Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 135»
Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-459-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
1.
Die Galeone „Isabella VIII.“ ächzte und stöhnte im abflauenden Sturm wie ein lebendes Wesen.
Auf der Kuhl beschwor Ed Carberry, der narbige Profos, alle Dämonen von Wasser, Luft und Land und drohte der Crew sämtliche Höllenstrafen an, wenn sie nicht – beim gestreiften Wassermann – endlich die dreimal verdammte Fock klarierte. Philip Hasard Killigrew, den sie den Seewolf nannten, stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und zeigte dem Wetter die Zähne. Tief im Bauch der „Isabella“ rumorte etwas – und Ferris Tucker, der riesige rothaarige Schiffszimmermann, war losgezogen, um dieses ungehörige Rumoren zu untersuchen.
Seinem Gesichtsausdruck nach mußte jeden Augenblick das Kielschwein auseinanderbrechen oder der Großmast eine Verbeugung vollführen.
Der schlaksige Schiffsjunge Bill bereitete sich keine, übertriebenen Sorgen: er wußte inzwischen, daß der Schiffszimmermann in jedem Holzwurm den künftigen Ruin der „Isabella“ zu sehen pflegte. Ferris Tuckers zweiter Begleiter auf dem Inspektionsgang interessierte sich mehr für das Innenleben der Laderäume. Der Kutscher – denn Kutscher war er gewesen, bevor ihn vor Jahren eine Preßgang gewaltsam zum Seemann werden ließ – zeichnete als Koch und Feldscher für die Vorräte verantwortlich. Auch er blickte sorgenvoll drein. Der Sturm hatte die „Isabella“ kräftig durchgerüttelt. Und so ein Wetter, das wußte jeder, konnte auch straff durchgesetzte Taue lockern und in Laderäumen, die von den Augen eines Ferris Tucker überwacht wurden, Verheerungen anrichten.
Nicht, daß der rothaarige Hüne tatsächlich solche Verheerungen befürchtet hätte.
So etwas passierte bei ihm nicht. Er pflegte schwache Stellen frühzeitig zu entdecken. Zum Beispiel jetzt, da der Sturm die „Isabella“ geschüttelt hatte und man Vorsorge für den nächsten Sturm treffen mußte, der sicher nicht lange auf sich warten lassen würde.
Ferris Tuckers dritter Begleiter hieß Arwenack und war kein Seemann, sondern ein Schimpanse – vermutlich der einzige salzgewässerte, seekriegserprobte Schimpanse der Welt.
Arwenack hatte keine Pflichten, sondern hätte genausogut in den Wanten schaukeln können. Aber die Gerüche der Laderäume zogen ihn magisch an. Vor allem die Gerüche nach Feigen, Datteln und getrockneten Weinbeeren! Doch all diese Herrlichkeiten waren in fest verschlossenen Säcken und Fässern verstaut, und der Schimpanse lebte schon lange genug auf der „Isabella“, um zu wissen, daß seine Chancen auf eine zusätzliche Mahlzeit unter diesen Umständen gleich Null waren.
Also beschränkte er sich auf sein zweitgrößtes Vergnügen: das Nachahmen.
Ferris Tucker durchmaß den Laderaum, zerrte an Tauen, prüfte Augbolzen und Belegklampen – und Arwenack, der Schimpanse, tat es genauso.
War es seine Schuld, daß er schneller als Ferris, Bill und der Kutscher an die einzige schwache Stelle geriet?
Es war ein Wasserfaß.
Das letzte Wasserfaß, das mit der Hälfte des vorletzten eigentlich noch bis zu den bretonischen Häfen reichen sollte. Aber das konnte Arwenack natürlich nicht wissen. Genausowenig, wie er wissen konnte, was man tat, wenn sich wegen eines ausgebrochenen Augbolzens ein Wasserfaß mitten im Sturm aus den Verankerungen zu lösen drohte – nämlich das Faß unter allen Umständen festhalten. Arwenack zerrte nur an den lockeren Tauen herum und kekkerte triumphierend – und Ferris Tucker, Bill und der Kutscher begriffen etwas zu spät, was vor ihren Augen geschah.
Genaugenommen begriffen sie es erst, als das Wasserfaß zu Boden krachte.
„Nein“, sagte der Kutschter.
„Himmelarsch“, flüsterte Ferris Tucker ergriffen.
Und der Schimpanse, stieß eine Folge von schrillen, triumphierenden Lauten aus, während das Wasserfaß quer durch den Laderaum polterte.
„Haltet es!“ flüsterte Tucker – ziemlich leise und ohne große Überzeugungskraft, weil er nämlich sehr genau wußte, daß keine Macht der Welt das verdammte Faß mehr aufhalten konnte.
„Krach“, sagte Bill.
Noch bevor er aussprechen konnte, krachte es tatsächlich. Das Wasserfaß rammte einen Stapel anderer, kleinerer Fässer. Die waren zwar ordnungsgemäß festgezurrt, aber nicht für den Fall, den der Schiffsjunge sehr treffend als „Krach“ bezeichnet hatte.
Zwei Dutzend kleiner, handlicher Fässer machten sich selbständig.
Mindestens ein halbes Dutzend davon fegte über die Säcke mit den Kokosnüssen. Natürlich tat das den Kokosnüssen nicht besonders gut. Einige Säcke öffneten sich, die Nüsse begannen zu tanzen, und gleichzeitig breitete sich im Lagerraum ein Geruch aus, der sehr entfernt, aber auch nur sehr entfernt, an die Ausgabe von Zitronensaft gegen den Skorbut erinnerte.
Das Wasserfaß hatte die Essigfässer in Bewegung gebracht, und die Essigfässer brachten so ziemlich alles in Bewegung, was sich in dem Laderaum überhaupt bewegen konnte.
„Unser Öl!“ schrie der Kutscher verzweifelt.
„Mann“, seufzte Ferris Tucker. „Der Mensch denkt an Öl, wenn die Rumfässer auslaufen!“
„Rum und Öl“, meinte der Schiffsjunge verächtlich. „Ich meine …“
„Was?“ knirschte Ferris Tucker erbittert.
„Na ja, die Mehlsäcke …“
„Die Mehlsäcke!“ schrie der Kutscher im Tonfall eines Schwerkranken, dem man die lebensrettende Medizin geklaut hat.
„Mann, oh Mann“, stöhnte Ferris Tucker.
Währenddessen verwandelte sich der Inhalt der Mehlsäcke in einen gleichmäßigen Nebel, der zu allem möglichen geeignet war, nur nicht mehr zum Brotbacken.
Für eine Weile standen die drei Männer still.
So still, wie es auf einer Galeone im abflauenden Sturm überhaupt möglich war.
„Wißt ihr was?“ fragte der Kutscher schließlich.
„Nun“, sagte Ferris Tucker. „Was denn?“
„Wißt ihr, was ihr die nächste Zeit zu essen kriegen werdet?“
„Nein“, wiederholte Ferris Tucker, jetzt allerdings sehr interessiert.
„Pfannkuchen mit Staub und Bilgewasser“, sagte der Kutscher erbittert. „Schwarzmehl-Pfannkuchen mit Linseneinlage und Essig-Aroma! Viel Vergnügen!“
Ferris Tucker schluckte.
Bill, der Schiffsjunge, legte seinen Arm um den schuldbewußten Arwenack. Der Kutscher, der mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor ihnen stand, schien ein gewisses Vergnügen daran zu finden, die zu erwartende Verpflegungssituation auszumalen.
„Bilgewasserwasser-Suppe mit Kakerlaken“, behauptete er. „In Essig eingelegte Rosinen. Und Kokosmilch! Jede Menge Kokosmilch, weil wir ja kein Wasser mehr haben.“
Ferris Tucker warf noch einen schicksalsergebenen Blick auf das Chaos, dann wandte er sich Bill zu.
„An Deck mit dir!“ knurrte er. „Ich brauche mindestens fünf Mann, um diesen Saustall aufzuräumen. Und ein bißchen plötzlich, du Hering, sonst gibt’s Zunder!“
Die spanische Galeone „Santa Lucia“ schwankte schwerfällig wie eine kranke Kuh in der hohen Dünung.
Der Sturm war abgeflaut, die handige Brise trieb nur noch wenige Wolkenfetzen über den Himmel. Auf dem Achterdeck versuchte Mercedes del Rios ihr zerzaustes schwarzes Haar in Ordnung zu bringen. Unten in dem Laderaum, den man ihnen als provisorisches Quartier zugewiesen hatte, war die Luft kaum zu atmen. Zwanzig Frauen hatten sich während des Sturms zitternd vor Angst aneinandergeklammert. Frauen, die schon einmal einen Schiffbruch erlebt hatten und wußten, was sie erwartete, wenn die „Santa Lucia“ kenterte.
Mercedes schlug schauernd die Arme um ihren Körper.
Sie dachte an die „Regina Maris“, mit der sie vor Wochen in Spanien aufgebrochen waren. Sie und mehr als fünfzig andere Frauen, die meisten davon unterwegs, um ihren Männern oder Verlobten zu folgen, die in den Kolonien eine neue Existenz aufgebaut hatten. So optimistisch und voller Hoffnung waren sie gewesen!
Auch Mercedes, obwohl auf sie in der neuen Welt niemand wartete. Sie war vor den Verhältnissen in Spanien geflohen, vor der Tyrannei ihrer alten, aber verarmten Familie, vor der Aussicht, ihr Leben im Kloster beschließen zu müssen, weil es ohne Mitgift keine standesgemäße Heirat gab und eine Frau aus guter Familie nur die Wahl zwischen Ehe und Kloster hatte. Die Neue Welt erschien Mercedes wie so vielen anderen als Versprechen, als Land, in dem ihre Träume wahrwerden konnten.
Dann war die „Regina Maris“ im Sturm gekentert, und zwanzig Frauen und einige wenige Männer hatten tagelang in einem winzigen Rettungsboot ausharren müssen, bis die „Santa Lucia“ sie aufnahm.
Jetzt waren sie auf dem Weg zurück nach Spanien: Menschen ohne Hoffnung, denn die wenigsten von ihnen konnten noch genug Geld aufbringen, um eine zweite Passage zu bezahlen.
Mercedes wandte sich um und ließ ihren Blick über das Schiff schweifen. Ihre großen, nachtdunklen Augen leuchteten auf, als sie den jungen Mann erkannte, der auf sie zuging. Diego Mantagua hatte Freiwache. Aber er traf sich immer mit Mercedes, ehe er ins Logis hinunterstieg, und sie dachte daran, wie glücklich sie sich schätzen konnte, daß sie ihn gefunden hatte.
In Cadiz würde er abmustern, hatte er versprochen.
Seine Eltern besaßen einen kleinen Bauernhof, und sie würden sich freuen, wenn ihr einziger Sohn, der aus Abenteuerlust davongelaufen war, nach Hause zurückkehren und eine Frau mitbringen würde. Mercedes seufzte glücklich, und ihre Augen leuchteten, als Diego den Arm um sie legte.
Er wollte sie an sich ziehen, doch im nächsten Moment wurde die Idylle jäh gestört.
„Deck!“ schrie der Ausguck im Hauptmars. „Schiff Steuerbord voraus! Eine Karavelle!“
Von einer Sekunde zur anderen wurde es auf der Galeone lebendig.
„Alle Mann an Deck!“ scheuchte die Stimme des Capitans die erschöpften Männer auf.
„Alle Mann an Deck!“ wiederholte der Profos lauthals.
Flüche erklangen. Das Klatschen nackter Sohlen mischte sich mit dem Brüllen der Befehle, auf dem Achterkastell zog der Capitan das Fernrohr auseinander. Diego schob Mercedes rasch auf den Niedergang zu und wandte sich ab, fluchend, weil es wieder mal mit der Freiwache nichts werden würde.
Der Capitan ließ die „Santa Lucia“ vorsorglich gefechtsklar machen.
Leicht beunruhigt beobachtete er das fremde Schiff, das keine Flagge zeigte. Ein Spanier konnte es nicht sein, denn sonst wäre bereits das Holzkreuz zu sehen gewesen, das auf allen Schiffen seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, unter dem Bugspriet baumelte. Kamen eigentlich nur noch Araber in Frage: Barbaresken, die hier im Maghreb Seeräuberstaaten gegründet hatten.
Der Capitan biß sich auf die Lippen. Seine „Santa Lucia“ war nicht gerade überragend bewaffnet. Aber eine einzelne Karavelle mit nicht mehr als drei Geschützen an jeder Seite und vielleicht noch zwei Drehbassen war eigentlich nicht so gefährlich.
Das Schiffchen segelte beachtlich schnell auf.
Wie ein zorniger Schwan rauschte es auf die „Santa Lucia“ zu, um ihren Kurs zu kreuzen und das Gefecht von der Luvseite her zu eröffnen. Und jetzt ging auch die Flagge am Stag hoch – eine schwarze Piratenflagge!
Der Capitan glaubte immer noch, daß die Karavelle gegen die große „Santa Lucia“ keine Chance hätte. Ersetzte das Fernrohr ab und lächelte überheblich.
Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch genau eine halbe Stunde zu leben.
Die Vorräte der „Isabella“ waren, bis auf die Kokosnüsse und wenige andere Dinge, nicht mehr zu gebrauchen.
Der Seewolf fluchte beherrscht. Ed Carberry faßte sich an den Kopf und stöhnte, was Arwenack dazu veranlaßte, eilig in die Luvwanten zu entschwinden.
„Bastard!“ kreischte der Papagei Sir John. Nicht, weil er etwas von der Debatte über die Vorräte verstanden hatte, sondern weil er die Luvwanten für sich beanspruchte.
„Es hilft also alles nichts, wir müssen irgendwo Land anlaufen und Vorräte und Wasser an Bord nehmen“, knurrte Hasard. „Schnapp dir mal die Karten, Dan, und sieh nach, ob vor Casablanca noch irgend etwas liegt.“
Dan O’Flynn brauchte nur ein paar Minuten.
Wie sich herausstellte, lag vor Casablanca tatsächlich noch etwas, nämlich ein winziges Nest mit dem Namen Sidi-al-Narouz. Daß es auf der Karte eingezeichnet war, sprach immerhin dafür, daß es sich nicht um einen Seeräuberstützpunkt handelte. Die waren zwar zahlreich in dieser Gegend, wurden jedoch im allgemeinen geheimgehalten.
Die Seewölfe waren nicht erpicht auf eine Begegnung mit den legendären Barbaresken.
Die „Isabella“ hatte die lange Reise nicht ganz unbeschadet überstanden: ihr Rumpf war eine Muschellandschaft, sie schleppte Tang hinter sich her, und das wirkte sich nicht unerheblich auf die Manövrierbarkeit aus. Ganz deutlich hatte Hasard das in dem hinter ihnen liegenden Sturm gemerkt. Ein Gefecht mit einer barbareskischen Seeräuberflotte war das letzte, was er sich im Augenblick wünschte.
„Wir laufen also Sidi-al-Narouz an“, entschied er. „Eine Pause tut uns nach dem Sturm ohnehin gut. Ich hoffe …“
„Deck!“ klang im selben Augenblick Jeff Bowies Stimme aus dem Großmars. „Mastspitzen über der Kimm! Genau voraus!“
Hasard runzelte die Stirn.
Mechanisch griff er nach dem Kieker, enterte ein Stück in die Besanwanten und spähte nach vorn. Sie segelten mit halbem Wind über Steuerbordbug und gelangten rasch vorwärts. Die Mastspitzen schoben sich immer höher über die dünne Linie der Kimm, und nach einer Weile waren die beiden Schiffe zu sehen. Eine dickbauchige Galeone und ein kleinerer Zweimaster, eine Karavelle vermutlich. Noch waren sie zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen. Daß es sich um eine spanische Galeone handelte und die Karavelle die Piratenflagge führte, wurde erst eine Viertelstunde später deutlich.
Genau in dem Augenblick, in dem das leichte, nur mit wenigen Kanonen bestückte Barbaresken-Schiff das Gefecht eröffnete.
2.
Die Karavelle war höher an den Wind gegangen, als der Capitan der Galeone gerade ihren Namen lesen konnte: „Ar-Ribat“.
Es sah so aus, als hätten die Piraten Angst vor der eigenen Courage bekommen und versuchten nun, dem überlegenen Gegner auszuweichen. Der Capitan triumphierte und beschloß sofort, das Seeräuber-Gesindel nicht ungeschoren zu lassen.
„Backbordkanonen Feuer!“ befahl er.
Sechs schwere Siebzehnpfünder-Culverinen spuckten ihren tödlichen Bleihagel aus. Aber die Breitseite lag zu kurz, die Kugeln platschten wirkungslos ins Wasser. Der Capitan fluchte – und bemerkte zu spät, daß der Piratensegler abfiel und halste.
„Klar bei Backbordkanonen!“ schrie der Capitan erschrocken.
Die Geschützmannschaften schufteten wie die Wilden. Die Karavelle lag jetzt über Steuerbordbug und rauschte mit Backstagbrise wie ein zorniger Schwan auf den schwerfälligen Gegner zu. Das Achterkastell war leer. Vor dem Bugkastell drängten sich Gestalten – und im nächsten Moment spuckte die Serpentine in der drehbaren Gabellafette Feuer.
Holz splitterte.
Die Galeone lief aus dem Kurs, die Marssegel begannen zu killen.
„Treffer am Ruderkopf!“ schrie jemand, und der Capitan wurde bleich wie ein Laken.
Drüben auf der Karavelle richtete sich der Piratenkapitän auf, der diesen Meisterschuß eigenhändig abgefeuert hatte.
Abu Ben Rachid war groß und hager, hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht, tiefliegende Augen und eine Adlernase. Das Tuch, das er um den Kopf trug, flatterte im Wind. Mit ein paar langen Schritten erreichte er die Kuhl, enterte zum Achterkastell auf und warf einen prüfenden Blick über das Geschützdeck.
Die „Ar-Ribat“ war ausgesprochen schwach armiert. Je eine Serpentine an Bug und Heck, dazu an Backbord und Steuerbord je drei leichte Geschütze mit gegossenen Bronzerohren, sogenannten Minions. Hätte der Piratensegler das Gefecht mit einer Breitseite aus der Luvposition eröffnet, wäre er vermutlich im nächsten Augenblick zerfetzt worden. Statt dessen hatte der Barbaresken-Kapitän mit einem präzisen Schuß das Ruder des Gegners lahmgelegt, die Galeone war manövrierunfähig – und jetzt schor die Karavelle an ihrer Backbordseite vorbei, noch bevor die Geschützmannschaften dort die Kanonen wieder nachgeladen hatten.
Donnernd entluden sich die Vierpfünder der Karavelle.
Alle drei Kugeln durchschlugen in Höhe der Wasserlinie die Bordwand der Galeone. Gleichzeitig zischte ein Hagel von Brandpfeilen in die Takelage. Der Capitan brüllte mit sich überschlagender Stimme seinen Feuerbefehl, doch als sich die zweite Breitseite entlud, hatte die Karavelle schon wieder hochgedreht und entschwand aus der Reichweite der Kanonen.
Die „Santa Lucia“ nahm Wasser.
Der Capitan scheuchte Männer an die Pumpen, die Geschützmannschaften arbeiteten in fieberhafter Eile, denn die Karavelle wendete schon wieder. Hoch aufgerichtet stand Abu Ben Rachid auf dem Achterkastell und gab mit peitschender Stimme seine Befehle. Auch diesmal stieß er auf seine Beute, bevor die Backbordkanonen der Galeone wieder feuerbereit waren, und wieder lagen die Treffer präzise auf der Wasserlinie.
Die Segel der „Santa Lucia“ standen in hellen Flammen.
Glimmendes Tuch fiel überall auf die Planken, verzweifelt pützten die Männer Seewasser, um die Brandnester zu löschen. Unterdessen ging die Karavelle schon wieder an den Wind – und die achtere Serpentine spuckte Feuer.
Sekunden später krachte der Fockmast der „Santa Lucia“ auf das Schanzkleid, die Galeone holte schwer nach Steuerbord über, und ein Regen tanzender Funken hüllte sie ein.
Unaufhaltsam sackte das schwer angeschlagene Schiff über den Bug weg.
„Die Santa Lucia“ war nicht mehr zu retten. Mit verschränkten Armen beobachtete Abu Ben Rachid die verzweifelten Bemühungen seiner Gegner, Boote abzufieren. Die Karavelle hielt sich in sicherer Entfernung, und die Männer auf dem Geschützdeck stimmten ein wildes Siegesgeheul an.
Abu Ben Rachid lächelte mitleidlos.
Seine Augen funkelten auf, als er die Gestalten erkannte, die jetzt drüben auf der Galeone an Deck erschienen. Frauen! Etwa zwanzig Frauen, die in panischer Angst durcheinanderliefen. Auf dem Achterkastell fuchtelte der spanische Capitan hysterisch mit den Armen. Aber wenigstens sein Steuermann behielt die Nerven, gab vernünftige Befehle und schaffte es, die Boote mit den Frauen sicher aufs Wasser zu bringen.
Minuten später schwappten die ersten Seen über den Bug der „Santa Lucia“, und der Bootsmann schrie: „Rette sich, wer kann!“
Abu Ben Rachid wartete in aller Ruhe, bis die Galeone gesunken war.
Danach ließ er halsen und lief vor dem Wind zwischen Boote, Wrackteile und schwimmend um ihr Leben kämpfende Menschen. Die Boote versuchten zu entkommen: die Küste war nah, und was es hieß, den Piraten in die Hände zu fallen, konnte sich jeder ausmalen. Eiskalt brachte Abu Ben Rachid die „Ar-Ribat“ auf Kollissionskurs – und nachdem er das erste Boot gerammt hatte, zogen es die Insassen der anderen vor, sich freiwillig zu ergeben.
Etwa zwanzig Überlebende nahm die „Ar-Ribat“ an Bord, davon zwölf Frauen.
Sie wurden auf der Kuhl zusammengetrieben, klammerten sich aneinander und starrten verängstigt in die wilden Gesichter der Barbaresken. Ein halbes Dutzend Musketen zielten auf die Männer, die aus dem Wasser gefischt worden waren. Sie ließen sich freiwillig entwaffnen und fesseln. Abu Ben Rachid baute sich vor ihnen auf, musterte sie prüfend und nickte zufrieden.
„In die Vorpiek!“ befahl er. „Die Frauen in den achteren Laderaum. Füttert sie gut! Und rührt sie nicht an, unsere Freunde nehmen keine beschädigte Ware.“
Er sprach Arabisch.
Die Frauen verstanden ihn nicht, und das war gut so. Denn was für ein Schicksal ihnen drohte, würden sie noch früh genug erfahren.
„Verrückt“, sagte Ben Brighton, der Bootsmann und erste Offizier der „Isabella“.
Hasard wandte den Kopf. Sie hatten den Kampf und den Untergang der Galeone aus der Ferne beobachtet, ohne eine Chance, einzugreifen. Jetzt setzte die Piraten-Karavelle alle Segel und rauschte mit halbem Wind unter Vollzeug nach Norden davon.
„Was hat er nun davon?“ fragte Ben Brighton. „Warum greift er überhaupt erst an, wenn er den Kahn nicht entern und ausplündern will? Will er die Leute, die er aufgefischt hat, zum Borddienst pressen?“
„Nein“, sagte Hasard knapp. „Aber vermutlich als Sklaven verkaufen.“
„Als – o verdammt!“
Der Seewolf hob die Schultern. Die Praktiken der barbareskischen Seeräuber waren allgemein bekannt. Natürlich hatten sie nichts dagegen, Prisen zu nehmen und Schätze zusammenzurauben, aber sie schlugen auch noch Gewinn aus den Gefangenen, die ihnen in die Hände fielen.
„Arme Teufel“, murmelte Ben Brighton. „Aber eine verdammte Glanzleistung war es doch.“
„Ja, das war es. Oder eine verdammte Idiotie von dem spanischen Kapitän, wie man’s nimmt. Wer einen Gegner unterschätzt, ist selbst schuld. Als die Karavelle halste, hätte er sofort an den Wind gehen müssen und …“
„Deck ho!“ unterbrach ihn Jeff Bowies Stimme aus dem Großmars. „Da treibt etwas Backbord voraus. Ein Mann, glaube ich.“
„Kannst du die Klüsen nicht aufreißen, du karierter Decksaffe?“ brüllte Ed Carberry von der Kuhl her.
Jeff antwortete nicht, sondern spähte nach Norden. Die treibende Gestalt war jetzt deutlicher zu erkennen: ein Spanier wahrscheinlich, den die Piraten übersehen hatten. Hasard ließ bereits das Beiboot klarmachen und etwas anluven, um den Mann über die Leeseite an Bord nehmen zu können.
Minuten später klatschte das Boot aufs Wasser.
Ferris Tucker, Smoky, der riesige Gambia-Neger Batuti und der blonde Schwede Stenmark pullten, was das Zeug hielt. Matt Davies beugte sich über die Ducht. Er benötigte keinen Enterhaken, um den Mann aus dem Wasser zu fischen: die stählerne Hakenprothese, die ihm die fehlende rechte Hand ersetzte, genügte völlig.
Der Spanier war halb ertrunken, aber er lebte noch.
Matt drückte ihm das Knie in den Leib, bis er ein paar Eimer Meerwasser ausspuckte und röchelnd nach Atem rang. An Bord der „Isabella“ fiel er wie ein nasser Sack auf die Planken, doch er regte sich schon wieder.
„Hol mal eine Pütz Rum her, Kutscher“, befahl Hasard.
„Aye, aye, Sir.“
Der Kutscher verschwand in Richtung Kombüsenschott.
Fast gleichzeitig kam Leben in den halb ertrunkenen Spanier. Er krümmte sich – und dann sprang er plötzlich auf wie ein Kastenteufel.
Der völlig verblüffte Seewolf kassierte einen Tritt vors Schienbein, Matt Davies einen Boxhieb, der ihn rückwärts gegen das Schanzkleid beförderte. Auf eben dieses Schanzkleid torkelte der Spanier zu. Kein Zweifel, daß er wieder über Bord springen wollte. Matt Davies erholte sich gerade noch rechtzeitig von seiner Überraschung, um den Burschen mit seinem Haken am Kragen zu nehmen.
Er warf ihn Ferris Tucker zu. Der drehte ihm kurzerhand die Arme auf den Rücken. Ed Carberry schüttelte den Kopf und schob sein zernarbtes Rammkinn vor.
„Du hast wohl Kakerlaken im Hirn!“ fauchte er. „Dir ziehe ich die Haut in Streifen von deinem verdammten …“
„Kannst du mir erklären, warum du so wild auf’s Ertrinken bist?“ fragte Hasard trocken.
Der Spanier starrte ihn an. Er war jung, kaum über zwanzig. Blut sikkerte aus seinem Haar: dort hatte ihn beim Untergang der Galeone vermutlich ein Trümmerstück getroffen. Seine Augen funkelten wild, aber es gelang ihm nicht ganz, seine Furcht zu verbergen.
„Ihr seid Engländer“ stieß er hervor. „Ehe ich auf diesem Kahn als Sklave schufte, sterbe ich lieber.“
„Ah ja“, sagte Hasard gedehnt. „Du nimmst also an, wir würden so mit dir verfahren, wie das deine Landsleute mit gefangenen Engländern zu tun pflegen, stimmt’s?“
Der Spanier antwortete nicht. Er wußte nur zu genau, was gefangenen englischen Freibeutern in seinem Heimatland geschah: sie wurden entweder hingerichtet oder auf Galeeren verschleppt oder zum Borddienst auf irgendeinem Segler gepreßt. Und von diesen drei Möglichkeiten war im allgemeinen die sofortige Hinrichtung noch die gnädigste.
„Wir setzen dich in Sidi-al-Narouz an Land“, sagte Hasard ruhig. „Ich schätze, irgendwann wird dort auch ein spanisches Schiff erscheinen.“
Der Junge schluckte. „Ihr – ihr wollt mich laufenlassen?“
„Ja. Was ist jetzt? Willst du immer noch über Bord springen?“
„N-nein, Senor.“
„Hast du einen Namen?“
„Diego Mantagua. Und – und Sie wollen wirklich Sidi-al-Narouz anlaufen?“
„Sicher. Hast du etwas gegen das Nest?“
Der Spanier schüttelte den Kopf.
Aber seine Augen hatten sich verdüstert – und Hasard war fast sicher, daß das Fischerdorf an der Küste des Maghreb irgendeine besondere Bedeutung für den Jungen hatte.
Darmowy fragment się skończył.