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Bewegliche

Gelenke


»Ein vernünftiger Mensch muss es verstehen, sich bei Krankheitsfällen durch eigene Kenntnisse zu helfen, wohl wissend, dass für die Menschen die Gesundheit das wertvollste Gut ist.«

HIPPOKRATES (460–375 v. Chr.)

Der Inhalt dieses Buches wurde sorgfältig geprüft. Dennoch lehnen Autoren und Verlag jegliche Haftung für allfällige Schäden, die sich aus dem Gebrauch oder Missbrauch der hier vorgestellten Informationen ergeben können, ab. Die in diesem Buch vorgestellten Behandlungsmöglichkeiten sollen nicht eine ärztliche oder heilpraktische Therapie ersetzen.

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen meist die männliche Sprachform verwendet. Dies impliziert keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.

INHALT

VORWORT

Heilen mit dem Wissen der Vorfahren

KAPITEL 1

»Ich hebe den Heilschatz der Berge.« –Über das Leben des »Bergdoktors« Klaus Karsch

Einleitung

Der junge Klaus Karsch

Die Wanderung zu Heilern, Kräuterkundigen und Knochenbrechern

Klaus Karsch und die Zeit nach seiner ethnomedizinischen Wanderung

Aufgezeichnet von Rolf Bickelhaupt

KAPITEL 2

Skribben – so alt wie die Heilkunst selbstAbriss zur Geschichte der manuellen Medizin

Von Rolf Bickelhaupt

KAPITEL 3

Skribben – eine Volksmedizin fürs VolkDie manuelle Gelenkmobilisation zur Behandlung von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen

Einleitung

Die Entdeckung des Skribbens

Wissensübertragung

Die Bezeichnung »Skribben«

Die Funktionsweise des Skribbens

Indikationen

Kontraindikationen

Die Intensität der Behandlung

Hilfsmittel zur Anwendung

»In den Sehnen stecken die Sehnsüchte der Menschen.«

Ursache von Schmerzen

Von Dr. med. Klaus Karsch

KAPITEL 4

Mit den Händen heilenDie Skribben®-Behandlung in der Praxis

Einleitung

Skribben® Schritt für Schritt

Die Hand

Der Ellenbogen

Die Schulter

Das Schulterblatt

Der Fuß

Das Knie

Die Hüfte

Die Halswirbelsäule

Die Brustwirbelsäule

Das Brustbein / Der Thorax

Die Lendenwirbelsäule und das Iliosakralgelenk (Kreuz-Darmbein-Gelenk)

Von Dr. med. Klaus Karsch, Bildbeschreibung von Elisabeth Karsch

KAPITEL 5

Die NachsorgeZur Unterstützung der Heilung

Salbe

Räucherwerk

Von Rolf Bickelhaupt

KAPITEL 6

Mit der Intelligenz der FingerDie Skribben®-Ausbildung

Einleitung

Intelligenz der Finger

Laienmethode

Kombination mit der Spiraldynamik® – Nachsorge

Von Rolf Bickelhaupt

NACHWORT

Die Traditionelle Alpenländische Medizin (TAM)

Von Rolf Bickelhaupt

Danke

Die Autoren

VORWORT

Heilen mit dem Wissen der Vorfahren

»Skribben« ist eine Gelenkmobilisation zur Behandlung von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen an allen Gelenken wie auch an der Wirbelsäule. Durch die Mobilisation der Sehnen beeinflusst sie sowohl die Stellung der knöchernen Gelenkanteile wie auch Verspannungen der umliegenden Bindegewebsstrukturen. Die Bezeichnung »Skribben« ist eine Wortschöpfung von Autor Dr. med. Klaus Karsch (mehr dazu auf Seite 60).

Die Schulmedizin, so wie wir sie heute kennen, besteht seit etwa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Doch auch schon zuvor benötigte die Bevölkerung das Wissen und die Erfahrung von Fachleuten, um die durch harte körperliche Arbeit verursachten Schmerzen des Bewegungsapparates zu lindern. Das waren über Jahrtausende hinweg und insbesondere im ländlichen Alpenraum die von der Bevölkerung so genannten Knochendoktoren, Knochenbrecher, Knochenheiler und Sehnensetzer. Von Generation zu Generation haben sie ihr Heilwissen innerhalb der Familien weitergegeben. Von eben dieser »Disziplin der Knochendoktoren« handelt das vorliegende Buch.

Um sich mit dem Wissen der überlieferten alpenländischen Medizin vertraut zu machen, unternahm Klaus Karsch Ende der 1970er Jahre eine zweijährige ethnomedizinische Wanderung durch die Alpenregion. Dabei entdeckte er eine Menge an alten Heilverfahren und Rezepten und stieß auch auf die Methode der Gelenkmobilisation der Laienheiler. Auf der Grundlage dieses reichen Erfahrungsschatzes entwickelte er die Methode der Knochendoktoren weiter, um sie für die heutige Zeit nutzbar zu machen und in seiner eigenen Arztpraxis anzuwenden. Die Technik des »Skribben«, die Klaus Karsch seit mittlerweile rund vierzig Jahren mit oft verblüffenden Erfolgen einsetzt und unterrichtet, zeichnet sich – damals wie heute – durch Einfachheit und Effektivität aus. Schmerzen können binnen kürzester Zeit genommen werden. Die Technik ist sowohl für Fachleute wie für Laien innerhalb von wenigen Tagen erlernbar und anwendbar (mehr dazu auf Seite 129).

Damit richtet sich dieses Buch nicht nur an Fachkräfte, sondern an alle, die zum Beispiel in der Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis ihren Liebsten helfen möchten. Es ist Laienmedizin im besten Sinne.

1

»Ich hebe den Heilschatz der Berge.«

Über das Leben des »Bergdoktors« Klaus Karsch

Aufgezeichnet von Rolf Bickelhaupt

EINLEITUNG

Was veranlasst einen jungen, aus dem Allgäu stammenden Arzt, von heute auf morgen seinen Beruf als Assistenzarzt hinzuschmeißen, um zwei Jahre lang quer durch die Alpen und durch den Apennin zu wandern? Eine Wanderung, die ihn, wie er sagt, zu »Heilern, Kräuterkundigen, Knochenbrechen und Stallknechten sowie in gute und schlechte Gasthäuser« führte. Zu dieser Frage gibt am besten die Vita eben jenes Mannes Auskunft, der die Menschen auf den Almen und in den Tälern besucht hat, um mehr über ihr traditionelles Heilwissen zu erfahren.

Um diese Lebensgeschichte aufzuschreiben, also mehr über sein Leben, sein Wirken und Tun zu erfahren, sitze ich an drei schönen Sommertagen des Jahres 2017 im idyllischen Garten des Anwesens des Arztes Dr. Klaus Karsch und seiner Frau Elisabeth im Ostallgäuer Baisweil.

Kennengelernt hatte ich das Allgäuer Urgestein rund zwei Jahre zuvor, als ich ihn für das österreichische Magazin gesund & glücklich interviewen durfte. Im Laufe der Zeit gab es einige Begegnungen. Man sprach über dieses und jenes, philosophierte über das eine oder andere und ließ es sich bei Allgäuer Kost und Bier gutgehen. Wie vielleicht bekannt, entsteht vieles gerade dann, wenn bei freiem Palaver ein süffiges Getränk auf dem Tisch steht. So ist auch die Idee zu diesem Buch entstanden. Mit Stift in der Hand und Papier auf dem Tisch lauschte ich den Worten von Dr. Klaus Karsch und erfuhr die Geschichte, die ich im Folgenden wiedergebe.

Was veranlasst einen jungen, aus dem Allgäu stammenden Arzt, von heute auf morgen seinen Beruf als Assistenzarzt hinzuschmeißen?

Man schrieb das Jahr 1978: Klaus Karsch arbeitete in diesem Jahr als Assistenzarzt im Drei-Schicht-Betrieb an der II. Medizinischen Klinik des Stadtkrankenhauses Offenbach am Main. Der Schwerpunkt seines dortigen praktischen Dienstes lag in der Intensivmedizin. Während dieser Tätigkeit erlebte Klaus Karsch 1979 drei ungewöhnliche Ereignisse, die für ihn die Initialzündung waren, zwei Jahre lang auf Wanderschaft zu gehen.

»Alles ist EINS. Die holistische Medizin auszuüben, war daher mein Ziel.«

Das erste Erlebnis: Er war gerade mit seinem VW-Käfer im benachbarten Frankfurt unterwegs, als er mitten auf der Konstabler Wache, einer stark frequentierten Straßenkreuzung, – »unter Lebensgefahr«, wie er betont – abrupt bremste und ausstieg, um einen hilflos auf dem Gehsteig liegenden Mann aufzuheben, an eine Hauswand zu lehnen und so lange festzuhalten, bis er wieder im Besitz seiner körperlichen Kräfte war.

Das zweite Erlebnis: An einem schönen Tag bewunderte er, ebenfalls in Frankfurt, »zusammen mit Mäusen, Eichhörnchen und Sonnenblumen« ein für ihn beeindruckendes Naturschauspiel: Die Sonne ging am Horizont auf, »so leuchtend und ergreifend, wie ich es noch nie erlebt hatte. In die strahlende Sonne schauend, überfiel mich der Gedanke, in den Alpen auf Wanderschaft zu gehen, wenn auch nur für wenige Wochen.«

Das dritte Erlebnis: Und schließlich sagte ein anerkannter Lehrer aus den USA, der in den Niederlanden wohnte und in der Frankfurter Szene der 68er-Bewegung aktiv war, dem jungen Arzt voraus, dass er über die Alpen wandern würde, und zwar von Ost nach West. »Wohl für einige Wochen?«, fragte darauf Klaus Karsch zurück. Worauf der Mann mit Sinti-Wurzeln erwiderte und prophezeite, dass es zwei lange Jahre sein würden. »Diese Begegnung war es schließlich, die mein Leben grundlegend verändert hat«, erinnert sich heute der Arzt an dieses Treffen.

Schon während seiner Tätigkeit als Assistenzarzt in Offenbach waren die Gedanken von Klaus Karsch geprägt von Zweifeln an der reinen »Apparatemedizin«, auch wenn er seinerzeit ein »richtiger Doktor« – wie er es nannte – werden wollte. Für ihn war schon damals klar, dass der Mensch nicht auf seine Organe reduziert werden darf, sondern ein beseeltes Wesen ist. Ihn interessierte die »Medizin der einfachen Mittel« und nicht die Medizin aus seiner Studienzeit, die auf »seltene Krankheiten« ausgerichtet gewesen sei. Getragen wurde er damals von dem Gedanken: »Alles ist EINS.« Die holistische Medizin auszuüben, war daher sein Ziel.

Doch bis es so weit war, vertauschte Klaus Karsch zunächst einmal seinen Arztkoffer mit einem Rucksack und zog unter dem Motto »Ich hebe den Heilschatz der Alpen« los, um im Gebirge, in den Alpen und im Apennin, jene Medizin zu suchen und zu finden, die seinen Vorstellungen vom »Arztsein« entsprach. Zwei lange Jahre war er unterwegs und sammelte bei seiner »ethnomedizinischen Recherche« all jenes alte Heilwissen, das er aufschrieb und danach unter dem Begriff »Traditionelle Alpenländische Medizin« (TAM) zusammenfasste. Ein wesentlicher Teil der TAM ist wiederum das »Skribben«, von dem dieses Buch handelt.

Klaus Karsch tauschte seinen Arztkoffer mit einem Rucksack und ging auf Wanderschaft, um jene Medizin zu finden, die seinen Vorstellungen vom »Arztsein« entsprach.


Der junge Klaus Karsch in den Händen seiner Mutter Hilde zusammen mit seinem Vater Hans Martin Karsch.

DER JUNGE KLAUS KARSCH

Aufgewachsen ist der 1946 geborene Klaus Karsch in behütetem Umfeld in Baisweil, einer kleinen, damals einige Hundert Einwohner zählenden Allgäuer Landgemeinde, die seinerzeit zum Landkreis Kaufbeuren gehörte und heute im Landkreis Ostallgäu liegt. Sein Vater, der Arzt Dr. Hans Martin – genannt Hans – Karsch, kam aufgrund der Wirren des Zweiten Weltkrieges Anfang der 1940er Jahre aus dem Ort Mark Dahme, in der damaligen Provinz Brandenburg, ins Allgäu. Dort traf er die junge Hilde Bopp aus Kaufbeuren wieder, die er bereits zuvor bei einer Veranstaltung in Hammelburg in der Nähe von Bad Kissingen kennengelernt hatte. Sie heirateten und bekamen zunächst ihre Söhne Peter und Hans, und danach erblickte Klaus das Licht der Welt. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs eröffnete Dr. Hans Karsch seine Landarztpraxis in Baisweil und arbeitete dort bis Mitte der 1980er Jahre.

»Mich hatte der direkte Kontakt mit den Menschen interessiert. Mein Ziel war es, praktizierender Landarzt zu werden. Ich habe studiert, um helfen zu können.«

Klaus Karsch besuchte nach der Volksschule in Baisweil das Gymnasium in Kaufbeuren und legte dort 1966 das Abitur ab. »Ich war ein durchschnittlicher Schüler, war meist faul und hatte damals wenig Ehrgeiz«, sagt er über seine Schulzeit. »Ich war aber ein sportlicher Mensch und war daher viel lieber in den Bergen beim Wandern und Klettern unterwegs.« Er schränkt aber auch gleich ein, dass er kein »Extremsportler wie manch einer heutzutage« gewesen sei. Über seine Jugendzeit sagt er rückblickend, dass er »kein selbstbestimmtes, sondern ein vorgegebenes Leben« geführt habe.

Das änderte sich jedoch bald. Zunächst einmal wollte Klaus Karsch »die typische Karriere eines Arztsohnes« einschlagen, also selbst Arzt werden, was aber zunächst nicht gelang, da er für ein Medizinstudium nicht den erforderlichen Notendurchschnitt aufbrachte. Die Warteschleife zu einem möglichen Medizinstudium überbrückte er mit einem Semester Biologie in Erlangen und einem Semester Jura in München. Danach ging er an eine Hotelfachschule in Berlin. Dann bekam er die Möglichkeit, an einer Aufnahmeprüfung für das Medizinstudium teilzunehmen, die er erfolgreich absolvierte. So begann er 1968 das Studium der Medizin am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main.


Solche Apotheken hat Klaus Karsch als »Barfußmediziner« im nachrevolutionären Portugal mit aufgebaut.

Über seine Beweggründe, damals mit dem Medizinstudium anzufangen, sagt er heute: »Mich hatte der direkte Kontakt mit den Menschen in der Medizin interessiert. Mein Ziel war es, mit dem Wissen der Allgemeinmedizin praktizierender Landarzt zu werden. Ich habe studiert wegen der Realität des Helfenkönnens.« 1974 legte er erfolgreich das medizinische Staatsexamen ab.

Während seines Studiums wurde er »ein politischer Mensch«, war Teil der 68er-Studentenbewegung, »wenn auch nicht an vorderster Front«. In seinem Umfeld »tobte der revolutionäre Kampf«, wie er sich zurückerinnert.

Ein weiteres wichtiges Ereignis im Leben des Klaus Karsch war die Nelkenrevolution am 25. April 1974 in Portugal, die er dort hautnah als Tourist erlebte. Die Bevölkerung schickte bei diesem unblutigen Umsturz das autoritäre Regime des sogenannten Estado Novo in die Wüste. Zurück in Deutschland nahm er aktiv an einer Unterstützungsgruppe für das portugiesische Volk teil.

»Portugal war so etwas wie ein Dritte-Welt-Land. Es war für mich faszinierend und wichtig, in dieser Situation helfen zu können.«

So ist Klaus Karsch auch zwei Jahre später mit einer deutschen Unterstützergruppe wieder nach Portugal geflogen. In der damaligen Provinz Ribatejo, gelegen in der Tejo-Ebene nordöstlich von Lissabon, ist er von Dorf zu Dorf gezogen, um beim Aufbau von Apotheken und Sozialstationen zu helfen. Er schulte ein internationales Ärzteteam in der »Medizin der einfachen Mittel«. Dies alles ist später als »Barfußmedizin« in die Geschichtsbücher des Landes eingegangen. Rückblickend sagt er heute: »Portugal war so etwas wie ein Dritte-Welt-Land. Es war für mich faszinierend und wichtig zugleich, in dieser Situation helfen zu können. Noch heute erinnere ich mich gerne an meine Zeit in Portugal zurück und höre mir eine CD mit dem Volkslied der Nelkenrevolution ›Grandola, vila morena‹ an.«

Die Zeit in Portugal war somit so etwas wie die erste Wanderschaft von Klaus Karsch.


Rund zwei Jahre dauerte die Wanderschaft von Klaus Karsch durch die Alpen und den Apennin.

DIE WANDERUNG ZU HEILERN, KRÄUTERKUNDIGEN UND KNOCHENBRECHERN

1979 war es dann so weit: Klaus Karsch kündigte seinen Dienst am Krankenhaus in Offenbach, um auf seine »angekündigte Wanderschaft« zu gehen.

Wobei er zugibt, dass seinerzeit sein Wissen über die andere, nicht schulmedizinische Art des Heilens noch sehr diffus war. »Doch als jemand, der im Allgäu auf dem Lande aufgewachsen ist, wusste ich natürlich, dass es in den Bergen Leute gibt, die heilend tätig sind, man musste sie nur finden.« Er weiß, wovon er spricht, denn er hatte bereits in seiner Jugend mitbekommen, dass viele Leute, wenn es ihnen schlecht ging, »woanders hingingen«, nicht zu einem Arzt. »Das war immer geheimnisvoll«, sagt er heute.

So erinnerte sich Klaus Karsch an den Heiler Martin aus seinem Dorf Baisweil, der vor allen Dingen als »Brandlöscher« tätig war. Er wurde von der Bevölkerung aufgesucht, weil er in der Lage war, Verbrennungen zu lindern und zu heilen, daher der Name »Brandlöscher«. Martin vermachte ihm, dem Hilfesuchenden, einen Zauberspiegel, der mit bestimmten Zeichen versehen wurde und der an einem bestimmten Tag für drei Tage an einer Wegkreuzung vergraben werden musste. Dann konnte man darin lesen, wie die Krankheit bei dem Patienten ausgehen würde.

Im heimatlichen Baisweil gab es auch die Warzenabbeterin Thekla. Sie sprach ihre Gebete immer am Freitag um elf Uhr zum Kirchenleuten für Menschen, die sie aufsuchten, um ihre Warzen loszuwerden.

Und der Landarzt erinnert sich, dass eines schönen Tages ein Bauer aus der Nachbarschaft, der so seine Qualen mit seinem Kreuz hatte, ihn als kleinen Buben zur »Knochenrosl«, wie Rosa Schmid aus Eresing in der Nähe von Buchloe in der Bevölkerung genannt wurde, mitnahm. Der Bauer musste sich bei Rosa auf den Küchentisch legen, und dann zerrte und zog sie an ihm, dass er lauthals zu schreien anfing – was die Bäuerin lediglich mit einem »Stell’ di net so a, des Kinderkriegn tut ah weh« quittierte. »Fasziniert und erstaunt war ich, als der Bauer ohne Schmerzen vom Küchentisch aufstand.«

»Ich wollte wissen, wohin sich die Landbevölkerung wendet, wenn sie gesundheitliche Probleme hat, wollte die traditionellen alten Heilweisen kennenlernen.«

Er hatte sich vorgenommen, zwei Jahre zu Fuß »von links nach rechts« (also von Ost nach West) über die Alpen zu laufen, dort zu bleiben, wo er Arbeit fand, und die Augen und Ohren offen zu halten, wenn er von Heilern hörte. Zunächst arbeitete er immer mit der Landbevölkerung und lebte mit ihnen, »damit sie Vertrauen zu dem Mann aus der Stadt gewinnen konnten.

Ich wollte wissen, wohin sich die Landbevölkerung – außer zum Arzt – wendet, wenn sie gesundheitliche Probleme hat, wollte die traditionellen alten Heilweisen kennenlernen.«

Und er erinnerte sich vor Beginn der Reise an die Worte jenes Mannes mit Sinti-Wurzeln, der ihm diese Wanderung vorhergesagt hatte. Diese drei Regeln bzw. Weisheiten waren den Sinti bei ihrem »Herumziehen« seit jeher von großer Bedeutung:

1. Wie kann ich Arbeit bekommen, um meinen Lebensunterhalt während der Reise bestreiten zu können?

2. Wie kann ich mich von jenen Menschen innerlich verabschieden, zu denen während der Reise eine emotionale Verbindung entstanden ist?

3. Und: Wie kann ich mich wieder zurechtfinden an jenem Ort und mit jenen Menschen, die ich in meiner Heimat zuvor verlassen habe?

Der Arzt beschäftigte sich vor seiner Reise recht intensiv mit den Fragen und Weisheiten der Sinti. Gerade der dritte Punkt war für den Arzt nicht ganz ohne, denn viele Menschen »verlieren« sich auf so einer Reise: »Ich habe Menschen getroffen, die nach einer solchen Reise nicht mehr in ihrem vorigen Umfeld zurechtgekommen sind.«

Mit wenig Geld im Beutel ist Klaus Karsch schließlich zu seiner Wanderung aufgebrochen. »Ich setzte mich in Frankfurt in den Zug nach Wien.« Für ihn überraschend war, dass es seinerzeit in der österreichischen Hauptstadt keinen Hauptbahnhof gab. Angekommen am Westbahnhof, musste er durch die Stadt zum Südbahnhof (dem heutigen Hauptbahnhof von Wien) gelangen, um mit dem Zug nach Eisenstadt weiterzufahren. In der burgenländischen Landeshauptstadt »begann ich meinen Marsch in eine bis dato fremde Welt«.

Diese Wanderung war für ihn zunächst einmal voller beschwerlicher Überraschungen. »In alten Bergschuhen bin ich von Eisenstadt aus durch unwegsames Gelände gezogen, um schließlich wieder am Ort des Beginns der Wanderung zu landen.« Er war nicht vorbereitet, war ohne Karte losgelaufen. »Ich hatte mich organisatorisch nicht so richtig auf die Wanderung vorbereitet, ich wollte einfach drauflosgehen.« Nachdem er sechs Wochen zu Fuß unterwegs war, kam das nächste Ungemach: »Mir sind sämtliche Fußnägel ausgefallen.« Damit nicht genug: »Ich hatte das Burgenland durchwandert, aber überhaupt nicht das gefunden, was ich gesucht hatte.« Aber er hatte etwas gefunden, wonach er nicht gesucht hatte: »Ich wurde in dieser Zeit im Hause eines Korbflechters aufgenommen, der mir sein Handwerk beibrachte.« Immerhin.

Im Ortszentrum des steirischen Pöllau schließlich, »einem Kaff mitten im Sommer«, wie sich Klaus Karsch erinnert, fragte er in einem Wirtshaus nach Arbeit: »Gibt es bei uns nicht«, wurde ihm entgegnet. Am Ortsrand fand er in einer Gärtnerei dann doch noch Arbeit. Sein Lohn: freie Kost und Logis plus 10 Schilling pro Tag. »Hier wurde ich nicht nur in die Kunst der Schnapsbrennerei eingeführt, sondern ich lernte dort all die Hausmittelchen kennen, die mit Schnaps verbunden sind.« So den Arnikaschnaps zur äußeren Anwendung bei allen traumatischen und chronischen Gelenkbeschwerden. Oder den Birnenschnaps zum Gurgeln am Morgen in der kalten Jahreszeit zur Vorbeugung von Erkältungskrankheiten. Und noch mehr lernte der junge Arzt in dem rund fünfundfünfzig Kilometer von Graz entfernt gelegenen Pöllau. So beispielsweise die Zubereitung des Hollermus für die kleinen Kinder oder der morgendlichen Mehlsuppe. Auch erfuhr er so, dass es in der alten Welt keine Trennung zwischen Ernährung und Diät gab, ebenso keine Trennung zwischen Heilkraut und Küchenkraut. »Kraut ist Kraut«, sagte die dortige Großmutter. Von ihr erfuhr er, dass es kein besseres Lebensmittel als das Sauerkraut gibt: »Richtig eingekocht, enthielt es alle Inhaltsstoffe wie Vitamin C und Co., damit die Landbevölkerung über den Winter kam. Das ist traditionelles Heil- und Ernährungswissen, gesammelt und angewandt zu Zeiten, wo es noch keine Ernährungsmedizin, wie wir sie heute verstehen, gab.« Klaus Karsch erinnert sich auch an die Worte der rüstigen Oma, die so etwas wie die Bewahrerin der alten Rezepturen von den Altvorderen war: »Eine Rindssuppe muss spätestens um acht Uhr auf dem Herd stehen, wenn sie um zwölf Uhr gegessen werden soll, denn so lange dauert der alchemistische Prozess der Verbindung von Kräutern und Gemüse mit dem Suppenfleisch, wenn es eine kräftige Brühe sein soll.«

Er erfuhr auch, dass es in der alten Welt keine Trennung zwischen Ernährung und Diät gab, ebenso keine Trennung zwischen Heilkraut und Küchenkraut.

Nach weiteren dreißig Kilometern fand der Wanderer in der »Bergler«-Erna – nah und fern bekannt als »das Kräuterweible« – jene Frau, die ihn in die Arbeit mit den Kräutern, wie er sie suchte, einweihte. »Bergler« wurde sie von den Einheimischen genannt, weil sie auf dem Berg wohnte, auf 1200 Meter Höhe auf der Teichalm, rund dreißig Kilometer nördlich von Graz. Dort war für ihn rund sieben Wochen lang Viehfüttern angesagt, tagein, tagaus, bei Sonnenschein und bei Regen. Die Spezialität von Erna war – wie konnte es anders sein – ihr Kräutertee, aber auch ihr »Steirertee«, der zur Hälfte aus Kräutertee, zur anderen Hälfte aus Schnaps bestand. Viele wollten von Erna die Rezeptur ihres Steirertees haben. Klaus Karsch erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine Episode: »Eines schönen Tages lud Erna all jene ein, die von ihr die Rezeptur des Steirertees haben wollten. Zunächst tischte sie nach allen Regeln ihrer Küchenkunst auf, es wurde gegessen, es wurde getrunken. Immer und immer wieder kam die Frage: ›Was ist nun drin?‹ Und immer und immer wieder kam Ernas Antwort: ›Ja, ich sage es euch bald – trinkt doch noch etwas.‹ Die schon etwas ungeduldigen und leicht angetrunkenen Gäste fragten erneut: ›Was ist denn nun da drin?‹ Erna klopfte mit der Faust auf den Tisch und antwortete: ›Alles was gut ist‹, drehte sich um, verschwand in ihrer Küche und ließ die versammelte Mannschaft mit verdutzten Gesichtern zurück.«


Die zweijährige Wanderung führte den jungen Arzt auch durch Eis und Schnee.

Auf der Teichalm lernte Klaus Karsch auch den Sepp, eine »gnomhafte Zwerggestalt« mit riesigen Fingern und einem Grinsen, das von einem Ohr zum anderen reichte, kennen. »Ihm verdanke ich das Wissen um den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Medizin und der traditionellen Heilkunde der Alpendoktoren«, sagt der Arzt immer noch voller Bewunderung für diesen Mann, der so etwas wie der Lehrmeister vieler Kräuterfrauen im Alpenraum war. Für einige Zeit unterstützte Klaus Karsch den Sepp bei seiner Arbeit als Senner auf der Alm, natürlich auch mit dem Hintergedanken, ihm einige Auskünfte über Rezepturen zu entlocken. Obwohl der junge Arzt ihn wiederholt danach fragte, grinste der Sepp freundlich, blieb aber stumm. Doch – Klaus Karsch hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben – »erbarmte« sich der Gnom, stellte jedoch eine Bedingung für die gewünschten Auskünfte: »Ich kann dir nur etwas erzählen, wenn du mir zwei ganz gleiche Gänseblümchen bringst.« Das war’s.

Darmowy fragment się skończył.