Czytaj książkę: «Eros Nächte Moneymaker»
Kai Sichtermann
(Hrsg.)
EROS
NÄCHTE
MONEYMAKER
22 Portraits aus dem ältesten Gewerbe
FUEGO
- Über dieses Buch -
Geschichten und Schicksale von Menschen, die sich auf ein Spiel von Erotik, Sex, Macht und Geld eingelassen haben - zu allen Zeiten und in allen Teilen der Welt.
Kai Sichtermann und seine Co-Autoren erzählen von der „Heiligen Hure“ Schamchat, die vor fast 4000 Jahren in Mesopotamien lebte, von der Hetäre Neaira aus dem antiken Griechenland und Maria Magdalena, der Gefährtin Jesu. Bekannte Romanfiguren wie Fanny Hill und Josefine Mutzenbacher werden ebenso porträtiert wie die Frauen, die durch ihre Kosenamen bekannt wurden: „Madam Butterfly” und „Die Kameliendame.” Aber auch Skandale werden nicht ausgeklammert, weder der unaufgeklärte Mord an dem deutschen Callgirl Rosemarie Nitribitt noch die sogenannte Profumo-Affäre um das englische Playgirl Christine Keeler.
Zweiundzwanzig hintergründige und kurzweilige Storys über die berühmtesten ProtagonistInnen aus dem ältesten Gewerbe in einem Buch.
Vorwort
Als ich im Januar 2010 über die bekanntesten Huren der Menschheitsgeschichte recherchierte, musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass es sowohl im Internet als auch in der Literatur, nur sehr unvollständige Informationen darüber gibt. Auf dem deutschen Büchermarkt findet man eine Menge Literatur zum Thema Prostitution, aber kein Werk, das in erster Linie und ausschließlich als eine Sammlung bekannter Prostituierter bezeichnet werden könnte. Das brachte mich auf die Idee, selbst solch ein Buch zu schreiben.
Warum es nicht schon längst jemand anderes getan hat, dafür gibt es natürlich Gründe. Portraits berühmter Menschen, ob sie nun durch besondere Leistungen hervorgetreten sind wie z.B. Komponisten, Maler oder Erfinderinnen, ob sie ein besonders schweres Schicksal hatten wie verkannte Genies oder Opfer von Verfolgungen, ob sie besonders schön, mutig, weitblickend oder aufopfernd waren – über sie möchten Leser gern alles erfahren und Autoren gern vieles mitteilen. Helden und Heldinnen sind es wert, dass man von ihnen erzählt und über sie liest.
Aber wer ist ein Held, eine Heldin? Die Auffassungen darüber sind epochenabhängig. Zur Kaiserzeit war in Deutschland niemand so interessant wie Kriegsminister und Generäle. Heute will man kaum noch etwas von ihnen wissen. Wenig später feierte die Welt ihre kühnsten Politiker und wichtigsten Theoretiker – auch hier ist die Neugier zurückgegangen, wenn auch nicht geschwunden. Und wie war es mit Frauen? Es dauerte bis in die 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts, erst dann erhielten auch sie einen Heldinnen-Status. Inzwischen gibt es viele Bücher über Dichterinnen, Malerinnen und Kämpferinnen für die Gleichberechtigung; große Herrscherinnen werden gefeiert, auch Frauen der Bühne und des Films. Aber eine Profession fehlt: die Prostituierte mag man als Heldin außerhalb des fiktionalen Bereichs im Film und in der Literatur kaum akzeptieren. Zu stark scheinen immer noch die Vorurteile zu sein, die Furcht davor, Frauen vorzustellen, deren Gewerbe öfter mal an die Kriminalität grenzt. (Seltsam, bei Freiheitskämpfern oder Seeräubern hat das kaum gestört ...) Was die Scheu, sogenannte käufliche Frauen als Heldinnen zu akzeptieren, auch begründen mag, sind Schwundstufen religiöser Vorbehalte. Sind sie nicht allzumal arge Sünderinnen? (Ach, und bei all den wunderbaren Wissenschaftlern, die uns Menschen aus dem geozentrischen Weltbild herauswarfen, was seinerzeit als schwere Sünde galt, hat das doch auch nichts ausgemacht.) Die Zeit ist inzwischen reif dafür, auch dem „ältesten Gewerbe der Welt” seine Heldinnen zuzugestehen und scheuklappenfrei von ihnen zu berichten.
Ich ging folgendermaßen vor: Zuerst erstellte ich eine lange Liste mit allen bekannten Frauen, die je mit der Prostitution zu tun hatten. Dazu gehören sowohl einfache Straßenhuren als auch Kurtisanen und Hetären. Irgendwann tauchte die Frage auf: nur Frauen einzubeziehen, die wirklich gelebt haben und noch leben, oder auch fiktive Gestalten aus Romanen und Filmen? Ich entschied mich dafür, auch Letztere mit zu berücksichtigen, weil Frauen aus Büchern der Belletristik wie Nana und Fanny Hill oder Pretty Woman aus dem gleichnamigen Film so sehr präsent sind, dass es eine große Lücke hinterließe, wenn man nicht über sie berichtete.
Meine Co-AutorInnen und ich schreiben sowohl über die ausgewählten Personen als auch über die Zeit, in der sie gelebt haben. Dabei ist es wesentlich, eine leicht verständliche, kurzweilige Geschichte aus einem Guss zu erzählen, die nur die wichtigsten Fakten enthält, nicht ausschweift und nicht (oder kaum) bewertet.
Bei der zeitlichen Auswahl haben wir uns bewusst für Epochen entschieden, die zwischen 2000 vor Christus bis hin zur kürzlich erlebten Jahrtausendwende liegen, um dem Leser so auch einen weiten geschichtlichen Überblick zu ermöglichen.
Es wird deutlich, dass die moralische Minderschätzung der Liebesdienerinnen niemals einhellig war, dass sie je nach Zeitalter, Religiosität und moralischer Rigidität in einer Gesellschaft schwankte, und dass die Offenheit, mit der Sexualität verhandelt wird, eine große Rolle dabei spielt, ob Prostituierte eine einigermaßen anerkannte Existenz führen können. Unsere aufgeklärte Zeit nimmt kein Blatt mehr vor den Mund, was den Huren gestattet, sich zu organisieren und ihre Tätigkeit als Beruf zu verstehen. Dennoch bleibt ihnen meist der volle Respekt der bürgerlichen, allemal der sogenannten besseren Gesellschaft, verwehrt. Käuflicher Sex lädiert auch in unserer Zeit zu viele Ideale von Liebe, Ehe und Treue, als dass die Prostituierten gleichberechtigt neben anderen berufstätigen Frauen auftreten könnten. Umso wichtiger scheint es, einmal genauer nachzuschauen, was das denn für Frauen waren, die so viel Anstoß erregten – aber auch so viel Bewunderung und Begehren weckten.
Den Reigen eröffnet Schamchat aus dem Gilgameschepos, eine der ältesten Schriften der Menschheitsgeschichte. Hier ist das Hauptthema die „Heilige Hure“.
Es folgen Rahab, aus dem Alten Testament der Bibel, die Ganika Ambapali aus Indien um 500 vor Christus und die Hetäre Neaira aus dem antiken Griechenland, ca. hundert Jahre später.
Natürlich darf auch die wohl berühmteste Prostituierte im christlich geprägten Kulturraum nicht fehlen: Maria Magdalena, die Gestalt aus dem Neuen Testament der Bibel.
Dann machen wir einen Sprung in das China des 9. Jahrhunderts und Bekanntschaft mit der Poetin Yu Xuanji.
Stellvertretend für die Huren aus dem späten Mittelalter erzählt uns die Romanfigur Marie Schärerin ihre Abenteuer.
Mit Roxelana habe ich eine Frau ausgewählt, die im 16. Jahrhundert in der heutigen Türkei als Haremssklavin anfing und zu einer großen Herrscherin aufstieg.
1749 veröffentliche der englische Schriftsteller John Cleland ein Buch, das in vielen Ländern für einen Skandal sorgte: Fanny Hill, eine ehemalige Professionelle, die jetzt das Leben einer Ehefrau führt, erzählt rückblickend über ihre Vergangenheit.
Eine der bedeutendsten Frauen der Französischen Revolution war Olympe de Gouges, von deren nachhaltigem Wirken wir heute noch profitieren.
Während der Demi-Monde-Epoche (1815 - 1870) lebte in Paris die Luxus-Kurtisane Marie Duplessis, die durch den Roman „Die Kameliendame” von Alexandre Dumas und die Oper „La Traviata” von Giuseppe Verdi unsterblich wurde.
Ca. 150 Jahre nach „Fanny Hill” folgte das Buch Nana von Émile Zola; er beschreibt die Geschichte einer Prostituierten in Frankreich aus der Zeit kurz vor der Belle Epoque (1884 - 1914).
Auch eine Frau aus Japan wurde zur Hauptperson eines musikalischen Werkes: Der Komponist Giacomo Puccini schrieb 1904 nach verschiedenen literarischen Vorlagen über das japanische Geisha-Mädchen Cho-Cho-San, die Oper „Madame Butterfly”. Was die wenigsten wissen: Die Japanerin hat wirklich gelebt und hieß Tsuru Yamamura.
Anfang des 20. Jahrhunderts war New Orleans so etwas wie der Puff der Welt. Nell Kimball erzählt uns davon.
Wien, 1906: Lange habe ich gezögert, ob ich über Josefine Mutzenbacher, Romanfigur von Felix Salten, schreiben soll. Sex mit Minderjährigen ist hier das Thema. Wegen des großen Bekanntheitsgrades im deutschsprachigen Raum habe ich mich dann doch dafür entschieden.
Der nächste Text behandelt Lulu, die Urgestalt des Weibes; nach dem Drama von Frank Wedekind und der Oper von Alban Berg.
Selbstverständlich darf auch ein männlicher Prostituierter nicht fehlen. Wir tauchen ein in die Welt des französischen Romanautors Jean Genet und sein Werk von 1942 „Notre-Dame-des-Fleurs”.
Zweifach verfilmt und eine Geschichte, die immer wieder für Gesprächsstoff sorgt, ist der bis heute unaufgeklärte Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. Das Callgirl verkehrte im Frankfurt am Main der 1950er Jahre in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen.
Auch Christine Keeler hatte gute Kontakte zur High Society. Das englische Callgirl wurde zwar nicht ermordet, sorgte aber 1963 für einen handfesten Skandal: Der englische Kriegsminister John Profumo musste ihretwegen zurücktreten.
Auf keinen Fall fehlen darf in unserer Sammlung die Königin der Reeperbahn, Domenica Niehoff. Sie wirkte ab den 1970er Jahren im Hamburger Vergnügungs- und Rotlichtviertel St. Pauli als Prostituierte und Domina, später auch als Streetworkerin.
Mit Vivian Ward, besser bekannt als Pretty Woman aus dem gleichnamigen Film, kommt der Leser in den Genuss, Vorder- und Hintergründiges über die bekannteste Filmhure der Gegenwart zu erfahren.
Den Schlusspunkt setzt Felicitas, ihres Zeichens deutsche Hure aus Berlin und Betreiberin des Café Pssst! Felicitas' gerichtliche Auseinandersetzungen mit den Berliner Behörden, die ihr Café Pssst! schließen wollten, verdanken wir in Deutschland ein neues Prostitutionsgesetz.
Kai Sichtermann, Boren (Schleswig-Holstein), 2012
Schamchat
Die Heilige Hure
Für viele Menschen bilden die beiden Worte „heilig” und „Hure” ein Gegensatzpaar, deren Vereinigung sich ausschließt: „entweder - oder”! Entweder jemand tut Gutes, dann ist er heilig, also heil, oder er macht etwas so Unanständiges wie sich zu prostituieren, dann sündigt er, ist damit unheil. Ein „Sowohl - als auch” kommt für die meisten von uns in diesem Kontext nicht infrage. Was aber, wenn es einer sogenannten Dirne nicht ausschließlich um „Sex für Geld” geht, sie sich nicht prostituiert, weil sie in Not ist, gezwungen wird, oder um sich zu bereichern? Gab oder gibt es Frauen, die sich fremden Männern aus Gründen der Barmherzigkeit hingeben und damit ihr Tun zu einem heiligen Ritual erheben? Könnte dann nicht aus einer Hure eine geweihte „Krone der Schöpfung” und aus ihrer profanen Tätigkeit so etwas wie ein Kult werden?
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden bei Ausgrabungen auf dem Gelände der ehemaligen assyrischen Hauptstadt Ninive - im heutigen Nord-Irak - altorientalische Schriften auf antiken Tontafeln gefunden; später auch in anderen Städten des Zweistromlandes, jener Region zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Eine dieser mesopotamischen Dichtungen ist das heute so berühmte Gilgamesch-Epos, das mit knapp 4000 Jahren eine der ältesten Geschichten ist, die wir kennen, und die zu Recht einen festen Platz innerhalb der Weltliteratur innehat. In der Erzählung wird von dem kühnen und schönen König Gilgamesch berichtet, der um 2600 vor Christus in der südmesopotamischen Stadt Uruk lebte, im heutigen Süd-Irak. Weil sein Volk unter seiner vergnügungssüchtigen Herrschaft leidet, beschließen die Götter, für Gilgamesch einen ebenbürtigen Gefährten zu erschaffen, der ihn auf andere Gedanken bringt: Enkidu, einen mit Tieren in der Wildnis lebenden Naturmenschen. Um dieses menschliche Ur-Wesen nach Uruk zu locken, wird die Dirne Schamchat beauftragt, Enkidu zu verführen und aus ihm einen zivilisierten Menschen zu machen. Schamchat läßt sich von einem Fallensteller zu einer Wasserstelle führen, um dort den Wildgeborenen zu treffen. Als Enkidu sich der Tränke nähert, heißt es im Gilgamesch-Epos: Schamchat, entblöße deine Brust! Öffne deine Scham, auf dass er deine Reize nehme! - Sie breitete ihre Kleider aus, und er lag dann auf ihr. Sie wirkte an ihm, dem Ur-Menschen, mit den Künsten des Weibes. Sechs Tage und sieben Nächte stand Enkidu aufrecht und paarte sich mit Schamchat.
Nach diesen erfolgreichen Verführungskünsten bewirtet Schamchat Enkidu und unterhält sich mit ihm, der dadurch langsam seine Urinstinkte verliert und später nicht mehr den Weg zurück in die Natur findet. Als Enkidu auch noch von Gilgamesch und den Freuden des Lebens in der Stadt hört, wird der nun erfolgreich Gezähmte neugierig und lässt sich von der Dirne nach Uruk bringen. Ob Schamchat für ihre Arbeit entlohnt wurde, ist nicht überliefert. Da sie aber als treue Dienerin der babylonischen Liebesgöttin Ischtar bezeichnet wird, kann man annehmen, dass ihre Dienste so etwas wie kultische Handlungen waren und sich somit die Frage nach Bezahlung erübrigt. Schamchat wird auch als eine harimtu-Prostituierte bezeichnet, was soviel wie der Prostituiertenstand der „Abgesonderten” bedeutet und auf ein Leben im Tempelbordell hinweist. Der Name der Schamchat leitet sich ab aus der Wurzel smh - „stattlich sein, gedeihen”.
Schamchat steht hier stellvertretend für alle Heiligen Huren, von denen viele altertümliche Quellen, vorzugsweise aus dem Vorderen Orient, aber auch aus anderen Kulturkreisen wie Griechenland und Indien berichten. Man nimmt an, dass die Tempeldienerinnen Babylons eine lange Ausbildung durchlaufen mussten und als Heilerinnen arbeiteten, deren Tätigkeit die Erotik einschloss. Ihr sozialer Status war allerdings je nach Kultur und Epoche unterschiedlich. Doch im gesamten indoeuropäischen Kulturkreis hatten alle Heiligen Huren ein enges Verhältnis zu den Muttergottheiten, denen sie unterstanden, die der Großen Mutter, die ihren Ursprung in der Zeit des Matriarchats (genauer: matrifokale Gemeinschaften) hatte. Das war die Epoche des Gartenbaus, die etwa um 10.000 vor unserer Zeitrechnung begann und zwischen 4000 und 2000 vor Christus von der Ackerbau-Ära abgelöst wurde. Damit wurde das heute noch dominierende Patriarchat eingeleitet. Aus der Großen Mutter entwickelte sich die Große Göttin. Im sumerischen Reich (um 3500 v. Chr.) war das die Göttin Inanna, in Babylonien (ab 18. Jh. v. Chr.) wurde sie Ischtar (babylonisch: Stern) genannt. Letztere trat sogar selbst als Prostituierte in Erscheinung und war nicht nur die Göttin der Liebe und des Krieges, sie war auch die „Mutter der Huren”.
Fachleute sind sich allerdings nicht einig, ob die Übersetzungen der antiken Schriften beziehungsweise deren Interpretationen den Schluss zulassen, dass es sakrale Prostitution wirklich gab, zumindest wohl nicht in dem Ausmaß, wie deren Befürworter es vermuten. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass einerseits kultische Handlungen für unser heutiges rationales Weltbild nicht mehr wirklich verständlich sind. Andererseits interessieren sich die Forscher fast immer nur für historische Fakten und lassen die psychische Ebene außer Acht. Dabei geht ein wichtiger Aspekt, der des Mythos, verloren, der ja immer Wirklichkeit enthält, egal wie die Faktenlage aussieht. Einer dieser sumerisch-babylonischen Mythen erzählt davon, dass sogar eine profane Hure, die mit ihrem Freier verkehrt, ein Abbild der Götter darstellt. Wie zum Beispiel Inanna, die sumerische Göttin der Liebe, wenn sie sich mit ihrem Geliebten und Gemahl Dumuzi vereinigt und ihm zuruft: Pflüge meine Vulva, mein Geliebter.
In der heutigen Zeit werden sich die Menschen des Unterschiedes zwischen Eros, der begehrlichen Liebe, und Agape, der bedingungslosen Liebe, mehr und mehr bewusst. Einige wenige Frauen (und manchmal auch Männer) versuchen die verloren gegangene Spiritualität durch Tantra- oder Kundalini-Yoga wieder in die Erotik zu integrieren. Auch wenn sich bisher nur wenige Menschen ernsthaft darauf einlassen können, so ist doch nach der westlichen Kulturrevolution, der 1968-er Bewegung, eine langsame, aber stetige und grundlegende Veränderung zu beobachten: weg vom schnellen Sex, hin zur zelebrierenden Erotik. Die japanische Tayu-Prostitution wusste davon schon im 17. Jahrhundert. Die Tayu bot nicht nur ihren Körper an, sie war eine in Kunst, Charme und Kultur ausgebildete Luxus-Prostituierte und genoss gesellschaftliche Anerkennung.
Als Enkidu auf Gilgamesch trifft, raufen sich die beiden im wahrsten Sinne des Wortes zusammen, werden Freunde und bestehen viele Abenteuer. Doch als sie sogar die Göttin Ischtar herausfordern, stoßen sie an ihre Grenzen und Enkidu muss sterben. Wie so oft liegen Segen und Fluch dicht beieinander, auch oder gerade in Mythen. Und Schamchat ist nicht nur Heilige Hure, sondern auch Dienerin: Sie diente als Projektionsfläche für Schuldzuweisung. Kurz vor Enkidus Tod, verflucht dieser Schamchat und macht sie für sein Schicksal verantwortlich: Komm her, Schamchat, ich will dir das Schicksal bestimmen. Ich will dich verfluchen mit einem gewaltigen Fluch! Da greift Schamasch, der Sonnengott ein und spricht: Warum nur Enkidu, verfluchst du Schamchat, die Dirne, die dir Brot zu essen gab, das einem Gott angemessen, die dir Bier zu trinken gab, das einem König angemessen? Als Enkidu die Worte des Sonnengottes vernimmt, beruhigt er sich und ruft: Komm her, Schamchat, ich will dir das Schicksal bestimmen. Mein Mund, der dich verfluchte, soll dich segnen außerdem! Statthalter und Fürsten mögen dich lieben!
Ergänzung:
Gabi Uhlmann erklärt den Unterschied zwischen „Matriarchat” und „matrifokaler Gemeinschaft” auf ihrer Website: http://www.gabriele-uhlmann.de/etana4.htm
Quellen:
Volkert Haas, „Babylonischer Liebesgarten. Erotik und Sexualität im Alten Orient”, München 1999
Wolfram von Soden, Albert Schott, „Das Gilgamesch-Epos”, Stuttgart 1986
Irene Dalichow, „Die heiligen Huren”, Artikel aus der Freiburger Monatszeitschrift „Esotera”, Nr.6/1998
Matthias Schulz, „Rätsel der heiligen Huren”, Artikel aus dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel”, Nr.12/2010
Wolf Krötke, „Eros und Agape”, Internet www.wolf-kroetke.de
Shakti Tjana-Marja, „Die Heilige und die Hure”, Internet http://kirill-tantra.de
Ken Wilber, „Eine kurze Geschichte des Kosmos”, Frankfurt am Main 1997
Rahab
Die gläubige Dirne
Du sollst nicht huren, du sollst nicht ehebrechen, und du sollst Unzucht meiden. So heißt es in der Bibel. Doch ausgerechnet eine Hure ist eine der Ahnmütter Jesu. Im Alten Orient war Prostitution sogar ein Beruf, mit dem Frauen ohne moralische Verurteilungen selbständig ihr Geld verdienen konnten; man fand nichts Anrüchiges daran. Auch Vielweiberei ist in der Bibel verbreitet. Da die Bibel nun aber eine Schrift für das Leben ist, schließt sie alle Menschen ein, auch Huren. So bietet Gott ihnen neben Vergebung einen Neuanfang. Er sagt, dass die Zöllner und die Huren eher ins Reich Gottes kommen als die Hohenpriester, denn die Zöllner und Huren glaubten an Gott. Zu diesen Huren gehörte Rahab. Erstaunlicherweise wurde gerade über sie in der Bibel sehr detailliert geschrieben. Die Geschichte der Hure Rahab - aus dem Alten Testament des Buches Josua - handelt einerseits vom Verrat einer Stadt durch eine Hure, andererseits von Verzeihen und Vergeben und von Loyalität und Glauben. Rahab hat über vierzig Jahre als Prostituierte gearbeitet, bis sie sich zum jüdischen Glauben bekehrte. Sie nimmt in der Geschichte der Einnahme Jerichos durch die Israeliten eine wichtige Stellung ein.
Der Theologe Ernst Modersohn, Schwager von Paula Modersohn-Becker, schrieb über sie: „Rahab war eine ungläubige Frau in der ungläubigen Stadt Jericho. Vor mehr als 3.400 Jahren lebte sie in dieser Stadt voller Sünde und Schande. Sie war eine stadtbekannte Dirne und wohnte direkt an der Stadtmauer. Am Marktbrunnen unterhielt sie sich mit anderen Frauen über ein Volk, das aus Ägypten ausgezogen sei, seinen Weg mitten durchs Rote Meer genommen habe und eines Tages an die Tore Jerichos klopfen würde. Diesem Volk Widerstand zu leisten, habe wenig Aussicht, da es vom Gott des Himmels und der Erde angeführt würde.“
Rahab war keine einfache Straßendirne. Sie gehörte in der rabbinischen Tradition zu den vier schönsten Frauen der damaligen Welt. Intelligent war sie und clever, eine wunderbare Gesellschafterin, vielleicht vergleichbar mit einer japanischen Geisha. Ihre Räumlichkeiten waren günstig gelegen, sie waren sowohl von der Innenstadt als auch von der Umgebung zugänglich. Bei ihr kehrten die Reichen und Mächtigen ein. Sie hatte sehr gute Beziehungen zum Königshof und bei so manch einem Schäferstündchen ist sicherlich auch das eine oder andere Wort gefallen, so dass Rahab bestens informiert war, besonders über die Siege der Israeliten. Sie kannte aber auch die Stärke des eigenen Militärs in Jericho. Und sie wusste, dass sie eine Einnahme Jerichos durch die Israeliten nicht überleben würde.
Wie ist es nun zu dieser Einnahme Jerichos gekommen? Laut Bibel hatte Jahwe, der Gott Israels, Moses dieses Land versprochen. Als Moses starb, sollte nun Josua mit dem gesamten Volk der Israeliten, das aus Ägypten ausgewandert und einer 430jährigen Gefangenschaft entkommen war, über den Jordan gehen, um ihnen das Land vom Libanon bis zum Euphrat und von dort bis zum Mittelmeer zu übergeben. Er solle keine Angst haben, denn sein Gott Jahwe wäre mit ihm, wo immer er auch gehen würde.
Josua schickte vom Ostjordanland, nördlich des Toten Meeres, zwei Kundschafter aus, die sich das Land anschauen sollten, darunter auch die Stadt Jericho. Dort kamen sie in das Haus der Hure Rahab. Manche Quellen sprechen von einer Hostess in einem Massagesalon oder einer Gastwirtin in einem Wirtshaus. Aber ob Hostess oder Gastwirtin, es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass es sich um eine Prostituierte in einem Bordell handeln könnte.
Schon immer waren Bordelle zum Spionieren oder als geheime Treffpunkte sehr gut geeignet. Nach dem Motto „Gibst du mir, geb ich dir“ beschloss Rahab, einen Deal mit den beiden Kundschaftern auszuhandeln, die Josua vorgeschickt hatte, um die Gegend zu erkunden. Denn Rahab war klug.
Von der Ankunft der beiden israelitischen Kundschafter erfuhr allerdings auch der König von Jericho: Er schickte seinerseits zwei Boten ins Haus der Hure Rahab und ließ ihr ausrichten, sie solle diese beiden Israeliten herausgeben. Das tat sie nicht. Im Gegenteil – sie erklärte den Boten, dass sehr wohl zwei Männer bei ihr wären, sie aber nicht wisse, woher sie kämen und wohin sie gingen. Wenn sie sich beeilten, könnten sie die Israeliten aber noch bei den Jordanfurten einholen. So zogen die Boten wieder ab.
Rahab hatte die beiden Israeliten auf dem Dach unter den Flachsstengeln versteckt, die dort ausgebreitet waren. Sie wusste, dass Gott das Wasser im Schilfmeer ausgetrocknet hatte und sie neues Land von ihm bekommen würden. Zu diesem neuen Land gehörte auch Jericho, die Stadt, in der sie wohnte. Widerstand zu leisten beim Einmarsch in die Stadt war zwecklos, da das Volk Israel von Gott angeführt wurde. Sie bat um Gnade wenigstens für ihren Vater, ihre Mutter, ihre Brüder und Schwestern.
Unter Eid versprachen ihr die Kundschafter Verschonung bei der Einnahme von Jericho, nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Familie. Hätte Rahab sie verraten, wäre der Eid ungültig geworden. Rahab ließ die beiden durchs Fenster hinaus. Da ihr Haus direkt an der Stadtmauer stand, wo keine Soldaten die Stadt bewachten, konnten sie unbemerkt fliehen. Rahab ließ sie kurzerhand an einem roten Seil hinunter. Als weithin sichtbares Erkennungszeichen bei der Einnahme der Stadt sollte Rahab dieses rote Seil ins Fenster knüpfen. Noch heute ist die Farbe Rot eine Signalfarbe. Das Seil könnte ein Liebesband darstellen, aber auch das rettende Band Christi. Auch das Rotlichtviertel scheint nicht von ungefähr zu kommen.
Auf Josuas Zeichen wurde die Stadt Jericho unter lautem Kriegsgeschrei eingenommen. Zu den beiden Kundschaftern sagte er, dass sie Rahab aus dem Haus herausbringen sollten, mit allem was sie habe, so wie es im Eid beschworen war. Josua ließ die Dirne Rahab am Leben. Sie und ihre Familie wurden außerhalb des Lagers Israels untergebracht. Die Stadt selbst wurde verbrannt bis auf das Silber, Gold und Kupfer.
Interessanterweise ist dieser Stoff literarisch und auch musikalisch bearbeitet worden. Der Lyriker Börris Freiherr von Münchhausen hat 1898 einige Bilder für Rahabs Lied dem Hohenlied entnommen. Jojada ist hier der Kundschafter:
Mein Freund ist wie ein Büschel Myrrhen,
Das zwischen meinen Brüsten hängt,
In meiner Seele letzte Tiefen
Sich Tag und Nacht sein Name drängt,
Und blind bin ich, seit ich ihn sah,
Jojada, Jojada!
Sein Arm lag unter meinem Haupte,
Die rechte Hand liebkoste mich,
Die Palmenstadt schlief rings im Tale,
Und süß ihr Atem uns umstrich,
Der Himmel war so nah, so nah,-
Jojada, Jojada!
Doch über meiner Seele Saiten
Schrillt jäh ein Ton, zerrissen, wild,
Vom Himmel fallen alle Sterne,
Und Blut aus allen Wolken quillt:
Mein Vaterland verriet ich ja,
Jojada, Jojada!
Verflogner Duft der Palmen
Strich her von irgendwo. –
Tot hing am roten Seile
Rahab von Jericho.
Ein bayerischer Opernkomponist hat diesen Stoff Anfang des 20. Jahrhunderts für die Oper entdeckt. Es war Clemens Freiherr von Franckenstein, der in dieser Zeit auch Intendant der bayerischen Staatsoper in München war. Die Oper selbst wurde 1911 fertiggestellt. Das Libretto stammt von Oskar F. Mayer, der daraus eine Liebesgeschichte entwickelte. Der Kundschafter heißt in dieser Geschichte Hiram. Er wird von den königlichen Soldaten entdeckt und gejagt, bis er blutbespritzt vom Kampf ins Haus der Rahab kommt. Viel Zeit für Erklärungen gibt es nicht, also versteckt Rahab den Kundschafter in ihrem Schlafgemach. Soldaten rücken an und durchsuchen das gesamte Haus. Das Schlafgemach verteidigt Rahab mit einem Messer in der Hand. Die Soldaten lassen von ihr ab. Sie wollen kein Blutvergießen provozieren, denn sie wissen von Rahabs einflussreichen Beziehungen. Nachdem die Soldaten verschwunden sind, öffnen die Sklavinnen, wie sie in der Oper genannt werden, dem Kundschafter Hiram die Tür, sodass er aus dem Versteck heraustreten kann. Er geht auf Rahab zu, die ihm ihre Zuneigung gesteht. Ihre Sklavin Nahalal allerdings will Rahab davon abbringen, sich mit dem fremden Kundschafter einzulassen. Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung, bei der Rahab ihre Sklavin aus Liebe zu Hiram, der sonst verraten wäre, ersticht. Hiram ist beeindruckt. Immerhin wurde er von einer Frau gerettet, deren Stadt er ohne Rücksicht auf Verluste einnehmen wollte. Die Oper endet in dem Moment, als der Kundschafter seinen Gott ruft, um ihn um Schonung zu bitten, für ihn selbst, für Rahab und für ihre Familie. Hier bleibt das Ende offen.
Matthäus schreibt im Neuen Testament, dass Rahab später einen hochrangigen Fürsten aus dem Stamme Juda geheiratet und ihm den Sohn Boas geboren hatte. Dadurch ist sie in den Stammbaum Jesu hineingekommen und ihr voriges Sündenleben war vergeben. Matthäus stellt hier eine Rahab vor, die durch ihren Glauben einen Neuanfang macht: Sie ist nicht mehr die Dirne Rahab, sondern die Mutter Rahab, die Mutter von Boas.
von Sema Binia
Quellen:
Ruth Lapide, „Biblische Gestalten - Rahab, die Dirne von Jericho”, Gespräch mit Walter Flemmer, Bayerischer Rundfunk, München 2001
Volkhard Spitzer, „Die ganze Wahrheit über die Hure Rahab”, Predigt in Bibel-TV, Hamburg 2010
Magda Motté, „Esthers Tränen, Judiths Tapferkeit. Biblische Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts”, Darmstadt 2003
CID - christliche internet dienst GmbH, Berlin, Website: http://bibel-online.net
Georg Fohrer, „Zürcher Bibelkommentare. Das Buch Jesaja”, Band 2, Zürich-Stuttgart 1966
Frank Hossfeld, Erich Zenger, „Die neue Echter-Bibel. Kommentar zum Alten Testament mit Einheitsübersetzung” Würzburg 1993