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Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens

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Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens
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Karl Binding †

Während des Druckes dieser Schrift ist Geh. Rat Binding abgerufen worden; das Echo, welches seine Ausführungen finden werden, antwortet der Stimme eines Toten.

Ich darf bekunden, daß die Fragen, mit denen unsere Abhandlung sich beschäftigt, dem Verstorbenen Gegenstand eines von lebhaftestem Verantwortungsgefühl und tiefer Menschenliebe getragenen Nachdenkens gewesen sind.

Mir persönlich wird die Erinnerung an die Stunden der gemeinsamen Arbeit mit dem Feuerkopf voll kühlscharfen Verstandes immer ein wehmütig stimmender Besitz bleiben.

Freiburg i. Br., den 10. April 1920.
Hoche.

I
Rechtliche Ausführung

von
Professor Dr. jur. et phil. Karl Binding
Für die zweite Auflage durchgesehen
von Paul Binding

Ich wage am Ende meines Lebens mich noch zu einer Frage zu äußern, die lange Jahre mein Denken beschäftigt hat, an der aber die meisten scheu vorübergehen, weil sie als heikel und ihre Lösung als schwierig empfunden wird, so daß nicht mit Unrecht gesagt werden konnte, es handle sich hier »um einen starren Punkt in unseren moralischen und sozialen Anschauungen«.1

Sie geht dahin: soll die unverbotene Lebensvernichtung, wie nach heutigem Rechte – vom Notstand abgesehen – , auf die Selbsttötung des Menschen beschränkt bleiben, oder soll sie eine gesetzliche Erweiterung auf Tötungen von Nebenmenschen erfahren und in welchem Umfange?

Ihre Behandlung führt uns von Fallgruppe zu Fallgruppe, deren Lage jeden von uns aufs tiefste erschüttert. Um so notwendiger ist es, nicht dem Affekt, andererseits nicht der übertriebenen Bedenklichkeit das entscheidende Wort zu überlassen, sondern es auf Grund bedächtiger rechtlicher Erwägung der Gründe für und der Bedenken gegen die Bejahung der Frage zu finden. Nur auf solch fester Grundlage kann weiter gebaut werden.

Ich lege demnach auf strenge juristische Behandlung das größte Gewicht. Gerade deshalb kann den festen Ausgangspunkt für uns nur das geltende Recht bilden: wieweit ist denn heute – wieder vom Notstande abgesehen – die Tötung der Menschen freigegeben, und was muß denn darunter verstanden werden? Den Gegensatz der »Freigabe« bildet die Anerkennung von Tötungsrechten.

Diese bleiben hier vollständig außer Betracht.

Die wissenschaftliche Klarstellung des positivrechtlichen Ausgangspunktes aber ist um so unumgänglicher, als er sehr häufig ganz falsch oder doch sehr ungenau gefaßt wird.

I. Die heutige rechtliche Natur des Selbstmordes. Die sog. Teilnahme daran

I. Von einer Macht, der er nicht widerstehen kann, wird Mensch für Mensch ins Dasein gehoben. Mit diesem Schicksale sich abzufinden – das ist seines Lebens Beruf. Wie er dies tut, das kann innerhalb der engen Grenzen seiner Bewegungsfreiheit er nur selbst bestimmen. Insoweit ist er der geborene Souverän über sein Leben.

Das Recht – ohnmächtig dem Einzelnen die Tragkraft nach der ihm vom Leben auferlegten Traglast zu bestimmen – bringt diesen Gedanken scharf zum Ausdruck durch Anerkennung von jedermanns Freiheit, mit seinem Leben ein Ende zu machen.2 Nach langer höchst unchristlicher Unterbrechung dieser Anerkennung – von der Kirche gefordert, gestützt auf die unreine Auffassung, der Gott der Liebe könne wünschen, daß der Mensch erst nach unendlicher körperlicher oder seelischer Qual stürbe3, – dürfte sie heute, von ganz wenigen zurückgebliebenen Staaten abgesehen, wieder voll zurückgewonnener, für alle Zukunft unangefochtener Besitz bleiben. Das Naturrecht hätte Grund gehabt, von dieser Freiheit als dem ersten aller »Menschenrechte« zu sprechen.

II. Wie diese Freiheit aber gesehen werden muß im Rahmen unseres positiven Rechtes, dies steht noch keineswegs fest. Ebenso in falscher Terminologie wie in falschen praktischen Folgerungen spricht sich diese Unsicherheit aus. Es ist höchste Zeit, daß größte wissenschaftliche Genauigkeit die bisherige ungenaue Behandlung der einschlagenden Fragen ablöse – , daß insbesondere die fundamentale rechtliche Verschiedenheit zwischen dem schlecht sog. Selbstmord und der Tötung Einwilligender klar erkannt werde.

Zwei sich im tiefsten widersprechende Auffassungen vom Selbstmord gehen heute nebeneinander her – beide übereinstimmend nur darin, daß sie falsch sind, und daß sie in die Forderung seiner Straflosigkeit münden.4

1. Nach der einen ist der Selbstmord widerrechtliche Handlung, Delikt, qualitativ dem Mord und dem Totschlag aufs engste verwandt, weil Übertretung des Verbotes der Menschentötung.5

Solche Ausdehnung der Tötungsnorm ist unseren gemeinrechtlichen Quellen ganz fremd, und alle Beweise für die deliktischen Eigenschaften des Selbstmordes versagen.

Alle religiösen Gründe besitzen für das Recht aus doppeltem Grunde keine Beweiskraft. Sie beruhen hier auf ganz unwürdiger Gottesauffassung, und das Recht ist durch und durch weltlich: auf Regelung des äußeren menschlichen Gemeinlebens eingestellt. Nebenbei gesagt, berührt das neue Testament das Problem mit keinem Wort.

Die gleiche Unkraft, für die Rechtswidrigkeit der Selbsttötung zu beweisen, eignet der ebenso haltlosen als »pharisäischen« (Gaupp) Behauptung, sie sei stets eine unsittliche Handlung und so verstehe sich ihre Rechtswidrigkeit von selbst.6

Schon der »harte und lieblose« Name Selbstmord7 für die eigene Tötung ist tendenziös. Denn dem »Morde« waren stets feige Heimlichkeit und Niedertracht wesentlich. Und nun bedenke man zunächst die große Anzahl psychisch gestörter Personen, die Hand an sich legen!8 Außerdem gibt es altruistische Selbsttötungen geistig völlig Gesunder, die auf der höchsten Stufe der Sittlichkeit stehen, andererseits Selbsttötungen, die bis auf den tiefsten Grad frivoler Gemeinheit oder elender Feigheit herabsinken können.9 Ja es gibt unterlassene Selbsttötungen, die gerade wegen der Unterlassung schweren sittlichen Tadel verdienen.

 

Außerdem ist die unsittliche Handlung als solche durchaus nicht auch rechtswidrig und die rechtmäßige durchaus nicht immer sittlich.

Der Beweis der Widerrechtlichkeit der Selbsttötung könnte nur aus dem exakten Nachweis der positivrechtlichen Tötungsnorm geführt werden.10 Dafür fehlt aber das Material überall, wo die Selbsttötung nicht unter Strafe gestellt oder sonst unzweideutig als Delikt gekennzeichnet ist.11 Oder sie könnte sich als Folgerung aus rechtlich feststehenden Prämissen ergeben. Solchen Nachweis versucht Feuerbach, aber in der unzulänglichsten Weise. »Wer in den Staat eintritt – der Neugeborene tritt aber doch nicht ein! – , verpflichtet dem Staat seine Kräfte und handelt rechtswidrig, wenn er ihm diese durch Selbstmord eigenmächtig raubt«.12 Das ist offenbar eine nichtssagende petitio principii.

Für die Deliktsnatur der Selbsttötung fehlt also nicht nur alles Beweismaterial,13 sondern es fällt auch heutzutage keinem Selbstmörder und keinem seiner Beurteiler auch nur von ferne ein, in der Selbsttötung eine verbotene Handlung zu erblicken und diese wirklich qualitativ auf eine Linie mit Mord und Totschlag zu stellen.

Wer aber die Deliktsauffassung vertritt, der muß unter allen Umständen die sog. Teilnehmer an der Selbsttötung14 unter der Voraussetzung verschuldeten Handelns gleichfalls als Delinquenten betrachten. Und aus der Straflosigkeit des Selbstmörders ist die der »Teilnehmer« dogmatisch gar nicht ohne weiteres zu folgern:15 denn sie handeln widerrechtlich gegen das Leben eines Dritten, stehen somit auf höherer Stufe der Strafbarkeit als der, der sich nur an sich selbst vergreift, wenn dessen Tat als Delikt betrachtet wird.

In Konsequenz der Auffassung von der Deliktseigenschaft der Selbsttötung hätten die Staatsorgane, zu deren Aufgabe die Deliktshinderung gehört, ein Zwangsrecht zur Unterlassung der Tötung gegen den Selbstmörder und seine sog. Teilnehmer, wogegen diesen Allen natürlich ein Notwehrrecht nicht zustünde.

2. Ganz naturrechtlich gedacht, wenn auch durchaus nicht immer von den durch die kirchliche Auffassung stark beeinflußten Naturrechtslehrern vertreten, ist die entgegengesetzte Auffassung: die Selbsttötung ist Ausübung eines Tötungsrechtes. Auch sie findet in den Quellen nicht die geringste Stütze: denn die Straflosigkeit des Selbstmordes kann als solche nicht betrachtet werden. Es gibt straflose Delikte in Fülle.

So ist sie eine rein theoretische Konstruktion, die sich einer vollständigen Verkennung des Wesens der subjektiven Rechte und der üblichen Verwechslung der Reflexwirkungen von Verboten mit solchen Rechten schuldig macht. Da die Tötung nur des Nebenmenschen verboten ist, so wird gefolgert, hat jeder Mensch ein Recht entweder auf Leben oder am Leben oder gar über das Leben – alle drei Auffassungen sind gleich verkehrt – , und kraft dieses Besitzrechtes darf er das Leben ebenso behaupten als von sich werfen, besitzt er also ein Tötungsrecht an sich selbst oder wider sich selbst,16 ja kann dieses vielleicht gar mit Bezug auf sich selbst auf andere übertragen.17

Lasse ich das ganz unmögliche Recht auf oder am oder über das eigene Leben einmal auf sich beruhen – ganz gut dagegen E. Rupp S. 15 – , so ist gegen das Selbst-Tötungsrecht einzuwenden, daß Handlungsrechte nur zu Zwecken verliehen werden, welche der Rechtsordnung generell als ihr konform, ihr förderlich erscheinen. Darin liegt also eine generelle Billigung der Handlung von Rechts wegen. Solche verbietet sich jedoch gegenüber der Selbsttötung unbedingt. Übt diese doch in einer nicht kleinen Zahl ihrer Vorkommnisse auf dem Rechtsgebiet sehr empfindliche schädliche Wirkungen aus: etwa die Begründung weitgehender öffentlicher Unterstützungspflichten. Ja, sie kann geradezu das Mittel zur Verletzung schwerer Rechtspflichten bilden: etwa der Pflichten, seine Schulden zu bezahlen, seine Strafe zu verbüßen, an gefährlicher Stelle vor dem Feinde Vorpostendienste zu leisten oder an einem Angriff teilzunehmen.

Stellt man sich aber einmal auf diesen Standpunkt der Anerkennung von der Rechtmäßigkeit der Selbsttötungshandlung, so ergibt sich,

a. daß niemand ein Recht besitzen kann, den Selbstmörder an seiner rechtmäßigen Tat zu hindern;

b. daß diesem gegen jeden Hinderungsversuch ein Notwehrrecht zusteht;

c. daß, wenn man das Recht jedes Menschen, sich selbst zu töten, gar als ein übertragbares betrachtet, alle sog. Teilnehmer, die mit seiner beachtlichen Einwilligung handeln – aber allerdings nur diese – , gleichfalls rechtmäßig handeln, also gleichfalls daran von niemandem gehindert werden dürfen und gegen jeden Hinderungsversuch die Notwehr besitzen.

Alle Teilnehmer jedoch, die ohne solche Einwilligung handeln, begehen Unerlaubtes, dürfen, ja müssen eventuell an der Ausführung ihrer Handlung gehindert werden, und machen sich im Schuldfall grundsätzlich verantwortlich.18

Ja, vom Standpunkt dieses übertragbaren Tötungsrechtes aus muß sogar d. die Tötung des beachtlich Einwilligenden gleichfalls als rechtmäßige Tötungshandlung betrachtet werden.19

 

III. Läßt sich der Selbstmord weder als eine deliktische noch als eine rechtmäßige Handlung auffassen, so bleibt nur übrig, ihn als eine rechtlich unverbotene Handlung zu begreifen.20 Diese Auffassung, die freilich in recht verschiedener Formulirung mehr und mehr durchdringt, findet eine verschiedene Begründung, welche Verschiedenheit hier auf sich beruhen bleiben kann. Ich habe mich früher darüber so ausgesprochen: dem Rechte als der Ordnung des menschlichen Gemeinschaftslebens »widerstrebe die Scheidung von Rechtssubjekt und Rechtsobjekt auf das Individuum zu übertragen und dieses einem Dualismus untertan zu machen, wonach es auch für sich selbst Güterqualität, vielleicht gar Sachenqualität annehmen muß, damit es Rechte an sich selbst und Rechtspflichten wider sich selbst erlangen könne.«21

Es bleibt eben dem Rechte nichts übrig, als den lebenden Menschen als Souverän über sein Dasein und die Art desselben zu betrachten.22

Daraus ergeben sich sehr wichtige Konsequenzen:

1. Diese Anerkennung gilt nur dem Lebensträger selbst. Nur seine Handlung gegen sich selbst ist unverboten.

2. Diese Anerkennung stellt keine Ausnahme vom Tötungsverbot dar; denn das Verbot untersagt nur die Tötung des Nebenmenschen, und daraus folgt das Unverbotensein der Selbsttötung.

3. Alle sog. Teilnahme am Selbstmord unterfällt der Tötungsnorm, ist also widerrechtlich,23 kann, ja muß unter Umständen unter Strafe genommen werden, falls es nicht, was möglich ist, an der Schuld fehlt. Das »kann« besagt: de lege ferenda, das »muß« besagt: de lege lata, falls der sog. Teilnehmer Mittäter oder Urheber ist.2425

4. Nur die Handlung des Verstorbenen ist unverboten. Ganz ohnmächtig ist er, durch seine Zustimmung auch die Handlungen Dritter zu unverbotenen zu gestalten. Mit allerbestem Grunde betrachtet unser positives Recht die Tötung der Einwilligenden als Delikt.26

5. Ist ihm die Handlung unverboten, so darf ihn niemand daran hindern, wenn er genügend weiß, was er tut; gegen den Hindernden hat er dann das Notwehrrecht; der Zwang gegen ihn, die Handlung zu unterlassen, ist rechtswidrige Nötigung.27

Diese Erretter vom Selbstmord handeln meist optima fide und gehen dann straflos aus. Eine starke Stütze für ihren Standpunkt bildet die Erfahrung, daß der gerettete Selbstmörder oft sehr glücklich über seine Rettung ist und den zweiten Versuch nach dem mißlungenen ersten meist unterläßt.28

IV. Der rechtlich und sozial schwache Punkt der Freigabe aller Selbsttötung ist der Verlust einer ganzen Anzahl noch durchaus lebenskräftiger Leben, deren Träger nur zu bequem oder zu feig sind, ihre durchaus tragbare Lebenslast weiter zu schleppen.

Es fällt dies für die Wertung der Schuld der sog. Teilnehmer stark in die Wagschale. Die bewußte Beihilfe zum Selbstmord des Todkranken wiegt erheblich leichter wie die zu dem der Gesunden, der sich etwa seinen Gläubigern entziehen will.

1Jost, Das Recht auf den Tod. Göttingen 1895, S. 1.
2In der Sprache der Stoa sagt Seneca: Licet eo reverti, unde venisti. Ep. LXX.
3Vgl. Montesquieu in seiner wundervollen Lettre LXXVI seiner Lettres Persanes: Dieu, différent de tous les bienfaiteurs, veut il me condamner à recevoir de grâces qui m'accablent? Gut auch Jost a. a. O. S. 36.
4Friedrichs II. Reskript v. 6. Dez. 1751 hat in Deutschland zuerst die Strafe des Selbstmordes aufgehoben.
5S. bes. Feuerbach, Lehrb. § 241; Heffter, Lehrb. § 227; Lion, Goltd. Arch. VI S. 458; Schütze, Nothwend. Theilnahme, S. 288 ff.
6So natürlich Jarcke, Handbuch I S. 108. Hepp, Versuche, S. 124 ff., versteigt sich dazu, den Selbstmord als »moralische Schändlichkeit«, ja vom christlichen Standpunkte aus »als eines der größten und abscheulichsten Verbrechen« zu bezeichnen. Vgl. Lion, GA. VI S. 459. – Auch Berner, Lehrbuch, S. 93, äußert einen wahren Abscheu »vor dieser gottlosen Tat«, tritt aber für ihre Straflosigkeit ein. – Ebenso noch in ganz junger Zeit die Diss. von Nohr, Die zwangsweise Hinderung am Selbstmord, Breslau 1916, der außer der Unsittlichkeit im Selbstmord auch noch »eine Gefährdung des Staates« findet! Vgl. unten S. 14 .
7So treffend Hoche, Vom Sterben, S. 25.
8Sehr merkwürdig die Mitteilungen Gaupps, Selbstmord, 2. Aufl. München 1910 S. 22, über 124 von ihm untersuchte Fälle versuchten Selbstmordes. Nur eine einzige Person unter den 124 sei psychisch ganz gesund gewesen.
9Sehr richtig sagt Jost a. a. O. S. 50: »Ein bestimmtes moralisches Urteil über den Selbstmord überhaupt gibt es nicht. Jeder Fall muß hier besonders beurteilt werden.« S. auch die schönen Worte von Gaupp, Selbstmord, S. 32: »Ist es nicht frevelhafte Anmaßung, wenn wir den Wert eines Menschen nach dem einschätzen, was wir uns in naiver Unwissenheit vom Motiv seiner letzten Tat zurecht gelegt haben?« – Wenn Hoche, Vom Sterben, S. 27 sagt: »Gewiß ist der Selbstmord in irgendeiner Form immer ein Waffenstrecken vor dem Leben; aber die Frage, wie sehr oder wie wenig dieses Leben lebenswert war, darf dabei gewiß nicht außer acht gelassen werden«, so ist letzteres sicher sehr beachtlich, aber das Urteil vom Waffenstrecken geht mir zu weit. Die Selbsttötung kann ein Sieg über Zumutungen des Lebens sein, die kein Mensch von Ehre erfüllen darf. Vortrefflich ist Hoches Bemerkung a. a. O. S. 29: »Ich glaube nicht, daß wenn wir darüber ehrliche Angaben erhielten, unter den geistig hochstehenden, fein organisierten Naturen viele zu finden wären, die nicht irgendwann einmal in ihrem Leben vor der Frage des Bleibens oder Gehens gestanden hätten.« Man braucht ja nur an Goethe-Faust zu denken.
10Das »Du sollst nicht töten« des Zehngebotes hat natürlich mit der Selbsttötung gar nichts zu tun.
11Schütze, Nothwendige Teilnahme (1869) S. 278 will den Selbstmord als strafloses Verbrechen betrachten, um zur Strafbarkeit der sog. Teilnahme daran gelangen zu können. Das ist ganz unnötig: dies Ziel ist auch anderweit zu erreichen. S. dazu unten .
12S. etwa Lehrbuch, 9. Aufl., § 241 (S. 205). – Recht interessant, weil auf der Schwelle zweier Anschauungsweisen stehend, Pufendorf, De jure naturae Liber II Cap. IV § XIX, wonach der zurechnungsfähige Selbstmörder in legem naturae peccasse est censendus… Multos quoque, qui in voluntarium exitum ruunt, magnitudo consternationis apud aequos viros excusat.
13Es fällt doch sehr auf, daß v. Liszt, VDBT V S. 10, offenbar den modernen Rechtsbegriff der Tötung dahin formulirt: »Tötung ist Verursachung des Todes eines Menschen durch die Willensbetätigung des Täters« und dazu S. 10 bemerkt: »Auch der Selbstmord fällt unter den Begriff der Tötung.« Über die rechtliche Natur des Selbstmordes schweigt sich v. Liszt aus: nur seine Straflosigkeit wird von ihm als feststehend behandelt und sie wird auf alle »Teilnehmer« ausgedehnt. S. a. a. O. S. 133/4. – Auf v. Liszts Definition gestützt behandelt Elis. Rupp, Das Recht auf den Tod, 1913, S. 1, die Selbsttötung neben Kindestötung und Tötung auf Verlangen als dritten Fall des privilegirten Tötungsdelikts. – Über die geradezu unglaubliche Begründung für die Rechtswidrigkeit der Selbsttötung durch Kohler, GA. XLIX S. 6 (es fehle nur »die Strafbarkeitsbedingung«, »daß der Täter ein anderer sei, als derjenige, um dessen Leben es sich handle«), s. meine Normen III S. 227 N. 17.
14Der ganz übliche Ausdruck ist ja grundfalsch. Gemeint ist jedoch die durchaus mögliche Teilnahme an der Tötungshandlung, die für den Gestorbenen Selbsttötung oder für den Davongekommenen Selbsttötungsversuch war, die aber für den Teilnehmer stets Tötung eines Dritten ist.
15De lege lata allerdings dann, wenn das Gesetz für die Strafbarkeit des Anstifters und des Gehilfen ganz verkehrterweise Strafbarkeit der Handlung verlangt, zu der angestiftet und geholfen wurde. So ja unser GB. §§ 48 u.
16S. etwa Montesquieu, Lettres Persanes, lettre LXXVI: Non sans doute: je ne sais qu'user du droit, qui m'a été donné. – Vgl. etwa noch Abegg, Lehrb., § 103 (S. 161), und aus neuerer Zeit die juristisch sehr schwache Abhandlung von Hiller, Das Recht über sich selbst, Heidelberg 1908. Ebenso offenbar die Diss. von Scharnow, Über die strafrechtliche Behandlung der Selbstverletzung, insbes. des Selbstmordes und der Teilnahme an demselben. Borna Leipzig 1912. S. bes. S. 41 ff.
17Die angeblich mögliche Veräußerung des eigenen Lebensrechtes an einen Dritten ist eine der gloriosesten Erfindungen des reinen Unsinns. Der Veräußerer lebt dann rechtlos weiter.
18Die Fälle sog. Teilnahme am Selbstmorde dulden in keiner Weise eine einheitliche Beurteilung.
19Aus GB. § 216 ergibt sich klar, daß unser positives Recht der Theorie eines übertragbaren Tötungsrechts energisch entgegentritt. Es betrachtet die Tötung des rechtlich Einwilligenden als widerrechtlich und strafbar – letzteres sogar in zu weitem Umfange.
20Vgl. dazu schon mein Handbuch I S. 697 und die Anhänger dieser Auffassung das. S. 698, N. 9. Inzwischen habe ich den Begriff der so vielfach mißverstandenen unverbotenen Handlung schärfer heraus gearbeitet. S. jetzt bes. Normen IV S. 346 ff. Es ist falsch, diese Handlung als eine »juristisch indifferente«, für das Recht nicht in Betracht kommende zu bezeichnen. Sie findet ja mitten im Rechtsleben statt. Die Rechtsordnung nimmt die Handlung trotz ihrer vielleicht empfindlichen Wirkungen auf sie selbst ruhig hin. Sie glaubt sie dem Täter nicht verbieten zu dürfen.
21S. mein Handbuch I S. 699.
22»Sollte die Freyheit zu sterben, die uns die Goetter in allen Umständen des Lebens gelassen haben, – sollte diese ein Mensch dem andern verkümmern können?« Lessing, Philotas.
23Deshalb ist die theoretische Bemerkung bezüglich des Gehilfen zum Selbstmord auf S. 701 oben meines Handbuchs unrichtig.
24Vgl. mein Handbuch I S. 701 u. 702; mein Lehrbuch I S. 26. Vgl. auch Kohler, Studien I S. 144 ff.
25Eine weitverbreitete Neigung geht dahin, die Straflosigkeit sog. Teilnahme am Selbstmorde als selbstverständlich zu betrachten. (Dagegen Stooß und v. Liszt, VDBT. V S. 134/5, 138.) Sie beweist wiederum die Abneigung tieferer Durchdenkung und scharfer Beobachtung des Lebens. Töten A und B als Mittäter den B, so ist A Täter des Mordes, Totschlags oder der fahrlässigen Tötung an B: zweifellos hat er rechtswidrig gehandelt und muß auch de lege lata zu voller Verantwortung gezogen werden. Beruht die Mittäterschaft auf Verlangen des Getöteten, so greift § 216 Platz. Dem Täter vollständig gleich steht der Urheber, der den Getöteten zur Selbsttötung bestimmt hat. Er hat widerrechtlich einen Dritten getötet. Aber der Urheberbegriff wird ja zurzeit erst von sehr wenigen verstanden. Die Beihilfe zum Selbstmord bedarf, um strafbar zu werden, stets der besonderen Strafbestimmung. Diese fehlt in den meisten Gesetzbüchern, dürfte aber nirgends fehlen. Man denke doch an die abscheuliche Beihilfe zu Selbstmorden von Schülern oder von Selbstmordsüchtigen. Das Recht hat doch wahrlich nicht den geringsten Anlaß, die Begehung des Selbstmordes zu erleichtern. Unsere Gesetzbücher bewegen sich bezüglich der sog. Teilnahme am Selbstmord in größter Unsicherheit. Die meisten, wie auch das Reichsstrafgesetzbuch, schweigen sich darüber aus. Keines stellt – wie es sich gehört – die Anstiftung oder die Verleitung zum Selbstmord unter die Strafe der gewöhnlichen Tötung: aber für strafbar erklären die Teilnahme Braunschweig § 148; Baden § 208; Thüringen A. 121; Sachsen 1855 und 1868 A. 158; Hamburg A. 121. – Die Motive des deutschen Vorentwurfs von 1909 (II S. 644) sagen höchst bedenklich: »Ein Bedürfnis, die Anstiftung und die Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe zu stellen, konnte nicht anerkannt werden. Fälle dieser Art kommen anscheinend nur sehr selten vor.« Das sog. amerikanische Duell bedürfe keiner besonderen Berücksichtigung. – Der Gegenentwurf von 1911 stellt in § 257 die Anstiftung zum Selbstmord unter Gefängnis (1 Woche bis 2 Jahre). »Jede andere Beteiligung am Selbstmord bleibt straflos« (s. dazu Motive S. 249). Dem Vorschlag fehlt das Verständnis, daß die sog. Anstiftung volle Urheberschaft an der Tötung eines Dritten ist. – Vgl. über die »Teilnahme am Selbstmord« noch den Österreich. Entwurf von 1912 § 290 (»Bestraf. v. Bestimmung und Beihilfe«: Gef. oder Haft von 4 Wochen bis zu 3 Jahren. Bestimmung durch Erregung oder Benutzung eines Irrtums »Kerker oder Gefängnis von 1-10 Jahren«). – Der Schweizerische Entwurf von 1916 A. 107 bedroht Verleitung oder Beihilfe zum Selbstmord »aus selbstsüchtigen Beweggründen« mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder mit Gefängnis.
26Falsch behauptet v. Liszt, Lehrb. S. 160: »Die Selbstverletzung sollte grundsätzlich ebenso behandelt werden, wie die mit Einwilligung des Verletzten von einem Dritten begangene Handlung.« Ebenso Hiller a. a. O. S. 13. Dazu Binding-Festschrift II S. 291.
27Vgl. mein Lehrbuch I S. 91. Olshausen zu § 240 N. 12 Abs. 3. – Beachte auch RG. III v. 24. Dez. 79 (RSpr. I S. 173). Ganz abwegig die oben zitirte Dissertation von Nohr. – Selbstverständlich ist das Recht der Hinderung des Jugendlichen oder des Wahnsinnigen am Selbstmord.
28S. Gaupp, Über den Selbstmord.