Im Eissturm der Amsel

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Im Eissturm der Amsel
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Im Eissturm der Amsel

Historischer Roman

von

Kerstin Groeper


Impressum

Im Eissturm der Amsel, Kerstin Groeper

TraumFänger Verlag Hohenthann, 2020

1. Auflage eBook Mai 2021

eBook ISBN 978-3-941485-97-6

Lektorat: Michael Krämer

Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag

Datenkonvertierung: Bookwire

Titelbild: James Ayers

Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,

Hohenthann

Printed in Germany

Inhalt

Fort Raymond

Mato-wea

Wambli-luta

Yellowstone

Ree

Fort Lisa

Sheheke shote

Rache

Missouri

Pär

Apsalooke

Three Forks

Dachbitche-hisshi

Marie Dorion

Slim Buttes

Anpao-win

Claire

Ree

Bighorn-Berge

Blackfeet

Kriegszug

Plains

Flucht

Kanghi-win

Mato-win

Frieden

Tetschichila

St. Louis

Beglichene Schulden

Konflikte

Sonnentanz

Sacajawea

Hemdträger

Omaha

Verbündete

Louise

Dakota

Fort Shelby

Prairie du Chien

Begegnungen

Epilog

Nachwort


Fort Raymond
Louisiana Territorium im Winter 1808/1809

Pierre DuMont lag in seinem Versteck zwischen den tiefhängenden Ästen einer Fichte und beobachtete die beiden Indianer, die ganz in seiner Nähe vorbeischlichen. Er sah schwarz und rot bemalte Gesichter, Hauben mit hoch aufgerichteten Adlerfedern und nach unten hängenden Hermelinstreifen, hemdenähnliche einfache Gewänder mit langen Fransen und griffbereite Waffen. Sie hatten ihre Bisonroben abgelegt, um für den Kampf beweglicher zu sein. Pekuni! Er wusste, dass sie – verteufelt noch mal – etwas gegen seine Anwesenheit hier hatten. Die Pekuni waren erbitterte Feinde der Trapper oder auch Waldläufer, die es wagten, den Missouri entlang in ihre Jagdgründe vorzustoßen. Pierre zog ein Tuch vor seinen Mund, damit die Rothäute nicht die Atemwölkchen sahen, die in der klirrenden Kälte von seiner Nase aufstiegen. Zur Sicherheit nahm er Schnee in den Mund, um den Atem zu kühlen. In den Händen hielt er sein Gewehr. Es war geladen, aber Pierre wusste, dass allein das Klicken, wenn er den Hahn spannte, in der Wildnis weit zu hören sein würde. Obwohl die Kälte langsam in seine Glieder kroch, sammelte sich auf seiner Stirn der Schweiß. Mit einer langsamen Bewegung schob er die Biberfellmütze etwas nach oben und wischte sich die Stirn trocken. Er konnte unmöglich einen genauen Schuss abfeuern, wenn ihm der Schweiß in die Augen lief. Sein braunes lockiges Haar klebte am Haaransatz und juckte unangenehm. Eine Schweißperle lief an der Nase entlang und sammelte sich an seinem gestutzten Oberlippenbart. Mit seiner Zunge leckte er sie weg, mehr Bewegung wagte er nicht. Die beiden Indianer unterhielten sich leise in ihrer Sprache und folgten einem Pfad zum Ufer des schmalen Baches. Pierre atmete tief durch. Dort hatte er noch keine Spuren hinterlassen! Er war über den Hügel gekommen und hatte den Bach, eigentlich ein kleiner Nebenarm des breiten Yellowstone-Flusses, noch nicht erreicht. Das war vielleicht sein Glück, denn im Schnee konnte man seine Spuren nicht verwischen. Unter der Fichte lag kaum Schnee, sodass die ledernen Leggins und der warme Mantel aus dem Wollstoff der Hudson‘s Bay Company ihn etwas vor dem Frost schützten, der vom Boden aufstieg. Der Mantel war weiß und hatte im unteren Bereich und an den Ärmeln einen breiten roten Streifen. Er hatte ihn von einem französischen Trapper eingetauscht, der sonst weiter im Norden Handel mit den Assiniboine trieb. Im Moment wurden der untere Streifen verdeckt, weil er auf ihm lag, aber die Ärmel hätten ihn verraten können. Er hielt die Arme tief und hoffte, dass die Injuns das Rot nicht sahen. Mit seinen dunkelbraunen Augen beobachtete er die Indianer, dabei flogen seine Gedanken. Als fast mittelloser Sohn eines französischen Farmers in St. Louis hatte er mit sechzehn die Chance ergriffen, sich einer Brigade Trapper anzuschließen. Anfangs war ihm alles wie ein großes Abenteuer erschienen, doch das Leben hatte ihm gezeigt, dass das Fallenstellen seine Tücken hatte: Indianer und unberechenbare Wildnis. Inzwischen war er vierundzwanzig, und irgendwie hatte er noch immer keine Reichtümer ansammeln können. Er war ein Voyageur, ein Angestellter, der vertragsmäßig für einen Pelzhandelsposten arbeitete. Dieses Mal war er von Manuel Lisa, einem spanischen Bourgeois, wie die Bosse genannt wurden, angeheuert worden, der den Pelzhandel am Oberen Missouri etablieren wollte. Lisa finanzierte das Unternehmen und hatte Voyageure, Führer, aber auch erfahrene Soldaten angeworben, um in der Wildnis Handelsposten zu errichten. Der Pelzhandel brachte viel ein! Pierre schickte das meiste Geld seinen Eltern, die inzwischen außerhalb von St. Louis eine größere Farm bewirtschafteten, die er mal übernehmen sollte. Im Moment hoffte er nur, dass er hier lebend wieder rauskam. Vielleicht hätte er doch auf seine Mutter hören sollen, die ihn gebeten hatte, endlich sesshaft zu werden.

Die Stimmen kamen wieder näher, und Pierre wusste, dass er dem Kampf nicht ausweichen konnte. Mit seiner Hand tastete er an die Seite seines Gürtels und zog das Beil hervor. Er hatte vielleicht noch den Vorteil der Überraschung! Er legte das Beil griffbereit und schob vorsichtig das Gewehr an seine Schulter. Wenn er mit dem ersten Schuss traf, hätte er gegen den zweiten Mann eine Chance. Zum Laden der Pistole blieb keine Zeit mehr. Jede weitere Bewegung, jedes Aufblitzen des Metalls oder Spannen würde ihn nur verraten. Merde! Wo kamen die beiden überhaupt her? Waren vielleicht noch mehr Rothäute in der Umgebung? Dann stand es schlecht um ihn. Die Pekuni waren nicht zimperlich, wenn sie einen weißen Trapper erwischten. Oft genug wurde aus den armen Kerlen Wolfsfutter gemacht. Pierre knirschte mit den Zähnen, als er kurz die Lage einschätzte. War das Pulver trocken? Würde das Gewehr schießen? Bisher hatte er sich auf seine „Dicky“, wie er seine Dickert Rifle liebevoll nannte, verlassen können. Es regnete nicht, und es blies auch kein heftiger Wind, der den Schuss hätte beeinflussen können. Die Waffe war in gutem Zustand. Er brauchte nur ein wenig Glück!

Die beiden Indianer näherten sich langsam den Fichten, unter denen Pierre in Deckung gegangen war. Spätestens jetzt würden sie seine Spuren sehen! Er wusste, dass der Moment der Überraschung gleich vorbei wäre. Mit einem Satz richtete er sich in eine kniende Stellung auf, spannte den Hahn und drückte den Abzug. Der Hahn schlug auf die Pfanne, Funken stoben und in die Stille dröhnte ein ohrenbetäubender Knall. Rauch stieg auf, und für einen winzigen Moment konnte Pierre nichts mehr erkennen. Er ließ das Gewehr fallen, das ihm nun nichts mehr nützte, griff nach dem Beil, rollte sich zur Seite und sprang auf. Erst jetzt konnte er erkennen, dass er einen der Indianer getroffen hatte. Stöhnend wälzte sich dieser im Schnee, während der andere überrascht, aber durchaus schnell, zu seinen Waffen griff. Auch er hatte ein Gewehr in den Händen, das er nun zum Schuss anhob. Pierre hechtete zur Seite, fühlte einen Luftzug an seinem Kopf, dann rollte bereits das Echo des zweiten Schusses durch das Tal. Ehe der Indianer zum Denken kam, ging Pierre mit erhobenen Beil auf ihn los. Rücksichtslos hieb er auf den Kopf des Mannes ein und spaltete ihm den Schädel. Blut spritzte in den Schnee und traf auch Pierre, der mitleidlos zusah, wie der Mann zusammenbrach. Das Beil steckte so fest, dass er es stecken ließ und lieber seinen Dolch zog. Mit gezückter Klinge ging er zu dem verletzten Indianer, setzte ihm das blanke Metall an die Kehle und schnitt sie durch. Der Mann gurgelte und fasste sich mit den Händen an den Hals, während sein Blick die Augen von Pierre traf. Er erwartete kein Mitleid, so wie er selbst kein Mitleid empfunden hätte. Der weiße Trapper hatte ihm den Tod gebracht. Seine Augen brachen, als der Körper kraftlos in den Schnee sackte.

 

Pierre richtete sich auf, zog das Tuch von seinem Mund und atmete tief durch. Sein Blut rauschte, und er hörte das Herz in seiner Brust pochen. Kurz ließ er seinen Blick durch das Tal schweifen, doch bis auf ein paar aufgeschreckte Krähen blieb es still. Er wartete, bis die schwarzen Vögel sich wieder in den Wipfeln der Bäume niedergelassen hatten, dann sammelte er seine Waffen ein und wischte das Blut ab. Er nahm sich die Zeit, sein Gewehr nachzuladen, ehe er sich den beiden Körpern zuwandte, die regungslos im Schnee lagen. Dieses Mal zog er sein Messer und nahm ihnen die Skalpe. Dann schleifte er die Körper unter die Zweige der Fichten, brach einige Äste ab und legte sie über die Leichen. Wolfsfutter!

Zufrieden barg er das Gewehr des Indianers und sammelte die anderen Habseligkeiten ein. Er fand einen Köcher mit Pfeilen und einem Bogen, zwei schöne Messerscheiden samt Messern, Proviantbeutel und eine kleine Tasche mit Munition. Kaltblütig kehrte er zu den Leichen zurück und holte sich noch das Pulverhorn des einen Mannes. Er konnte sich Verschwendung nicht leisten. Dann überlegte er, wie die beiden hierhergekommen waren. Vielleicht fand er Pferde, wenn er die Spuren zurückverfolgte? Er musste vorsichtig sein, denn die alte Regel hieß: Wo ein Indianer war, konnten die anderen nicht weit sein!

Wachsam machte er sich an die Verfolgung der Spuren. Es beunruhigte ihn, dass die Rothäute aus der Richtung des Forts gekommen waren. Es stand an der Mündung des Bighorn in den Yellowstone-Fluss, wo es von Manuel Lisa, erbaut worden war. Sie trieben dort Handel mit den Apsalooke, den Crow-Indianern, die den Weißen gegenüber wohlgesonnen waren, doch die Pekuni-Blackfeet machten ihnen das Leben schwer. Sie hatten schon mehrmals das Fort angegriffen und lauerten den Trappern auf, die in der einsamen Wildnis ihre Fallen aufstellten. Lisa zahlte die Männer nicht schlecht, wobei ein großer Teil des Verdienstes dazu verwendet wurde, die Schulden zu tilgen und neue Ausrüstung zu überhöhten Preisen einzukaufen. Pierre liebte das Abenteuer, aber irgendwann wollte er als gemachter Mann in die Zivilisation zurückkehren. Auf jeden Fall wollte er sich nicht von Indianern massakrieren lassen. Es war nur eine Gruppe von dreißig Männern über den Winter im Fort geblieben. Doch nach den vielen Angriffen waren die Männer mürbe geworden und hofften auf die Verstärkung im Frühjahr.

Vorsichtig stapfte Pierre durch den Schnee und fluchte über die Schneeverwehungen, die manchmal über ruhendem Wasser lagen, sodass man plötzlich in eiskaltes Wasser trat. Das war gut für die Jagd, weil man Biber nur jagen konnte, solange die Flüsse nicht zugefroren waren, aber schlecht für die Ausrüstung. Es dauerte ewig, Stiefel oder gefütterte Mokassins zu trocknen. Der Blick über das Tal war frei, und Pierre erkannte, dass die beiden Indianer wohl allein gekommen waren. Er fand auch keine weiteren Spuren. Er selbst musste sich darüber keine Gedanken mehr machen, denn die Lage des Forts war bekannt. Es hatte keinen Sinn, etwa zu verbergen, was alle Welt inzwischen kannte. Abgesehen davon, dass das Fort ja gerade diesen Zweck hatte: mit den hiesigen Indianern Handel zu treiben. Pierre verließ die Spur, die die Pekuni hinterlassen hatten, und kürzte den Weg zum Fort ab. Aus der Ferne war leichtes Donnergrollen zu hören, ganz wie ein entferntes Gewitter, doch Pierre wusste, dass es sich um Gewehrfeuer handelte. Das Fort lag unter Beschuss!

Er hastete über den sanften Hügel und warf sich zu Boden, um sich einen Überblick zu verschaffen. Der Handelsposten, auch Factory genannt, lag in einer Biegung des Bighorn-Flusses, kurz ehe er in den Yellowstone mündete. Auf einigen sanften Anhöhen wuchsen dunkle Fichten, doch im weiteren Umkreis um die Gebäude bis zum Ufer des Flusses standen nur wenige dürre Laubbäume, deren kahle Zweige sich gespenstisch in den Himmel erhoben. Der Handelsposten stand somit auf der großen Lichtung, die durch das Abholzen der Bäume zum Bau der Gebäude und Palisaden entstanden war. Ein größeres Gebäude diente als Handelsraum; die anderen Hütten waren für die Trapper und Händler bestimmt. Die Lage war günstig, weil der Posten von fast drei Seiten durch den Fluss geschützt war, der sich dort wie eine Schlange durch das Land wand. Jetzt stieg Qualm aus den Schießscharten der Palisade auf, hinter der sich die Bewohner dem Kampf stellten. Pierre schätzte, dass vielleicht zwanzig Indianer mit wütenden Kriegsrufen gegen das Fort zogen. Er brauchte kein Fachmann zu sein, um sie als Pekuni zu identifizieren. Merde! Er fluchte leise vor sich hin.

Pierre überlegte, wie er seine Kumpel unterstützen konnte, ohne dass er selbst in Gefahr geriet. Er blickte auf die Gewehre und grinste. Beide waren Waffen für die Jagd und daher gut geeignet, Schüsse aus der Distanz abzugeben. Problematisch war nur, dass er seine Position verriet, sobald er schoss. Außerdem kannte er die erbeutete Waffe nicht. Sie hatte einen kürzeren Lauf als seine Rifle und schien neuwertig zu sein. Wahrscheinlich hatte dieser Sous-Merde, dieser Haufen Scheiße, wie er die Hudson‘s Bay Company im Norden verächtlich nannte, die Stämme mit neuen Waffen ausgestattet und sie gegen die Amerikaner aufgehetzt. Seit die Amerikaner das Louisiana Territorium und somit auch den Oberlauf des Missouri von den Franzosen abgekauft hatten, schien sich die britische Regierung nicht damit abfinden zu können, dass sich hier nun amerikanische Händler niederließen.

Pierre musterte kurz das neue Gewehr. Wahrscheinlich würde es zuverlässig schießen; nur die Treffsicherheit wäre fraglich. Aber mit seiner Pistole käme ein weiteres Überraschungsmoment hinzu. Pierre hatte wenig Lust, ein zweites Mal an diesem Tag einen Kampf durchzustehen, aber er konnte seine Freunde auch nicht im Stich lassen. Wenn die Männer im Fort Unterstützung von außerhalb bekamen, würde das die Angreifer verwirren. Außerdem konnten diese nicht wissen, um wie viele Männer es sich handelte. Wenn er die Position wechselte, dann würden sie glauben, dass mehrere Trapper zurückkamen, um ihren Freunden zu helfen. Methodisch prüfte Pierre die beiden Gewehre, lud die Pistole und schaute sich dann das Gelände an, um zu entscheiden, wo er verschwinden und wieder zuschlagen würde. Die Gegend war zerklüftet und bot ausreichend Möglichkeiten, um unterzutauchen. Leider lag Schnee, sodass man seine Bewegungen nachverfolgen konnte. Das musste er einkalkulieren. Wieder war Gewehrfeuer zu hören, und die Indianer antworteten mit wütendem Gebrüll. Pierre konnte sehen, wie sie sich im Schutz einiger Felsen und größerer Steine der Palisade näherten. Sie griffen nicht blindlings an, sondern nutzten geschickt die Deckung des Geländes.

Auch Pierre näherte sich dem Fort, um eine bessere Schussposition zu haben. Er wählte eine kleine Anhöhe, kroch dort unter die Fichten und suchte sich sein Ziel. Geduldig wartete er auf die beste Möglichkeit: einen Krieger, der hinter einem Stein hockte und sich nicht bewegte. Pierre zielte auf den Körper, weil der das größte Ziel bot. Der Schuss wäre vielleicht nicht tödlich, würde den Mann aber kampfunfähig machen. Der Oberkörper war nackt und dick mit Fett eingeschmiert, um für den Kampf mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Der Knall des Schusses rollte über das Tal, und der Mann sackte zusammen. Pierre wartete nicht ab, ob und wie schwer er den Mann getroffen hatte. Flink rutschte er außer Sichtweite, rannte im Windschatten der Felsen in südöstlicher Richtung – froh darum, dass hier nicht viel Schnee lag – und stürzte sich dann schnaufend unter einige Fichten. Vorsichtig kroch er bis an den Rand der Anhöhe und besah sich den Schaden, den er angerichtet hatte.

Wagh! Drei Indianer bewegten sich auf die Stelle zu, wo der Pulverdampf immer noch in der Luft schwebte. Je näher sie kamen, desto deutlicher waren ihre Gesichter zu erkennen: Männer mit grimmigen Mienen, die unter der schwarzen und roten Kriegsbemalung noch furchterregender wirkten. Auch sie hatten die Kleidung abgelegt und sich mit Fett eingeschmiert; ob noch mehr Indianer in der unmittelbaren Nähe waren, konnte er nicht erkennen. Dazu blieb auch keine Zeit, denn die Krieger hatten den Platz erreicht, erkannten, dass er verlassen war und machten sich auf die Suche nach dem Feind. Im Tal ging der Angriff indessen weiter: Zwei Krieger versuchten die Palisade zu überwinden, doch ein Pistolenschuss verhinderte dies im letzten Moment. Einer der Krieger stürzte innerhalb der Palisade stöhnend zu Boden, während der andere die Flucht ergriff. Von drinnen war triumphierendes Geschrei zu hören – dann krachte ein weiterer Schuss, und alle wussten, was dies zu bedeuten hatte. Die Blackfeet schrien wütend, während die Stimmen hinter den Palisaden nun zuversichtlicher wurden. „Hey, ihr Rothäute! Kommt nur her, wenn ihr euch traut!“

Pierre grinste schief, als er dies hörte. Anscheinend funktionierte sein Ablenkungsmanöver. Vorsichtig schob er sich an den Fichten entlang und wartete auf den nächsten Feind. Er hatte sein Gewehr inzwischen nachgeladen, sodass ihm wieder drei Schüsse zur Verfügung standen. Die Chancen standen nicht schlecht. Aus der sicheren Deckung nahm er den ersten Krieger, der witternd wie ein Wolf seiner Spur folgte, ins Visier. Er zögerte keine Sekunde, sondern schoss, sobald er freie Sicht hatte. Der Krieger griff sich erschrocken an die Brust und stürzte dann nach vorn. Die beiden anderen Krieger gingen sofort zum Angriff über. Wahrscheinlich dachten sie, dass der weiße Mann nun Zeit brauchte, um sein Gewehr zu laden. Weit gefehlt! Pierre riss das andere Gewehr hoch, zielte und schoss.

Die Kugel pfiff an dem Angreifer vorbei, der jedoch völlig verwirrt war und kurz inne hielt. Pierre fackelte nicht lange. Er ließ das Gewehr fallen, riss die Pistole hoch und gab einen zweiten Schuss auf den Mann ab. Dieses Mal traf er ihn in den Kopf. Das Gesicht platzte auf, und der Mann wurde durch den Schuss rückwärts zu Boden geworfen. Der dritte Mann hechtete zur Seite und entschloss sich zur Flucht. Ein Mann, der dreimal schießen konnte, war ihm wohl zu gefährlich. Pierre wechselte sofort seine Position und rannte geduckt zur nächsten Anhöhe. Wachsam sah er sich um, dann kniete er sich hin und lud seine Waffen nach. Der Schweiß lief ihm den Rücken hinunter und tropfte von seiner Stirn. Er nahm die Mütze ab, wischte sich die Stirn trocken und wechselte wieder die Position. Im Dauerlauf umrundete er einen kleinen Hügel und ging dann hinter zwei Birkenstämmen in Deckung. Wieder legte er seine Rifle an und wartete in Ruhe ab. Er war im Vorteil, denn er bestimmte, wo der Kampf ausgetragen wurde. Dann wurde es ruhig. Weder vom Fort noch aus der näheren Umgebung waren irgendwelche Geräusche zu hören. Am Himmel kreisten ein paar Krähen, ließen sich dann auf einigen kahlen Ästen nieder und stießen ihre krächzenden Rufe aus.

Pierre DuMont wartete gute zwanzig Minuten, dann wagte er sein Glück: Im Dauerlauf rannte er einen Pfad entlang in Richtung des Forts, rief schon von weitem, dass er ein Freund sei, und änderte dann seinen Lauf in einen Zickzackkurs. „Ami, Ami!“, rief er mit überschnappender Stimme. „Ouvrez la porte!“

Keuchend erreichte er das Tor, das sich einen Spalt breit öffnete, und quetschte sich hindurch. Sein zweites Gewehr blieb hängen, doch eine Hand griff danach und zerrte es ebenfalls hindurch, während zwei andere Hände ihn packten, nach innen zogen und ihn sofort aus dem Schussfeld in Sicherheit hinter dem Palisadenzaun schubsten.

 

„Êtes-vous complètement dans l‘erreur? “ – Bist du völlig irre? Pierre blickte in die wütenden Augen von Louis, einem der französischen Trapper im Fort. Dann fing er aus vollem Hals an zu lachen. „Aber nein …!“, keuchte er nach Atem schnappend. „Ich glaube, die Injuns sind weg! Habe bestimmt vier von denen erwischt. Die sind über alle Berge!“

„Vraiment?“ Louis drehte sich zu den anderen Männern um und winkte ihnen zu. „Les Indians sont partis!“

Aus mehreren Ecken des Forts schauten ein paar Gesichter hervor, doch eine scharfe Stimme hielt sie zurück. „Jeder bleibt auf seinem Posten! Kann auch eine Finte sein!“ Es war „Colonel“ Menard, ein erfahrener Trapper und gleichzeitig unangefochtener Anführer, solange der Boss nicht da war. Er sprach die Sprache der Apsalooke und war somit von unschätzbarem Wert. Er war als „Guide“, als Führer, angeheuert worden, da er die Gegend von früheren Expeditionen her kannte. Vom Aussehen unterschieden sich die Männer kaum. Gleichgültig, welchen Rang sie bekleideten, trugen alle indianische Leggins, gefütterte Mokassins oder Stiefel und die warmen Mäntel der Hudson‘s-Bay-Company. Ihre Köpfe waren entweder mit roten Wollmützen oder Biberfellmützen bedeckt, und alle hielten ihre Rifles schussbereit in den Händen. Die Männer waren meist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, doch das Leben in der Wildnis hatte sich bereits in die Gesichtszüge eingebrannt. Einige trugen kurze Bärte, die anderen hatten kurze Stoppeln, was auf ein regelmäßiges Rasieren hindeutete. Das war auch besser so, denn gegen Nissen und Läuse gab es nur ein Mittel: Haare und Bärte abschneiden.

Pierre richtete sich auf und atmete tief durch. „Mann, das war knapp!“ Er sprach „Bungee“, ein Gemisch aus Französisch, Englisch und Spanisch, das hier alle verstanden. Wenn nichts mehr half, dann wechselte man in die Zeichensprache der Indianer. Mit Händen und Füßen konnte man irgendwie alles ausdrücken.

„Bist du sicher, dass die Injuns weg sind?“, vergewisserte sich Arnel, ein junger Trapper mit hellbraunen Augen, die in dem braungebrannten Gesicht deutlich hervorstachen. Er war ein Halbblut und so wurde er wegen seiner Kenntnisse als „Guide“ oder als einfacher Engagé, als angeheuerter Arbeiter, eingesetzt.

„Ich glaube schon. Ich habe zwei in den Hügeln erwischt und zwei weitere hinten am Yellowstone. Sie waren wohl auch auf dem Weg hierher.“ Pierre zuckte gelassen mit den Schultern. „Was ist denn in die gefahren? Wollen die Pekuni keinen Handel?“

Menard näherte sich und stemmte die Hände in die Hüften. „So ein Scheiß! Mit jedem Toten wird es schwieriger, die Factory zu halten!“

Pierre schnaufte empört. „Was soll ich denn machen, wenn ich angegriffen werde?“

Menard hob begütigend die Hände. „War kein Vorwurf! Hier haben diese miesen Blackfeet ja auch angegriffen! Einfach so …! Zum Glück hatten wir Wachen aufgestellt, sonst wären sie im Fort gewesen, ohne dass wir etwas gemerkt hätten. Augen auf und Kehle durch …!“

Pierre nickte betreten. Sie hatten Glück gehabt! Immer wieder hatten die Männer gemurrt, wenn Menard auf den Wachdienst bestanden hatte.

„Hier ist doch alles friedlich!“, hatte es geheißen. Doch Menard traute dem Frieden nicht. Er hatte schon öfter erlebt, dass Verbündete plötzlich die Seiten wechselten oder Freunde über Nacht zu Feinden wurden. „Injuns kann man nicht trauen!“

Menard grinste freundlich und schlug Pierre auf die Schulter. „Komm erst einmal ins Warme! Du musst ja halb erfroren sein!“

Pierre nickte ergeben. „Eher verschwitzt. Puh, das war knapp. Mon dieu!“

Er ließ sich zum großen Handelsraum führen, der wie immer beheizt war. Ein Mann stand am Feuer und bereitete das Essen zu. Er war der Einzige, der nicht an der Palisade gekämpft hatte – wohl auch, um ein mögliches Feuer zu melden, falls die Indianer Brandpfeile schossen.

Menard deutete auf die Haare von Pierre, die über dem Ohr etwas versengt waren. „Was ist denn hier passiert?“

Pierre fasste sich an die Schläfe und riss erstaunt die Augen auf. „Wagh, das war aber knapp! Da hätte mich die Rothaut fast erwischt!“ Dann schaute er an seinen blutbefleckten Mantel hinunter. „Merde, den muss ich wohl waschen!“

Der Koch schüttelte den Kopf. „Die Flecken kriegst du nicht mehr raus. Brauchst wohl einen neuen!“

„Mist!“ Pierre blickte enttäuscht an sich herunter. Er hätte doch die Mäntel der Pekuni mitnehmen sollen. Aber da waren ja auch Blutflecken dran. „Ich versuch’s trotzdem!“, meinte er entschlossen.

„Nimm kaltes Wasser“, schlug der Koch vor und grinste breit. Das braune Gesicht seiner wohl spanischen Herkunft wirkte wie ein lederner Ball, der zu lange in Wind und Wetter gelegen hatte. „Ist ohnehin egal … dein Mantel steht vor Dreck, und du sorgst dich um ein paar Blutflecken!“

Pierre lächelte freundlich. „Hast du jetzt endlich was zu essen für mich?“

„Klar!“ Der Koch schöpfte eine große Schüssel Eintopf aus dem Kessel und stellte sie Pierre vor die Nase. „Bon Appetit!“

„Merci!“, knurrte Pierre dankbar. Dann schlürfte er die heiße Suppe von einem Löffel, der auch gut als Schöpflöffel hätte durchgehen können. Mit etwas Warmem im Bauch sah die Welt schon wieder besser aus.

Nach dem Essen verließ Pierre das Fort und half den anderen beim Aufräumen. Sie suchten nach toten Indianern, doch die Indianer hatten ihre Toten geborgen und mitgenommen. Pierre fand seine Biberfellmütze und setzte sie mit einem Seufzen auf. Die Stelle, wo seine Haare versengt worden waren, juckte leicht, und er kratzte sich. Dann kehrte er ins Fort zurück und versuchte die Flecken zu entfernen. Er war da ein bisschen heikel … es war nicht sein eigenes Blut, und er ekelte sich davor. Bei Tieren machte es ihm nichts aus … aber bei Menschen. Geduldig weichte er die blutbefleckten Stellen seines Mantels in Wasser ein und rubbelte das Blut heraus. Es ging ganz gut. Bis auf ein paar leicht bräunliche Flecken war nichts mehr zu sehen. Pierre hängte den Mantel in der Nähe des Feuers auf und ging dann in den hinteren Raum, wo mehrere Betten standen. Auch hier stand ein kleiner Ofen, der den Raum notdürftig wärmte. Aber es war besser als nichts. An den Wänden glitzerten die Tautropfen, die zeigten, dass der Frost sogar die Innenwand erreicht hatte. Der Raum war dunkel und rauchig, und es roch nach feuchtem Leder und den Ausdünstungen der Männer. Wer hier lebte, hatte keine Ansprüche. Die anderen Hütten standen im Moment leer, weil es einfacher war, nur das Haupthaus zu beheizen. Manche Trapper blieben ohnehin in der Wildnis bei ihren kleinen Hütten oder Zelten, weil sie ihre Fallen nicht alleine lassen wollten. Manche waren so weit weg, dass es zu viel Zeit kostete, jeden Abend ins Fort zurückzukehren. Pierre warf sich auf eine Pritsche und dachte an die armen Teufel, die jetzt vielleicht allein in der Wildnis saßen und keine Ahnung hatten, dass kriegerische Pekuni unterwegs waren.

Neben ihm lag Arnel, der sich auf den Ellbogen stützte. „So ein Mist! Was machen wir, wenn noch mehr solche kriegerische Injuns hier auftauchen?“ Seine braunen Augen richteten sich sorgenvoll auf seinen Freund. Er hatte immer noch die schlaksige Figur eines Jugendlichen und wirkte naiv und unerfahren. Er strich sich eine Strähne seines schwarzen Haars, das bis auf seine Schultern fiel, nach hinten.

Pierre runzelte die Stirn. „Keine Ahnung! Als Lewis und Clark hier unterwegs waren, dachten sie eigentlich, dass man hier friedlich Handel treiben kann. Ich weiß auch nicht, warum diese Pekuni so aufgebracht sind. Jedenfalls möchte ich ihnen nicht lebend in die Hände fallen.“

„Oje!“ Arnel schluckte schwer. Er war ein Abenteurer, ein Tausendsassa, der schon mit vierzehn Jahren von seinem Zuhause ausgebüxt war. Hier bei den Trappern hatte er gefunden, was er schon immer gesucht hatte: eine freie Gemeinschaft, die keine Fragen stellte, welche Herkunft jemand hatte. Arnel war ein Halbblut, und in zivilisierteren Gegenden war das ein Makel. Seine Mutter war eine Dakota-Frau der Yankton gewesen. Sie war früh gestorben, und so war Arnel mit seinem Vater, einem trunksüchtigen Händler, unterwegs gewesen, der den Jungen hart arbeiten ließ. Irgendwann hatte Arnel die Beschimpfungen und Misshandlungen nicht mehr ausgehalten und war bei Nacht und Nebel verschwunden. Trotz seiner Jugend war er bereits ein geschickter Jäger, und so war er von den Pelzhändlern aufgenommen worden. Pierre hatte ihn unter seine Fittiche genommen, wobei die Beziehung auch für ihn Vorteile hatte: Durch Arnel sprach er inzwischen ein ganz passables Englisch.