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Czytaj książkę: «Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen», strona 42

Czcionka:

46
Gen Süden! Gen Süden!

Der erste Reisetag

Samstag, 1. Oktober

Nils Holgersson saß auf dem Rücken des weißen Gänserichs und ritt hoch droben durch die Lüfte. Einunddreißig Wildgänse flogen in wohlgeordnetem Zuge rasch südwärts. Ihre Federn rauschten, und die vielen Flügel schlugen mit so lautem Sausen durch die Luft, daß man fast sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Akka von Kebnekajse flog an der Spitze, hinter ihr kamen Yksi und Kaksi, Kolme und Neljä, Viisi und Kuusi, der Gänserich Martin und Daunenfein. Die sechs jungen Gänse, die sich im letzten Herbst der Schar angeschlossen hatten, waren nun fortgeflogen, um sich auf eigene Faust durchzubringen. Statt dessen hatten die Gänse zweiundzwanzig junge Gänse bei sich, die in diesem Sommer im Felsental herangewachsen waren. Elf von ihnen flogen rechts und elf links, und sie gaben sich alle Mühe, denselben Abstand zwischen sich einzuhalten wie die großen Gänse.

Die armen Jungen hatten noch nie eine große Reise gemacht, und im Anfang wurde es ihnen sehr schwer, bei dem raschen Fluge der Alten mitzukommen.

„Akka von Kebnekajse! Akka von Kebnekajse!“ riefen sie in jammervollem Tone.

„Was gibts?“ fragte die Anführerin.

„Unsere Flügel sind von dem vielen Schlagen müde!“ schrien die Jungen.

„Je länger ihr weitermacht, desto besser geht es,“ erwiderte die Anführerin; und sie flog auch nicht ein bißchen langsamer, sondern ebenso geschwind wie zuvor. Und es war wirklich, als ob sie recht behalten sollte, denn nachdem die jungen Gänse ein paar Stunden geflogen waren, klagten sie nicht mehr über Müdigkeit. Droben im Felsental waren sie jedoch den ganzen Tag auf der Weide gewesen, und es dauerte deshalb nicht lange, bis sie sich nach Nahrung sehnten.

„Akka, Akka, Akka von Kebnekajse!“ riefen die jungen Gänse mit kläglicher Stimme.

„Was gibts jetzt?“ fragte die Anführerin.

„Wir sind so hungrig, daß wir nicht mehr weiter fliegen können!“ schrien die Jungen. „Wir sind so hungrig, daß wir nicht mehr weiter fliegen können!“

„Die Wildgänse müssen es lernen, Luft zu essen und Wind zu trinken!“ antwortete die Anführerin, und sie hielt nicht an, sondern flog gerade wie vorher weiter.

Es war auch beinahe, als lernten es die Jungen wirklich, von Luft und Wind zu leben, denn nachdem sie wieder eine Weile geflogen waren, klagten sie nicht mehr über Hunger. Die Schar war noch immer droben zwischen den Bergen, und die alten Gänse riefen mit lauter Stimme die Namen aller der Berggipfel, an denen sie vorüberkamen, damit die Jungen lernten, wie sie hießen. Aber nachdem es eine Zeitlang so fortgegangen war: „Das ist Porsotjokko, das ist Sarjektjokko, das ist Sulitelma!“ wurden die Jungen aufs neue ungeduldig.

„Akka, Akka, Akka!“ riefen sie mit herzzerreißender Stimme.

„Was gibts denn?“ fragte die Anführerin.

„Wir können nicht noch mehr Namen in unseren Kopf hineinbringen!“ schrien die Jungen. „Wir können nicht noch mehr Namen in unseren Kopf hineinbringen!“

„Je mehr in euren Kopf hineinkommt, desto mehr Platz habt ihr darin,“ antwortete die Anführerin; und sie rief ihnen die merkwürdigen Namen gerade wie vorher zu.

Nils Holgersson dachte auch, es sei höchste Zeit für die Wildgänse, südwärts zu ziehen, denn es war schon sehr viel Schnee gefallen; soweit das Auge reichte, war die Erde ganz weiß. Und es war auch in der letzten Zeit im Felsental tatsächlich recht unbehaglich gewesen. Regen und Sturm und Nebel hatten unaufhörlich miteinander abgewechselt, und wenn sich das Wetter je einmal aufhellte, hatte sogleich starker Frost eingesetzt. Die Beeren und Pilze, von denen sich der Junge den Sommer hindurch ernährt hatte, erfroren oder verfaulten. Schließlich hatte er sich mit rohen Fischen sättigen müssen, und das war ihm äußerst unangenehm gewesen. Die Tage wurden immer kürzer, und bei den langen Abenden und dem immer späteren Tagesanbruch war es natürlich sehr traurig und langweilig für den Jungen gewesen; denn er konnte ja seine Natur nicht so einrichten und nicht genau so lange schlafen, wie die Sonne verschwunden war.

Dann aber hatten die Gösselchen allmählich so große Flügel bekommen, daß die Reise gen Süden unternommen werden konnte, und der Junge war hochbeglückt darüber. Er sang und lachte in einem fort, während er jetzt auf dem Rücken des Gänserichs dahinflog. Ach, er sehnte sich nicht nur von Lappland fort, weil es da droben jetzt trüb und dunkel und kalt und mit der Nahrung knapp bestellt war, nein, er hatte auch noch andere Gründe dazu.

In den ersten Wochen hatte er da droben durchaus nicht an Heimweh gelitten. Er meinte, noch niemals in einem so wunderschönen Lande gewesen zu sein, und hatte keine anderen Sorgen, als sich der Mückenschwärme zu erwehren, damit sie ihn nicht ganz und gar auffräßen. Von dem weißen Gänserich sah er in dieser Zeit nicht viel; denn der große Weiße dachte an nichts andres, als für Daunenfein zu sorgen, und wich keinen Schritt von ihrer Seite. Da hatte sich der Junge an die alte Akka und an den Adler Gorgo gehalten, und die drei hatten viele vergnügte Stunden miteinander verbracht. Er war von den Vögeln auf weite Ausflüge mitgenommen worden; Nils Holgersson hatte sogar oben auf dem schneebedeckten Kebnekajse gestanden und auf die Gletscher hinabgeschaut, die sich dort unter dem steilen Bergkegel ausbreiten. Der Junge war auch noch auf vielen andern hohen Berggipfeln gewesen, die nur sehr selten von einem Menschenfuß betreten worden sind. Akka zeigte ihm verborgene Täler zwischen den Bergen und ließ ihn in Felsenschluchten hinabsehen, wo die Bärinnen ihre Jungen aufzogen. Es versteht sich von selbst, daß er auch die Bekanntschaft der zahmen Renntiere machte, die in großen Scharen an den Ufern des schönen Torneteich weideten; und er war auch drunten an dem großen Sjöfall gewesen und hatte den dort wohnenden Bären von ihren Verwandten im Bergwerkdistrikt Grüße bestellt. Wo immer er hinkam, – überall war das Land wunderschön; er freute sich auch von Herzen, daß er alles sehen durfte, und doch hätte er nicht immer da leben mögen. Er mußte Akka recht geben, wenn sie sagte: „Die schwedischen Ansiedler sollten dieses Land nicht beunruhigen, sondern es wie bisher den Bären und Wölfen und Renntieren und Wildgänsen, den Bergeulen, den Wühlmäusen und den Lappen überlassen, die dazu geschaffen sind, da zu leben.“

Eines Tages war Akka mit ihm auf eines der großen Grubenfelder geflogen, und da hatte er Klein-Mats von einem Sprengschuß zerschmettert an der Grubenöffnung gefunden. In den nächsten Tagen hatte der Junge dann an nichts weiter denken können, als wie er dem Gänsemädchen Åsa helfen könnte; nachdem aber diese ihren Vater gefunden hatte und seiner Hilfe nicht mehr bedurfte, wanderte er meistens in dem Felsental umher; und von dieser Zeit an sehnte er sich nach dem Tag, wo er mit dem Gänserich Martin heimkehren und wieder ein Mensch werden würde. Ach, er wollte doch so gerne wieder so werden, daß das Gänsemädchen Åsa mit ihm zu sprechen wagte und ihm nicht vor lauter Angst die Tür vor der Nase zuschlüge!

Ja, ja, Nils Holgersson war überglücklich, daß es nun südwärts ging. Als der erste Fichtenwald auftauchte, schwang er seine Mütze und rief Hurra! und auf dieselbe Weise begrüßte er das erste graue Ansiedlerhaus, die erste Ziege, die erste Katze und die ersten Hühner. Der Weg führte über prachtvolle Wasserfälle hin, und zu seiner Rechten sah der Junge wunderschöne Berge; aber an solche Herrlichkeiten war er jetzt so gewöhnt, daß er kaum noch einen Blick auf sie warf. Etwas andres war es, als er östlich von den Bergen die Kapelle von Kvickjock, von einem kleinen Pfarrhof und einem kleinen Dorfe umgeben, erblickte. Dieser Anblick ergriff ihn so mächtig, daß ihm die Tränen in die Augen traten.

Die ganze Zeit trafen die Wildgänse mit andern Zugvögeln zusammen, die jetzt in etwas größeren Scharen als im Frühling einhergeflogen kamen.

„Wohin, ihr Wildgänse, wohin?“ riefen die Zugvögel.

„Ins Ausland, wie ihr auch!“ antworteten die Wildgänse. „Ins Ausland, ins Ausland!“

„Die Jungen sind ja noch nicht ganz ausgewachsen!“ riefen die andern. „Mit so kleinen Flügeln kommen sie nie übers Meer hinüber!“

Die Lappen und die Renntiere zogen nun auch von den Bergen herunter. Sie kamen in guter Ordnung daher: ein Lappe führte den Zug an, dann kam die Herde mit den großen Renntierstieren in den ersten Gliedern, hierauf eine Reihe Lasttiere, die die Zelte und das andre Eigentum der Lappen trugen, und zum Schlusse etwa sieben bis acht Menschen.

Als die Wildgänse die Renntiere sahen, ließen sie sich etwas hinuntersinken und riefen ihnen zu: „Habt schönen Dank für den Sommer! Habt schönen Dank für den Sommer!“

„Glückliche Reise und auf Wiedersehen im nächsten Jahr!“ antworteten die Renntiere.

Aber als die Bären die Wildgänse sahen, zeigten sie sie ihren Jungen und brummten: „Seht, seht! Diese dort fürchten sich vor ein bißchen Kälte; deshalb bleiben sie im Winter nicht daheim.“

Aber die alten Wildgänse blieben den Bären die Antwort nicht schuldig, sondern riefen den Jungen zu: „Seht, seht! Diese verschlafen lieber das halbe Jahr, als daß sie sich der Mühe unterziehen, südwärts zu reisen!“

Drunten in den Fichtenwäldern saßen die jungen Auerhähne zerzaust und verfroren beieinander und sahen den großen Vogelscharen, die jubelnd und fröhlich südwärts zogen, mit sehnsüchtigen Augen nach.

„Wann kommt die Reihe an uns?“ fragten sie die Auerhähne. „Wann kommt die Reihe an uns?“

„Ihr müßt bei Vater und Mutter daheim bleiben,“ sagten die alten Auerhähne. „Ihr müßt bei Vater und Mutter daheim bleiben.“

Auf dem Östberge

Dienstag, 4. Oktober

Wer sich je in Gebirgsgegenden aufgehalten hat, weiß, wie beschwerlich der Nebel sein kann, wenn er sich über eine Landschaft hereinwälzt und die ganze Aussicht verhüllt, so daß man von allen den schönen ringsumher aufragenden Bergen gar nichts sieht. Mitten im Sommer kann man in solch einen Nebel hineingeraten, und im Herbst ist es kaum möglich, ihm zu entgehen, das kann man mit Wahrheit behaupten. Nils Holgersson hatte im ganzen genommen recht schönes Wetter gehabt, solange sich die Wildgänse noch in Lappland befanden; aber kaum hatten sie gemeldet, jetzt ginge es nach Jämtland hinein, als die Nebel auch schon um sie her aufstiegen und sich so verdichteten, daß sie nichts von der Landschaft sahen. Der Junge flog einen ganzen Tag auf dem Rücken des Gänserichs dahin, ohne zu wissen, ob er in einem Gebirgsland oder in einem Flachland wäre.

Gegen Abend ließen sich die Wildgänse auf einem grünen Platze nieder, der nach allen Seiten hin abfiel. Sie mußten sich also auf dem Gipfel eines Hügels befinden; ob dieser aber groß oder klein war, das konnte der Junge nicht herausbringen. Er dachte jedoch, sie müßten in einer bewohnten Gegend sein, denn er glaubte Menschenstimmen, sowie das Rasseln von Fuhrwerken zu hören, die auf einer Straße dahinrollten; ganz sicher war er seiner Sache indes nicht.

Er hätte sich schrecklich gerne nach einem Hofe umgesehen, fürchtete aber, sich im Nebel zu verirren, und so entschloß er sich, bei den Wildgänsen zu bleiben. Ringsum tropfte alles vor Nässe und Feuchtigkeit; an jedem Grashälmchen und jedem Kräutlein hingen kleine Tropfen, und der Junge bekam ordentlich einen Regenschauer auf sich hernieder, sobald er sich nur ein wenig bewegte. „Es ist hier nicht viel besser als droben im Felsental,“ dachte er. „Aber ein paar Schritte könnte ich doch machen,“ dachte er weiter. Und jetzt konnte er auch in ganz geringer Entfernung vor sich ein Gebäude unterscheiden, das zwar nicht umfangreich, aber viele Stockwerke hoch war; der Junge konnte nicht bis zum Dache hinauf sehen. Die Haustür war verschlossen, und das Haus schien ganz unbewohnt zu sein. Ach, es war natürlich nur ein Aussichtsturm, wo es weder etwas zu essen, noch ein gewärmtes Zimmer gab! Aber Nils Holgersson lief trotzdem in größter Eile zu den Wildgänsen zurück.

„Lieber Gänserich Martin,“ sagte er, „nimm mich auf den Rücken und trage mich auf den Turm dort drüben hinauf. Ich kann hier nicht schlafen, weil es überall zu naß ist; dort droben werde ich schon ein trockenes Plätzchen finden, wo ich mich niederlegen kann.“

Der Gänserich Martin war sogleich bereit, seinem guten Freunde zu helfen; er trug ihn hinauf auf das Plattdach des Turmes, und da schlief der Junge, bis ihn die Morgensonne weckte.

Als er seine Augen aufschlug und sich umschaute, konnte er zuerst gar nicht begreifen, was er sah, oder wo er sich befand. Er war früher einmal auf einem Jahrmarkt in einem Zelt gewesen und hatte da ein mächtig großes Panorama gesehen; und jetzt war es ihm, als stehe er wieder mitten in so einem großen runden Zelt, mit einer schönen roten Decke über sich, während an den Wänden und am Boden hin eine prächtige weite Landschaft gemalt war, mit großen Dörfern, Wiesen, Landstraßen und Eisenbahnen, ja sogar mit einer ganzen Stadt. Es wurde ihm ja bald klar, daß er sich hier nicht in einem Panorama befand, sondern daß er selbst auf einem Aussichtsturm stand, mit dem roten Morgenhimmel über sich und einem wirklichen Land ringsumher. Aber er hatte jetzt schon so lange nichts anderes als Einöde gesehen, da war es nicht verwunderlich, daß er das, was er jetzt vor sich sah – eine richtige, dichtbebaute Landschaft, – für ein Gemälde hielt.

Und noch etwas war schuld daran, daß der Junge alles, was er sah, zuerst für ein Gemälde gehalten hatte; von allem, was er sah, hatte nämlich nichts seine richtige Farbe. Der Aussichtsturm, auf dem er sich befand, stand auf einem Berg, der Berg auf einer Insel, und die Insel selbst lag nahe bei dem östlichen Ufer eines großen Sees. Der See aber war nicht grau, wie solche Binnenseen sonst zu sein pflegen, sondern ein großer Teil seines Wasserspiegels schimmerte ebenso rosig wie der Morgenhimmel, und drinnen in den tiefen Buchten blinkte er fast nachtschwarz heraus. Und dann war das Land um den See herum nicht grün; mit allen seinen eingeheimsten Getreidefeldern und den goldigschimmernden Laubwäldern leuchtete es hellgelb herüber, und rings um das Gelbe zog sich ein breiter Gürtel aus schwarzem Nadelwald. Noch niemals war dem Jungen der Wald so schwarz erschienen wie an diesem Morgen; aber er meinte, es komme vielleicht daher, weil der Laubwald innerhalb des dunklen Fichtengürtels so besonders hell glänzte. Jenseits dieser dunkeln Strecke blauten im Osten einige Höhenzüge; aber am ganzen westlichen Horizont wölbte sich ein langgestreckter, glänzender Bogen aus zackigen, verschiedengeformten Bergen von einer wunderbar schönen, sanftglänzenden Farbe, die weder rot noch weiß noch blau genannt werden konnte, – es gab einfach gar keinen Namen für diese Schattierung.

Doch jetzt wendete der Junge seinen Blick von den Bergen und Nadelwäldern ab und richtete ihn auf die nächste Umgebung. Rings um den See her in dem goldnen Gürtel tauchte allmählich ein rotes Dorf nach dem andern und eine weiße Kirche nach der andern auf, und direkt gen Osten, jenseits des schmalen Sundes, der die Insel vom Festland trennte, lag eine Stadt. Sie breitete sich am Seeufer aus, dicht hinter ihr ragte ein Berg auf, der sie beschützte, und ringsumher lag eine reiche dichtbevölkerte Landschaft.

„Diese Stadt hat es wirklich verstanden, sich eine gute Lage auszuwählen,“ dachte der Junge. „Wie sie wohl heißen mag?“

In demselben Augenblick fuhr er heftig zusammen und schaute sich um. Er war ganz in die Aussicht versunken gewesen und hatte deshalb gar nicht gemerkt, daß unten Menschen herangekommen waren.

Jetzt liefen diese Besucher eilig die Treppen herauf. Der Junge hatte gerade noch Zeit, sich nach einem Versteck umzusehen und sich dort zu verbergen; da waren sie auch schon oben.

Es war eine Schar junger Leute, die auf einer Fußwanderung begriffen waren. Sie hatten Jämtland durchstreift und gaben nun ihrer Freude in lauten Worten Ausdruck, daß sie am vorhergehenden Abend Östersund noch erreicht hätten und nun an diesem schönen Morgen die Aussicht vom Östberg auf die Frösö genießen könnten. Von hier aus könne man mehr als zwanzig Meilen im Umkreis umherschauen, nun könnten sie doch noch einen letzten Blick auf ihr liebes Jämtland werfen, ehe sie es verließen.

„Dort unten haben wir Sunne,“ sagten sie. „Und dort liegt Marby und dort drüben Hallen. Was wir dort gerade im Norden sehen, ist die Kirche von Rödö, und die andere da unter uns ist die von Frösö.“

Dann unterhielten sie sich über die Berge. Die nächstliegenden seien die Oviksfjälle, sagten die einen, und die anderen stimmten alle damit überein; aber dann waren sie nicht ganz einig darüber, welcher wohl der Klövsjöfjäll und der Anarisfjäll seien, und wo Västerfjället, Almåsafjället und der Åreskutan lägen.

Während sie noch darüber sprachen, zog ein junges Mädchen eine Landkarte heraus, breitete sie auf ihren Knieen aus und studierte darin. Plötzlich schaute sie auf.

„Wenn ich das Jämtland so hier auf einer Karte sehe,“ sagte sie, „kommt es mir immer wie ein einziger großer Felsen vor. Ich warte immer darauf, daß mir jemand einmal erzählt, dieses Gebirge habe einst ganz aufrecht dagestanden und bis zum Himmel hinaufgereicht.“

„Das hätte wahrlich ein gewaltiger Berg sein müssen,“ sagte eines von den andern und lachte das junge Mädchen aus.

„Allerdings; aber deshalb ist er ja auch umgefallen. Hier, seht doch selbst! Es gleicht wahrhaftig einem richtigen hohen Berge mit breitem Fuß und spitzigem Gipfel.“

„Es paßt gar nicht so schlecht für ein Gebirgsland, wenn der ganze Gebirgsstock wie ein einzelner Berg aussieht,“ sagte wieder eines von den Umstehenden. „Ich habe zwar schon allerlei Sagen vom Jämtland gehört, aber doch noch nie …“

„Kennst du die Sage vom Jämtland?“ fiel ihm das junge Mädchen eifrig ins Wort. „Dann mußt du sie sogleich erzählen.“

„Und hier ist der allerbeste Platz zum Anhören, hier, wo wir gleich das ganze Land vor uns haben.“

Alle anderen stimmten mit dem jungen Mädchen überein; und ihr Gefährte ließ sich nicht lange nötigen, sondern begann sogleich seine Erzählung.

Die Sage von Jämtland

„Zu der Zeit, wo es noch Riesen in Jämtland gab, geschah es einmal, daß ein alter Bergriese auf dem Hofe vor seinem Hause stand und seine Pferde striegelte. Während er eifrig bei dieser Arbeit war, fingen die Pferde plötzlich vor lauter Angst heftig zu zittern an.

‚Was ist denn mit euch los?‘ sagte der Riese und sah sich um, was die Pferde wohl erschreckt haben könnte. Es waren aber weder Wölfe noch Bären in der Nähe zu erblicken; das einzige, was er entdecken konnte, war ein Wandersmann, der zwar bei weitem nicht so groß und stark war wie er selbst, aber doch recht stattlich aussah und offenbar auch über gute Kräfte verfügte, und der eben den Pfad heraufstieg, der zu der Berghütte führte. Aber kaum war der alte Bergriese des Wandersmanns gewahr geworden, als er auch schon von Kopf bis zu Fuß zitterte, gerade wie seine Pferde; er nahm sich gar nicht Zeit, seine angefangene Arbeit fertig zu machen, sondern lief eiligst in den Saal hinein zu seinem Weib, das an der Kunkel Werg spann.

‚Was ist denn los?‘ fragte die Frau. ‚Du siehst ja todesbleich aus.‘

‚Soll ich etwa nicht bleich aussehen,‘ erwiderte der Riese, ‚wenn ein Wanderer des Weges daherkommt, der ebenso gewiß, wie du mein Weib bist, Asa-Thor sein muß.‘

‚Das ist freilich kein willkommener Besuch,‘ erwiderte das Weib des Riesen. ‚Kannst du ihm nicht die Augen verhexen, daß er den ganzen Hof hier für einen Felsen hält und an unserer Tür vorübergeht?‘

‚Es ist zu spät, Zauberkunst auszuüben,‘ sagte der Riese, ‚denn ich höre ihn schon die Pforte öffnen und in den Hof hereintreten.‘

‚Dann rate ich dir, dich verborgen zu halten und mich ihn allein in Empfang nehmen zu lassen,‘ sagte die Frau schnell. ‚Ich will mein bestes tun, ihm das Wiederkommen zu verleiden.‘

Der Vorschlag gefiel dem Riesen über die Maßen. Er ging in die Kammer nebenan, seine Frau aber blieb auf der Frauenbank in dem Saal sitzen und spann ruhig weiter, als ahnte sie keine Gefahr.

Aber nun müßt ihr wissen, daß es zu jenen Zeiten im Jämtland ganz anders aussah als heutigen Tages. Das ganze Land war eine einzige flache Hochebene, die vollständig kahl und nackt dalag, nicht einmal ein Fichtenwald konnte sich da fortbringen. Es gab weder See, noch Fluß, und auch keine Felder, über die der Pflug hätte gehen können. Ja, zu jener Zeit waren nicht einmal die Berge und Felsenmassen da, die jetzt im ganzen Lande zerstreut liegen, diese standen alle weit drüben im Westen. In dem ganzen großen Lande konnten keine Menschen leben, aber den Riesen ging es dafür um so besser. Wohl kaum ohne ihren Willen und ihr Einverständnis blieb das Land so öde und ungastlich liegen; und deshalb hatte es seine guten Gründe, wenn der Bergriese so erschrak, als er Asa-Thor auf sein Haus zukommen sah. Er wußte, die Asen waren denen nicht hold, die Kälte, Dunkelheit und Öde um sich verbreiteten und die Erde daran verhinderten, reich und fruchtbar zu werden und sich mit menschlichen Wohnungen zu schmücken.

Die Frau des Riesen brauchte nicht lange zu warten; nach wenigen Augenblicken ertönten feste Schritte vor dem Hause, und der Wanderer, den der Riese auf dem Pfad gesehen hatte, riß die Tür auf und trat in die Stube. Er blieb jedoch nicht an der Tür stehen, wie sonst die umherziehenden Leute zu tun pflegen, sondern ging geradeswegs auf die Frau zu, die auf der entgegengesetzten Seite des Saals an der Giebelwand saß. Aber wie merkwürdig! Als er meinte, nun habe er ein ordentliches Stück zurückgelegt, war er erst eine ganz kleine Strecke von der Tür entfernt, und es war noch weit bis zur Feuerstelle, die sich mitten in der Stube befand. Der Fremde machte längere Schritte; aber nachdem er wieder eine Weile gegangen war, kam es ihm vor, als sei die Frau und auch die Feuerstelle noch weiter entfernt als bei seinem Eintritt. Im Anfang war ihm das Haus gar nicht besonders groß vorgekommen, und er merkte erst, wie groß es war, als er die Feuerstelle schließlich erreicht hatte; denn da war er so müde, daß er sich auf seinen Stab stützen und ausruhen mußte. Als die Frau des Riesen sah, daß er stehen blieb, legte sie die Kunkel weg, stand von der Bank auf und war mit wenigen Schritten neben ihm.

‚Wir Riesen haben große Stuben gern,‘ sagte sie, ‚und mein Mann beklagt sich oft darüber, wie enge es hier sei. Aber für jemand, der keine größeren Schritte machen kann als du, muß es sehr anstrengend sein, das Zimmer eines Riesenhauses zu durchschreiten, das begreife ich recht wohl. Laß mich nun wissen, wer du bist und was du von den Riesen willst?‘

Augenscheinlich lag dem Wanderer eine heftige Antwort auf der Zunge; aber er wollte sich ohne Zweifel mit einer Frau nicht in Streit einlassen, denn er antwortete ganz ruhig: ‚Mein Name ist Handfest, und ich bin ein Recke, der manches Abenteuer bestanden hat. Nun habe ich das ganze Jahr daheim auf meinem Hof gesessen und hatte mich schon gefragt, ob es denn gar nichts mehr für mich zu tun gebe, als ich die Menschen sagen hörte, ihr Riesen sorgtet gar zu schlecht für das Land hier oben, so daß es außer euch niemand hier aushalten könne. Da habe ich mich flugs aufgemacht, um mit deinem Manne über diese Sache zu sprechen und ihn zu fragen, ob er nicht für eine bessere Ordnung hier Sorge tragen wolle.‘

‚Mein Mann ist auf der Jagd,‘ sagte die Frau, ‚und wenn er nach Hause kommt, wird er dir selbst Antwort auf deine Fragen geben. Aber das will ich dir doch sagen: wer mit solchen Fragen zu einem Bergriesen kommt, müßte eigentlich ein größerer Mann sein als du. Es wäre gewiß am besten für deinen guten Ruf, wenn du dich gleich wieder aus dem Staube machtest, ohne mit dem Riesen zusammengetroffen zu sein.‘

‚O nein, da ich nun einmal gekommen bin, will ich auch auf ihn warten,‘ erwiderte der Mann, der sich Handfest genannt hatte.

‚Ich habe dir nach meinem besten Wissen geraten,‘ sagte die Riesin, ‚tu nun eben, was du nicht lassen kannst. Setze dich indessen hier auf die Bank, dann will ich dir einen Willkommtrunk holen.‘

Die Frau ergriff ein gewaltiges Methorn und begab sich damit in den hintersten Winkel der Stube, wo das Metfaß lag. Auch dieses kam dem Gaste nicht besonders groß vor; als aber die Frau den Zapfen herauszog, stürzte der Met mit so lautem Brausen in das Methorn, wie wenn ein Wasserfall ins Zimmer hereingerauscht käme. Das Horn war bald voll. Aber als die Frau den Zapfen wieder in das Faß hineinstecken wollte, kam sie nicht zustande damit; der Met schäumte wild hervor, riß ihr den Zapfen heraus und floß auf den Boden. Die Frau machte noch einen Versuch, den Zapfen wieder hineinzustecken, aber es mißlang ihr abermals. Da rief sie den Fremden zu Hilfe.

‚Siehst du denn nicht, daß mir der Met ausläuft, Handfest? Komm her und steck den Zapfen in die Tonne!‘

Der Gast eilte ihr sofort zu Hilfe; er nahm den Zapfen und versuchte, ihn in das Spundloch hineinzudrücken; aber der Met riß ihn wieder heraus, schleuderte ihn weit weg, schoß mit unverminderter Gewalt heraus und überschwemmte den Boden.

Handfest versuchte es ein Mal ums andre, den Zapfen hineinzustecken, aber es gelang ihm nicht, und schließlich warf er den Zapfen weg. Der ganze Boden war nun mit Met bedeckt, und damit man doch wenigstens im Zimmer sein konnte, zog der Fremde tiefe Furchen, in denen der Met fließen konnte. Er machte in dem harten Felsengrund Rinnen, wie Kinder im Frühling durch den Sand Furchen ziehen, damit das Schneewasser ablaufen kann, und da und dort stampfte er mit dem Fuße tiefe Löcher, in denen die Flüssigkeit sich sammeln konnte. Die Frau sah ganz ruhig zu; und wenn der Gast aufgeschaut hätte, würde er entdeckt haben, daß sie seiner Arbeit verwundert und auch entsetzt zusah.

Aber als er fertig war, sagte sie spöttisch: ‚Ich danke dir schön, Handfest. Ich sehe, du tust, was in deiner Macht steht. Sonst hilft mir mein Mann, den Zapfen einzusetzen; aber es kann ja nicht jedermann so stark sein wie er. Da du nun dies nicht tun kannst, wäre es wohl am besten für dich, wenn du gleich jetzt deines Weges zögest.‘

‚Ich gehe nicht, ehe ich mein Vorhaben ausgeführt habe,‘ sagte der Fremde, aber er sah beschämt und niedergeschlagen dabei aus.

‚Dann setze dich dort auf die Bank,‘ sagte die Frau. ‚Ich will den Kessel aufs Feuer stellen und dir einen Teller Grütze kochen.‘

Sie tat, wie sie gesagt hatte; als aber die Grütze beinahe fertig war, wendete sie sich an den Gast und sagte: ‚Ich sehe eben, daß ich fast kein Mehl mehr habe, um die Grütze gehörig dick zu machen. Meinst du, du seiest stark genug, die Mühle zu drehen, die dort neben dir steht; ein paar Drehungen genügen schon, und es ist Korn zwischen den Steinen. Du mußt jedoch deine ganze Kraft zusammennehmen, denn die Mühle geht nicht gerade leicht.‘

Der Gast ließ sich nicht lange bitten, sondern suchte die Handmühle zu drehen. Sie kam ihm nicht besonders groß vor; als er aber den Griff erfaßt hatte und den Stein im Kreise herumdrehen wollte, ging sie so schwer, daß er sie nicht bewegen konnte; er wendete seine ganze Kraft auf, brachte aber trotz aller Mühe die Mühle nur ein einziges Mal im Kreise herum.

Mit stummer Verwunderung sah die Riesenfrau zu, während er sich abmühte; und als er die Mühle losließ, sagte sie: ‚Ja, ich bin von meinem Mann her freilich bessere Hilfe gewöhnt, wenn die Mühle nicht gehen will. Aber es kann ja niemand von dir fordern, daß du mehr tun sollst, als deine Kraft vermag; du wirst jetzt aber doch wohl selbst einsehen, daß es am besten für dich wäre, wenn du nicht mit dem zusammen träfest, der auf dieser Mühle mahlen kann, soviel er Lust hat.‘

‚Trotzdem habe ich im Sinne, auf ihn zu warten,‘ erwiderte Handfest ganz leise und sanft.

‚Nun, dann setze dich dort auf die Bank, während ich ein Bett für dich zurecht mache,‘ sagte die Frau; ‚denn in diesem Falle wirst du hier übernachten müssen.‘

Sie richtete ihm aus vielen Kissen und Decken ein Lager her und wünschte ihm gute Nacht. ‚Du wirst das Bett ziemlich hart finden,‘ sagte sie, ‚aber mein Mann liegt jede Nacht auf so einem Lager.‘

Als Handfest sich nun in dem Bett behaglich ausstrecken wollte, fühlte er so viel Unebenheiten und Vertiefungen unter sich, daß von Schlafen keine Rede sein konnte; er wälzte und drehte sich von einer Seite auf die andere, konnte aber durchaus nicht einschlafen. Schließlich warf er in hellem Zorn ein Kissen dahin und ein Polster dorthin, und dann schlief er ruhig bis zum Morgen.

Als die Sonne durch die Dachluke herein schien, stand er auf und verließ das Haus der Riesen. Er ging über den Hofplatz und durch die Pforte; als er jedoch diese wieder hinter sich zumachte, stand plötzlich die Frau des Riesen neben ihm.

‚Ich sehe, du willst nun doch deiner Wege gehen, Handfest,‘ sagte sie, ‚und das ist gewiß auch das klügste, was du tun kannst.‘

‚Wenn dein Mann in einem solchen Bett schlafen kann, wie du mir für diese letzte Nacht bereitet hast,‘ sagte Handfest mißmutig, ‚dann will ich mich nicht mit ihm einlassen, denn dann muß er ein Mann von Eisen sein, mit dem es niemand aufnehmen kann.‘

Die Riesin lehnte an der Pforte. ‚Jetzt, wo du außerhalb meines Hofes bist, Handfest,‘ sagte sie, ‚will ich dir doch sagen, daß deine Reise zu uns Riesen durchaus nicht so unehrenvoll für dich abgelaufen ist, wie du selbst zu denken scheinst. Es ist gar nicht merkwürdig, daß du den Weg durch meine Stube lang fandest; da bist du über die ganze Hochebene, die Jämtland genannt wird, hingegangen. Desgleichen war es auch nicht verwunderlich, daß du den Zapfen nicht in das Faß hinein brachtest, denn aus dem Faß ist dir alles Wasser entgegengeströmt, das von den Schneebergen herabläuft. Und als du das Wasser auf dem Boden in Rinnen leitetest, hast du Furchen und Vertiefungen geschaffen, die jetzt Flüsse und Seen sind. Es war kein geringer Beweis deiner Stärke, daß du die Mühle einmal im Kreise herumgebracht hast, denn zwischen den Steinen war kein Korn, sondern Kalksteine und Schiefer, und mit der einen Drehung hast du soviel gemahlen, daß die ganz Hochebene mit guter fruchtbarer Erde bedeckt worden ist. Daß du in dem Bett, das ich dir zurecht gemacht habe, nicht hast liegen können, verwundert mich auch nicht; denn ich habe große eckige Berggipfel hineingelegt; diese hast du nun über das halbe Land hingeschleudert, und vielleicht sind dir die Menschen dafür nicht so dankbar wie für das andere, was du getan hast. Ich sage dir jetzt Lebewohl und verspreche dir, daß ich und mein Mann von hier fortziehen werden an einen Ort, wo du uns nicht so leicht aufsuchen kannst.‘