Czytaj książkę: «Anna Karenina, 2. Band», strona 19

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13

Die alte Jägererfahrung, daß wenn das erste Wild, der erste Vogel, nicht gefehlt worden ist, das Revier günstig bleibt, erwies sich als richtig.

Müde und hungrig, aber beglückt, kehrte Lewin um zehn Uhr morgens, dreißig Werst hinter sich, mit neunzehn Stück schönen Wildprets und einer Ente, die er an den Gürtel gebunden hatte, da sie schon nicht mehr in die Jagdtasche ging, in sein Quartier zurück. Seine Gefährten hatten schon längst ausgeschlafen, hatten Hunger empfunden und gefrühstückt.

„Halt, halt, ich weiß doch, daß es neunzehn sind,“ sagte Lewin, zum zweitenmal die Schnepfen durchzählend, welche jetzt nicht mehr den charakteristischen Anblick zeigten, den sie boten, wie sie aufflogen; zusammengekrümmt und eingeschrumpft, mit dem geronnenen Blute und seitwärts herniederhängenden Köpfchen.

Die Rechnung stimmte und der Neid Stefan Arkadjewitschs kitzelte Lewin. Noch angenehmer aber war ihm, daß er, als er in das Quartier zurückkam, schon einen Boten mit einem Brief von Kity antraf.

„Ich bin gesund und munter. Wenn du Besorgnis um mich hegst, so kannst du wohl noch ruhiger sein, als zuvor. Ich habe jetzt einen neuen Leibhüter, Marja Wlasjewna,“ dies war die Wehfrau, eine neue und wichtige Persönlichkeit im Familienleben Lewins. „Sie ist gekommen, um sich nach mir zu erkundigen, und hat mich vollständig gesund befunden; wir haben sie bis zu deiner Rückkunft dabehalten. Alles ist gesund und munter, aber, bitte, übereile dich nicht, und bleibe, wenn die Jagd gut ist, noch einen Tag.“

Diese beiden freudigen Ereignisse, die glückliche Jagd und der Brief seiner Gattin, waren so schwerwiegend, daß zwei kleine Unannehmlichkeiten nach der Jagd von Lewin leicht verwunden wurden. Die eine bestand darin, daß das braune Handpferd, welches gestern offenbar zu viel geleistet hatte, nicht fraß und den Kopf hängen ließ. Der Kutscher sagte, es sei kreuzlahm.

„Ihr habt es gestern übertrieben, Konstantin Dmitritsch,“ sagte er; „zehn Werst sind wir gar nicht auf dem Weg gefahren.“

Die andere Unannehmlichkeit, die im ersten Augenblick seine gute Laune verdarb, über die er indessen später viel lachte, bestand darin, daß von dem ganzen Vorrat an Lebensmitteln, der von Kity in solcher Fülle mitgegeben worden war, daß es schien, als könne er in einer Woche nicht aufgezehrt werden, nichts mehr übrig war.

Müde und hungrig von der Jagd heimkehrend, hatte Lewin so lebhaft von den Pasteten geträumt, daß er, dem Quartier näher kommend, schon den Duft und den Geschmack derselben im Munde witterte, wie Laska das Wild, und sogleich Philipp befahl, sie ihm zu bringen. Da aber stellte sich heraus, daß nicht nur keine Pasteten, sondern auch keine jungen Hühner mehr da waren.

„Es gab schon Appetit,“ sagte Stefan Arkadjewitsch lachend, auf Wasjenka Wjeslowskij weisend; „ich leide doch nicht gerade Mangel an Appetit, aber dies war bewundernswert“ —

„Nun, aber was jetzt thun!“ sagte Lewin, mürrisch auf Wjeslowskij blickend; „Philipp, so gieb mir Rindfleisch!“

„Das Rindfleisch haben wir gegessen und die Knochen den Hunden gegeben,“ antwortete Philipp.

Lewin ärgerte sich hierüber so, daß er voll Verdruß sagte: „Hätten sie mir auch nur wenigstens etwas übrig gelassen!“ und das Weinen stand ihm nahe.

„So weide denn ein Stück Wildbret aus,“ sagte er mit bebender Stimme zu Philipp, es vermeidend, Wasjenka anzublicken, „und lege Nesseln dazu. Laß dir wenigstens etwas Milch für mich geben.“

Bald darauf indessen, nachdem er die Milch getrunken hatte, that es ihm leid, daß er seinen Verdruß einem fremden Menschen gegenüber ausgesprochen hatte, und er begann über seinen hungrigen Zorn zu lachen.

Am Abend machten sie noch einen Streifzug, in welchem auch Wasjenka mehrere Stück erlegte und kehrten nachts heim.

Die Heimfahrt war ebenso vergnügt, wie die Herfahrt. Wjeslowskij sang bald, bald gedachte er mit Wonne seiner Erlebnisse bei den Bauern, die ihn mit Branntwein bewirtet und ihm gesagt hatten, er solle sich nicht besinnen; bald seiner nächtlichen Abenteuer mit den Nüssen und der Magd und dem Bauer, der ihn gefragt hatte, ob er verheiratet sei, und nachdem er erfahren, es wäre nicht der Fall, ihm gesagt hatte, er solle sich nicht um die Frauen anderer kümmern, sondern möglichst bald selber heiraten. Diese Worte hatten Wjeslowskij ganz besonders heiter gestimmt.

„Im allgemeinen bin ich außerordentlich zufrieden mit unserer Fahrt. Und Ihr, Lewin?“

„Ich bin auch sehr zufrieden,“ antwortete dieser, dem es recht froh zu Mut war, aufrichtig. Er empfand nicht nur keine Feindseligkeit mehr, wie er sie in dem Hause gegen Wasjenka Wjeslowskij gehegt hatte, sondern, im Gegenteil, die freundschaftlichste Gesinnung für denselben.

14

Am andern Tag um zehn Uhr klopfte Lewin, der schon die Ökonomie inspiziert hatte, an das Zimmer, in welchem Wasjenka übernachtete.

Entrez!“ rief ihm dieser entgegen. „Ihr entschuldigt mich wohl, ich bin soeben erst mit meinen ablutions fertig,“ sagte er lächelnd, im bloßen Hemde vor ihm stehend.

„Laßt Euch nicht stören, bitte,“ sagte Lewin und setzte sich ans Fenster. „Habt Ihr gut geschlafen?“

„Wie ein Toter. Was für ein Tag doch heute zur Jagd wäre!“

„Trinkt Ihr Thee oder Kaffee?“

„Weder dies, noch das: ich frühstücke. Mir liegt übrigens etwas auf dem Herzen. Haben sich die Damen bereits erhoben? Jetzt läßt sichs vortrefflich einen Rundgang machen. Zeigt mir doch einmal Eure Pferde!“

Nachdem Lewin mit durch den Garten gegangen und im Pferdestall eine Weile gewesen, selbst einige gymnastische Übungen mit ihm am Barren gemacht hatte, wandte er sich mit seinem Gaste dem Hause wieder zu und trat mit ihm in den Salon.

„Wir haben vortrefflich gejagt, und wieviele Eindrücke empfangen,“ sagte Wjeslowskij, zu Kity gehend, welche hinter dem Ssamowar saß. „Wie schade, daß die Damen dieser Vergnügungen beraubt sind.“

„Nun, er muß doch mit der Frau des Hauses sprechen,“ dachte Lewin bei sich; es zeigte sich ihm wiederum Etwas in dem Lächeln in jenem triumphierenden Ausdruck, mit dem sich der Besucher an Kity wandte.

Die Fürstin, jenseits des Tisches mit Marja Wlasjewna und Stefan Arkadjewitsch sitzend, rief Lewin zu sich und begann mit ihm ein Gespräch über die Umsiedelung nach Moskau wegen der Niederkunft Kitys und der Anstalt zur Bestimmung eines Quartiers.

Wie für Lewin schon alle Vorbereitungen bei der Hochzeit unangenehm gewesen waren, die mit ihrer Niedrigkeit die Erhabenheit dessen, was sich vollzog, beeinträchtigten, so erschienen ihm die Anstalten für die bevorstehende Niederkunft, deren Zeit gleichsam an den Fingern abgezählt wurde, noch verletzender. Er suchte geflissentlich während dieser ganzen Zeit, die Gespräche über die Art der Windelung des zu erwartenden Kindes zu überhören; er bemühte sich, gewisse geheimnisvolle endlose gestrickte Streifen, gewisse dreieckige Stückchen Leinwand, denen namentlich Dolly eine besondere Wichtigkeit beimaß, und andere Dinge von sich zu weisen und nicht zu sehen.

Das Ereignis der Geburt eines Sohnes – er war überzeugt, es werde ein Sohn sein – das man ihm in Aussicht gestellt hatte, an welches er aber gleichwohl nicht zu glauben vermochte, so ungewöhnlich dünkte es ihm – erschien ihm einerseits als ein so ungeheuerliches und daher unmögliches Glück, anderseits als ein so geheimnisvoller Vorgang – daß diese vermeintliche Kenntnis dessen, was kommen würde, und demnach die Vorbereitung dazu als zu etwas Gewöhnlichem, von Menschen herbeigeführtem, ihm ärgerlich und herabwürdigend vorkam.

Aber die Fürstin verstand seine Empfindungen nicht; sie erklärte seine Unlust, darüber zu denken, zu sprechen, als Leichtsinn und Gleichgültigkeit; und ließ ihn infolge dessen nicht in Ruhe. Sie übertrug es Stefan Arkadjewitsch, eine Wohnung zu besichtigen, und rief nun Lewin zu sich.

„Ich weiß nichts, Fürstin. Thut, was Ihr wollt,“ sagte dieser.

„Es muß aber ein Entschluß gefaßt werden, wann Ihr übersiedelt.“

„Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, daß Kinder zu Millionen auch ohne Moskau geboren werden, und ohne Ärzte – wozu das“ —

„Aber wenn es so steht“ —

„Nun; wie Kity will“ —

„Mit Kity läßt sich hierüber nicht reden. Wie; willst du, daß ich sie erschrecken soll? In diesem Frühling ist die Nataly Galizina gestorben durch die Schuld eines Geburtsfehlers.“

„Wie Ihr sagt, werde ich thun,“ sagte er finster.

Die Fürstin begann nun mit ihm weiter zu sprechen, aber er hörte sie gar nicht. Obwohl ihn das Gespräch mit der Fürstin verstimmte, wurde er nicht infolge desselben mißlaunig, sondern durch das, was er bei dem Ssamowar sah.

„Nein; es ist unmöglich,“ dachte er, bisweilen nach Wasjenka blickend, der zu Kity herniedergebeugt, dieser mit seinem hübschen Lächeln etwas erzählte, und sie anblickte, die errötete und erregt war. Es lag etwas Indecentes in der Stellung Wasjenkas, in seinem Blick, und seinem Lächeln. Lewin sah sogar etwas Indecentes auch in der Haltung und im Blick Kitys. Und wiederum verfinsterte sich die Welt vor seinen Augen. Wiederum, wie gestern, plötzlich, ohne den geringsten Übergang, fühlte er sich von der Höhe seines Glückes, seiner Ruhe und Würde herabgeschleudert, in einen Abgrund der Verzweiflung, Wut und Erniedrigung. Wiederum wurde ihm jedermann und alles widerlich.

„Macht was Ihr wollt, Fürstin,“ sagte er nochmals, sich umblickend.

„Es ist gar schwer, alles allein thun zu sollen,“ sagte Stefan Arkadjewitsch scherzweise zu ihm, offenbar nicht nur auf das Gespräch mit der Fürstin deutend, sondern auch auf die Ursache der Aufregung Lewins, welche er bemerkt hatte. „Wie kommst du heute so spät, Dolly!“

Alles erhob sich, um Darja Alexandrowna zu begrüßen. Wasjenka stand nur für eine Minute auf, und verbeugte sich kaum, mit dem den neumodischen jungen Herrn eigenem Mangel an Höflichkeit gegen die Damen, worauf er seine Unterhaltung wieder fortsetzte, über irgend etwas in Gelächter ausbrechend.

„Mich hat Mascha gepeinigt. Sie schlief schlecht und ist heute entsetzlich launisch gewesen,“ sagte Dolly.

Das Gespräch, welches Wasjenka und Kity pflogen, drehte sich wiederum um das gestrige Thema, um Anna und die Frage, ob die Liebe höher stehen könne als die Gesetze der Welt.

Kity war das Gespräch unangenehm geworden; es regte sie schon durch seinen Inhalt auf, sowie durch den Ton, in welchem es geführt wurde, namentlich aber dadurch, daß sie schon inne geworden war, wie es auf ihren Mann wirke. Sie war indessen zu naiv und zu unschuldig, um es zu verstehen, das Gespräch abzubrechen, etwa schon um deswillen, jenes äußere Behagen, welches ihr die sichtliche Aufmerksamkeit dieses jungen Mannes verursachte, zu verbergen.

Sie wollte das Gespräch abbrechen, wußte aber nicht, was sie da zu thun habe. Was sie auch alles thun mochte, sie wußte, es wurde von ihrem Gatten bemerkt, und alles werde auch nach der üblen Seite ausgelegt werden.

Und in der That, als sie Dolly frug, was mit Mascha sei, und Wasjenka wartete, bis dieses für ihn langweilige Gespräch vorüber sein werde, und er sich einstweilen damit beschäftigte, Dolly gleichgültig anzuschauen, so erschien Lewin diese Frage unnatürlich und anwidernd in ihrer Verschmitztheit.

„Nun; werden wir denn heute in die Pilze gehen?“ frug Dolly.

„Laß uns gehen, bitte; auch ich komme mit!“ sagte Kity und errötete. Sie wollte Wasjenka aus Höflichkeit fragen, ob er mitkäme, frug aber nicht. „Wohin willst du, Konstantin?“ frug sie mit schuldbewußtem Ausdruck ihren Gatten, als dieser mit entschlossenem Schritt an ihr vorüberging. Dieser schuldbewußte Ausdruck bestätigte alle seine Zweifel.

„In meiner Abwesenheit ist ein Maschinist angekommen, ich habe ihn noch nicht gesehen,“ sagte er, ohne sie anzublicken. Er ging hinab, hatte aber das Kabinett noch nicht verlassen, als er die wohlbekannten Schritte seiner Frau vernahm, die ihm unvorsichtig schnell nachkam. „Was willst du?“ sagte er lakonisch zu ihr. „Ich bin beschäftigt.“

„Entschuldigt,“ wandte sie sich an den deutschen Maschinisten, „ich habe einige Worte mit meinem Manne zu sprechen.“

Der Deutsche wollte gehen, doch Lewin sagte zu ihm:

„Laßt Euch nicht stören.“

„Den Dreiuhrzug?“ frug der Deutsche, „sollte man sich nicht verspätigen können?“

Lewin antwortete ihm nicht, sondern ging mit seiner Frau hinaus.

„Nun, was habt Ihr mir zu sagen?“ sprach er auf französisch.

Er blickte nicht in ihr Gesicht, wollte nicht sehen, daß sie, in ihrem Gesundheitszustand im ganzen Gesicht bebte und einen kläglichen beschämten Ausdruck zeigte.

„Ich – ich will sagen, daß man so nicht leben kann, daß das eine Marter ist,“ fuhr sie fort.

„Es sind Leute dort im Büffett,“ sprach er zornig, „macht keine Scene!“

„Nun; gehen wir hierher!“

Sie standen in einem Zwischenzimmer. Kity wollte in das Nebenzimmer treten, doch dort unterrichtete die Engländerin Tanja.

„So wollen wir in den Garten gehen.“

Im Garten stießen sie auf einen Mann, welcher den Weg säuberte. Aber ohne daran zu denken, daß der Mann ihr verweintes Gesicht sehe und Lewins erregte Züge, ohne daran zu denken, daß sie den Anblick von Menschen boten, welche vor einem Unglück fliehen, gingen sie mit schnellen Schritten vorwärts im Gefühl, daß sie sich aussprechen und gegenseitig überzeugen müßten; von einer und derselben Qual eingenommen oder befreit werden müßten, die sie beide empfanden.

„So läßt sich nicht leben! Das ist eine Qual! Ich leide, du leidest! Und weshalb?“ sagte sie, als beide endlich zu einer abgelegenen Bank in der Ecke einer Lindenallee gekommen waren.

„Sage mir nur das Eine: War in seinem Tone etwas Unehrerbietiges, Unlauteres, Erniedrigendes?“ sprach er, vor sie wieder in der nämlichen Stellung tretend, die Fäuste auf der Brust, wie er in jener Nacht vor ihr gestanden.

„Es lag etwas darin,“ sagte sie mit zitternder Stimme. „Aber, mein Konstantin, siehst du denn nicht, daß ich gar nicht schuldig bin? Seit dem Morgen schon wollte ich einen Ton annehmen – aber diese Menschen – warum ist er nur gekommen? Wie glücklich waren wir!“ sprach sie, tiefatmend vor Schluchzen, welches ihren sich allmählich füllenden Körper hob.

Der Gärtner sah mit Verwunderung – trotzdem, daß sie nichts verfolgte und sie nichts zu fliehen hatten, daß auch auf der Bank nichts besonderes Erfreuliches zu finden sein konnte – daß sie an ihm vorüber nach dem Hause zurückkehrten, mit beruhigten, freudeschimmernden Gesichtern.

15

Nachdem Lewin sein Weib hinausbegleitet hatte, begab er sich in die Gemächer Dollys. Darja Aleksandrowna ihrerseits war den ganzen Tag in großer Erbitterung gewesen. Sie ging im Zimmer auf und ab und sprach zornig zu ihrem in der Ecke stehenden weinenden kleinen Töchterchen.

„Den ganzen Tag wirst du in der Ecke stehen und allein zu Mittag essen; du sollst nicht eine einzige Puppe mehr zu sehen bekommen und auch kein neues Kleid laß ich dir machen,“ sprach sie, gar nicht mehr wissend, womit sie sie noch weiter strafen sollte. „Nein, ist das ein häßliches Kind!“ wandte sie sich zu Lewin. „Woher kommen bei ihr diese schlimmen Neigungen?“

„Was hat sie denn begangen?“ sagte ziemlich gleichgültig Lewin, der sich über seine eigene Angelegenheit Rats zu erholen gewünscht hatte, und dem es daher verdrießlich war, daß er zur unrechten Zeit kam.

„Sie sind mit Grischa nach den Himbeeren gegangen und dort – ich kann dir gar nicht sagen, was sie gethan hat! Tausendmal bedauere ich Miß Elliot. Die jetzige Gouvernante übt um keinen Preis Aufsicht. Sie ist eine Maschine. Figurez vous, que la petite“ – und Darja Aleksandrowna erzählte das Vergehen Maschas.

„Dies beweist noch gar nichts; dies sind durchaus keine häßlichen Neigungen, es ist einfach Mitleid,“ beruhigte sie Lewin.

„Aber du bist wie mißgestimmt? Weshalb kamst du?“ frug Dolly, „wie geht es drüben?“

An dem Tone dieser Frage hörte Lewin, daß es ihm leicht sein würde, zu sagen, was er zu sagen beabsichtigte.

„Ich war nicht drüben, ich war mit Kity allein im Garten. Wir haben uns ein zweites Mal gezankt, seit – Stefan gekommen ist.“ —

Dolly blickte ihn mit klugen, verständnisvollen Augen an.

„Nun, sag' mir, Hand aufs Herz, wäre etwa nicht – nicht bei Kity, sondern bei jenem Herrn ein Ton, welcher unangenehm werden kann, nicht nur unangenehm, sondern furchtbar, verletzend für einen Gatten?“

„Das heißt – wie soll ich sagen – du bleibst stehen, in der Ecke!“ – wandte sie sich zu Mascha, welche, ein kaum bemerkbares Lächeln auf dem Gesicht der Mutter gewahrend, sich umgedreht hatte; „die Meinung der Welt wäre die, daß er sich benimmt, wie sich alle jungen Männer benehmen. Il fait la cour à une jeune et jolie femme, ein Mann von Welt aber darf nur geschmeichelt sein hiervon.“

„Ja, ja,“ versetzte Lewin düster, „aber hast du es bemerkt?“

„Nicht nur ich, auch Stefan hat es bemerkt. Er hat mir nach dem Thee offen gesagt, je crois, que Weslowskij fait un petit brin de cour à Kity.“

„Schön; jetzt bin ich beruhigt. Ich werde ihn davonjagen,“ sagte Lewin.

„Was willst du, hast du den Verstand verloren?“ rief Dolly mit Schrecken. „Was thust du, Konstantin, komme zur Besinnung!“ sagte sie dann lachend – „jetzt kannst du zu Fanny gehen“ – wandte sie sich zu Mascha. – „Nein; wenn du schon willst, so werde ich es Stefan sagen; er mag ihn mit fortnehmen. Man kann ja sagen, du erwartetest Gäste. Überhaupt gehört er ja nicht zu unserem Hause.“

„Nein; das sage ich auch.“

„Aber du wirst Händel suchen?“

„Keineswegs. Mir wird es so ganz lieb sein,“ sagte Lewin, in der That mit heiter glänzenden Augen. „Nun aber vergieb ihr, Dolly; sie wird es nicht wieder thun,“ sagte er zu der kleinen Sünderin, die nicht zu Fanny ging und unentschlossen vor der Mutter stand von unten her schielend und wartend, und ihren Blick suchend.

Die Mutter schaute sie an. Das Kind begann zu schluchzen und vergrub das Gesicht zwischen die Kniee der Mutter, Dolly aber legte ihre hagere, zarte Hand auf des Kindes Haupt.

„Was ist denn Gemeinsames zwischen uns und ihm?“ dachte Lewin, und ging, um Wjeslowskij aufzusuchen.

Als er durch das Vorzimmer ging, befahl er anzuspannen, um auf die Station fahren zu können.

„Es ist gestern die Feder gebrochen,“ antwortete der Diener.

„Dann nehmt den Tarantaß, aber schnell! Wo ist der Besuch?“

Sie gingen nach seinem Zimmer.

Lewin traf Wasjenka gerade, als dieser, der seine Sachen aus dem Koffer ausgepackt und neue Romanzen aufgeschlagen hatte, Gamaschen zum Reiten anprobierte.

Lag nun im Gesicht Lewins etwas Besonderes, oder empfand Wasjenka selbst, daß ce petit brin de cour, den er angestiftet, in dieser Familie unstatthaft wäre; genug, er wurde ein wenig – soviel dies eben ein Weltmann werden kann – verlegen beim Eintritt Lewins.

„Ihr wollt in Gamaschen reiten?“

„Ja; das ist bei weitem sauberer,“ sagte Wasjenka, den feisten Fuß auf einen Stuhl stellend, und die unterste Schnalle zumachend, wobei er heiter lächelte.

Er war unzweifelhaft ein ganz guter Mensch und that Lewin leid. Dieser kämpfte mit sich selbst, als Herr des Hauses, als er die Schüchternheit im Blick Wasjenkas wahrnahm.

Am dem Tische lag ein Stück eines Stockes, den sie am Morgen beim Turnen zusammen zerbrochen hatten, indem sie probierten, den Barren zu heben. Lewin nahm den Trümmer in die Hand und begann, da er nicht wußte, wie er anfangen sollte, das zersplitterte Ende rund herum abzubrechen.

„Ich wollte – “ er verstummte, sagte aber dann plötzlich, Kitys gedenkend und alles dessen, was geschehen war, und ihm entschlossen in die Augen blickend, „ich habe befohlen, für Euch anspannen zu lassen.“

„Was heißt das?“ begann Wasjenka voll Verwunderung, „wohin soll es gehen?“

„Ihr sollt zur Bahn fahren,“ sagte Lewin finster, die Spitze des Stockes abzupfend.

„Verreist Ihr, oder ist etwas vorgefallen?“

„Es ist das vorgefallen, daß ich Besuch erwarte,“ sprach Lewin, schneller und schneller mit den starken Fingern die Zacken des zersplitterten Stockes abbrechend. „Oder vielmehr ich erwarte nicht Besuch, und es ist nichts vorgefallen, aber ich ersuche Euch, abzureisen. Ihr mögt Euch meine Unhöflichkeit erklären, wie Ihr wollt.“

Wasjenka richtete sich auf.

„Ich bitte Euch, mir zu erklären,“ sprach er mit Würde, endlich begreifend.

„Ich kann Euch nicht erklären,“ fuhr Lewin, gedämpften Tones und langsam sprechend fort, sich bemühend, das Beben seiner Kinnbackenmuskeln zu verbergen, „und es ist auch besser für Euch, nicht zu fragen.“

Da sämtliche zersplitterte Enden bereits abgebrochen waren, machte sich Lewin mit den Fingern an die dicken Enden, riß den Stock auseinander und hob das hingefallene Stück sorgsam auf.

Wahrscheinlich mochte der Anblick dieser straffangestrengten Hände, dieser Muskeln da, welche er heute früh beim Turnen befühlt hatte, der blitzenden Augen, der gedämpften Stimme und der bebenden Kinnbacken Wasjenka mehr als Worte überzeugen; er verbeugte sich, nachdem er die Achseln gezuckt und verächtlich gelächelt hatte.

„Kann ich nicht Oblonskiy sehen?“

Das Achselzucken und Lächeln brachten Lewin nicht auf, „was bleibt ihm weiter übrig?“ dachte dieser.

„Ich werde ihn sofort zu Euch schicken.“

„Was ist das für ein Unsinn,“ sagte Stefan Arkadjewitsch der von dem Freunde erfahren hatte, daß man ihn aus dem Hause jage, zu Lewin, als er diesen im Garten fand, wo er, die Abfahrt des Gastes erwartend, spazieren ging.

Mais c'est ridicule! Was für eine Fliege hat dich denn gestochen. Mais c'est du dernier ridicule! Was ist dir darin erschienen, daß ein junger Mann“ —

Die Stelle, an welcher Lewin die Fliege gestochen hatte, schmerzte aber offenbar noch, da derselbe abermals bleich wurde, als Stefan Arkadjewitsch ihm die Ursache klarmachen wollte, und diesen hastig unterbrach.

„Bitte, erkläre mir keine Ursache! Ich kann nicht anders! Es thut mir sehr leid um deinet- und seinetwillen, aber ihm, glaube ich, verursacht es kein großes Herzeleid, abreisen zu müssen, während mir und meiner Frau seine Gegenwart unangenehm ist.“

„Es ist dies aber eine Beleidigung für ihn! Et puis c'est ridicule!“

„Auch für mich ist es beleidigend und peinlich! Und doch bin ich an nichts schuld, und habe keinen Grund, leiden zu sollen!“

„Das hätte ich nicht von dir erwartet! On peut être jaloux, mais à ce point, c'est du dernier ridicule!“

Lewin wandte sich schnell um und ging von ihm hinweg in die Tiefe der Allee, wo er seinen Spaziergang allein auf und abwärts fortsetzte. Bald vernahm er das Rollen des Tarantaß und sah hinter den Bäumen hervor, wie Wasjenka, auf Heu sitzend, denn leider gab es keine Sitzbank in dem Tarantaß, mit seiner schottischen Mütze, von den Stößen in die Höhe schnellend, durch die Allee fuhr.

„Was giebt es denn noch?“ dachte Lewin, als ein Diener, der aus dem Hause eilte, den Tarantaß halten ließ. Es war der Maschinist, den Lewin gänzlich vergessen hatte. Nachdem derselbe gegrüßt hatte, sprach er etwas mit Wasjenka, stieg darnach auf den Tarantaß und sie fuhren zusammen ab.

Stefan Arkadjewitsch und die Fürstin waren verstimmt von der Handlungsweise Lewins. Auch dieser selbst fühlte sich nicht nur im höchsten Grade „ridicule“, sondern auch schuldig und beschimpft; als er sich aber vergegenwärtigte, was er und sein Weib gelitten hatten, gab er sich, indem er sich selbst frug, wie er ein zweites Mal handeln würde, die Antwort, daß er es ganz wieder so gemacht hätte.

Trotz alledem war zu Ende dieses Tages jedermann, mit Ausnahme der Fürstin, welche Lewin sein Verfahren nicht verzeihen konnte, außergewöhnlich lebhaft und heiter, gleichwie Kinder nach einer Bestrafung oder Erwachsene nach einem wichtigen offiziösen Empfang, so daß abends in der Abwesenheit der Fürstin von der Entfernung Wasjenkas gesprochen wurde, wie von einem längst geschehenen Vorfall.

Auch Dolly, welche von ihrem Vater die Gabe besaß, humoristisch zu erzählen, brachte Warenka zu dem herzlichsten Lachen, als sie zum dritten oder vierten Mal, mit immer neuen humoristischen Zuthaten berichtete, wie sie gerade dabei gewesen sei, ihre neuen Halbstiefeln des Gastes halber anzulegen und schon in den Salon gegangen sei, als sie plötzlich das Kreischen einer alten Karrete vernommen hätte. Und wer hätte darin gesessen? Wasjenka, mit der schottischen Mütze und den Romanzen, mit den Reitgamaschen, auf dem Heu.

„Hätte er nur wenigstens den Wagen anspannen lassen! Aber nein! und dann hörte ich „halt!“ – Nun, denke ich, man hat Mitleid mit ihm bekommen! Ich sehe nach; da setzt man noch den dicken Deutschen zu ihm und fährt ihn weiter. Aus war es mit meinen hübschen schottischen Bändern.“

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Ograniczenie wiekowe:
12+
Data wydania na Litres:
27 września 2017
Objętość:
640 str. 1 ilustracja
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