Czytaj książkę: «Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben»
WENN DIE NACHT STIRBT
Impressum
Prolog
Willkommen zurück
Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde
Briefe aus der Vergangenheit
Erkaltetes Herz
Wahre Geheimnisse, gelogene Tatsachen
Blutige Nachwehen
Tod den Toten
Stunde der Wahrheit
Epilog
Danksagung
LISA LAMP
WENN DIE NACHT STIRBT
und dunkle Mächte sich erheben
Romantic Fantasy
XOXO Verlag
Impressum
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Print-ISBN: 978-3-96752-081-1
E-Book-ISBN: 978-3-96752-581-6
Copyright (2020) XOXO Verlag
Umschlaggestaltung: Grit Richter
Coverbild: © Cover von Cover Up – Buchcoverdesign /
Bianca Holzmann (www.cover-up-books.de) unter
Verwendung der Bilder von ©Shutterstock
Buchsatz: Alfons Th. Seeboth
Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
XOXO Verlag
ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH
Gröpelinger Heerstr. 149
28237 Bremen
Für Eric und alle anderen,
die ihre Schlachten schlagen
Prolog
Liebe Mel!
Heute war einer dieser Tage, an dem ich schon beim Aufstehen wusste, dass einfach alles schieflaufen würde. Egal ob es die misslungene Klausur, ein Gespräch mit einer Freundin oder der Kampf mit einer machtgeilen Schlampe war. Nichts verlief auch nur ansatzweise positiv. Zwei von dreien hatte ich bis jetzt durch meine eigene Dummheit erfolgreich in den Sand gesetzt und das Letzte drohte auch noch schiefzugehen. Allein, ohne Unterstützung, stand ich nun im alten Stadtpark und versuchte, zumindest mein eigenes Leben zu retten, wenn ich es schon nicht schaffte, die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Meine Beine zitterten und ich spürte, wie die Bisswunden in meiner Wade anfingen zu brennen, während ich mich bemühte, mithilfe meiner letzten Kraftreserven den Auslöser des Chaos zu stoppen. Mein dickflüssiges Blut wurde von meiner Hose aufgesogen und ich fühlte mich sofort zwei Kilo schwerer, weshalb meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt war und ich nur langsam vorankam. Meine Lunge war kurz vor dem Explodieren, ich keuchte laut, und mein warmer Atem verursachte eine Dampfwolke in der Eiseskälte. Vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden hatten wir noch über zwanzig Grad und strahlenden Sonnenschein gehabt, doch jetzt hingen Eiszapfen von den Bäumen und auf dem gefrorenen Boden gingen die mühsam gepflanzten Blumen ein. Bei jeder Bewegung krachte meine Wirbelsäule und irgendwo in meinem Rücken steckte die Klinge eines Messers, die mir permanent Schmerzen bereitete und mich gefährlich schwanken ließ. Es fiel mir schwer, mich auf den Beinen zu halten, die unaufhörlich zitterten und mich daran erinnerten, dass Rabiana recht hatte. Ich war schwach. Ein Nichts im Vergleich zu ihr. Alles in allem war ich heute nicht in Bestform, und wenn nicht bald ein Wunder geschah, würde es mein letzter Tag auf Erden sein. Kannst Du es Dir vorstellen, Mel? Die Angst, die sich in mein Herz schlich und mich panisch werden ließ.
Über mir hörte ich das Geräusch von Milliarden Krähen, die vom Himmel herabfuhren und sich auf Menschen jeder Altersgruppe stürzten. Die Tiere waren größer als gewöhnlich und Blut tropfte von ihrem spitzen Schnabel. Die Federn der Viecher flogen durch die Luft und vereinzelt lagen Stücke ihrer Krallen auf dem Boden. Aus jedem Winkel konnte ich Schreie der Parkbesucher hören und irgendwo rief ein Kind nach seiner Mutter. Erneut zischte eine Krähe haarscharf an meinem Kopf vorbei und knallte gegen einen Baum, bevor das Ding sich wieder aufrappelte und in die Luft abhob, um sich ein Opfer in der Menge auszusuchen. Ein verrücktes Lachen erklang von einem Thron, der in der Mitte der Wiese stand. Rundherum standen schwarz gekleidete Männer und bewegten sich synchron im Kreis, sodass niemand zu der Frau, die auf dem adeligen Stuhl Platz genommen hatte, durchdringen konnte. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid, das mich an die Farbe von Gift erinnerte, und hohe Stöckelschuhe, die als Mordwaffen hätten dienen können. Ihr Haupt wurde von einer Krone aus Federn geschmückt und ich fragte mich, wie viele von ihren Biestern für ihr Accessoire sterben mussten. In der gen Himmel gehobenen Hand hielt Rabiana das Zepter, das Dich das Leben gekostet hatte, und ein irrsinniges Grinsen zierte ihr Gesicht beim Anblick der Zerstörung, die sie verursachte. In ihren Augen loderte der pure Hass, während sie mir entgegensah, und ich versuchte, mich so klein wie möglich zu machen, um ihrem Blick zu entgehen. Gerade noch rechtzeitig ließ ich mich auf die Knie fallen und hob schützend die Arme über den Kopf, als eine Krähe auf mich zuflog und die Zehen der Kreatur meinen Körper aufschlitzten. Wie durch Butter glitten die Krallen durch mein Fleisch und spalteten meine Haut. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Ich wollte keine Schwäche zeigen. Nicht schon wieder. Unter Qualen richtete ich mich auf und ging einen Schritt auf den bewachten Thron zu. Ich musste es nur schaffen, zu Rabiana zu gelangen, damit sie das Zepter fallen ließ und die unnatürlichen Vögel dorthin verschwanden, wo sie hergekommen waren.
Ich stellte ein Bein vor das andere, aber durch die Verletzungen, die meinen Körper schwächten, schaffte ich es nur langsam, mich fortzubewegen.
»Gib nicht auf«, murmelte ich, als mein Fuß umknickte und ein ekelhaftes Knacken zu hören war. Ohne stehen zu bleiben, ging ich auf die Männer in schwarzer Kleidung zu. Alle trugen sie die rabenförmige Brosche über der linken Brust, die sie als Rabianas Anhänger auszeichnete. In den vergangenen Wochen hatte ich gelernt, diesen Anstecker selbst unter Stofflagen zu erspähen und alle Träger sofort inbrünstig zu hassen. Nie wieder würde ich die Zeichen übersehen und einem von IHNEN in die Hände spielen.
»Hör einfach auf, Read. Mach es dir doch nicht so schwer«, brüllte Nathalia, die hinter der herrschsüchtigen Königin stand und sich auf der Lehne des Stuhls abstützte. In ihren Augen leuchtete der Wahnsinn und ich bereute es, dass ich nicht aufmerksamer gewesen war. Wie hatte mir dieses Schimmern in ihren Iriden nicht auffallen können? Wie hatte ich mich so können täuschen lassen?
Sie trug keine Brosche, aber dafür eine schwarze Spange mit dem Motiv des Raben in ihrem dichten Haar. Die Hochsteckfrisur passte wunderbar zu dem roten Kleid, das bis zum Boden reichte und ihren Rücken ausließ. In einem anderen Leben hätte sie für mich wunderschön ausgesehen, doch durch die schwarzen Pechfäden, die um sie herum waberten, hatte ihr Erscheinungsbild, trotz der Glitzersteine am Saum des Kleides und der hohen Schuhe, etwas Beängstigendes. Hunter schien anderer Meinung zu sein. Er stand nur wenige Meter von der vollbusigen Schönheit entfernt und himmelte sie an, während er ihre Hand hielt, als wären ihre Finger aus kostbarem Glas. Seine Augen glänzten und ein dümmliches Lächeln lag auf seinen Lippen. Ob er gleich anfing, wie ein Hund zu sabbern?
Ein Stich zog sich durch meine Magengegend und ich wünschte, in mir würde nicht ein grünes Monster vor Eifersucht wüten. Aber die Wahrheit war: Ich wäre lieber gestorben, als die beiden dabei zu beobachten, wie MEIN Gemahl dem Gesicht von Nathalia immer näherkam. Wie er die Lippen spitzte und sie ein überlegenes Lächeln aufsetzte, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte. Kurz schien Hunter zu überlegen und sich zu fragen, was er tat, doch einer der schwarzen Fäden schlängelte sich um sein Bein und zog ihn zu der Schönheit hin, sodass er fast auf den zierlichen Körper von Nathalia fiel. Keine Sekunde später drückte er seine Lippen auf ihre und seine Zunge schlüpfte in ihren Mund. Fest biss ich die Zähne zusammen, um mich auf etwas anderes als die beiden zu konzentrieren. Doch der leichte Schmerz, der sich durch meinen Kiefer zog, half nicht. Tränen traten in meine Augen und ich wollte mir am liebsten die Pupillen ausstechen, um den Anblick nicht ertragen zu müssen. Es tat weh. Es tat verdammt weh. Weder das Taschenmesser in meinem Rücken noch die Scherbe in meinem Oberschenkel fühlten sich so schmerzhaft an wie dieser Kuss. Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand in meinen Brustkorb gegriffen, mein Herz herausgerissen und wäre darauf herumgetrampelt, bis es aufgehört hatte zu bluten. War das die Strafe dafür, dass ich Hunters Liebe nicht sofort erwidern konnte?
Nathalia stöhnte und drückte sich an den Körper des Schwarzhaarigen, der prompt die Arme um sie schlang und erregt keuchte. Seine Hände fuhren über ihren wohlgeformten Hintern, während sie mit ihren roten Fingernägeln über seine Wangen strich. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel, als sie den Kopf zurückwarf und Hunter ihre Kehle küsste. Vor nicht mehr als zwei Wochen hatte er dasselbe bei meinem Hals getan, dachte ich niedergeschlagen und versuchte erfolglos, mich nicht von meinen Gefühlen übermannen zu lassen. Aber all der Schmerz bahnte sich einen Weg durch meinen Körper und fraß sich durch meine Eingeweide, um an mein verletzliches Herz zu gelangen.
»Töte sie für mich«, stöhnte Nathalia und spielte an einer Haarsträhne, die ihr ins Gesicht fiel. Die Geste hatte etwas Kindliches. Sie wirkte fast unschuldig. Bei jedem anderen hätte ich es süß gefunden, aber ich wusste, dass Nathalia berechnend war. Alles was sie tat, hatte einen Grund. Auch wenn es nur dazu diente, mir zu zeigen, dass sie Hunter genauso leicht um den Finger wickeln konnte wie eine Haarsträhne.
»Töte sie, damit sie uns nicht mehr in die Quere kommen kann«, befahl Nathalia nachdrücklich und drückte ihre Lippen wieder auf den Mund des jüngeren Morgan-Bruders. Kurz erstarrte Hunter in der Bewegung, doch sobald die Anhängerin von Rabiana ihre Zunge zum Einsatz brachte, erstarb sein Widerstand. Danach ging alles rasend schnell. Nathalia drückte ihm ein Messer in die Hand, löste den Kuss und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Schwarzhaarige drehte die Waffe einige Male in der Hand und verbeugte sich vor der Ratsvorsitzenden, die dem Schauspiel von ihrem Platz auf dem Thron gespannt gefolgt war. Wie in Zeitlupe erhob sich Hunter aus der Verbeugung und trat aus dem Kreis der Krieger, bevor er mit schweren Schritten auf mich zuging.
»Hunter«, wimmerte ich ängstlich, aber ich blieb stehen. Was hätte mir weglaufen auch gebracht? Er war auch ohne meine Verletzungen schneller als ich. Selbst wenn ich in Lebensgefahr sein würde, was ich offensichtlich war, würde ich es durch den Blutverlust nicht schaffen, vor ihm wegzulaufen. Früher hätte ich behauptet, dass er mir nie etwas zuleide tun könnte. Heute wusste ich es besser. Heute wusste ich, dass Hunter zu allem fähig war, auch wenn es mich verletzen würde. Der Schwarzhaarige war einfach nicht mehr er selbst. Es war, als wären alle Eigenschaften, die ich an ihm geliebt hatte, von Rabiana und Nathalia ausgelöscht worden.
»Hunter bitte«, flehte ich ihn an und versuchte an den Mann, der für mich alles getan hätte, zu appellieren. Aber seine Mimik blieb starr. Egal, wie viel ich bettelte. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, ließ ich mich auf den Boden fallen und senkte den Kopf. Wenn ich schon sterben musste, wollte ich es wenigstens nicht kommen sehen. Mein Herz raste und drohte mir aus dem Brustkorb zu springen. Ich fühlte eine alles verzehrende Leere in mir und ich schwitze stark. Mein T-Shirt klebte unangenehm an meinem Rücken und meine Hände fühlten sich feucht an. Oder lag das an dem Blut, das auf mir verteilt war?
Es war wie ein Alptraum, dem ich nicht entrinnen konnte, und unentwegt dachte ich daran, dass alles anders gekommen wäre, wenn Du bei mir gewesen wärst. Aber Du warst tot und plötzlich war ich wieder an dem Punkt vor meiner Erwählung. Ich war mutterseelenallein gegen den Rest der Welt. Ich hatte keine Freunde und keine Familie. Das Einzige, was mir blieb, waren die Erinnerungen an Dich und an die lebenden Menschen, die sich nacheinander, dank Rabiana und meinen Entscheidungen, von mir abgewandt hatten. Ich war selbst schuld. Ich hatte der Wahnsinnigen genau in die Hände gespielt und nun würde ich den Preis für meine Naivität zahlen. Hunter, die Liebe meines Lebens, würde mir die Klinge durchs Herz rammen und mich einsam verbluten lassen. Ohne letzte Worte oder der Chance, das Blatt noch mal zu wenden. Ob Tara und Jona mich vermissen würden? Oder werden sie sich immer mit Groll an mich erinnern?
Wenigstens würde ich Dich bald wiedersehen, wo auch immer wir hingehen, wenn wir sterben. Gefällt es Dir an diesem Ort oder bereust Du bereits, Dein Leben für mich geopfert zu haben, weil ich meine Existenz leichtfertig aufs Spiel setzte?
Ich sah die Spitzen seiner schwarzen Lackschuhe, die das Gras zerdrückten, als Hunter genau vor mir stehen blieb und innerlich verabschiedete ich mich von dieser Welt. Ich konnte das Lachen von Rabiana und Nathalia hören, als er den Arm hob und ich spürte den Luftzug in meinem Gesicht, als das Messer durch die Luft sauste. Vielleicht war das mein Schicksal. Was gäbe es Besseres, als durch jemanden zu sterben, den man über alles liebte? Wenn ihn das glücklich machte – wenn Nathalia in ihrem perfekten Kleid und der makellosen Fassade, ihn glücklich machte – wie konnte es dann falsch sein?
Irgendwo vernahm ich das Krächzen eines Raben, aber ich achtete nicht darauf. Ich konzentrierte mich auf den Moment, in dem das Lachen der beiden Hexen verstummte und ich sah, wie sich die Erde mit Blut tränkte. Nicht das bisschen, das ich durch die Einstiche verloren hatte, sondern viel mehr. Es sah fast so aus, als hätte jemand einen Kübel roter Farbe über die Wiese geleert. Zäh rann die Flüssigkeit durch die Grashalme und färbte die Erde rot. Plötzlich roch es nach Tod und Verwesung. Schmerz explodierte in meinem Brustkorb und ich verlor die Fähigkeit zu atmen. Mir wurde schwindelig und ich hatte das Bedürfnis, mich zu übergeben. Schwarze Flecken verklärten meine Sicht, und als Hunter sich vor mir auf die Knie fallen ließ, um vermutlich nochmals zuzustechen, brach mein Herz in tausend Stücke.
Deine Read
Willkommen zurück
Liebe Mel!
Du bist genau vor 161 280 Minuten gestorben. Das entspricht etwa 2688 Stunden oder 112 Tagen. Wenn ich bedenke, dass ein Mensch circa eine Zeitspanne von 80 Jahren lebt, kommen mir diese Zahlen vergleichsweise mickrig vor, aber jede Sekunde ohne Dich ist eine einzige Qual. Nicht nur, weil ich Dich vermisse, sondern vieles in den letzten Wochen einfacher gewesen wäre. Aber dazu später mehr.
Seit meinem letzten Brief ist viel Zeit vergangen und dafür möchte ich mich zuallererst bei Dir entschuldigen. Ich wollte Dir schreiben, aber ich wusste nicht, wie ich Dir erklären sollte, was sich nach Deinem Ableben verändert hat. Nein, das Schulgebäude ist nicht eingestürzt und es sind auch keine Schüler mehr gestorben, obwohl das vielleicht besser gewesen wäre. Rückblickend betrachtet wäre alles besser gewesen als die Wahrheit. Auch wenn das bedeutet hätte, dass noch mehr Unschuldige starben. Zumindest wäre dann nicht die gesamte Bevölkerung in Gefahr gewesen, sondern nur einzelne Opfer. Aber ich schweife schon wieder ab.
Angefangen hatte alles mit der Anhörung im großen Saal. Obwohl es ursprünglich hieß, dass alle Ratsmitglieder die Schule wieder verlassen würden, reiste Rabiana, sehr zu Direktorin Terrents Missfallen, nicht ab. Sie nistete sich, mit dem Vorwand die Schüler in einigen Vorträgen unterrichten zu wollen, im Internat ein. Überraschenderweise drängte dieser Umstand Regan, das Ratsmitglied, das der bösen Königin jederzeit Paroli bot, dazu, sich ebenfalls in der Schule einzuquartieren, um nicht zu weit von Rabiana und den Ratsgeschäften entfernt zu sein, wie sie behauptete. Dass das eine billige Ausrede war, wurde uns spätestens klar, als die restlichen Mitglieder des Rates in andere Hexenstädte geschickt wurden und Regan die Ratsvorsitzende auf Schritt und Tritt verfolgte. Somit hatten wir die Bösen quasi vor der Schlafzimmertür und speziell Jaimie und ich fühlten uns nicht mehr sicher. Wahrscheinlich hätten auch die anderen beschlossen, mit offenen Augen zu schlafen, wenn sie gewusst hätten, warum wir ständig auf der Hut waren. Aber wir fanden es besser, die Bösartigkeit der Ratsvorsitzenden für uns zu behalten, um niemanden zu ängstigen. Wie hätten wir auch erklären sollen, dass Rabiana, die oberste der obersten Hexen, Deine Mörderin war, aber wir ihren Größenwahn leider nicht beweisen konnten?
Besonders Deinem Bruder schien der Umstand, Jonathan etwas zu verheimlichen nicht zu behagen. Nichtsdestotrotz hielt er zu mir und schwieg. Wahrscheinlich, weil er selbst nicht wusste, was zu tun war und er meist mit seinen Gedanken weit weg war. Jaimie, der nach wochenlangem Aufenthalt die Krankenstation endlich wieder verlassen durfte, wurde von Tara, Lora und mir verhätschelt. Dabei kam es oft vor, dass Jaimie in Deinem alten Bett, das immer noch leer stand, übernachtete, um nicht allein in seinem Zimmer schlafen zu müssen. Den Kleinen quälten Alpträume, von denen selbst der Psychologe ihn nicht befreien konnte. Zu Dr. Martin mussten wir alle immer noch regelmäßig gehen, um über das Erlebte zu sprechen. Glücklicherweise waren die Pflichtbesuche mit der Zeit weniger geworden, sodass ich nur noch zweimal im Monat zu diesem Quacksalber musste. Jaimie hatte es nicht so gut getroffen. Anfangs musste er fast täglich eine Stunde in Dr. Martins Büro ausharren und auch, wenn die Besuche sich nun auf einmal in der Woche beschränkten, war es eine Tortur. An manchen Tagen konnte Jaimie nach den Sitzungen, trotz unserer Anwesenheit, kein Auge zumachen. Rabianas erste Amtshandlung als Lehrkraft, nach dem sie unsere nächtlichen Aktivitäten durchschaut hatte, war es, uns eins auszuwischen, indem sie Lora eine neue Mitbewohnerin verschaffte. Die Ratsvorsitzende merkte zu spät, dass sie sich damit ins eigene Fleisch schnitt, als Regan vorschlug, Nicole könnte das Zimmer doch beziehen. Sicher, die Blondine war davon nur wenig begeistert, immerhin wollte sie nichts mit uns zu tun haben, aber es hätte schlimmer sein können. Nach anfänglichem Gezeter und Geschrei hatte Nicole sich beruhigt und lebte nun in friedlicher Koexistenz mit Lora zusammen, obwohl sie ihrem Einzelzimmer nachtrauerte. Natürlich ließen wir deinen Bruder nicht im Stich. Jona überredete die Schulleiterin, Jaimie zu sich ziehen zu lassen, da er sich nicht ewig mit seinem Bruder das Zimmer teilen wollte. Die Begründung war schwach. Zugegeben, wir hätten uns etwas Besseres ausdenken können. Jeder wusste, dass die Morgan-Brüder zusammenhielten wie Pech und Schwefel, aber Terrent fragte nicht weiter nach und bewilligte den Zimmertausch. Natürlich erst nachdem sie bei Regan, deren Nachnamen ich nicht herausfinden konnte, um Erlaubnis gebeten hatte. Zwar erregte der rege Austausch Aufsehen unter den Schülern, doch das kümmerte uns nur wenig. Selbst Jona nahm sich die Gerüchte, die kursierten, nicht zu Herzen, seit sein Vater ihm nicht mehr im Nacken saß. Es fiel ihm auch nicht schwer, die Blicke und die beleidigenden Sprüche zu ignorieren, da er genug damit zu tun hatte, Jaimie zu trösten, wenn in Deinem Bruder wieder eine Erinnerung an Dich aufwallte. Taranee vermisste Dich ebenfalls, aber derzeit war sie zu sehr damit beschäftigt, alles Wissenswerte über Regan herauszufinden, weshalb sie nur wenig Zeit zum Nachdenken hatte. Das jüngste Ratsmitglied war meinen Freunden und mir mehr als suspekt. Einerseits schien sie über Rabianas Machenschaften Bescheid zu wissen und die Vorsitzende zu sabotieren, aber andererseits tat sie aktiv nichts, um ihre Kollegin aufzuhalten. Mir fiel es auch schwer zu ergründen, ob die Frau mit den bunten Haaren unsere Verbündete oder unsere Feindin war, und das verkomplizierte den Umgang mit der neuen Lehrkraft. Aber sie war nicht die Einzige, die mir Sorgen bereitete. Caleb Morgan war immer noch nicht gefunden worden, obwohl die gesamte Hexenge-sellschaft nach ihm suchte. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass Rabiana verhinderte, dass er gefunden wurde.
Ich war auf dem Weg zu Regans Unterricht, als ich mir wieder vorstellte, wie es sein würde, wenn zwei Ratsmitglieder und das Oberhaupt der Morgan-Familie gegen mich und meine Freunde wären. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Das war wirklich kein schöner Gedanke.
Das heutige Thema von Regans Schulstunde war: Korruption in der Hexengesellschaft. Passender hätte ich es gefunden, wenn Rabiana diesen Vortrag gehalten hätte. Trotzdem war ich froh, der bösen Hexe nicht begegnen zu müssen. In letzter Zeit war es mir geglückt, nie mehr als unbedingt notwendig im Unterricht der Ratsvorsitzenden zu verbringen. Ehrlich gesagt ging ich in den ersten fünf Minuten auf die Toilette und kam nicht wieder, bis es klingelte.
Tara schlenderte neben mir die Gänge entlang und schleifte ihre Tasche hinter sich her. Sie hatte in letzter Zeit drastisch an Gewicht verloren, aber ihr Lebensmut war nach Deinem Tod wieder zurückgekehrt, auch wenn es gedauert hatte. Hoffentlich würde ihr Appetit auch von alleine wiederkommen. Ihre schwarze Kleidung kombinierte sie jeden Tag mit Deinem Lieblingsarmband, das sie nach Deinem Ableben aus Deinem Zimmer entwendet hatte. Es sah hübsch an ihrem knochigen Handgelenk aus und Tara schien das Gefühl zu brauchen, etwas von Dir immer bei sich zu tragen. Weshalb niemand sie darauf ansprach. Zu groß war die Angst, dass Tara sich wieder zurückzog. Mir war klar, dass ich sie wie ein rohes Ei behandelte, aber bis jetzt war es ihr noch nicht aufgefallen. Hoffentlich würde es auch noch eine Weile so bleiben.
Um die nächste Ecke bogen Lora und Nathalia, die meine Gedanken in eine andere Richtung drängten. Während Nicole versuchte, so wenig Kontakt wie möglich mit uns zu haben, suchte Nathalia die Nähe meiner Freunde. In unserer Trauer hatte niemand mitbekommen, dass die Brünette immer dort war, wo wir waren. Sie aß bei uns am Tisch, setzte sich im Unterricht abwechselnd neben Lora und Tara und folgte der Tierliebhaberin, wenn wir einen Fernsehmarathon starteten. Schleichend war sie in unseren Freundeskreis gekommen und da niemand sich aktiv gegen eine Freundschaft mit ihr ausgesprochen hatte, wurde sie ein fester Bestandteil unserer Gruppe. Auch wenn sie das Loch, das Du hinterlassen hattest, nicht füllen konnte, machte ihre Anwesenheit den Schmerz über unseren Verlust für Lora erträglicher. Nathalia war ein herzensguter Mensch. Sie half der Tierliebhaberin mit ihren >Rettet die Katzen< – Projekten, weshalb die beiden unzertrennlich waren. Gleichzeitig unterstützte sie Jonathan dabei, Jaimie den Stoff, den er durch seine Zeit in Gefangenschaft verpasst hatte, zu erklären, damit Dein Bruder nicht in den Prüfungen, die demnächst stattfanden, versagte.
»Was meinst du, Read?«, fragte Tara mich von der Seite und kassierte von mir einen verwirrten Blick. Ich hatte keine Ahnung, worüber die drei sprachen.
»Zu Regans Unterricht«, half mir Nathalia freundlich auf die Sprünge und kicherte, weil es mir nicht zum ersten Mal passierte, dass ich alles in meiner Umgebung vergaß, um in Ruhe grübeln zu können. Mir den Kopf zu zerbrechen, war in den letzten Monaten ein Hobby von mir geworden.
»Ich hatte noch nie eine Stunde bei ihr«, erwiderte ich schnell und widmete mich wieder meinen Gedanken, bis wir das Klassenzimmer erreichten. Ich wusste bereits, warum die drei das Thema so sehr interessierte. Die ganze Schule redete inzwischen über die Schulstunden des jüngsten Ratsmitglieds. Angeblich waren sie spektakulär, anders als alle anderen Unterrichtseinheiten und hatten nur wenig mit Lernen zu tun. Auch ich war schon gespannt gewesen, doch ich wollte es lieber auf mich zukommen lassen. Ich konnte mir sowieso nicht vorstellen, wie Unterricht ohne Lernen aussehen sollte.
Es läutete zur nächsten Stunde und wir beschleunigten unsere Schritte, um vor der Lehrkraft ins Klassenzimmer zu kommen. Gesammelt setzten wir uns in die letzte Reihe. Hunter wartete bereits auf uns und klopfte auf den Platz neben sich, als er mich sah.
»Guten Morgen, Prinzessin«, begrüßte er mich und setzte ein 1000-Watt-Lächeln auf. Augenrollend, aber mit einem Grinsen auf den Lippen, schwang ich mich auf den Stuhl und legte mein Buch auf dem Tisch ab. Wie von selbst fand die Hand des Schwarzhaarigen den Weg zu meinem Oberschenkel und blieb auf meinem Bein liegen. Hin und wieder streichelten seine Finger die Innenseiten meiner Schenkel oder mein Knie, bevor seine Hand wieder ruhig liegen blieb. In den letzten Wochen verging keine Minute, in der Hunter mich nicht berührte oder zumindest in meiner Nähe saß. Ich fand es wundervoll, wie sehr er sich um mich bemühte, doch langsam begann es mich im Unterricht zur Weißglut zu treiben. Ich konnte mich auf nichts anderes als das warme Gefühl, das sich an der Stelle, an der er mich berührte, ausbreitete, konzentrieren. Ich wollte ihm sagen, dass er das unterlassen soll, aber in diesem Moment schwang die Türe auf und Regan betrat den Raum. Sie trug die gleiche Robe wie bei der Verhandlung und dennoch sah sie vollkommen anders aus. Ihre Haare hatten die verschiedenen Violett- und Blautöne verloren und waren nun giftgrün, wobei ihre Spitzen gelb leuchteten. In ihrem Nasenflügel befand sich ein Piercing, wie Du es gehabt hattest, und um ihren Hals hing eine filigrane Kette mit einem Pentagramm als Anhänger. Die Lehrerin lächelte, während ihr Blick durch die Sitzreihen streifte. Kurz musterte sie mich und ich bildete mir ein, dass sich ihr Lächeln vertiefte. Mit einer Handbewegung ließ das Ratsmitglied ein Stück Kreide schweben und schrieb das Thema der heutigen Einheit auf die Tafel.
»Das hatten wir doch schon«, hörte ich einen meiner Mitschüler genervt in seinen nicht vorhandenen Bart murmeln und Stille legte sich über das Klassenzimmer. Regans Augen verengten sich zu Schlitzen. Schlagartig wurde es kalt im Raum und ein reißerischer Wind kam auf, der mir eine Gänsehaut bescherte. Die Haare der Lehrerin flatterten um ihre Wangen, während sie auf den Schüler losraste. Ihr Mantel wehte hinter ihrem Körper her und verlieh ihr einen majestätischen Anblick, der nicht zu ihren zusammengebissenen Zähnen passte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich war ungemein froh, im Moment nicht Regans Aufmerksamkeit zu genießen.
»Wenn du dich so gut mit dem Thema auskennst, warum führst du dann nicht die kommende Stunde?«, fragte Regan lauernd und ihre Stimme klang eisig. Die Pupillen des Schülers weiteten sich und Angst war in seiner Miene ablesbar, als er heftig den Kopf schüttelte. Das Grinsen auf seinen Lippen verschwand, als die Tür durch einen Luftzug zuknallte und er durch den lauten Knall zusammenzuckte. Ängstlich wimmerte der Junge und sah sich hilfesuchend im Klassenraum um.
»Nein, danke«, stotterte er und schlang die Arme schützend um seinen Körper, der unter den Blicken der anderen Schüler erzitterte.
»Gut. Dann kann ich mit dem Unterricht fortfahren oder bin ich deiner Aufmerksamkeit nicht würdig?«, zischte Regan und wieder schien das Zimmer um zehn Grad abzukühlen.
»Doch«, sagte der Brillenträger viel zu schnell und rutschte in seinem Sessel weiter nach unten, um mehr Abstand zwischen sich und die wütende Hexe zu bringen. Wahrscheinlich wäre er weggerannt, wenn Regan nicht genau vor ihm gestanden und ihm somit den Weg versperrt hätte.
»Doch, Professorin Terrent-Wilkes«, verbesserte die Lehrerin bissig und der Schüler beeilte sich ihre Worte zu wiederholen. Terrent?, fragte ich mich im Stillen. Ob sie mit der Direktorin verwandt war?
Die Stimmung änderte sich wieder, als der Sturm nachließ und das Glühen in den Augen der Professorin verschwand. Es wurde kuschelig warm, meine Gänsehaut ließ nach und Regan nahm wieder vor der Tafel ihren Platz ein, während die Schüler unruhig zu Boden starrten. Gedanklich notierte ich mir, niemals unüberlegt in ihrem Unterricht den Mund aufzumachen. Ich wollte unter keinen Umständen ihren Zorn auf mich ziehen, da ich mir nicht sicher war, ob sie ihre Augen als Flammenwerfer nutzen konnte, wenn sie wütend genug war. Auch wenn Regan mit ihren flippigen Haaren jugendlich wirkte, war sie eine furchteinflößende Frau und ich schätzte sie als eine Kriegerin ein, die immer an vorderster Front stand. Sie war eine Urgewalt. Wenn sie bereits so reagierte, wenn ein Schüler eine blöde Bemerkung machte, wie würde sie dann erst agieren, wenn sie jemand wirklich verärgerte? Unter ihrer Leitung wäre ein Krieg wahrscheinlich bereits nach vierundzwanzig Stunden beendet, weil sie die streitenden Parteien an den Ohren zueinander schleifen und sie zur Aussprache zwingen würde.
»Gut. Wenn wir das geklärt haben, können wir fortfahren. Gleich vorweg: Den Widerwillen zu lernen oder jegliche Art von Unfriede dulde ich in meinen Stunden nicht. Jeder, der sich der Aufgabe, für wenige Minuten am Tag fleißig zu sein, nicht gewachsen fühlt, hat die Möglichkeit ohne Erklärung den Unterricht von meiner Kollegin Deroux zu besuchen und meine Zeit nicht zu verschwenden. Für diejenigen unter Ihnen, die wirklich etwas aus Ihrem Leben machen wollen, werde ich ein Programm basierend auf Ihren Interessen zusammenstellen«, erklärte die stellvertretende Vorsitzende des Rates und setzte ein kühles Lächeln auf. Ein wenig überraschte es mich schon, dass über die Hälfte der Schüler geschlossen aufstand und den Raum verließ, obwohl Regans Gesichtsausdruck nicht daran zweifeln ließ, dass sie Rabiana für eine inkompetente Lehrerin hielt. Entsetzen und Verwirrung war auf den Mienen der sitzen gebliebenen Schüler zu lesen, doch Regan reagierte gar nicht darauf, dass die Jugendlichen einfach gingen, als hätte es zum Unterrichtsende geläutet.