Czytaj książkę: «Der Narr / Der Wanderer»
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ISBN: 978-3-86820-899-3
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INHALT
DER NARR
PARABELN UND GEDICHTE
DER NARR
GOTT
MEIN FREUND
DIE VOGELSCHEUCHE
DIE SCHLAFWANDLER
DER WEISE HUND
DIE BEIDEN EREMITEN
ÜBER GEBEN UND NEHMEN
DIE SIEBEN SELBST
KRIEG
DER FUCHS
DER WEISE KÖNIG
AMBITION
DIE NEUE FREUDE
DIE ANDERE SPRACHE
DER GRANATAPFEL
DIE ZWEI KÄFIGE
DIE DREI AMEISEN
DER TOTENGRÄBER
AUF DEN STUFEN DES TEMPELS
DIE GESEGNETE STADT
DER GUTE GOTT UND DER BÖSE GOTT
NIEDERLAGE
DIE NACHT UND DER NARR
GESICHTER
DAS GRÖSSERE MEER
GEKREUZIGT
DER ASTRONOM
DIE GROSSE SEHNSUCHT
SAGTE EIN GRASHALM
DAS AUGE
DIE BEIDEN GELEHRTEN MÄNNER
ALS MEIN KUMMER GEBOREN WURDE
UND ALS MEINE FREUDE GEBOREN WURDE
DIE PERFEKTE WELT
DER WANDERER
GLEICHNISSE UND SPRÜCHE
DER WANDERER
GEWÄNDER
DER ADLER UND DIE FELDLERCHE
DAS LIEBESLIED
TRÄNEN UND LACHEN
AUF DER MESSE
DIE BEIDEN PRINZESSINNEN
DER BLITZ
DER EINSIEDLER UND DIE BESTIEN
DER PROPHET UND DAS KIND
DIE PERLE
KÖRPER UND SEELE
DER KÖNIG
AUF DEM SAND
DIE DREI GESCHENKE
FRIEDEN UND KRIEG
DER TÄNZER
DIE BEIDEN SCHUTZENGEL
DIE STATUE
DER TAUSCH
LIEBE UND HASS
TRÄUME
DER VERBRECHER
DIE FRÖSCHE
GESETZE UND GESETZGEBUNG
GESTERN, HEUTE UND MORGEN
DER PHILOSOPH UND DER SCHUSTER
ERBAUER VON BRÜCKEN
DAS FELD VON ZAAD
DER GOLDENE GÜRTEL
DIE ROTE ERDE
DER VOLLMOND
DER EINSIEDLER-PROPHET
DER ALTE, ALTE WEIN
DIE ZWEI GEDICHTE
HERRIN RUTH
DIE MAUS UND DIE KATZE
DER FLUCH
DIE GRANATÄPFEL
GOTT UND VIELE GÖTTER
SIE, DIE TAUB WAR
DIE SUCHE
DAS ZEPTER
DER PFAD
DER WAL UND DER SCHMETTERLING
DER SCHATTEN
ANSTECKENDER FRIEDEN
SIEBZIG
GOTT FINDEN
DER FLUSS
DIE BEIDEN JÄGER
DER ANDERE WANDERER
DER NARR
PARABELN UND GEDICHTE
DER NARR
SIE fragen mich, wie ich zum Narren wurde. Es geschah folgendermaßen: Eines Tages, lange bevor viele der Götter geboren waren, erwachte ich aus einem tiefen Schlaf und stellte fest, dass alle meine Masken gestohlen worden waren – die sieben Masken, die ich in sieben Leben gestaltet und getragen habe. Ich lief ohne Maske durch die überfüllten Straßen und schrie: »Diebe, Diebe, die verfluchten Diebe.«
Männer und Frauen lachten mich aus, und einige flüchteten aus Angst vor mir in ihre Häuser.
Und als ich den Marktplatz erreichte, stand ein Jugendlicher auf einem Hausdach und rief: »Er ist ein Narr«. Ich blickte auf, um ihn zu sehen; die Sonne küsste zum ersten Mal mein eigenes nacktes Gesicht. Zum ersten Mal küsste die Sonne mein eigenes nacktes Gesicht, und meine Seele war von der Liebe zur Sonne entflammt, und ich wollte meine Masken nicht mehr. Und wie in Trance rief ich: »Gesegnet, gesegnet sind die Diebe, die mir meine Masken gestohlen haben.«
So wurde ich zu einem Narren.
Und ich habe in meinem Wahnsinn sowohl Freiheit als auch Sicherheit gefunden; die Freiheit der Einsamkeit und die Sicherheit, nicht verstanden zu werden, denn diejenigen, die uns verstehen, versklaven in uns auch etwas.
Aber lassen Sie mich nicht zu stolz sein auf meine Sicherheit. Selbst ein Dieb in einem Gefängnis ist sicher vor einem anderen Dieb.
GOTT
IN den alten Tagen, als das erste Zittern der Sprache auf meine Lippen kam, stieg ich auf den heiligen Berg und sprach zu Gott: »Meister, ich bin dein Sklave. Dein verborgener Wille ist mein Gesetz, und ich werde dir auf ewig gehorchen.«
Aber Gott gab keine Antwort, und wie ein gewaltiger Sturm zog er vorüber.
Und nach tausend Jahren stieg ich den heiligen Berg hinauf und sprach wieder zu Gott und rief: »Schöpfer, ich bin deine Schöpfung. Aus Ton hast du mich geformt, und dir verdanke ich alles.«
Und Gott antwortete nicht, sondern entschwand wie mit tausend schnellen Flügeln.
Und nach tausend Jahren stieg ich auf den heiligen Berg und sprach wieder zu Gott und rief: »Vater, ich bin dein Sohn. In Mitleid und Liebe hast du mich geboren, und durch Liebe und Anbetung werde ich dein Königreich erben.«
Und Gott gab keine Antwort, und wie der Nebel, der die fernen Hügel verhüllt, zog er vorüber.
Und nach tausend Jahren stieg ich auf den heiligen Berg und sprach wieder zu Gott und rief: »Mein Gott, mein Ziel und meine Erfüllung; ich bin dein Gestern und du bist mein Morgen. Ich bin deine Wurzel in der Erde und du bist meine Blume am Himmel, und gemeinsam wachsen wir vor dem Antlitz der Sonne.«
Da beugte sich Gott über mich und flüsterte mir süße Worte ins Ohr, und wie die See, die einen Bach aufnimmt, der zu ihr hinunterfließt, so nahm er mich auf.
Und als ich in die Täler und Ebenen hinabstieg, so war Gott auch dort.
MEIN FREUND
MEIN Freund, ich bin nicht das, was ich zu sein scheine. Der Schein ist nur ein Kleidungsstück, das ich trage – ein sorgfältig gewebtes Kleidungsstück, das mich vor deinen Fragen und dich vor meiner Nachlässigkeit schützt.
Das ›Ich‹ in mir, mein Freund, wohnt im Haus der Stille, und darin wird es für immer bleiben, unbemerkt und unnahbar.
Ich möchte nicht, dass du an das glaubst, was ich sage, und nicht auf das vertraust, was ich tue – denn meine Worte sind nichts als deine eigenen Gedanken in Klang und meine Taten deine eigenen Hoffnungen in Taten.
Wenn du sagst: »Der Wind weht gen Osten«, sage ich: »Ja, er weht gen Osten«, denn du sollst nicht wissen, dass mein Geist nicht auf dem Wind, sondern auf dem Meere wohnt.
Du kannst meine seefahrenden Gedanken nicht verstehen, und ich möchte auch nicht, dass du sie verstehst. Ich bin allein auf See.
Wenn es bei dir Tag ist, mein Freund, ist es bei mir Nacht, doch selbst dann spreche ich von der Mittagszeit, die auf den Hügeln tanzt, und von dem purpurnen Schatten, der sich seinen Weg durch das Tal bahnt; denn du kannst weder die Lieder meiner Dunkelheit hören noch meine Flügel gegen die Sterne schlagen sehen – und ich möchte nicht, dass du sie hörst oder siehst. Ich möchte mit der Nacht allein sein.
Wenn du zu deinem Himmel aufsteigst, so steige ich zu meiner Hölle hinab – selbst dann rufst du mir über die unüberbrückbare Kluft hinweg zu: »Mein Gefährte, mein Kamerad«, und ich rufe dir zurück: »Mein Kamerad, mein Gefährte« –, denn ich möchte nicht, dass du meine Hölle siehst. Die Flamme würde dein Augenlicht verbrennen, und der Rauch deine Nasenlöcher verstopfen. Und ich liebe meine Hölle zu sehr, als dass du sie besuchen solltest. Ich will allein in der Hölle sein.
Du liebst Wahrheit und Schönheit und Gerechtigkeit, und ich sage um deinetwillen, dass es gut und schön ist, diese Dinge zu lieben. Aber in meinem Herzen lache ich über deine Liebe. Doch ich möchte nicht, dass du mein Lachen siehst. Ich möchte allein lachen.
Mein Freund, du bist gut und vorsichtig und weise, nein, du bist vollkommen – und auch ich spreche weise und vorsichtig mit dir. Und doch bin ich verrückt. Aber ich maskiere meinen Wahnsinn. Ich will allein wahnsinnig sein.
Mein Freund, du bist nicht mein Freund, aber wie soll ich es dir begreiflich machen? Mein Weg ist nicht dein Weg, und doch gehen wir gemeinsam, Hand in Hand.
DIE VOGELSCHEUCHE
EINMAL sagte ich zu einer Vogelscheuche: »Du musst es doch leid sein, auf diesem einsamen Feld zu stehen.«
Und sie sagte: »Die Freude des Erschreckens ist tief und dauerhaft, und ich werde dessen nie müde.«
Nach einer Minute des Nachdenkens sagte ich: »Es ist wahr, denn auch ich habe diese Freude gekannt.«
Sie sagte: »Nur diejenigen, die mit Stroh ausgestopft sind, können sie kennen.«
Dann verließ ich sie, ohne zu wissen, ob sie mir ein Kompliment gemacht oder mich erniedrigt hatte.
Es verging ein Jahr, in dem die Vogelscheuche zum Philosophen wurde.
Und als ich wieder an ihr vorbeikam, sah ich zwei Krähen, die unter ihrem Hut ein Nest bauten.
DIE SCHLAFWANDLER
IN der Stadt, in der ich geboren wurde, lebten eine Frau und ihre Tochter, die in ihrem Schlaf wandelten.
Eines Nachts, während die Stille die Welt umhüllte, trafen sich die Frau und ihre Tochter, wandelnd und doch schlafend, in ihrem nebelverhangenen Garten.
Und die Mutter sprach, und sie sagte: »Endlich, endlich, endlich, mein Feind! Du, durch den meine Jugend zerstört wurde – du, der du dein Leben auf den Trümmern meines Lebens aufgebaut hast! Ich möchte dich am liebsten umbringen!«
Und die Tochter sprach und sagte: »Oh, gehässige Frau, selbstsüchtig und alt! Die du zwischen meinem freien Selbst und mir stehst! Wer wollte, dass mein Leben ein Echo deines eigenen verblassten Lebens sei? Wärst du doch tot!«
In diesem Moment krähte ein Hahn, und beide Frauen erwachten. Die Mutter sagte sanft: »Bist du das, mein Schatz?« Und die Tochter antwortete sanft: »Ja, Schatz.«
DER WEISE HUND
EINES Tages kam an einer Gesellschaft von Katzen ein weiser Hund vorbei.
Und als er näher kam und sah, dass sie sehr entschlossen waren und ihn nicht beachteten, blieb er stehen.
Da erhob sich mitten in der Gruppe eine große, schwere Katze, sah sie an und sagte: »Brüder, betet, und wenn ihr wieder und wieder gebetet habt, ohne zu zweifeln, wahrlich, dann wird es Mäuse regnen.«
Und als der Hund dies hörte, lachte er in seinem Herzen und wandte sich von ihnen ab mit den Worten: »Oh, blinde und törichte Katzen, ist es nicht geschrieben worden – und habe ich nicht gewusst wie meine Väter vor mir –, dass das, was nach Gebet und Glauben regnet, nicht Mäuse, sondern Knochen sind?«
DIE BEIDEN EREMITEN
AUF einem einsamen Berg lebten zwei Einsiedler, die Gott anbeteten und einander liebten.
Nun hatten diese beiden Einsiedler eine irdene Schale, und dies war ihr einziger Besitz.
Eines Tages drang ein böser Geist in das Herz des älteren Einsiedlers ein, und er ging zu dem jüngeren und sagte: »Wir leben schon sehr lange zusammen. Die Zeit ist gekommen, dass wir uns trennen. Lass uns unsere Besitztümer aufteilen.«
Da wurde der jüngere Einsiedler traurig und sagte: »Es betrübt mich, Bruder, dass du mich verlassen musst. Wenn du aber gehen musst, so sei es«, und er brachte die irdene Schale und gab sie ihm und sagte: »Wir können sie nicht teilen, Bruder, so soll sie dein sein.«
Dann sagte der ältere Einsiedler: »Nächstenliebe werde ich nicht annehmen. Ich werde nichts außer dem Meinen nehmen. Sie muss geteilt werden.«
Und der jüngere sagte: »Wenn die Schale zerbrochen würde, was würde sie dir oder mir nützen? Wenn es dir Freude macht, lass uns lieber ein Los werfen.«
Aber der ältere Einsiedler sagte wieder: »Ich will nur Gerechtigkeit und mein Eigenes haben, und ich will Gerechtigkeit und Eigenes nicht dem vergeblichen Zufall überlassen. Die Schale muss geteilt werden.«
Da konnte der jüngere Einsiedler nicht weiter argumentieren, und er sagte: »Wenn es wirklich dein Wille ist, und wenn du es so willst, dann lass uns jetzt die Schale zerbrechen.«
Aber das Gesicht des älteren Einsiedlers wurde überaus dunkel, und er rief: »Oh, du verfluchter Feigling, dass du nicht kämpfen willst!«