Czytaj tylko na LitRes

Książki nie można pobrać jako pliku, ale można ją czytać w naszej aplikacji lub online na stronie.

Czytaj książkę: «Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland», strona 28

Czcionka:

Je weiter die Nacht vorschreitet, um so milder wird die Stimmung unter den Leuten. Die Wärme und die Ruhe und das Essen und der Branntwein beschwichtigen ihre gewaltsame Erregung. Sie fangen an zu scherzen und zu lachen; sie trinken das Begräbnisbier des Mädchens aus Nygaard; Schande über den, der es beim Begräbnisbier an Durst und an Scherzen gebrechen läßt, das gehört beides dazu!

Die Kinder stürzen über die Unmengen von Obst, die man ihnen bringt. Arme Tagelöhnerkinder, die wilde Waldbeeren für Leckerbissen halten, schwelgen in den klaren Glasäpfeln, die im Munde schmelzen, in den länglichen, süßen Paradiesäpfeln, den gelblichweißen Zitronenäpfeln, in den Birnen mit roten Backen und den Pflaumen aller Art, den gelben, den roten, den blauen. Ach, nichts ist zu gut für den Pöbel, wenn es ihm beliebt, seine Macht zu zeigen!

Als es gegen Mitternacht geht, sieht es fast so aus, als wenn die Schar sich zum Aufbruch anschicken will. Die Kavaliere bringen keine Speisen und Getränke mehr, sie ziehen keine Korke mehr von den Flaschen und zapfen kein Bier mehr. Erleichtert seufzen sie auf, in dem Gefühl, daß die Gefahr überstanden ist.

Aber gerade in dem Augenblick wird in einem Fenster des Hauptgebäudes ein Licht sichtbar. Alle, die dahinschauen, schreien auf. Eine jugendliche Frauengestalt trägt das Licht.

Es währt nur einen Augenblick. Die Erscheinung verschwindet, die Leute aber glauben, daß sie die Trägerin des Lichts erkannt haben.

»Sie hatte dickes, schwarzes Haar und rote Wangen,« rufen sie. »Sie ist da, sie halten sie hier verborgen!«

»Ach, ihr Kavaliere, habt ihr sie da? Habt ihr unser Kind, dessen Verstand Gott genommen hat, hier auf Ekeby? Ihr Gottlosen, was tut ihr mit ihr? Und uns laßt ihr Wochen hindurch in dieser Angst! Uns laßt ihr drei volle Tage suchen! Fort mit dem Wein und den Speisen! Wehe uns, daß wir etwas aus eurer Hand angenommen haben! Gebt sie uns erst heraus, dann werden wir schon sehen, was wir mit euch tun wollen!«

Das eben erst gezähmte wilde Tier heult und brüllt. In rasenden Sprüngen stürzt es auf Ekeby los.

Die Leute sind schnell, die Kavaliere aber sind noch schneller. Sie stürzen hinauf und schieben den Riegel vor die Dielentür. Aber was können sie gegen diese andrängenden Scharen ausrichten? Eine Tür nach der andern wird erbrochen. Die Kavaliere werden zurückgedrängt, sie haben keine Waffen. Sie werden von der dichten Menge umzingelt, so daß sie sich nicht rühren können. Die Leute wollen ins Haus hinein und das Mädchen aus Nygaard suchen.

Sie finden sie im letzten Zimmer. Niemand hat Zeit, darauf zu achten, ob sie blond oder dunkel ist. Sie heben sie in die Höhe und tragen sie hinaus. Sie soll sich nicht fürchten, sagen sie. Sie wollen nur den Kavalieren an die Kehle. Sie sind gekommen, um sie zu erretten.

Aber wie sie nun aus dem Gebäude herausströmen, begegnen sie einem andern Zug.

An dem einsamsten Fleck im Walde ruht nicht mehr die Leiche eines Mädchens, das von dem hohen Abhang herabgestürzt und im Fallen gestorben ist. Ein Kind hat sie gefunden. Einige von den Suchenden, die sich im Walde verzögert hatten, haben sie auf ihre Schultern gehoben. Da kommen sie.

Sie ist schöner im Tode, als sie im Leben war. Schön ist sie, wie sie daliegt, mit ihrem langen, dunklen Haar. Sie ist eine herrliche Erscheinung, jetzt, wo der ewige Friede über ihr ruht.

Hoch auf die Schultern der Männer gehoben, wird sie durch die Volksscharen getragen. Es wird still und lautlos, wo sie vorüberkommt. Gesenkten Hauptes huldigen alle der Majestät des Todes.

»Sie ist eben erst gestorben,« flüstern die Männer; »bis heute ist sie im Walde umhergewandert. Sie hat wohl vor uns fliehen wollen, die wir sie suchten, und ist dabei den Felsen hinabgestürzt.«

Aber wenn dies das Mädchen aus Nygaard ist, wer ist denn die, die aus Ekeby herausgetragen wurde?

Der Zug aus dem Walde stößt mit dem Zuge aus Ekeby zusammen. Die hellen Feuerstöße flackern auf dem ganzen Hof. Die Leute können die beiden Frauen sehen und können sie auch erkennen. Die andre ist ja die junge Gräfin aus Borg!

»Aber was hat dies zu bedeuten? Ist dies ein neues Verbrechen, dem wir auf der Spur sind? Weshalb ist die junge Gräfin hier auf Ekeby? Weshalb hat man uns erzählt, daß sie weit fort oder gar tot sei? Im Namen der ewigen Gerechtigkeit! Wollen wir uns jetzt nicht auf die Kavaliere stürzen und sie mit unsern eisenbeschlagenen Absätzen zu Tode treten?«

Da erschallt eine weithin klingende Stimme. Gösta Berling ist auf das Geländer der Treppe gestiegen und redet von dort aus.

»Hört mich, ihr Ungetüme, ihr Teufel! Glaubt ihr denn nicht, daß es Büchsen und Pulver auf Ekeby gibt? Ihr tollen Menschen! Glaubt ihr etwa nicht, daß ich die größte Lust gehabt habe, euch alle über den Haufen zu schießen wie tolle Hunde? Aber die dort hat für euch gebeten. Ach, hätte ich gewußt, daß ihr sie anrühren würdet, so hätte nicht ein einziger von euch sein Leben behalten!

»Weshalb macht ihr hier heute abend Skandal und überfallt uns wie Räuber und droht uns mit Mord und Brand? Was habe ich mit euren irrsinnigen Mädchen zu tun? Weiß ich, wo die hinlaufen? Ich bin zu gut gegen die da gewesen, das ist das Ganze. Ich hätte die Hunde auf sie hetzen sollen – das wäre besser für uns beide gewesen –, aber das habe ich nicht getan. Ich habe ihr niemals versprochen, daß ich mich mit ihr verheiraten wollte – das habe ich niemals getan. Bedenkt das!

»Jetzt aber sage ich euch, laßt die los, die ihr da aus dem Hause geschleppt habt! Laßt sie los, sage ich, und mögen die Hände, die sie berührt haben, im ewigen Feuer brennen! Versteht ihr denn nicht, daß sie so hoch über euch steht, wie der Himmel über der Erde ist? Sie ist ebenso fein, wie ihr grob seid – ebenso gut, wie ihr böse seid!

»Jetzt will ich euch sagen, wer sie ist. Erstens ist sie ein Engel vom Himmel – zweitens war sie die Gattin des Grafen auf Borg. Aber ihre Schwiegermutter quälte sie Tag und Nacht, sie mußte wie ein gewöhnliches Dienstmädchen am See stehen und waschen; sie wurde so geschlagen und gepeinigt, daß keine von euren Frauen es schlimmer haben kann. Ja, sie war nahe daran, sich in den Bach zu stürzen, wie wir alle wissen, weil sie sie fast zu Tode quälten. Ich möchte wohl wissen, wer von euch, ihr Schlingel, damals bei der Hand war, um ihr Leben zu retten. Niemand von euch war da, aber wir Kavaliere taten es. Ja, wir taten es.

»Und als sie dann ihr Kind auf einem Bauernhof zur Welt brachte und der Graf ihr sagen ließ: ‘Unsere Ehe ward in einem fremden Lande geschlossen, wir haben den landesüblichen Brauch nicht befolgt; du bist nicht meine Frau, ich bin nicht dein Mann; um dein Kind kümmere ich mich nicht!’ – ja, als die Sachen so lagen, und sie nicht wollte, daß das Kind vaterlos im Kirchenbuch stehen sollte, da wäret ihr sicher hoffärtig gewesen, wenn sie zu einem von euch gesagt hätte: ‘Komm und verheirate dich mit mir! Ich muß einen Vater für das Kind haben!’ Sie aber wählte keinen von euch. Sie nahm Gösta Berling, den armen Pfarrer, der nie wieder Gottes Wort verkünden darf. Ja, das kann ich euch sagen, ihr Bauern, nie ist mir etwas so schwer geworden; denn ich war ihrer so unwürdig, daß ich ihr nicht in die Augen zu sehen wagte, aber ich wagte es auch nicht, nein zu sagen, denn sie war in großer Verzweiflung.

»Und nun könnt ihr so viel Böses von uns Kavalieren glauben, wie ihr nur wollt; an ihr aber haben wir all das Gute getan, was nur in unsern Kräften stand. Und es ist ihr Verdienst, daß wir euch nicht alle miteinander über den Haufen geschossen haben. Nun aber sage ich euch: Gebt sie frei und geht eurer Wege; sonst glaube ich, daß die Erde sich öffnet und euch verschlingt. Und wenn ihr von hier fortgeht, so bittet Gott, daß er euch vergeben möge, daß ihr sie so erschreckt und betrübt habt, sie, die so gut und unschuldig ist. Und nun fort mit euch! Wir haben genug von euch gehabt!«

Lange bevor er seine Rede beendete, hatten die Männer, die die Gräfin hinausgetragen, sie auf eine Stufe der steinernen Treppe niedergesetzt, und jetzt kam ein großer Bauer ganz ruhig zu ihr heran und reichte ihr seine breite Hand.

»Adieu und vielen Dank!« sagte er. »Wir wollen der Frau Gräfin kein Leid zufügen. Sie darf uns nicht zürnen.«

Nach ihm kam ein anderer und drückte ihr vorsichtig die Hand. »Adieu und vielen Dank! Die Frau Gräfin müssen nicht böse auf uns sein!«

Gösta sprang herab und stand neben ihr. Da reichten sie auch ihm die Hand.

Und dann kamen sie langsam und ruhig, einer nach dem andern, um ihnen gute Nacht zu sagen, ehe sie gingen. Sie waren wieder gezähmt, sie waren wieder Menschen, so wie sie es gewesen, als sie am Morgen ihr Heim verließen, ehe der Hunger und die Rachbegierde sie zu wilden Tieren gemacht hatte.

Sie sahen der Gräfin gerade ins Gesicht, und Gösta konnte merken, wie der Anblick der Unschuld und Frömmigkeit, die sich in ihren Zügen abspiegelten, gar manchem Tränen in die Augen brachte. Es war bei ihnen allen eine stille Anbetung des Edelsten, das sie jemals gesehen hatten; es waren Menschen, die sich freuten, daß einer unter ihnen eine so große Liebe zum Guten hatte.

Alle konnten sie ihr ja nicht die Hand drücken, es waren ihrer ja so unendlich viele, und die junge Frau war müde und schwach. Aber sie mußten doch alle hin, um sie zu sehen, und dann konnten sie Gösta Berling die Hand drücken; sein Arm konnte es wohl vertragen, geschüttelt zu werden.

Gösta stand da wie im Traum. In seinem Herzen erwachte an diesem Abend eine neue Liebe.

»O mein Volk,« dachte er, »o mein Volk, wie ich dich liebe!« Er fühlte, wie er diese ganze Schar liebte, die in der Dunkelheit der Nacht von dannen zog, die Leiche des Mädchens an der Spitze des Zuges tragend, alle diese Menschen in groben Kleidern und mit übelriechenden Schuhen, die alle in den grauen Hütten am Waldesrande wohnten, die keine Feder führten und oft nicht einmal lesen konnten, die nichts von der Fülle und dem Reichtum des Lebens ahnten, die nur die Mühen und Sorgen um das tägliche Brot kannten.

War das nicht ein großes Volk, ein herrliches Volk? War es nicht mutig und ausdauernd, war es nicht munter und arbeitsam, war es nicht geschickt und unternehmend? War der Arme nicht oft gut gegen den Armen? Lag nicht in den Zügen der Mehrzahl der Ausdruck einer kräftigen Intelligenz? War nicht ein sprudelnder Humor in ihrer Rede?

Er liebte sie mit einer schmerzlich brennenden Zärtlichkeit, die ihm Tränen in die Augen trieb. Er wußte nicht, was er für sie tun wollte, aber er liebte sie, alle wie einen, mit ihren Fehlern und Gebrechen. Ach Gott! wenn doch der Tag einst käme, an dem auch er von ihnen geliebt würde!

Er erwachte aus seinem Traum. Seine Frau legte ihre Hand auf seinen Arm. Die Volksmenge war verschwunden. Sie standen in diesem Augenblick ganz allein auf der Treppe.

»Ach, Gösta, Gösta! Wie konntest du das nur tun!«

Sie barg ihr Antlitz in den Händen und weinte.

»Was ich sagte, ist wahr!« rief er aus. »Ich habe dem Mädchen von Nygaard niemals versprochen, sie zu heiraten. ‘Komm am nächsten Freitag hierher, dann sollst du etwas Lustiges sehen!’ das war alles, was ich zu ihr gesagt habe. Ich kann nichts dafür, daß sie sich in mich verliebte.«

»Ach, das meine ich ja gar nicht; wie konntest du aber nur zu ihnen sagen, daß ich gut und rein sei? Gösta, Gösta! Weißt du denn nicht, daß ich dich geliebt habe, als ich dich noch nicht lieben durfte? Ich schämte mich vor diesen Menschen! Ich war nahe daran, vor Scham zu vergehen!«

Und ein Schluchzen machte ihren ganzen Körper erbeben.

Er stand da und sah sie an. »Ach, Geliebte!« sagte er leise. »Wie glücklich bist du, daß du so gut bist! Wie glücklich bist du, daß du eine so schöne Seele hast!«

Kevenhüller

Liebe Freunde! Dies hier ist nur eine armselige, kleine Allegorie.

Die Allegorie pflegt sich im allgemeinen in göttliche Schönheit zu kleiden, mit königlichen Emblemen; aber diese hier hat mehr Ähnlichkeit mit einem zerlumpten und ausgehungerten Straßenjungen. Die Allegorie wählt sich gern ein Heim in schönen arkadischen Hainen und in hohen Säulenhallen, aber diese arme Kleine habe ich in Karlstad gefunden, wo sie draußen vor dem großen steinernen Turm, der an der westlichen Brücke liegt, saß und weinte.

Der alte steinerne Turm ist wohl nicht gern gesehen in der schönen, zierlichen, modernen Stadt. Es ist ein viereckiges, hohes und schmales Gebäude aus Granitsteinen, und er ist wirklich häßlich mit seinen kleinen, engen Gucklöchern. Da ist Schmuck an den grauen Wänden oder an scharfen Ecken, und über dem Ganzen liegt etwas Unheimliches und Schreckeinflößendes. Das alte Gebäude sieht aus wie der Hauptturm einer Ritterburg, da aber die meisten behaupten, daß er eine Windmühle gewesen ist, so entbehrt er auch des romantischen Wertes.

Aber es ist wirklich wahr, daß die arme kleine Allegorie dort ihr Heim hat. Ich will euch nun erzählen, was für eine gutmütige kleine Allegorie es ist, dann, denke ich, wird niemand es übers Herz bringen, den Turm niederzureißen. Sie will lieber dort wohnen als auf dem Schloß oder im Rathaus oder in der Lateinschule. Sie mag am liebsten ungespickte Mauern und haust gern in Gesellschaft von Ratten und Fledermäusen. Aus diesem Grunde verlohnte es sich nicht, sie zu erzählen, wenn sie uns nicht außerdem so viel wissen ließ, was wirklich geschehen ist, wenn nicht einer von den Kavalieren in Ekeby der Held darin gewesen wäre, und wenn sie uns nicht das letzte große Unglück vermeldet hätte, das über Ekeby kam.

In den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts wurde der später so gelehrte und kunstfertige Kevenhüller in Deutschland geboren. Er war der Sohn eines Burggrafen und hätte in hohen Schlössern wohnen und an der Seite des Kaisers reiten können, wenn er die Lust dazu gehabt hätte. Aber das hatte er nicht.

Er hatte weit eher Lust, Mühlenflügel an dem höchsten Turm der Burg zu befestigen, den Rittersaal in eine Schmiede und das Frauengemach in eine Uhrmacherwerkstatt zu verwandeln. Er hatte Lust, die Burg mit schnurrenden Rädern und arbeitenden Hebeln anzufüllen. Da sich dies aber nicht tun ließ, so kehrte er der ganzen Bescherung den Rücken und ging in die Uhrmacherlehre. Da lernte er alles, was gelernt werden konnte, von Zahnrädern und Federn und Pendülen. Er lernte Sonnen- und Sternuhren machen, Uhren mit piepsenden Kanarienvögeln und trompeteblasenden Hirten, Glockenspiele, die einen ganzen Kirchturm mit ihrer wunderlichen Maschinerie ausfüllten, und Uhrwerke so klein, daß sie in ein Medaillon eingeschlossen werden konnten.

Als er seinen Meisterbrief bekommen hatte, schnallte er den Ranzen auf den Rücken, nahm den Knotenstock in die Hand und wanderte von Ort zu Ort, um alles zu studieren, was auf Walzen und Rädern ging. Kevenhüller war kein gewöhnlicher Uhrmacher, er wollte ein großer Erfinder und Weltverbesserer werden.

Nachdem er also viele Länder durchwandert hatte, begab er sich auch nach Wermland, um Mühlenräder und Grubeneinrichtungen eingehend zu studieren.

An einem schönen Sommermorgen traf es sich so, daß er quer über den Karlstader Marktplatz ging. Aber gerade in dieser selben schönen Morgenstunde hatte die Hulder, die Herrscherin des Waldes, es für gut befunden, aus dem Walde geradeswegs in die Stadt zu wandern. Diese vornehme Dame kam auch just quer über den Marktplatz, aber von der entgegengesetzten Seite, und da begegnete sie Kevenhüller.

Das war eine Begegnung für einen Uhrmachergesellen. Sie hatte schimmernde grüne Augen und dickes, blondes Haar, das fast bis an die Erde reichte, und war in grüne, rauschende Seide gekleidet. Obwohl sie ein Kobold war und eine Heidin, war sie schöner als alle die christlichen Frauen, die Kevenhüller jemals gesehen hatte. Er stand da wie verloren und sah sie an, als sie an ihm vorüberkam.

Sie kam geradeswegs aus dem Dickicht im Innersten des Waldes, wo die Farne hoch stehen wie Bäume, wo die riesenhaften Föhren das Sonnenlicht ausschließen, so daß es nur als goldene Funken auf das grüne Moos fällt, und wo die Linnäa über die flechtenbekleideten Steine kriecht.

Ach, wie gern wäre ich an Kevenhüllers Statt gewesen und hätte sie gesehen, wie sie daherkam, mit Farnblättern und Tannennadeln in dem dicken Haar und eine kleine schwarze Natter um den Hals. Stellt sie euch vor: mit geschmeidigem Gang wie ein wildes Tier und einem frischen Duft von Harz und Erdbeeren und Linnäen und Moos mit sich führend!

Wie die Menschen sie angestarrt haben mochten, als sie sich erkühnte, über den Karlstader Marktplatz zu wandern! Ich denke mir, die Pferde sind vor Schrecken über ihr langes Haar, das im Morgenwinde flatterte, scheu geworden. Die Gassenbuben liefen hinter ihr drein. Die Knechte ließen Wagen und Axt stehen, um ihr nachzustarren. Die Frauen schrien und liefen zu Bischof und Domkapitel, um das Ungeheuer aus der Stadt zu vertreiben.

Sie selber schritt ruhig und majestätisch daher und lächelte nur über den ganzen Spektakel, so daß Kevenhüller ihre kleinen spitzen Raubtierzähne hinter den roten Lippen sehen konnte.

Sie hatte einen Mantel über den Rücken geworfen, damit niemand merken sollte, wer sie war; aber das Unglück wollte, daß sie vergessen hatte, den Schwanz zu verstecken. Der lag nun da und schleifte auf dem Pflaster hinter ihr drein.

Kevenhüller sah den Schwanz wohl auch; aber man muß bedenken, daß er ein Grafensohn war, wenn er auch nur ein Uhrmacher war. Es tat ihm leid, daß eine so hochgeborene Dame dem Gelächter der Spießbürger preisgegeben sein sollte; deswegen verbeugte er sich vor der Schönen und sagte ritterlich:

»Belieben Euer Gnaden nicht die Schleppe aufzunehmen?«

Die Hulder ward gerührt, sowohl über seine freundliche Gesinnung als auch über seine Höflichkeit. Sie blieb gerade vor ihm stehen, so daß es ihm war, als führen glitzernde Funken aus ihren Augen in sein Gehirn hinein. »Merke dir das, Kevenhüller,« sagte sie, »fortan sollst du mit deinen beiden Händen jegliches Kunstwerk ausführen können, was du nur willst, aber nur eines von jeder Art.«

Das sagte sie, und sie konnte Wort halten. Denn wer weiß nicht, daß die Grüngekleidete aus dem Waldesdickicht Macht hat, dem, der ihre Gunst zu gewinnen weiß, Genie und wunderbare Kräfte zu schenken?

Kevenhüller blieb in Karlstad und mietete sich dort eine Werkstatt. Er hämmerte und arbeitete Tag und Nacht. Acht Tage später hatte er ein Kunstwerk gemacht. Es war ein Wagen, der von selbst ging. Er lief die Hügel hinauf und wieder hinab, ging schnell und langsam, konnte gelenkt und gewendet werden, konnte angehalten und wieder in Gang gesetzt werden, ganz wie man wollte. Es war ein großartiger Wagen.

Nun wurde Kevenhüller ein berühmter Mann und bekam Freunde in der ganzen Stadt. Er war so stolz auf seinen Wagen, daß er nach Stockholm fuhr, um ihn dem König zu zeigen. Er brauchte nicht auf Postpferde zu warten oder sich nicht auf elenden Karriols durchrütteln zu lassen oder auf den hölzernen Bänken der Poststationen zu schlafen. Er fuhr gar stolz in seinem eigenen Wagen und gelangte in ein paar Stunden nach Stockholm.

Er fuhr geradeswegs vor das Schloß, und der König kam mit Höflingen und Hofdamen heraus und sah ihn fahren. Sie konnten ihn nicht genug rühmen.

Da sagte der König: »Den Wagen kannst du mir geben, Kevenhüller.« Und obwohl er nein sagte, beharrte der König bei seiner Forderung und wollte den Wagen haben.

Da sah Kevenhüller, daß in dem Gefolge des Königs eine Dame mit blondem Haar und grünseidenem Gewand stand. Er kannte sie sehr wohl, und nun begriff er, daß sie dem König geraten hatte, ihn um den Wagen zu bitten. Aber er geriet in Verzweiflung. Er konnte es nicht ertragen, daß ein anderer seinen Wagen besitzen sollte, und doch wagte er auf die Dauer nicht, nein zum König zu sagen. Darum fuhr er mit einer solchen Wucht gegen die Schloßmauer, daß er in tausend Stücke zersprang.

Als er wieder nach Karlstad kam, versuchte er einen neuen Wagen zu machen, aber er konnte es nicht. Da packte ihn Verzweiflung über die Gabe, die ihm die Hulder gegeben hatte. Er hatte das Müßiggängerleben auf dem Schloß seines Vaters verlassen, um ein Wohltäter für die vielen zu werden, nicht um Zauberkram zu machen, was nur einer gebrauchen konnte. Was half es ihm, daß er ein großer Meister wurde, ja der größte von allen, wenn er seine Meisterwerke nicht vervielfältigen konnte, so daß sie zum Nutzen für Tausende wurden?

Und der gelehrte und kunstfertige Mann sehnte sich so nach ruhiger, vernünftiger Arbeit, daß er Steinhauer und Maurer wurde. Damals baute er den großen, steinernen Turm unten an der westlichen Brücke, baute ihn nach dem Hauptturm auf der Ritterburg seines Vaters, und es war wohl auch seine Absicht, Wohnhaus, Portale, Burghöfe, Burgmauern und Hängetürme zu bauen, so daß sich eine ganze Ritterburg am Ufer des Klarelfs erheben konnte.

Da drinnen wollte er den Traum seiner Kindheit verwirklichen. Alles, was es an Handwerk und Kunstgewerbe gab, sollte sein Heim in den Sälen des Schlosses haben. Weiße Müllergesellen und schwarze Schmiede, Uhrmacher mit grünen Schirmen vor den angestrengten Augen, Färber mit dunklen Händen, Weber, Drechsler – alle sollten sie ihre Werkstätten in seinem Schloß haben.

Und es ging gut. Aus den Steinen, die er selbst behauen, hatte er mit eigenen Händen seinen Turm aufgemauert.

Er hatte Mühlenflügel daraufgesetzt – denn der Turm sollte eine Windmühle sein –, und nun wollte er mit der Schmiede beginnen.

Und dann, eines Tages stand er da und beobachtete, wie sich die leichten, starken Flügel im Winde drehten. Da kam sein altes Leiden wieder über ihn.

Es war ihm, als habe die Frau in dem grünen Gewand ihn wieder mit ihren schimmernden Augen angesehen, bis sein Gehirn von neuem Feuer fing. Er schloß sich in seine Werkstatt ein, aß keinen Bissen, gönnte sich keine Ruhe und arbeitete ohne Aufenthalt. Und dann schuf er in acht Tagen ein neues Kunstwerk.

Eines Tages stieg er auf das Dach seines Turmes und begann, Flügel an seine Schultern zu schnallen.

Zwei Straßenjungen und ein Gymnasiast, die auf dem Geländer der Brücke saßen und Stichlinge fischten, erblickten ihn und stießen einen Schrei aus, der in der ganzen Stadt zu hören war. Sie stürzten von dannen; atemlos liefen sie Straße auf und Straße ab, donnerten an alle Türen und riefen: »Kevenhüller will fliegen! Kevenhüller will fliegen!«

Er stand ganz ruhig auf dem Dach des Turmes und schnallte sich die Flügel an, und währenddes kamen die Volksscharen aus den engen Straßen der alten Karlstad herausgewimmelt.

Die Mägde liefen von dem kochenden Kessel weg, der auf dem Herd stand, und von dem Teig, der sich hob. Die Frauen warfen den Strickstrumpf hin, setzten ihre Brille auf und liefen die Straße hinab. Bürgermeister und Rat erhoben sich von ihren Richtersitzen, der Rektor schmiß die Grammatik in einen Winkel; die Schuljungen stürzten aus der Klasse, ohne um Erlaubnis zu bitten. Die ganze Stadt eilte von dannen, nach der westlichen Brücke hinab.

Bald war die Brücke schwarz von Menschen. Auf dem Marktplatz standen sie wie die Heringe in einer Tonne, und das ganze Flußufer bis hinauf nach dem Bischofsitz wimmelte von Menschen. Da war ein größeres Gedränge als beim Petersmarkt; da waren mehr Schaulustige wie damals, als König Gustav III. mit acht Pferden durch die Stadt gefahren kam, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, daß der Wagen, wenn er um eine Ecke bog, auf zwei Rädern stand.

Endlich hatte Kevenhüller die Flügel angeschnallt und stieß ab. Er tat ein paar Schläge damit, und dann war er frei. Er lag da und schwamm im Luftmeer hoch über der Erde.

Er sog die Luft in vollen Zügen ein; sie war stark und rein. Seine Brust weitete sich, und das alte Ritterblut begann sich in ihm zu rühren. Er tummelte sich wie eine Taube, er schwebte wie ein Habicht, seine Flügel waren schneller als die der Schwalbe, er steuerte so sicher wie der Falk. Und er sah hinab auf den ganzen gebundenen Haufen, der ihn anstarrte, der da oben in der Luft lag und schwamm. Hätte er nur ein paar Flügel für einen jeden von ihnen machen können! Hätte er nur einem jeden von ihnen die Macht verleihen können, sich in diese frische Luft emporzuheben! Was für Menschen da aus ihnen werden sollten! Die Erinnerung an das Elend seines eigenen Lebens verließ ihn selbst in diesem Augenblick des Sieges nicht. Er konnte nicht ausschließlich für sich genießen. Ach, die Hulder! Wenn er die nur gefaßt kriegen konnte!

Da sah er mit Augen, die fast geblendet waren von dem grellen Sonnenlicht und der zitternden Luft, daß etwas auf ihn zugeflogen kam. Große Flügel, die ganz den seinen glichen, sah er sich bewegen, und zwischen den Flügeln schwamm ein Menschenkörper. Gelbes Haar flatterte, grüne Seide wogte, wilde Augen leuchteten. Sie war es, sie!

Kevenhüller verlor die Besinnung. In wilder Fahrt stürzte er auf das Wunder zu, um sie zu küssen oder zu schlagen – er wußte nicht recht was –, aber auf alle Fälle, um sie zu zwingen, den Fluch von seinem Leben zu nehmen. In dieser wilden Fahrt ließen ihn seine Besonnenheit und seine Sinne im Stich. Er sah nicht, wohin er steuerte, er sah nur das flatternde Haar und die wilden Augen. Er kam dicht an sie heran und streckte die Arme aus, um sie zu erfassen. Da griffen seine Flügel in die ihren, und die ihren waren die stärkeren. Seine Flügel wurden zerrissen und zerfetzt, er selber ward rund herumgeschwenkt und stürzte hinab, er wußte nicht wo.

Als er wieder zur Besinnung kam, lag er auf dem Dach seines eigenen Turmes, die zerschmetterte Flugmaschine an seiner Seite. Er war geradeswegs auf seine eigene Windmühle zugeflogen, die Flügel hatten ihn erfaßt, ihn ein paarmal herumgeschwenkt und ihn dann auf das Dach niedergeworfen. So endete das Spiel.

Kevenhüller war jetzt wieder ein verzweifelter Mann. Ehrliche Arbeit erregte Ekel in ihm, und mit den wunderlichen Künsten wagte er sich nicht abzugeben. Schuf er noch ein Kunstwerk und hatte er das Unglück, es zu zerstören, so würde sein Herz sicher vor Kummer brechen. Und zerstörte er es nicht, da würde er sicher den Verstand verlieren bei dem Gedanken, daß er anderen nicht dadurch nützen konnte.

Er holte seinen alten Gesellenranzen und seinen Knotenstock hervor, ließ die Mühle stehen, wie sie stand, und beschloß, auszugehen und die Hulder zu suchen.

Er verschaffte sich Pferd und Wagen, denn er war nicht mehr so jung und leicht zu Fuß. Und man erzählt, daß er jedesmal, wenn er an einen Wald kam, vom Wagen stieg, hineinging und die Grüngekleidete aus dem Dickicht rief.

»Hulder, Hulder! ich bin es, Kevenhüller! Komm, komm!« Aber sie kam nicht.

Auf diesen Reisen kam er, wenige Jahre bevor die Majorin vertrieben wurde, nach Ekeby. Man empfing ihn dort gut, und da blieb er. Und die Schar im Kavalierflügel wurde um eine hohe, kräftige Rittergestalt vermehrt, um einen schneidigen Herrn, der weder beim Bierkrug noch bei den Jagdpartien versagte. Seine Kindheitserinnerungen kehrten zurück: er gestattete, daß man ihn Graf nannte, und er bekam mehr und mehr das Aussehen eines alten deutschen Räuberbarons, mit seiner großen Adlernase, seinen finsteren Augenbrauen, seinem Vollbart, der unterm Kinn spitz zulief, sich über den Lippen aber kühn in die Höhe drehte.

Er war ein Kavalier unter den Kavalieren und war nicht besser als alle die andern in dieser Schar, von der das Volk glaubte, daß die Majorin sie für den leibhaftigen Bösen in Bereitschaft halte. Sein Haar ergraute und sein Gehirn schlief. Er ward so alt, daß er nicht mehr an die Taten seiner Jugend glauben konnte. Er war nicht der Mann mit den wunderbaren Fähigkeiten. Er hatte nicht den selbstfahrenden Wagen und die Flugmaschine gemacht! Ach nein, Märchen! Märchen!

Aber dann geschah es, daß die Majorin aus Ekeby vertrieben wurde und daß die Kavaliere Herren auf dem großen Gut wurden. Da begann ein Leben, wie es nie zuvor ärger gewesen war. Ein Sturm ging über das Land hin; alle alte Torheit verkehrte sich in Jugendwildheit, alles Böse geriet in Bewegung, alles Gute erbebte – die Menschen kämpften auf der Erde und die Geister im Himmel. Wölfe kamen aus dem Gebirge herab mit Hexen auf dem Rücken, die Naturmächte wurden losgelassen, und die Hulder kam nach Ekeby.

Die Kavaliere kannten sie nicht. Sie glaubten, sie sei eine arme, bedrängte Frau, die von einer bösen Schwiegermutter in Verzweiflung gehetzt sei. Da nahmen sie sie in ihren Schutz, ehrten sie wie eine Königin, liebten sie wie ein Kind und nannten sie Gräfin.

Kevenhüller allein sah, wer sie war. Im Anfang ließ er sich wohl blenden wie alle die andern. Aber eines Tages hatten Patron Julius und Örneclon, die sich nicht schämten, sie als Schneider zu bedienen, ihr ein Gewand aus grünem, rauschendem Seidenstoff genäht, und als sie das anzog, da erkannte Kevenhüller sie.

Da saß sie auf den Seidenpolstern, auf dem besten Sopha in Ekeby, und alle die alten Männer machten sich zu Narren, um ihr zu dienen. Einer war Koch, ein anderer Kammerdiener, einer war Vorleser, einer Hofmusikant, einer Schuhmacher: ein jeder hatte seine Beschäftigung gewählt.

Es sollte ja heißen, daß sie krank sei, dies böse Ungetüm, aber Kevenhüller wußte recht gut, wie es mit der Krankheit beschaffen war. Sie hatte sie nur alle zum Narren, ja, das tat sie.

Er warnte die Kavaliere vor ihr: »Seht doch die kleinen, scharfen Zähne,« sagte er, »und die wilden, blitzenden Augen. Das ist die Hulder – alles Böse ist unterwegs in dieser schrecklichen Zeit. Ich sage euch, es ist die Hulder, die gekommen ist, um uns zu verderben. Ich habe sie schon früher gesehen.«

Aber wie groß ist doch die Verblendung der Menschen, wenn ihre Herzen gerührt sind! Die Kavaliere waren wie eine Mutter, der man einen Wechselbalg in die Wiege gelegt hat. Sie kann sich nicht überwinden, den großen Kopf und die dunkle Haut zu sehen; sie findet, daß das heisere Schreien des Koboldkindes dem zwitschernden Lachen ihres eigenen Kindes gleicht, sie kann nicht sehen, daß die Lippen dick sind und daß sich die Nägel wie Klauen krümmen. Und so erging es auch den Kavalieren; sie waren nahe daran, Kevenhüller totzuschlagen, als er ihnen die Augen öffnen wollte.

Aber sobald Kevenhüller die Hulder gesehen und sie wiedererkannt hatte, kam die Arbeitslust über ihn. Es begann in seinem Gehirn zu brennen und zu sieden, seine Finger schmerzten ihm vor Eifer, wieder nach Feile und Hammer zu greifen; er konnte nicht dagegen ankämpfen. Mit Bitterkeit im Herzen zog er die Arbeitsbluse an und schloß sich in eine alte Schlosserwerkstatt ein, wo er arbeiten wollte.