Czytaj książkę: «Wrong turn»

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Juryk Barelhaven

Wrong turn

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Epilog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5.Kapitel

6. Kapitel

Prolog

Prolog

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Prolog

Impressum neobooks

Epilog

Wrong turn

Langsam fuhr Brown am Einkaufszentrum vorbei, als er den kleinen Jungen bemerkte. Er kam aus dem Haupteingang, schien vielleicht drei oder fünf Jahre alt zu sein und sein Gesicht zu einer Grimasse verzogen, die Brown bestens kannte. Er wollte nicht weinen, würde aber gleich losheulen. Brown hielt kurz an und betrachtete eingehend die Kulisse: eine gut besuchte Einkaufsmeile zwischen der Altstadt und dem Hauptbahnhof von Croydon. Jeden Samstagmorgen unternahmen gestresste Eltern mit ihren Zöglingen einen Einkaufsbummel durch die überfüllten Passagen, kämpften sich durch die allgemeine Hektik der Weihnachtsfeiertage und hofften inständig, dass die greinenden und nach Geschenken gierenden Kinder bis zum Abend sich wieder beruhigt hatten. Manchmal entschwand ein Kind und tauchte ab im Trubel, um noch ein bisschen länger zu glotzen und zu träumen.

Brown hielt seinen Wagen an und spürte die vertraute Anwandlung von Ekel. Doch je öfter er ein Kind aufgriff, umso schwächer wurde das Gefühl. Irgendwann würde es ganz verschwunden sein, aber die Frage blieb, was der Händler mit ihnen anstellte. Beim ersten Mal hatte Brown den schmierigen Händler gefragt und als Antwort bekommen, dass sie sicher und geborgen ein neues Zuhause bekommen würden. Dabei hatte er ihn ausdruckslos angestarrt, und Brown hatte in der Pause folgende Botschaft verstanden: Und wenn du schlau bist, fragst du nicht weiter. Die Spielschulden waren hoch, und wenn er binnen zwanzig Stunden dem Händler nicht die Ware brachte, würde er mehr als nur Unannehmlichkeiten erdulden müssen.

Brown litt unter Schlaflosigkeit, machte sich Gedanken über die kleinen Engel und wünschte sich insgeheim, er hätte nie damit angefangen in kleinen verrauchten Bars Karten zu spielen. Aber seine Leidenschaft gehörte den Karten und jedes Spiel war ihm recht, solange man dabei gewinnen konnte.

Aufmerksam betrachtete Brown den Jungen. Er wollte, dass ihm jemand half, dass ihm jemand die richtige Frage stellte: Hast du deine Eltern verloren? Sollen wir sie suchen gehen?

Doch es wäre nicht klug gewesen, sofort auszusteigen und sich dem Jungen zu nähern. Brown suchte nie an denselben Orten zweimal und achtete stehts auf aufmerksame Wachmänner und Kameras. Das Timing war wichtig. Zweimal waren sogar die Eltern rechtzeitig aufgetaucht und einmal hatte ein besonders aufmerksamer Wachmann ihn bis zu seinem Wagen verfolgt. Noch drei Fahrten. War das zu viel verlangt? Er atmete tief durch, hängte seine Invalidenplakette an den Rückspiegel und steuerte den Lieferwagen in eine Parkbucht speziell für Invaliden, denn sie lagen immer günstig und nach seiner Erfahrung würde niemand Fragen stellen.

Er stellte den Motor ab und holte seine Tasche hervor, in der das Chloroform, einen Lappen und Klebeband aufbewahrte. Das Kind konnte ihm aus seiner misslichen Lage heraushelfen, doch einmal erwischt würde es das Ende für ihn bedeuten. Unangenehme Fragen, eine Ermittlung und Knast drohten – und einen nicht amüsierten Händler, der am Ende seiner Haftzeit auf Michel Brown warten würde. Und sicher würde er Mittel und Wege finden, Brown die Ernsthaftigkeit der Lage klarzumachen.

Brown stieg aus, zog die Kappe über seinen Kopf und näherte sich vorsichtig dem Jungen, der sich immer ängstlicher umschaute. Jawohl, dachte er, der Kleine musste um die fünf Jahre alt sein, vielleicht sogar sechs. Er wirkte zart und trug keine Secondhand-Ware, sondern teure Kinderkleidung. Brown hatte mittlerweile einen Blick für Kinder reiche Vorstädter bekommen und seltsamerweise machte ihm diese Erkenntnis seine Arbeit etwas erträglicher: die Reichen würden sich mit ihrem Verlust schon irgendwie arrangieren, vielleicht adoptierten sie wieder ein Kind oder bezahlten einen teuren Psychologen dafür, den Schmerz weg zu therapieren. Ein hässlicher Gedanke.

Langsam fing der Junge an zu weinen. Wenn er laut werden würde, würde jemand auf ihn aufmerksam werden. Das konnte Brown nicht gebrauchen.

Brown beschloss seine Chance zu nutzen. Die Brust des Jungen zuckte, und die Zeit wurde knapp. Er ging zu dem Kind, ein junger Mann im Khaki-Hemd und einem Gesicht voller Sorgen. Die Hände auf die Schenkel gestutzt, beugte er sich über den Jungen, der ihm sein verstörtes, zartes Gesicht zuwandte. Himmelblaue Augen starrten ihm entgegen, wobei die Farbe durch die Tränen intensiviert wurde.

„Hast du deinen Daddy verloren, mein Sohn?“ fragte Michel Brown und lächelte freundlich.

1. Kapitel

Weit draußen im All schwebte eine blass glänzende Kugel, ein Klasse M-Planet mit der leicht irreführenden Bezeichnung Oasis, die sicherlich nicht zum Verweilen und zur Stärkung von müden Gliedern einlud. Früher einst ein dichtbesiedelter, frisch kolonisierter Planet der Gesellschaft, bis unerwartete Meteoriteneinschläge das geordnete Leben praktisch unmöglich machte und aufgegeben werden musste. Doch die Gesellschaft schmiss nichts weg – Oasis hatte nun eine neue Bestimmung gefunden. Nach der Aufgabe Oasis und der Errichtung eines Freiluftgefängnisses sorgten die Satelliten von SpaceTec dafür, dass nichts den Planeten verließ. Irgendwo weit oben im Orbit kreisten Dutzende von schwerbewaffneten Satelliten herum und schirmten alles ab. Funkverkehr hingegen war vielleicht nicht erlaubt, wurde aber auch nicht unterbunden. Man hatte im Laufe der letzten Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass es einfach niemanden interessierte, was nach Oasis kam. Was dort landete, würde auch dort sterben.

Zahlreiche Satelliten, Drohnen, versteckte Kameras und letztendlich die eingepflanzten ID-Chips der Gefangenen vermittelten eine nie endende Soap-Opera, in Live und in Farbe. Dagegen konnte das Bezahl-Fernsehen nicht anstinken, fanden viel der Angestellten von SpaceTec und betrachteten die endlos wuselnde Welt der Generierten und Verlorenen.

Für die Menschen auf Oasis war es die Hölle.

Captain Max Snow durcheilte mit energischen Schritten den Flur, der zu seiner Kommandobasis führte. Seine Sekretärin hatte ihn mitten beim Frühstück zu einer unerwarteten Besprechung gebeten, und die zwanzig Minuten, die er dadurch verloren hatte, wirkten sich nun äußerst unangenehm auf den Zeitplan des Sicherheitschefs des privaten Sicherheitsunternehmens SpaceTec aus, die für die sichere Verwahrung des größten Freiluft- Gefängnisses der Galaxie verantwortlich war. Zum Glück konnte sich Snow auf seinen Mitarbeiterstab verlassen. Sie kamen pünktlich, starteten die morgendlichen Programme, überprüften die Ergebnisse der Nachtschicht und konnten ihn über den gegenwärtigen Stand unterrichten.

Der schlanke Mitte Dreißiger besaß einen trainierten Körper, der mal jung und attraktiv gewesen war – jetzt fielen ihm andere Adjektive ein. Kleine wie große Narben zeugten von einem entbehrungsreichen, disziplinierten Leben auf Militärbasen und Schießständen. Er näherte sich den Türen zu seinem Arbeitsplatz mit seinem üblichen schnellen Schritt. Die beiden Wachen, die dort mit voller Bewaffnung standen, registrierte er kaum. Sie waren fast unsichtbar für ihn, ein Teil der Einrichtung wie die Nieten an den Drucklufttüren. Alle vier Stunden wurden sie ausgetauscht, doch kamen sie ihm alle identisch vor, mit ihrem starren Blick, dem ausdruckslosen Gesicht, der weißen Panzerung, und der schweren Waffen. Schwarz, weiß, braun, Frauen, Männer, für Max sahen sie alle gleich aus. Sie waren auserlesene Wachen, hochbezahlt und im Ernstfall fähig, entsprechend zu agieren. Genau wie sie waren auch alle Techniker, Mechaniker, IT-Spezialisten und selbst die Lagerarbeiter im Dock handverlesen und mehrfach geprüft worden. SpaceTec geizte nicht mit fürstlichen Löhnen, aber dafür wollten sie auch Resultate sehen.

Die Türen öffneten sich lautlos und gaben ihm den Weg in sein Allerheiligstes frei. Wie zu erwarten war sein Team bereits vollzählig versammelt, emsig bei der Arbeit, im Dienste der Firma. Und diese Kommandozentrale war dafür der perfekte Ort. Hier gab es nur das Beste von allem, die besten Apparate, die besten Programme und die besten Mitarbeiter. Die Resultate würden das beweisen. Nachdem er herumgegangen war und sich davon überzeugt hatte, dass alles genau so war, wie er es haben wollte – fast zu schön, um wahr zu sein -, wandte er sich endlich dem Hauptbildschirm zu.

Preston Smith, sein junger, dunkelhaariger, ehrgeiziger Assistent, wartete bereits auf ihn. Er sah so angespannt aus, dass Max befürchtete, er würde gleich von einem Bein auf das andere hüpfen. Aber er konnte es seinem Schützling nicht verdenken. Nach allem, was sie in den letzten vier Jahren beobachtet hatten, entwickelte sich Oasis … abenteuerlich.

„Was gibt es Neues auf der Spielwiese“, sagte Max zu seinem Assistenten. „Und nur die wichtigsten Punkte, bitte.“

Smith nickte. „Die H-66 wollen einen Deal mit den PureNations, aber ihr Anführer ist krank geworden, was seine Generäle dazu veranlasst, um über seine Nachfolge zu streiten. Im Osten von Extraktion Vier hat sich ein Clan an einem Wasserloch breitgemacht. Da ihre Anführer sich laut ID mit Kolonisierung auskennen, könnte es der Beginn von einer ruhigen, friedlicheren Kolonie werden. Überwiegend Frauen“, bemerkte er mit einem anzüglichen Grinsen.

Max unterdrückte ein Stirnrunzeln. Es gefiel ihm nicht, dass Smith dazu neigte, sich zu sehr für die Leben der Gefangenen zu interessieren; es kam ihm nicht besonders professionell vor. Aber Smith war ein derart guter Analyst und darüber hinaus so fleißig und loyal, dass Max versuchte, über solche Spleens hinwegzusehen. „Wollen wir hoffen, dass die anderen Banden ihnen Zeit lassen, sich eine gut geschützte Basis aufzubauen. Sie mögen Kriminelle sein, aber auch sie verdienen Ruhe und Frieden. Was noch?“

„In den letzten vier Stunden vierzehn Ausfälle“, bemerkte Smith trocken und zeigte auf sein Tablett mit den dazugehörigen IDs und vollständigen Namen und Hintergrundgeschichten. Max überflog die Zeilen. „Und Sie haben Besuch“, endete Smith und deutete auf einen Konferenzraum hinter den Monitoren, hinter dessen Verglasung zwei Menschen standen und auf die Computerwelt unter sich starrten. „Der Haupteigner von SpaceTec möchte Sie sehen. Er kam mit der letzten Fähre. Inkognito.“

Max wandte sich um, öffnete den Mund, sagte aber nichts und nickte nur. „Weitermachen“, bemerkte er leise und neugierig geworden machte er sich auf dem Weg.

Derrick Waldmann war ein Philanthrop, ein Macher und einer der reichsten Männer der Welt. Der fünfundvierzigjährige Mann mit dem breiten Kreuz und seinem Südstaatenakzent investierte klug in allen möglichen Bereichen und war als erfolgreicher Inhaber eines Mischkonzerns schon zweimal auf dem Titelblatt der Times zu sehen gewesen. Von Derrick Waldmann hieß es, er habe als junger Mann durch sein bloßes Erscheinen eine in vollem Gange befindliche Party schlagartig verstummen lassen. Ein sprudelnder Quell voller Tatendrang und Unternehmergeist – doch als Max die Tür öffnete, traf er einen gebeugten Mann vor, der bleich und schwach in einem Sessel vor sich hinstarrte. „Derrick!“

Der Milliardär sah sich um und erspähte Max. „Max! Gut siehst du aus.“

Max trat auf ihn zu und reichte seinem Freund die Hand und stutzte, als dieser aufstand und ihn umarmte. Derrick wirkte, als fände er aus fernen Welten zurück in die bittere Realität und hätte viele Stunden Schlaf nötig.

Die meisten Menschen sahen einander in die Augen, um Aufmerksamkeit und Interesse zu bekunden. Es geschah eher nebenbei, man nahm den anderen als ganze Person wahr. Was von Pupille zu Pupille geschah, folgte vornehmlich einer Funktion, nämlich Kommunikation zu ermöglichen und zu vertiefen. Max hielt seinen Freund fest, länger als für gewöhnlich und fühlte sich wie eine Boje im Meer, an die sich ein Ertrinkender festklammerte. Natürlich kannte er den Grund. „Derrick, es tut mir leid“, hauchte er seinem Freund in die Schulter und tätschelte ihm den Rücken. „Das sollte keinem Kind geschehen.“

Der schwerreiche, aber nun sehr arme Mann ließ schließlich ab und starrte ihn aus Augen an, die nur Kummer und Verzweiflung kannten. Max fühlte sich überrumpelt. Fast hasste er sich dafür, dass er seinem Freund nicht beigestanden hatte, als er die Nachricht vernommen hatte. Man konnte sich nicht davor schützen, denn alle Medien berichteten davon: Kevin war endlich gefunden worden.

„Ich hätte dich ja besucht, aber ich komme hier schlecht weg“, stammelte Max zu ihm. „Wie geht es Martha?“

Derricks Augen ließen Halbheiten nicht zu. Sie suchten keinen Kontakt, sie erzählten eine Geschichte.

Er schüttelte langsam den Kopf und ließ sich schließlich langsam wieder in den Sessel zurückfallen. Max war schockiert über diese Schwäche, denn Derrick war als harter Finanzhai bekannt, der skrupellos Firmen splittete. Jetzt wirkte er, als hätte man ihm alles genommen. Im Grunde stimmte das auch. Kein Geld der Welt konnte ihm helfen. „Martha geht es gut.“ Es war ein Stöhnen, fast mehr ein Raunen und beide wussten, dass es eine Lüge war. Max besaß Taktgefühl um nicht weiter nachzubohren. Hinter Derrick bemerkte er den zweiten Gast.

Max runzelte die Stirn und starrte den dünnen Mann im schwarzen Sakko an, der mit seinem glattrasierten Schädel und einem teuren, dunklen Zweireiher wie ein Pinguin wirkte.

Max sah ihn an, offenbar verwirrt, seine Aufmerksamkeit plötzlich zwischen sich und Derrick dreiteilen zu müssen.

Der Mann trat einen Schritt vor und reichte ihm die Hand. „Hansen. Spiro Hansen.“

„Sehr erfreut“, sagte er lahm und schüttelte die schwielige, feste Hand auf dessen Handrücken das Tattoo eines Skorpions zu sehen war. Definitiv kein Anwalt. „Möchtet ihr etwas zu essen? Wir können uns etwas aus der Mensa holen lassen“, half Max aus und fühlte sich wie eine schlechter Gastgeber.

„Ein andermal.“ Derrick setzte sich schweratmend zurück, als würde ihm jede Bewegung zusätzliche Energie kosten. „Ein Kaffee, wenn du hast.“

„Natürlich.“ Max gab die Bestellung weiter und wenige Momente später wurde ein tablett serviert. Jeder nahm sich eine Tasse. Derrick lächelte sanft und klopfte Max freundschaftlich auf die Schultern. „Von deiner Tochter hört man nur Gutes. Sie hat ihre eigene Kanzlei aufgemacht. Washington D.C soll zu dieser Jahreszeit schön sein. Du kannst stolz sein.“

„Ja, das bin ich auch.“

„Ich möchte sie mehr einbinden. Wir suchen noch gute Kräfte, die unsere Interessen vertreten.“ Er lächelte Max väterlich an. „Ein paar Empfehlungen hier und dort, und sie sitzt bald im festen Sattel. Gute Anwälte gibt es wie Sand am Meer, aber gute Geschäftspartner machen das Leben erst erträglich.“

„Sie würde sich freuen, Derrick. Das ist sehr nett von dir.“ Er lächelte dankbar. „Willkommen bei SpaceTec.“

Derrick legte den Kopf zur Seite. Dann streckte er langsam die Hand aus. Max ergriff sie. Seine Finger umschlossen die seinen mit einem kaum wahrnehmbaren Druck. „Mir gehören neununddreißig Prozent von SpaceTec, Max, und ich hätte eine Bitte. Wir sind Freunde und ich weiß deine Anteilnahme zu schätzen. Deine Schwester hat sich gut um Martha gekümmert. Darum bin ich persönlich hier, um dich um einen persönlichen Gefallen zu bitten.“ Er warf Hansen einen kurzen Blick zu, als wolle er sich vergewissern, dass er noch da ist. „Das ist eine vertrauliche Angelegenheit. Spiro ist ein freier Mitarbeiter, übrigens. Ich möchte deine Dienste in Anspruch nehmen.“

„Natürlich, Derrick.“

„Du sollst einen Mann ausfindig machen.“

„Wenn er auf Oasis ist, ist er schon so gut wie gefunden.“

„Ich plane meine Anteile etwas zu verlagern. Die fünf Prozent an SpaceTec werde ich verdreifachen, sobald der Markt am Samstag wieder aufmacht. SpaceTec und wir“, damit meinte er die Liga der Aktionäre, die Milliarden in das Projekt steckten, „stehen deinen Aktivitäten wohlwollend gegenüber. Bis zum Monatsende sorge ich dafür, dass du nie wieder um einen Cent betteln musst.“

Max schluckte zaghaft und nickte freudig. Wo war der Haken?

Derrick und Hansen lehnten sich zurück und schienen zu warten.

„Als Chef der Finanzen plädiere ich natürlich für ein Ja“, bemerkte Max, als habe er seine Gedanken erraten. „Erstmals hätten wir den seltenen und bemerkenswerten Fall, dass wir unserem Haupteigner einen Gefallen tun dürfen. Wenn wir die Person herausholen, gäbe es noch zu besprechen, welche ID sie bekommen muss. Natürlich kann sie nicht zurück in ihr Heimatland gehen. Auch Europa würde ich für unklug halten. Aber es gibt schöne Ecken in Asien. Vietnam ist beliebt, wenn man mit ein paar Kübeln Regen leben kann. Ein ruhiges, beschauliches Leben erwartet sie dort und das Essen ist ganz wunderbar.“

„Ich will ihn haben“, antwortete Derrick.

„Ein alter Freund aus Kindheitstagen?“

„Du machst es möglich.“

„Wir können diesen Dienst anbieten, weil bislang kein Staatsanwalt davon Wind bekommen hat. Sollte sich jemand unvorsichtigerweise verplappern oder einer der Verurteilten wieder in sein altes Jagdrevier aufmachen und die Behörden ihn entlarven, sind wir dran, Derrick. Ich würde mich ungern schmerzhaften Fragen aussetzen, die ich nicht beantworten kann.“

„Mach dir keine Sorgen.“

„Na schön“, bemerkte Max nach einer Weile. „Ich sage dir das, was ich allen Kunden sage: wenn es sich bei der Zielperson um einen Drogenkartellboss oder einen psychisch labilen Serienmörder handelt, werden wir nicht aktiv. Das ist mein Ernst, Derrick. SpaceTec würde mir die Haut abziehen, wenn ich einen Ed Gein oder Ted Bundy wieder auf die Menschheit loslasse. Das kannst du sicherlich verstehen.“

„Mach dir keine Sorgen.“

„Um wen handelt es sich?“

„Michel Brown“, antwortete diesmal Hansen und zog einen USB-Stick aus einer Tasche, den er vor sich auf den Glastisch legte. Sein Gesichtsausdruck blieb gelassen, aber Max bemerkte, wie Derrick kurz die Augen schloss. Die Art, als würde er einen altbekannten Schmerz versuchen auszuweichen. Maxs Radar begann zu summen.

„Ist es etwas persönliches?“

„Nein“, sagte Derrick gedehnt und starrte an die Decke, als müsste er sich die Worte zurechtlegen. „Er ist der Sohn einer meiner Sekretärinnen und hatte hier und da ein bisschen Pech. Wollte Chemie studieren, aber hat sich Schulden angehäuft. Hat mit Drogengeld sein Studium aufgebessert und wurde erwischt. Hatte eben Pech“, meinte Derrick achselzuckend. „Das bin ich ihr schuldig.“

Die Lüge war schnell zu durchschauen, und es ärgerte Max, dass sich sein Freund wenig Mühe dabei gab. Und dass er überhaupt log, natürlich.

„Deine Sekretärin, sagst du“, stellte Max klar und tippte den Namen in seinen Laptop. „Mmh, mal sehen. Verurteilt wegen Drogenbesitzes und Herstellung von synthetischen Drogen. Kam vor zehn Monaten an.“ Er rief auf seinem Tablet eine Zusatzdatei auf und ließ den Rechner nach der ID fahnden. Ja, der war hier. „Er lebt in einer Extraktion, die überwiegend friedlich ist“, sagte er und wusste gleich, dass Derrick etwas vorhatte. Aus dem beigefügten Datensatz hatten Ermittler der Polizei Michel Brown mit einem Kinderhändlerring in London in Verbindung gebracht.

Derrick, was hast du vor?

Er starrte seinen Freund durchdringend an und entschloss sich Klartext zu sprechen. „Ich betone, dass ich die Verantwortung allein für jeden Einsatz trage.“

„Ja, Max.“

„Du denkst, dass er etwas mit Kevins Verschwinden zu tun hat.“

Derrick zögerte, dann änderte er plötzlich die Taktik. „Ja, Max.“

Beide starrten sich an.

„Nein, Derrick.“ Was Derrick mit Michel Brown vorhatte, war weder vernünftig noch gesund. Es war kriminell. Das hier war groß. Zu groß, um es schriftlich in eine Akte von SpaceTec zu verewigen und zu düster, um es später bei einem Bier in einer gemütlichen Kneipe zum Besten zu geben. „Bist du dir mit ihm… wirklich im Klaren, Derrick?“ fragte er zaghaft und faltete die Hände zum Gebet. „Das wird dir keinen Frieden bringen…“

Derrick Waldmann starrte seinen Freund ausdruckslos an und schüttete Zucker in seinen Kaffee. Fast mechanisch und so konzentriert langsam, als wolle er jedem einzelnen Zuckerkristall persönlich Lebewohl sagen. Max machte sich Sorgen, und zwar erheblich.

Als das letzte Krümelchen Zucker verbraucht war, wandte sich Derrick langsam Max zu. „Wusstest du, dass ich vierzigmal fremd gegangen bin?“

Maxs Miene veränderte sich vor Überraschung. Fast schien es, als habe er ein Lächeln gesehen, aber schon war es wieder verschwunden. „Nein, Derrick, das wusste ich nicht.“

„Martha und ich hatten ein Abkommen. Sie machte mit diesen Tennislehrer weiter und ich konnte mich ausleben. Win-Win, sozusagen. Wir dachten nie an Familie, wir wollten einfach nur leben. Saskia war rothaarig und eine Reporterin, Natasha war blond und eine Tänzerin“, er hielt kurz inne, und wischte sich über die Augen. „War eine geile Zeit, und wir hatten alle unseren Spaß.“

Max schwieg und fragte sich, wohin die Geschichte führen sollte.

„Nun, dann wurde Martha schwanger. Wir wussten beide, dass es der Tennislehrer war. Also kaufte ich Blumen und schenkte sie ihr. Ich fragte sie, ob sie abtreiben wollte. Nein, sie wollte es behalten. Ich machte mir keine Sorgen. Offengestanden, haben wir uns nie geliebt. Ein ständiges Kommen und Gehen zuhause.“ Seine Miene veränderte sich. Die Augen wurden größer, als würde er in der Ferne etwas Aufregendes sehen. „Monate später kam ich als Letzter im Krankenhaus an. Ich war nur mäßig interessiert an den Bastard. Von mir aus hätte es ewig so weiter gehen können, und dann… kam ich näher ans Bett und der kleine Kerl umfasste meinen Finger mit seiner ganzen Faust. Hielt sie fest. Hielt sie einfach fest.“ Eine einzelne Träne rann aus seinem Auge und er wischte sie fort. „Manchmal sagte ich Konzerntreffen ab, um früher zuhause zu sein. Ich lag nächtelang am Bett, um seinen Atem zu hören. Meinen Frauen zahlte ich eine Abfindung und verdonnerte sie zum Schweigen. Kevin war zu einem Bindeglied geworden. Zwischen mir und Martha. Sie hatte es auch gespürt. Wir hätten für ihn töten können. Der Tennislehrer verschwand, und wir wollten jetzt diesen kleinen Kerl ganz für uns haben, verstehst du das?“ Er hustete kurz und nahm probeweise einen Schluck von seinem viel zu süßen Kaffee. „Und dann habe ich ihn in Croydon aus den Augen verloren. Ich erspare dir die Details, Max, aber wenn du diese eine Sache für mich tust, macht dir der Vorstand keinen Ärger mehr. Es ist alles vorbereitet. Ich will das Schwein in meinem Keller haben.“

Hansen setzte sich direkt neben Max. Er hatte kein Interesse daran, ihm Freiraum zu lassen. Im Gegenteil, es schien, als bedränge er ihn absichtlich, als wolle er ihn provozieren, um zu sehen, ob er sich noch einmal über ihn erheben würde. Max gefiel es nicht, aber er konnte nichts dagegen tun. Derrick hörte anscheinend ja doch nicht auf ihn. Zumindest sah er jetzt klarer: Derrick wollte diesen Michel Brown ganz für sich haben. Und sein eigenes Hostel-Filmchen drehen…

So kenne ich dich nicht, Derrick. Du lockst mit Geld und Karriere und schüttest mir dein Herz aus und dann erzählst du mir, was du vorhast!?

„Ich bitte dich um diese eine Sache, Max. Er ist eine Schmeißfliege, ein Nichts. Ich werde großzügig sein“, sagte der Inhaber eines Mischkonzerns tonlos und schob die Tasse mit spitzen Fingern langsam von sich. „Tu es und ich halte mein Wort. Tu es nicht und…“

„Sonst was?“

Derrick tat gar nicht erst, als habe er seine Frage missverstanden. „Du besitzt Fantasie, Max.“

„Derrick, bitte. Du solltest verstehen, dass ein falscher Schritt nicht nur den Tod bedeuten kann, sondern auch das Aus für uns alle. Für eine ganze Abteilung. Deshalb bitte ich dich, ...“

Derrick stand auf, schob sich wortlos an ihm vorbei und hielt auf die nächste Tür zu. Im Vorbeigehen bemerkte Max an seinem Blick, das Frieden keine Option war. Es war, als rausche ein Hai an ihm vorbei. Zum ersten Mal wurde ihm kalt bei dem Gedanken, Derrick als Freund zu verlieren.

Oh, shit.

„Was soll ich dem Vorstand sagen? Ich muss alle Aktionen mit ihnen abstimmen. Sie werden niemals zustimmen, Derrick!“

„Dann sorg dafür, dass sie nichts mitbekommen.“ Er warf seinem Freund einen Blick aus Augen zu, aus denen Kälte strahlte.

Und Max verstand, dass er verloren hatte. Derrick war krank und brauchte Hilfe. In seiner Gemütsverfassung konnte er alles Mögliche tun. Er schluckte schwer und nickte verstehend.

Und Derrick verschwand durch die Tür, als wäre alles gesagt.

Max Snow und Spiro Hansen starrten sich an.

Hansen wirkte, als hätte er alle Zeit der Welt. Süffisant grinste er bloß.

„Also dann“, sagte Spiro Hansen unvermittelt und stand auf. „Sollen wir beginnen?“

Max wandte den Kopf ihm zu und runzelte die Stirn. „Wollen Sie nicht ihrem Chef nach?“

„Ich bleibe hier, Mister Snow, und werde auch bei der Übernahme dabei sein.“

„Bitte?“

„Ich gehe runter. Also auf die Oberfläche von Oasis und Sie zeigen mir, wo er ist. Ganz einfach.“

„Ganz einfach, soso“, bemerkte Max und wandte sich ihm jetzt zu. „Das ist Ihr Ernst, was?“

„Todernst.“ Er nickte zur Tür, durch die Derrick Waldmann verschwunden war. „Das entspricht auch seinem Wunsch. Das versichere ich Ihnen.“

Max maß dem Fremden mit einem Blick, der nicht besonders freundlich war. Langsam nahm er sein Tablet zur Hilfe und lockte sich in die Datenerfassungssoftware ein. „Spiro Hansen. Da habe ich Sie ja.“ Nachdem er fertig gelesen hatte, lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme. „Spiro Hansen. Sie waren drei Jahre bei der Fremdenlegion und dann… vier lange Jahre von der Bildfläche verschwunden.“ So liest sich der Lebenslauf eines Auftragkillers, dachte Max. „Wie sind Sie an die Stelle gekommen? Ist ja nicht so als würden für sowas Flyer im Supermarkt aushängen…“

„Fragen Sie nicht.“

„Oh, doch, das tue ich.“ Max setzte sich langsam auf. „Dort unten bin ich für die Sicherheit verantwortlich. Meine Teams agieren ohne Rückendeckung auf einem Planeten voller Monster. Wenn es nur wegen des Thrills ist, schlage ich Medikamente vor. Falls Sie Ihren Lebenslauf aufhübschen wollen, könnte ich Ihnen entgegenkommen. Eine Vollzeitstelle als Lagerist hier oben … zwei Jahre befristet. Na, wie wäre es?“

„Verzichte. Lassen Sie uns sachlich bleiben“, hörte er Hansen antworten und zuckte zusammen.

Max nahm sich die Zeit und schaute genauer hin: nur eine schwielige Hand, manikürte Fingernägel und saubere Klamotten. Wenig Fett, aber auch keine trainierten Muskeln. Saitenspieler besaßen Hornhaut an den Fingern und selbst Programmierer konnte Max identifizieren: dieser Mann war nichts davon. Wie ein aus dem frisch gepelltes Ei aus einem Modekatalog konnte er zwar beeindrucken, aber den langen Weg eines Soldaten hatte er nicht bestritten. Max Snows Fazit: ungeeignet. „Sachlich. Na schön.“ Er stand nun auf und bedeutete ihm zu folgen. Kurz hinter der Tür zeigte er auf den großen Hauptbildschirm, der noch immer Oasis von seiner schönsten – und einzigen schönen Seite zeigte. „Wissen Sie, wo ich Sie eher hinstecke?“ Er tippte ein paar Befehle in sein Tablet ein und sofort wechselten kurze Videosequenzen über den Hauptbildschirm: fliehende Menschen, brennende Autos, umgestürzte Bauten und Kriminelle, die wild mit Messern und Äxten um sich schlugen. Es waren Bilder, die niemals zur besten Sendezeit auf der Erde über die Bildschirme gezeigt werden würden – die ungeschönte raue Seite eines Planeten, der voller Kriminelle war.

Smith am anderen Ende des Raumes trank einen Kaffee und prostete unbeeindruckt seinem Vorgesetzten zu, während andere Mitarbeiter geflissentlich wegsahen. Sie kannten das unfreundliche Klima und die kleinen Geschichten rund um Oasis.

Max deutete auf eine Gruppe von Schlägern, die auf einen Mann am Boden einprügelten. „Dort unten sind die H-66, die Wölfe von Durow, RedMedussa, die PureSkys und 911Hellboys. 22 Clans teilen den gesamte Planeten unter sich auf. Ihr Geschäftsmodell: Drogenhandel, Glücksspiel und Prostitution. Wir haben auch Biker-Gangs, die sich hervorragend auf Menschenhandel verstehen. Es sind ehemalige Mitglieder der Triaden, von der Mara Salvatrucha, Arische Bruderschaft bis zu den Crips. Das dort unten ist ihr Platz.“ Er lächelte humorlos und zeigte ein Video von Männern, die eine Frau vergewaltigten. Zu seinem Vergnügen zuckte Hansen zusammen. „Wir haben auch Perverse, Serienmörder und leider auch einige Unschuldige, die da einfach nichts zu suchen haben. Wir sind wie das Allsehende Auge Gottes. Darum glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Sie dort unten nicht sein wollen.“

„Warum…beobachten sie sie?“ fragte Hansen leise und ganz und gar berührt.

„Weil kein von Menschen gemachtes System perfekt ist“, antwortete Max voller Überzeugung. „Weil sich sogar Unschuldige im Knast einfinden. Darum machen wir das hier.“

„Nicht wegen dem lukrativen Nebenverdienst? Ich hörte, dass ihr euch die Gerechtigkeit extra bezahlen lasst“, bemerkte der Söldner säuerlich und starrte Max herausfordernd an. „Schade, dass nicht jede Familie eines Unschuldigen sich diesen Luxus leisten kann…“

Max nickte verstehend und beendete mit einem Knopfdruck das kleine Schauspiel. Einige Mitarbeiter hatten sich fragend umgedreht und starrten zu ihm auf. Er ging weiter voraus und öffnete die nächste Tür. „Ich lasse nur die Besten der Besten auf die Oberfläche.“

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