Intersektionalität: Geschichte, Theorie und Praxis

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Intersektionalität: Geschichte, Theorie und Praxis
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[1]utb 4873

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[2][3]Kerstin Bronner

Stefan Paulus

Intersektionalität: Geschichte,

Theorie und Praxis

Eine Einführung für das Studium

der Sozialen Arbeit und

der Erziehungswissenschaft

Mit Beiträgen von

Anna Bouwmeester, Fabienne Friedli und Ming Steinhauer

Verlag Barbara Budrich

Opladen & Toronto 2017

[4]Die Autor_innen:

Prof. Dr. Kerstin Bronner,

Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit der FH St. Gallen, Schweiz

Dr. Stefan Paulus,

Dozent, Fachbereich Soziale Arbeit der FH St. Gallen, Schweiz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

© 2017 Verlag Barbara Budrich, Opladen & Toronto

www.budrich-verlag.de


utb-Bandnr.4873
utb-ISBN978-3-8252-4873-4 (Paperback)
utb-eISBN978-3-8385-4873-9 (eBook)
utb-eISBN978-3-8463-4873-4 (ePUB)

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Lektorat und Satz: Ulrike Weingärtner, Gründau – info@textakzente.de

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

[5]Inhalt

Vorwort

1 Einleitung

2 Soziale Ungleichheiten

2.1 Soziologische Ungleichheitsforschung

2.2 Analysemodelle sozialer Ungleichheit

2.3 Stellenwert von Macht- und Herrschaftsverhältnissen im intersektionalen Forschungsansatz

2.4 Ebenen sozialer Ungleichheit

2.5 Kategorien sozialer Ungleichheit

3 Historische Entwicklung des Intersektionalitätskonzepts

3.1 Klassenbezogene Perspektiven

3.2 „Rassen“bezogene Perspektiven

3.3 Geschlechtsbezogene Perspektiven

3.4 Körperbezogene Perspektiven

3.5 Zusammenfassung der Perspektiven

3.6 Intersektionalität nach Kimberlé Crenshaw

3.7 Einzug von Intersektionalität in wissenschaftliche Debatten

3.8 Zusammenfassung: Historische Entwicklung des Intersektionalitätskonzepts

4 Intersektionalität als weiterführendes Analysekonzept der Wechselwirkungen sozialer Ungleichheit

Exkurs

4.1 Wechselwirkungen zwischen den Kategorien

4.2 Wechselwirkungen zwischen den Ebenen

4.3 Wechselwirkungen zwischen den Ebenen und Kategorien

4.4 Intersektionales Analyseraster

4.5 Zusammenfassung: Intersektionale Wechselwirkungen

5 Nutzen, Anforderungen und Herausforderungen eines intersektionalen Analyseblicks in Praxis und Forschung

5.1 Soziale Arbeit und ihre „Verstrickung“ mit sozialer Ungleichheit

5.2 Selbstreflexion und Standortbestimmung

5.3 Zusammenfassung: Intersektionale Analysen als subjektorientierte Soziale Arbeit

6 [6]Praxisbeispiele

6.1 Intersektionalität in der Praxis der Sozialen Arbeit – eine (Selbst-)Reflexion. Oder: Wie aus einem Bauchgefühl ein Konzept wird

6.2 Die Umsetzung von Intersektionalität in der Arbeit von i-PÄD (Initiative intersektionale Pädagogik Berlin)

7 Literatur

[7]Vorwort

Die Idee zu diesem Lehrbuch entstand, da die Autor_innen1 zu wenig geeignete Texte für Lehrveranstaltungen im Bachelor- und Masterstudium zum Thema soziale Ungleichheit und Intersektionalität fanden. Bisher erschienene Publikationen führen Studierende zwar ins Thema ein, legen den Schwerpunkt jedoch auf forschungsmethodologische Aspekte oder auf die Nachzeichnung von Diskursen innerhalb der Intersektionalitätsdebatte. Die_der Autor_in haben sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schließen und ein Lehrbuch zu gestalten, welches Studierenden und Praktiker_innen einen verständlichen und umfassenden Einblick ins Thema Intersektionalität bietet. Dabei sollen weniger die theoretischen Debatten, sondern vielmehr die Entwicklungen, Begriffe und wesentlichen Aspekte des Diskurses zur Intersektionalität im Vordergrund stehen. Zahlreiche Beispiele und Praxisbezüge veranschaulichen die Ausführungen.

Das „Lehrbuch Intersektionalität“ richtet sich in erster Linie an Studierende der Sozialen Arbeit und der Erziehungswissenschaften. Aufgrund der Fragen nach sozialer Ungleichheit und Macht ist es auch für Studierende der Sozialwissenschaften gut geeignet. Praktiker_innen soll es einen fundierten Einstieg ins Thema ermöglichen.

Weshalb sollten sich Sozialarbeitende und Erziehungswissenschaftler_ innen eingehend mit Intersektionalität befassen? Oder anders gefragt: Was ist der Gewinn einer intersektionalen Analyse für das Handeln im beruflichen Alltag und für die Profession?

Fragen von Ungleichheit und der Umgang mit Differenzen haben in der Sozialen Arbeit und in den Erziehungswissenschaften eine lange Tradition, auch wenn früher andere Begriffe und Konzepte als Intersektionalität verwendet wurden. Soziale Ungleichheit in ihrer jeweiligen individuellen, gesellschaftlichen und historischen Ausprägung wirkt auf die Handlungsspielräume der Adressierten ein. Die Einschränkungen und Problematiken, die sich daraus ergeben, sind stets komplex zu denken und können nicht auf einen einzigen Faktor zurückgeführt werden. So werden geringe materielle Ressourcen nicht nur zum Problem, weil die Sicherung von existenziellen [8]Bedürfnissen gefährdet ist, sondern weil Armut in der Gesellschaft darüber hinaus eine wenig anerkannte soziale Position mit sich bringt und als individuelles Versagen definiert wird. In diesem Zusammenhang bietet eine intersektionale Analyse, wie im Lehrbuch dargelegt, einen Zugang, um Ungleichheitsverhältnisse in ihrer Komplexität auf verschiedenen Ebenen – der strukturellen, der symbolischen und der subjektiven – zu erfassen. Eine solche Analyse erfasst die Möglichkeitsräume und die Problematik des Einzelfalls stets in Bezug zum gesellschaftlichen Kontext. Individuelle Probleme können mit dieser Perspektive als gesellschaftliche Probleme wahrgenommen und bearbeitet werden. Dies soll jedoch nicht dazu verleiten, von der sozialen Lage auf die einzelnen Individuen zu schließen. In der Sozialen Arbeit und im Feld der Erziehung kommt man nicht umhin, den Einzelfall ins Zentrum zu rücken und als solchen in seiner Eigenlogik zu ergründen, zu rekonstruieren und zu fragen, welche sozialen Ungleichheitsverhältnisse auf welche Weise hineinspielen. In diesem Sinne ist Intersektionalität als sensibilisierendes Konzept, als Analysebrille und Hintergrundwissen nützlich. Intersektionalität ist hingegen keine „alleserklärende“ Theorie.

 

Lange Zeit wurde in der Sozialen Arbeit und in den Erziehungswissenschaften auf einzelne soziale Kategorien fokussiert. Zum Beispiel kam im Zusammenhang mit Geschlechterfragen das Konzept der Mädchen- und Jungenpädagogik auf, um den spezifischen Bedürfnissen von Mädchen und Jungen Rechnung zu tragen. Ein intersektionaler Zugang verspricht hier eine Blickerweiterung, indem zusätzliche Kategorien einbezogen werden, z.B. Klasse und „Rasse“ hinzukommen. Außerdem verspricht ein intersektionaler Zugang einen differenzierteren Blick, indem Heterogenität innerhalb der einzelnen Kategorien mitgedacht wird. Dabei werden soziale Kategorien als verwoben, als sich gegenseitig beeinflussend konzipiert. Beispielsweise ist die soziale Kategorie „Migrantin“ nicht einfach durch die summierten Benachteiligungen als „Frau“ und als „Migrant_in“ zu erfassen. Zwar verfügen Migrantinnen ebenfalls über einen ungleichen Rechtsstatus, sie können weder abstimmen noch wählen, so lange sie keine Staatsbürgerschaft des Wohnlandes besitzen. Wie alle „Frauen“ sind sie mit erhöhter Wahrscheinlichkeit von Lohnungleichheit betroffen. Doch darüber hinaus gibt es Phänomene, die ausschließlich durch das Zusammenwirken von Kategorien wie „Geschlecht“, „Migration“ und „Religion“ zustande kommen. Zum Beispiel kursieren aktuell in gesellschaftlichen Diskursen spezifische Bilder von Migrantinnen mit muslimischem Hintergrund. Diese lassen sich weder auf ein frauenspezifisches noch ein ausländerspezifisches oder religiöses Problem reduzieren. Musliminnen gelten hierzulande als von ihren Männern unterdrückt und abhängig, als wenig gebildet und integrationsunfähig. Annahmen über das Geschlechterverhältnis verbinden sich in diesen Bildern[9] mit Annahmen über „den Islam“. Die hierbei festgestellte Rückständigkeit bzw. unterstellte Frauenfeindlichkeit ist zentrales Element der kulturellen Konstruktionen: Das Bild der „unterdrückten Muslimin“ kontrastiert das der emanzipierten, modernen und freien „Schweizerin“ oder „Deutschen“. Diese Bilder drücken die aktuell bestehenden Machtverhältnisse aus und legitimieren sie zugleich. Solche Diskurse und damit verbundenen Machtverhältnisse beeinflussen nicht nur die Teilhabemöglichkeiten von Frauen, die in die Kategorie „Muslimin“ fallen, sie prägen auch professionelle Kontexte. Migrantinnen mit muslimischem Hintergrund wie auch Sozialarbeitende stehen vor der Herausforderung, sich zu kursierenden Repräsentationen bewusst oder unbewusst zu positionieren und sich damit selbstreflexiv auseinanderzusetzen. Die intersektionale Analyse, wie im Lehrbuch ausgeführt, kann diesen Reflexionsprozess unterstützen.

Trotz Reflexion und Sensibilisierung bleibt aber auch die Soziale Arbeit in Ungleichheits- und Differenzverhältnisse verstrickt. Soziale Arbeit kommt aufgrund ihres Auftrags oftmals nicht umhin, zu unterscheiden, denn darüber wird etwa definiert, wer unterstützungsberechtigt ist. Durch Unterscheidungen und Normalitätsannahmen kann Soziale Arbeit nicht nur zur Verminderung, sondern je nach Situation und Auftrag auch zur Reproduktion von sozialer Ungleichheit beitragen. Intersektionalität stellt ein Konzept dar, mit dessen Hilfe die jeweils aktuelle Position der Sozialen Arbeit und ihr Beitrag zur Verminderung oder Erhaltung von sozialen Unterscheidungen analysiert werden können. Das Lehrbuch plädiert in diesem Zusammenhang für eine subjektorientierte Soziale Arbeit und für eine selbstbestimmte, kritische und politische Praxis. Eine Soziale Arbeit, die danach fragt, wie warum und mit welchen Konsequenzen Soziale Arbeit in ungleichheitsgenerierende Prozesse involviert ist.

Der Intersektionalitätsansatz geht mit diesem Blick auf Dominanz- und Machtverhältnisse über die reine Beschreibung von Differenzen hinaus und bietet Raum für das kritische Analysieren und Hinterfragen der pädagogischen und sozialarbeiterischen Praxis sowie der gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnisse. Auf dieser Basis können Verbesserungsmöglichkeiten, etwa im beruflichen Handeln, in Organisationen und in der Politik, ausgelotet werden – und dies jenseits von vereinfachenden Rezepten.

Nadia Baghdadi, FHS St. Gallen im März 2017

1 Durch die Verwendung des Unterstrichs „_“ werden in Anlehnung an Herrmann (2003) Existenzen sichtbar gemacht, die im kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit keinen (begrifflich) markierten Platz haben, wie z.B. Intersexuelle oder Transgender-Personen. Die mit diesem Unterstrich markierte Leerstelle verdeutlicht das gesellschaftliche Ordnungsschema der Zweigeschlechtlichkeit und überschreitet es zugleich.

1 [10][11]Einleitung

Das aus der Frauen- und Geschlechterforschung stammende Konzept der Intersektionalität ist auf dem besten Weg, zu einem neuen Paradigma kritischer Gesellschaftstheorie aufzusteigen. Ebenso mehren sich Diskussionen um den Nutzen des Intersektionalitätskonzepts für die Praxis Sozialer Arbeit. Dies veranschaulicht eindrucksvoll die Anzahl der in den letzten zehn Jahren erschienenen Veröffentlichungen und stattgefundenen Konferenzen (z.B. Schrader/von Langsdorff 2014; Giebeler/Rademacher/Schulze 2013; Lutz/Herrera Vivar/Supik 2010; Winker/Degele 2009).

Geschichtlich betrachtet, ist Intersektionalität schon Ende der 1960er-Jahre in den USA im Umfeld eines „Black Feminism“ diskutiert worden. Die Kritiken des „Black Feminism“ richteten sich dahin, dass weiße feministische Theoretikerinnen aus der Mittelschicht ihre eigenen Lebensbedingungen und Bedürfnisse zum „Mainstream“ aller Frauen machten. Bereits damals wurde deutlich, dass ein hierarchisches Denken in Kategorien (Weiß oder Schwarz; Mittel- oder Unterschicht; In- oder Ausländerin usw.) zu kurz greift, um den komplexen Lebenslagen und Problemkonstellationen von Individuen gerecht zu werden. Die schwarze Juristin Kimberlé Crenshaw „reagierte“ 1989 mit ihrem Bild der Straßenkreuzung (Intersection) auf diese verkürzten Sichtweisen. Seither wird in Theorie und Praxis differenziert, vielfältig und kritisch um die Bedeutung sozialer Kategorien wie Klasse, Geschlecht, „Rasse“1 und Körper sowie deren Auswirkungen auf individuelle Lebenslagen diskutiert.

[12]Die aktuellen Debatten zur „Intersektionalität“ verweisen dementsprechend auf die Verwobenheiten und das Zusammenwirken verschiedener Kategorien sozialer Ungleichheit sowie deren Zusammenhang zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Unter Intersektionalität wird allgemein verstanden, dass soziale Kategorien wie Herkunft, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, körperliche Beeinträchtigungen etc. nicht isoliert voneinander analysiert werden können, um die Hintergründe sozialer Ungleichheit zu verstehen. Vielmehr geht es um Verwobenheiten und Überkreuzungen mehrerer Kategorien – sprich Intersektionen – mit gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen in Wirtschaft, Politik, Kultur etc. Der Fokus des Intersektionalitätskonzepts sind Macht-, Herrschafts- und Normierungsverhältnisse, die soziale Strukturen, Praktiken und Identitäten (re) produzieren.

Mit einer intersektionalen Sichtweise ist es daher möglich, unterschiedliche Formen der sozialen Ungleichheit sowohl in ihren Auswirkungen als auch in ihren Entstehungskontexten weiterführend zu analysieren. Gerade diese Mehrdimensionalität auf Kategorien sozialer Ungleichheit in ihren Formen und Ursachen erweitert die bisherige soziologische Ungleichheitsforschung, indem auch das „So-geworden-Sein“ der Kategorien hinterfragt werden kann. Damit kann sich auch gleichzeitig das fachliche Selbstverständnis bzw. die professionelle „Identität“ der Sozialarbeitenden schärfen.

Insgesamt ist dieser Ansatz nicht nur als erneuertes Paradigma in den Gender und Queer Studies wahrzunehmen. Konsequent gedacht, ermöglicht er vielmehr gerade für die Praxis Sozialer Arbeit einen differenzierteren Blick auf individuelle Lebenslagen und Problemkonstellationen – ohne diese dabei zu individualisieren. Denn durch die analytische Verwobenheit sozialer Kategorien mit gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen enthält das Konzept immer auch ein gesellschaftskritisches Moment. Zudem bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, in interdisziplinären Zusammenhängen zu denken. Durch das Begreifen der Verwobenheiten unterschiedlicher Strukturen und Kategorien kann so der Blickwinkel auf gesellschaftliche Lebensverhältnisse geschärft werden. Denn ein eindimensionaler Fokus auf nur eine Kategorie wie z.B. Herkunft oder körperliche Beeinträchtigung bedeutet einen begrenzten Zugriff auf gesellschaftliche [13]Bedeutungen sowie Denkformen. Damit wird die Lebenswirklichkeit der Subjekte reduziert, die sich in ihrer sozialen Praxis auf die in den gesellschaftlichen Bedeutungen enthaltenen Handlungsmöglichkeiten beziehen. Einfach gesagt, bedeutet dies: Durch die Minimierung von Alternativen bereits in der Analyse wird auch die (sozialarbeiterische) Handlungsfähigkeit eingeschränkt.

Vor diesem Hintergrund werden in diesem Lehrbuch verschiedene inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, die sich im Aufbau zunächst in zwei Teilen widerspiegeln: Im 1. Teil wird in den Kapiteln 1 und 2 die Grundlage gelegt für das Begreifen und Analysieren sozialer Ungleichheit. Dieser Teil bildet den notwendigen theoretischen Hintergrund für das Verstehen von gesellschaftlichen (Herrschafts-)Verhältnissen, Strukturen und Mechanismen.

Im 2. Teil wird, darauf aufbauend, in den Kapiteln 3–5 das „Handwerkszeug“ intersektionaler Analysen diskutiert, stets auf Fragen der Praxis Sozialer Arbeit bezogen.

Zur Einführung in den theoretischen Rahmen von Intersektionalität wird in Kapitel 2 der Begriff soziale Ungleichheit eingeführt, definiert und eingegrenzt. In diesem Kontext wird auf das Thema Intersektionalität als weiterführendes Analysekonzept sozialer Ungleichheit eingegangen. Daran anschließend wird das intersektionale Analysekonzept nach Ebenen und Kategorien sozialer Ungleichheit weiter ausdifferenziert.

In Kapitel 3 wird zum Verstehen des Konzepts Intersektionalität die historische Entwicklung im deutschsprachigen Raum dargestellt. Dadurch wird deutlich, wie sich innerhalb der Frauen-, Geschlechter-, Gender- und Queerforschung die Debatten um Ungleichheit entwickelt haben und was schließlich das Weiterführende des Intersektionalitätskonzepts ist. Fragen nach dessen Nutzen für das professionelle Handeln werden dabei stets mitdiskutiert.

In Kapitel 4 wird eine ausführliche methodische Darstellung intersektionaler Vorgehensweisen zur Analyse von sozialen Ungleichheiten unternommen. Hier geht es ganz konkret um die Frage, wie das Konzept im professionellen Handeln fruchtbar gemacht werden kann und welche Herausforderungen und Fragen sich dabei ergeben.

Schließlich wird in Kapitel 5 diskutiert, welche Anforderungen und Herausforderungen sich bezüglich eines intersektionalen Analyseblicks ergeben, und zwar sowohl aus Sicht der Forschung als auch aus Sicht der Praxis. Hierbei wird deutlich werden, dass das Weiterführende des Konzepts in einer Sensibilisierung von Praktiker_innen liegt, indem deren professionelle Analysekompetenzen geschärft werden sich und die professionelle Bearbeitung sozialer Ungleichheiten differenziert.

[14]Praxisbezogene Reflexionen in Kapitel 6 konkretisieren diese Ausführungen und runden den Band ab. Anna Bouwmeester und Fabienne Friedli geben in ihrem Beitrag Antworten auf die Frage, warum die Auseinandersetzung mit dem Intersektionalitätskonzept im Studium der Sozialen Arbeit relevant ist und weshalb in der Folge Intersektionalität selbstverständlicher Bestandteil professionellen Handelns sein sollte. Ming Steinhauer beschreibt in ihrem Artikel die Umsetzung von Intersektionalität in der Arbeit von i-PÄD (Initiative intersektionale Pädagogik Berlin).

Danksagung

Unser Dank gilt den Verantwortlichen im Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Gallen. Durch die Förderung des Themas Intersektionalität und durch die zur Verfügung gestellten Ressourcen haben sie dazu beigetragen, dass dieses Buchprojekt verwirklicht werden konnte. Weiterer Dank gilt den Dozierenden des Moduls „Modernisierung und soziale Ungleichheit als Bedingungen der Sozialen Arbeit“, welche die Verankerung des Themas Intersektionalität in der Lehre unterstützt haben. Insbesondere danken wir Herbert Meier und Nadia Baghdadi für die kritische Durchsicht des Manuskripts und ihre konstruktiven Rückmeldungen. Tino Plümecke danken wir für das Verfassen wesentlicher Teile des Unterkapitels „Rasse“ und für seine fachliche Beratung. Bettina Grubenmann und Steve Stiehler sei für ihre moralische Unterstützung in den kniffligen Phasen des Projekts gedankt. Das Schaubild in Kapitel 3.6 ist das Ergebnis studentischen Mit- und Weiterdenkens aus einer Lehrveranstaltung zu Intersektionalität heraus – danke Walter Graf. Schließlich danken wir den Studierenden unserer Lehrveranstaltungen, die durch ihre Fragen, Kommentare und Diskussionen dazu beitragen, dass unsere Auseinandersetzung mit dem Intersektionalitätskonzept lebendig bleibt und sich weiterentwickelt. In diesem Sinne möchten wir auch mit einem studentischen Zitat aus einer Diskussion schließen:

 

„Intersektionalität hilft, ein komplexes Problem zu entwirren. Gleichzeitig zeigt es die Komplexität des Problems.“

1 Wir verwenden den Begriff „Rasse“ nur mir Anführungszeichen, um zu verdeutlichen, dass dieser Begriff auf Theorien und Ideologien verweist, die Personen aufgrund scheinbar biologischer und sozialer Merkmale diskriminieren. 1996 veröffentlichte die „American Association of Physical Anthropologists“ eine Erklärung, dass Rassentheorien wissenschaftlich überholt und nicht mehr haltbar seien (vgl. AAPA 1996: 569f.). Das heißt, dass die Kategorie „Rasse“ eine Konstruktion ist, bei der soziale und kulturelle Unterschiede in angeblich biologisch bedingte Wesenseigenschaften übersetzt werden. „Biologisch-genetisch sind übrigens die Unterschiede zwischen Weißen genauso zahlreich und groß wie zwischen Schwarzen und Weißen und wie zwischen Schwarzen. Allen Rassismen gemeinsam ist, dass den Opfern ein Platz auf der Werteskala unterhalb des eigenen zugewiesen wird, und sie dort als ‚von Natur aus Minderwertige‘ bleiben sollen. […]. Real ist nicht die Existenz von ‚Rassen‘, sondern die Existenz von Rassismen“ (Viehmann 1993: 33). Der Begriff „Rasse“ ist historisch belastet und hat die Kategorisierung von Menschen zu Folge. Im Nationalsozialismus steht Begriff „Rasse“ im Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie. Wir verwenden diesen Begriff auch deshalb, da gegenwärtig Betroffene rassistischer Diskriminierungen diese nur geltend machen können, wenn sie belegen können, dass sie aufgrund ihrer „Rasse“ diskriminiert worden sind. Das heißt, sie müssen sich selbst einer bestimmten „Rasse“ zuordnen, um Diskriminierungen anzuzeigen. Dies verdeutlicht weiter die Problematik dieses Begriffs: Opfer von rassistischer Diskriminierung müssen sich den Sprachgebrauch der Diskriminierenden zu eigen machen. Mit den Anführungszeichen verweisen wir darauf, Sprach- und Denkgewohnheiten zu hinterfragen und aufzubrechen.