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Karl Bruckmaier Diese Scheibe ist ein Hit Ein Versuch über das Unvergängliche

Der Autor

Impressum

Karl Bruckmaier

Diese Scheibe ist ein Hit

Ein Versuch über das Unvergängliche

Karl Dall gewidmet

In Tokyo I’ve got it made

In Tokyo I’m on the Hit Parade

Gruppo Sportivo

Die Sonne geht auf. Die Sonne geht unter. Die Sonne geht auf. Die Sonne geht unter. Am ersten Tag haben wir gehungert. Am zweiten Tag haben wir den Hyänen etwas Aas stibitzt. So war dieser Tag also deutlich besser als der davor.

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So sieht sie also aus, die vermutlich erste Bestenliste der Menschheitsgeschichte. Zwei kurze Striche für die Ewigkeit in einer Höhle bei Bourdieu in Südfrankreich. Und unserem Vorfahren mit dem verkohlten Ast in der Hand – nennen wir ihn Pierre – sind wir bis heute ähnlich: Wir können kaum bis drei zählen, sind aber fasziniert von Listen, Rangordnungen, Aufzählungen. Wir suchen gleichzeitig das Ähnliche und feiern den Unterschied – same same but different.

Während Pierre als Nächstes eine Liste mit leckeren Höhlensnacks kontempliert – Platz 1: Sciurus vulgaris, Platz 2: Apodemus sylvaticus –, wird er vom drittgefährlichsten Raubtier seiner Zeit – Ursus spelaeus – hinterrücks gemeuchelt und gefressen, übrigens Todesursache Nummer 1 jener gleichförmigen Tage. Was die Soziologie um einige Zehntausend Jahre zurückgeworfen hat.

Zeitsprung: Am 15. Tag des Jahres 2021 erfahre ich in einem Nachruf auf den Gitarristen Sylvain Sylvain, dass »Personality Crisis«, ein Song der New York Dolls, Platz 267 auf der Liste der besten Lieder aller Zeiten einnimmt. Das zugehörige Album The New York Dolls aus dem Jahr 1973 nimmt Platz 301 auf der Liste der 500 besten Rock-Alben aller Zeiten ein. Aller Zeiten! Pierres Geist nickt. In der Liste der besten Gitarristen aller Zeiten kann ich Sylvain Sylvain aber nicht finden. Sonst hätte ihn seinerzeit vielleicht Mick Jagger, Platz 16 auf der Liste der besten Sänger, als Ersatz für Mick Taylor angeheuert: »Wir werden zweifellos einen brillanten, blonden, einsachtzig großen Gitarristen finden, der sich selber schminken kann.« Pierres Geist nickt. Vermutlich, weil er ein wenig aussieht wie Ron Wood, seit gut 40 Jahren der schwarzhaarige, einsfünfundsiebzig große Nachfolger Taylors bei den Rolling Stones, Platz 4 in der Liste der besten Bands und Musiker aller Zeiten. Diese Viertbesten sind 2020 mit dem wiederveröffentlichten Album Goats Head Soup von 1973 zur Nummer 1 in den Hitparaden von Österreich und dem United Kingdom avanciert, was einem den letzten Restglauben an Schwarm- und Schwärmerintelligenz rauben kann: Eine Platte, deren bekanntester Song die Ballade »Angie« ist und deren Kauf ein jeder Fan der Stones seinerzeit schon bereut hat – geht’s noch?

Nun, es geht seit 1936, als in den USA die ersten Listen mit Musik, geordnet nach Schallplattenverkaufszahlen, veröffentlicht wurden. Seither gilt es, in die Charts zu kommen. »Und wenn euch der Rhythmus packt, dann klatscht alle mit im Takt.« Und diesen Takt haben Pink Floyd musikalisiert in ihrem ebenfalls 1973 erschienenen Song »Money«, wo die Registrierkassen die konsumkritischen Tänzer einpeitschen, als wäre man selbst im Lande Pop versessen auf stalinistische Militärparaden. Heute, in Zeiten der extremen Diversifizierung von Hit-Listen, in Zeiten personalisierter Algorithmen, die jedem Kunden eines Streaming-Dienstes sein ganz privat scheinendes Musikuniversum erschließen, in Zeiten, in denen Zeitgenossenschaft durch Zeitgleichheit eliminiert wird, wohnt diesen eigentlich durch und durch kommerziellen Auskünften, die Hitparaden erteilen, etwas charmant Menschliches, zuzeiten auch Nostalgisches inne – so als würde man durch eine Wunderkammer streifen, jene Vorläufer unserer Museen also, die wie die Charts vergangener Jahrzehnte nebeneinander präsentieren, was nicht nebeneinander gehört: Muschel neben Koralle neben präpariertem Elefantenfuß neben missgebildetem Fötus. Roy Black neben Deep Purple neben Heino neben Joni Mitchell.

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