gegangen, um sich neue Auftraggeber zu suchen.

Doch was war mit Carol Burdette? War sie noch im Haus? Oder hatte sie auch das Weite gesucht?

Ich ging langsam zum Ranchhaus hinüber und stieg die Stufen zum Eingang empor.

Oben am Treppenabsatz entdeckte ich eine große Lache und viele kleine Spritzer Blut. Das Blut des Ranchers.

Und ich sah auch das Loch, das ich in die Tür geschossen hatte, um ihn herbeizulocken.

Dieses Loch hatte sein Ende eingeläutet. Damit war seine Ära zu Ende gegangen.

Und sein Leben.

Sollte ich mich deswegen schuldig fühlen?

Ich tat es seltsamerweise nicht. Obwohl ich einen Menschen getötet hatte, blieb mir die Tat relativ fern. Als hätte sie ein anderer verübt. Vielleicht genauso fern wie der Abstand, aus dem ich den tödlichen Schuss abgegeben hatte.

Außerdem waren in mir immer noch die aufwühlenden Bilder, wie ich Pa und Cole draußen auf dem Feld gefunden hatte. Sein Blut gegen ihr Blut. Das war nur gerecht. Ja, es war nicht Rache, sondern Gerechtigkeit.

Ich stieß die Tür mit dem Stiefel auf und ging ins Haus.

Lauschte.

Irgendwo knarzte Holz. Es arbeitete, reagierte auf all die Schwankungen in der Temperatur. Heute Nachmittag war es heiß gewesen, jetzt kühlte alles wieder ab. Also knarrte und knarzte das Holz.

Ich sah weitere offenstehende Türen und ging durch den großen Eingangsbereich, spähte in alle Räume.

Irgendwann erreichte ich ein Büro. Dort waren eine Menge Akten und Papiere auf Schreibtischen und in Schränken gestapelt.

Dort stand auch ein Tresor an der Wand.

Es war ein neuer und noch voll funktionstüchtiger Tresor, doch seine Tür stand offen.

Ich spähte hinein und entdeckte nichts als Papiere. Sollte jemals Geld darin gelagert haben, war es jetzt weg. Vor meinem geistigen Auge sah ich Burdettes sieben Revolvermänner hier eindringen, den Tresor öffnen und sich das Geld in die Taschen stecken.

Bestimmt haben sie sich davon ausgiebig bedient, bevor sie wegritten, so, wie die Cowboys sich jetzt am Viehbestand bedienten.

Ich nahm einige der Papiere aus dem Tresor und überflog sie.

Besitzurkunden und Dokumente über aufgenommene Kredite, Pachtzahlungen, Versorgungsverträge … allerlei geschäftliche Angelegenheiten waren hierin schriftlich niedergelegt.

Nun, was sollte diese Ranch noch damit?

In mir glomm ein grimmiges Feuer, und ich ließ es nach außen treten, indem ich ein Streichholz anriss und die Papiere damit ansteckte. Ich wartete, bis sie richtig schön loderten, dann hielt ich sie an die Gardinen, die ebenfalls sofort Feuer fingen.

Ich ging weiter, doch nun wusste ich, dass ich nicht mehr allzu viel Zeit hatte. Bald würden die Flammen lodern, und ich musste machen, dass ich fortkam.

Also beeilte ich mich.

Bevor ich das Büro verließ, fiel mein Blick noch auf die Schreibtischplatte, und ein Stück Papier erregte meine Aufmerksamkeit. Ich nahm es hoch und begann zu lesen – und mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken.

Es war die Monatsabrechnung von Burdettes Revolvermännern.

Er hatte jedem von ihnen 250 Dollar bezahlt, und sie haben dem Empfang quittiert, insgesamt 1.750 Dollar.

1.750 Dollar für den Tod zweier geliebter Menschen.

Und bestimmt wäre ein gigantisches Lügengebäude aufgebaut worden, um sich aus der Verantwortung zu stehlen: Falsche Zeugen, falsche Alibis, Lügen, Lügen, Lügen.

All dem hat mein Schuss aus der Deckung ein Ende bereitet.

Ich faltete das Blatt langsam und sorgfältig zusammen und steckte es in meine Jackentasche. Diese Lohnabrechnung enthielt die Namen der Mörder, und ich wusste, was ich zu tun hatte.

*

Das Haus brannte immer stärker, und mir lief die Zeit davon.

Ich rannte ins Obergeschoss hinauf und ging auch hier die Räume ab. So also hatte der Rancher gelebt. In solch feudalem Luxus hatte er geschwelgt, während seine Cowboys in nach Schweiß stinkenden Bunkhouses und Weidehütten ihr Dasein fristen mussten.

Parkettböden, dicke Teppiche, rote Samtvorhänge, Verzierungen aus Goldbrokat an den Tapeten … ich lachte in mich hinein. Bald würden die Flammen all dies verzehrt haben.

Ich stieß die letzte Tür am Ende des Mittelgangs auf – und betrat Burdettes Schlafzimmer.

Kaltes Grausen packte mich.

Auf dem zerwühlten Ehebett lag die nackte Leiche von Carol Burdette.

Sie war offensichtlich mehrfach vergewaltigt worden. Es sind wohl mehrere Männer über sie hergefallen, bevor sie die Ranch verließen. Carol Burdette war geschlagen und gewürgt worden, und Spuren einer ekligen schleimigen Flüssigkeit fanden sich auf dem Laken und auf ihrer Haut. Ihre Augen waren geöffnet, und sie starrte zur Decke empor. Ich konnte nicht anders, als aus diesem Blick eine stumme Anklage zu lesen.

War ich daran schuld?

Teufel, nein!

Was immer da geschehen war, es ging auf das Konto der Revolvermänner.

Doch es wäre gewiss nicht passiert, wenn ich nicht den Rancher die Nacht zuvor erledigt hätte.

Also doch meine Schuld?

Ich wischte den Gedanken heftig beiseite. Dann begann ich, das Zimmer zu durchsuchen. Und siehe da, meine Vermutung war richtig: Ich fand zwischen den Seiten einiger Bücher in einem Regal mehrere Dollarscheine eingelegt. Als ich sie am Ende zählte, waren es fast tausend Dollar, die wohl Carol Burdette dort verstaut hatte – warum auch immer.

Als ich fertig war, quoll bereits dichter Rauch das Treppenhaus hoch und ins Zimmer, und ich machte, dass ich wegkam. Ich stieg durchs Fenster aufs Vordach hinaus und ging vor bis zu dessen Rand. Dann sprang ich in die Tiefe und kam polternd auf der Veranda auf.

Carol Burdettes Körper würde von den Flammen verzehrt werden, mich ging das nichts an.

Ich verließ das Anwesen auf demselben Weg, wie ich gekommen war. Ich erreichte mein Pferd, stieg auf und ritt weg, und erst, als ich oben auf der Hügelkuppe angekommen war, warf ich einen Blick zurück.

Das Ranchhaus brannte inzwischen lichterloh, und die Flammen vernichteten die Überreste eines einstigen Rinderimperiums.

Irving Burdette hatte zu hoch gepokert.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass man ihn für den Mord an zwei Farmern zur Rechenschaft ziehen würde.

Was mich betraf, ich war der Meinung, dass er zurecht getötet wurde, dass sein Haus nun zurecht brannte, und dass ein Imperium zurecht vernichtet war.

Dieser Mann, der über Leichen gegangen war, hatte keine Daseinsberechtigung auf dieser Welt gehabt.

Und ich hatte dafür gesorgt, dass das Unrecht beseitigt worden war.

Die anderen Farmer im Valley konnten nun einer friedlichen Zukunft entgegensehen.

Ich ritt nicht zu Ma und unserer Farm zurück. Ma hatte gesagt, ich solle nicht zurückkommen, also schlug ich die entgegengesetzte Richtung ein.

Wie ich die Sache sah, war der Drahtzieher der Morde zwar zur Rechenschaft gezogen worden, nicht jedoch die Mörder selbst. Und die Liste in meiner Jackentasche brannte wie Feuer in meinem Herzen. Immer wieder, wenn ich an einem Lagerfeuer saß und zu Abend aß, zog ich sie heraus und las die Namen, die draufstanden.

Sieben Namen.

Die sieben Namen der Mörder meines Vaters und meines Bruders.

Sie waren von so vielen Kugeln durchsiebt gewesen, dass man sich schwerlich vorstellen konnte, dass einer der Sieben nicht auf sie geschossen haben sollte.

 

Doch falls dem wider Erwarten doch so war, dann war er dabei gewesen, hatte ihr Handeln gebilligt und sich allein dadurch mitschuldig gemacht.

In meinen Augen hatten alle sieben Männer den Tod verdient, und ich würde mich auf den Weg zu ihnen machen.

Die Liste zog ich so oft heraus, bis sie völlig zerfleddert war. Längst schon kannte ich ihre Namen auswendig. Für einen Burschen wie mich brauchte es nicht viel, sieben Namen auswendig zu lernen. Ich hatte sie mir eingeprägt, und sie brannten in meinem Gedächtnis.

Die fast tausend Dollar von Carol Burdette, die ich in ihrem Schlafzimmer gefunden hatte, reichten eine lange Zeit und deckten eine Menge meiner Reisekosten ab. In Emmett ließ ich damit mein Pferd neu beschlagen, in Bearling deckte ich mich mit Proviant und Munition ein. Ich ritt immer weiter, fragte in den Saloons und Hotels nach den Männern, deren Namen ich kannte, und die mich jedes Mal quälten, wenn ich sie aussprechen musste.

In einem kleinen Ort namens Keiser schließlich entdeckte ich den ersten von ihnen. Sein Name war Scott Callahan.

*

Scott Callahan war Deputy in diesem Ort und Teilhaber des lokalen Hurenhauses. Er war mit den Taschen voller Dollars angekommen und hatte beschlossen, in seine Zukunft zu investieren. Die Menschen ließen viel Geld für die Vergnügungen des Lebens springen, und so war es nur folgerichtig, dass sein Etablissement florierte.

Seine Position als Deputy Marshal nutzte er aus, die Dinge so zu gestalten, dass er ein Maximum an Profit aus allem schlug. Radaubrüder bat er gehörig zur Kasse, und Besoffenen, die ins Hurenhaus wankten, dann aber mit leeren Taschen irgendwo in der Gosse aufwachten, hörte er gar nicht zu, wenn sie sich beschwerten.

Er hatte seinen Schnitt gemacht, alles andere interessierte ihn nicht.

Tagsüber träumte er davon, in Kürze den amtierenden Marshal abzulösen, denn Ed Luxford war schon in die Jahre gekommen und sprach immer öfter vom Ruhestand.

Ich erreichte Keiser am Abend. Die Sonne versank hinter der nahen Bergkette, und ich hatte gerade noch Zeit, vor Einbruch der Dunkelheit einen Platz für mein Pferdchen zu suchen. Anschließend wollte ich mir im Hotel ein Zimmer besorgen, doch dazu kam es nicht mehr.

Denn ich bekam lieben Besuch von Deputy Scott Callahan.

Ich war gerade dabei, mit dem Stallhelp über die Konditionen zu verhandeln, als Callahan das Stalltor aufstieß und breitbeinig hereinmarschierte. Er trug einen langen schwarzen Umhang, auf dem er das Marshalsabzeichen angebracht hatte, sodass man es schon von hundert Yards Entfernung sehen konnte. Er war ein Angeber vor dem Herrn wie kaum ein zweiter.

Er musterte mich von oben bis unten, als ob ich ein abgerissener Satteltramp wäre. Das war ich natürlich nicht, denn ich achtete auf meine Erscheinung, klopfte mir regelmäßig den Staub aus der Kleidung, badete mindestens einmal in der Woche und kämmte mich jeden Morgen.

Doch Scott Callahan schien nicht zu gefallen, was er sah.

Natürlich sah man mir nicht an, dass ich noch fast tausend Dollar in der Tasche hatte, denn ich stand ja erst noch am Anfang meiner Reise und hatte noch nicht viel von dem Geld ausgegeben.

Jedenfalls, er schien mich für einen Landstreicher zu halten und wollte mich aus der Stadt jagen.

»Jungchen, ich sag’s dir nur einmal, dies aber in aller Deutlichkeit: Du hast in Keiser nichts verloren und nichts zu gewinnen. Du sattelst gar nicht erst ab, sondern verschwindest aus der Stadt. Jetzt gleich! Denn deinesgleichen brauchen wir hier nicht. Also los, rauf aufs Pferd! Ich warte.«

Ich musterte ihn ebenfalls. Er machte den Eindruck eines Mannes, der unter seinem Umhang verborgen seine Kanone bereithielt, um im Notfall sofort schießen oder mit ihr zuschlagen zu können. Auf einen fairen Kampf brauchte ich wohl nicht zu hoffen.

»Sie wollen, dass ich die Stadt verlasse?«, fragte ich, mich dümmlich stellend. »Aber … dann muss ich ja draußen in der Wildnis übernachten. O Himmel, denn nach Celeste schaffe ich es heute nicht mehr. O, bitte, lieber Herr im Himmel, das kann doch nicht wahr sein. Mit welchem Recht schickt mich dieser Mister in die Wildnis hinaus? Wo ich mich schon so auf ein warmes Bad und ein weiches Federbett gefreut habe.«

»Das will ich dir sagen, du Jungspund. Ich bin der Deputy Marshal dieser kleinen Stadt, und wir dulden hier kein Gesindel. Daher hau besser ab, bevor ich ernst mache.«

»Sie sind der Deputy Marshal? Wie lautet denn Ihr Name, Mister?«, fragte ich hinterhältig.

»Yeah, den sage ich dir, Bürschchen, und du merkst ihn dir besser. Der Mann, der dich aus Keiser verjagt, ist Deputy Scott Callahan. Kapiert? Hast du’s verstanden, oder soll ich es extra für dich noch aufschreiben?«

»Nicht nötig, Mister«, erwiderte ich. »Ich wollte mich nur vergewissern. Nicht, dass ich den Falschen erschieße.«

Im selben Moment trat ich hinter Betsy hervor, die mich mit ihrem Körper verdeckt hatte. Denn auch ich hatte die Waffe in der Hand gehalten. Ich schoss sofort.

Der Gaul machte vor Schreck einen Satz und wieherte wild, und ich sah, wie es drüben aufblitzte. Scott Callahan schoss durch seinen Umhang hindurch, und das Gewebe fing durch die Stichflamme kurz Feuer. Doch es war eine Reflexbewegung gewesen, und der Schuss ging vor mir in den Boden. Er hatte die Waffe nicht mehr halten können, denn meine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen.

Ich trat näher und sah auf ihn hinab. Er lag am Boden des Mietstalls und starrt zu mir herauf, aber er atmete noch.

»Wer … was …«, stammelte er. »Du verdammter …«

Mit der Stiefelspitze schob ich den Umhang nach oben, sodass seine rechte Hand zum Vorschein kam. Sie hielt immer noch den Revolver umkrampft. Ich trat auf sie, bis die Finger die Waffe losließen. Dann kickte ich sie weg.

Der Stallhelp kam angelaufen und schnaufte.

»Herr im Himmel, Junge, den hast du fertiggemacht! Das hat sich noch keiner getraut. Der hat in Keiser das große Wort geschwungen, seit er vor ein paar Wochen hier aufgetaucht ist. Hat getan, als gehörte ihm schon die ganze Stadt. Hat alle ins Jail gesteckt, die ihm nicht gepasst haben – aus fadenscheinigen Gründen. Jetzt ist er hin, und du hast das geschafft.«

Scott Callahan hörte all diese Worte, doch ich weiß nicht, inwieweit er ihren Sinn noch verstand. Als der Stallhelp verstummte, ruckten Callahans Augen zu mir herum und blieben an mir haften, als ob er mich erneut musterte. Als ob er sich ein neues Urteil über mich bilden, seine alte Meinung revidierten wollte.

Zu welchem Schluss auch immer er gekommen war – ich weiß es nicht. Denn er starb, bevor er es mir mitteilen konnte. Doch zuvor krächzte er noch:

»Wieso …? Junge … Wieso?«

Ich gab ihm keine Antwort. Wozu auch? Ich kannte das Wieso, und er brauchte es nicht mehr wissen. Nein, ich verschwendete kein weiteres Wort an einen Toten.

Doch dem alten Stallhelp erzählte ich die Geschichte. Ich erzählte davon, dass dieser Scott Callahan meinen Vater und meinen Bruder ermordet hatte, und ich seit seinem Verschwinden von Burdettes Ranch hinter ihm her war. Ich erzählte ihm auch, dass ich mich zu einem fairen Revolverkampf bereiterklärt hätte, wenn dieser Mister nicht schon eine Waffe schussbereit unter seinem Regenumhang getragen hätte, und da staunte der Stallhelp, denn er hielt mich für einen noch grünen Jungen und wusste nicht, dass ich seit dem Todestag meines Vaters und meines Bruders jeden Tag geübt hatte.

Ich hatte keine Ahnung, ob meine Geschicklichkeit ausreichte, um einem großen Meister dieser Gilde der Revolvermänner gegenüberzutreten, doch ich war bereit, mich in fairen Duellen zu stellen. Nur, wenn es gar nicht mehr anders ging, wenn mein Kontrahent die Waffe bereits in der Hand hielt oder wenn ich gegen eine Übermacht kämpfen musste, war ich geneigt, zu einer List zu greifen oder den ersten Schuss abzugeben.

Ansonsten wollte ich es fair austragen. Aber dann musste es auch fair zugehen.

Nicht so, wie dieser Mister hier, der die Waffe bereits verborgen im Anschlag gehalten hatte.

Nun kamen noch ein paar Gents angelaufen und starrten zum Stalltor herein, und als sie den Deputy Marshal tot am Boden liegen sahen, erhob sich ein Geschrei. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, denn es konnte gut sein, dass solche Leute einen Mann kurzerhand aufknüpften, wenn er ihren Lawman tötete.

Hatte ich etwas zu befürchten?

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