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Czytaj książkę: «Am Jenseits», strona 19

Czcionka:

Ich hätte mich wirklich in größter Verlegenheit befunden, was ich auf diese nur zu wohlbegründeten Vorwürfe antworten sollte, wenn mir nicht, dies ahnend, der wackere Hadschi schnell beigesprungen wäre:

»Was fällt dir ein, meinen Effendi so schwer zu beleidigen! Kann er dafür und trägt etwa er die Schuld daran, daß diese Sure bei so vielen Christen nicht da wohnt, wo sie wohnen soll? Ich sage dir, er schreibt Bücher, weiche gedruckt und dann von vielen Tausenden gelesen werden. Er braucht nur ein einziges Mal die Bitte hineinzubringen, daß sie einig sein und sich einander lieben sollen, so tun sie es sofort und auch von ganzem Herzen gern! Ich weiß das so gewiß, wie ich überzeugt bin, daß diese Liebe ihn und mich verbindet!«

Er hielt inne, uni den Eindruck seiner Verteidigung zu beobachten. Was aber dachte ich? Ich war still, sehr still!

Lieber Halef! Und wenn ich auch mit Engetszungen redete und meine Bücher mit einer Engelsfeder schriebe, meine Worte würden doch erfolglos verklingen, bis die Zeit kommt, welche kommen wird und kommen muß, weil sie die Zeit der Verheißung ist. Es wird dann nur ein Hirte und eine Herde sein! Aber wann? Sollen wir die Hände wartend in den Schoß legen und Gott allein walten lassen? Können wir denn nichts, gar nichts tun, diese Einigung herbeizuführen?!

Der Perser antwortete nichts. Er sah wohl ein, daß sein Vorwurf mich persönlich hatte treffen müssen, obwohl das nicht von ihm beabsichtigt gewesen war, darum fuhr der Hadschi in zwar milderem aber doch nachdenklichem Tone fort:

»Was verstehst du überhaupt vom Christentum! Kennst du das Kitab el mukaddas (Bibel) der Christen?«

»Nein«, gestand der Oberaufseher.

»Hast du es gelesen und studiert?«

»Wenn ich das hätte, würde ich es doch kennen!«

»So kannst du also auch nicht über die Christen sprechen. Den Kuran kennst du; also ist es dir erlaubt, von der gegenseitigen Feindschaft seiner Bekenner zu reden, und die ist so groß, daß du dich gar nicht um die Christen zu bekümmern brauchst!«

Da klang es hinter den Vorhängen des Tachtirwan hervor:

»El Mizan, el Mizan, die Waage der Gerechtigkeit!«

Hanneh schlief also auch noch nicht. Sie hatte alles gehört und rief ihrem »Gebieter« jetzt das Mahnwort zu.

»Was ist‘s mit El Mizan?« fragte er.

»Hast du den Effendi nicht gebeten, dich mit diesem Worte zu warnen, wenn du zornig wirst?«

»Ja, das habe ich allerdings.«

»Darum habe ich es dir zugerufen, denn du bist jetzt gegen Khutub Agha, den Basch Nazyr von Meschhed Ali, unwillig gewesen!«

Da antwortete er in seinem freundlichsten Tone:

»O Hanneh, du anmutigste der schönen Lieblichkeiten,‘ nimm meinen Dank für die Aufmerksamkeit, welche du deinem Halef erweisest! Doch bitte ich dich um die Erlaubnis, dir mitzuteilen, daß du nicht der Effendi bist. Er allein ist‘s, der mich warnen soll; das ist ein Recht für ihn, welches du ihm nicht nehmen darfst. Wenn zwei Personen an meinem Zorne rütteln, so wird er größer anstatt kleiner. Und außerdem war es gar kein Zorn, sondern die Liebe und Freundschaft, weiche mir gebieten, mich dessen anzunehmen, dem in Gemeinschaft mit dir und unserm Sohne mein ganzes Herz gehört. Und nun versuch‘, zu schlafen, du Liebling meiner Seele! Das ist für dich und mich ja stets das beste, was du tun kannst, wenn du mich für zornig hältst, Leletak mubaraka – es sei deine Nacht gesegnet. Amin – amen!«

Sie entgegnete nichts, sondern antwortete nur mit einem kurzen, lustigen Lachen, welches er so gerne von ihr hörte. Dann sagte er leise zu uns:

»Horcht! Sie lacht! Wie hübsch und gut das klingt, wenn eine brave, liebende Frau fröhlich ist! Es gibt Weiber, welche stets die Gesichter des sauren Essigs machen. Genau so wie ihr Äußeres ist bei ihnen auch ihr Inneres, das einem verfinsterten Zelte gleicht, in welchem man nicht findet, was man sucht; sie verwandeln den Tag ihres Lebens für sich und andere in Nacht. Das Gemüt einer heitern Frau aber ist der Quell des lichten, warmen Sonnenscheins für ihren Mann, für ihre Kinder und auch für alle, mit denen sie in Berührung kommt. So einen Quell des Frohsinns und des Glückes habe ich in meinem Frauenzelte. Allah segne Hanneh, deren Herz der Ursprung ist, aus welchem er fließt! Sie wird nun schlafen. Wollen wir das nicht auch tun, Sihdi? Die Nacht ist kurz, und wer weiß, weiche Anstrengungen uns der morgige Tag bringt!«

Er hatte recht, obgleich er ebenso wenig wie wir ahnte, daß dieser Tag ein viel bewegterer für uns werden sollte, als wir jetzt dachten. Wir versuchten, die durch Ben Nur in uns erweckten, lebhaften Vorstellungen zur Ruhe zu bringen, was uns schließlich auch gelang, wir schliefen ein. Aber die Sorge weckte mich schon wieder auf, als der Morgen sich im Osten durch seinen immer heller werdenden Schein verkündete. Halef, Hanneh, Kara, der Münedschi und der Perser schliefen noch. Ich weckte sie nicht, stand auf und entfernte mich mit leisen Schritten, um zunächst die Kette unserer Posten abzugehen. Da erfuhr ich, daß die Nacht ohne jedwede Störung vergangen war; es hatte sich kein Ben Khalid sehen oder hören lassen. Hierauf ging ich nach dem Brunnenplatze und erfuhr zu meiner Genugtuung, daß unsere Kamele und Pferde alle getränkt worden waren. Das Wasser war nicht schlecht, wie ja schon der Name des Brunnens sagte Bir Hilu bedeutet »süßer Brunnen« – und so konnten wir ihnen heut einen ausgiebigen Ritt zumuten. Der Scheik der Beni Khalid und die Mekkaner hatten nicht geschlafen, was allerdings auch ganz erklärlich war. Die letzteren verhielten sich still, doch war ihnen der Grimm über ihre Lage sehr deutlich anzusehen, und aus den Augen EI Ghanis blickte mir ein Haß entgegen, welcher mich sofort getötet hätte, wenn es wirkliche und nicht bloß seelische Blitze gewesen wären. Tawil Ben Schahid aber war dieser Schweigsamkeit nicht fähig. Kaum sah er mich herantreten, so herrschte er mich an

»Binde mich augenblicklich los! Ich hoffe, du hast während der Nacht eingesehen, daß euer gewalttätiges Verhalten die schlimmsten Folgen für euch nach sich ziehen muß!«

»Nein, das habe ich nicht eingesehen«, antwortete ich.

»So hat Allah, um euch zu verderben, dich so geblendet, daß du die Folgen nicht zu erkennen vermagst! Sagst du dir denn nicht, daß meine Krieger nun kommen werden?«

»Das werden sie allerdings«, lächelte ich.

»Sie werden sehen, daß ich gefangen bin!«

»Ja, vielleicht!«

»Sie werden, sie müssen es ja sehen!«

»Wenn wir ihnen erlauben, hierherzukommen, ja.«

»Wenn ihr es ihnen nicht erlaubt, werden sie es erzwingen. Dann befreien sie mich und fallen über euch her!«

»So? Wirklich? Mir scheint, nicht mich, sondern dich hat Allah geblendet. Wenn nur ein einziger deiner Krieger es wagen sollte, sich feindlich gegen uns zu verhalten, so wird er an dir zum Mörder, denn ich jage dir in diesem Falle eine Kugel in den Kopf!«

»Das wagst du nicht, ganz gewiß nicht, denn mein Tod könnte euch nicht retten, sondern er würde das über euch hereinbrechende Verderben nur beschleunigen!«

»Das wollen wir ruhig abwarten. Zunächst scheinen sie noch zu schlafen, was leider kein Beweis dafür ist, daß sie mit so großer Treue an dir hängen, wie du mich glauben machen willst. Wenn sie dich wirklich liebten und nur eine Spur des gewöhnlichsten Scharfsinnes besäßen, hätten sie sich schon längst sagen müssen, daß es hier nicht ganz sicher um dich steht. Sie mögen also kommen; wir fürchten uns nicht vor ihnen!«

Er hatte in seinem Zorne so überlaut gesprochen, daß seine Stimme über den Platz hinübertönte und Halef aufweckte. Er sah mich hier bei den Gefangenen stehen, stand auf und kam herüber. Dadurch wurden die Blicke der Gefangenen auf ihn und nach der Stelle gezogen, wo wir gelegen hatten, und da es inzwischen hell genug dazu geworden war, so sahen sie den Blinden, weicher in seiner sitzenden Stellung mit dem Oberkörper noch schlafend an dem Felsen lehnte. Ich bemerkte dies und war gespannt darauf, wie sie sich nun verhalten würden.

Der »Liebling des Großscherifs« riß seine Augen so weit wie möglich auf und rief mit dem Ausdrucke der größten Überraschung:

»Wer – wer – – – wer ist das? Wer liegt dort an der Felsenwand?«

Sein Sohn war ebenso betroffen. Förmlich aufschreiend, antwortete er:

»Maschallah! Welch ein Wunder ist geschehen! Das ist ja der Münedschi, der gestorben ist!«

»Nicht nur gestorben ist er, sondern sogar auch begraben worden!« fügte der Vater hinzu. »Diese – – diese Hunde der Haddedihn haben sein Grab geschändet und ihn herausgenommen!«

Halef hatte mich inzwischen erreicht. Als er das Wort Hunde hörte, wendete er sich schnell um; er wollte wieder fort.

»Wohin, Halef?« fragte ich.

»Wieder hinüber«, antwortete er. »Ich habe meine Kurbadsch da drüben liegen lassen. Dieser Kerl hat uns Hunde genannt!«

»El Mizan, el Mizan, Halef! Denke an die Waage der Gerechtigkeit!«

Da drehte er sich mir wieder zu und sprach in gelassenem Tone:

»Ganz richtig, Sihdi! Ich dachte nicht daran. Der Schlaf hat mich um den Zusammenhang mit der gestrigen Stunde des Todes gebracht; du aber weckst in mir die Erinnerung an meine Vorsätze.«

Hierauf wendete er sich an El Ghani und sagte in ironischer Weise:

»Ja, wir haben ihn ausgegraben und seine Leiche mit uns geschleppt! Diese ist dann gestern abend von dort drüben zu euch herübergelaufen und hat nicht nur die Arme und die Beine bewegt, sondern sogar zu euch und uns gesprochen! Ihr seid ja außerordentlich kluge Menschen!«

Da sah der Mekkaner seine Gedankenlosigkeit ein und rief, mit allerdings nicht weniger Erstaunen:

»So ist er gar nicht gestorben, gar nicht tot gewesen! Allah, Allah, Allah!«

»Ja! Aber ihr seid so dumm, so hirnverbrannt gewesen, ihn lebendig zu begraben. Ihr habt über einen Lebenden die heiligen Gebete des Todes gesprochen!«

»Dafür konnten wir nicht! Er war starr; wir mußten ihn für tot halten!«

»Warum haben aber wir diesen Fehler nicht gemacht? Wir bemerkten sofort, daß er noch lebte!«

»Weil er wahrscheinlich grad in dem Augenblicke, als ihr zu ihm kamt, wieder erwachte; du hast mit deinen Vorwürfen zu schweigen!«

»Du willst mir verbieten, zu sagen, was mir beliebt? Mache dich doch nicht lächerlich! Ihr wußtet, daß seine Seele ihn zuweilen verläßt, und hättet also auf ihre Rückkehr warten sollen. Wir wußten das nicht und haben ihn dennoch aus dem Grabe genommen. Ihr habt euch als seine Mörder zu betrachten, obgleich wir ihm das Leben gerettet haben!«

Da richtete El Ghani einen besorgt forschenden Blick auf Halef und fragte:

»Hat er mit euch gesprochen?«

»Ja.«

»Gleich am Grabe?«

»Ja.«

»Dann später auch?«

»Auch.«

»War er dabei wach oder abwesend?«

»Beides.«

»Hat er von mir gesprochen?«

»Sehr viel.«

»Was hat er gesagt?«

»Das hat er zu uns gesagt und nicht zu dir. Wir behalten es also für uns.«

»Ich will und muß es aber wissen!«

»Und wir müssen, wollen und werden aber darüber schweigen!«

»Ich werde euch zwingen, zu reden, wenn die Beni Khalid gekommen sind!«

»Versuche das; ich habe nichts dagegen. Da ich aber grad guter Laune bin, will ich dir folgendes sagen: Viel Gutes kann kein Mensch von dir berichten, er also auch nicht!«

»So hat er euch angelogen. Er gehört zu uns. Bringt ihn zu uns herüber!«

»Das wollen wir uns doch erst überlegen. So viel wir wissen, ist er nicht dein Sklave, sondern sein eigener Herr, der tun kann, was er will.«

»So weckt ihn auf, und sagt ihm, daß ich ihn hier bei mir haben will!«

»Mensch, denke ja nicht, daß du nur zu befehlen brauchest, so müsse es geschehen l Er verdankt uns das Leben und gehört nun also zu uns, aber nicht zu euch!«

Die Besorgnis des Mekkaners schien zu wachsen. Es klang, als stehe er im Begriffe, ganz außer sich zu geraten, so aufgeregt rief er aus:

»Zu mir, zu mir gehört er! Ich habe ihm tausendfältige Wohltaten erwiesen, für die er mir die größte Dankbarkeit und Anhänglichkeit schuldet. Ich kann nicht dulden, daß er bei fremden Leuten ist. Er muß unbedingt herüber!«

»Wirklich unbedingt?«

»Ja, unbedingt und augenblicklich! Er darf keine Minute mehr bei euch sein!«

»Keine Minute? So! Du hast wahrscheinlich sehr große Angst vor uns?«

»Angst? Warum? Wieso?«

»Weil das, was wir von ihm hören können, vielleicht gefährlich für dich ist.«

»Gefährlich?« lachte er höhnisch auf, doch klang dieses Lachen sehr gezwungen.

»Jawohl, gefährlich!« nickte Halef. »Dein Gewissen ist jedenfalls nicht rein!«

»Bekümmere dich um die Reinheit des deinigen! Schickst du ihn herüber?«

»Nein.«

»So wirst du gleich sehen, was ich tue. Ich wecke ihn. Da kommt er jedenfalls!«

Er schrie mit aller Stärke seiner Stimme den Namen des Blinden über den Platz hinüber. Der Gerufene wachte auf und richtete sich horchend empor.

»Schweig augenblicklich! Kein Wort weiter!« befahl da Halef, indem er sein Messer zog und es gegen den Ghani zückte. »Rufst du noch ein einziges Mal, so schweigt dein Mund für immer!«

Diese Drohung klang so energisch und überzeugend, daß sie ihren Zweck erreichte; der Mekkaner sank in sich zurück und war nun still. Halef gab so, daß dieser es hörte, den strengen Befehl, ihn augenblicklich zu erstechen, wenn er wieder rufe. Dann wendete er sich zu mir:

»Hanneh ist wach geworden. Sie wird uns den Kaffee bereiten. Komm!«

Auch ich sah, daß die »schönste Besitzerin der Frauenzelte« ihre Sänfte verlassen hatte und sich mit dem Kochgeschirr beschäftigte. Einige kaffeedürstende Haddedihn waren schnell bereit, ihr Brennmaterial zu bringen und ein Feuer anzuzünden. Indem wir langsam zu ihr hinübergingen und uns also niemand hörte, fragte der kleine Hadschi:

»Habe ich das jetzt recht gemacht, Sihdi?«

»Hm!« machte ich.

»Brumme nicht, sondern sprich deutlich! Bist du etwa im Zweifel?«

»Ja.«

»Warum?«

»Du hältst es wohl gar nicht für möglich, daß der Münedschi wieder zu seinen Gefährten will? Ich schließe das nämlich aus deinem Verhalten.«

»Aus meinem Verhalten? Das verstehe ich nicht. Wie meinst du das?«

»Du hast den Ghani glauben lassen, daß der Münedschi uns von ihm Mitteilungen gemacht habe, die er nicht hätte machen sollen.«

»Was schadet das? Ich wollte ihn ärgern, und das ist mir gelungen.«

»Das ist ein Erfolg, dessen du dich gar nicht rühmen solltest, Halef!«

»Nicht? Aus welchem Grunde?«

»Erstens ist es nicht edel, Menschen zu ärgern. Und zweitens hast du damit unserm Schützlinge, dem Münedschi, keinen guten Dienst erwiesen. Das Mißtrauen, welches du zwischen ihm und dem Ghani gestreut hast, kann diesem armen Blinden schlimme Früchte bringen, wenn er darauf besteht, sich seinen früheren Gefährten wieder zuzugesellen. Ich meine, daß du das nicht hättest tun sollen!«

»Hm – – —hm – ! Du hörst, daß jetzt ich es bin, der brummt, und zwar brumme ich nicht über dich, sondern über mich, denn ich sehe ein, daß ich dir diesen deinen Vorwurf nicht widerlegen kann. Ich bin nicht nur unedel, sondern auch unvorsichtig gewesen. Warum hast du mich nicht mit dem vereinbarten Wort gewarnt?«

»Weil ich das gleich einen Augenblick vorher schon getan hatte.«

»Ja, das war aber nur wegen der Peitsche, nicht des Sprechens wegen!«

»So, so! Es würde dir also nicht lästig sein, von mir in einer Minute nochmal gewarnt zu werden?«

»O doch, sogar sehr! Ich sehe ein, daß ich mich noch viel, viel mehr zusammenzunehmen habe, als ich dachte. Weißt du, Sihdi, der Mensch ist doch ein außerordentlich schwaches Geschöpf, und ich, dein alter, unvorsichtiger Halef, gehöre wohl zur allerschwächsten Sorte. Nicht?«

»Diese Frage ist unnütz, denn da du es selbst einsiehst, brauchst du ja meine Antwort nicht. Komm zu Hanneh! Sie hat dir gewinkt.«

Er eilte mir voraus, um diesem Winke zu folgen. Sie hatte mit ihm zu sprechen, da sie natürlich wissen wollte, wo wir gestern noch so spät gewesen waren und was wir getan hatten. Kara gesellte sich ihnen zu; ich aber ging zu dem Perser, der auch vom Schlafe erwacht war und in der Nähe des Münedschi saß. Als ich mich bei ihnen niedergelassen hatte und mit dem Basch Nazyr sprach, erkannte mich der Blinde an der Stimme und fragte:

»Irre ich mich, wenn ich denke, daß der Effendi aus dem Wadi Draha bei mir ist?«

»Nein, du irrst dich nicht«, antwortete ich ihm. »Ich bin es.«

»Wer ist noch da?«

»Ein Freund von dir und mir, welcher zu unserer Schar gehört.«

»Besitzt er dein Vertrauen?«

»Ja.«

»So darf er vernehmen, was ich dir zu sagen habe?«

»Ich weiß zwar noch nicht, was du mir sagen willst, habe aber ganz und gar keinen Grund, ihm mein Vertrauen zu verweigern.«

»Welche Tageszeit haben wir jetzt? Es scheint heil zu sein.«

»Ja; es ist frühmorgens. Die Sonne wird in kurzer Zeit erscheinen.«

»Wann war es, als ihr mich fandet?«

»Gestern.«

»Nicht länger? So betrifft also das, was ich dir sagen will, unser gestriges Gespräch. Ich sollte vielleicht lieber schweigen, aber es liegt ein mir wohlbekannter Trieb in mir, zu dir zu reden. Dieser Drang ist mir stets der Beweis, daß Ben Nur, der Sohn des Lichtes, es will. Dieser Name ist dir doch bekannt?«

»Ja.«

»Und du weißt, daß er meine Seele oft nach Orten führt, welche nicht hier auf der Erde liegen?«

»Ich weiß es.«

»So will ich dir mitteilen, daß er in der vergangenen Nacht auch wieder bei mir; gewesen ist, und daß ich die Erde mit ihm verlassen habe.«

»Wo warst du mit ihm?«

»In der Todesstunde.«

»Das ist doch eine Zeit, aber kein Ort.«

»Das habe ich bisher auch gedacht; nun aber weiß ich es besser. In dieser Nacht war sie für mich ein Ort, an welchem ich mit Ben Nur auf einem hohen Steine stand, um die Seelen der Sterbenden an mir voruberziehen zu sehen. Ich sehe ihn noch jetzt so deutlich vor mir, daß ich ihn dir ganz genau beschreiben kann.«

Er tat dies, und seine Schilderung stimmte ganz genau mit dem überein, was wir gestern auf dem Felsen gehört hatten. Uns, seine Begleiter, erwähnte er gar nicht. Darum fragte ich:

»Warst du ganz allein an dieser sonderbaren Stelle?«

»Ich und Ben Nur.«

»Niemand weiter?«

»Nein.«

»Von wo hat er dich abgeholt?«

»Natürlich von hier, wo ich jetzt sitze.«

»Hast du die Erde direkt von hier aus verlassen, oder bist du erst an einem andern Orte gewesen?«

»Direkt von hier aus. Willst du vielleicht hören, was und wen ich alles durch die Türen der Mauer habe kommen sehen?

»Ja; ich bitte dich darum, es uns zu erzählen.«

Er wußte also nicht, wer bei ihm gewesen war, und daß wir ihn hinaus nach dem Felsen begleitet hatten, der von ihm und uns erstiegen worden war. Und nun begann er seinen Bericht. Er beschrieb uns die einzelnen Scharen der Seelen ganz in derselben Reihenfolge und in derselben Weise, wie Ben Nur sie ihm gestern gezeigt hatte. Nur war alles viel kürzer, nicht so ausführlich; er wußte zwar den Sinn, aber die Worte nicht, welche von dem »Sohn des Lichtes« gesprochen worden waren. Als er zu Ende gekommen war, fragte ich ihn:

»Bist du überzeugt, daß dies ein wirkliches Gesicht gewesen ist?«

»Ja, vollständig überzeugt«, antwortete er.

»Kein Traum?«

»Kein Traum?! Ich träume zwar manchmal auch, weiß aber meine Träume so genau von meinen Gesichtern zu unterscheiden, daß ein Irrtum gar nicht möglich ist.«

»Ist die Grenze oder der Unterschied zwischen Traum und Gesicht so scharf, so bemerkbar, daß du beide wirklich nicht verwechseln kannst?«

»Ja. Ich kann sogar zwischen Traum und Traum unterscheiden. Es gibt Träume, weiche einfach nur die Fortsetzung der letzten Gedanken sind, mit denen man sich vor dem wirklichen Einschlafen beschäftigt; diese haben nichts zu bedeuten. Und es gibt noch andere, weiche eingegeben worden sind. Wenn Ben Nur mir etwas sagen will, was er mir in keiner andern Weise mitteilen kann, so sagt er es mir im Traume. Nach dem Erwachen weiß ich dann, daß ich nicht mit ihm fortgewesen bin, sondern nur geträumt habe, daß aber dieser Traum sein beabsichtigtes Werk und keine Folge meiner Gedanken war. Und ebenso täusche ich mich nie, wenn ich weiß, daß meine Seele den Körper verlassen hat und wo sie dann gewesen ist. Ja, in der ersten Zeit, als ich es noch nicht gewöhnt war und keine Übung in der Unterscheidung hatte, da kam zuweilen ein Irrtum vor, jetzt aber nie mehr.«

»Du glaubst also an alles, was du bei solchen Führungen siehst?«

»Ja.«

»Auch an alles, was du da hörst?«

»Ja, obgleich mir dieser Glaube oft schwer wird.«

»Glaubst du, was Ben Nur dir heute in der Nacht gesagt hat?«

»Auch das! Und doch ist es mir wohl noch niemals so schwer wie grad dieses Mal geworden, ihm Glauben zu schenken.«

»Warum?«

»Weil es so viele, viele waren, von denen er sagte, daß sie über den Abgrund des Verderbens gelangen würden.«

»Wie kann dich die Frage, ob es viele oder wenige waren, stören?«

»Weil ich selbst in meinem ganzen, langen Leben nur einen einzigen Menschen gefunden habe, von dem ich unbedingt überzeugt bin, daß die Pforte der Seligkeit ihm geöffnet sein wird. Was für eine große. reiche Fülle von Liebe, Güte und Barmherzigkeit muß von allen denen hier im Leben ausgeflossen sein, welche Ben Nur mir als für den Himmel Bestimmte bezeichnete! Und ich habe nie, nie Liebe gefunden, dieses eine, einzige Mal nur ausgenommen!«

»Aber du hattest doch Eltern?!«

»Sie liebten mich nicht!«

»Geschwister?«

»Sie haßten mich!«

»Freunde?«

»Sie nannten sich so, waren es aber nicht!«

»Ein Weib?«

»Sie war eine Heuchlerin!«

»Kinder?«

»Die hatte ich nicht; Allah sei tausend, tausendmal Dank dafür! Denn wenn ich auch Kinder gehabt hätte und von ihnen ebenso betrogen worden wäre wie von den andern, die mich haßten und hintergingen, so lebte ich schon längst nicht mehr und wäre infolge der Rache, die ich genommen hätte, von der Brücke des Todes in den Abgrund des Verderbens gestürzt! Glaubst du, daß ich nach allem, was ich erlebt und erduldet habe, noch der Liebe fähig sein kann?«

»Ja.«

»Allah segne deinen guten Glauben, denn während du nur an mich zu glauben meinst, glaubst du an die Menschheit! Ja, ich halte die Liebe noch im Herzen fest, dieses Einen, Einen wegen, bei dem ich Liebe gefunden habe. Er nahm sich in seiner selbstlosen Barmherzigkeit meiner an und hat mich dadurch von der Verzweiflung, von dem diesseitigen und dem jenseitigen Verderben gerettet! Seine Liebe ist es, die mir das bereits verlorene Vertrauen zur Menschheit und den Glauben an sie wiedergegeben hat. Frage mich nicht, warum ich grad gegen dich so aufrichtig bin! Es liegt in mir; es treibt mich, dir das zu sagen, obwohl ich weiß, daß auch du die Weit und mein Geschick nicht anders machen kannst. Ich habe nach Liebe vergeblich gesucht, so lange ich denken kann. Ich habe sie gesucht bei Gott, bei den Menschen, im Leben, in der Kirche – – —«

»In der Kirche?« fragte ich.

»Ja, in der Kirche. Ich will es dir nicht verschweigen, daß ich Christ gewesen bin. Dir als Moslem ist es ja ganz gleich, ob ich dem Islam seit meiner Kindheit oder erst seit kurzem angehöre.«

»Was hat dich veranlaßt, aus der christlichen Kirche zu treten?«

»Eben mein vergebliches Suchen nach Liebe. Lerne sie nur kennen, diese Christen! Wie sie sich getrennt haben in Sekten, Konfessionen und viele anders genannte Abteilungen, von denen jede behauptet, daß ihre Angehörigen allein selig werden! Wie sie sich hassen, sich anfeinden, sich verleumden und verfolgen! Wie sie sich gegenseitig nach den Fehlern spüren, um einander so viel wie möglich herabsetzen und in Schaden bringen zu können! Weiche Freude, welchen Hohn, weiche Selbstherrlichkeit gibt es da, wenn wieder einmal ein Fehler entdeckt worden ist! Dazu kam die Traurigkeit meiner persönlichen Erfahrungen, meines eigenen Schicksales. Ich mochte nichts mehr wissen von einem Glauben, welcher Liebe lehrt, während seine Bekenner die – lieblosesten Menschen des ganzen Erdballes sind. Die Bibel der Christen sagt, daß man den Menschen an seinen Werken erkenne, und aber ich sagte, daß auch der Glaube an seinen Früchten, an seinen Werken zu erkennen sei, und da diese Früchte nichts als Haß, Streit, Neid und Egoismus waren, so war es kein großer, kein schwerer Entschluß von mir, in der Moschee zu suchen, was ich in der Kirche nicht fand.«

»Und hast du es da gefunden?« fragte ich.

Wie gern, wie so sehr gern hätte ich ihn noch ganz anders gefragt und ihn einmal so recht fest zwischen meine Hände genommen! Aber ich mußte mich auf diese eine kurze Frage beschränken, denn zu weiten Auseinandersetzungen war jetzt keine Zeit, und da ich zu verschweigen hatte, daß ich ein Christ war, so mußte ich darauf bedacht sein, mein Herz nicht mit dem Verstande durchgehen zu lassen. Er war ein Überläufer, und man weiß ja, daß der Fanatismus bei den Renegaten am größten und gefährlichsten ist. Er antwortete nicht gleich, sondern erst nach einer Weile:

»Ich habe dieses Gespräch mit dir nicht begonnen, um das Christentum mit dem Islam zu vergleichen. Du hast ja bereits gehört, daß ich nur einen einzigen Menschen gefunden habe, der mir das entgegenbrachte, was ich suchte – – —Liebe. Diesem Manne habe ich es zu verdanken, daß ich überhaupt noch existiere; er hat mich materiell, geistig und seelisch neu geschaffen, und so habe ich mich ihm ergeben, mit allem was ich bin und was ich habe, mit meinem Körper, meinen Herzen, meiner Seele, meinem ganzen Leben!«

»Und wer ist dieser Mann?«

»Abadilah.«

»Der Schech ei Harah von Mekka, den man El Ghani nennt?«

»Ja. Ich will dich etwas fragen. Darf ich?«

»Ja.«

»Wirst du mir die Wahrheit sagen?«

»Ich lüge nicht.«

»Versprich es mir!«

»Ich gebe dir hiermit mein Wort!«

Ich gab ihm dieses Versprechen, obwohl ich vermutete, daß er beabsichtige, nach dem Ghani zu fragen. Wie unendlich leid tat mir dieser arme, alte, blinde Mann! Daß er vom Christentum zum Islam übergetreten war, hielt ich natürlich für die größte Sünde seines ganzen Lebens, aber ich war es nicht, der darüber zu rechten und zu richten hatte. Vor mir saß er hier und jetzt nicht als Renegat, sondern als unglücklicher Mensch, und da mußte ich ein unbeschreibliches Mitleid mit ihm fühlen. Der, dem er sich, wie er selbst sagte, mit seinem Körper, seinem Herzen, seiner Seele, seinem ganzen Leben ergeben hatte, war ein Schurke, ein Halunke, von dem er in einer Weise ausgebeutet wurde, für weiche das Wort abscheulich noch viel zu mild, zu rücksichtsvoll klang! Durfte ich ihm sagen, was geschehen war und was wir von dem, den er so liebte und verehrte, wußten? Mußte ich ihn nicht schonen? Konnte ihn diese letzte, größte aller Täuschungen nicht sofort in den Abgrund werfen, den Ben Nur ihm gestern gezeigt hatte?

»Ich habe vorhin die Stimme meines Beschützers, meines Wohltäters, meines einzigen Freundes gehört«, fuhr er fort. »Sag, ist er hier?«

»Ja«, antwortete ich.

»Hier am Bir Hilu?«

»Ja.«

»Hat er mich gesehen?«

»Erst vorhin, als er dich rief.«

»Warum kommt er nicht her zu mir?«

»Er und seine Begleiter hielten dich für tot; sie haben dich begraben und sind hierhergeritten. Sie erschraken, als sie dich so plötzlich sahen; sie hielten dich für einen Geist.«

Während ich mit diesen Worten hin und her lavierte, suchte ich nach einer Weise, ihm die Wahrheit so schonend wie möglich, und zwar allmählich, mitzuteilen. Der Perser rückte auf seinem Platze ungeduldig hin und her. Er dachte jetzt nicht an die Pflicht gegen den Blinden, sondern nur an den Diebstahl und an die Behandlung, die ihm geworden war. Ich bat ihn durch einen Blick, sich zu beherrschen, fand aber leider keine Erhörung.

»Ich bin kein Geist, kein Gespenst«, sagte der Alte. »Ich will ihn bei mir haben, ihn, seinen Sohn und auch die andern. Ruft sie her!«

Da brach der Basch Nazyr los:

»Her zu uns? Das fällt uns gar nicht ein!«

Ich sah ihm die Entschlossenheit, ohne Beschönigung zu reden, an und hielt es für das beste, jetzt still zu sein.

»Nicht? Warum nicht?« fragte der Münedschi.

»Ehrliche Leute sitzen nicht mit Schurken zusammen!«

»Schurken? Wen meinst du mit diesem Worte?«

»Den Ghani und seine ganze Diebesbande.«

»Die – – —bes – – – ban – – – – de? Habe ich richtig gehört?«

»Du hast ganz richtig gehört.«

»Ein Schurke soll er sein? Ein Dieb?! Entweder treibst du einen grausamen Scherz mit mir, oder du befindest dich in einem Irrtum, wie es größer gar keinen geben kann!«

»Ich treibe weder Scherz, noch irre ich mich. Ich spreche im Ernste, und was ich sage, das ist die volle Wahrheit!«

»Nein, die Wahrheit kann es nicht sein!«

»Die ist es, denn wir haben die Beweise in den Händen!«

»Welche Beweise?«

»Die Sachen, welche er gestohlen hat und ihm von uns wieder abgenommen worden sind.«

»Wo – – —und was – – was soll er gestohlen haben?«

»Er hat den Kanz el A‘da in Meschhed Ali beraubt. Ich, der Basch Nazyr dieses Schatzes, bin euch mit meinen Soldaten bis hierher nachgeritten und habe die Diebe und die Gegenstände alle hier erwischt!«

Da war der Blinde still. Seine Finger bewegten sich krampfhaft, als ob sich zwischen ihnen etwas befinde, was bis auf die kleinste Faser zerrissen und zerzaust werden müsse. Erst nach längerer Zeit wendete er mir das Gesicht zu, öffnete die strahlend scheinenden Augen und sagte:

»Effendi, bist du noch da?«

»Ja.«

»Ich will mit dir reden, nur mit dir, mit diesem andern nicht, kein Wort mehr! Ich beschwöre dich bei Allah, bei dem Khalifen, bei dem Kuran, bei allem überhaupt, was dir heilig ist! Wirst du mir die Wahrheit sagen?«

»Ja.«

»So sprich! Befinden sich meine Begleiter wirklich als ertappte Diebe bei euch?«

»Leider, ja.«

»Erzähle mir, wie das gekommen ist! Aber füge ja nichts hinzu, und laß auch nichts weg!«

Ich folgte dieser Aufforderung in der Weise, wie es die Rücksicht auf ihn mit sich brachte. Er hörte mir zu, ohne mich mit einem Worte zu unterbrechen, und saß dann, nachdem ich geendet hatte, wieder eine ganze Weile still da. Ich sah, daß nicht nur seine Hände, sondern alle seine Glieder leise zitterten. Er war innerlich furchtbar aufgeregt. Ich wartete mit mehr als bloßer Spannung darauf, was für einen Entschluß er fassen werde. Da endlich sagte er:

»Effendi, wirst du tun, um was ich dich jetzt bitte?«

»Das kann ich doch nicht wissen!«

»Ich werde um nichts bitten, was du mir nicht erfüllen kannst. Es ist sogar sehr leicht für euch.«

»Sage es!«

»Der Ghani ist euer Gefangener?«

»Ja.«

»Erlaube, daß ich zu ihm gehe und auch gefangen bin!«

Ich hatte dies und nichts anderes erwartet. Durfte ich ihm diesen Wunsch erfüllen? Durfte ich es ihm verweigern? Als ich mit meinem Bescheide zögerte, fuhr er fort:

»Ich gebe dir mein Wort, ja meinen Schwur, daß ich tun werde, was ich will, obgleich ich blind bin und den Ghani nicht sehen kann. Ihr könnt mich nur dadurch hindern, daß ihr mir Fesseln anlegt. Tut ihr das aber nicht, so gehe ich zu ihm. Ihr braucht ihn mir nicht zu zeigen. Ich rufe, und wenn er antwortet, wird mich seine Stimme zu ihm führen. Nun sag also, was du beschlossen hast!«