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Czytaj książkę: «Im Lande des Mahdi II», strona 19

Czcionka:

Ich sah ihn neben einem häßlichen Oscherbusche liegen, welcher ganz hart am Ufer stand. Der Sumpf war hier mit stinkendem Grün bedeckt, auf und in welchem riesige Krokodile in träger Ruhe lagen. Das waren die Totengräber und auch – die Gräber des Abd Asl!

Als der Fakir mich kommen hörte, wendete er den Kopf nach mir und stierte mich mit seinen blutunterlaufenen Augen an. Ueber sein tiefdunkles Gesicht ging ein beinahe tierisch zu nennendes Grinsen. Seinen Lippen entfuhren einige röchelnde Silben, jedenfalls Schimpfwörter, welche ich nicht verstand. Die Hände wahren ihm noch gebunden, und an den aufgesprungenen Füßen wimmelte es bereits von Insekten, welche seine Schmerzen vermehrten. Ich stieg ab und durchschnitt die Schnur, so daß er nun die Hände frei hatte; dann legte ich ihm den Wasserschlauch hin und fügte schließlich den Mundvorrat hinzu, den ich in dem Sattelbeutel bei mir führte. Es war genug für einige Tage. Er sah mir dabei zu, ohne ein Wort zu sagen.

»Hier hast du, damit du nicht verschmachtest,« bedeutete ich ihm. »Mehr kann ich nicht für dich thun.«

Er antwortete mir nur mit einem giftigen Zischen.

»Hast du einen Wunsch?«

Er schwieg.

»Nicht? Dann lebe wohl! Zwei Stunden von hier, gerade gegen Osten, liegt der Nil. Du wirst ihn, noch ehe der Proviant ausgeht, erreichen können.«

Ich stieg wieder auf. Als mein Kamel zu schreiten begann, ertönten hinter mit die dankbaren Worte:

»Allah verdamme dich. Fürchte die Rache, die Rache!«

Bald hatte ich den Zug erreicht und gesellte mich zu dem voranreitenden Emir. Es war gar nicht notwendig, daß wir bei dem ersteren blieben, da ein Unfall nicht zu befürchten stand. Wir waren nicht nötig und ritten darum voraus, um Zeit zu ersparen und eher bei dem Schiffe anzukommen. Dort begaben wir uns in die Kajüte, wo der Emir das erwähnte Empfehlungsschreiben anfertigte. Dann drückte er mir einen Beutel in die Hand, indem er sagte:

»Du wirst in Faschodah Ausgaben für mich zu machen haben. Verfüge über dieses Geld, als ob es dein Eigentum wäre! Ich nehme nichts davon wieder.«

Als der Zug anlangte, bekümmerte ich mich um nichts als um die Vorbereitungen, welche wir zu dem bevorstehenden Ritte zu treffen hatten. Wir wurden mit allem Nötigen reichlich versehen und verabschiedeten uns kurz nach dem Nachmittagsgebete, da wir heute noch eine tüchtige Strecke zurücklegen wollten.

Meine Löwenhaut nahm der Emir nach Chartum mit, wo sie zubereitet werden sollte und ich sie später abholen wollte. Unser Weg führte nicht am Nile hin, dessen Krümmungen wir vermeiden mußten, sondern wir suchten die freie Ebene auf, welche uns ein viel schnelleres Fortkommen bot. Um das, was wir erleben würden, sorgten wir uns nicht.

Viertes Kapitel: Beim »Vater der Fünfhundert«

Zwei Menschen, ganz allein in der weiten Wüste! Die Sonne brennt so glühend hernieder, daß man sich wie gebraten fühlt und, um nicht geblendet zu werden, die Kapuze des Haïk weit über das Gesicht ziehen muß. Zu sprechen giebt es nichts; man hat sich ja längst ausgesprochen. Zudem liegt die Zunge zu schwer in dem trockenen Munde, daß man, auch wenn Unterhaltungsstoff vorhanden wäre, doch lieber schweigen würde. Vorn, hinten, rechts und links Sand! Die Kamele gehen ihren Schritt, mechanisch wie aufgezogene Maschinen. Sie besitzen nicht das Temperament des edlen Rosses, welches dem Reiter zeigt, daß es sich mit ihm freut und auch mit ihm leidet. Der Herr kann mit seinem Rosse eins sein, mit dem Kamele aber nie, selbst wenn es das kostbarste Hedschihn wäre. Dies spricht sich schon äußerlich durch die Art und Weise aus, wie er auf dem ersteren und wie auf dem letzteren sitzt.

Der Reisige umarmt den Leib seines Rosses mit den Beinen; er hat »Schluß« und macht dadurch die Sage vom Centauren wahr. Diese Umschlingung bringt die Glieder, die Muskeln und Nerven des Mannes mit denen des Pferdes in innige Berührung. Das Roß fühlt die Absichten des Reiters, noch ehe dieser sie äußerlich zur Andeutung bringt. Es gewinnt ihn lieb; es wagt mit ihm; es fliegt mit ihm, und es geht mit vollem Bewußtsein dessen, was es thut, mit ihm in den Tod.

Ganz anders beim Kamele. Auf hohem Höcker im Sattel sitzend, berührt der Reiter das Tier nur, indem er seine Füße über den Hals kreuzt. Es giebt nicht den mindesten »Schluß«, keine äußere und also auch keine innere Vereinigung. So hoch er auf oder über ihm thront, so tief bleibt es im geistigen Verständnisse für ihn zurück. Ist es gutmütig, so gehorcht es ihm wie ein Sklave, ohne die Spur einer eigenen Individualität zu zeigen; ist es aber bösartig und störrisch, wie die meisten sind, so steht es mit ihm in einem immerwährenden Kampfe, welcher ihn ermüden und endlich gar mit Widerwillen erfüllen muß. Wirkliche Liebe für seinen Herrn wird man bei einem Kamele nur äußerst selten beobachten.

Das ist es, was einen einsamen Ritt durch die Wüste noch einsamer macht. Man fühlt ein lebendes Wesen unter sich und kann sich doch nicht mit ihm beschäftigen. Das Pferd giebt durch Wiehern, Schnauben, durch die Bewegung der Ohren und des Schwanzes, durch verschiedene Modulationen des Ganges seine Gefühle zu erkennen; es spricht mit dem Reiter; es teilt sich ihm mit. Das Kamel schreitet gleichmäßig weiter und weiter; es trägt seinen Herrn tage- und wochenlang, lernt ihn aber trotzdem nicht kennen.

Dann wird ein solcher Ritt durch die Einöde zur wahren Pein, und mit Freuden begrüßt man die kleinste Unterbrechung, welche einem ein günstiger Zufall entgegenschickt.

Unsere beiden Hedschihn gehörten zur Klasse der gutwilligen Kamele. Hatten wir uns aufgesetzt, so begannen sie zu laufen »wie die Schneider«, sagt der Deutsche, und sie liefen wie die Schneider und immer weiter, immer in einem und demselben Tempo, ohne sich zu weigern, ohne einmal anzuhalten, ohne die leiseste Spur irgend einer selbständigen Willensregung zu zeigen. Das war entsetzlich langweilig; man verlor zuletzt selbst den Willen; man schlief innerlich ein und behielt nichts als nur das öde Bewußtsein, daß man in einer endlosen geraden Linie durch den Sand getragen werde.

Da weckte mich ein scharfer Schrei aus dem Zustande der seelischen Erschlaffung, in welchen ich gesunken war. Auch Ben Nil fuhr auf und blickte empor in die Luft, in welcher der Schrei erklungen war.

»Schahin!« sagte er, mit der Hand nach oben deutend; dann sank er wieder in sich selbst zusammen. Ja, es war ein Schahin, ein Falke, dessen Schrei wir gehört hatten. Er kreiste hoch über uns. Das Erscheinen dieses Vogels schien für Ben Nil gar nicht beachtenswert zu sein; ich aber hatte sofort meine ganze Energie wieder gewonnen.

»Aufpassen! Es kommt jemand!« sagte ich.

Ben Nil richtete sich wieder empor und sah sich um. Als er innerhalb des Gesichtskreises keinen Menschen erblickte, meinte er:

»Hat mir denn die Sonne die Sehkraft geraubt! Ich sehe niemand, Effendi.«

»Ich auch nicht; aber wir werden jedenfalls bald eine Begegnung haben. Ein Falke schlägt nur lebende Beute; er frißt niemals Aas. Wenn er sich hier in der Wüste befindet, welche keine Lebewesen beherbergt, so muß er einer Karawane gefolgt sein.«

»Oder er hat sich verflogen oder befindet sich auf der Reise.«

»Ein Falke, hier, sich verfliegen? Nein. Passen wir auf, wie dieser Vogel sich verhält.«

Die Blicke auf den Falken gerichtet, beobachteten wir ihn. Er schwebte noch immer über uns, um uns zu beobachten. Da hörten wir wieder einen Schrei, und ein zweiter Falke kam geflogen, von Westen her, und gesellte sich zu dem ersten; sie kreisten miteinander einigemale über uns und flogen dann wieder fort, der Richtung entgegen, aus welcher sie gekommen waren.

»Das war wohl Männchen und Weibchen,« meinte Ben Nil.

»Ja,« antwortete ich, indem ich mein Kamel anhielt und das Fernrohr ergriff, um mit demselben den Flug der Vögel zu verfolgen. »Bleib‘ auch halten! Es ist immer gut, zu wissen, was geschehen wird.«

»Hier kannst du doch nicht eher etwas wissen, als bis du es siehst.«

»Ich habe es ja schon gesehen, nämlich die Falken. Sie sind in gerade westlicher Richtung fort; ich sehe sie deutlich – – jetzt beginnen sie wieder im Bogen zu fliegen; sie kreisen.« Und nachdem ich die Vögel vielleicht zwei Minuten lang beobachtet hatte, fuhr ich fort: »Sie ziehen noch immer ihre Kreise, bewegen sich aber dabei nach Süden. Daraus ziehe ich den Schluß: Da drüben bewegt sich eine Karawane. Sie kommt von nordwärts her und bewegt sich nach Süden, und zwar so langsam, daß ich fast vermuten möchte, daß Fußgänger dabei sind!«

»Woher weißt du, daß sie sich so langsam bewegt?«

»Die Falken schweben über der Karawane; das Tempo der Vögel ist auch dasjenige der Menschen.«

»Effendi, du weißt wirklich Dinge aus Gedanken hervorzuzaubern! Werden wir auf diese Leute treffen?«

»Ja, wenn wir sie nicht absichtlich vermeiden wollen. Sie sind so weit von uns entfernt, daß ein Fußgänger den Weg in einer Stunde zurücklegen kann.«

»W‘allah! Wie kannst du das denn so genau wissen? Das haben dir die Falken doch jedenfalls nicht gesagt!«

»Wer sonst als sie! Man weiß doch wohl, wie schnell ein Falke fliegt; ich weiß auch, wie lange diese beiden brauchten, um von uns wieder dort hinüberzukommen; aus diesen beiden Zahlen ist die Entfernung sehr leicht zu berechnen.«

»Ist es möglich, sie zu beobachten, ohne daß sie uns sehen können?«

»Durch das Fernrohr allerdings. Wollen einmal hinüber. In einer Viertelstunde werden wir sie erblicken.«

Es war mit unserer geistigen Müdigkeit vorbei. Der Schrei des Falken hatte uns wachgerufen. Wir lenkten nach Südwest, und ich behielt, indem wir dieser Richtung folgten, die Falken scharf im Auge. Dies that ich, um die Entfernung abzuschätzen und der Karawane nicht etwa so nahe zu kommen, daß wir von ihr aus mit dem unbewaffneten Auge gesehen werden konnten. Der Boden war nämlich eben; wir konnten uns nicht verstecken. Der Charakter der Wüste mußte sich erst gegen Abend verändern, um welche Zeit wir an das Nid en Nil zu gelangen dachten, ein langes und stellenweise sehr breites Regenbette, welches um diese Jahreszeit viel Wasser enthielt. Ich hatte von diesem Nid en Nil sagen hören, daß es sogar in der trockensten Jahreszeit Wasser enthalte und, da es eigentlich niemals austrockne, den Aufenthalt von Nilpferden bilde. Daß diese Tiere soweit nördlich vorkommen könnten, hatte ich bisher nicht gedacht.

Nach ungefähr einer Viertelstunde waren mir die Falken im Fernrohre so nahe gekommen, daß ich es für gut fand, anzuhalten und das Rohr nun gegen die Erde zu richten. Ich versuchte es erst mit dem bloßen Auge; da war nichts zu sehen. Aber durch das Perspektiv – wirklich, da ritten und da liefen sie, eine lange Reihe von Tieren und Menschen. Ich hatte mich also nicht geirrt. Als ich genug gesehen hatte, gab ich Ben Nil das Rohr. Er mußte lange suchen, ehe er die Karawane fand; dann beobachtete er sie ebenso lange und sagte endlich:

»Effendi, du hattest Recht. Es ist eine Karawane. Ich hätte das nicht erraten und wenn noch so viele Falken gekommen wären. Es sind zwanzig Reiter und fünfundvierzig Fußgänger. Was für eine Karawane mag dies sein? Man geht doch nicht zu Fuß durch die Wüste! Es wird doch nicht etwa eine Sklavenkarawane sein!«

»Beinahe undenkbar! Wo sollen hier die Sklaven herkommen? Und eine Sklavenkarawane am weißen Nile, welche von Nord nach Süd zieht, das wäre jedenfalls höchst sonderbar. Die entgegengesetzte Richtung ist die gewöhnliche: die Sklavenjäger holen ihre Ware aus dem Süden und schaffen sie nordwärts.«

»Was für ein Land liegt denn in der Gegend, aus welcher diese Leute zu kommen scheinen?«

»Das Land der Takaleh. Doch warte! Bei der Nennung dieses Namens fällt mir ein, daß die Takaleh, trotzdem sie Muhammedaner sind, die verwerfliche Gewohnheit haben, ihre Kinder zu verkaufen.«

»Allah! Welch eine Sünde und welch eine Schande! Wer wird seinen Sohn oder seine Tochter um Geld verschachern! Diese Takaleh sind gewiß Neger!«

»Sie sind nicht ganz schwarz, und man darf sie nicht etwa für tiefstehende und unbefähigte Menschen halten. Als Aegypten den Sudan eroberte, haben die Takaleh am längsten widerstanden. Sie sind tapfere Krieger und durch den Kampf mit den Aegyptern sehr berühmt geworden. Das Land Takaleh zeichnet sich aus durch seine reichen Kupferminen und durch die Gastfreundschaft, welche seine Bewohner gegen jeden Fremden, welcher bei ihnen einkehrt, üben. Dies letztere darf aber nicht dazu verleiten, ihnen außerhalb der Gastverhältnisse eine allzu große Freundlichkeit zuzutrauen. Sie stehen unter einem Mek41, welcher das Recht hat, diejenigen Unterthanen, welche ihm nicht gehorchen oder ihm sonst aus irgend einem Grunde mißliebig geworden sind, als Sklaven zu verkaufen. Kriegsgefangene können auch, wenn sie nicht, wie der alte Gebrauch vorschreibt, alle niedergemetzelt werden, verkauft werden.«

»Dann ist es sehr leicht möglich, daß diese Karawane aus solchen Verkauften besteht. Meinst du, daß wir, wenn wir diesen Leuten begegnen, etwas von ihnen zu befürchten haben?«

»Wohl nicht. Es giebt ja weder bei uns noch bei ihnen ein Interesse, sich an dem andern zu reiben.«

»Wollen wir hinüber zu ihnen?«

»Nein. Wenn wir sie auch nicht zu scheuen haben, so giebt es auch keinen Grund, sie gerade aufzusuchen. Wir wollen noch vor Abend am Nid en Nil sein und machen dort Lager. Treffen sie da auf uns, nun so sind sie eben da; aber geradezu aufzusuchen brauchen wir sie nicht.«

Wir schwenkten wieder nach Süden ein. Die Monotonie des Rittes war glücklich unterbrochen worden, und die Erwartung, ob wir eine Begegnung mit der Karawane haben würden oder nicht, ließ es nicht wieder zu dem Zustande innerlicher Versenktheit kommen, in welchem wir uns vorher befunden hatten.

Der Nachmittag verging, und gegen Abend bemerkten wir, daß wir uns dem heutigen Ziele näherten. Der südliche Horizont, welcher bis dahin mit dem Himmel verschwommen gewesen war, stach jetzt dunkel gegen denselben ab, und da diese dunkle Linie hier in dieser Gegend unmöglich einen Bergzug bedeuten konnte, mußten wir sie als das Anzeichen eines Waldes nehmen.

Wir erreichten denselben an einer Stelle, wo er nur schmal war, weil das Nid en Nil hier eine so tiefe Einsenkung bildete, daß das Wasser desselben die hohen Ufer fast nie berühren und befruchten konnte. Die Steilung, hüben hinab und drüben wieder hinauf, war so bedeutend, daß wir sie unmöglich mit unsern Kamelen passieren konnten. Darum mußten wir solange am Ufer hinreiten, bis wir eine zum Uebergange geeignete Stelle fanden.

Dieses Nid en Nil ist ein Regenbette, welches im Charif42 jedenfalls eine reiche Menge Wassers führt; jetzt aber war die Stelle, an welcher wir auf dieses Bett gestoßen waren, schon vollständig trocken. Nach einer Viertelstunde jedoch verflachten sich die Ufer und bildeten einen Maijeh oder vielmehr eine Art See, dessen Wasser so hell und klar war, daß er nicht wohl ein Sumpf genannt werden konnte. Er war so breit, daß man das andere Ufer nicht sehen konnte. Das unsrige war mit hohen Bäumen besetzt.

Da wir hier nicht hinüber konnten, mußten wir weiter reiten. Der See machte bald eine Krümmung nach links und ging dann in einen schmalen Arm stehenden Gewässers Ueber, welcher ihn mit einem zweiten, noch größern See verband. Das Wasser dieses Armes konnte nicht tief sein, denn es ragten zahlreiche, stark bewipfelte Bäume aus demselben empor; jedenfalls trocknete es noch vor der heißen Jahreszeit vollständig aus. Hier war es wohl nicht schwer, hinüberzukommen; darum beschloß ich, an dieser Stelle Halt und Lager zu machen.

Wir stiegen also ab, ließen die Kamele von dem ziemlich reinen Wasser trinken und banden sie dann an die Sträucher, welche am Ufer unter den Bäumen standen. So konnten sie von den saftigen Zweigen derselben fressen. Als wir nachher beschäftigt waren, dürres Geäst für ein Feuer zu suchen, um uns gegen die am Wasser stets vorhandenen Stechmücken zu schützen, sahen wir die Karawane kommen, welche wir vorhin beobachtet hatten. Die voranreitenden Männer, bei denen sich ein wahrer Goliath befand, hielten an und betrachteten uns von weitem. Dann kam der Riese auf uns zu, musterte uns aufmerksam und mit finstern Blicken, ritt auch an die Sträucher, um zwischen dieselben hinein- und über sie hinwegzublicken, und fragte dann, ohne vorher zu grüßen:

»Was thut ihr hier an der Mahada ed Dill?«

Dieser Name bedeutet Furt des Schattens, schattige Furt; wir hatten also richtig eine Stelle getroffen, an welcher man über das Nid en Nil kommen konnte. Wenn im Oriente jemand bei irgend einer Begegnung nicht grüßt, so ist das stets ein schlechtes Zeichen. Dieser Mann machte überhaupt keinen Vertrauen erweckenden Eindruck. Darum antwortete ich kurz:

»Wir ruhen aus, wie du siehst.«

»Werdet ihr des Nachts hier bleiben?«

»Das kommt darauf an, ob es uns hier gefällt und ob wir ungestört sein werden.«

»Seid ihr allein?«

»Frage nicht uns, sondern deine Augen!«

»Dir scheint man die Vorzüge der Höflichkeit nicht beigebracht zu haben!«

»Ich besitze sie; aber ich pflege sie nur dann zu zeigen, wenn man auch gegen mich höflich ist. Du hast uns den Gruß versagt.«

»Ich kenne euch nicht; sage, wer du bist!«

»Erst dann, wenn ich deinen Namen und Stand erfahren habe.«

»Ich stehe höher als du, folglich mußt du mir zuerst Auskunft geben. Wisse, ich bin Schedid, der tapferste Krieger des Königs der Takaleh!«

»Und ich bin der Mudir von Dscharabub. Hoffentlich kennst du diesen Ort!«

Wie mir dieser Name auf die Zunge kam, das hätte ich damals ebensowenig sagen können, wie ich es heute sagen kann.

Der Ort ist bekannt, weil der berühmteste muhammedanische Orden der Neuzeit dort gegründet wurde; aber einen Mudir giebt es da nicht und hat es nie gegeben. Ich legte mir diesen Rang bei, um dem Takaleh zu imponieren. Wer und was ich war, wollte und durfte ich ihm aus naheliegenden Gründen nicht sagen. Eine Unwahrheit ist wohl ein geringeres Verbrechen als eine Aufrichtigkeit, durch welche man nicht nur zum Selbstmörder wird, sondern auch das Wohl oder gar das Leben Anderer auf das Spiel setzt.

»Ich habe von diesem Orte noch nie etwas gehört,« antwortete er in wegwerfendem Tone. »Deine Mudirieh wird wohl eine von den Termiten zernagte sein!«

»Allah verzeihe dir diese Unwissenheit! Hast du denn noch nie von Sihdi Senussi gehört?«

»Allah durchbohre dich! Wie kannst du einen frommen Gläubigen mit dieser Frage beleidigen! Alles, was auf der Erde lebt, weiß, daß Sihdi Senussi der größte Prophet ist, welcher das Wort des Islam predigt. Kennst du die Orte Siwah und Farafrah?«

»Natürlich!«

»Sie leuchten wie die Sterne vor allen Orten der Erde, denn dort befinden sich die Universitäten, in denen die Schüler und jünger von Sihdi Senussi gebildet werden.«

»Das weißt du und kennst doch Dscharabub nicht, welches noch viel heller leuchtet? Ja, in Dscharabub residiert Sihdi Senussi; in Siwah und Farafrah befinden sich nur seine Schulen. Alle drei Orte aber gehören zu meiner Mudirieh. Von ihnen geht das reinste Licht des Islam aus, vor welchem die Schatten aller Irrlehrer weichen müssen. Mein Haus und dasienige des Sihdi haben miteinander ein einziges Thor; wir leben unter einem Dache und trinken aus demselben Schlauche. Nun sage mir, wer höher steht, du oder ich? Wehe dem, der mir den Gruß verweigert! Es wird ihm ergehen wie dem Lästerer, von welchem die hundertvierte Sure spricht: »Er wird hinabgeworfen in Hutama43. El Hutama aber ist das angezündete Feuer Allahs, welches über die Frevler zusammenschlägt!« Jetzt brüste dich weiter, o Schedid, der du nichts als nur der Diener eines Menschen bist!«

Da ließ er sein Kamel vor mir niederknieen, stieg ab, verneigte sich tief und sagte:

»Laß die Sonne deiner Verzeihung über mir aufgehen, o Mudir! Ich konnte doch nicht ahnen, daß du der Freund und Gefährte dieses heiligen Senussi bist. Euer Orden wird die ganze Welt umfassen, und vor eurer Macht werden sich beugen alle Menschen, welche leben und noch leben werden. Wie soll ich deinen jungen Gefährten nennen?«

»Die Zahl seiner Jahre beträgt nicht viel, aber die Vorzüge seines Geistes haben ihn schon berühmt gemacht.

Er wurde auf der Universität von Farafrah gebildet und ist mit mir ausgezogen, um den Glanz unsers Ordens auch in diesem Lande hier leuchten zu lassen. Er ist Chatib44. Nenne ihn so!«

Das wäre etwas für Selim, den Aufschneider, gewesen! Dieser hätte gewiß sofort eine fulminante Rede gehalten, welche von Eigenlob übergeflossen wäre. Ben Nil aber sagte nur, und zwar im würdevollsten Tone, der ihm möglich war:

»Du hast dich gegen uns vergangen, weil du uns nicht kanntest. Wir verzeihen dir.«

Daß er als Muhammedaner die Unwahrheiten, deren ich mich schuldig gemacht hatte, bestätigte, war ein Zeichen, wie lieb er mich hatte. Der Takaleh befand sich in einer sichtbaren Verlegenheit. Ich sah es ihm an, daß er gern in unserer Nähe lagern wollte, dies aber mit der Hochachtung, welche er uns schuldig zu sein glaubte, nicht für vereinbarlich hielt. Er blickte nach seiner Karawane, welche halten geblieben war, zurück und sagte:

»Wir wollten bis morgen hier an dieser Stelle bleiben; nun aber werden wir uns wohl einen andern Ort suchen müssen, weil wir es doch nicht wagen können, in der Nähe so heiliger Männer zu lagern.«

»Vor Allah sind alle Menschen gleich. Ich erlaube euch also, hier bei uns Platz zu nehmen,« antwortete ich.

»Ich danke dir, o Mudir, und gebe dir die Versicherung, daß meine Leute sehr andachtsvolle Zuhörer eurer Reden sein werden.«

»Glaube nicht, daß wir euch Predigten halten. Alles zu seiner Zeit und am rechten Orte. Das Wort darf nur dann vom Munde fließen, wenn der Geist im Innern mächtig wird.«

Es konnte mir natürlich nicht einfallen, hier als muhammedanischer Missionar aufzutreten. Ich hatte imponieren wollen und weiter nichts, und das war mir gelungen, wie das völlig veränderte Benehmen dieses Takaleh bewies. Aber trotz seiner gezeigten tiefen Ehrerbietung stieß er mich in einer Weise ab, daß ich ihn am liebsten weit von mir fort gewünscht hätte. Seine Züge waren regelmäßig, und seine Stimme hatte einen kräftigen, wohllautenden Klang; daß er mir trotzdem so sehr unsympathisch war, hatte keine äußeren, sondern innere Gründe, über welche ich mir freilich selbst keine Rechenschaft zu geben vermochte.

Er winkte seinen Leuten, herbeizukommen. Wir hatten uns nicht geirrt; es waren gerade so viele Personen, wie wir gezählt hatten. Jetzt konnten wir, was vorhin durch das Rohr nicht möglich gewesen war, auch die beiden Geschlechter unterscheiden. Die Hälfte der Fußgänger waren nämlich eigentlich Fußgängerinnen; allen aber waren, was wir erst jetzt bemerkten, die gefesselten Hände an einem langen Seile befestigt; sie waren also Gefangene.

Die Reiter brachten sie getrieben. Schedid rief ihnen einige Worte zu, auf welche hin man uns mit großer Demut grüßte. Nachdem die ersteren abgestiegen waren, versorgten sie erst ihre Tiere und führten dann die Gefangenen zum Wasser, damit auch sie trinken sollten. Dann mußten die letzteren, welche gar nicht losgebunden wurden, sich in unserer unmittelbaren Nähe niederlegen. Sie gehorchten in einer Weise, daß man sah, sie hatten sich in ihr Schicksal vollständig ergeben.

Was mir auffiel, war, daß zwischen den Gefangenen und ihren Begleitern nicht der geringste Unterschied im Typus zu entdecken war; sie schienen zu demselben Volke und Stamme zu gehören. Ihre Farbe war nicht schwarz, sondern schwärzlich braun, ihr Bart schwach und ihr Haar nicht gekräuselt, sondern starr. Der Anführer erteilte fünf von seinen Leuten die besondere Aufgabe, auf die Gefangenen zu achten, und sagte zu den übrigen:

»Oeffnet eure Augen, ihr Leute, und seht hier zwei Männer, deren Gebete euch den Himmel zu öffnen vermögen! Hier sitzt der berühmte und heilige Mudir von Dscharabub, welcher ein Oberster der Senussi ist und mit Sihdi Senussi in einem Hause wohnt, und neben ihm erblickt ihr einen frommen Jüngling, dem trotz seiner Jugend die Gabe gegeben ist, die reinen Lehren des Kuran zu verkündigen. Beugt euch vor ihnen, und laßt es euch nicht einfallen, ihnen durch unbedachte Worte lästig zu werden!«

Diese letztere Mahnung konnte auch in andern Worten lauten: »Seid klug und vorsichtig, und verratet nicht durch unbedachte Reden, daß wir schlechte Kerle sind!« Sie verschlangen die Arme über der Brust und beugten sich dann fast bis zur Erde nieder. Nachher setzten sie sich so nahe zu uns, daß sie uns zwar nicht lästig fielen, aber alles, was wir sprachen, hören konnten. Sie nahmen ihre Speisevorräte aus den Säcken, um einen Imbiß zu halten, aber die Gefangenen bekamen nichts. Darum fragte ich Schedid:

»Meinst du nicht, daß die andern auch Hunger haben?«

»Was geht es mich an, wenn sie hungern?« antwortete er. »Sie bekommen täglich einmal zu essen und zu trinken. Wenn sie jetzt Hunger haben, so mögen sie schlafen. Sie sind Requiq und haben übrigens heute schon mehr erhalten, als sie erwarten können, denn sie haben hier getrunken.«

»Wasser aus dem See, während ihr aus den Schläuchen nahmt!«

»Für Requiq ist Wasser Wasser. Wenn es ihnen nicht schmeckt, so kann ich es nicht ändern.«

»Sie sind also Sklaven. Wo hast du sie gekauft?«

»Gekauft? O Mudir, wie sind die Heiligen, welche alle Himmel kennen, doch so unerfahren auf der Erde! Ein Takaleh kauft niemals Requiq, sondern er macht sie sich.«

»So sind diese Sklaven deine Stammesgenossen?«

»Natürlich!«

»Was haben sie gethan, daß man sie zu Requiq gemacht hat?«

»Gethan? Eigentlich nichts. Der Mek braucht Geld; darum verkauft er sie.«

»Kann er alle seine Unterthanen verkaufen?«

»Alle, welche ihm ungehorsam sind oder ihm aus sonst einem Grunde nicht mehr gefallen. Jeder Vater kann seine Kinder, jeder Mann seine Weiber und jeder Mächtige diejenigen verkaufen, über welche er zu gebieten hat.«

»Was würdest du dazu sagen, wenn der Mek auch dich verkaufte?«

»Ich müßte mich fügen.« Aber so leise, daß nur ich es hörte, fügte er hinzu: »Ich würde es nicht dulden, sondern ihn erwürgen!«

Der Umstand, daß er mich für einen Heiligen hielt, hinderte ihn gar nicht, mir diese Wahrheit anzuvertrauen. Entweder galt ihm selbst ein Oberster der Senussi weniger, als er sich vorhin den Anschein gegeben hatte, oder es war ihm überhaupt nichts heilig. Daß dieses letztere der Fall war, zeigte sich Sofort, als ich ihn fragte:

»Hast du auch schon Requiq verkauft?«

»Schon oft. Auch bei diesen hier sind ein Weib und zwei Töchter von mir.«

»Warum verkaufst du sie?«

»Weil ich mir ein anderes Weib genommen habe, und weil es besser ist, man bekommt die Töchter bezahlt, als daß man sie ernähren muß.«

Er sagte das mit einer vollständig unbegreiflichen Gefühllosigkeit und in einem Tone, als ob er mit seinen Worten ganz selbstverständlich nicht nur seine eigene, sondern die Ansicht aller Menschen überhaupt ausgesprochen habe.

»Haben sie sich gutwillig gefügt?« erkundigte ich mich.

»Was wollten sie dagegen thun? Sie haben gefleht und geweint; aber was bedeutet die Thräne einer Frau? Das Weib hat keine Seele und kann also auch nicht in den Himmel kommen.«

»Wohin führst du diese Sklaven?«

»Nach Faschodah zu einem Manne, weicher mir meine Requiq regelmäßig abnimmt.«

Er hatte mir eine andere Antwort, vielleicht eine genaue Auskunft geben wollen, sich aber unterbrochen. Er traute mir also doch nicht ganz.

»Warst du schon oft in Faschodah?« fragte ich weiter.

»Ich ziehe nach jedem sechsten Monate hin, um Requiq zu verkaufen. Wohin wird denn dich deine jetzige Reise führen, o Mudir?«

»Zunächst nach Makhadat el Kelb, wo ich über den weißen Nil setzen werde, um das Volk der Fungi, dem ich predigen will, aufzusuchen.«

»Wirst du auch nach Faschodah kommen?«

»Jetzt nicht, vielleicht aber später.«

Nun hatte die Sonne scheinbar den Horizont berührt, und also war die Zeit des Mogreb-Gebetes gekommen.

Die Leute, welche gesessen hatten, selbst auch die aneinander gebundenen Gefangenen, erhoben sich auf die Kniee, und aller Augen richteten sich auf mich. Der Vornehmste hat nämlich stets das Gebet zu sprechen, und die andern fallen nur an gewissen Stellen ein. Das war ein kritischer Augenblick für mich. Ich hatte schon sehr oft mit Muhammedanern gebetet, aber natürlich nicht laut und nicht zu Allah und den Propheten; aber jetzt so vielen Leuten die verschiedenen Verbeugungen vorschreiben und die Fathha, die vorgeschriebenen Kuranverse, den Gruß an Muhammed und den Erzengel vorbeten, das war unmöglich; das wäre eine große, große Sünde gewesen. Aus dieser Verlegenheit zog mich Ben Nil, indem er sagte:

»Mudir, du hast stets nur die drei Tagesgebete gesprochen und mir die beiden Gebete des Abends überlassen. Erlaubst du, daß es auch heute so geschieht?«

»Ja, bete vor, o Chatib, du Liebling des Propheten,« antwortete ich. »Deine Worte gehen denselben Weg wie die meinigen und werden das Ziel, nach welchem jedes Gebet gerichtet ist, ebenso erreichen, als ob sie aus meinem eigenen Munde kämen.«

Als das Mogreb gesprochen war, aß ich mit Ben Nil. Die Takaleh wendeten dabei ihre Gesichter zur Seite, um mich nicht essen zu sehen, wie es einem vornehmen oder frommen Manne gegenüber die Höflichkeit vorschreibt. Da ich mich darauf schweigsam verhielt, wagte Schedid es nicht, zu sprechen; auch die andern waren vollständig still, denn sie hielten mich und meinen jungen »Prediger« für in fromme Gedanken versunken, in denen man uns nicht stören dürfe.

Dann ging der Mond auf und warf die Schatten der Baumwipfel über uns. Zu meiner Rechten lag die sterile, erbarmungslose Wüste, und zu meiner Linken glänzten wie winzige Elfenleiber die Blüten jener ewig ruhelosen Pflanze auf dem Wasser, welche nicht im Boden wurzelt und deshalb immerwährend ihren Standort ändert. Sie kommt besonders im Tsadsee in großen Mengen vor, und die Bewohner von Bornu und Baghirmi singen ein Ruderlied, eine allerliebste Gondeliera von ihr, welche deutlich beweist, daß auch jene Völker poesiereich sind. Das Lied würde, frei ins Deutsche übersetzt, lauten:

»Es treibt die Fanna heimatlos

Auf der bewegten Flut,

Wenn auf dem See gigantisch groß

Der Talha Schatten ruht.

Er breitete die Netze aus

Im klaren Mondesschein,

Sang in die stille Nacht hinaus

Und träumte sich allein.

Da rauscht es aus den Fluten auf,

So geisterbleich und schön;

41.Vom arab. Melek – König.
42.Regenzeit.
43.Beiname der Hölle.
44.Muhammedanischer Prediger.
Ograniczenie wiekowe:
12+
Data wydania na Litres:
30 sierpnia 2016
Objętość:
570 str. 1 ilustracja
Właściciel praw:
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