Czytaj książkę: «Heathens Ink: Meine Herzensbrecher»
Deutsche Erstausgabe (ePub) Februar 2021
Für die Originalausgabe:
© 2018 by K.M. Neuhold
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Flash Me«
Originalverlag:
Published by Arrangement with
Hershman Rights Management, LLC
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2021 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
Lektorat: Susanne Scholze
ISBN-13: 978-3-95823-870-1
Besuchen Sie uns im Internet:
www.cursed-verlag.de
Aus dem Englischen
von Anne Sommerfeld
Liebe Lesende,
vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.
Vielen Dank!
Euer Cursed-Team
Klappentext:
Nachdem Liam als Transmann in seinem Leben schon viel Ablehnung erfahren musste, hat er in seinem Bruder Royal und den liebenswerten Menschen rund um das Tattoostudio Heathens Ink endlich eine Familie gefunden. Für Owen, den attraktiven Tätowierer mit einem Herz aus Gold, empfindet er allerdings mehr als nur Freundschaft. Owen wird jedoch von Albträumen seiner Vergangenheit geplagt und will Liam seine Probleme nicht aufbürden. Da kommt Therapeut Wyatt ins Spiel, mit dem Liam schon lange befreundet ist und der insgeheim auch etwas für Liam übrighat. Könnte er das fehlende Puzzlestück sein, das alles miteinander verbindet? Oder endet das Ganze nur mit drei gebrochenen Herzen?
Widmung
Für die absolut bewundernswerten Menschen, die mir geholfen haben, Liam zu verstehen und seiner Figur so wunderbares Leben einzuhauchen. Und für alle, die sich in ihrem eigenen Körper nie so richtig wohlgefühlt haben.
Hinweis für die Lesenden
Ich weiß, sobald ihr anfangt, dieses Buch zu lesen, werdet ihr euch fragen: Moment, habe ich Cas'/Beaus und/oder Finns Geschichte verpasst? Nein, ihr habt sie nicht verpasst, sie kommen noch. Liam hat nur beschlossen, super aufdringlich zu werden, und sich geweigert abzuwarten, während irgendjemand anderes vor ihm an die Reihe kommt. Dieses Buch spielt also, vom Rest der Heathens Ink-Bücher aus gesehen, vier Jahre später. Nach diesem und Kyles Buch springen wir wieder in der Zeit zurück, damit auch die anderen Jungs ihr jeweiliges Happy End bekommen. Danke fürs Lesen und viel Spaß mit Liam!
Kapitel 1
Liam
Als ich das große, stille Haus betrete, wappne ich mich dafür, dass meine engsten Freunde – die eigentlich meine Familie sind – hervorspringen und Überraschung rufen. Es ist keine Überraschung. Es ist schon seit ein paar Jahren keine Überraschung mehr. Aber ich gebe jedes Jahr vor, überrascht zu sein, weil sie eine Menge für mich machen und so zu tun, als wäre ich fassungslos, dass all die Autos, die draußen parken, von jemandem hierhergefahren worden waren, ist das Mindeste, was ich tun kann.
»Überraschung!«, ruft die Meute.
»Oh mein Gott!« Gespielt schockiert lege ich mir eine Hand auf die Brust. »Ihr habt mich schon wieder erwischt.«
Mein Bruder Royal lacht leise und marschiert nach vorn, als würde er mich umarmen wollen. Ich kenne seine Finte jedoch und ducke mich, bevor er mich in den Schwitzkasten nehmen kann.
»Hier, Kleiner.« Zade, einer von Royals Partnern, kommt grinsend mit einem roten Plastikbecher in der Hand auf mich zu.
Ich hebe den Becher an die Lippen und zucke zusammen, als mir der Geruch in die Nase steigt.
»Urgh, was zur Hölle ist das?«
»Eine Mischung aus allem, was wir in der Hausbar haben. Es ist ein Initiationsritual, dass du dich heute Nacht übergibst, also fängst du besser mit dem Trinken an.«
»Zade«, schimpft Nash von der anderen Seite des Raums aus. Nash ist Royals und Zades anderer Partner. Diese drei Männer sind mehr als nur Brüder für mich; sie haben mich aufgenommen, als ich nirgendwohin konnte und noch dabei war herauszufinden, wer ich bin. Sie haben mich vom ersten Moment an so akzeptiert, wie ich war, und mich immer unterstützt. Sie haben mir das Leben gerettet.
»Hey, Geburtstagskind, komm mal her«, ruft eine tiefe, raue Stimme vom anderen Ende des Raums. Bevor ich mich auch nur umdrehen kann, spüre ich, wie mein Gesicht heiß wird und mein Puls rast. Ich atme tief ein und drehe mich zu dem Mann um, der das attraktivste Lächeln und die umwerfendsten blauen Augen hat, die mir je begegnet sind. Owen Thames.
Ich winke und lächle ihn schüchtern an. Er winkt zurück und bittet mich mit einem breiten Grinsen zu sich.
Ich versuche, mir unauffällig meine feuchten Hände an der Hose abzuwischen. Ich bin jetzt 21. Ich bin alt genug, wählen zu dürfen, im Krieg zu sterben und jetzt sogar zu trinken. Ich habe einen Abschluss in bildender Kunst und ein recht erfolgreiches kleines Unternehmen als Fotograf aufgebaut. Ich habe sogar meine eigene Wohnung. Ich bin nicht der Kleine, den Owen seit sechs Jahren kennt. Ich bin ein Mann. Und ich bin endlich alt genug, einen Weg zu finden, ihn mir zu holen.
»Herzlichen Glückwunsch.« Beim Klang der tiefen Stimme an meinem Ohr zucke ich zusammen und ein kleiner Schauer läuft mir über den Rücken. Ich drehe mich um und lächle.
»Wyatt! Danke, dass du gekommen bist.« Ich breite die Arme aus, um ihn zu umarmen, stelle dann aber fest, dass er ein bunt eingepacktes Geschenk in den Händen hält. »Du hättest mir nichts kaufen müssen.«
»Du hast Geburtstag; natürlich musste ich dir was mitbringen.« Er hält mir grinsend das Geschenk entgegen. Ich komme nicht darüber hinweg, wie attraktiv er dank seines süßen Lächelns und dem nerdigen Outfit ist. Er trägt sogar eine seiner charakteristischen Fliegen – heute eine mintgrüne mit schwarzen Punkten. In seinen grünen Augen liegt immer ein Lächeln und er ist immer für eine Umarmung zu haben.
»Na dann, danke.« Ich nehme das ordentlich eingepackte Geschenk entgegen und als sich unsere Finger berühren, schießt ein kleiner Funke durch mich hindurch. Es ist nicht das erste Mal. Eigentlich ist er in den letzten zwei Jahren gewachsen. Ich würde es vielleicht eine Schwärmerei nennen, aber ich glaube, dass es eher so etwas wie Heldenverehrung ist.
Wyatt hat vor drei Jahren angefangen, als Betreuer für die Kids im Rainbow House zu arbeiten. Ich war 18, hatte gerade meine Oberkörperoperation hinter mir und jemanden zum Reden gebraucht. Und da war Wyatt, der schnell zu einem Freund geworden war und immer ein offenes Ohr hatte – und mich an meinen jetzigen Berater Alex verwies. Ich bin nicht sicher, wo ich ohne Wyatt wäre, was der Grund dafür ist, dass ich ihn auf ein Podest stelle.
Ich reiße das Papier auf, während Wyatt mich mit einem schiefen Grinsen beobachtet und ich keuche entzückt, als ich die alte Polaroidkamera auspacke.
»Oh mein Gott, die ist großartig! Wo hast du die überhaupt gefunden?«
»Ich hab meine Quellen«, scherzt Wyatt. »Du redest seit mehr als einem Jahr darüber, dass du eine haben willst; ich konnte nicht widerstehen.«
Seht ihr, was hab ich gesagt? Er ist perfekt.
Ich schlinge die Arme um Wyatts Schultern und gestatte mir, einen Augenblick seine beruhigende Ausstrahlung aufzusaugen.
»Ich muss mich ein wenig unter die Leute mischen, aber danke für das Geschenk. Nimm dir was zu trinken, Kuchen, was auch immer«, schlage ich vor. Als mir auffällt, dass ich plappere, lächle ich ihn schnell an.
»Ja, keine Sorge. Ich bin vielleicht alt, aber ich glaube, dass ich mich noch daran erinnere, wie man einen 21. Geburtstag feiert«, versichert mir Wyatt mit einem Zwinkern.
»Amüsier dich, alter Mann«, necke ich ihn.
Ich beobachte, wie Wyatt zu Kyle und ein paar anderen ehemaligen Kids aus dem Rainbow House geht. Dann drehe ich mich wieder zu Owen um, der jetzt in ein Gespräch mit Dani vertieft ist und gehe auf ihn zu.
»Hey, Geburtstagskind«, begrüßt er mich und lächelt, als ich neben ihn trete.
Mein Magen schlägt Purzelbäume und flattert und ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt.
»Hey«, sage ich so lässig wie möglich. »Danke, dass du gekommen bist.«
»Jederzeit, Kleiner.«
Sein Spitzname lässt mich zusammenzucken. Natürlich sieht er mich noch immer als Kind. Vielleicht wird er mich immer als Kind sehen.
»Hört mal alle her«, sagt Royal laut und ich zucke erneut zusammen. Um Gottes willen, bitte lass ihn keine peinliche Diashow zusammengestellt haben. Ich drehe mich um und sehe ihn schwankend auf einem der Küchenstühle stehen, sodass ich mich frage, wie viel er schon getrunken hat. »Guck nicht so erschrocken, kleiner Bruder. Ich wollte dir nur gratulieren und dir sagen, dass ich wirklich glücklich bin, dass du mich gefunden hast. Ich bin froh, dass du in unser Leben gekommen bist. Wir lieben dich.«
Mir klappt der Mund auf und ich werde noch röter, als ich es geworden wäre, wenn er ein Bild von mir gezeigt hätte, auf dem ich sabbere, nachdem mir der Weisheitszahn gezogen worden war, oder eines der halben Dutzend Fotos, die er von meinem Kinn gemacht hat, als mir langsam ein Bart wuchs.
»Was glaubst du, wie betrunken ist er?«, flüstert Owen und sein heißer Atem an meinem Nacken lässt mich erschaudern.
»So betrunken, dass Nash und Zade alle Hände voll zu tun haben werden«, stimme ich leise lachend zu.
Wie aufs Stichwort geht Zade zu Royal, wirft ihn sich über die Schulter und verpasst ihm einen spielerischen Klaps auf den Hintern.
»Die Glücklichen«, erwidert Owen und Hitze schießt durch mich hindurch. Witze über Sex sind neu. Das war doch ein Witz über Sex, oder? Wie sehr kann er mich noch als Kind sehen, wenn er einen Witz über Sex macht?
»Es gibt Kuchen«, bietet Nash laut an.
»Warte, wir müssen singen!«, ruft Royal von Zades Schulter aus.
»Liam möchte nicht, dass wir singen, Babe«, versichert Nash ihm.
»Doch, will er; es ist sein Geburtstag«, widerspricht Royal.
»Nein, will er nicht«, mische ich mich ein. »Ihr dürft alle Kuchen essen, aber singt bitte nicht.«
Ein paar Stunden und zu viele Drinks später, legt Kyle einen Arm um meine Taille, und stützt mich.
»Na komm, bringen wir dich nach Hause, bevor du dich blamierst«, schlägt er vor.
Ich habe Kyle im Rainbow House kennengelernt, als ich hergezogen bin und wir haben uns ziemlich schnell gut verstanden. Sein Vater hatte ihn rausgeschmissen, als er ihn beim Crossdressing erwischt hat und damals war er ziemlich verwirrt darüber, was es bedeutete. Mit der Zeit ist ihm klar geworden, dass er einfach ein schwuler Junge ist, der gern hübsche Klamotten und Make-up trägt. Aber wir hatten damals viel Spaß dabei, ihm zu helfen, seine Sexualität zu entdecken, wenn ihr versteht, was ich meine. Und wie jeder weiß, ist die gemeinsame Entdeckung der Sexualität die Wurzel jeder guten Freundschaft.
»Aber ich konnte Owen noch nicht nach einem Date fragen«, lalle ich.
»Ich weiß, Kumpel. Aber das solltest du dir vielleicht für einen Tag aufheben, an dem du nicht betrunken umfällst.«
»Ich hab mich betrunken, damit ich mich traue«, erkläre ich frustriert, während Kyle mich weiter zur Haustür führt.
»Das war kein toller Plan.«
»Ich hasse dich«, grummle ich.
»Du liebst mich«, widerspricht er.
Die Gäste rufen von allen Seiten Bis bald und Herzlichen Glückwunsch, als Kyle mich rausbringt. Auf dem Weg zur Tür richtet sich mein Blick eine Sekunde lang auf Wyatt und mein Herz flattert ein wenig. Als wäre es nicht schon genug, für einen Mann zu schwärmen, der in einer für mich unerreichbaren Liga spielt… seufz.
»Was ist mit meinem Auto?«, frage ich Kyle, sobald wir draußen sind.
»Ich bring dich morgen her, damit du es holen kannst. Beziehungsweise bin ich sicher, dass dein Bruder es vorbeibringt.«
Owen
Lächelnd beobachte ich, wie Kyle Liam rausbringt. Es war schön zu sehen, dass Liam seinen 21. Geburtstag genossen hat, aber schwer, ihn nicht mit meinem eigenen zu vergleichen. Mein 21. war einer von vier Geburtstagen, die ich hinter Gittern gefeiert habe.
»Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?«, bietet Adam an und legt mir freundlich eine Hand auf die Schulter. Ich sehe ihn an und lächle.
»Nein, ich komm klar. Ich hatte nur einen Drink vor ein paar Stunden. Aber danke.«
Er nickt und drückt meine Schulter, ehe er seinen Mann Nox an sich zieht. Mein Herz schmerzt ein wenig, als ich dem glücklichen Paar auf seinem Weg zur Tür hinterhersehe. Ich bin jetzt seit Jahren nur von glücklichen Paaren – und Dreiern – umgeben. Ich hatte gedacht, dass es mir endlich nichts mehr ausmachen würde und die Sehnsucht verschwunden wäre, an die ich mich so sehr gewöhnt hatte. Aber in letzter Zeit verspürte ich wieder dieses Jucken unter meiner Haut.
Ich sehe mich unter den Gästen um und halte inne, als mein Blick auf den hinreißenden, nerdigen Mann fällt, der mit einigen ehemaligen Kids aus dem Rainbow House spricht. Er heißt Wyatt. Er ist Betreuer im Rainbow House und mit Liam und Beck befreundet, aber ich persönlich kenne ihn nicht gut. Wir sehen uns hin und wieder, aber ich glaube nicht, dass ich mich auch nur einmal mit ihm unterhalten habe. Sein blauer Pullunder und die Brille mit dem dicken Rahmen bringen mich aus irgendeinem Grund zum Lächeln. Er ist einfach so… süß. Das ist wirklich das einzig passende Wort für ihn.
Als Kyle und Liam an ihm vorbeigehen, folgt Wyatt Liam mit dem Blick und lächelt zärtlich. Irgendetwas Seltsames zieht sich in meiner Brust zusammen. Es ist fast Eifersucht, aber nicht ganz. Es ist eher ein Bewusst werden. Was genau mir bewusst wird, weiß ich nicht. Aber es prickelt einige Sekunden über meine Haut, als die beiden Blickkontakt halten und etwas zwischen ihnen passiert, das keiner der beiden bemerkt.
Und dann führt Kyle Liam hinaus und die Elektrizität in der Luft scheint zu verschwinden, als wäre sie nie da gewesen.
Vorsichtig werfe ich einen letzten Blick auf Wyatt, ehe ich mich umdrehe und Nash bei seinen Bemühungen unterstütze, ein wenig aufzuräumen.
»Danke für deine Hilfe. Wenn es nach Royal und Zade ginge, würden sie hier wochenlang Chaos herrschen lassen.«
»Kein Problem«, versichere ich ihm. Es ist ja nicht so, dass ich einen Grund hätte, schnell nach Hause zu wollen. In meiner Wohnung ist es dunkel, still und schmerzhaft leer. Sie ist seit ein paar Jahren leer, seit mein Kumpel Finn mit seinen Männern zusammengezogen ist, also warum stört es mich plötzlich so sehr?
»Geht's dir gut? Du wirkst in letzter Zeit so geknickt«, erkundigt sich Nash.
»Ja, bin wohl gerade nur in so einer komischen Stimmung. Das wird wieder.«
»Du weißt, dass ich immer da bin, falls du reden willst. Das sind wir alle. Wir sind eine Familie, richtig?«
»Auf jeden Fall«, stimme ich zu und ziehe Nash kurz an mich. Nach fünf Jahren im Heathens Ink kann ich immer noch nicht glauben, wie viel Glück ich habe, diese Männer – und Dani – in meinem Leben zu haben.
Das Schicksal hat mir in diesem Leben mehr als einmal übel mitgespielt, aber es hat alles richtig gemacht, als es mich ins Heathens geschickt hat.
Kapitel 2
Wyatt
Mit einem Getränkehalter aus Pappe in einer Hand, öffne ich mit meinem Sicherheitsausweis die Tür, um ins Rainbow House zu gelangen. Eine friedliche Stille begrüßt mich und ich lächle. Ich liebe diese Zeit am Morgen, kurz bevor die Bewohner aufwachen.
Ich schalte das Flurlicht an und gehe zu den Büros, wo ich mit Sicherheit schon jemanden vorfinden werde. Auch zur unchristlichen Zeit von sechs Uhr morgens.
»Du siehst nach gestern Abend gar nicht schlecht aus«, sage ich, als ich Becks Büro betrete und seinen großen Soja-Latte auf den Tisch stelle.
Beck sieht von seinem Computer auf, seine Lippen sind zartrot geschminkt und seine Wimpern unendlich lang.
»Das liegt am Concealer, Süßer. Der kann selbst den entsetzlichsten Kater verbergen«, erklärt Beck grinsend und nimmt seinen Kaffee. »Danke. Ich hatte heute Morgen keine Zeit, mir was zu holen und weiß den Kaffee sehr zu schätzen.«
»Jederzeit. Du hattest noch nicht die Möglichkeit, mit Liam zu sprechen, oder? Er hat es letzte Nacht ziemlich krachen lassen.« Ich gebe mein Bestes, lässig zu klingen, nehme mein eigenes Getränk aus dem Halter, trinke einen großen Schluck und verbrenne mir den Mund. Allerdings lenkt es mich effektiv davon ab, wie mein Körper in den letzten Monaten auf Liam reagiert hat.
»Hab ich Liam nach seinem 21. Geburtstag vor sechs Uhr morgens angerufen?« Beck hebt eine seiner perfekt gezupften Augenbrauen. »Nein, das kann ich nicht behaupten.«
»Gutes Argument.« Ich lache leise. Wow, das mit dem lässig hab ich wirklich drauf.
»Warum interessiert dich das überhaupt?«
Verdammt.
»Wir sind Freunde, das weißt du doch.«
»Mhm.« Beck grinst und ich frage mich, ob er mich durchschaut. Falls ja, kann er mir vielleicht erklären, was gerade in meinem verwirrten Kopf vorgeht.
Ich habe vor drei Jahren angefangen, ehrenamtlich im Rainbow House zu arbeiten. Liam habe ich während meiner ersten Woche kennengelernt. Damals war er 18 und wir haben uns schnell bei schlechten Fernsehsendungen und zu viel Kaffee angefreundet. Er hatte gerade seine Oberkörperoperation hinter sich und war kein großer Fan des Therapeuten, zu dem er ging, also habe ich ihm meinen Freund Alex empfohlen, der selbst trans ist und sich darauf spezialisiert hat, anderen Transmenschen zu helfen.
Ich habe erlebt, wie sich Liam von einem unbeholfenen Teenager zu einem selbstbewussten Mann entwickelt hat und ich bewundere ihn wahnsinnig. Aber seit etwa einem Monat fühlt sich etwas zwischen uns anders an. Es ist eine neue Energie, die ich nicht mal annähernd beschreiben oder verstehen kann.
»Ich bringe Mary besser ihren Kaffee, bevor er kalt wird.«
Beck legt den Kopf schräg und hebt seinen Becher, um sich noch einmal zu bedanken, ehe ich in das Büro neben seinem gehe. Mary ist so munter wie immer und begrüßt mich mit einer mütterlichen Umarmung, bevor sie ihren Kaffee nimmt und an mir vorbeihuscht, um in der Küche das Frühstück für die vielen Teenager vorzubereiten, die bald aufstehen werden.
Als ich auf dem College meinen Abschluss in Psychologie achte, habe ich davon geträumt, an einem Ort wie dem Rainbow House zu arbeiten. Es ist genau der Ort, von dem ich mir gewünscht hätte, ich hätte ihn zu meiner Teenagerzeit gekannt, als ich in einer homophoben Kleinstadt mitten im Nirgendwo in Utah aufgewachsen bin.
Wie ich in Seattle gelandet bin… Ich nenne es Zufall. Mein bester Freund Jace besteht gern darauf, dass es Schicksal war. Ich bin nicht sicher, wie weit das Schicksal damit zu tun hatte, dass mir nach dem Abschluss eine anständige Position in einem Therapiezentrum angeboten wurde. Das war vor sieben Jahren und seitdem habe ich hier ein Zuhause gefunden – Freunde, mittlerweile habe ich eine eigene Praxis und den Großteil meiner Freizeit verbringe ich mit der ehrenamtlichen Arbeit im Rainbow House. Es ist ein verdammt gutes Leben, wenn auch etwas einsam, wenn ich nachts in mein leeres Bett krieche.
Ich gehe in mein eigenes Büro, fahre den Computer hoch und nehme noch einen großen Schluck von meinem Kaffee.
Ein paar Stunden bin ich damit beschäftigt, Akten zu schreiben und nach meinen Patienten zu sehen, bis mein Magen am späten Vormittag zu grummeln beginnt.
Ich stehe auf und strecke stöhnend die Arme. Scheiße, ich werde alt. Okay, 31 ist nicht so alt, aber ich fühle mich uralt. Noch ein Grund mehr, warum sich die Schmetterlinge in Bezug auf Liam beruhigen sollten. Er ist zehn Jahre jünger als ich und noch immer in der Phase seines Lebens, in der er mit verschiedenen Menschen ausgehen sollte. Ich hingegen bleibe nachts wach und träume von jemandem, mit dem ich sesshaft werden kann. Das ist eine schlechte Kombination und dabei bleibt es.
Das heißt natürlich nicht, dass ich ihm nicht schreiben und mich nach ihm erkundigen kann. Er ist immer noch einer meiner engsten Freunde.
Wyatt: Wie fühlst du dich?
Liam: Tot. Ich werde nie wieder so viel trinken. Man sollte meinen, ich wüsste es mittlerweile besser.
Wyatt: Mittlerweile? Warum? Du bist gerade erst 21 geworden. Willst du andeuten, dass du *keuch* schon Alkohol getrunken hast, bevor du es legal durftest?
Liam antwortet mit einem Emoji mit schrägen Augen, die, glaube ich, ein Augenverdrehen darstellen sollen und gefolgt von einem mit einem Heiligenschein. Ich lache leise und die Schmetterlinge machen wieder diese verrückte Sache.
Wyatt: Ich muss was essen; hast du Zeit, dich mit mir im Deli zu treffen?
Liam: Ja, ich hab um zwölf einen Termin mit Owen für ein neues Tattoo. Abgesehen davon hab ich Zeit. Ich dachte mir, dass es besser ist, keine Kunden für einen Fototermin für den Tag nach meinem 21. Geburtstag anzunehmen.
Wyatt: Gut mitgedacht. Treffen wir uns in fünfzehn Minuten?
Liam: Cool.
Ich fahre den Computer herunter, lege meine Akten in den abschließbaren Schrank und mache mich lächelnd auf den Weg.
Liam wartet schon auf mich, als ich das Deli erreiche. Ich bemerke ihn, bevor er mich entdeckt und ich starre ihn ein paar Sekunden an, während er sich mit den Händen durch seine hellbraunen Haare fährt und dem Kerl hinter der Theke flirtende Blicke zuwirft. Der Mann erwidert sein Lächeln und mustert Liams schlanken Körper bewundernd.
Ein Teil von mir möchte zu ihnen marschieren, sich vor Liam stellen und diesen Deli-Typen – sein Name ist Tom, so gern ich auch kleinlich sein und so tun möchte, als wüsste ich das nicht, kann ich es einfach nicht – davon abhalten Liam anzusehen. Aber der andere Teil von mir strahlt, weil Liam flirtet und lächelt. Ich habe ihn gedrängt, sich zu öffnen und es mit Dating zu versuchen und ich habe kein Recht, jetzt sauer zu sein, weil es so aussieht, als würde er meinem Vorschlag folgen.
Liams Blick wandert in meine Richtung und er winkt mich zu sich. Die Begeisterung in seinem Lächeln wärmt mich bis tief in mein Inneres.
»Du siehst etwas mitgenommen aus, nachdem du gestern getrunken hast, alter Mann«, neckt mich Liam, als ich mich neben ihn stelle.
»Erinner mich nicht an mein fortgeschrittenes Alter«, sage ich trocken.
»Du hast recht; ich muss den Älteren gegenüber respektvoller sein«, antwortet er weise und ich kann nicht widerstehen, ihm in die Seite zu kneifen, sodass er sich vor Lachen krümmt. »Hey, Kitzeln ist gegen die Regeln eines fairen Kampfes.«
»Genauso, wie sich über das Alter des Gegners lustig zu machen.«
»Waffenstillstand.« Liam hebt die Hände, die Augen weit aufgerissen und mit unschuldigem Blick – ja, sicher, als würde ich ihm das abkaufen.
»Ich benehme mich, solange du es tust.«
»Ich hab dein Truthahn-Sandwich, Liam«, sagt Tom und schiebt einen Teller über die Theke.
»Danke.« Liam schenkt ihm ein weiteres Lächeln, von dem ich mir wünsche, es würde mir gelten, ehe er zur Seite tritt, damit ich bestellen kann.
»Was für ein neues Tattoo bekommst du heute?«, frage ich, sobald ich mein Essen habe und wir in der Nähe des großen Fensters sitzen.
»Die Transflagge auf meiner Hüfte«, antwortet Liam mit vollem Mund und eine leichte Röte schleicht sich auf seine Lippen. Hm, ich frage mich, warum er verlegen ist.
»Das ist cool. Ich glaube, ich bin zu spießig, um mich tätowieren zu lassen.«
»Spießig?« Liam schnaubt. »Du bist echt ein Trottel, Wyatt, und dafür liebe ich dich.«
»Wäre dir Gartenzwergenthusiast lieber?«
Liam krümmt sich vor Lachen, Limo schießt ihm aus der Nase und läuft ihm übers Gesicht.
»Oh mein Gott, du kannst doch sowas nicht sagen, wenn ich trinke. Die Kohlensäure ätzt mir noch den Nasengang weg«, schimpft er.
Als sein Lachen abebbt und er weiterisst, fällt mir auf, dass Tom Liam wieder interessiert mustert.
»Er steht auf dich«, sage ich und deute mit dem Kinn in Toms Richtung, damit Liam weiß, wen ich meine.
»Wer?«, fragt er und schiebt sich ein paar Pommes in den Mund. Erneut nicke ich in Toms Richtung und Liam sieht hinüber. »Tom?«
»Ja, Tom.« Ich schwöre, dieser Junge hat keine Ahnung, wie viel Aufmerksamkeit er manchmal auf sich zieht. Es ist nicht nur sein süßes Junge von nebenan-Aussehen. Liam erhellt Räume; er zieht die Menschen an.
»Ach was, Tom und ich flirten ein bisschen, aber er steht nicht auf mich.«
»Er hat dich die ganze Zeit angesehen.«
»Ja, aber…« Liam verstummt und schüttelt den Kopf.
»Du willst es ihm nicht sagen?«, rate ich und Liam verdreht die Augen.
»Hey, du hast mich zu Alex als Therapeut abgeschoben, also tritt ihm jetzt nicht auf die Zehen.«
»Ich hab dich nicht abgeschoben. Außerdem solltest du froh sein, dass ich dich zu Alex geschickt hab. Wenn du mein Patient wärst, könnten wir nicht so befreundet sein. Aber zurück zur Sache, es ist in Ordnung, wenn du noch nicht bereit bist, mit jemandem auszugehen, aber wenn du neben Alex jemanden zum Reden brauchst, bin ich als Freund immer für dich da.«
»Ich weiß. Und es ist nicht so, dass ich nicht bereit bin. Ich glaube eher, dass ich einfach auf die richtige… Person warte.«
So, wie Liam es sagt, frage ich mich, ob er jemand Bestimmtes im Sinn hat. Er verbringt den Großteil seiner Zeit mit den Freunden seines Bruders, von denen die meisten in Beziehungen stecken, oder mit Kyle. Ich weiß, dass Kyle und er als Teenager etwas miteinander hatten, aber das ist lange her und seitdem sind sie nur Freunde. Wer könnte es also sein?
»Oh Scheiße, es ist fast zwölf. Ich muss zum Heathens«, sagt Liam und stopft sich den Rest des Sandwichs in den Mund.
Heathens Ink ist das Tattoostudio, in dem sein Bruder arbeitet. Es gehört Adam und Gage, Becks Ehemann. Es ist ein bisschen seltsam, dass ich die einzige Person ohne Tattoos bin, die ich kenne. Vielleicht sollte ich mir ein kleines stechen lassen, an einer versteckten Stelle, wo es nur ein Liebhaber finden könnte. Der Gedanke ist ziemlich aufregend. Ich sollte definitiv noch einmal darüber nachdenken.
»Danke, dass du dich mit mir getroffen hast, damit ich nicht allein essen muss.«
»Ich helfe dir immer gern, weniger erbärmlich zu wirken«, zieht Liam mich auf und ich schüttle den Kopf. »Wir sehen uns später.«
Als Liam zur Tür huscht, werfe ich unwillkürlich verstohlen einen Blick auf seinen süßen, kleinen runden Hintern. Ich komme so was von in die Hölle.