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Kerstin Wandtke
Kind des Lichtes
Dark-Fantasy Roman [FSK18]
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kind des Lichtes
Die Burg
Neue Freunde
Avalla
Neue Feinde
Todesangst
Fremde Völker
Der Aufbruch
Auf dem Meer
Karak
Die Verfolger
Der Dämon erwacht
Das Festland
Lacuna
Raven und Alina
Der Winter bricht an
Schlechte Nachrichten
Tharama
Leben und Tod
Wege mit Hindernissen
Die Verfolgung
Frühling
Der Bär
Licht in der Dunkelheit
Raven fällt
Totengesang
Rückkehr ins Leben
Ewige Dunkelheit
Baruth
Ein Dämon schleicht sich ein
Böse Ahnungen
Zurückgelassen
Vorbereitung zum Kampf
Das Böse häutet sich
In der Hand des Grauens
Der Kampf beginnt
Das letzte Kind des Lichtes
Epilog
Impressum neobooks
Kind des Lichtes
Von Kerstin Wandtke. Neuauflage 07.2017
Prolog
Begleitet mich in eine längst vergangene Zeit.
Eine Zeit voller Sagen und Mythen. Die Zeit der Drachen und Monster, der Märchen, der heldenhaften Prinzen, gütigen Königen und schönen Prinzessinnen. Eine, für sie, glanzvolle Zeit in der die Kirche langsam an Einfluss gewann und überall im Land neue Dörfer und Städte der Menschen entstanden. Doch es war auch eine dunkle Zeit, vor allem für jene, die jetzt auf Geheiß der Kirche, überall im Land erbarmungslos verfolgt wurden. Es gab oft Krieg, gegen andere Völker ebenso wie gegen Andersartige. Die große Zeit der Ausrottung hatte begonnen und würde noch Jahrhunderte andauern. Was vorher, manchmal unter Anbetung, geduldet wurde, ward nun hemmungslos verfolgt, gefangen oder oft einfach abgeschlachtet. Wölfe, Drachen, Bären, Einhörner, ja, sogar Zwerge und Elfen, von der Kirche als Geschöpfe des Teufels verrufen, wurden nun gejagt, gefangen, manchmal verbrannt oder einem staunenden Publikum vorgeführt. Ganze Völker, gegen die jetzt gezogen wurde.
Die ungewöhnlichsten von ihnen, oft Elfen und Einhörner, wurden dann in wunderschönen, reichverzierten Käfigen an die Schlösser der Könige gebracht, um dort wie exotische Haustiere bestaunt und gehalten zu werden. Vielen Elfen wurde dieses Schicksal zuteil. Diese kleinen, zarten, fast ätherischen Waldmenschen, äußerlich wunderschön, doch innerlich kalt und berechnend, faszinierten die Menschen dieser Zeit besonders. Dass Los der gefangenen Zwerge oder Trolle sah hingegen nicht so glanzvoll aus. Da sie klein, oft grobschlächtig und hässlich waren, zudem bei den Menschen dieser Zeit als verschlagen und listig galten, wurden sie, wo immer man sie fing, kurzerhand in Bergwerke gesteckt. Dort schufteten sie, egal ob Mann, Frau oder Kind, bis zum Ende ihres oft sehr langen Lebens. Die Einhörner, Drachen, Wölfe und Bären zogen sich immer tiefer in die unberührte Wildnis zurück und mit ihnen verschwand der Glanz der Welt.
Doch ein Volk ließ sich nicht so einfach vertreiben und nahm den Kampf gegen die sich ausbreitenden Menschen auf. Das gefürchtete geflügelte Volk, fast nur aus Männern bestehend, die, groß, stark und mit einer bezaubernden Schönheit gesegnet, oft des Nachts in die Dörfer der Menschen kamen um die Jungfrauen aus ihren Betten zu locken. Sie brachten die Mädchen in die dunklen Wälder um sich mit ihnen zu paaren und ließen sie danach, halb besinnungslos und heftig blutend dort zurück. Kaum eines überlebte eine solche Nacht und so wurde aus der Verehrung von einst ein Hass, der alles zuvor Gewesene in den Schatten stellte.
Die Kirche und ihre Anhänger taten ihr übriges dazu und verbreiteten Gerüchte über das geflügelte Volk, das sogar das Blut seiner Opfer trinken solle. Oder sich die abgezogene Haut seiner Gegner überstreifte, um für seine Feinde unsichtbar zu sein. Lauter solche Lügen, und die Menschen von einst schluckten sie begeistert. So wurden aus den ehemals Verehrten die Teufel dieser Zeit.
Für die Geflügelten und alle anderen, nicht menschlichen Völker eine wahrhaft dunkle Zeit.
Zu dieser Zeit lebte, hoch im wilden Norden fernab der südlichen Kriege, noch der Zauber der alten Welt. Über diesem Reich herrschte der kleine, alte und tief melancholische König Harold, der vom Volke auch ``Harold, der Einsame `` genannt wurde. Er war, wenn auch ungewöhnlich klein und oft kränklich, ein guter und weiser König, der vom Volk und Adel gleichermaßen geliebt wurde. Es gab nie den geringsten Zweifel an seiner Herkunft oder an seinem Blut und nur seine Mutter Abana, Gott habe sie selig, wusste es Zeit ihres Lebens besser. In Friedenszeiten den geflügelten Prinzen des Südens als flügelloses Mädchen geboren, wuchs sie am Hofe des großen Fürsten Morgans unter Menschen auf und bekam, wie seine eigenen Töchter, den Titel einer Prinzessin. Abana wurde eine große und außergewöhnlich schöne Frau, die aber keiner der Adligen, die alle um ihre Abstammung wussten, ehelichen wollte. Nun trug es sich zu, das eines Tages ein Ritter von König Herold den Hof dieses Fürsten erreichte, der auf der Suche nach einer Gemahlin für seinen Herrn war. Da bekannt war, das Herold, König des Nordlandes, schon Alt war, wollte man dem Ritter keine eigene Tochter des Hofes anvertrauen, fürchtete aber auch die Konsequenzen und gab ihm deshalb die schöne Abana mit. Zeit seines Lebens war Herold völlig von seiner Frau verzaubert und auch sein Volk blickte mit Freude zu ihr auf. Abana hingegen schenkte dem alten König und seinem Volke alle Liebe die sie besaß und kümmerte sich, neben ihrem Gemahl um die belange ihres Reiches. Doch eine dunkle Wolke verfinsterte das Reich. Der König war schon ein alter Mann und, sosehr sie sich auch bemühten, er konnte keinen Samen in ihr pflanzen. Er glaubte schließlich, ohne männlichen Erben vergehen zu müssen.
So trug es sich zu das Abana, eines lauen Sommerabends, allein durch den großen Schlosspark zum Pavillon ging. Die Luft war kühl und es roch nach Blumen und Heu. Die Bäume, die Hecken, ja, sogar die Luft, alles leuchtete ihr im goldenem Licht entgegen und sie tauchte ein, in diese verzauberte Welt der Farben. Sie erreichte, wie auf Flügeln, den hinter hohen Hecken verborgenen Pavillon und wurde dort schon erwartet. Ein kleiner, ungewöhnlich heller aber schöner junger Mann blickte ihr freundlich lächelnd entgegen,
„Ich habe euch hergerufen, denn der Zauber der tiefen Wälder schickt mich zu euch.“
Seine seltsam blaugrünen Augen sahen sie liebevoll an.
„Wir wissen um eure Not und ich werde euch geben, wonach ihr euch sehnt.“
Glücklich lächelnd nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm entführen.
Die Frucht dieser Begegnung war der kleine Harold, und Abana, sich der Folgen ihrer Tat wohl bewusst, verschwieg seine wahre Herkunft. So glaubte das Volk, die kränkliche, zarte Kleinheit des Knaben sei auf das Alter des Königs zurückzuführen. Und als Abana ihrem König, nach relativ kurzer Zeit, ins ewige Reich folgte, wurde Harold, unter Pomp, Glanz und Gloria vom Volke unter Segnung der allgegenwärtigen Kirche zum König des Nordlandes, gekrönt. Doch der Knabe, der bald zum Mann reifen sollte, würde ein sehr einsamer König werden. Harold suchte lange nach einer Frau, doch Zeit seines Lebens fand er keine Gemahlin. Er war nicht mit Schönheit gesegnet, anders als seine Eltern. Er war sehr verwachsen und besaß als erwachsener Mann nur die Größe eines Halbwüchsigen, hatte glattes schwarzes Haar und kleine braune Augen. Als junger Mann, in der Blüte seines Lebens, suchte er oft die Nähe des zarten Geschlechtes. Doch schon damals wollte sich keine Adlige, keine Zofe, noch nicht einmal eine Bauernmagd zu ihm legen und um ihnen Gold anzubieten war Harold zu stolz. In den Nachbarreichen wurde im Laufe der Jahre viel über den kleinen König des Nordens gelacht und gescherzt und, je öfter er nach einer Gemahlin schicken ließ, desto lauter erklang es in seinen Ohren. So zog er sich immer weiter von ihnen zurück und regierte einsam und still sein großes Reich. Seinem Volke ging es in seiner Amtszeit recht gut.
Es gab keinen Hunger, genug Arbeit, Kleidung und auch genügend Schulen im Land. Die Kirchen waren immer gut gefüllt und es gab schon lange keinen Krieg mehr. So flogen die Jahre dahin und über den einst jungen Harold senkten sich die Jahre, und mit ihnen die Leiden des Alters und der Einsamkeit. Doch, doch, er hatte einen großen Hofstaat, der auch immer für ihn und seine Wünsche da war, aber kann dieser die Liebe zweier Menschen zueinander Ersetzen. Als Harold diesmal, wie schon so oft zuvor, nach schwerer Krankheit langsam gesundete, hielt ihn eine so tiefe Melancholie gefangen, dass sogar seine vielen Minister keinen Rat mehr hatten. So wurde wieder ein Ritter gen Süden geschickt, in der Hoffnung, etwas zur Erbauung des müden Königs zu finden.
Rechtzeitig zum Geburtstag des Königs kehrte der Gesandte glücklich zum Hof zurück und übergab den aufgebrachten Ministern ein großes, von einem wundervollen Tuch, verhülltes Gebilde. Er meinte, das Wesen dahinter würde dem König bestimmt sehr gefallen, da es ebenso zart sei wie dieser. Das Fest wurde ein voller Erfolg und man sprach noch Jahre später, als Harold schon längst begraben und langsam vergessen wurde, davon. Harold trug, auf anraten seiner Minister prächtige Gewänder und als schließlich der verhüllte Käfig zu ihm getragen, und, unter musikalischer Begleitung, das prächtige Tuch gehoben wurde, ging ein Raunen durch den Saal. Sie alle hatten schon von diesen zarten, leuchtenden Wesen des Südens gehört aber keiner hatte je eins von ihnen gesehen.
Es war ein hübsches, kleines, weißes Elfenmädchen, das, völlig nackt, nur durch sein langes, weißes Haar bedeckt in einem großen, goldenen Käfig hockte und mit kaltem Blick die Anwesenden musterte. Sie erkannte recht schnell, das in Harold ihr Schlüssel zur Flucht steckte. Harold indessen war völlig von der kleinen Elfe verzaubert und wem im Reich verwunderte es. Etwas wie dieses kleine, hübsche Ding hatte es noch nie hier gegeben. Am Abend ließ er den Käfig in seine Gemächer tragen und damit begann das Ende von Harolds Herrschaft. Sie war ein gerissenes kleines Ding und so dauerte es nicht lang, bis der kleine, alte, einsame König ihr völlig verfallen war. Sie lockte, sie gurrte, sie berührte ihn, und bewegte sich dabei auf ganz bestimmten Arten und machte Harold so halb wahnsinnig vor verlangen nach ihr. Es verging nicht viel Zeit bis Harold sie zum ersten Mal aus ihrem Gefängnis entlies und sie ihm zu Willen war. Sie hasste den alten König, der in ihr fand wonach ihm immer schon dürstete. Dennoch verführte sie ihn weiter und Harold, völlig von ihrer zarten Schönheit geblendet, genoss ihre Wonnen immer zügelloser und unbefangener. Bei ihr war er der, der er immer schon sein wollte, groß, stark und mit jedem Mal, da er in sie stieß, wuchs er weiter.
Doch die Machenschaften im königlichen Schlafgemach blieben nicht lange unbemerkt, und die Zofen begannen als erste hinter vorgehaltener Hand zu flüstern. Schließlich wurde aus dem ständigen Geflüster schnell Gerede. Die Kirche erfuhr, dass der König nicht nur an der Betrachtung seiner Elfe vergnügen fand, sondern vielmehr noch dabei war, seien königlichen Samen im Bauch einer Hündin zu pflanzen. Auf das Vermischen zweier Rassen stand bei den Menschen jener Tage der Tod durch die Verbrennung und so war das Schicksal des Königs, bevor er auch nur etwas davon ahnte, bereits Besiegelt. Als er wieder einmal ihre Freuden genoss, wurde kurzerhand sein Schlafgemach gestürmt, er verhaftet, danach von der Kirche des Verrates am Volke angeklagt und fast augenblicklich für schuldig befunden. Das kleine Elfenmädchen konnte im Tumult bei ihrer Entdeckung gerade noch fliehen und war schon weit vom Schloss entfernt, als Harolds Kopf, nach reichlicher Überlegung seitens des Bischoffs, ins Sägemehl unter dem Henkersblock fiel. Die Verbrennung eines Mitgliedes des Königshauses war zu dieser Zeit noch undenkbar. Aber auch dieser Brauch würde unter dem Einfluss der Kirche bald schwinden.
Sie schickten danach Ritter aus, die nach der Elfe suchten, aber gefunden haben sie das kleine, kalte Geschöpf nie. Da Harolds Reich nun ohne Herrscher war, wurde seitens der Kirche beschlossen das Königreich an einen der entfernten Verwandten des ehemaligen Königs zu übergeben. Das Volk, das einst den kleinen, zarten Harold geliebt hatte, verfluchte diesen jetzt und bejubelte später den neuen Herrscher.
Sie wollte heim, zu ihrem Volke, kam dabei aber nur langsam voran, des neuen Lebens wegen, das unter ihrem Herzen wuchs. Sie hasste es, wie sie den Verursacher gehasst hatte und versuchte, mit allen ihr bekannten Mitteln, zu töten was immer dort in ihr heranreifte. Dies gelang ihr nicht und so schwoll im Verlauf der nächsten Wochen ihr Bauch und behinderte sie sehr auf ihren Heimweg.
Ihre Schwangerschaft dauerte nur kurz, bei ihrem Volk völlig normal, und sie war immer noch in einem der verzauberten Wälder des Nordens, als sie sich hinhockte und ein kleines, weißes Mädchen gebar. Da dieses nicht ihre erste Geburt war, ging alles entsprechend schnell und problemlos. Sie hatte zudem keine Hemmungen, den Säugling dort zu belassen, wo er aus ihr herausgeglitten war. Mit Hass dachte sie an Harold, der sich an ihr vergnügt hatte, sie gezwungen hatte, ihm zu Willen zu sein, und sie betrachtete das kleine, weiße Mädchen kalt und mit Verachtung. Sie peinigte die Kleine ein wenig mit einem Stöckchen, wurde dessen aber bald überdrüssig, und setzte unbeirrt ihre Reise nach Süden fort. Dem Säugling würdigte sie keinen Gedanken mehr.
Danach wurde ihr jedoch auch kein langes Leben mehr vergönnt. Sie hatte ihr Ziel fast erreicht, als Jäger sie in den Wäldern unter einem Baum schlafend vorfanden, sie einfingen, fesselten und in deren Lager brachten. Dort vergingen sie sich viele Nächte an ihr. Sie waren schon lange von ihren Frauen getrennt, und es bereitete ihnen Vergnügen dieses stolze, harte und schöne Wesen zu demütigen. Doch als sie schließlich ihrer überdrüssig wurden, beendeten sie rasch ihr Leben und vergruben sie unter einer alten Eiche.
Begegnungen
Er erhob sich, lauschend des fernen Geheuls und wandte sich dem Eingang der kleinen Höhle zu. Die fortschreitende Dämmerung ließ draußen alles wie im Zwielicht erscheinen. Er gehörte dem Volk der geflügelten Prinzen an, groß und kraftvoll. Er hatte langes, schwarzes Haar, eine sonnengebräunte, glatte Haut und dieses schöne Gesicht, das allen seines Volkes zuteil war.
Auf diesem lag nun der goldene Schein des kleinen Feuers, das die Höhle sanft erhellte.
Trotz des harten Winters bestand seine Kleidung aus eher dünnem, schwarzem Leder und er hielt seine ledernden, braunen Flügel halbgeöffnet vom Körper ab. Er trug nur wenige Felle und Taschen mit sich, obwohl seine Reise schon lange Jahre andauerte und noch lange nicht beendet war.
Draußen, vor der Höhle, tobte über dem Tal ein fürchterlicher Schneesturm und Raven verspürte nicht die geringste Lust diese zu verlassen, auch wenn ein Rudel Wölfe vielleicht eine warme Mahlzeit versprach.
„Nein, meine Brüder, heute abend ohne mich,“ flüsterte er in den Wind, der in die warme Höhle wehte und ihm Schneeflocken ins Gesicht trieb. Im Umdrehen hörte er wieder ihr Heulen, voller Hunger, aber auch voller Furcht. Ihre Rufe hallten in seiner Seele noch lange nach und er fühlte sich ihnen in ihrer Einsamkeit sehr verbunden. Hatte er doch als junger Mann seine Heimat verlassen, von einer tiefen Sehnsucht getrieben und reiste seitdem durch die Welt, immer auf der Suche nach etwas, dass er nie gefunden hatte. Nun kehrte er Heim von einer jahredauernden Suche und verspürte einen Schmerz, der so tief, so fest in seinem Innern saß, das ihn manchmal Angst vor seiner Zukunft beschlich. Angst vor einer einsamen, vor einer stillen Zeit und ihm wurde klar, dass sie derselbe Hunger nach Liebe und Vertrauen trieb. Nun, dachte er, das Wild ist fort, schon vor dem Winter in tiefere Täler gezogen, also entweder ein schlaftunkender Bär oder ein sehr, sehr dummer Mensch. Ein Bär hatte von ein paar klapprigen Wölfen nichts zu befürchten und ein Mensch? Sei es drum. Raven, Sohn seines Volkes, verachtete die Menschen ebenso sehr wie diese ihn und er würde nie einem Feind helfen. Dennoch, etwas ließ ihn einhalten. Es war ein sonderbares Gefühl, ein starker Drang, der Sache auf den Grund gehen zu müssen. Er trat in die schneedurchtoste Dunkelheit auf das Plateau vor der Höhle, und schwang sich, Kontrolle über seine Flügel suchend, in den Wind empor.
Der Schneesturm war dicht und die Sicht sehr schlecht. Der Wind heulte so sehr, dass er das andere Heulen darüber kaum vernehmen konnte. Nachdem er seinen Flug stabilisiert hatte, war es nicht mehr schwer das halbverhungerte Rudel auf einer großen Lichtung im Tal zu finden. Die Wölfe umschlossen in engeerwerdenden Kreisen einen kleinen Fellberg. Also, doch ein Bär, dachte Raven. Ein Jungtier, dem in seinem Bau wohl zu kalt geworden ist. Armer kleiner Kerl, dachte er mit Bedauern, aber ich werde dir nicht helfen können, das ist etwas, womit du allein mit fertig werden musst. Er beschloss zur warmen Höhle zurück zu kehren, doch etwas hielt ihn hier fest, zog ihn wie magisch zum Bündel, das bewegungslos auf dem Schnee lag.
Stimmt, bemerkte er, wie konnte ich das übersehen.
Er schallt sich einen Narren. Ein Bär, egal ob klein oder groß, würde toben, angesichts des hungrigen Rudels und auch ein Mensch würde versuchen sich zu wehren. Und noch etwas war Merkwürdig, denn, obwohl das Fellbündel völlig bewegungslos dalag, hatten die Wölfe große Angst davor und wohl nur ihr rasender Hunger ließ sie langsam näher rücken. Jetzt war seine Neugier geweckt und er beschloss, das Fellbündel samt Inhalt mit zur Höhle zu nehmen. Sollte der Inhalt sich doch als feindlich erweisen, konnte er es immer noch dem hungrigen Rudel überlassen oder gar mit denen teilen. Im Sturzflug, trotz schlechter Sicht, ergriff er das Bündel recht zielsicher und stellte überrascht fest, wie ungewöhnlich leicht es war. Die Wölfe, vorher schon verängstigt, suchten jetzt ihr Heil in der Flucht und rannten jaulend zurück in die dunklen, verschneiten Wälder.
Raven war verwirrt.
Nach dem er zur Höhle zurückgekehrt war, legte er das kleine, leichte Bündel nahe ans wärmende Feuer und nahm gegenüber Platz. Er war sehr neugierig auf das, was die Wölfe so eingeschüchtert hatte, doch es dauerte noch lange, bis die Felle sich zu rühren begannen. Er lehnte sich erwartungsvoll nach vorn, als eine kleine, weiße Hand langsam und tastend zum Vorschein kam.
Ein Kind! Dachte er mehr als überrascht.
Bei den alten Göttern, was suchte ein Kind mitten im Winter allein in den Bergen und warum hatten die Wölfe solche Scheu davor? Dann wich er verblüfft zurück, als der kleine Kopf zum Vorschein kam. Ihr kleines, elfenhaftes Gesicht wurde nur von ihrem langen, weißen Haar eingerahmt und er sah in die ungewöhnlichsten Augen, die er je erblicken sollte. Ihr blaugrüner Blick war verwirrt und unsicher und sie wich scheu, das Bärenfell mit sich zerrend, zur Höhlenwand zurück.
Er bemerkte, dass sie außer dem alten Bärenfell keine Kleidung oder Taschen trug.
„Auf was, bei den alten Göttern, bin ich hier gestoßen?“ Sprach er leise mehr zu sich, spürte er doch ihre Unsicherheit und wollte ihr etwas Zeit lassen. Von den Frauen der Völker wusste er, das diese irgendwann zu Reden begannen, egal wie tief der anfängliche Schock auch immer saß, und das konnte ihm manchmal recht lästig werden. Doch, obwohl er lange Zeit wartete, schien sie irgendwie anders zu sein. Er sah in ihre großen, leuchtenden Augen und beherrschte seine Aufregung nur schlecht.
„Sag, was treibst du hier allein in den Bergen,“ er sah sie neugierig an, „wo sind deine Leute, woher kommst du?“ Sie blickte langsam zum Höhleneingang, gab ihm aber keine Antwort. Ihr Blick war traurig und sehnsüchtig auf die Ferne gerichtet, so als warte sie auf etwas, auf jemanden, den sie sehr vermisste.
„Gut, du redest nicht mit jedem,“ meinte er resigniert, „das kann ich verstehen, ich mache das auch nicht, aber verrate mir doch wenigstens deinen Namen.“
Sie sah in verunsichert aber nicht unfreundlich und mit leicht schrägehaltendem Kopf an, blieb aber auch weiterhin stumm. Er betrachtete sie. Sah in ihr schönes, kleines Gesicht, bekämpfte dabei seine wilde Neugier und zuckte dann schließlich nur mit seinen Schultern.
„Nun denn, belassen wir es vorerst dabei, vielleicht reden wir später.“
Die Abenddämmerung wich langsam der Nacht und es wurde kälter in der kleinen Höhle, so das beide dichter ans Feuer rückten um sich zu wärmen. Raven besaß als Proviant Dörrfleisch und einige der kleinen, harten Äpfel, die im Norden wild wuchsen. Beim gemeinsamen Mahl betrachtete er sie etwas eingehender. Sie war ungewöhnlich, etwas wie sie war ihm noch nie zu Gesicht gekommen und er war schon weit gereist und hatte viel gesehen. Irgendwie war sie halb Mensch, halb Elf. Dennoch hatte sie auch etwas Fremdes an sich, ihre sonderbar leuchtenden Augen, wie aus einer anderen Welt. Sie steckte für ihn voller Rätsel, denn zwischen Menschen und Elfen gab es seines Wissens nach keine Verbindungen, die ein Wesen wie sie wachsen ließen. Zudem lebte das Elfenvolk viel weiter südlich, an den warmen Küsten des großen Meeres. Dennoch ähnelte sie einer Elfe auf verblüffender Weise und er war von ihrem zarten Anblick seltsam berührt. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er, das er auf etwas Neues, etwas Ungewöhnliches gestoßen war und das kleine, helle Mädchen begann ihn zu faszinieren. Vielleicht hatte mit ihr seine unruhige, quälende Suche nun endlich ein Ende gefunden. Die ganze restliche Nacht, während sie unruhig schlief, beobachtete er sie. Es bedrängten ihn viele offene Fragen, wo zum Beispiel ihre Wurzeln lagen und was sie mitten im Winter allein und halbnackt durch die Berge trieb und er beschloss, dies herausfinden zu wollen. Gegen Morgen dachte er, sie vorerst mitzunehmen, wenn sie es denn wollte. Nur so würde er, wie er sich erhoffte, Antworten auf seine Fragen erhalten. Sie machte auf ihn einen hilflosen, einen zurückgelassenen Eindruck, doch sie schien freundlich und entgegenkommend zu sein und, bei den alten Göttern, sie war wunderschön.
Am anderen Morgen betrachtete er sie, nochmals überlegend, und fragte sie schließlich ob sie ihn begleiten wolle. Raven wunderte sich ein wenig über seine erfreute Reaktion als sie, nach langer Überlegung ihrerseits, ihn anblickte und schließlich nur kurz nickte. Nachdem sie den Rest des Fleisches gegessen hatten, reichte er ihr seine Wechselkleidung und verließ dann die kleine Höhle, damit sie sich anziehen konnte.
Er stand draußen auf dem kleinen Plateau vor der Höhle, und sog die frische, kalte Luft tief in seine Lungen. Der Morgen war wieder klar, der Sturm des Abends vorbei und die ersten Sonnenstrahlen glänzten hell auf dem neuen Schnee, der das ganze Tal unter ihm bedeckte. Er fühlte sich stark und lebendig und freute sich seid langem wieder auf den weiten Flug nach Süden. Kurze Zeit nach ihm trat sie aus der Höhle und als Raven sich umwandte, musste er laut Auflachen, ihres Anblicks wegen. Sie erschrak, wich zurück und sah ihn sehr misstrauisch an.
„Nein, nein, du musst keine Angst haben,“ er hob beschwichtigend seine Hände und unterdrückte einen erneuten Anfall, „aber, wenn du dich sehen könntest.......,“ wieder musste er Lachen und sie sah mit Unverständnis im Blick zu ihm auf. Sie war so klein und verschwand dabei völlig in seiner Kleidung. Die Hose, die Weste, der Fellüberwurf, alles schlotterte an ihr, war ihr viel zu groß.
„Warte,“ meinte er, immer noch lachend, „ich werde dir helfen.“
Er betrat erneut die Höhle und kramte in seinen Taschen nach Lederbändern und seinem Messer, um ihr, wieder draußen, seine Kleidung zu kürzen und ihr mit den Bändern etwas mehr halt zu geben. Die Reste des Fellüberwurfs band er um ihre kleinen, weißen Füße und als er sich wieder erhob, er war mit dem Ergebnis seiner Arbeit sehr zufrieden, lächelte sie ihn zum ersten Mal freundlich an.
„So, fertig,“ Raven sah erstaunt zu ihr herab, sie schien zu Leuchten, wenn sie so lächelte, „bist du bereit, kann es losgehen?“ Sie sah zu ihm auf, nickte und begann dann schnell und geschickt ihr langes Haar zu einem dicken Zopf zu drehen, der ihr anschließend, mit den Resten der Bänder zusammengehalten, bis zur schmalen Hüfte fiel. Anschließend packten beide ihre Habseeligkeiten zusammen, löschten das Feuer und traten zum letzten Mal auf das Plateau. Er würde mit ihr fliegen müssen, wie Leute seines Volkes mit ihren Kindern flogen, und er überlegte kurz, ob sie dies wohl zulassen würde.
„Warte,“ Raven löste seinen dicken, schweren Gürtel von seiner Taille, „du wirst dich in der Luft sonst nicht lange halten können. Dafür ist es zu kalt, und ich muss meine Hände freibehalten. Möchtest du nach oben sehen oder die Landschaft betrachten?“
Er sah sie hoffend und abwartend an. Sie überlegte nur kurz und trat dann so auf ihn zu, das sie sich gegenüberstanden.
„Gut,“ meinte er, ging freudig in die Knie und band sie mit dem Gürtel fest an sich. Ihre Nähe, ihr Geruch, sie machte ihn nervös und er versuchte, sich auf den bevorstehenden Flug zu konzentrieren. Als er sich wiederaufrichtete, hing sie, wie seine Taschen auch, fest an ihm verschnürt und er ging zum Rand des Plateaus.
„Halte dich fest und habe Vertrauen,“ flüsterte er ihr zu, jetzt ihre Angst fühlend, breitete danach seine großen, ledernen Schwingen aus und stürzte sich dann mit ihr in die Tiefe. Er fing sich mühelos ab, sie wog fast nichts, und rauschte mit ihr erst segelnd über die Wipfel der schneebedeckten Bäume, um danach mit mächtigen Flügelschlägen langsam an Höhe zu gewinnen. Sie klammerte sich ängstlich zitternd an ihn, und er fürchtete dadurch schon um seine Fassung.
„Sieh mich an, kleine Fee.“ Langsam hob sie den Kopf und öffnete die Augen.
„Es wird dir nichts passieren, das verspreche ich dir, aber bitte, klammere dich nicht so fest.“ Daraufhin entspannte sie sich ein wenig und auch Raven ging es nun etwas besser, obwohl ihr Zauber ihn immer weiter gefangen nahm. Um sich etwas von ihr abzulenken, hielt er den Blick stur nach unten, um nach Leuten, Häusern oder Vieh Ausschau zu halten, denn irgendwo her musste sie schließlich kommen. Doch nichts dergleichen bekam er zu sehen, und gegen Mittag gab es er auf.
Die schneebedeckte Landschaft unter ihnen war Atemberaubend, doch nichts deutete auf Menschen oder anderes Leben hin, außer einigen mageren Rehen, von denen er eines im Flug packte und schnell in der Luft tötete. Sie flogen den ganzen Tag hindurch, und er begann am Nachmittag wieder nach einem Lagerplatz für die Nacht zu suchen und fand später eine kleine Lichtung im Wald. Keine Höhle, aber besser als nichts. Raven landete sehr vorsichtig da sie jetzt schon seid geraumer Zeit fest schlief. Er legte sie sanft zu Boden und bereitete so schnell er konnte das Lager, um sie dann in die wärmenden Felle zu betten. Sie schlief unter seinem wachen Blick bis zum Abend und als sie dann erwachte, brannte ein Feuer und darüber hing das magere Reh. Er saß am Feuer und schnitzte, als sie sich schlaftrunken die Augen rieb. Erfreut blickte er sie an.
„Du hast lange geschlafen, kleine Fee, bist du hungrig?“ Sie gähnte, streckte sich ausgiebig und nickte ihm danach immer noch etwas müde zu.
„Das ist gut, denn dieser prächtige Braten wäre für einen allein sowieso viel zuviel,“ meinte er grinsend und sie lächelte verschlafen zurück. Er erhob sich, ging zum Feuer und gab ihr danach ein großes Stück vom Reh. Sie aßen schweigend, und er fühlte sich seid sehr langer Zeit wieder wohl. Normalerweise banden sich die Männer seines Volkes nicht an eine Frau. Aber ja, sie hatten Frauen, und wo immer sich die Gelegenheit bot, teilten sie mit ihnen die Wonnen, was bei Menschenweibern oft deren Tot zur Folge hatte. Sein Volk war in vielerlei Beziehung mächtig und einige waren dieser Macht eben nicht Gewachsen, was bedauerlich war, sich aber nicht ändern ließ. Doch sie übte eine besondere Faszination auf ihn aus, und er war neugierig, ob es nur ihm so ging oder auch andere Männer seines Volkes betreffen konnte.
Sie war so klein, so jung und wunderschön. Er unterdrückte nur mit Mühe den Drang sie zu berühren und schwor sich, so lange zu warten, bis sie auf ihn zukommen würde. Doch es würde hart werden, das wusste er. Nach dem gemeinsamen Mahl reinigte sie ihre Hände mit Schnee und begann danach ihren, jetzt unordentlichen Zopf zu lösen und einige Kletten im langen Haar zu entwirren. Er erhob sich, ging ums Feuer und reichte ihr seine Schnitzerei.
„Hier, kleine Fee, bis du einen neuen hast wird dieser es auch tun.“ Damit reichte er ihr einen kleinen Holzkamm, an dem er schon den ganzen Nachmittag lang gearbeitet hatte. Erstaunt sah sie zu ihm auf, nahm ihm den Kamm dann auch aus der Hand, aber betrachtete ihn danach nur fragend. Schließlich legte sie ihn in ihren Schoß und bearbeitete ihr langes Haar weiter mit den Händen. Raven sah sie völlig verblüfft an und so langsam dämmerte ihm, in was er da hineingeraten war. Sie kannte keinen Kamm? Jede Frau, absolut jede, egal ob stolze Königin oder arme Bäuerin, ob Elfenprinzessin oder Zwergin nannte einen Kamm ihren Besitz. Wenn sie die Funktion eines solchen nicht kannte, hatte sie nie unter Menschen oder anderen Völkern gelebt. Er beugte sich herunter, nahm ihr den Kamm aus dem Schoß, setzte sich hinter sie und begann vorsichtig ihr langes, schönes Haar zu kämmen. Zuerst zappelte sie dabei ein wenig herum, doch als er mit ihr sprach, beruhigte sie sich und saß dann still.