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Czytaj książkę: «Am Jenseits», strona 9

Czcionka:

»Ja, unterwegs haben sie die gestohlenen Sachen noch bei sich und können also überführt werden; auch zählen sie da nicht mehr, als gleichviele andere Leute zählen würden. Später aber, in Mekka, werden sie ihren Raub schleunigst verstecken, und außerdem würde eine Anklage gegen sie auch deshalb fast unmöglich sein, weil ihr Anführer ein Schützling des Großscherifs zu sein scheint, was dort von großer Wichtigkeit ist, während es hier unterwegs nicht in die Wagschale fällt. Das bringt mich aber wieder auf meine Frage zurück, mit welcher ich nicht die Gefahren der Wüste an sich gemeint habe.«

»Welche sonst?«

»Es gibt für euch noch andere, viel größere, deren Ursache in dem Hasse zwischen Schiiten und Sunniten liegt. Sobald du das an der Grenze befindliche Meschhed Ali verlassen hast, befindest du dich nicht mehr auf schiitischem Gebiete, und je weiter du dem Wege nach Mekka folgst, desto mehr näherst du dich dem Mittelpunkte der Feindschaft, welche gegen euch gerichtet ist. Die Bewohner Arabiens sind fanatische Sunniten, und dazu kommt, daß besonders die Nomaden unter ihnen jeden Zwang und jede Beeinträchtigung ihrer Freiheit mit rücksichtsloser Energie von sich weisen. Ihr Widerwille richtet sich darum ganz besonders gegen das Militär. Nun kommst du, der Schiit, mit zwanzig Soldaten in die arabische Wüste, in welcher jeder dir begegnende Beduine dich doppelt haßt. Ich bin überzeugt, daß jede Nomadenschar, welche nicht weniger Männer zählt als ihr und darum sich an euch wagen darf, sofort über euch herfallen wird. Hast du das bedacht, als du den jetzigen Ritt begannst?«

»Ja, aber doch so, wie du meinst, eigentlich nicht. Ich glaubte, die Diebe sehr bald zu erreichen.«

»Bei einem Vorsprung von vier Tagen, den sie hatten?«

»Den glaubte ich schnell verringern zu können, denn wir haben die besten Kamele, welche zu haben waren. Sieh mein Hedschihn an, welches Maschurah (Der Berühmte) heißt! Dieser Name sagt zwar viel, aber doch noch nicht genug. Es stammt aus der berühmten Züchterei von Tscharbagh, deren Leiter der Bruder meines Vaters ist; er hat es mir geschenkt; verkäuflich wäre es nie. Du bist ein Kenner. Was sagst du dazu? Es ist doppelt so schnell als eine Bischaristute und hat die ausdauernde Lunge des Adlers. Sein Ahne stammt aus der afrikanischen Bajudawüste, und sein Großvater war der blaugraue Kamelhengst, welchen Mozaffar ed Din, der Emir von Bokhara, in der Schlacht bei Irdschar am Syrdarja ritt. Die beispiellose Schnelligkeit, mit welcher dieser Hengst seinen Herrn bei der Verfolgung rettete, ist dann von Ben Scha‘at, dem Dichter, mit Begeisterung besungen worden.«

»Ich habe noch nie so ein Hedschihn gesehen und es schon im stillen bewundert. Allah bewahre es! Aber was nützt dir die Vortrefflichkeit der Stute, wenn die Hudschuhn der Soldaten nicht ebenso schnell sind? Wenn du berechnet hättest, welche Zeit selbst bei der größten Eile und Ausdauer dazu gehört, einen Vorsprung von vier Tagen auszugleichen, so wäre das Ergebnis gewesen, daß die Verfolgten Mekka doch noch eher erreicht hätten als du. Glücklicherweise aber ist ihnen das Wasser ausgegangen; sie blieben, halb verschmachtet, mehrere Tage liegen und wären zu Grunde gegangen, wenn wir sie nicht angetroffen hätten.«

»Yah‘Ali! Ihr habt sie nicht bloß gesehen, sondern sogar mit ihnen gesprochen?«

»Noch mehr als das: Wir haben eine Nacht bei ihnen gelagert.«

»Sogar gelagert? Effendi, das mußt du mir erzählen, gleich, sofort!«

»Erst noch eine Frage! Wer ist dieser Abgesandte des Großscherifs eigentlich?«

»Hat er es dir nicht gesagt?«

»Ich will es aus deinem Munde hören.«

»Er soll reich, sehr reich sein und wird darum El Ghani genannt. Auch ist er als Scheich el Harah der Gebieter eines Stadtteiles von Mekka. Er gehört der berühmten Familie Qatadah an, ist ein Nachkomme Muhammed Abu Numehjj‘s und heißt Abadilah el Waraka, hört aber diesen Beinamen El Waraka (Der Zettel) nicht gern.«

»Warum nicht?«

»Weil ihm der Name leicht einmal gefährlich werden kann.«

»Ah! Also darum schwieg er davon! Er nannte sich nur El Ghani,

»Und den eigentlichen Namen verschwieg er?«

»Ja. Worin liegt die Gefährlichkeit des Beinamens El Waraka?«

»Um das zu verstehen, müßtest du das Lebendes jetzigen Großscherifs und seinen langen, erbitterten Streit mit Othman Pascha, dem Abgesandten des Sultans, kennen.«

»Ich kenne beides. Der Pascha sollte und wollte Ordnung in die Verwaltung bringen, den Krankheiten, besonders der Pest und der Cholera steuern und vor allen Dingen Sicherheit der Karawanenwege schaffen. Der Großscherif glaubte sich dadurch in seinen Rechten verletzt und weigerte sich, den Pascha anzuerkennen. Es begann zwischen beiden ein erbitterter Kampf, der von seiten des Großscherifs mit allen möglichen, selbst den verwerflichsten Mitteln geführt wurde. So war zum Beispiel einmal an der Moschee zu lesen, daß der Pascha von Allah verflucht sei, und daß jeder, der ihn durch Mord aus der Welt schaffe, ohne Abrechnung, also ohne daß ihm seine Sünden angerechnet würden, Eintritt in die Seligkeit des Paradieses finden werde.«

»Das, das ist es, was ich meine«, fiel der Perser schnell ein. »Diesen Zettel soll El Ghani im Auftrage des Scherifs geschrieben und angeklebt haben, alle Weit weiß das und sagt das und nennt ihn darum Abadilah el Waraka, den Abadilah mit dem Zettel. Er will das nicht dulden, denn wenn ein Beamter des Sultans auf den Gedanken kommt, den Ursprung dieses Namens zu verfolgen, so kann es dem Träger desselben die Freiheit, das Vermögen und auch noch mehr kosten. Und nun bitte ich dich, mir zu erzählen, wie sich euer Zusammentreffen mit ihm zugetragen hat!«

Bei dieser Aufforderung lenkte Halef durch ein sehr demonstratives Hüsteln meine Augen auf sich und sah mich bittend, ja fast flehend an. Erzählt sollte werden, erzählt! Das wurde von mir verlangt und nicht von ihm! Wer da weiß, daß das Erzählen beinahe eine Leidenschaft von ihm war, der kann sich denken, was mir sein Blick sagen sollte. Er war vollständig überzeugt, daß nur er allein das Geschick besitze, eine Begebenheit in der richtigen Weise zu schildern. Selbst mich, dem er doch in jeder andern Weise mehr zutraute als allen andern Menschen, hielt er nicht für befähigt genug, irgend etwas so zu erzählen, wie es sich seiner Ansicht nach gehörte. Und nun gar ein Ereignis, wie dasjenige war, um welches es sich jetzt handelte! Eine Auferstehung von den Toten! Eine Beraubung des schiitischen Heiligtums durch einen sunnitischen Abgesandten des Großscherifs, der dessen Liebling war! Und wer sollte die Erzählung hören? Ein Mann, der eines der höchsten schiitischen Ämter bekleidete und sogar der Freund unseres Freundes Mirza Dschafar war! Waren das nicht mehr als genug Gründe, daß diesen Bericht ein dazu vollständig befähigter Mann zu übernehmen hatte? Und wer war so ein Mann? Nur Hadschi Halef Omar allein, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar! Von jedem andern, auch von mir, war es gewiß, daß er die kostbare Erzählung vollständig verderben werde! Zudem war er vorhin ausgescholten worden und durfte von mir erwarten, daß ich sein Ansehen wiederherstellen werde, was am leichtesten und besten dadurch geschehen konnte, daß ich ihm Gelegenheit gab, das Licht seiner Beredsamkeit leuchten zu lassen. Dieser letztere Grund bewog mich, ihm einen gewährenden Wink zu geben. Er begann denn auch sofort und in frohem Tone seine Rede:

»In welcher Weise sich unsere Begegnung mit ihnen zugetragen hat, willst du wissen? Ich werde dir es genau so berichten, wie es sich ereignet hat, und bin überzeugt, daß du meiner Rede mit andächtiger Bewunderung folgen wirst. Allah schenkte jedem Menschen einen Mund und eine Zunge; nicht allen aber ist die köstliche Gabe verliehen, aus diesem Munde mit Hilfe dieser Zunge die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ereignisse der Welt— und aller anderen Geschichte in so schöner und so vollständiger, ungestörter Ordnung hervorlaufen zu lassen, wie die Gesetze der Kunst und die Regeln der wohlklingenden Sprachfertigkeit es verlangen. Ich fordere dich also auf, ergebenst zuzuhören und mich nicht zu unterbrechen!«

Ich muß gestehen, daß wir jetzt allerdings ein Meisterstück zu hören bekamen, freilich ein Meisterstück nach Halefs Art. Er verstand es, das Unbewegliche beweglich und das Tote lebendig zu machen; alles bekam durch ihn Gestalt, Farbe und Inhalt; er wußte selbst das einfachste, und wenn es nur das Sandkorn der Wüste war, in einer Weise zu beschreiben, die ihm Interesse verlieh. Natürlich wurde der Sperling zum Albatros und der Tropfen zur Uberschwemmung umgewandelt. Aus Hanneh machte er eine Göttin, aus mir wenigstens einen Halbgott, aber aus sich eines jener unbegreiflichen, paradiesischen Wesen, wie sie, alle Mächte, Kräfte und Gesetze beherrschend, in der Poesie des Morgenlandes leben und Wunder über Wunder tun. Es wurde mir himmelangst, wie der Perser diese Schilderung aufnehmen werde. Glücklicherweise war er Orientale, verstand es also, das wirklich Wahre herauszufühlen, und hörte dem, was der Phantasie entsprang, mit jener stillen, in den Augen strahlenden Begeisterung zu, welche im Abendlande nur dem gläubigen Kinde beim Märchenerzählen eigen ist.

Als Halef geendet hatte, sah er ihn mit einem zur Äußerung fordernden Blicke an, und als der Agha trotzdem schwieg, weil er sich nicht so schnell wie der Erzähler in die Wirklichkeit zurückfinden konnte, fragte dieser:

»Nun, was sagst du dazu? Hast du schon jemals solche Taten vernommen und schon jemals in der wohlgesetzten Rede eines Hakawati (Erzählers) so herrliche Poesie gehört? Begreifst du diese Kijahma, diese Auferstehung eines Toten, der noch gar nicht gestorben war, und wieder zur Erde zurückgekehrt ist, obgleich er sie noch gar nicht ganz verlassen hatte?«

»Ja, du bist ein sehr guter, ein ausgezeichneter Erzähler, wie ich noch selten einen gehört habe«, antwortete der Gefragte allen Ernstes. »Man könnte dir den ganzen Tag zuhören, ohne nur einen Augenblick zu ermüden.«

Das war ein Lob, welches ihm noch höher, viel höher stand, als wenn man sich über seine Klugheit, seinen Mut und seine Tapferkeit gewundert hätte. Er wendete sich im Sattel um und rief Hanneh, welche uns, von ihrem Sohne begleitet, in einiger Entfernung vor den Haddedihn folgte, zu:

»Jetzt hättest du hören sollen, was der Khutub Agha sagte, o Hanneh, du schönste Blume auf allen Beeten der beseligenden Weiblichkeit! Er meint, ich sei ein unvergleichlicher Erzähler, dem man von heut an bis zum jüngsten Tage zuhören könne, ohne sich nur ein einziges Mal nach den Freuden des Paradieses zu sehnen! So wird also der Getadelte gelobt, der Erniedrigte erhöht und das Genie endlich in seiner ganzen Erhabenheit und Größe anerkannt! O Hanneh, mein geliebtes Weib, o Kara Ben Halef, mein gehorsamer Sohn, eifert eurem Gatten und Vater immer nach, dann werdet ihr vielleicht denselben Ruhm erwerben und einst nur scheinbar sterben, sonst aber ganz wohlbehalten auf die Nachwelt kommen. Allah, der Behüter und Bewahrer, gebe es!«

»Du fragtest mich«, fuhr zu ihm der Perser in seinem Gedankengange fort, »ob ich diese Kijahma begreifen könne. Diese Mekkaner sind fast zwei Monate lang bei uns in Meschhed Ali gewesen, und wenn es da auch nicht vorgekommen ist, daß Ei Münedschi in das Grab gelegt wurde, so haben wir ihn doch oft stundenlang starr wie eine Leiche gesehen, bis seine Seele wieder zu ihm kam. Auch ist er oft im Schlafe gewandelt, ohne zu wissen, was er tat und wo er sich befand.«

»Durfte man da auf ihn einsprechen?« erkundigte ich mich.

»Wir haben es getan.«

»Wachte er davon auf?«

»Nein. Er gab Antworten, die wir oft gar nicht, oft nur halb und selten ganz verstanden, und wenn dann seine Seele zurückkehrte, kam er zum Bewußtsein, doch nur für einen Augenblick, denn er legte sich dann um und schlief ein, als ob die Abwesenheit seiner Seele ihn angestrengt habe und er sich davon erholen müsse.«

»Geschah das ohne Aufsicht?«

»Nein, denn El Ghani war stets dabei und bewachte ihn. Er zeigte ihn den Leuten und erlaubte, daß sie Fragen an ihn richteten, die der Münedschi beantwortete. Die Antworten klangen oft so wunderbar, als ob sie aus einer andern Welt, nicht von der Erde kämen, und dann wieder waren sie so leichtverständlich, daß jedes Kind gleich wußte, was er meinte. Er wurde besonders nach Mitteln gegen Krankheiten gefragt und nach allerlei heimlichen Dingen, die man durch ihn entdecken wollte. El Ghani ließ sich dafür mit Silber und sogar mit Gold bezahlen und hat von den vielen Pilgern, weiche die heiligen Stätten der Schiiten ja zu Tausenden besuchen und seine Wohnung ohne Aufhören belagerten, so viel Geld eingenommen, daß er es nicht nach Mekka schaffen konnte, sondern es bei einem Sarraf (Wechsler, Bankier) gegen einen Schein umtauschte.«

»Ah, er ließ den Blinden also für Geld sehen?«

»Ja. »

»So nützt er ihn also als immerwährend fließende und reiche Einnahmequelle aus! Nun ist mir seine sogenannte Mildtätigkeit gegen den Münedschi ja ganz klar. Ich traute ihr gleich anfangs nicht! Er wird das in Mekka ebenso und mit noch größerem Erfolge machen, ohne daß der Kranke es ahnt. Er behält ihn bei sich wie einen Gefangenen und nützt ihn aus, soviel er kann. Nun weiß ich auch, warum er den alten, gebrechlichen Mann mit nach Meschhed Ali genommen hat; als Dolmetscher, hat er ihm weisgemacht. Der eigentliche Grund war aber, daß er auch dort Geld mit ihm verdienen wollte, und weil er ihn doch nicht in Mekka lassen konnte. Er hätte ihn einstweilen andern Leuten anvertrauen müssen, durch welche dem Blinden der eigentliche, wahre Grund der Wohltätigkeit seines vermeintlichen Beschützers verraten worden wäre. Um das zu verhüten, mußte er ihn bei sich behalten und ihn also mitnehmen. Also du meinst, daß dieser bedauernswerte alte Mann von dem in Meschhed Ali verübten Diebstahle nichts weiß?«

»Er ist höchstwahrscheinlich unschuldig. Vielleicht erzähle ich dir noch, wie alles zugegangen ist, denn vor Kara Ben Nemsi brauche ich, obgleich er Christ ist, die Geheimnisse des Heiligtumes nicht so streng verschlossen zu halten wie vor andern Laien, und dann wirst du auch dieser meiner Meinung sein. Ich glaube sogar, der Alte würde uns gewarnt haben, wenn er gewußt hätte, daß wir bestohlen werden sollen. Ich weiß nicht, wie du als Christ seinen Zustand erklärst, wahrscheinlich als Krankheit, denn du hast ihn »den Kranken« genannt; ich als Moslem aber bin überzeugt, daß er von Geistern besessen ist, und zwar von guten, nicht von bösen, denn alles, was er sagt und was er tut, ist fromm und gut. Es freut mich, daß er sich nicht mehr bei El Ghani, sondern bei euch befindet; da ist er in sicherer Hut, und wenn ich den »Liebling des Großscherifs« einholen werde, kann ich mit ihm so streng verfahren, wie es mir beliebt, ohne auf den alten, unschuldigen Münedschi Rücksicht nehmen zu müssen!«

»Was wirst du mit ihnen tun, wenn es dir gelingt, sie festzunehmen?«

»Ich werde sie nach Meschhed Ali schaffen.«

»Und wenn sie sich wehren?«

»So schieße ich sie nieder. Das ist dir wohl zu streng?«

»Ich bin hier weder Ankläger noch Richter noch sonst irgendwie beteiligt und kann also keine Meinung haben. Gibt es vielleicht noch eine Frage, weiche wir dir beantworten könnten?«

»Nein. Wenn ich noch einen Wunsch finde, so werde ich ihn später aussprechen.«

»Wann?«

»Heut abend.«

»Wo?«

»Am Bir Hilu, wo wir doch wieder zusammentreffen.«

»So willst du dich vorher von uns trennen?«

»Natürlich, und zwar sogleich, denn ihr reitet mir zu langsam. Oder willst du deiner Karawane vorausreiten und mich begleiten? Ich brauche dir wohl nicht erst zu versichern, Effendi, daß mir das außerordentlich lieb sein würde.«

»Erlaube, daß ich bei den Haddedihn bleibe! Ich gehöre jetzt zu ihnen; auch ist es stets mein Grundsatz gewesen, mich nicht in Dinge zu mischen, die mir fernliegen. Daß das Heiligtum von Meschhed Ali bestohlen worden ist, geht mich nichts an, und mit dem Ghani habe ich einstweilen auch nichts mehr zu tun; es ist also gar kein Grund vorhanden, mich an der Jagd nach den Dieben zu beteiligen.«

»Auch nicht aus Rücksicht für mich?«

»Auch nicht. Diese Rücksicht verbietet mir im Gegenteil, dich zu begleiten.«

»Wieso?«

»Durch meine Beteiligung würde ich, zwar nicht in Worten, aber durch die Tat, der Ansicht Ausdruck geben, als ob du nur mit meiner Hilfe imstande seist, die Aufgabe, welche du dir gestellt hast, zu erfüllen, während ich doch der festen Überzeugung bin, daß du ganz der Mann bist, das auszuführen, was du dir vorgenommen hast. Habe ich recht?«

Ich sah ihm an, daß er zufrieden mit dieser meiner Äußerung war und sich geschmeichelt fühlte. Er antwortete:

»Ja, du hast recht, Effendi, ich bitte dich also, zurückzubleiben. Aber heute abend werden wir euch ganz bestimmt am Brunnen Hilu wiedersehen?«

»Ja. Ich bin, wie gesagt, überzeugt, daß wir die Diebe als deine Gefangenen finden werden.«

»Ganz gewiß, falls wir sie überhaupt noch dort treffen.«

»Sie werden nirgends anders sein, denn sie müssen wegen des Wassers hin. Und sie werden auch dort bleiben, weil sie zu schwach und angegriffen sind, um von dort aus noch weiterzureiten. Es ist viel eher möglich, daß ihr sie noch vor dem Bir Hilu einholt, als daß ihr gezwungen seid, ihnen von dort aus noch weiter nachzureiten. Das eine nur gestatte ich mir, dir zu sagen: Sei ja dafür besorgt, daß sie nicht fliehen, wenn sie euch von weitem kommen sehen und dich etwa erkennen!«

»Das denke ja nicht! Wir werden wie ein Wetter über ihnen sein. Nun Allah mich durch euch den richtigen Weg hat finden lassen, werde ich nicht so sorglos sein, ihnen Gelegenheit zum Entkommen zu geben. Jetzt erlaube, daß ich für einstweilen Abschied von euch nehme. Den Dank, den ich euch schuldig bin, werde ich euch später sagen!«

Er rief seinen Führer und die Soldaten herbei und eilte mit ihnen fort. Wir sahen sie noch einige Zeit vor uns auf den Hügelhöhen und in den Tiefen auf— und niedertauchen, bis sie sich so weit entfernt hatten, daß wir sie nicht mehr erkennen konnten. Da sagte Hadschi Halef zu mir:

»Sihdi, wäre es nicht besser gewesen, du hättest seinen Wunsch, mit ihm zu reiten, erfüllt?«

»Warum?«

»Du wärest gewiß nicht allein mit ihm gegangen, sondern hättest mich mitgenommen. Und dann wäre es für uns doch eine wahre Wonne gewesen, mit dabeisein zu können, wenn diesen ebenso stolzen wie dummen, räuberischen Mekkanern der Hochmut ausgetrieben wird!«

»Hättest du deine Hanneh wirklich verlassen, Halef?«

»Warum nicht? Es hätte sich doch nur um wenige Stunden gehandelt, und sie steht unter dem Schutze meines Sohnes und von fünfzig tapfern Kriegern.«

»Wenn du diese wenigen Stunden noch wartest, ist es dann noch immer Zeit genug, dich an dem Anblicke der mekkanischen Demut zu laben. Und wenn ich meine Emmeh hier in der Arabischen Wüste bei mir hätte, würde die Gegenwart von hundert Kriegern mir nicht den Vorwand geben können, sie nur auf eine Stunde zu verlassen. Unsere gemeinschaftlichen Erlebnisse müssen dich ja genugsam belehrt haben, daß die Gefahr meist plötzlich und ganz unerwartet kommt und oft größer ist, als man es für möglich gehalten hat. Nein, wir bleiben bei deiner Hanneh. Mit El Ghani kommen wir noch zeitig genug zu sprechen!«

Damit war sein Wunsch beiseite gebracht. Selbstverständlich lieferte uns nun das Zusammentreffen mit dem Perser ein hochinteressantes Gesprächsthema, weiches Halef mit Hanneh und seinem Sohne auf das eingehendste behandelte, wobei er sehr bestrebt war, zu verhüten, daß der von ihm gemachte Fehler berührt wurde. Dieses Vorhaben gelang ihm auch vollständig.

Die Mittagszeit war vorüber, und die Sonne hatte den Scheitelpunkt ihres Tagesbogens hinter sich. Die Hitze hatte ihren höchsten Grad erreicht, und so machten wir Halt, um die Kamele nicht zu sehr anzustrengen, sondern ihnen eine kurze Rast zu gönnen.

Der Münedschi erwachte, als wir ihn aus dem Sattel hoben, nicht aus seinem schlafähnlichen Zustande, fiel aber sonderbarerweise nicht um, als wir ihn auf die dazu ausgebreitete Decke setzten. Es schien also trotz seiner Geistesabwesenheit eine Art seelisches Prinzip vorhanden zu sein, durch welches die Bewegung seines Körpers beeinflußt wurde. Während er im übrigen vollständig regungslos wie eine aus Holz geschnitzte Figur dasaß, ahmten seine Lippen von Zeit zu Zeit, als habe er einen Tschibuk im Munde, das Tabakrauchen nach. Das sah trotz seiner Ehrwürdigkeit fast lächerlich aus, doch war die Teilnahme für ihn eine so ernstliche, daß sich auf keinem Gesichte ein Lächeln zeigte.

Da breitete er plötzlich die Arme nach beiden Seiten aus, als ob er sich rechts und links festhalten wolle. Ich griff schnell zu und stützte ihn, sonst wäre er umgefallen. Er tat einen tiefen, tiefen Atemzug, bewegte den Kopf, als ob er sich im Kreise umsehen wolle, und fragte dann:

»Wo sind wir jetzt?«

»Vier Reitstunden im Norden des Bir Hilu«, antwortete ich.

»Wer seid ihr? Meine Gefährten seid ihr nicht.«

»Wir sind die Haddedihn, welche dich heut früh aus dem Grabe genommen haben.

Da richtete er, dem Klange meiner Stimme folgend, die weitgeöffneten, strahlenden Augen auf mich und sagte:

»Ja, ich besinne mich. Ich bin nicht mehr bei El Ghani, sondern bei euch, und du bist der Gelehrte aus dem Wadi Draha; ich erkenne dich am Klange deiner Rede. Ich war nicht hier bei euch, sondern an einem hohen, lichtherrlichen Orte und habe deinen Schutzengel gesehen. Er heißt Marrya (Marie) und befahl mir, dich zu grüßen. Seine Wohnung schmiegt sich an die Stufen von Allahs Thron; seine Gestalt ist Schönheit, sein Gewand Weisheit, seine Stimme Sanftmut und sein Blick Liebe, Liebe, nichts als Liebe. Ich sah seine Hände ausgebreitet über dir, und Glaube, Zuversicht und Gottestreue floß von ihnen auf dich hernieder. Ich sah dich selbst in zwei verschiedenen Gestalten, welche gegeneinander kämpften; die eine war dunkel, wie der Schatten der Nacht, weicher sich gegen die Morgenröte empört, die andere heil und rein, wie das sanfte Licht, welches um christliche Altäre leuchtet. Die dunkle bestand aus deinen Fehlern, die du noch nicht überwunden hast, die lichte aus den Gedanken und Gefühlen, weiche du der Vervollkommnung und dem Himmel weihst. Die finstere war stark, gewandt und listig, die helle aber mächtiger als sie, gewappnet mit dem Schilde der göttlichen Gnade und mit dem Schwerte der Willensfestigkeit. Und indem ich sie miteinander ringen sah, hörte ich die Stimme deines Engels: Bange nicht für ihn, denn er wird siegen und immer reiner werden, bis das Dunkel sich ganz in Licht verwandelt hat. Er kann nicht unterliegen, denn er weiß, ich schütze ihn!‘ Um dir diese Worte des Herrlichen zu sagen, kehrte ich zu dir zurück; ich besinne mich!«

Er hatte in einem Tone gesprochen, als ob derartige befremdende Mitteilungen für ihn gar nichts Besonderes seien. Es hatte zwar nicht handwerksmäßig wie zum Beispiel bei einer Kartenlegerin geklungen, aber doch gewohnheitsartig und dabei unbefangen und überzeugt. Ich schwieg, denn ich wußte wirklich nicht, was ich darauf sagen sollte. Er schien aber auch gar keine Antwort zu erwarten, denn seine soeben an einem »hohen, lichtherrlichen Orte« gewesenen Gedanken beschäftigten sich sofort mit etwas sehr Materiellem:

»Gebt mir Tabak!« bat er, indem er seine Pfeife aus der Tasche nahm.

Wir erfüllten ihm diesen Wunsch, und er begann mit demselben, fast gierigen Eifer zu rauchen, den ich schon an ihm beobachtet hatte. Infolge unsers Gespräches mit dem Perser drängten sich mir einige Fragen auf, welche ich dem Blinden vorzulegen hatte. Ich wartete, bis sein starkes Qualmen und der dabei hochbefriedigte Ausdruck seines Gesichtes mir bewiesen, daß »seine Seele jetzt ganz bei ihm« sei, und erkundigte mich dann:

»Sagtest du mir nicht, daß El Ghani dich des Persischen wegen als Dolmetscher mit nach Meschhed Ali genommen habe?«

»Ja, das sagte ich, und es ist auch so«, antwortete er.

»So hast du ihn dort auf allen seinen Wegen und Ausgängen begleiten müssen?«

»Nein, denn ich bin ja blind. Wenn er ausging, fand er ja überall Leute, mit denen er sprechen konnte, weil sie arabisch oder türkisch verstanden.«

»So wäre es für ihn eigentlich gar nicht nötig gewesen, dich mitzunehmen!«

»O doch! Denn wenn er daheim war, bekam er oft Besucher, welche persisch sprachen; dann brauchte er mich.«

»Du bekamst aber auch wohl Besuche, wenn er ausgegangen war?«

»Nein, denn er schloß mich ein, und er tat sehr recht daran, denn ein blinder Mann ist an einem fremden Orte, gar wie Meschhed Ali, wo ganze Scharen von Pilgern verkehren, unter denen sich auch böse Menschen befinden, vielen Gefahren ausgesetzt.«

»In Mekka verkehren noch mehr Pilger als in der Stadt der Schiiten; also wirst du wohl dort auch eingeschlossen?«

»Ja, stets.«

»Ist dir das nicht langweilig?«

»Nein, denn es besuchen mich viele, viele Leute, und ich gehe auch zuweilen mit El Ghani, meinem Wohltäter, aus.«

»Diese vielen Leute besuchen dich jedenfalls wegen deiner Gelehrsamkeit?«

»Sie kommen meist, um wichtige religiöse Fragen auszusprechen, weiche ich ihnen beantworten soll. Ich weiß aber dann später nur ganz seiten, was ich gesagt habe, denn ich verliere das Bewußtsein und komme gewöhnlich erst wieder zu mir, wenn sie fortgegangen sind.«

»Was während deiner Bewußtlosigkeit geschieht, das weißt du nicht?«

»Ich sehe in alle Zeiten, die vergangene, gegenwärtige und zukünftige. Ich sehe Orte, welche der Erde angehören, und Orte, welche nicht auf ihr liegen. Nur alles, was mich selbst betrifft, was sich auf meine Person bezieht, das sehe ich nicht.«

»Höchst sonderbar, daß dir grad das verborgen bleibt, was dich am meisten interessieren muß!«

»Ich bin zufrieden, denn Ben Nur, der mir diese Zeiten und diese Orte zeigt, will es nicht anders.«

»Erfährt El Ghani alles, was du da zu sehen und zu hören bekommst?«

»Ich sage ihm vieles davon, aber er glaubt es nicht. Er lächelt nur immer, wenn ich ihm sage, daß ich im Lande der Abgeschiedenen gewesen sei; du aber würdest es mir glauben!«

»Irre dich nicht! Auch der Muhammedaner hält die Bibel für ein heiliges Buch, denn Muhammed hat aus demselben geschöpft und erklärt die Propheten der Bibel für wirkliche Propheten. Und dieses heilige Buch verbietet, daß man die Toten frage!«

»Wenn ich nicht auf der Erde bin, so sind es nicht die Toten, sondern die Lebenden, bei denen ich mich befinde, und wenn ich rede, so spreche ich nur mit Ben Nur, der kein Verstorbener ist. Niemand braucht sich zu scheuen, das zu hören, was meine Seele hört. Wenn ich dir sage, was ich sehe, so brauchst du auch dein Weib, dein Kind nicht fortzuweisen, denn es sind gute, reine, lautere Himmelsstimmen, die sich meiner Lippen bedienen. Ich bin nicht Stern, Traum oder Zeichendeuter, sondern seit ich hilflos geworden bin durch die Blindheit meiner Augen, gehöre ich zu den Armen und Unmündigen, denen offenbar wird, was den Reichen und Klugen verborgen ist. Ich bin weder ein Geisterseher noch ein Prophet, kein Lügner und auch kein Phantast; ich bin weiter nichts als ein in der Wüste verlorenes Schaf, welches seinen Hirten sucht. Wenn mich da die Aufmerksamkeit meiner Sehnsucht die Stimmen der Wüste hören läßt, die sonst niemand hört, und wenn mein Durst aus weiter Ferne die Feuchtigkeit des Wassers spürt, welche die Glücklichen nicht empfinden, die bei dem Hirten an der Quelle liegen, so mögen wohl sie von Selbstbetrug und Täuschung sprechen, ich aber lasse mir diese Stimmen und diesen feuchten Hauch als Führer aus der Verlassenheit zum Brunnen dienen. Ich wollte gegen dich schweigen, denn du warst mir fremd; aber nun ich dich im Kampfe, den ich dir beschrieb, gesehen habe, ist es mir, als müßtest grad du, der mich aus dem Grabe geholt hat, alles wissen, was ich jenseits desselben liegen sehe. Fürchte dich nicht! Es entspringt daraus kein Schaden für deine Seele und für deinen Glauben, sondern es wird dir dadurch die herrliche Erkenntnis gegeben, daß die Liebe der Ursprung alles Bestehenden ist und daß nur sie allein den Weg zum irdischen Glücke und zum Paradiese zeigt!«

»Hast auch du die Liebe?« fragte ich ihn, als er jetzt schwieg, fast genauso, wie ich ihn heut früh nach der Erklärung des Alispruches gefragt hatte.

»Ich habe sie und finde sie doch nicht«, antwortete er. »Kannst du das begreifen?«

»Ja.«

»Indem du dieses Ja aussprichst, denkst du an die Gegenliebe; sie ist es aber nicht, die ich meine, und doch meine ich auch sie. Du wirst mich freilich nicht verstehen!«

»Ich verstehe dich. Es gibt nicht Liebe und Gegenliebe, also Liebe hin und Liebe her. Die Liebe ist eins, ist unteilbar.«

»Das ist richtig, o wie so richtig! Die Liebe ist eine Gotteskraft, ist die Gotteskraft; sie kann nicht wie mit dem Messer zerschnitten werden, so daß jeder einzelne Mensch einen für ihn bestimmten Teil bekommt, der nun keine andere als nur seine Liebe ist. Zu sagen, ich liebe meine Mutter, ich liebe mein Kind, ist falsch, denn die Liebe, die wahre Liebe, läßt sich nicht begrenzen, nicht auf Personen beschränken; Liebe ist Leben, und Leben ist Liebe. Wie du sagst, ich lebe, so mußt du auch sagen, ich liebe. Und wie es unrichtig sein würde, zu sagen, ich lebe meinem Freund, so ist es auch nicht richtig, zu sagen, ich liebe meinen Freund. Die wahre Liebe kennt nicht ihr Gegenteil, kennt nicht den Haß; sie umfängt alle Wesen; sie kann kein einziges ausschließen, und wer diese wirkliche, diese Gottesliebe besitzt, von dem kann also nicht gesagt werden, daß er seinen Bruder, seine Schwester, daß er einen einzelnen Menschen liebe. Du lebst. Kannst du dieses dein Leben zerteilen? Du liebst, Kannst du diese deine Liebe zerlegen? Wenn du einen Menschen liebst, weil er dir nahesteht, und den andern, fernen nicht, so denke ja nicht, daß dies Liebe sei. Die Liebe kennt kein Weil‘ und kein ,Warum‘, kennt überhaupt keinen Grund als nur sich selbst. Nun wundere dich nicht, wenn ich dir deine Frage zurückgebe: Hast du die Liebe? Hast du diese wirkliche, diese richtige Liebe?«

Er richtete die toten und doch so hellen Augen auf mich. Es sollte der Ausdruck der Frage in ihnen liegen , aber der Blick war leer und inhaltslos wie die Herzen der Millionen, welche so viel von Liebe sprechen, ohne sie zu besitzen. Seine Frage, obwohl es genau dieselbe war, mußte mich, den Christen, ganz anders treffen, als die meinige ihn, den Muhammedaner, hatte treffen können. Da er mich für einen Anhänger des Islam halten sollte, durfte ich nicht von der Liebe sprechen, welche Christus lehrt; da ich aber doch etwas sagen mußte, weil aller Augen jetzt auf mich gerichtet waren, so antwortete ich: