Das edle Herz

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa


Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Inhalt

Vorwort des Dalai Lama

Vorwort der Herausgeberinnen

Einführung der Herausgeberinnen

1 Unser gemeinsames Fundament

2 Sinnvoll leben Alles ist möglich

3 Gesunde Beziehungen Sich anderen zuwenden

4 Geschlechteridentitäten Es findet alles im Geist statt

5 Konsumgesellschaft und Gier Zufriedenheit ist der größte Reichtum

6 Soziales Handeln Allen beistehen

7 Umweltschutz Neue Gefühle für die Erde entwickeln

8 Ernährungsgerechtigkeit Den Teufelskreis von Hunger und Elend durchbrechen

9 Konfliktbewältigung Wut ist das Problem

10 Spirituelle Wege Leben und Spiritualität miteinander verbinden

11 Nachhaltiges Mitgefühl Uns selbst in Mut und Freude verankern

12 Die Lehren mit Leben erfüllen

Danksagung der Herausgeberinnen

Biografie Seiner Heiligkeit des Karmapa, Ogyen Trinley Dorje

Biografien der Herausgeberinnen und des Übersetzers


Vorwort des Dalai Lama

Ich habe die große Freude, das neue Buch des Siebzehnten Karmapa, Ogyen Trinley Dorje, vorzustellen; es ist das Buch eines jungen Mannes, der intensiv studiert und hart gearbeitet hat, um der Verantwortung als Oberhaupt der Kamtsang-Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus gerecht zu werden.

Ich persönlich unterscheide heutzutage zwischen Menschen, die wie ich sechzig oder siebzig Jahre alt sind und in das 20. Jahrhundert gehören, das nun vorbei ist, und Menschen, die zehn, zwanzig oder dreißig Jahre alt sind; sie werden das 21. Jahrhundert prägen. Die Menschheit hat im 20. Jahrhundert bemerkenswerte Fortschritte erlebt, so zum Beispiel im Bereich der Medizin, der Mobilität und der Kommunikation. Doch dieses Jahrhundert war auch eine Periode von Konflikten und Blutvergießen, wie wir es nie wieder erleben wollen. Wenn die kommenden Jahrzehnte anders aussehen sollen, müssen die jungen Menschen von heute den Frieden in der Welt bewahren, indem sie in sich selbst Frieden schaffen und Probleme im Dialog mit anderen lösen.

Es ermutigt mich, dass das vorliegende Buch aus der Zusammenarbeit des Karmapa Rinpoche mit einer Gruppe junger, intelligenter amerikanischer Studierender entstand. Es ist nicht so sehr eine Darlegung buddhistischer Ansichten, sondern ein gutes Beispiel für den konstruktiven Beitrag, den buddhistische Ideen zu aktuellen Diskussionen liefern können. Rinpoche zeigt wiederholt auf, wie wir unsere wertvollen menschlichen Qualitäten, unser edles Herz, als Quelle positiver Motivation und Aktion nutzen können. Ob es um unsere Gefühle, um die Transformation unseres Geistes oder um den Schutz unserer natürlichen Umwelt geht, immer ist es wichtig, über bloßes Wünschen hinauszugelangen und wirklich etwas zu tun.

Ich bin sicher, dass diejenigen, die dem vorliegenden Buch Beachtung schenken und versuchen, die darin gegebenen Anregungen im eigenen Leben auszuprobieren, nicht nur glücklichere Menschen werden, sondern zu einer glücklicheren und friedlicheren Welt im 21. Jahrhundert beitragen werden.


Tenzin Gyatso, der Vierzehnte Dalai Lama

3. Oktober 2012

Vorwort der Herausgeberinnen

Der spirituelle Lehrer, dessen Worte der Weisheit dieses Buch enthält, ist seinen Schülerinnen und Schülern als »Seine Heiligkeit der Karmapa« bekannt. Im Mai 2011 nahm sich Seine Heiligkeit trotz seines anspruchsvollen Terminkalenders Zeit für eine Reihe von Treffen mit einer Gruppe von sechzehn amerikanischen College-Studierenden, die ihn in seiner Residenz in Indien besuchten. Die Vorträge, die er im Rahmen dieser Treffen hielt, bilden das Fundament des vorliegenden Buches.

Während einer der zweimal wöchentlich stattfindenden öffentlichen Audienzen Seiner Heiligkeit des Karmapa, die in der Versammlungshalle des Gyuto-Klosters in Nordindien stattfanden, konnten die angereisten Studierenden einen ersten, kurzen Eindruck von ihm gewinnen. Der Karmapa ist einer der höchsten Lamas im tibetischen Buddhismus, und viele Menschen waren zu dieser Audienz zusammengekommen. Als sich alle in einer Reihe aufgestellt hatten und dann am Karmapa vorbeischritten, um seinen Segen zu erhalten, fühlten sich die Studierenden von dem gelassenen und zugleich hoheitsvollen Auftreten Seiner Heiligkeit etwas eingeschüchtert. Diese erste Begegnung machte ihnen sehr deutlich, welch außergewöhnliche Gelegenheit sich ihnen bot, Seine Heiligkeit drei Wochen lang in persönlichen Gesprächen und bei Vorträgen zu treffen.

Später am Tag trafen die Studierenden in der Bibliothek Seiner Heiligkeit mit ihm für ein erstes privates Treffen zusammen. Alle blickten sich verstohlen in der weiträumigen, modernen Bibliothek voller tibetischer Texte und Bücher aus der ganzen Welt um. Einer nach dem anderen wurde dem Karmapa vorgestellt, trat an ihn heran und übergab ihm ein Geschenk. Viele davon, wie zum Beispiel Bilder, eine Skulptur, Schokoladentrüffel oder ein Banjo, waren extra für ihn angefertigt worden. Offensichtlich hatten die Studierenden das Bedürfnis verspürt, mit ihren Geschenken auch einen Teil von sich selbst darzubieten, und Seine Heiligkeit nahm ihre Gaben mit aufrichtiger Neugier und einem offenen Herzen entgegen. Als die Gruppe am nächsten Tag die Bibliothek für ihr zweites Treffen mit Seiner Heiligkeit aufsuchte, waren viele der Geschenke bereits in den Bücherregalen rund um den Sitzbereich ausgestellt. Bis dahin vielleicht noch unsicher, was wohl ihr Platz in dieser ungewohnten Umgebung sein würde, wussten die Studierenden jetzt, dass sie hier am Ort Seiner Heiligkeit willkommen waren.

Das Projekt hatte seinen Anfang bereits ein Jahr zuvor genommen, als der Karmapa eine seiner Schülerinnen, die amerikanische Nonne Damchö, autorisiert hatte, Kontakt zu ihrer langjährigen Freundin Karen Derris (Professorin für Religious Studies an der University of Redlands, USA) aufzunehmen, mit dem Ziel, eine Gruppe von Studierenden einzuladen, den Karmapa zu treffen. Mit der begeisterten Unterstützung der University of Redlands, einer geisteswissenschaftlich ausgerichteteten Hochschule in Südkalifornien, begleitete Karen Derris die Gruppe nach Indien. (Damchö und Karen Derris organisierten die Reise und sind die Herausgeberinnen dieses Buches.)

Der Wunsch des Karmapa war es, zum Ausgangspunkt des Projektes nicht etwa die Frage zu machen, was der Buddhismus den amerikanischen Studierenden zu sagen hat, sondern zunächst sie zu fragen, was sie über den Buddhismus erfahren wollten. Damchö und Karen sandten einer großen Anzahl von Karens Studierenden einen informellen Fragebogen zu, um herauszufinden, was diese zuallererst von einem spirituellen Lehrer lernen mochten. Deren Antworten offenbarten ein tiefes Bedürfnis, ihre Anliegen mit einem Lehrer zu erforschen, der neue Perspektiven im Umgang mit der Welt und sich selbst aufzeigen konnte. Die Themen, die daraufhin für die Treffen ausgewählt wurden, entsprachen den Wünschen der Studierenden und bilden die Kapitel des vorliegenden Buches.

Vor der für den Mai geplanten Reise nach Indien verbrachte die Gruppe den Winter damit, ihre Begegnung mit dem Karmapa vorzubereiten. Vom ersten Treffen an versuchte Karen, die Gruppe davor zu warnen, mit zu viel eigenen Erwartungen in dieses Experiment zu gehen. Die Teilnehmenden formulierten gemeinsam das Ziel, anzunehmen, was immer ihnen entgegenkommen würde, denn niemand von ihnen, auch die Professorin nicht, konnte sich wirklich vorstellen, wie die Begegnung mit dem Karmapa in Indien verlaufen würde. Sie verpflichteten sich, offen zu sein für alles, was ihnen angeboten oder was von ihnen gefordert werden würde.

 

Das Projekt sah auch vor, dass die Studierenden während der Begegnung mit dem Karmapa die passive Rolle des Zuhörens verlassen und aktiv ihre Hoffnungen und Sorgen mit ihm teilen sollten. Zur Gruppe gehörten Aktivistinnen und Aktivisten, die sich mit den Rechten der arbeitenden Bevölkerung, mit dem interreligiösen Dialog bzw. mit dem Thema der Ernährungsgerechtigkeit beschäftigten. In den Begegnungen mit dem Karmapa berichteten sie von ihren Träumen, was sie zum Wohlergehen der Welt beitragen möchten, sowie von ihren persönlichen Erfahrungen. Der Karmapa erkannte ihre Aufrichtigkeit und ihren Wunsch, sich umeinander und um die Welt zu kümmern, an und versicherte ihnen, dass sie nichts anderes als das für eine Begegnung mit ihm bräuchten. Jeder Mensch mit einem offenen Herzen und guten Absichten, so der Karmapa, ist qualifiziert und in der Lage, seine Unterweisungen aufzunehmen und umzusetzen.

Zunächst fühlten sich die Studierenden etwas verunsichert über diese Gelegenheit, doch sie waren auch mutig und abenteuerlustig sowie willens, unterschiedliche Wege des In-der-Welt-Seins auszuprobieren. Sie nahmen Einschränkungen auf sich, um der tibetischen Kultur und den Richtlinien buddhistischer Ethik Respekt zu zollen. Karen hatte bereits während des ersten Treffens verdeutlicht, dass die Teilnahme an der Reise an die Einhaltung der fünf buddhistischen ethischen Richtlinien geknüpft war: nicht zu töten, nicht zu stehlen, nicht zu lügen, kein sexuelles Fehlverhalten auszuüben und keine Drogen zu sich zu nehmen, und das galt für die gesamte Zeit ihres Aufenthalts in Indien. Die Studierenden würden die Bedeutung der ethischen Richtlinien in der konkreten Anwendung auf ihre Erfahrungen verstehen lernen können. Kein Leben zu nehmen würde eine vegetarische Lebensweise beinhalten, wie sie der Karmapa als zentrale ethische Aufgabe propagiert. Nicht zu nehmen, was nicht gegeben ist, würde heißen zu reflektieren, welche und wie viele Ressourcen die Gruppe während ihres Aufenthaltes in dem kleinen Dorf Sidhpur verbrauchen würde. Unwahre Worte zu vermeiden würde zur Richtschnur, achtsam die eigene Kommunikation zu überprüfen; und keinerlei Drogen zu sich zu nehmen würde ihnen helfen, den Geist klar und aufnahmefähig zu halten.

Die Gruppe hielt sich während ihres Aufenthaltes freiwillig an diese Regeln. Später erzählten einige davon, wie ihnen genau dies zu einer vertieften Selbsterfahrung verholfen hatte. Während eines Ausflugs zu einem nahe gelegenen tibetischen Kulturinstitut traf Seine Heiligkeit die Gruppe zum Tee und versicherte den jungen Leuten, ihr Verhalten sei so angemessen, dass man glauben könne, sie seien Mönche und Nonnen.

Inspiriert von den Vorträgen des Karmapa, seiner Großzügigkeit und dem Beistand all jener in seiner Residenz zeigten die Studierenden eine hohe Motivation, an sich zu arbeiten. Oft verbrachten sie zwölf Stunden am Tag in Sitzungen. Sie bereiteten sich auf die Vorträge vor, hörten sie sich an und besprachen danach die geäußerten Ideen und Perspektiven. Obwohl die Tage bereits lang waren, fühlten sie sich oft inspiriert, noch einmal die Argumentationsschritte Seiner Heiligkeit nachzuvollziehen, um die Feinheiten seiner Unterweisungen tiefer zu erforschen. Dies war besonders dann der Fall, wenn der Karmapa radikal andere Paradigmen vorstellte, um die Welt und sich selbst darin zu verstehen. So sprach er davon, dass Gier keine dem Menschen innewohnende Eigenschaft sei oder dass Gewohnheiten eine wichtige Basis für Beziehungen seien.

Am bemerkenswertesten jedoch war nicht das Ausmaß an Zeit, das die Gruppe investierte, sondern der Geist, mit dem sie an ihre Arbeit ging. Als Studierende des Johnston Center for Integrative Studies der University of Redlands übertrugen sie den Geist der Zusammenarbeit und des Lernens durch gemeinsame Erfahrung auf diese interkulturelle Begegnung. Sie waren nicht nur intellektuell wagemutig, sondern auch geübt in konsens-basiertem Lernen. Wenn ein Gruppenmitglied während eines Treffens mit dem Karmapa sprach, drückte er nicht nur seine eigenen Ideen aus, sondern das, was vorher bereits in der Gruppe diskutiert worden war. Auf diese Weise vollzog sich das Lernen nicht als individueller Akt der Aneignung vorhandenen Wissens, sondern als Akt des Beitragens und des Austauschs mit anderen.

Während des gemeinsam verbrachten Monats begegnete Seine Heiligkeit der Karmapa den Studierenden im Geist der Liebe und Freundschaft. Bei einem Treffen bemerkte ein Student, dass der Karmapa und sie zwar Altersgenossen seien, ansonsten wären sie ihm aber in keinster Weise ebenbürtig. Die Weisheit, die Seine Heiligkeit ausstrahlte, hat einen tiefen Eindruck bei der Gruppe hinterlassen, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer nur wenige Jahre jünger als er waren.

Seine Heiligkeit ist, obwohl noch sehr jung, ein außergewöhnlicher Lehrer. Von tibetischen Buddhisten wird er als jemand gesehen, der sich seit neunhundert Jahren erfolgreich als Karmapa reinkarniert hat. So war er zum Zeitpunkt der Begegnung einerseits erst fünfundzwanzig Jahre, andererseits bereits neunhundert Jahre alt. Mitunter scherzte er darüber gemeinsam mit der Gruppe. In seinen Begegnungen mit den Studierenden verband er diese beiden Identitäten nahtlos. Seine Jugend ermöglichte ihm einen zwanglosen Zugang zu ihnen, seine alterslose Weisheit erlaubte es ihm, sie aus einer unauslotbaren Tiefe zu unterrichten. Seine Erfahrung im Umgang mit der Popkultur, mit dem iPhone und mit Comics überbrückte ihre unterschiedlichen Lebenswelten, die sich in äußerst disparaten Erfahrungen und spirituellen Errungenschaften ausdrückten.

Obwohl Begegnungen mit Seiner Heiligkeit immer ein Maß an respektvollen Umgangsformen erfordern, war ihm stets daran gelegen, dies nicht zu einer Barriere für einen herzlichen und persönlichen Kontakt werden zu lassen. Ngodup Tsering Burkhar erwies sich nicht nur als erfahrener Übersetzer der Worte Seiner Heiligkeit, sondern vermittelte der Gruppe auch den Geist seiner Ideen. Das herzliche und gelöste Zusammenspiel Seiner Heiligkeit mit seinem Übersetzer erleichterte so manche Diskussion um ernste Probleme. Selbst tiefe Erörterungen wurden so immer wieder von Lachen und freundlichen Blicken begleitet. Gleich zu Beginn lud der Karmapa, abweichend vom Protokoll, zu einem Mittagessen ein, bei dem er sich mit der studentischen Gruppe an einen Tisch setzte, während die Lehrer und Übersetzer an einem anderen Tisch Platz nahmen. Auf informelle und herzliche Weise unterhielt er sich privat mit ihnen, erfuhr etwas über ihre Familien und auch darüber, warum ein Student Rastalocken trug.

Am letzten Abend nahmen alle ein weiteres gemeinsames Mahl ein. Die Studierenden drückten ihre tiefe Dankbarkeit aus und überreichten Seiner Heiligkeit Gedichte und Lieder, darunter ein Lied mit dem Titel »Let the Moon be the Holder of My Love«, das von zwei Mitgliedern der Gruppe komponiert und von einem Vortrag des Karmapa über »Gesunde Beziehungen« (siehe Kapitel 3) inspiriert worden war. Der Chant-Meister Seiner Heiligkeit hatte mit fünf Studierenden zuvor ein heiliges Lied des großen tibetischen Yogi Milarepa einstudiert. Vor dem Karmapa sitzend, sangen sie dieses Lied auf Tibetisch, eine Melodie intonierend, die der Karmapa selbst komponiert hatte. Nach wenigen Takten stimmte Seine Heiligkeit mit ein.

Bemerkung: Der Titel »Seine Heiligkeit« ist vielleicht im Zusammenhang mit dem am meisten verehrten buddhistischen Lehrer, Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, bekannter. Als Ausdruck der Hochachtung von vielen Millionen Anhängerinnen und Anhängern weltweit ist dieser Titel jedoch auch für den Karmapa gebräuchlich.

Einführung der Herausgeberinnen

Auf der ganzen Welt sorgen sich Menschen um den Zustand der Erde und wünschen sich Veränderung, doch sie wissen nicht, wie sie Einfluss nehmen könnten und wo sie beginnen sollten. In diesem Buch bringt uns Seine Heiligkeit der Karmapa eine mitfühlendere Welt nahe, die wir durch eigene Bemühungen erreichen können. Sehr wohl anerkennend, dass diese Aufgabe gewaltig ist, hält Seine Heiligkeit daran fest, dass wir mit der grundlegenden Nobilität des menschlichen Herzens bereits über alles Notwendige verfügen, um diese Welt zu schaffen.

Seine Heiligkeit widmet sich im vorliegenden Buch den vorrangigen zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit und verweist auf die uns allen zur Verfügung stehenden emotionalen Ressourcen, diese Herausforderungen anzugehen. Er ermahnt uns, entschlossen die menschliche Güte zum Fundament unseres Wirkens für eine Veränderung der Welt zu machen. Sehr bewusst, dass Hindernisse unseren Zugang zur inneren Güte blockieren können, beschreibt der Karmapa, wie wir sie beiseite räumen können. Seine Sicht fordert von uns, unser Selbstverständnis zu überdenken, wer wir sind und wozu wir wahrhaft imstande sind. Seine Vision davon, wie wir diese Welt verändern können, ist einfach und tiefgründig zugleich. Sie macht uns Mut, einen Weg zu beschreiten, der überaus herausfordernd und doch realisierbar ist.

Der aus dieser Haltung sprechende Optimismus basiert auf der Realität der wechselseitigen Abhängigkeit aller Individuen, Gemeinschaften, sozialen System und der natürlichen Umwelt. In den vergangenen Jahrzehnten ist ein stärkeres Bewusstsein von den zahllosen, subtilen Verbindungen entstanden, die es auch zwischen entfernt voneinander stattfindenden Phänomenen in der Welt gibt: Globale Erwärmung, internationale Arbeitsmigration und globalisierte Märkte zeigen uns täglich, wie eng verbunden die physischen und sozialen Welten inzwischen sind, in denen wir uns bewegen. Obwohl die Realität der wechselseitigen Abhängigkeit inzwischen in vielen öffentlichen Diskursen gesehen wird, steht die Betrachtung ihrer ethischen und praktischen Aspekte erst am Anfang. Seine Heiligkeit der Karmapa hat hierzu Wichtiges beizutragen und bezieht sich dabei auf eine seit mehr als zweitausend Jahren gepflegte buddhistische Denktradition, die das Prinzip der wechselseitigen Abhängigkeit auf soziale und ethische Fragestellungen anwendet. Im vorliegenden Buch nutzt er dieses Prinzip als ein produktives Paradigma, um die Frage zu erörtern, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und wie wir alle zu der Welt, in der wir leben, beitragen können.

Wechselseitige Abhängigkeit bedeutet, dass die Unterstützung anderer unabdingbar für unser aller Überleben ist. Diese Wahrheit kann überall beobachtet werden: Sie wird erfahren bei jeder Mahlzeit, die wir zu uns nehmen, denn jede Mahlzeit wurde von vielen möglich gemacht – von anderen Menschen, Tieren und von der natürlichen Umwelt. Seine Heiligkeit der Karmapa demonstriert die Realität wechselseitiger Abhängigkeit in verschiedenen Kontexten. Er beschreibt ihr Wirken in den Bereichen Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, bei der Suche nach Konfliktlösungen, aber auch im Ringen um gesunde Beziehungen und bei der Frage nach Geschlechteridentitäten. So deckt er die emotionalen, ethischen und praktischen Folgen dieses Prinzips in unserem Leben und Handeln in der Welt auf. Ein Bewusstsein unserer wechselseitigen Abhängigkeit kann Gefühle wie Dankbarkeit, empathische Liebe und Mitgefühl vertiefen. Der Karmapa erläutert, dass aus ethischer Sicht die Tatsache, dass wir so viel von anderen erhalten, die Verantwortung mit sich bringt, der Erde und den Lebewesen, die sie mit uns teilen, etwas zurückzugeben. Unsere wechselseitige Abhängigkeit hat weitreichende praktische Konsequenzen. Weil wir von anderen abhängig sind, sollten wir, um unser eigenes Glück sicher zu stellen, uns um das Wohlergehen anderer kümmern.

Diese Perspektive eröffnet einen neuen Blick auf die Welt und schafft eine Ausgangsbasis für ein verändertes Wirken in ihr. Der Karmapa ruft zum Handeln auf, doch ist dies kein Aufruf zu dramatischen Gesten oder vordergründigem Aktivismus. Er zeigt, wie wir unsere wechselseitige Abhängigkeit mit Weisheit nutzen können. Indem wir unser Handeln von einem edlen Herzen leiten lassen, können auch scheinbar kleine Dinge eine große Wirkung entfalten. Unser ganz normales Leben kann außerordentlich wirksam sein, wenn wir uns bei all unserem Tun von mitfühlenden Absichten leiten lassen.

In diesem Sinne verweist Seine Heiligkeit der Karmapa darauf, dass auch im täglichen Leben Platz für Heldenhaftigkeit ist. Wenn wir lernen, gute Absichten in uns zu kultivieren, können wir jegliche Bedingungen, die wir vorfinden, zum Ausgangspunkt unserer heroischen und edlen Bemühungen machen. Dieser Perspektivgewinn erlaubt uns, Erfolg am Glück zu messen, das wir uns und anderen bereiten. Für ein sinnvolles Leben braucht es nicht mehr, als jetzt bereits vorhanden ist.

 

Auch wenn der Karmapa uns dazu aufruft, die Welt, in der wir leben wollen, selbst zu gestalten, erinnert er uns immer wieder daran, dass wir mit den »Aufräumarbeiten« zuerst bei uns beginnen müssen. Er führt die realen Probleme der Welt – die ausufernde Konsumwelt, religiöse Intoleranz, Hunger und die Ausbeutung der Umwelt – auf destruktive Emotionen und gewohnheitsmäßiges Verhalten wie Gier, Hass und Egoismus zurück. Auf diese Weise zeigt er auf, dass jegliche soziale Veränderung eine individuelle Veränderung einschließt.

Vielleicht greifen einige von uns zu diesem Buch, weil sie erfahren wollen, wie die Welt verändert werden kann, doch im Verlauf der Lektüre wird deutlich, dass die Veränderung in uns selbst beginnen muss – bei unseren Einstellungen, Erwartungen und emotionalen Reaktionsmustern. Auch wenn der Karmapa unseren Wunsch bekräftigt, für ein Wohlergehen aller zu arbeiten, verweist er doch immer wieder darauf, die Lösung nicht nur in einer Orientierung im Außen zu suchen. Wollen wir positiv in der Welt wirken, müssen wir zunächst willens sein, uns selbst zu betrachten.

Es mag verblüffend für uns sein, uns so zu sehen, wie der Karmapa uns sieht – als nicht von Natur aus gierig und aggressiv, sondern ausgestattet mit einer uns innewohnenden Güte, die unseren Blicken durch das verborgen sein mag, was sie vielleicht verdeckt. Wenn wir zu ahnen beginnen, was uns der Karmapa zeigen möchte, erscheint das Projekt, das er uns nahe legt, zwar immer noch äußerst herausfordernd, doch machbar und jeder Mühe wert. Vielleicht verspüren wir Angst vor den verborgenen Regungen unseres Herzens, doch wenn wir tief genug schauen, werden wir die nötige Zuversicht gewinnen, den Weg zurück zu unserem edlen Herzen zu finden. Und dies wird der Ausgangspunkt unseres Handelns werden.

Diese Betrachtungen der menschlichen Natur, der Realität wechselseitiger Abhängigkeit und der Kraft auf Mitgefühl gründender Intentionen bei der Veränderung der Welt, sind alle durch gemeinsame Erfahrungen entwickelt worden. Seine Heiligkeit der Karmapa hat ausdrücklich erklärt, dass er sich dafür entschieden hat, seine Ausführungen auf Erfahrung gründen zu lassen und nicht auf Philosophie, damit wir uns auf dem Fundament treffen können, das wir alle teilen – das Fundament unserer geteilten menschlichen Erfahrungen und unserer gemeinsamen Sorge um die Welt. Er vermeidet weitestgehend buddhistische Begriffe, denn sein Ziel ist es nicht, buddhistische Lehren zu vermitteln, sondern mit anderen zu teilen, was ihm selbst half, die Welt und sein Leben darin zu verstehen.

Das vorliegende Buch entstand aus einer Reihe von Treffen mit amerikanischen College-Studierenden. Der Karmapa nahm zu ihnen über kulturelle, sprachliche und soziale Grenzen hinweg Kontakt auf, ebenso, wie er es zu den Leserinnen und Lesern dieses Buches tut.

Es ist sein Anliegen, den Geist der Freundschaft in uns zu fördern, damit wir uns dem Ideal einer globalen Gemeinschaft annähern. Freundschaft ist ein Ausdruck realer wechselseitiger Abhängigkeit; sie zeigt, dass unser Beitrag jeweils ein anderer sein mag, doch ein jeder wertvoll ist. Und wie es unter guten Freundinnen und Freunden üblich ist, ermutigt uns der Karmapa zur Veränderung unseres Denkens und Handelns, doch er fordert nicht, dass wir anders sein sollten, als wir sind.

Dieses Buch ist eine Einladung des Karmapa an alle, an einer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten. Es bietet Denk- und Handlungsansätze, wie wir zu unserem edlen Herzen zurückfinden und zugleich unsere unterschiedlichen Lebensstile leben können. Jede und jeder ist aufgerufen, diese Ansätze in das eigene Leben zu integrieren. In diesem gemeinsamen Projekt, die Welt von innen heraus zu verändern, ist Platz für jeden. Wir alle sind eingeladen, daran mitzuwirken, so wie wir sind, mit unseren eigenen Hoffnungen für eine bessere Welt.