Czytaj książkę: «BETTINAS ENTSCHEIDUNG», strona 5

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Über ein ganzes Jahr kämpfte Bettina gegen das Auf und Ab ihrer Gefühle. Wenn Peer zu einer kurzen Stippvisite auftauchte, war sie überglücklich und zufrieden. Sobald er allerdings abgereist war, fühlte sie sich noch schlechter als zuvor, denn außerhalb der sogenannten geschäftlichen Besprechungen, die stets nur unter vier Augen in seiner Suite stattfanden, mied er jeglichen persönlichen Kontakt. Sie aß kaum noch vernünftig. Zudem schlief sie schlecht, sodass sowohl ihre Konzentration als auch ihr Gedächtnis nachzulassen begannen. Als ihr schließlich bewusstwurde, dass sie die Pille nicht nur einmal vergessen hatte und ihre Periode längst überfällig war, traf es sie wie ein Hammerschlag. Doch nur einen Augenblick später jauchzte sie vor Freude, weil es nun endlich einen Lichtblick in ihrem düsteren Leben gab. Das Baby war so etwas wie ein Wink des Schicksals! Vielleicht … Peer konnte bisher keine Nachkommen aufweisen, würde sich also bestimmt nicht nehmen lassen, sein Kind aufwachsen zu sehen. Dass er dabei auch dessen Mutter öfter als bisher besuchen musste, lag in der Natur der Dinge. Es schien wahrhaftig so, als sollte die Zukunft weit erfreulicher verlaufen als bisher gedacht!

Bettina konnte es kaum erwarten, Peer die freudige Nachricht mitzuteilen. Also wartete sie voller Ungeduld auf seinen nächsten Besuch. Doch hatte sie kaum angefangen, da wurde sie jäh unterbrochen.

„Was hast du gesagt?“, fragte er ungläubig.

„Wir bekommen ein Baby“, wiederholte sie, während die frohe Erwartung langsam aus ihrem Gesicht schwand, um einer verunsicherten Miene Platz zu machen.

„Ist das dein Ernst?“, wollte er wissen.

Sie nickte bloß. Er freute sich ja gar nicht, schoss es ihr wiederholt durch den Sinn. Ganz im Gegenteil schien er eher peinlich berührt zu sein!

„Seit wann weißt du das?“ Sowohl seine Stimme als auch der Ausdruck seiner Augen waren mit einem Mal kalt wie Eis.

Bettina meinte plötzlich, da sei ein unsichtbarer Ring um ihren Hals, der sich beständig verengte und ihr dabei nicht nur das Schlucken, sondern auch das Atmen schwermachte.

„Ich war letzten Monat bei meiner Ärztin“, brachte sie mühsam heraus „Da hab’ ich’s erfahren.“

Peer betrachtete die vor ihm stehende Frau eine Weile abschätzend, so als könne er nicht entscheiden, ob er ihr nun glauben sollte oder nicht. Ja, erkannte er am Ende, sie sagte die Wahrheit. Aber wie konnte … Sie nahm doch die Pille! Wie konnte sie da schwanger werden? Und überhaupt …

„Bist du sicher, dass es wirklich von mir ist?“ Ihre überschlanke Gestalt einmal kurz von Kopf bis Fuß musternd, ließ er seinen Blick gleich im Anschluss wieder zu ihrem Gesicht hinauffliegen, welches nun einen Ausdruck tiefster Bestürzung zeigte.

„Du …“ Sie kämpfte immer noch gegen die atemraubende Enge in ihrer Kehle. „Das glaube ich jetzt nicht.“ Unfähig länger aufrecht zu stehen, ließ sie sich auf die nächstbeste Sitzgelegenheit fallen, und starrte ihn von unten herauf völlig verblüfft und hilflos zugleich an.

„Was denn?“ Auch wenn er meinte, im Recht zu sein, fühlte er sich jetzt doch ein wenig unwohl in seiner Haut. Und genau das machte ihn wütend. Schuldgefühle waren was für Schwächlinge und Frauen! Was hier jetzt gefragt war, war vernünftiger Menschenverstand. Saskia hatte bisher keinen Anstoß daran genommen, dass er sich auch anderweitig amüsierte, denn sie kam immer noch auf ihre Kosten. Aber einen Bastard würde sie ihm niemals verzeihen. Nie im Leben! Selbst nicht fähig, Kinder zu bekommen, würde sie garantiert nicht dulden, dass er sich mit einer anderen fortpflanzte. Sie würde ihn gnadenlos fallen lassen und in die Gosse zurückstoßen, aus welcher sie ihn herausgezogen hatte. Obwohl sie ihm praktisch seit der ersten Sekunde ihrer Bekanntschaft buchstäblich aus der Hand fraß, war sie vor der Eheschließung dennoch dem Rat ihrer Rechtsanwälte gefolgt, die einen sorgfältig ausgearbeiteten Ehevertrag für notwendig gehalten hatten. Wenn er also zuließ, dass Bettina ihm ein Balg unterschob, würde er ein armer Mann werden, der allein Hohn erntete, wo immer er auch auftauchte! „Glaubst du wirklich, du könntest mich über den Tisch ziehen?“, fuhr er fort. „Ich war vor über vier Monaten das letzte Mal mit dir zusammen. Also kann es gar nicht sein, dass du von mir schwanger bist. Wenn du also geglaubt hast, du könntest mich mit einem Kuckuckskind an dich binden, dann hast du falsch gedacht! Such dir einen anderen Dummen, der für dich und deinen Nachwuchs aufkommt!“

Bettina hörte sich das alles an und wähnte sich in einem bösen Traum, aus dem sie trotz aller Bemühungen nicht wach werden konnte. Außerdem war ihr auf einmal so schlecht, dass sie fürchtete, sie müsse sich jeden Moment übergeben.

„Im letzten Jahr gab es keinen außer dir“, sagte sie mit brüchig klingender Stimme. „Und ich bin bereits im fünften Monat, auch wenn man es mir nicht ansieht.“ Ein ums andere Mal hart schluckend, stand sie wieder auf und klammerte sich anschließend an die Lehne des Stuhles, auf dem sie bisher gesessen hatte. Er war ein herzloses Monster, stellte sie im Stillen für sich fest. Selbstverständlich war ihr schon von Anfang an bekannt gewesen, dass er ein Egoist und ein absolut rücksichtsloser Mensch war. Dennoch hatte sie ihn geliebt – liebte ihn trotz allem immer noch. Egal, was er sagte oder tat, ihr dummes Herz schlug nach wie vor nur für ihn. Doch ihr Verstand klärte sich allmählich, sodass sie wieder vernünftig denken konnte. „Es ist dein Kind, auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Also wirst du dich auch darum kümmern müssen.“ Was auch immer er an Ausflüchten parat hatte, sie würde keines davon gelten lassen!

„Glaubst du wirklich, du könntest mich erpressen?“, zischte er angriffslustig. „Da hast du dich aber gewaltig geschnitten, Süße. Ich lasse mich nämlich nicht unter Druck setzen, verstehst du! Ich behaupte einfach, dass du lügst. Schließlich kann mir niemand beweisen, dass ich ein Verhältnis mit dir hatte.“ Ihrem fassungslosen Blick völlig gleichgültig begegnend, grinste er sie nun voller Geringschätzung an. „Du erinnerst dich? Du bist meine Angestellte, nichts weiter. Du wirst in meine Suite gerufen, weil ich über Geschäftliches mit dir sprechen muss. Aber sonst haben wir nichts miteinander zu tun. Absolut gar nichts! Verstehst du?“

Bettina wollte ihren Ohren nicht trauen. War das möglich? War er wirklich so abscheulich abgebrüht? Ja, wahrhaftig! Es war ihm völlig ernst. Und dabei wirkte er so sicher und überheblich, als befände er sich tatsächlich im Recht. Aber das war er nicht! Sie würde nicht zulassen, dass er damit durchkam!

„Du wirst aber als Vater genannt werden.“ Sie hatte ihre Stimme jetzt so weit unter Kontrolle, dass diese relativ ruhig, wenn auch nicht wirklich fest klang. „Ob dir das nun passt oder nicht, ist mir egal. In der Geburtsurkunde unseres Kindes wird nicht der Vermerk stehen ’Vater unbekannt’, denn ich kann beschwören, dass du es gezeugt hast. Außerdem kann man das auch durch einen Test prüfen lassen.“

„Du vergisst, meine Liebe, mit wem du es zu tun hast“, erwiderte er von oben herab. „Wenn du mich wirklich durch einen Vaterschaftstest in Verlegenheit bringen solltest, mache ich dir dein weiteres Leben zur Hölle!“ Ihr leichenblasses Gesicht betrachtend, fühlte er plötzlich tiefe Genugtuung in sich aufsteigen, weil er tatsächlich am längeren Hebel saß, und sie ihm somit nichts anhaben konnte. „Ich kann dich nicht nur entlassen“, drohte er. „Ich kann auch dafür sorgen, dass du vor aller Welt als gemeine Lügnerin oder Diebin dastehst und nirgends mehr eine anständige Arbeit bekommst. So, wie ich dich kenne, dürfte dies wohl nicht in deinem Sinne liegen. Du willst doch nicht für den Rest deines Lebens auf Almosen angewiesen sein? Oder gefällt dir der Gedanke, von der Sozialhilfe zu leben?“ Er sah ihr das Entsetzen an und nickte unmerklich. Gleich darauf wandte er sich ab und ging mit langen Schritten zum Schreibtisch. „Ich werde dir ein letztes Geschenk machen“, sagte er über die Schulter hinweg. „Die Summe wird zwar nicht ganz so hoch sein, wie du es vielleicht gehofft hast, aber ich denke, du hast es dir verdient.“ Sein Scheckheft aus einer der Schubladen ziehend, langte er mit der anderen Hand nach seinem Kugelschreiber. „Betrachte es als Anerkennung für erbrachte Dienstleistungen, die ich übrigens sehr genossen habe.“

Bettina konnte weder seinen Anblick noch sein Gerede länger ertragen. Noch bevor er die Zahlungsanweisung unterschrieben hatte, stürzte sie davon. Warum nur? Wieso hatte sie ihr Herz an diesen Kerl verschleudert, wo sie doch schon im Vorfeld ganz genau gewusst hatte, dass ihm nicht das Geringste daran lag, von ihr geliebt zu werden? … Nun, sie hatte jetzt lange genug den Kopf in den Sand gesteckt. Es war wirklich allerhöchste Zeit, wieder Vernunft anzunehmen und das bisschen Selbstwertgefühl, das ihr noch geblieben war, zu retten! Sicher, sie sehnte sich trotz seines gemeinen Verhaltens immer noch danach, in seinen Armen zu liegen, denn es gab nichts Schöneres. Dennoch wollte sie sich nie wieder auf derart miese Weise erniedrigen lassen!

Den Kopf hocherhoben, ging Bettina zu ihrem Büro und schloss sich ein. Was jetzt, fragte sie sich mit brennenden Augen. Natürlich war sie in der Lage, ein Kind alleine zu ernähren. Aber war das vernünftig? Sie würde gezwungen sein, so schnell wie möglich wieder zu arbeiten, was bedeutete, dass sie das Kleine irgendwo unterbringen musste, wo es beinahe rund um die Uhr versorgt wurde, weil ihre Arbeitszeit nicht immer pünktlich endete. Es würde daher von Anfang an bei fremden Leuten aufwachsen und die eigene Mutter praktisch kaum kennen. Außerdem war zu befürchten, dass sie durch den Anblick des Würmchens ständig an Peer erinnert wurde, und somit auch an alles andere, was mit ihm zusammenhing. Was, wenn sie ihr eigenes Kind für all das zu hassen begann, was er ihr angetan hatte? … Nein, entschied sie, sie durfte auf keinen Fall zulassen, dass ein unschuldiges Menschenkind für die sorglose Nachlässigkeit seiner Mutter oder die gemeine Rücksichtslosigkeit seines Erzeugers büßen musste! Auch auf die Gefahr hin, dass sie selbst noch einmal durchmachen musste, was ihr nach ihrer ersten Schwangerschaft widerfahren war, sollte ihre Entscheidung allein zum Wohle ihres Kindes gefällt werden. Schlaflosigkeit und geistige Unruhe konnte man mit Medikamenten behandeln. Und die Selbstvorwürfe würden auch irgendwann weniger werden.

Innerlich zwar noch nicht ganz sicher, ob sie ihren Plan tatsächlich in die Tat umsetzten sollte, suchte Bettina die Telefonnummer des Jugendamtes heraus und ließ sich kurz darauf einen Termin für ein Beratungsgespräch geben. Peer sollte nie erfahren, ob er nun einen Sohn oder eine Tochter gezeugt hatte, nahm sie sich vor, derweil sie ihre Kündigung schrieb. Selbst wenn er seine Meinung irgendwann ändern und nach dem Kind fragen sollte, würde sie ihm einfach nur ins Gesicht lachen!

*

Mit Ablauf ihrer Kündigungsfrist packte Bettina ihre Siebensachen zusammen und zog vorübergehend nach Koblenz. Dadurch wollte sie vermeiden, dass sie noch einmal Peers Weg kreuzte. Außerdem hoffte sie, dass der räumliche Abstand zu dem Ort, an dem sie unbeschreibliches Glück und auch tiefste Verzweiflung gefunden hatte, ihr half, sich wieder zu fangen. Doch sobald ihre Möbel im neuen Appartement aufgestellt und die Umzugskisten ausgepackt waren, fand sie sich unvermittelt in einem langweiligen Alltag wieder, der ausschließlich aus Hausarbeit und Grübelei zu bestehen schien. Sie besaß zwar genügend Mittel, um ein halbes Jahr ohne Arbeitslohn überstehen zu können. Dennoch sehnte sie die Zeit herbei, da das Kind geboren war, weil sie dann endlich eine neue Stelle annehmen und ihren Kummer durch Arbeit verscheuchen konnte. Und so verging ein Tag nach dem anderen, bis die Zeit heranrückte, da ihre Schwangerschaft enden sollte.

Die Entbindung selbst verlief diesmal einfach und schnell, sodass Bettina nur kurz unter körperlichen Schmerzen zu leiden hatte. Allerdings war sie psychisch bis zum Äußersten angespannt, denn sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie ihren Entschluss tatsächlich wahr machen sollte. Während dann der erste Schrei des Neugeborenen erklang, schossen ihr gleichzeitig Peers grausame Worte durch den Sinn, sodass sie die verlangend ausgestreckten Hände wieder fallen und die Hebamme gehen ließ, die in den Nachbarraum strebte, wo das Baby gebadet und angezogen werden sollte.

*

Als Bettina Koblenz verließ, um sich in Hanau ein neues Leben einzurichten, war ihrer überschlanken Figur nicht mehr anzusehen, dass sie erst vor Kurzem noch hochschwanger gewesen war. Ihr Gesicht wirkte spitz und sehr blass. Außerdem litt sie an Depressionen, welche trotz starker Medikamente nicht verschwanden. Auch fühlte sie jedes Mal bitteren Neid, wenn sie eine Frau mit Kinderwagen erblickte, und wollte schier verzweifeln, weil ihr ganzes Denken allein von der Sehnsucht nach ihrem eigenen Baby beherrscht wurde. Sie versuchte zwar, ihre alten Lebensgewohnheiten wiederaufzunehmen, doch spukten immer öfter selbstzerstörerische Gedanken durch ihren Kopf, die sie nur mit Mühe verscheuchte.

*

Es war ein regnerischer Sommerabend, als Bettina todmüde nach Hause kam und mit schleppenden Schritten in ihr Schlafzimmer schlurfte, um sich, so wie sie war, auf ihr Bett zu werfen. Allerdings fand sie weder geistige Entspannung noch den erhofften Schlaf. Daher stand sie wieder auf und ging in die Küche, mit der Absicht, eine Schlaftablette nehmen zu wollen. Dass sie dann das ganze Röhrchen in ein Glas ausschüttete und gleich darauf Rotwein darüber goss, nahm sie gar nicht richtig wahr, denn sie handelte wie in Trance. Und so brachte erst der bittere Geschmack ihres Getränkes sie wieder in die Realität zurück.

Für einen Moment wie angewurzelt auf der Stelle stehend, nicht fähig, zu begreifen, warum der Wein so eine merkwürdig milchige Farbe aufwies, bemerkte sie endlich auch den leeren Tabletten-Behälter und begriff mit einem Mal, was das alles zu bedeuten hatte.

Dem Schrecken über ihr eigenes Verhalten folgte sogleich eine trotzige Wut, die Bettina dazu brachte, das Glas mit dem tödlichen Cocktail an die nächste Wand zu schleudern, wo es in unzählige Scherben zersprang. Nein, sie würde sich nicht umbringen, stellte sie mit neu erwachendem Kampfgeist fest. Es gab nämlich überhaupt keine Veranlassung dafür, warum sie sich wie ein gemeiner Dieb in der Nacht aus dem Leben stehlen sollte. Man hatte sie enttäuscht, ja. Und man würde sie vermutlich noch mehrmals enttäuschen, bevor sie sich alt und grau und auf ganz natürlichem Wege von der Welt verabschiedete. Aber das war beileibe kein Grund, alles hinzuwerfen! Peer hatte ihre Liebe weder gewollt noch verdient, denn er war ein rücksichtsloses Schwein. Ja, er war nichts weiter als ein gefühlloses, arrogantes Sonderexemplar von Mann, dem die Natur eine ansehnliche Schale verpasst hatte, um die Bösartigkeit und emotionale Kälte in seinem Inneren zu überdecken. Und sein Ableger war bestimmt nicht besser! Überhaupt – Kinder waren etwas Grässliches. Machten nichts als Krach und Arbeit. War schon gut, dass sie sich dafür entschieden hatte, nicht allzeit parat stehen zu müssen, nur um einen egoistischen Schreihals zu bedienen, der weder Dankbarkeit noch Gehorsam kannte. Sie brauchte nur an ihren kleinen Bruder zurückdenken, dann war sie kuriert!

Trotz dieser abwertenden Feststellung wollte Bettina das Herz in der Brust zerspringen, wenn sie an die Laute zurückdachte, mit denen ihre beiden Babys das Leben begrüßt und sich gleichzeitig von der Mutter verabschiedet hatten. Und weil diese Erinnerung ihren gerade erst zurückkehrenden Lebensmut wieder zunichtemachen wollte, rief sie sich mit aller Macht zur Ordnung. Jede andere Entscheidung wäre falsch gewesen, redete sie sich selbst gut zu. Jetzt galt es, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder notwendig wurde. Nein, sie wollte nicht zur Nonne werden, denn sie konnte sich nicht vorstellen, ganz ohne einen Mann auszukommen. Aber vorerst hatte sie die Nase gestrichen voll von den Kerlen, die nur auf Sex aus waren!

Eingedenk ihrer Erfahrung, dass Arbeit nicht nur vor unliebsamer Grübelei ablenkte, sondern auch über jeden Kummer hinweghelfen konnte, stürzte sich Bettina in den nächsten Tagen voller Tatendrang in allerlei Aktivitäten. Zunächst kleidete sie sich völlig neu ein, wobei sie den Stil ihrer neuen Garderobe bewusst streng hielt, um schon anhand ihres Äußeren deutlich zu machen, dass sie nicht allein wegen ihrer Erscheinung bewundert, sondern wegen ihres Verstandes respektiert werden wollte. Passend zu ihrem jetzt sehr geschäftsmäßig wirkenden Outfit ließ sie das lange Haar zu einem ordentlichen Bob abschneiden, was ihr zusätzlich eine Aura von Unnahbarkeit verlieh. Danach bemühte sie sich um einen anderen Arbeitsplatz, weil sie sich auch in dieser Hinsicht verändern wollte, und fand diesen schließlich in Frankfurt am Main.

7

Bettinas kühle Reserviertheit schien sie praktisch unwiderstehlich zu machen, sodass ihr die Männer – darunter auch einige sehr einflussreiche Geschäftsleute – reihenweise verlockende Anträge machten. Sie staunte zunächst über dieses Phänomen, weil ihr nicht gleich einleuchten wollte, wieso sie jetzt so viel interessanter sein sollte als früher. Als ihr jedoch aufging, dass sie praktisch als eine Art Prüfung angesehen wurde – die erfolgreiche Eroberung einer scheinbar frigiden Frau schien wahrhaftig einer Heldentat gleichzukommen! – fühlte sie sich in ihrer Haltung bestätigt, und reagierte nun noch bissiger, wenn man sie mit Schmeicheleien einzuwickeln versuchte. Zum einen wollte sie keine Trophäe sein, die man voller Stolz präsentierte. Und zum anderen verspürte sie immer noch kein Verlangen nach männlicher Gesellschaft oder gar einer Liebesbeziehung, denn die bittere Enttäuschung durch Peer fraß immer noch an ihr.

*

Harald Graumann war Spezialist für Holzverarbeitung und Antiquitätenrestauration. Er wollte die Fachmesse besuchen, um sich über Neuigkeiten in der Branche zu informieren. Allerdings hatte er schon bei seiner Ankunft im Hotel keine große Lust mehr, sich durch die überfüllten Messehallen zu drängeln oder Geschäftspartner zu treffen. Stattdessen wollte er lieber die Direktionsassistentin des Hauses näher kennenlernen, denn die weckte ein Gefühl in ihm, welches er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Eigentlich suchte er kein Abenteuer. Und im Grunde genommen gehörte sie noch nicht einmal zu dem Frauentyp, welchen er bevorzugte. Dennoch ging ein Reiz von ihr aus, dem er einfach nicht widerstehen konnte. Sie war eindeutig eines von diesen weiblichen Wesen, hinter deren kalter Unnahbarkeit ein empfindsamer und herzensguter Mensch zu finden war, urteilte er nach einem wiederholten Blick auf Bettinas unbewegtes Gesicht. Allein der traurig anmutende Ausdruck ihrer schönen Augen ließ vermuten, dass sie wohl guten Grund hatte, die Leute aus ihrer Umgebung nicht allzu nahe an sich heranzulassen.

„Hallo Frau Römer“, sprach er sie beherzt an. „Würden Sie mir vielleicht die Freude machen, und eine Stadtrundfahrt mit mir unternehmen?“

„Tut mir leid“, erwiderte sie im höflichen, aber sehr kühlen Tonfall. „Eine Einzelführung ist leider nicht möglich. Aber wenn Sie wollen, schließen Sie sich doch morgen früh der angemeldeten Gruppe an.“ Ein gut aussehender Mann, urteilte sie insgeheim. Groß und schlank, und zudem sehr kraftvoll wirkend. In seinem dunkelblonden Haar waren schon einige Silberfäden zu sehen, was keineswegs störte. Und in dem strahlenden Grau seiner Augen fanden sich einige blaue Punkte, was ebenfalls interessant wirkte. Auch roch er gut – nach einer Mischung aus Wald und kühlem Wind, der über taufrisches Gras streifte. Irgendwie … Sie fühlte sich seltsam in seiner Gegenwart. Ja, da war plötzlich eine höchst angenehme Wärme und zugleich eine kribbelige Unruhe in ihr, die sie sich nicht erklären konnte.

„Ich …“ Harald schluckte hart, bevor er fortfuhr: „Wenn ich ganz ehrlich sein soll, dann muss ich zugeben, dass ich gar keine Sightseeing-Tour machen wollte. Mir ging es eher darum, mit Ihnen zusammen zu sein. Wie wäre es mit einem Abendessen?“

„Gehen Sie immer so schnell auf Ihr Ziel los?“ Sie hatte sich durch sein ansprechendes Äußeres in die Irre führen lassen, warf sie sich selbst vor. Dabei war er nicht anders als all die anderen!

„Nein, eigentlich nicht“, gab Harald zu, wobei seine Wangen zusehends an Farbe gewannen. „Nur … Ich … Ich habe bloß drei Tage Zeit. Und da dachte ich …“

„Ach so“, tat sie überrascht. „Sie wollen eine schnelle Eroberung machen? Da sind Sie bei mir aber völlig falsch.“ Bewusst ein herablassendes Lächeln aufsetzend, musterte sie ihn schnell noch einmal von Kopf bis Fuß. „Für solche Wünsche sind andere Damen zuständig“, erklärte sie mit einem ironischen Unterton in der Stimme. „Nehmen Sie sich ein Taxi und lassen Sie sich zum Bahnhof bringen. Soviel ich weiß, gibt’s in dieser Gegend die größte Auswahl.“ Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da drehte sie sich um und wollte gehen.

„Idiot!“ Harald hätte sich ohrfeigen mögen, weil sein Versuch, die attraktive Blondine zu einer Verabredung überreden zu wollen, in der Tat nicht plumper hätte klingen können.

„Was?“ Bettina hatte zwar das Schimpfwort gehört, wusste jedoch nicht, wie sie die Aussage ihres Gesprächspartners werten sollte. Entsprechend verwirrt sah sie zu ihm zurück.

„Ver … Entschuldigen Sie“, stotterte er verlegen. „Ich hab’ nur mit mir selbst geschimpft. Ich wollte nicht … Sie müssen wirklich nicht denken, ich wolle Ihnen ein unmoralisches Angebot machen. Es ist nur … Na ja, Sie wirken so nett, dass ich dachte … Ach, verflixt und eins! Ich möchte doch nur ein bisschen mit Ihnen plaudern und Sie dabei besser kennenlernen!“

Bettina sah den großen Mann einen Augenblick lang nachdenklich an und verwarf dann zum zweiten Mal ihr Urteil über ihn. Er hatte in der Tat eine sympathische und zugleich herzerfrischend offene Art an sich. Zudem schien er tatsächlich nicht der Typ zu sein, der in einer Frau bloß einen kurzfristigen Zeitvertreib sah.

„Sie sind heute Morgen angekommen, nicht wahr?“ Sie drehte sich wieder so hin, dass sie ihn anschauen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken. „Verzeihen Sie, aber ich komme einfach nicht auf Ihren Namen.“

„Graumann“, half er nach. „Harald Graumann. Vierzig Jahre alt, verwitweter Geschäftsmann aus Kassel, und außerdem sehr, sehr einsam in dieser fremden kalten Stadt.“

„Na gut, Herr Einsam“, parierte sie. „Ein Abendessen ist akzeptiert.“

„Oh, ich … Das …“ Er räusperte sich schnell, um dann hastig fortzufahren: „Ich hatte schon befürchtet, dass Sie mir nach meinem missglückten Start keine Chance mehr einräumen würden. Aber jetzt haben Sie mich doch zu einem sehr glücklichen Mann gemacht.“

Sie musste nun doch lachen, denn er wirkte tatsächlich so froh, als hätte er den Hauptpreis in einer Lotterie gewonnen. Gleichzeitig wandte sie sich ab, denn die tägliche Arbeit rief.

„Frau Römer!“, rief er ihr nach.

„Ja?“, warf sie über die Schulter zurück.

„Wann kann ich Sie abholen?“, wollte er wissen.

Sie war bereits durch die halbe Eingangshalle gelaufen, da drehte sie sich um und hielt beide Hände in die Höhe, um ihm somit die Uhrzeit deutlich zu machen.

Haralds Bewunderung war Balsam für Bettinas wunde Seele. Selbstverständlich war er auch nur ein Mann, dessen Wünsche verständlich und nachvollziehbar waren. Trotzdem hatte sie in seiner Gegenwart nie das Gefühl, sie müsse seiner Bewunderung unbedingt mit zuvorkommender Freundlichkeit begegnen, um ihn bei Laune zu halten. Also ließ sie sich von ihm ausführen, und genoss seine unaufdringliche Gesellschaft in sorgloser Zufriedenheit, denn er erzählte mit so viel Humor und Selbstironie von sich und seiner kleinen Tochter, dass sie mehr als einmal herzhaft lachen musste. Als er schließlich nach ihrer Familie fragte, wurde sie schlagartig sehr ernst.

„Da gibt es niemanden, dem ich wichtig wäre.“ Die gleichmütig klingenden Worte waren kaum hervorgebracht, da wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass der Kontakt zu ihren Angehörigen schon vor mehreren Jahren abgebrochen war. … Nun, wie sollte man ihr auch schreiben, wenn man ihre Adresse nicht kannte, hielt sie sich sogleich selbst vor Augen. Der letzte Brief, der an die Eltern abgeschickt worden war, hatte noch die Anschrift ihrer Ausbildungsstätte getragen. … Sie musste sich wirklich einmal melden, ermahnte sie sich. Zumindest sollte ihre Mutter erfahren, dass ihre Tochter trotz aller vorangegangenen Zweifel in der Lage war, von der Arbeit ihrer eigenen Hände zu leben!

Vielleicht lag es an Haralds höflicher Zurückhaltung. Möglicherweise war es auch nur ein Anflug von Dankbarkeit für sein aufrichtiges Interesse an ihr, welcher Bettina dazu veranlasste, ihm eine Nacht voller Zärtlichkeit und Hingabe zu schenken. Als sie jedoch am Morgen erwachte und ihren noch schlafenden Übernachtungsgast auf der anderen Seite des Bettes vorfand, wurde ihr die Kehle eng. Sie hatte gewusst, dass seine Gegenwart in ihrem Leben nur von begrenzter Dauer sein würde, ermahnte sie sich. Auch wenn er den Eindruck machte … Nein, sie durfte gar nicht erst damit anfangen, sich falsche Hoffnungen zu machen. Er musste zurück zu seiner Tochter und der Arbeit. Und sie selbst … Hatte sie sich nicht geschworen, dass sie die Tür zu ihrem Herzen fest geschlossen halten wollte, um sich neuen Schmerz zu ersparen? Nun, ihr momentaner Bettgenosse mochte zwar den Eingang gefunden und einen Spalt weit aufgestoßen haben, doch hieß das noch lange nicht, dass er es auch vollends für sich erobern durfte!

Obwohl Harald beim Abschied versprochen hatte, so bald als möglich wiederkommen zu wollen, war sich Bettina ziemlich sicher, dass sie das nicht ernst nehmen durfte. Als er jedoch nur eine Woche später mit einem riesigen Strauß blutroter Rosen vor der Tür ihres Appartements auftauchte, gestand sie sich ein weiteres Mal ein, ihn falsch eingeschätzt zu haben.

„Ich konnte nicht anders“, erklärte er mit einem jungenhaften Grinsen. „Du bist mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und weil ich mich absolut nicht auf die Arbeit konzentrieren konnte, hab’ ich keinen Sinn darin gesehen, die Zeit in der Werkstatt zu vertrödeln, wo ich doch hier weit Besseres zu tun hab.“

Am Silvesterabend bekam Bettina einen Heiratsantrag, welchen sie im ersten Moment spontan ablehnen wollte, denn sie scheute immer noch die Fesseln einer Ehe, auch wenn sie mittlerweile wusste, dass ihre Haltung völlig irrational war. Doch dann dachte sie ernsthaft über Haralds Bitte nach: Er war anders als die Männer, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatte. Er brachte sie zum Lachen und vermittelte ihr dabei stets das Gefühl, sie sei etwas ganz Besonderes in seinen Augen. Ja, bei ihm konnte sie sich relativ sicher sein, dass er sie als gleichwertige Partnerin in jeder Beziehung betrachtete, also niemals versuchen würde, sie nach seinen Vorstellungen formen, oder gar umerziehen zu wollen. Dass er gesellschaftliches Ansehen und genügend finanzielle Mittel besaß, um sich ein relativ sorgloses Leben leisten zu können, interessierte sie nicht wirklich, weil ihr in der Tat mehr an ihm selbst lag als an seinem Geld. Sie mochte ihn sehr, auch wenn sie immer noch weit davon entfernt war, ihre Empfindungen für ihn mit Liebe gleichzustellen. Aber das wollte sie auch gar nicht, denn ihrer Ansicht war dieses allseits so verherrlichte Gefühl bloß eine Illusion, der man sich bis zu dem Augenblick freudig ergab, bis der Schmerz sie auslöschte. Was also sprach dagegen, Haralds Frau zu werden? Sie war jetzt siebenundzwanzig Jahre alt und an einem Punkt angelangt, an dem sie ihr Leben und die einst ins Auge gefassten Ziele mit anderen Augen sah. Die Arbeit machte ihr keine rechte Freude mehr, denn die Hektik des Alltags schien sich immerfort zu wiederholen, was einer nervtötenden Eintönigkeit gleichkam. Und die einsamen Abende in ihrer Wohnung waren auch nicht dazu angetan, ihre Stimmung zu verbessern. … War es nicht langsam an der Zeit, darüber nachzudenken, wie es weitergehen sollte? Ein kluger Mensch hatte mal gesagt, zu zweit sei man weniger einsam. … Ja, eine gut funktionierende Ehe brauchte im Grunde nicht mehr als gegenseitigen Respekt und Toleranz beider Partner, redete sie sich ein. Und für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse reichte es völlig aus, wenn man dem anderen zumindest ein gewisses Maß an Zuneigung entgegenbrachte. … Na ja, da es kein wirklich vernünftiges Gegenargument gab, würde sie Haralds Angebot annehmen, entschied sie. Schließlich hatte sie nichts zu verlieren. Ganz im Gegenteil! Da waren ein Mann und ein kleines Mädchen, die darauf warteten, endlich wieder eine vollständige Familie zu werden. Und sie selbst würde ein Zuhause bekommen, in dem sie nie mehr einsam vor dem Fernseher hocken musste, darauf wartend, dass der Schlaf sie erlöste.

12,81 zł
Gatunki i tagi
Ograniczenie wiekowe:
0+
Objętość:
470 str.
ISBN:
9783754175057
Wydawca:
Właściciel praw:
Bookwire
Format pobierania:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip