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Czytaj książkę: «Der Schatz im Silbersee», strona 23

Czcionka:

Elftes Kapitel. In der Klemme

Da, wo jenseits des Cumison River sich die Elk Mountains erheben, ritten vier Männer über ein Hochplateau, welches mit kurzem Grase bewachsen war und, so weit das Auge reichte, weder Sträucher noch Bäume zeigte. Obgleich man im fernen Westen daran gewöhnt ist, außergewöhnliche Gestalten zu sehen, so hätten diese vier Reiter einem jeden, der ihnen begegnet wäre, auffallen müssen.

Der eine von ihnen, dem man es sofort ansah, daß er der vornehmste sei, ritt einen prachtvollen Rapphengst von der Art, welche man bei gewissen Apachenstämmen züchtet. Seine Gestalt war nicht zu hoch und breit, und dennoch machte sie den Eindruck großer Kraft und Ausdauerfähigkeit. Sein sonnverbranntes Gesicht wurde von einem dunkelblonden Vollbart umrahmt. Er trug lederne Leggins, ein Jagdhemd aus demselben Stoffe und lange Stiefeln, welche er bis über das Knie heraufgezogen hatte. Auf seinem Kopfe saß ein breitkrempiger Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des Grizzlybären steckten. Der breite, aus einzelnen Lederriemen geflochtene Gürtel schien mit Patronen gefüllt zu sein und enthielt außerdem zwei Revolver und ein Bowiemesser. Ferner hingen an demselben zwei Paar Schraubenhufeisen und vier fast kreisrunde, dicke Schilf- und Strohgeflechte, welche mit Riemen und Schnallen versehen waren. Jedenfalls waren diese bestimmt, dem Pferde an die Hufe geschnallt zu werden, falls es galt, einen Verfolger irre zu führen. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte hing ein zusammengeschlungener Lasso und um den Hals an einer festen Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife. In der Rechten hielt er ein kurzläufiges Gewehr, dessen Schloß von einer höchst eigenartigen Konstruktion zu sein schien, und auf dem Rücken trug er an einem breiten Riemen ein sehr langes und sehr starkes Doppelgewehr von der jetzt äußerst seltenen Art, welche man früher Bärentöter nannte und aus deren Läufen man nur Kugeln allergrößten Kalibers schoß. Dieser Mann war Old Shatterhand, der berühmte Jäger, welcher diesen Beinamen dem Umstande verdankte, daß er einen Feind mit einem bloßen Hiebe seiner Faust zu erlegen vermochte.

Neben ihm ritt ein kleines, schmächtiges und bartloses Kerlchen in einem blauen langschössigen Fracke mit gelben, sehr blank geputzten Knöpfen. Auf seinem Kopfe saß ein großer Damen-, sogenannter Amazonenhut, auf welchem sich eine riesige Feder bewegte. Die Hosen waren ihm zu kurz, und die nackten Füße steckten in alten, derben Lederschuhen, an denen große, mexikanische Sporen befestigt waren. Dieser Reiter hatte ein ganzes Arsenal von allerlei Waffen an und um sich hängen; aber wer ihm in das gutmütige Gesichtchen blickte, der mußte die Meinung hegen, daß diese gewaltige Armatur nur die Bestimmung habe, etwaige Feinde abzuschrecken. Dieses Männchen war Herr Heliogabalus Morpheus Franke, von seinen Gefährten gewöhnlich nur der Hobble-Frank genannt, weil er infolge einer früheren Verwundung auf dem einen Beine hinkte.

Hinter diesen beiden ritt zunächst eine weit über sechs Fuß lange, aber auch desto hagerere Figur auf einem alten, niedrigen Maultiere, welches kaum die Kraft zu haben schien, den Reiter zu tragen. Dieser trug eine Lederhose, welche jedenfalls für eine weit kürzere und dafür stärkere Gestalt zugeschnitten worden war. Auch bei ihm steckten die ebenfalls nackten Füße in Lederschuhen, welche so oft besetzt und geflickt worden waren, daß sie nun aus lauter Flecken und zusammengesetzten Stücken bestanden; einer derselben war wenigstens seine fünf oder sechs Pfund reichlich schwer. Der Leib dieses Mannes steckte in einem Büffellederhemde, welches die Brust unbedeckt ließ, weil es weder Knöpfe noch Heftel und Schlingen hatte. Die Ärmel desselben reichten kaum über den Ellbogen vor. Um den langen Hals war ein Baumwollentuch geschlungen, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war. Auf dem spitzen Kopfe saß ein Hut, welcher vor langen Jahren einmal ein grauer »Cylinder« gewesen war. Vielleicht hatte er da den Kopf eines Millionärs gekrönt; dann aber war er tiefer und immer tiefer gesunken und schließlich in die Prairie und die Hände seines gegenwärtigen Besitzers geraten. Dieser hatte die Krempe für überflüssig gehalten, sie also abgerissen und nur ein kleines Stückchen daran gelassen, um dasselbe als Handhabe beim Abnehmen der unbeschreiblich verbogenen und zerknillten Kopfbedeckung zu benutzen. In einem dicken Stricke, welcher ihm als Gürtel diente, steckten zwei Revolver und ein Skalpmesser und außerdem hingen an demselben mehrere Beutel, welche alle die Kleinigkeiten enthielten, die ein Westmann nicht gut entbehren kann. Von seinen Schultern hing ein Gummimantel, aber was für einer! Dieses Prachtstück war gleich vom ersten Regen so eingegangen und zusammengeschrumpft, daß es seine ursprüngliche Bestimmung nie wieder erfüllen konnte und fernerhin nur wie eine Husarenjacke getragen werden mußte. Quer über seine unendlich langen Beine hatte dieser Mann eine jener Rifles liegen, mit denen der geübte Jäger niemals sein Ziel verfehlt. Wie alt er war, das konnte man nicht erraten und nicht sagen, und ebensowenig war das Alter seines Maultieres zu bestimmen. Höchstens war zu vermuten, daß die beiden sich genau kannten und schon manches Abenteuer miteinander erlebt hatten.

Der vierte Reiter saß auf einem sehr hohen und starken Klepper. Er war sehr, sehr beleibt, aber so klein, daß seine kurzen Beine die Flanken des Pferdes nur halb zu fassen vermochten. Er trug, obgleich die Sonne fast heiß herniederschien, einen Pelz, welcher aber an hochgradiger Haarlosigkeit litt. Hätte man die Haare desselben sammeln wollen, so hätte man wohl kaum genug erhalten, um das Fell einer Maus damit auszustatten. Auf dem Kopfe saß ein viel zu großer Panamahut, und unter dem nackten Pelze blickten zwei riesige Aufschlagstiefeln hervor. Da die Ärmel des Pelzes viel zu lang waren, so konnte man von dem ganzen Manne eigentlich nur das fette, rote und gutherzig listige Gesicht sehen. Er war mit einer langen Rifle versehen. Was für Waffen er außerdem besaß, war jetzt nicht zu erkennen, da der Pelz alles verdeckte.

Diese beiden Männer waren David Kroners und Jakob Pfefferkorn, allüberall nur als der »lange Davy« und der »dicke Jemmy« bekannt. Sie waren unzertrennlich, und niemand hatte den einen von ihnen gesehen, ohne daß der andre dabei oder wenigstens in der Nähe gewesen wäre. Jemmy war ein Deutscher und Davy ein Yankee, doch hatte der letztere während der vielen Jahre, welche beide zusammen gewesen waren, von dem ersteren so viel Deutsch gelernt, daß er sich auch in dieser Sprache genügend auszudrücken verstand. Ebenso unzertrennlich wie die beiden Reiter waren auch ihre Tiere. Sie standen stets nebeneinander; sie grasten zusammen, und wenn sie an irgend einem Lagerplatze gezwungen waren, die Gesellschaft andrer Reittiere zu dulden, so rückten sie wenigstens ein Stückchen von diesen ab und drängten sich desto enger Seite an Seite, um sich mit Schnauben, Schnüffeln und Lecken zu liebkosen.

Die vier Reiter mußten, obgleich es noch nicht weit über Mittag war, doch heute schon eine bedeutende Strecke zurückgelegt haben und nicht nur über weiches Grasland gekommen sein, denn sie und ihre Pferde waren tüchtig mit Staub bedeckt. Dennoch sah man weder ihnen noch den Tieren eine Ermüdung an. Fühlten sie sich ja abgespannt, so hätte man dies nur aus dem Schweigen, welches sie beobachteten, zu schließen vermocht. Dieses wurde zuerst von dem neben Old Shatterhand reitenden Hobble-Frank unterbrochen, welcher seinen Nachbar im heimischen Dialekte fragte: »Also am Elk-fork soll heute übernachtet werden? Wie weit ist es denn eigentlich noch dortenhin?«

»Wir werden dieses Wasser gegen Abend erreichen,« antwortete der Gefragte.

»Gegen Abend erscht? O wehe! Wer soll das aushalten! Wir sitzen nu schon seit früh im Sattel. Eenmal müssen wir doch anhalten, um wenigstens die Pferde verschnaufen zu lassen. Meenen Se nich ooch?«

»Allerdings. Warten wir, bis wir diese Prairie hinter uns haben; dann gibt es eine Strecke Wald, wo auch ein Wasser fließt.«

»Schön! Da bekommen die Pferde zu trinken und Gras finden sie ooch derzu. Was aber finden denn wir? Gestern gab‘s das letzte Büffelfleesch und heute früh die Knochen. Seitdem is uns keen Sperling und keen sonstiges Wild vor die Flinte gekommen; ich habe also Hunger und muß bald etwas zu knuspern haben, sonst geh‘ ich zu Grunde.«

»Habe keine Sorge! Ich werde schon einen Braten besorgen.«

»Ja, aber was für eenen! Diese alte Wiese hier is so eensam; ich glob, es leeft keen Käfer drof herum. Wo soll denn da een anständig hungriger Westmann nur den Braten herbekommen!«

»Ich sehe ihn schon. Nimm einmal mein Pferd am Zügel und reite mit den andern langsam weiter.«

»Wirklich?« fragte Frank, indem er sich kopfschüttelnd rundum blickte. »Sie sehen den Braten schon? Ich verschpüre aber gar nischt Derartiges.«

Er nahm den Zügel von Old Shatterhands Pferd und ritt mit Davy und Jemmy weiter. Der erstgenannte aber ging seitwärts ab, wo man eine Menge von Hügeln im Grase liegen sah. Dort gab es eine Kolonie von Prairiehunden, wie die amerikanischen Murmeltiere wegen ihrer kläffenden Stimme genannt werden. Sie sind harmlose, unschädliche und sehr neugierige Geschöpfe und wohnen sonderbarerweise gern mit Klapperschlangen und Eulen beisammen. Wenn sich ihnen jemand naht, so richten sie sich auf, um ihn anzuäugen; dabei gibt es sehr possierliche Stellungen und Bewegungen. Schöpfen sie Verdacht, so tauchen sie blitzschnell in ihre Röhren nieder und sind nicht mehr zu sehen. Der Jäger, wenn er einen andern Brocken bekommen kann, verschmäht das Fleisch dieser Tiere, nicht etwa aber, weil es ungenießbar ist, sondern weil er ein Vorurteil gegen dasselbe hat. Will er trotzdem einen Prairiehund erlegen, so darf er nicht versuchen, sich heimlich anschleichen zu können, denn diese Geschöpfe sind zu aufmerksam, als daß ihm dies gelingen könnte. Er muß ihre Neugierde erwecken und so lange zu fesseln suchen, bis er in Schußweite gekommen ist. Das kann er aber nur dadurch erreichen, daß er selbst auch die lächerlichsten Stellungen annimmt und die possierlichsten Bewegungen macht. Der Prairiehund weiß dann nicht, woran er ist und was er von dem Nahenden zu halten hat. Das wußte Old Shatterhand. Er machte also, sobald er bemerkte, daß er von den auf ihren Haufen sitzenden Tieren bemerkt worden war, allerlei Kreuz- und Quersprünge, duckte sich nieder, fuhr wieder hoch empor, drehte sich um sich selbst, bewegte die Arme wie die Flügel einer Windmühle und hatte dabei nur den Zweck im Auge, immer näher zu kommen.

Hobble-Frank, welcher jetzt neben Jemmy und Davy ritt, sah dieses Gebaren und meinte in besorgtem Tone: »Herrjemersch nee, was fällt ihm denn da ein! Is er etwa nich bei Troste? Er thut doch ganz so, als ob er Bellamadonna getrunken hätte!«

»Belladonna meinst du wohl,« verbesserte Jemmy.

»Schweig!« gebot der Kleine. »Belladonna hat gar keenen Sinn. Es heeßt Bellamadonna; das muß ich, der ich in Moritzburg geboren bin, doch wissen. Dort wächst die Bellamadonna wild im Walde, und ich habe sie wohl tausendmal schtehen sehen. Horcht! Er schießt.«

Old Shatterhand hatte jetzt zwei Schüsse so schnell hintereinander abgefeuert, daß sie fast wie einer klangen. Sie sahen ihn eine Strecke aufwärts rennen und sich zweimal bücken, um etwas aufzuheben. Dann kam er zu ihnen zurück. Er hatte zwei Prairiehunde erlegt, steckte sie in die Satteltasche und stieg dann wieder auf. Hobble-Frank machte ein sehr zweifelhaftes Gesicht und fragte im Weiterreiten: »Soll das etwa der Braten sein? Da dank ich ganz ergebenst!«

»Warum?«

»Solch Zeug verzehr‘ ich nich!«

»Hast du es denn schon einmal gekostet?«

»Nee! Das ist mir nich im Troome eingefallen!«

»So hast du auch kein Urteil darüber, ob ein Prairiehund genießbar ist oder nicht. Hast du vielleicht einmal eine junge Ziege gegessen?«

»Een junges Zikkel?« antwortete Frank, indem er mit der Zunge schnalzte.

»Natürlich habe ich das gegessen. Hören Sie, das is was ganz und gar Apartes!«

»Wirklich?« lächelte Old Shatterhand.

»Off Ehre! Eene Delikatesse, die wirklich ihresgleichen sucht.«

»Und Tausende lachen darüber!«

»Ja; aber diese Tausende sind dumm. Ich sage Ihnen, wir Sachsen sind helle und verschtehen uns off imprägnierte Genüsse wie keene andre europäische Nation. Een junges Zikkel in die Pfanne, eene kleene Zehe Knobloch und een paar Schtengeln Majoran hinein und das recht braun und knusperig gebraten, das is Sie een wahres Götteressen für die Herren und Damen des Olymps. Ich kenne das, denn so um Ostern ‚rum, wenn‘s junge Ziegen gibt, da ißt ganz Sachsen Sonn- und Feiertags nur Zikkelbraten.«

»Sehr wohl! Aber sage mir, ob du auch schon einmal Lapin gegessen hast!«

»Lapäng? Was ist denn das?«

»Zahmer Hase, Kuhhase oder Karnickel, wie ihr in Sachsen sagt. Eigentlich heißt es Kaninchen.«

»Karnickel? Alabonnör! Das ist ooch etwas ganz Expansives. In Moritzburg und Umgegend gab‘s meiner Zeit zur Kirchweih schtets Karnickel. Das Fleesch is zart wie Butter und zerleeft eenem geradezu off der Zunge.«

»Es gibt aber viele, welche dich auslachen würden, wenn du ihnen dies sagtest.«

»So sind sie nicht recht gescheit im Koppe. So een Karnickel, welches nur die besten und feinsten Kräuterspitzen frißt, muß een durchaus obligates Fleesch haben; das verschteht sich ganz von selbst. Oder glooben ooch Sie es nich?«

»Ich glaube es; aber dafür verlange ich, daß du mir nun auch meinen Prairiehund nicht schändest. Du wirst sehen, daß er gerade wie junge Ziege und fast wie Kaninchen schmeckt.«

»Davon hab‘ ich noch nie etwas gehört!«

»So hast du es heute gehört und wirst es auch schmecken. Ich sage dir, daß – – – halt, sind das nicht Reiter, welche dort kommen?«

Er deutete nach Südwest, wo eine Anzahl Gestalten sich bewegten. Sie waren noch so entfernt, daß man noch nicht zu unterscheiden vermochte, ob es Tiere, vielleicht Büffel, oder Reiter seien. Die vier Jäger ritten langsam weiter und hielten die Augen auf diese Gruppe gerichtet. Nach einiger Zeit erkannte man, daß es Reiter seien, und bald darauf zeigte es sich, daß dieselben Uniformen trugen; es waren Soldaten.

Diese hatten eigentlich eine nordöstliche Richtung eingehalten; nun aber sahen sie die vier und änderten ihren Kurs, um im Galopp heranzukommen. Es waren ihrer zwölf, von einem Lieutenant angeführt. Sie näherten sich bis auf vielleicht dreißig Schritte und blieben da halten. Der Offizier musterte die vier Reiter mit finsterem Blicke und fragte dann: »Woher des Weges, Boys?«

»Alle Wetter!« brummte Hobble-Frank. »Wollen wir uns wirklich mit »Boys« anreden lassen? Dieser Kerl muß doch sehen, daß wir den bessern Schtänden angehören!«

»Was gibt‘s zu flüstern!« rief der Lieutenant in strengem Tone. »Ich will wissen, woher ihr kommt!«

Frank, Jemmy und Davy sahen auf Old Shatterhand, was dieser thue oder sagen werde. Er antwortete in ruhigstem Tone: »Aus Leadville.«

»Und wohin wollt ihr?«

»Nach den Elk Mountains.«

»Das ist eine Lüge!«

Old Shatterhand trieb sein Pferd an, bis es neben demjenigen des Offiziers stand, und fragte noch immer in demselben ruhigen Tone: »Habt Ihr einen Grund, mich Lügner zu nennen?«

»Ja!«

»Nun, welchen?«

»Ihr kommt nicht aus Leadville, sondern von Indian-Fort herauf.«

»Da irrt Ihr Euch.«

»Ich irre mich nicht. Ich kenne euch.«

»So? Nun, wer sind wir denn?«

»Die Namen kenne ich nicht; aber ihr werdet sie mir sofort sagen.«

»Und wenn wir das nicht thun?«

»So nehme ich euch mit.«

»Und wenn wir uns das nicht gefallen lassen, Sir?«

»So habt ihr die Folgen zu tragen. Wer und was wir sind, und was diese Uniform zu bedeuten hat, das ist euch bekannt. Wer von euch nach der Waffe greift, den schieße ich nieder.«

»Wirklich?« lächelte Old Shatterhand. »So versucht doch einmal, ob Ihr dieses Exempel fertig bringt. Da, seht!«

Er hatte das Gewehr in der Rechten und hielt es par pistolet auf den Offizier gerichtet; zugleich hatte er den einen Revolver gezogen. Ebenso schnell hatten Frank, Davy und Jemmy ihre Waffen bei der Hand.

»Alle Teufel!« rief der Lieutenant, indem er nach dem Gürtel greifen wollte. »Ich – – —«

»Halt!« rief Old Shatterhand ihm donnernd in die Rede. »Hand weg vom Gürtel, Boy! Alle Hände in die Höhe, sonst blitzt es bei uns!«

In Situationen, wie die gegenwärtige, kommt, wenn sie ernst gemeint sind, was hier aber nicht der Fall war, es darauf an, wer zuerst die Waffe schußbereit hat. Dieser fordert den andern auf, die Hände in die Höhe zu halten, um sie so weit wie möglich von den im Gürtel oder in den Taschen steckenden Waffen zu entfernen. Gehorcht der Aufgeforderte dieser Weisung nicht augenblicklich, so ist‘s um ihn geschehen, denn er bekommt die Kugel auf der Stelle. Dies wußte der Offizier und dies wußten auch seine Leute. Im Gefühle ihrer Übermacht und Sicherheit hatten sie es versäumt, die Wehr bei der Hand zu halten, sie sahen die Mündungen von acht Gewehren und Revolvern auf sich gerichtet; sie waren überzeugt, es mit verbrecherischem Gesindel zu thun zu haben, und darum fügten sie sich augenblicklich in den ihnen gewordenen Befehl; sie streckten ihre Hände empor.

Es war eigentlich ein gespaßiger Anblick, so viele gut bewaffnete Kavalleristen mit hoch erhobenen Armen auf ihren Pferden halten zu sehen. Ein leises Lächeln ging über Old Shatterhands stets so ernste Züge, als er jetzt fortfuhr: »So! Was glaubt Ihr nun wohl, Boy, daß wir thun werden?«

»Schießt zu!« antwortete der Lieutenant, an welchen diese Frage gerichtet worden war. »Aber die Rache wird euch verfolgen, bis sie euch eingeholt hat.«

»Pshaw! Was hätten wir davon, wenn wir unsre guten Kugeln an Leute verschwendeten, welche sich von vier vermeintlichen armseligen Strolchen so einschüchtern lassen, daß sie die Arme gen Himmel strecken! Einen Ruhm gewißlich nicht! Ich wollte Euch nur eine gute Lehre erteilen. Ihr seid noch jung und werdet sie gebrauchen können. Seid stets möglichst höflich, Sir! Ein Gentleman läßt sich nicht vom ersten besten, der ihm begegnet, mit »Boy« anreden. Und sodann, straft niemals Leute Lügen, wenn Ihr nicht den Beweis führen könnt, daß sie wirklich Lügner sind; Ihr könntet leicht an den Unrechten kommen, wie gegenwärtige Figura zeigt. Und drittens, wenn Ihr hier im Westen auf Leute trefft, mit denen Ihr nicht zärtlich zu verfahren gedenkt, so nehmt die Gewehre in die Hände; es könnte Euch sonst geschehen, daß Ihr gezwungen wäret, ganz dieselbe Schuljungenstellung einzunehmen, wie im gegenwärtigen Augenblicke. Ihr habt Euch in uns geirrt. Wir sind weder »Boys« noch Lügner. Und nun laßt die Arme wieder sinken; wir haben nicht die Absicht, Euch Löcher in die Haut zu machen!«

Er steckte den Revolver ein und ließ das Gewehr sinken; seine drei Genossen folgten diesem Beispiele. Darauf nahmen die Soldaten die erhobenen Arme nieder. Ihr Offizier stieß in seiner Scham und Wut hervor: »Sir, wie könnt Ihr es wagen, eine solche Komödie mit uns zu spielen! Ihr müßt wissen, daß ich die Macht besitze, Euch dafür zu bestrafen!«

»Die Macht?« fragte Old Shatterhand lachend. »Die Lust, ja, aber die Macht nicht; das habe ich Euch bewiesen. Ich möchte wissen, wie Ihr es anfangen wolltet, uns irgend eine Strafe zu erteilen. Ihr würdet Euch gerade ebenso wie vorhin blamieren.«

»Oho! Jetzt kommt es darauf an, wer zuerst den Revolver in der Hand – – —«

Er kam nicht weiter. Er war wieder mit der Hand nach dem Gürtel gefahren, fühlte sich aber in demselben Augenblicke aus dem Sattel und durch die Luft hinüber zu Old Shatterhand gehoben, welcher ihn quer vor sich auf das Pferd warf, ihm das blitzschnell hervorgezogene Messer auf die Brust setzte und dann, abermals lachend, ausrief: »Sprecht weiter, Sir! Was wolltet Ihr sagen? Es kommt darauf an, wer zuerst den andern bei sich auf dem Sattel liegen hat; nicht wahr, so war es? Sobald einer Eurer Leute sich rührt, fährt Euch meine Klinge in das Herz! Versucht‘s einmal!«

Die Soldaten hielten starr auf ihren Pferden. Eine solche Körperkraft, Gewandtheit und Schnelligkeit hatten sie nicht erwartet; sie waren so betroffen und verblüfft, daß sie vergaßen, daß sie Waffen hatten und sich in der Überzahl befanden.

»Alle tausend Teufel!« schrie der Offizier, wobei er sich aber aus Angst hütete, ein Glied zu bewegen. »Was fällt Euch ein. Laßt mich los!«

»Mir fällt bloß ein, Euch zu beweisen, daß Ihr wirklich an die Falschen geraten seid. Vor so viel Männern, wie ihr seid, fürchten wir uns noch lange nicht. Und wäre es auch eine ganze Eskadron, wir würden dennoch ohne Sorge sein. Stellt Euch hierher und hört höflich an, was ich Euch sagen werde.«

Er nahm ihn beim Kragen, hob ihn mit nur einer Hand vom Pferde und stellte ihn neben dasselbe in das Gras. Dann fuhr er fort: »Habt Ihr vielleicht schon einmal einen von uns gesehen?«

»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er tief Atem holte. Er fühlte einen Grimm in sich, dem er aber keinen Ausdruck zu geben wagte. Er sah sich vor seinen Leuten aufs äußerste blamiert und hätte am liebsten den Säbel gezogen, um ihn Old Shatterhand durch den Leib zu stoßen, doch war er überzeugt, daß ihm der Versuch dazu nicht glücken, sondern wieder schlecht bekommen werde.

»Also nicht?« meinte der Jäger. »Dennoch bin ich überzeugt, daß Ihr uns kennt. Wenigstens werdet Ihr unsre Namen gehört haben. Hat man Euch einmal von Hobble-Frank erzählt? Hier hält er gerade vor Euch.«

»Kenne weder den Mann noch seinen Namen,« murrte der Offizier.

»Aber von dem langen Davy und dem dicken Jemmy habt Ihr gehört?«

»Ja. Sollen es etwa diese beiden sein?«

»Allerdings.«

»Pshaw! Das glaube ich nicht!«

»Wollt Ihr mich etwa wieder Lügen strafen? Das laßt bleiben, Sir! Old Shatterhand pflegt jedes Wort, welches er spricht, beweisen zu können.«

»Old Shat— – —« rief der Lieutenant, indem er einen Schritt zurücktrat und die Augen groß und erstaunt auf den Jäger richtete. Die zweite Silbe des Namens war ihm im Munde stecken geblieben.

Auch bei seinen Leuten war eine Bewegung der Ver- oder vielmehr der Bewunderung zu bemerken. Man hörte einige laute »Ah!«, welche sie willenlos vernehmen ließen.

»Ja, Old Shatterhand,« meinte dieser. »Kennt Ihr diesen Namen?«

»Den kenne ich; den kennen wir alle nur zu gut. Und dieser Mann wollt Ihr – Ihr – Ihr – – sein, Sir?«

Seine Miene drückte, indem er den Jäger mit weit geöffneten Augen maß, seinen Zweifel aus. Aber da fiel sein Blick auf das bereits erwähnte kurzläufige Gewehr mit dem eigenartigen, kugelförmigen Schlosse, und sofort fügte er, indem sein Gesicht eine schnell veränderte Miene zeigte, hinzu: »Behold! Ist das nicht ein Henrystutzen, Sir?«

»Allerdings,« nickte Old Shatterhand: »Kennt Ihr diese Art von Gewehren?«

»Gesehen habe ich noch keins, aber eine genaue Beschreibung hat man mir gegeben. Der Erfinder soll ein sonderbarer Kauz gewesen sein und nur einige angefertigt haben, weil er befürchtete, daß die Indianer und Büffel bald ausgerottet sein würden, falls dieser vielschüssige Stutzen allgemeine Verbreitung fände. Die wenigen Exemplare sind verloren gegangen, und nur Old Shatterhand soll noch eins derselben, das allerletzte, besitzen.«

»Das ist richtig, Sir. Von den elf oder zwölf Henrystutzen, die es überhaupt gegeben hat, ist nur der meinige noch vorhanden; die andern sind im wilden Westen mit ihren Besitzern verschwunden.«

»So seid Ihr also wirklich – wirklich dieser Old Shatterhand, dieser weitberühmte Westmann, welcher den Kopf eines ausgewachsenen Büffelstieres mit den Händen zu Boden drückt und den stärksten Indianer mit der bloßen Faust niederschmettert?«

»Ich habe Euch ja schon gesagt, daß ich es bin. Wenn Ihr noch daran zweifelt, so will ich gern den Beweis antreten. Ich gebe nicht nur Indianern, sondern unter Umständen auch Weißen meine Faust. Wollt Ihr sie haben?«

Er bog sich im Sattel zu dem Offizier herüber und holte mit der geballten Faust wie zum Schlage aus; dieser aber wich schnell zurück und rief: »Ich danke, Sir, ich danke! Da will ich Euch doch lieber Glauben schenken, ohne diesen Beweis abzuwarten. Ich habe nur diesen einen Schädel und wüßte nicht, woher ich, falls er mir zerschlagen würde, einen andern nehmen sollte. Verzeiht, daß ich vorhin nicht sehr höflich gewesen bin! Wir haben alle Veranlassung, gewissen Leuten scharf in das Gesicht zu sehen. Wollt Ihr nicht die Güte haben, uns zu begleiten? Meine Kameraden würden sich nicht nur sehr darüber freuen, sondern es als eine Ehre für sich betrachten, wenn es Euch gefiele, unser Gast zu sein.«

»Wohin?«

»Nach Fort Mormon, wohin wir wollen.«

»Da kann ich Eurer Einladung leider nicht Folge leisten, denn wir müssen nach der entgegengesetzten Richtung, um zu einer bestimmten Stunde mit Freunden zusammenzutreffen.«

»Das thut mir aufrichtig leid. Darf ich fragen, wohin Ihr wollt, Sir?«

»Zunächst nach den Elk Mountains, wie ich Euch schon gesagt habe; von da wollen wir dann nach den Book Mountains hinüber.«

»So muß ich Euch warnen,« meinte der Offizier, welcher jetzt einen so rücksichtsvollen Ton angeschlagen hatte, als ob er vor einem hohen Vorgesetzten stehe.

»Warum? Vor was oder wem?«

»Vor den Roten.«

»Danke! Ich habe die Indianer nicht zu fürchten. Überdies wüßte ich nicht, welche Gefahr von dieser Seite drohen könnte. Die Roten leben ja gerade jetzt in tiefem Frieden mit den Weißen, und zumal die Utahs, mit denen man es hier zu thun hat, haben seit Jahren nichts gethan, was Mißtrauen gegen sie erwecken könnte.«

»Das ist richtig; aber gerade darum sind sie jetzt desto mehr ergrimmt. Wir wissen ganz genau, daß sie seit kurzem die Kriegsbeile ausgegraben haben, und müssen infolgedessen von Mormon- und Indian-Fort aus beständig Patrouille reiten.«

»Wirklich? Davon wissen wir noch nichts.«

»Das glaube ich, denn ihr kommt aus Colorado, bis wohin die Kunde davon noch nicht gedrungen sein kann. Euer Weg führt euch mitten durch das Gebiet der Utahindianer. Ich weiß, daß der Name Old Shatterhand bei den Roten aller Nationen große Macht besitzt; aber nehmt die Sache nicht allzu leicht, Sir! Gerade die Utahs haben alle Veranlassung, gegen die Weißen ergrimmt zu sein.«

»Warum?«

»Es ist eine Gesellschaft von weißen Goldsuchern in eins der Utahlager gebrochen, um Pferde zu rauben; es war des Nachts; aber die Utahs sind erwacht und haben sich zur Wehr gesetzt, wobei viele von ihnen von den weit besser bewaffneten Weißen getötet worden sind. Diese letztern sind mit den Pferden und andern bei dieser Gelegenheit mitgenommenen Gegenständen entkommen; doch haben sich die Roten am Morgen aufgemacht, sie zu verfolgen. Die Räuber wurden ereilt, und es entspann sich ein Kampf, welcher abermals viele Menschenleben gekostet hat. Es sollen dabei gegen sechzig Indianer erschossen worden, aber auch nur sechs Bleichgesichter entkommen sein. Nun schweifen die Utahs umher, um diese sechs zu finden, und zugleich haben sie eine Gesandtschaft nach Fort Union geschickt, welche Schadenersatz verlangen sollte, für jedes Pferd ein andres, für die verlorenen Gegenstände in Summa tausend Dollar und für jeden getöteten Indianer zwei Pferde und ein Gewehr.«

»Das finde ich nicht unbillig. Ist man auf diese Forderungen eingegangen?«

»Nein. Es fällt den Weißen gar nicht ein, den Roten die Berechtigung zu irgend einer Forderung zuzusprechen. Die Gesandtschaft ist unverrichteter Sache heimgekehrt, und infolgedessen sind die Tomahawks ausgegraben worden. Die Utahs stehen in Masse auf, und da wir hier im Territorium leider nicht genug Militär besitzen, um sie mit einem Schlage niederwerfen zu können, so hat man sich nach Verbündeten umgesehen. Es sind einige Offiziere zu den Navajos hinab, um sie gegen die Utahs zu gewinnen, und das ist auch gelungen.«

»Und was ist den Navajos für ihren Beistand geboten worden?«

»Alle Beute, welche sie machen.«

Das Gesicht Old Shatterhands verfinsterte sich, als er dies hörte. Er sagte kopfschüttelnd: »Also erst werden die Utahs überfallen, beraubt und ihrer viele getötet; als sie Bestrafung der Übelthäter und Ersatz verlangen, weist man sie ab, und nun sie die Angelegenheit in die eigenen Hände nehmen, hetzt man die Navajos gegen sie und bezahlt diese letzteren mit der Beute, welche den Beleidigten abgenommen wird! Ist es da ein Wunder zu nennen, wenn sie sich bis zum Äußersten getrieben fühlen? Ihre Erbitterung muß groß sein, und wehe nun allerdings dem Weißen, welcher in ihre Hände fällt!«

»Ich habe nur zu gehorchen und besitze kein Recht, irgend ein Urteil zu fällen. Ich habe Euch diese Mitteilung gemacht, um Euch zu warnen, Sir. Meine Ansichten dürfen nicht die Eurigen sein.«

»Das begreife ich. Nehmt meinen Dank für die Warnung, und wenn Ihr im Fort von der Begegnung mit uns erzählt, so sagt dabei, daß Old Shatterhand kein Feind der Roten ist und es lebhaft bedauert, daß eine reichbegabte Nation zu Grunde gehen muß, weil man ihr keine Zeit läßt, sich nach den Gesetzen menschlicher Kultur natürlich zu entwickeln, sondern von ihr verlangt, sich nur so im Handumdrehen aus einem Jägervolke in eine moderne Staatsgemeinschaft zu verwandeln. Mit ganz demselben Rechte kann man einen Schulknaben umbringen, weil er noch nicht das Geschick und die Kenntnisse besitzt, General oder Professor der Astronomie zu sein. Good bye, Sir!«

Er wendete sein Pferd und ritt, gefolgt von den drei Gefährten, davon, ohne noch einen ferneren Blick auf die Soldaten zu werfen, welche ihm betroffen nachblickten und dann ihren unterbrochenen Ritt fortsetzten. Der Zorn hatte ihn zu seiner letzten und, wie er gar wohl wußte, zwecklosen Rede verleitet; desto schweigsamer verhielt er sich nun jetzt, als er wortlos dem Gedanken nachhing, daß es ganz umsonst ist, den »Bruder Jonathan« darüber zu belehren, daß er keine größere Daseinsberechtigung besitze als der Indianer, welcher von Ort zu Ort, von Stelle zu Stelle getrieben wird, bis er, wie vorauszusehen ist, sein zu Tode gehetztes Dasein unbemitleidet endet.

Es verging eine halbe Stunde, dann erwachte Old Shatterhand aus seinem Grübeln, um seine Aufmerksamkeit dem Horizonte zu widmen, welcher jetzt die Form einer dunklen, immer breiter werdenden Linie angenommen hatte. Die Hand nach demselben ausstreckend, sagte er: »Dort liegt der Wald, von welchem ich gesprochen habe. Gebt euren Pferden die Sporen; dann werden wir ihn in fünf Minuten erreichen.«