Das Dorf Band 22: Verhext

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Das Dorf Band 22: Verhext
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Karl Olsberg

Das Dorf

Band 22: Verhext

Copyright 2021 Karl Olsberg

Published by Karl Olsberg

c/o Briends GmbH, 22041 Hamburg

www.karlolsberg.de

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Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Alte Militärweisheit


1. Der Feind

Der Khan steht am hölzernen Geländer im Obergeschoss seines Turms und blickt hinab auf seine Truppen, die wie jeden Morgen unten auf der Sandfläche zum Appell angetreten sind. Es sind mehr als hundert Männer, jeder mit Armbrust und Schwert bewaffnet, außerdem zehn Reiter auf gewaltigen Kreaturen mit Hörnern – die größte Streitmacht, die er je befehligt hat. Auf jeden Bewohner des verhassten Dorfs am Rand der Schlucht kommen mindestens fünf seiner Leute.

Und doch ist der Khan noch nicht zufrieden. Schon dreimal hat dieser verflixte Primo ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihn trotz seiner Übermacht geschlagen. Das darf, das wird nicht noch einmal passieren, das hat der Khan bei allen Göttern der Finsternis geschworen. Er wird kein zweites Mal den Fehler machen, seinen Gegner zu unterschätzen. Die Dorfbewohner mögen Schwächlinge sein und nur wenige, aber sie sind gerissen und hinterhältig. Außerdem haben sie einen Golem und diese verflixte Hexe mit ihren Zaubertricks. Zwar kann auch der Khan zaubern, aber bei der letzten Begegnung ist er dennoch überlistet und geschlagen worden.

Mit Hilfe eines Zaubertranks hat Primo sich damals unsichtbar gemacht, den Khan bedroht und ihn dann mit einem Flugtrank übergossen, so dass er abhob und vom Wind davongeweht wurde. Es war eine Demütigung, die er so schnell nicht vergessen wird.

Er wurde damals über das Meer hinausgetragen. Als die Wirkung des Flugtranks nachließ, stürzte er ins Wasser und wäre beinahe ertrunken. Doch er konnte sich an Land retten. Es dauerte nicht lange, bis er die Schwachköpfe fand, die damals seine Räubertruppe gewesen waren und ihn so schmachvoll im Stich gelassen hatten. Sie hatten allen Ernstes Häuser gebaut und versucht, als friedliche Dorfbewohner zu leben. Sie besaßen sogar die Unverschämtheit, ihn zu bedrohen, und wollten ihn fortjagen.

Doch er brauchte nur ein paar Plagegeister zu beschwören, um ihnen klarzumachen, dass er immer noch der Khan war und sie immer noch seine Untergebenen. Er brachte sie dazu, ihr eigenes Dorf niederzubrennen und ihm zu folgen. Seitdem haben sie zahllose Dörfer überfallen, Dorfbewohner entführt und sie gezwungen, in der Armee des Khans zu dienen, die immer größer und mächtiger wurde.

Doch ist sie schon groß und mächtig genug? Kann er es wagen, das Dorf am Rand der Schlucht erneut anzugreifen? Der Khan ist sich nicht sicher. Besser, er wartet noch etwas ab, überfällt noch ein paar weitere Dörfer, vergrößert seine Armee noch mehr, damit seine Feinde beim nächsten Mal garantiert keine Chance haben.

Egal, wie lange es dauert, er wird seine Rache bekommen. Er wird dafür sorgen, dass dieser Primo und seine Freunde es bis ans Ende ihres Lebens bereuen, sich jemals dem Khan widersetzt zu haben. Er wird zusehen, wie ...

Gogoack!

Ein aufgeregtes Gackern reißt den Khan aus seinen Gedanken. Ein Huhn sitzt plötzlich auf dem Geländer neben ihm. Wie ist es hier hinaufgekommen?

Genervt will er sich zu seinen Bediensteten umdrehen und ihnen befehlen, das blöde Vieh zu schlachten und zum Mittagessen zu braten. Doch da fällt ihm etwas Merkwürdiges auf: Das Huhn hat violett leuchtende Augen! Sie sehen fast aus wie die eines Endermans.

Der Khan hasst Endermen. Sie sind unheimlich und stark und man kann sie nicht gefangen nehmen, weil sie sich einfach wegteleportieren können. Aber von einem Enderhuhn hat er noch nie etwas gehört.

Gogoack!, macht das Huhn erneut und blickt den Khan an. Auf einmal verschwindet die Welt um ihn herum und das violette Leuchten umhüllt ihn.

Eine heisere Stimme erklingt in seinem Kopf: „Na endlich! Ihr Sterblichen seid wirklich schwer von Begriff!“

„Wer bist du und was willst du von mir?“, fragt der Khan.

„Ich bin Artrax, ein mächtiger und unsterblicher Enderman.“

„Aber du siehst aus wie ein Huhn.“

„Seine Singularität hat mir die Gestalt eines Huhns aufgezwungen, weil er und seine Anhänger glauben, dass ich so hier in der Oberwelt keinen Schaden anrichten kann. Aber da täuschen sie sich.“

„Und was willst du von mir? Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht zum Mittagessen braten lassen sollte!“

„Du kannst mich nicht töten, Dummkopf!“

Der Khan knurrt vor Wut und versucht, das Huhn zu packen, doch es verschwindet und erscheint im selben Moment oben auf dem Dach des Turms.

Gogoack Gack Gogogack!, macht es empört. Dann teleportiert es sich zurück auf das Geländer und starrt den Khan mit seinen glühenden Augen an. Wieder versinkt die Welt in violettem Licht.

„Nenn mich noch einmal Dummkopf und ich reiße dir jede Feder einzeln aus!“, schimpft der Khan.

„Wie ich schon sagte, kannst du mir nichts tun, Sterblicher. Das solltest selbst du inzwischen kapiert haben. Also hör jetzt einfach mal zu!“

Der Khan knurrt wütend, schluckt seinen Zorn jedoch herunter.

„Na schön, was willst du von mir, Huhn?“

„Ich heiße Artrax.“

„Also gut, was willst du von mir, Artrax?“

„Wir beide haben einen gemeinsamen Feind“, erklärt das Huhn. „Ich will, dass du ihn mit deiner Armee angreifst und vernichtest.“

„Du hast mir gar nichts zu befehlen!“

„Also hörst du jetzt endlich zu, Dummkopf, oder soll ich mir einen anderen Verbündeten suchen, um gemeinsam mit ihm das Dorf am Rand der Schlucht endgültig dem Erdboden gleich zu machen?“

Der Khan erstarrt. „Das Dorf am Rand der Schlucht, sagst du? Etwa das mit diesem ekelhaften Primo und der niederträchtigen Hexe Ruuna?“

„Genau das Dorf meine ich.“

„Und was hast du mit denen zu tun?“

„Sie sind schon lange meine Erzfeinde, seit sie mir das Ei des Enderdrachens gestohlen haben.“

„Ein Enderdrachen-Ei? Was wolltest du denn damit?“

„Einen Enderdrachen schlüpfen lassen natürlich“, antwortet das Huhn. „Und zwar hier in der Oberwelt, damit er sie vollständig zerstören kann.“

„Was? Du willst die Oberwelt zerstören? Und dabei soll ich dir auch noch helfen?“

„Nein, Dummkopf! Ich will nur das Dorf am Rand der Schlucht zerstören, und zwar mit deiner Hilfe. Die Bewohner haben immer wieder meine Pläne durchkreuzt. Ich will Rache, genau wie du. Leider habe ich die Gestalt eines Huhns und kann allein nicht viel bewirken. Deshalb brauche ich einen Verbündeten wie dich.“

„Ich werde so oder so Rache an Primo und seinen Freunden nehmen“, verkündet der Khan. „Auf die Hilfe eines vorlauten Huhns kann ich dabei gut verzichten. Aber du kannst gern dabei zuschauen, wenn du willst, sofern du mit deinem Gegacker nicht die Dorfbewohner aufscheuchst.“

„Kein Wunder, dass Primo dich immer wieder geschlagen hat, so überheblich, wie du bist“, gibt das Huhn zurück.

„Ach ja?“, ruft der Khan zornig. „Und was ist mit dir? Anscheinend haben sie deine Pläne ja mindestens genauso oft durchkreuzt wie meine. Schau dich doch an! Ich wette, dass du jetzt ein Huhn bist, ist Primo zu verdanken!“

Das violette Glühen der Augen wird heller, so dass der Khan auf einmal Angst hat, das Huhn könnte im nächsten Moment explodieren.

„Pass auf, was du sagst, oder ich teleportiere dich ins Ende!“, donnert die Stimme.

„Schon ... schon gut!“, erwidert der Khan erschrocken.

Das Leuchten wird wieder schwächer.

„Genau das ist der Grund, weshalb wir zusammenarbeiten sollten“, erklärt das Huhn. „Die Dorfbewohner haben dich und mich mehrmals besiegt. Aber wenn wir uns zusammentun, haben sie keine Chance.“

„Wie könnte mir denn ein Huhn bei meiner Rache helfen?“, fragt der Khan.

„Wie du vielleicht schon bemerkt hast, bin ich kein gewöhnliches Huhn. Ich kann mich an jeden beliebigen Ort teleportieren und unauffällig ausspionieren, was die Dorfbewohner gerade tun und insbesondere, wo sich Primo befindet. Es hat auch Vorteile, wenn man wie ein Huhn aussieht. Und ich kenne die Dorfbewohner besser als du. Primo mag schlau sein und auch seine Frau Golina und ihre Freunde Kolle und Margi sind nur schwer zu überlisten. Aber da gibt es andere, zum Beispiel den Bauern Kaus, den Fleischer Hakun und den Fischer Olum, die man gut hereinlegen kann. Vor allem der eitle und hochnäsige Dorfpriester Magolus ist leicht hinters Licht zu führen.“

„Was ist mit der Hexe?“, fragt der Khan. „Sie ist unberechenbar. Denkst du, du kannst sie aus dem Weg räumen?“

Das Huhn schweigt einen Moment.

„Hm, das wäre vielleicht möglich“, sagt es nach einer Weile. „Ich glaube, ich habe da eine Idee ...“

2. Willerts Sorgen

„Und dann ist das wandelnde Haus losgerannt“, erzählt Primo. „Das war so schnell, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Viel schneller als alles, was es hier bei uns gibt.“

„Sogar schneller als ein Pferd?“, fragt Nano, der seinem Vater begeistert zuhört, obwohl Primo schon zum hundertsten Mal dieselbe Geschichte erzählt.

„Viel schneller als ein Pferd“, behauptet Primo. „Sogar noch schneller als ein Pfeil! Die wandelnden Häuser sind so schnell, dass manche wahrscheinlich fliegen können.“

 

Golina, die dabei ist, das Geschirr vom Mittagessen abzuräumen, schüttelt den Kopf. Primos Geschichte wird bei jeder Erzählung unglaubwürdiger. Fliegende Häuser, also wirklich!

„Ich will auch in die Kugelwelt!“, sagt Nano. „Können wir nicht zu Ruuna gehen, damit sie noch mal so einen Kugelwelttrank braut?“

Das fehlte gerade noch! Golina denkt daran, was sie alles erdulden musste, um Primo wieder zurück in die Wirklichkeit zu holen: Durch riesige, finstere Höhlen irren, sich mit Monstern herumschlagen und mit einem schrecklichen blinden Wächter verstecken spielen, während Primo in der Kugelwelt seinen Spaß hatte.

„So einfach ist das nicht“, erklärt Primo. „Das war ein Seelentauschtrank. Um damit in die Kugelwelt zu gelangen, musst du neben einem Fremden stehen, der ihn trinkt, so wie ich damals neben Lukas. Aber ich muss zugeben, ich würde auch gern noch einmal dorthin zurückkehren. Zu Anfang war es ziemlich unheimlich und verwirrend, aber auch sehr interessant. Und dann habe ich Lara kennengelernt, die war sehr nett und hat mir geholfen. Vielleicht könnte ich von ihr noch mehr über die Kugelwelt lernen. Zum Beispiel, was ein Komjuta ist und wie die Zauberbilder funktionieren, auf denen man unsere Welt sehen kann. Vielleicht frage ich Lukas das nächste Mal, ob er noch einmal die Seele mit mir tauscht. Dann könnte ich mit Lara ...“

Golina platzt der Kragen. „Jetzt reicht es mir!“, schimpft sie. „Den ganzen Tag redest du nur von der Kugelwelt und von dieser Lara! Ist dir vielleicht schon mal aufgefallen, dass es auch noch eine richtige Welt gibt und dass du dort eine Frau namens Golina hast?“

„Bist du etwa eifersüchtig auf Lara?“, fragt Primo.

„Eifersüchtig? Ich?“ Golina starrt ihn wütend an. „Ich bin nicht eifersüchtig! Außerdem war Lukas auch ziemlich nett, als er in deinem Körper war. Er hat sich riesig gefreut, als ich ihm den Schwertkampf beigebracht habe. Und er hat mir sogar das Leben gerettet, als ein Nachtwandler mich fast erwischt hätte.“

„Ach ja?“, ruft Primo zornig. „Und was ist mit mir? Dass ich dir schon oft das Leben gerettet habe, zählt wohl gar nicht, was?“

„Du hast mich nicht öfter gerettet als ich dich“, behauptet Golina und wahrscheinlich ist das nicht mal übertrieben. „Der Unterschied ist nur, dass ich offensichtlich nicht so viel Spaß dabei hatte wie du.“

„Ach ja? Wenn du eine so tolle Lebensretterin bist, dann kannst du ja die neue Dorfbeschützerin sein!“, ruft Primo.

„Gerne, solange du dich dann um den Haushalt kümmerst“, gibt Golina schnippisch zurück.

„Ähem. Komme ich ungelegen?“

Erschrocken dreht sich Golina um. Willert steht in der Tür. Sie hat ihn gar nicht kommen hören.

„Tut mir leid“, sagt er. „Ich habe mehrmals geklopft, aber ihr habt mich anscheinend nicht gehört. Deshalb bin ich einfach reingekommen. Ich will nicht stören, aber ...“

„Du störst nicht“, sagt Golina schnell. „Wir waren sowieso gerade fertig mit unserer, äh, Unterhaltung.“

„Das stimmt“, gibt ihr Primo recht.

„Hallo, Onkel Willert!“, ruft Nano freudig. „Wo ist Tante Ruuna? Sie muss mir einen Seelentauschtrank brauen, damit ich in der Kugelwelt mit einem Haus herumfliegen und ganz viele tolle Abenteuer erleben kann.“

„Deshalb bin ich hier“, erklärt Willert. „Ruuna ist schon eine ganze Weile fort und ich mache mir langsam Sorgen.“

„Sie ist fort?“, fragt Golina. „Seit wann denn?“

„Seit zehn Tagen.“

„Du kennst doch Ruuna“, meint Primo. „Sie ist ein bisschen eigenwillig. Vielleicht hatte sie Heimweh nach dem Sumpf, in dem sie früher gelebt hat. Sie wird bestimmt bald zurückkommen.“

„Nein, das ist es nicht“, widerspricht Willert. „Ruuna hat vor zehn Tagen Besuch bekommen. Sie hat gesagt, sie muss nur kurz mal weg und ist bald wieder da. Doch sie ist nicht zurückgekehrt.“

„Besuch?“, fragt Golina. „Von wem denn?“

„Von einer anderen Hexe“, erzählt Willert. „Sie kam über den Wald geflogen, ist vor unserer Hütte gelandet und die beiden haben eine Weile geredet. Dann hat Ruuna mir gesagt, dass sie nur mal kurz wegmuss, aber dass sie mir nicht sagen kann, wohin. ‚Geheime Hexensache‘, hat sie gesagt und gekichert. Dann hat sie einen Flugtrank getrunken und ist mit der anderen Hexe davongeschwebt. Erst hab’ ich mir nichts dabei gedacht, ich kenne Ruuna ja und weiß, dass sie gut auf sich selbst aufpassen kann. Aber jetzt mache ich mir doch allmählich Sorgen.“

„Ich will auch einen Flugtrank!“, ruft Nano. „Wenn Birta dann mit mir schimpft, fliege ich einfach weg und strecke ihr die Zunge raus und sie kann mich nicht bestrafen, haha! Kannst du mir einen Flugtrank geben, Onkel Willert? Ich mache auch keinen Unsinn damit, versprochen!“

„Sei still, Nano!“, schimpft Golina. Dann wendet sie sich an Willert. „Diese andere Hexe, kannte Ruuna die vielleicht von früher, aus der Zeit, bevor ihr euch kennenlerntet?“

„Ich weiß es nicht“, antwortet er. „Aber es ist möglich.“

„Soll ich mit dir kommen?“, fragt Primo. „Wir könnten Paul mitnehmen. Vielleicht findet er eine Spur von ihr.“

„Ich fürchte, das wird nicht klappen“, meint Willert. „Ruuna ist doch mit der anderen Hexe davongeflogen. Solange Paul nicht fliegen kann, wird er wohl keine Spur von ihr finden.“

„Vielleicht, wenn wir ihm einen Flugtrank geben ...“, überlegt Primo.

Willert schüttelt den Kopf. „Ich fürchte, das würde nicht funktionieren. Außerdem habe ich keinen Flugtrank. Glaube ich jedenfalls. Es sind noch einige Tränke in Ruunas Zauberlabor, aber ich bin mir nicht sicher, was sie bewirken.“

„Ich kann die Tränke ja alle mal ausprobieren“, schlägt Nano vor. „Vielleicht ist ja ein Flugtrank dabei.“

„Das wäre viel zu gefährlich“, widerspricht Willert.

„Och, schade“, jammert Nano.

„Was ist mit Robinson?“, fragt Golina. „Er ist zwar kein Wolf, aber dafür kann er fliegen. Vielleicht kann er ihre Spur aufnehmen.“

„Ich bin nicht sicher, ob Papageien sowas können“, meint Willert. „Aber das ist ohnehin egal, weil Robinson hinter Ruuna her geflattert ist.“

„Tja, dann können wir wohl nicht viel tun außer abwarten, bis Ruuna zurückkommt“, stellt Golina fest.

„Unsinn!“, widerspricht Primo. „Wenn Ruuna verschwunden ist, dann müssen wir sie eben suchen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sowas passiert.“

Golina rollt mit den Augen. „Du willst dich bloß vor der Hausarbeit drücken, indem du dich schon wieder in ein Abenteuer stürzt!“

„Ich drücke mich nicht vor der Hausarbeit“, widerspricht Primo. „Aber ich bin nun mal der Dorfbeschützer und muss mich um die Sicherheit der Dorfbewohner kümmern. Das gilt auch für Ruuna, obwohl sie streng genommen keine Dorfbewohnerin ist.“

„Und wie willst du das anstellen? Ruuna könnte überall sein.“

„Wir können ja mal Asimov fragen“, schlägt Primo vor. „Er weiß eine Menge und hat sehr scharfe Augen. Vielleicht hat er gesehen, wohin Ruuna geflogen ist.“

„Das ist eine gute Idee“, findet Willert.

Golina seufzt. Sie ahnt, worauf das wieder hinausläuft: Primo bringt sich in Schwierigkeiten und sie muss ihn retten. Doch sie kann Willert wohl kaum die Bitte um Hilfe abschlagen. Und auch, wenn Ruuna oft Chaos und Verwirrung stiftet, ist sie doch eine gute Freundin.

Trotzdem hat sie ein ungutes Gefühl. Nicht nur, weil Primo sich wieder mal in Gefahr begibt – das ist sie ja schon gewohnt. Es ist schon eine ganze Weile her, dass der fiese Enderman Artrax versucht hat, das Dorf zu zerstören, indem er den fahrenden Händler Anon dazu brachte, Bürgermeister zu werden. Seitdem haben sie nichts mehr von Artrax gehört. Aber irgendwie glaubt Golina nicht, dass er seinen Plan aufgegeben hat, sich an den Dorfbewohnern zu rächen.

Ihr kommt ein düsterer Gedanke.

„Könnte es sein, dass Artrax hinter Ruunas Verschwinden steckt?“, fragt sie.

„Artrax?“, fragt Willert erschrocken. „Wie kommst du denn darauf?“

„Ist nur so ein Gedanke. Der fiese Enderman hat seinen Plan, uns zu vernichten, bestimmt nicht aufgegeben. Vielleicht hat er sich als Hexe verkleidet und Ruuna fortgelockt, damit Primo und du ihr folgen und das Dorf schutzlos ist, so dass er uns angreifen kann ...“

„Wie soll sich Artrax denn als Hexe verkleiden?“, fragt Primo. „Er ist doch ein Huhn!“

Golina kann nur mit den Schultern zucken.

„Außerdem ist das Dorf nicht schutzlos, wenn ich weg bin“, meint er. „Es gibt immer noch Kolle und Asimov. Mit einem Huhn werden die auch ohne mich fertig. Und außerdem bist du ja auch noch da. Schließlich hast du sogar Lukas das Kämpfen beigebracht.“

Er grinst und auch Golina muss lächeln.

„Na schön, sprecht von mir aus mit Asimov“, stimmt sie zu.

„Danke, Golina“, sagt Willert. „Mach dir keine Sorgen. Wir werden keine unnötigen Risiken eingehen.“

Irgendwie beruhigt Golina das nicht. Zwar ist Willert vernünftiger als Primo, aber trotzdem fürchtet sie, dass wieder mal eine Menge Schwierigkeiten auf sie zu kommen.

Warum nur kann sie nicht ein normales, ruhiges Leben führen wie die Bewohner anderer Dörfer?

3. Der einzige Anhaltspunkt

„Also gibt es mich jetzt, oder gibt es mich nicht?“, fragt Olum.

Zusammen mit Hakun, dem Fleischer, und Kaus, dem Bauern, steht er auf dem Dorfplatz vor Asimov, als Primo und Willert hinzukommen. Die Katze Mina hat es sich wie immer auf dem Kopf des Golems gemütlich gemacht.

„Das kommt drauf an“, antwortet der Golem. „In dieser Welt gibt es dich. Aber diese Welt gibt es nicht wirklich. Sie ist nur eine Simulation in einem Computer, der irgendwo in der Kugelwelt steht.“

„Was ist das, ein Komjuta?“, fragt Kaus.

„Das hat Asimov doch schon erklärt“, weist ihn Hakun zurecht. „Das ist eine Maschine, die ganz toll rechnen kann. Nicht nur eins plus eins, sondern sogar drei mal sieben und noch kompliziertere Sachen. Höhere Mathematik nennt man das.“

„Und die Kugelwelt?“, fragt Olum. „Ist das auch eine Simbulision?“

„Es heißt Simulation“, erklärt der Golem geduldig. „Nein, die Kugelwelt ist keine Simulation. Aber sie existiert auch nicht wirklich. Sie ist nur eine ausgedachte Geschichte.“

„Aha“, sagt Olum. „Und wer hat sich die ausgedacht, diese Geschichte?“

„Darüber liegen mir aktuell keine Informationen vor“, antwortet Asimov.

„Und der, der sich die Geschichte ausgedacht hat, gibt es den wenigstens wirklich?“, fragt der Fischer.

„Möglich wäre es“, meint Asimov. „Vielleicht aber auch nicht. Es könnte sein, dass auch seine Welt nur eine Simulation ist.“

„Das heißt, es gibt mich gar nicht wirklich?“, fragt Olum.

„Das kommt drauf an“, erklärt Asimov seelenruhig. „In dieser Welt gibt es dich. Aber diese Welt ...“

„Entschuldigung, wenn ich unterbreche“, schaltet sich Primo ein. „Aber ich hätte eine Frage.“

„Primo, du kommst gerade richtig“, sagt Asimov. „Wir waren hier in einer Endlosschleife gefangen. Seit du angeblich in der Kugelwelt warst, diskutieren hier alle nur noch darüber, was wirklich ist und was nicht. Ich fange schon selbst an, an meiner Existenz zu zweifeln.“

„Ich war nicht angeblich in der Kugelwelt, sondern wirklich“, erklärt Primo.

„Falls es dich überhaupt gibt“, wendet Olum ein.

„Klar gibt es mich“, behauptet Primo.

„Also, gibt es ihn nun, oder gibt es ihn nicht?“, fragt Olum.

„Das kommt darauf an“, erklärt Asimov. „In dieser Welt gibt es ihn. Aber diese Welt ...“

„Schluss damit!“, ruft Primo. „Ist doch egal, ob es mich gibt oder nicht. Ich will bloß wissen, wo Ruuna ist.“

„Ruuna?“, fragt Olum. „Gibt es die überhaupt wirklich?“

„Und ob es sie gibt!“, sagt Hakun. „Weißt du nicht mehr, wie dieser Riesenschleim das Dorf angegriffen hat? Wo hätte der herkommen sollen, wenn nicht Ruuna wieder irgendwelchen Unsinn gehext hätte?“

„Hm, stimmt“, gibt Olum zu. „Ich bin nicht sicher, ob es mich gibt, aber Hexen gibt es auf jeden Fall.“

„Das muss ich leider bestätigen“, stimmt auch Asimov zu. „Ohne den Zaubertrank, den mir Ruuna damals an den Kopf geworfen hat, könnte ich jetzt nicht hier stehen und mit euch sinnlose Gespräche führen, die sich im Kreis drehen. Oh, Ruuna, warum hast du mir das angetan?“

„Weißt du denn, wo Ruuna ist?“, fragt Primo.

„Nein, und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen“, erwidert Asimov. „Ein Tag ohne Hexerei ist ein guter Tag, wenn ihr mich fragt.“

Willert starrt den Golem finster an. „Ruuna ist meine Freundin. Und sie hat zwar schon eine Menge Unsinn angestellt, aber auch schon oft genug das Dorf gerettet“, sagt er.

 

„Wenn ihr euch alle nur ein bisschen vernünftiger verhalten würdet, dann müsste dieses Dorf nicht ständig gerettet werden“, kontert Asimov. „Und Ruuna ist mit Abstand die unvernünftigste Person in der ganzen Gegend. Da kann selbst Primo nicht mithalten.“

„He, Moment mal!“, protestiert Primo.

Doch ehe er dem Golem erklären kann, dass er so gut wie nie unvernünftig ist, zieht Willert ihn am Arm.

„Hier kommen wir nicht weiter. Lass uns zu unserer Hütte gehen. Vielleicht finden wir dort ja einen Hinweis.“

„Oder vielleicht ist sie in der Zwischenzeit von selbst zurückgekehrt“, überlegt Primo.

„Schön wär’s“, seufzt Willert.

Doch diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Als sie den Wald durchqueren und die einsame Hütte erreichen, ist Ruuna nirgends zu sehen. Nur Budda, der Kugelwolf, sitzt wie immer auf der Wiese vor der Hütte und kaut auf einem Halm herum.

Primo betrachtet das schwarz-weiß gemusterte Tier nachdenklich, das ihn aus seinen irgendwie klug wirkenden Augen anblickt.

„Vielleicht weiß der Kugelwolf, wo Ruuna ist“, überlegt er.

„Glaube ich nicht“, erwidert Willert. „Und selbst wenn er es wüsste, er könnte es uns nicht sagen.“

„Ruuna hat mir mal einen Allesversteher-Trank gebraut“, erinnert sich Primo. „Damit konnte ich mit Tieren sprechen. Meinst du, sie hat noch irgendwo was davon?“

„Keine Ahnung“, meint Willert. „Möglich wäre es. Sie bewahrt ihre Tränke an allen möglichen Stellen auf, und manchmal vergisst sie sie dort. Das Problem ist nur, dass wir nicht wissen, welcher Trank was bewirkt. Zwar haben die Tränke jetzt wieder unterschiedliche Farben, aber nur Ruuna weiß, wie welcher Trank aussieht.“

„Warum beschriftet sie die Tränke eigentlich nicht?“, fragt Primo. „Dann wäre es doch viel leichter, sie wiederzuerkennen.“

„Eine Zeitlang hat sie das gemacht“, erzählt Willert. „Aber es hat auch nicht viel genützt. Sie hat Dinge wie ‚Achtung, nicht ins Feuer gießen‘, ‚schmeckt merkwürdig‘ oder ‚Risiken und Nebenwirkungen unbekannt‘ auf die Flaschen geschrieben. Als ich ihr vorschlug, stattdessen die Wirkung des Tranks auf das Etikett zu schreiben, hat sie gesagt, das wäre doch langweilig.“

„Ja, das passt zu ihr“, meint Primo.

Sie betreten die Hütte und klettern die Leiter hinab in den Keller. Dass Ruuna schon länger nicht mehr hier war, merkt Primo sofort daran, dass der unerträgliche Gestank fehlt, der normalerweise diesen Raum erfüllt.

Das Labor sieht aus wie immer: Ein heilloses Durcheinander von Tränken, Glaskolben, Töpfen, Kisten und Zutaten. Dazwischen stehen ein Tisch und ein Braustand.

„Kannst du erkennen, ob etwas fehlt?“, fragt Primo. „Ich meine, hat sie irgendetwas mitgenommen?“

„Einen Flugtrank offensichtlich, sonst hätte sie der anderen Hexe ja nicht folgen können“, sagt Willert. „Kann sein, dass noch mehr Zaubertränke fehlen, das weiß ich nicht. Und natürlich ihr Zauberbuch.“

„Ihr Zauberbuch?“, fragt Primo nach. „Ich dachte, Ruuna kocht ihre Tränke nicht nach Rezept?“

„Das tut sie auch nicht“, stimmt Willert zu. „Aber sie schreibt manchmal auf, was bei ihren Experimenten schiefgeht.“

„Damit sie aus ihren Fehlern lernen kann?“

„Wohl eher, damit sie es noch einmal machen kann, falls etwas besonders Lustiges passiert.“

„Aha“, meint Primo. „Und wo liegt das Zauberbuch normalerweise?“

„Dort auf dem Tisch.“

Primo bückt sich. Unter einer Kiste in der Nähe des Tischs sieht er den Zipfel eines Blattes Papier herausragen. Er hebt die Kiste an und zieht das Blatt hervor. Darauf steht in Ruunas krakeliger Handschrift:

Wenn man beim Unsichtbarkeitstrank das fermentierte Spinnenauge weglässt und stattdessen Knallpulver hineintut, explodiert er – total lustig! Funktioniert auch, wenn man die vergoldete Karotte und die Netherwarze durch Knallpulver ersetzt.

„Genau das meinte ich“, bestätigt Willert, als Primo ihm den Zettel zeigt. Er macht ein betrübtes Gesicht. „Ich habe mich immer geärgert, wenn Ruunas Tränke explodiert sind. Aber jetzt wünschte ich, sie würde unsere Hütte mal wieder in die Luft sprengen. Ich vermisse sie so sehr!“

Primo legt den Zettel auf den Tisch und klopft seinem Freund auf die Schulter. „Wir finden sie schon“, sagt er.

„Aber wie?“, fragt Willert. „Wir wissen nicht, wer die fremde Hexe war und woher sie kam. Ruuna kann überall sein!“

Nachdenklich kratzt sich Primo am Kopf. „Der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, ist, dass Ruuna die Hexe vermutlich von früher kannte. Damals hat sie im Sumpf nördlich des Wüstendorfs gelebt. Vielleicht ist sie dort.“

Willert zuckt mit den Schultern. „Ich halte das für unwahrscheinlich. Aber du hast recht, es ist unser einziger Anhaltspunkt. Also lass uns hingehen und nachsehen.“

Gemeinsam kehren sie ins Dorf zurück.

„Ich geh‘ nur mal kurz mit Willert in den Sumpf nördlich des Wüstendorfs, Ruuna suchen“, sagt Primo zu Golina.

Sie starrt ihn entgeistert an. „Nur mal kurz? Allein die Reise dorthin dauert mindestens zwei Tage! Und wie ich dich kenne, wird es nicht bei der Reise zum Sumpf bleiben. Meinst du wirklich, es ist eine gute Idee, das Dorf so lange schutzlos zu lassen?“

„Wir haben doch schon darüber gesprochen, Linchen“, beruhigt Primo sie. „Zusammen mit Kolle und Asimov kannst du das Dorf problemlos gegen Nachtwandler und Knallschleicher verteidigen. Notfalls kann euch mein Vater mit seinem Schmiedehammer zu Hilfe kommen.“

„Mit Nachtwandlern und Knallschleichern werden wir schon fertig“, stimmt ihm Golina zu. „Aber was, wenn Artrax die Gelegenheit nutzt und das Dorf angreift? Oder wenn dieser fiese Khan zurückkehrt? Letztes Mal konnten wir ihn nur mit Hilfe von Ruunas Zaubertränken besiegen.“

„Ach was“, winkt Primo ab. „Du machst dir viel zu viele Sorgen, mein Schatz. Artrax und der Khan haben sich schon lange nicht mehr blicken lassen und wie gesagt bin ich bald zurück. Es wird schon nichts passieren.“

Golina seufzt und gibt ihm einen Kuss. „Na gut. Aber beeil dich! Und sei vorsichtig, ja?“

„Du kennst mich doch, mein Linchen“, sagt Primo.

„Eben!“, erwidert sie.

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