Czytaj książkę: «RedStar»

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Juryk Barelhaven

RedStar

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel

2.Kapitel

3.Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8.Kapitel

Impressum neobooks

Kapitel

Linda Goyer ließ Gideon an dem Gartentisch zwischen der Barackenbude und dem Kiosk Platz nehmen und bot ihm eine Tasse Kaffee an.

Er betrachtete die wenigen vorbeiziehenden Leute und nippte an seinem Kaffee. „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte“, begann Gideon. „Ich kann mir gut vorstellen, dass du hier nicht gerne darüber sprechen willst.“

„Es tut mir leid, dass ich dich damit behelligen muss, Gideon. Ich habe das Gefühl, das ich schon viel zu lange damit gewartet habe. Mein Junge hat sich verändert. Marlon verheimlicht mir etwas. Und du bist der Einzige, der mir helfen kann.“

„Was weißt du?“

„Nur, was in der Times steht“, erwiderte Linda. „Eine neue Droge, die schnell abhängig macht. Man nennt sie synthetische Droge, oder so. Die anderen Stationen werden von ihr überschwemmt. Jetzt ist sie auch bei uns angekommen. Oder kennst du ähnliche Fälle?“

„Wie kommst du darauf, dass Marlon etwas damit zu tun hat?“

„Gestern fehlten in der Kasse zweihundert Credits und ich kann mir absolut nicht erklären, wo das Geld hingekommen sein könnte. Meine Uhr ist weg. Mein Sohn weicht mir aus und schließt sich in seinem Zimmer ein. Den Job bei FargoEX hat er verloren.“

„Ladendiebstahl?“

„Heute Morgen telefonierte ich mit seinem Vorarbeiter, Gideon.“ Sie schwieg kurz und starrte zum Boulevard. „Es geht alles so schnell. Ich habe das Gefühl eine schlechte Mutter zu sein. Wenn sein Vater noch hier wäre…“

„Es liegt nicht an dir, Linda.“

„Entschuldige, dass ich dich damit behellige. Wir kennen uns schon seit Jahren, aber ich weiß immer noch wenig über dich.“ Fast zaghaft ergriff sie seine Hand und drückte erstaunlich fest zu. „Bitte rede mit ihm. Vielleicht bekommt der Sheriff ja mehr heraus.“

Gideon nickte und stellte die Tasse ab. „Wann kommt er zurück?“

„Ich weiß nicht mal, wo er jetzt gerade ist. Gestern hat er den Spiegel im Bad zertrümmert und lief einfach an mir vorbei. Sein Bettzeug ist total verschwitzt, seine Zimmer nicht aufgeräumt. Ich brauche Hilfe.“

„Linda, vielleicht ist es auch nichts. Vielleicht weiß er gerade nicht, wo sein Platz ist. Vielleicht ist es nur eine Phase. Aber ich rede mit ihm. Von Mann zu Mann. Wie alt ist er jetzt?“

„Siebzehn. Er ist das Einzige, was mir von ihm geblieben ist.“

„Hat er Freunde?“

„Früher war er mit Chris unterwegs, aber von seiner Mutter weiß ich, dass Chris kaum Zeit hat. Er ist in Sektor Vierzehn und arbeitet bei seinem Vater in der Lehre. Schlosser, glaube ich. Von der Schule ist kaum noch jemand da. Die meisten haben die Koffer gepackt und sind in andere Systeme gezogen. Ja, vielleicht ist er einsam.“ Ihr Gesicht verzog sich. „Ich bete, dass es nur das ist.“

„Aber du denkst an Drogen. War er das?“

Sie wandte den Blick ab, offensichtlich peinlich berührt. „Das… ist nichts. Ich bin gestürzt.“

„Linda.“

„Wirklich. Ich habe nicht aufgepasst. Die Schranktür stand offen.“ Sie starrte zur Kioskwand und strich sich die Strähne über das Feilchen, das hässlich ihr Gesicht zierte. „Tu meinem Jungen nicht weh.“

„Ich rede mit ihm – noch heute. Ist er das?“

Sofort ging in Linda eine Veränderung vor. Habachtstellung und tiefer Kummer. Gideon prägte sich das Bild gut ein, während der schlaksige junge Mann in den verblichenen Jeans herangetrottet kam. Die Hände in den Jackentaschen und das Gesicht voller Argwohn starrte er hinüber, als würden die Erwachsenen über ihn konspirieren. Früher war Marlon Goyer sicherlich ein gutaussehender junger Mann gewesen, doch Gideon musste kein Ermittler sein um zu spüren, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Die bleichen Wangen waren eingefallen, die krausen Haare standen zur Berge und ein Blick, der töten konnte. Mit einem Schwung wandte sich der junge Mann um und war sofort wieder verschwunden.

Linda starrte ihm nach und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.

Mit ruhigen Schritten ging der Sheriff an verlassenen, leergeräumten Läden und überfüllten Mülleimern vorbei, ganz mit seinen Gedanken beschäftigt und mit ernster Miene. Gideon Nikolaeff besaß einen trainierten Körper, der mal schön gewesen war – jetzt fielen ihm andere Adjektive ein. Braune Allwetterstiefel, eine dunkle Jeans, darüber eine stichsichere Weste und eine zerschlissene Jeansjacke mit einem Sheriffstern drauf – ein metallenes Schmuckstück, das zusammen mit der Waffe im eingenähten Holster seine Rolle in der Station unterstrich. Seine Haltung drückte eine stille Duldsamkeit aus, die nicht daher rührte, dass er ein bestimmtes Ziel verfolgte, sondern die das Ergebnis einer allgemeinen Gleichgültigkeit war, so als kümmere er sich wenig darum, was morgen geschah, oder ob es überhaupt ein Morgen gab. Er fand es weitaus interessanter, in sich hineinzuschauen. Seine nur allzu bekannte Umgebung bot ihm nur wenig Anlass zur Freude. Die Luft roch verbraucht; eine Mischung aus Kohl und scharfen Ausdünstungen. Aus einem Lautsprecher dröhnten Retro Jazz und Funk, untermalt von leisem Stimmengewirr und gelegentlichen Schreien.

Es begegneten ihm zerlumpte Gestalten, Frauen wie Männer, alte wie sehr junge Menschen. Wenige nickten ihm zu, die meisten ignorierten ihn. Gideon sprach nur wenig mit ihnen, wenn er nicht gerade mit einem Problem zu ihnen kamen. Über vierhundert Menschen lebten vor sich hin; seit vier Jahren umkreiste die Station einen Gasriesen, der für die Gesellschaft uninteressant geworden war. Ursprünglich gebaut, um den reichen Mineralreichtum von KG-147 auszubeuten und die Handelsrouten zwischen der Erde und dem Outer Rim zu bedienen, fiel die Station aufgrund wirtschaftlicher Schwankungen und der Umleitung der Flugbahn in den Niedergang. Sie war eine massive Station, fast achtzehn Kilometer breit und diente seit vier Jahren als Freihafen und kommerzieller Außenposten im Sektor Zeta Wallskamp. Vor dem Niedergang hatte es eine ständige Wohnbevölkerung von 400 gegeben, obwohl die Station groß genug war, um rund 3000 Einwohner unterzubringen. Nur sporadisch kamen Touristen herbei, um sich auf dem Panoramadeck den Gasriesen anzusehen – das war aber auch schon alles. Falberg drohte eine Geisterstadt zu werden.

Nur das stumme Ertragen des eigenen Schicksals. Es gab zwar Frieden, aber eine schwere Melancholie lastete auf alle wie ein feuchtes Segeltuch, das alles niederdrückte. Nur wenige sprachen sich ab, kümmerten sich um den Müll, fegten den Platz, organisierten Beschaffungstrupps oder bauten Gemüse an. Andere lungerten nur rum, suchten im Müll nach Essbaren, rauchten Tabak oder tranken Selbstgebrannten und ließen sich treiben.

Das „Sheriff“-Büro war eine ehemalige Pfandleihe, hinter dessen Tresen aus Panzerglas und carbonbeschichtete Fläche sein Assistent und Freund Jonathan Aldonini arbeitete. Schmuckvoll und voller Ambitionen hatte Gideon damals das Schild „Departement“ selbst gebastelt und angebracht – jetzt schien es ihn jeden Morgen zu verhöhnen.

Gideon öffnete die Tür und stand im Vorraum, wo schon lange keine Objekte zum Kauf angeboten wurden. Es gab mehrere Hocker, eine Kaffeemaschine, ein altes Sofa, einen Prospektständer und sogar einen Stapel Papier und Kugelschreiber. Rechts von ihm hing eine Pinnwand mit gesuchten oder vermissten Personen – zumindest dieses Objekt wurde regelmäßig genutzt.

„Immer, wenn ich komme, ist der Kaffee schon alle.“ Er nahm die Glaskanne und schob sie durch die Anreiche durch.

„Du hast mir gesagt, wir könnten überleben, wenn wir als Team arbeiten.“ Jonathan war eine gepflegte, aber verlebte Erscheinung mit weitem Bauchumfang und fliehenden Kinn. Er war erst vierzig Jahre alt, wirkte aber wie an die fünfzig. Sein fein gezwirbelter schwarzer Bart war stets korrekt getrimmt, aber soweit Gideon denken konnte, trug er immer die gleiche graue Jogginghose und den gleichen braunen Pullover. Er nahm die Kanne entgegen, befüllte sie mit Wasser und reichte sie zurück. „Seit drei Tagen sitze ich hier, nehme Nachrichten an und schwitze mir die Haare vom Kopf. Barbecue und Schweißgeruch. Was bekomme ich eigentlich dafür?“

„Kaffeepulver. Filter.“ Der Sheriff nahm das Gewünschte und machte frischen Kaffee. „Ich war arbeiten. Draußen.“

„Dir gefällt das doch, habe ich nicht recht? Ich meine, dass wir nichts zu tun haben.“ Jonathan stöhnte leise. „Gott, ich hätte mich nie darauf einlassen sollen. Diese Station ist wie ein Grab weit draußen. Der letzte Mord ist zehn Monate her. Du hast mich anfangs darauf eingeschworen, dass wir gegenseitig unsere Rücken decken sollen. Aber vor was?“

„Du kannst Gott danken, das wir nicht in Chicago sind. Zweihundert Tote pro Jahr. Wo sind Fernandez und Oswald?“ Er nahm seine Waffe aus dem Holster und legte sie neben sich. „Jeden Tag die gleiche Meckerei.“

„Fernandez und Oswald sind schon auf ihrer Schicht.“ Das Department hatte zu Spitzenzeiten zwölf Beamte gehabt, von denen die meisten aber sich versetzen ließen – es war einfach zu wenig los. Das wirklich Schlimme war, dass es schrecklich plausibel klang. Jonathan nickte zaghaft, schloss schließlich die Tür auf und reichte ihm ein selbst belegtes Sandwich, an dem schon abgebissen war. Gideon nahm die versöhnliche Geste zur Kenntnis und biss ab.

„Fleißig, fleißig. Was warst du nochmal in deinem alten Job? Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, wenn die Leute fragen…“

„Stadtreinigung.“

„Ach ja, stimmt.“ Jonathan wirkte nicht überzeugt und setzte sich ihm gegenüber: „Lustige Geschichte. Du kennst doch Tom. Tom Muccha.“

Er nickte knapp.

„Tom ist bei den Maschinisten, die draußen täglich ihren Hals riskieren. Er erzählte mir heute Morgen, dass er dich gestern Abend zufällig vor dem Haus hat stehen sehen…“

„Und?“ Ungeduldig wippte er mit dem Fuß. „Ich wollte mir die Beine vertreten.“

Jonathan hob beschwichtigend die Hände hoch. „Alles gut, Gideon. Tom wartete auf seinen Kollegen, der nicht kam. Nach Feierabend fand er die Tür eingetreten vor. Und die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Von Wilson Leland keine Spur. Im Grunde ist es mir egal aber halt mich nicht für blöd. “ Er nahm seine Finger dazu und zählte: „Erstens, Leland war jemand der gerne Frauen schlug. Zweitens, man konnte ihm nichts nachweisen. Drittens, Tom sieht dich in der Nähe herumlungern. Und jetzt ist Leland fort und hat heute Morgen das erste Shuttle genommen. Leland ist ein Bär von einem Mann, der trinkt und als Unhold galt. Tom war ziemlich beeindruckt, er sagte, dass wir vielleicht Ninja-Jack aus dem Computerspiel hier als Schutzengel haben und ich sagte ihm, dass es den ja nicht wirklich gibt und er meinte daraufhin, dass ich mal mit dir sprechen sollte.“

„Mit mir?“

„Mit dir.“ Er nickte weise. „Du machst deinen Job besser als dein Vorgänger. Aber halte mich nicht für blöd. Wenn ich also frage was du früher getan hast, dann kannst du mich zwar anlügen, aber ich wäre höchst erfreut, wenn ich mir sicher wäre, wer für die Station seinen Hals riskiert.“

Gideon blickte ihn an, nahm einen Bissen und räusperte sich. „Du willst wissen, was ich gemacht habe?“

„Ja.“

„Stadtreinigung.“

Jonathan seufzte und rieb sich die Stirn.

„Jonathan, was willst du?“

„Ich wollte dich wissen lassen“, er pausierte, dachte angestrengt nach und kam zum folgenden Schluss, „dass wir uns an die Gesetze halten müssen. Wir sind nur ein kleines privates Sicherheitsunternehmen, aber solche Alleingänge setzen uns in ein schlechtes Licht. Wenn du nicht reden willst, dann ist es so.“

„Du fragst nicht mehr?“

„Ist mir egal. Aber du kannst ja nicken, wenn ich recht habe. Schützendivision der Commando Brigade? Sondereinsatzkommando der Speznas? Nein?“ Er neigte den Kopf zur Seite, sah ihn von der Seite an und grinste leicht. „Ich lernte einige Schläger bei den Colpueras kennen. Du bist kein Amateur…“

„Was gibt es sonst? Das Übliche?“

Jonathan wankte zur Kaffeemaschine und sprach, während er zwei Tassen befüllte: „Wir haben viermal Ruhestörungen. Und die Leihbücherei vermisst ein Buch.“

„Ich übernehme das…“ Gideon nickte und erinnerte sich an etwas. „Ja, kannst dich drauf verlassen. Kannst du eine ID raussuchen?“ Jeder Bewohner der Station hatte einen eingepflanzten ID-Chip, eine Vorsichtsmaßnahme der Gesellschaft um eher die Leute an der Arbeit zu kontrollieren als aus sorgenvollen Gründen. Viele hatten nichts zu verbergen, oder es war ihnen einfach egal. Ganz Schlaue wickelten Alufolie in ihre Schals und versuchten so das Signal zu stören. „Der junge Mann nennt sich Marlon Goyer.“

Jonathan bewegte sich zum Terminal und tippte einen Befehl ein. „Was kommt jetzt? Nun, das wird dir wohl kaum gefallen“, entschied er und machte eine dramatische Pause. „Er ist bei dir.“

Gideon brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann stand er abrupt auf und verließ das Departement rasch.

„Willst du mir nicht sagen, was das soll“, rief ihm Jonathan hinterher.

Gideon brauchte keine zehn Minuten, bis er an die aufgebrochene Tür kam. Das zweistöckige Heim lag etwas von dem Boulevard entfernt und verfügte über ein Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und einen Hobbyraum. Nur ein Eingang, der von einer schweren Metalltür mit einem ID-Scanner zugänglich war. Bislang hatte er seine Bleibe als stiller Rückzugsort gesehen, als sein heiliges Refugium. Er starrte auf das demolierte Schloss und betrachtete den Schlamassel: mehrere Kratzer, der deutliche Schuhabdruck eines sehr unerfahrenen Einbrechers auf der Tür, der zudem gewalttätig werden konnte und für Heimlichkeit wenig Sinn hatte. Die Jalousien waren nicht heruntergelassen. Unzufrieden nahm Gideon das zur Kenntnis. Es bedeutete, dass Marlon entweder ein kompletter Idiot oder es ihm schlichtweg egal war, ob ihn jemand dabei beobachtete. Letzteres würde sich als heikel erweisen. Er betrachtete seine Unterkunft und entschied sich für eine vorsichtige Herangehensweise. Es gab keinen Grund, laut zu werden.

„Mister Nikolaeff“, meldete sich Mrs. Parker leise von ihrem offenen Fenster herüber und zeigte regte Anteilnahme: „Haben Sie schon gesehen, dass…“

Seine Nachbarin, eine rüstige alte Dame, beugte sich weit aus dem Fenster und starrte aufgeregt zu ihm herüber. Ihr Dutt unordentlich, der Morgenmantel weit offen gewährte sie Einblicke, auf die der Sheriff getrost verzichten konnte. Zumindest bewies sie sich wieder mal als aufmerksame Beobachterin.

„Ja, Mrs. Parker. Danke für die Mitteilung.“ Gideon holte seine Walther P99 hervor und kam zu ihr herüber. „Halten Sie das mal.“

Die Walther P99 war eine selbstladene Handfeuerwaffe mit 15 x 9mm Kugeln und einer Länge von 4 Zoll, dessen Stahlvisier mit Phosphor bestrichen war. Ausgestattet mit einem Schlagbolzenschloss und einem vorgespannten, weichgängigen Abzug war sie eine verlässliche Waffe, die in keinem Haushalt fehlen durfte. Gideon hatte sie in einigen Einsätzen schätzen gelernt da sie zur Standardausrüstung bei Soldaten wie auch bei Piloten einfach dazu gehörte. Aber auf der Station war sie nicht einmal zum Einsatz gekommen. „Ist er noch da drinnen?“

„Ja, Woher wissen Sie das?“ Mit spitzen Fingern nahm sie die Waffe und legte sie vor sich auf das Fensterbrett. „Ist das klug? Soll ich die Polizei rufen? Himmel, ich kann damit nicht umgehen…“

„Verwahren Sie sie nur. Es ist besser, wenn ich allein reingehe.“ Er setzte ein freundliches Lächeln auf und reichte ihr seine Karte. „Wenn ich in zehn Minuten nicht wiederkomme, rufen Sie diese Nummer an. Können Sie das für mich tun? Ich weiß, dass Sie eine ehrbare Bürgerin sind, Mrs. Parker. Und nicht damit auf den Briefträger zielen.“ Er grinste ihr schelmisch zu. Bloße Taktik, um sie aufmerksam und Teil seiner Ermittlung zu machen. „Sie sind jetzt meine Rückendeckung. Das klingt doch spannend, oder?“

Sie schluckte merklich und nickte tapfer. „Passen Sie auf sich auf.“

„Mache ich.“ Er wandte sich um und schritt ohne Eile auf sein Heim zu. An der Tür blieb er stehen, um zu lauschen. Von drinnen vernahm er ein Scheppern. Marlon war bestimmt entsprechend nervös, und es war nicht auszuschließen, dass er etwas dämliches anstellte. Vorsichtig schob er die Tür auf.

Als er durch den Eingang spähte, konnte er durch sein Heim bis zum gegenüberliegenden Panorama-Bullauge sehen: die Silhouetten der Möbel zeichneten sich deutlich gegen das schwache Licht ab und in der Ferne konnte man den gräulich-braunen Gasriesen sehen. Aber viel mehr erforderte seine Aufmerksamkeit die wild verstreuten Bücher, die überall auf dem Boden lagen, sowie die zerstörte Vase auf der Anrichte. Scherben und ein heilloses Durcheinander.

Gideon spürte Ärger aufkommen und hätte sich am liebsten sofort auf den Einbrecher gestürzt, doch er tat nichts dergleichen. Er betrat seine Küche und ließ sich am Frühstückstisch nieder.

Die Mikrowelle war aus der Anrichte herausgebrochen worden und stand auf dem Boden. Offenbar würde Marlon hier vorbeikommen und sie beim nächsten Hehler versuchen sie in klingende Münzen zu versetzen. Gideon hatte keine Eile.

Schließlich kam der Urheber der Misere persönlich und blieb wie angewurzelt an der Tür stehen.

Gideon lächelte entwaffnend und breitete jovial die Hände aus. „Ich bin unbewaffnet.“

Der Thermostat klickte leise, und die Klimaanlage ging an. Das Geräusch ließ Marlon zusammenzucken. Mit offenen Mund stand er da und hielt den schweren Plasmabildschirm in den Händen. Er schien auf vertrautem Fuß mit der Angst zu stehen und atmete schwer ein und aus. Jetzt hatte Gideon die Möglichkeit, sich den Jungen von Linda Goyer in Ruhe anzusehen: ein schlaksiger Bursche mit gräulicher Haut, die Pupillen geweitet und selbst aus der Entfernung roch Gideon Angst und eine leichte bittere Note, als würde er etwas Chemisches ausschwitzen. Trotz und Angst kämpften um die Vorherrschaft. Gideon wartete auf eine Reaktion.

Der Plasmabildschirm fiel klirrend zu Boden, als Marlon fahrig beide Hände frei zu bekommen versuchte, um in seiner Tasche etwas zu suchen. Ein Messer.

Gideon hob runzelnd die Augenbrauen.

„Wo ist das Geld, Mann“, brach Marlon leise hervor und wirkte, als wären die Teufel persönlich hinter ihm her. „Du alter Sack hast doch Geld! Ist hier ein Safe? Schnell, sonst steche ich dich ab.“

„Nur wir beide wissen davon, Marlon. Setz dich, lass uns reden. Ich habe irgendwo noch Kaffee…“

„Halts Maul, halt dein Maul!“

„Schöne Uhr hast du da“, bemerkte Gideon und lehnte sich zurück, als wäre ein alter Bekannter zum Essen hereingekommen. „Ich hatte auch mal so eine, aber die habe ich vor Jahren verloren. Im Urlaub auf den Kanaren. Warst du schon mal auf den Kanaren?“

„Bin ich nicht gewesen!“

„Weiß ich doch.“ Gideon zog umständlich seine Jacke im Sitzen aus und legte sie sich ordentlich über den Stuhl. „Lass uns reden. Wir sind zwei Erwachsene, die sich zufällig treffen. Du kannst mir alles sagen. Was du willst.“

Marlon wollte nicht reden. Das Friedensangebot nahm er vielleicht nicht mal wahr. Der Wahnsinn hatte das Haus durch jene Tür betreten, und zwar nur zu einem Zweck: um schnelles Geld zu finden, das er so sehnlichst brauchte. Momentan war er nicht drauf, aber er wünschte sich den liebgewonnen Zustand wieder herbei, und Gideon spürte, dass ruhiges Zuhören keine Option war. „Davon muss deine Mutter nichts erfahren.“

„Schläfst du mit ihr?“ fauchte er aufgebracht und kam drohend näher. „Dich habe ich schon öfters gesehen. Fickst du sie? Fickst du meine Mutter? Ich hab dich etwas gefragt…!“ Drohend kam er näher und reckte gefährlich sein Kinn vor. Aus seinen Augen sprühte Mordlust.

„Das fragt man einen Erwachsenen nicht“, erwiderte Gideon ruhig und stand auf. Nachdenklich legte er den Kopf schief, als würde er überlegen. „Sie ist eine gute Freundin. Wir reden viel. Vor allem über dich, Marlon. Momentan frage ich mich“, er stöhnte leise und knackte gefährlich mit seinem Nacken, „wie weit du gehen wirst. Wie weit geht der Junge von Goyer? Würde er wirklich für einen Schuss einen unbewaffneten Mann abstechen?“

Unruhig stand er da und hielt die Klinge vor sich, die bedenklich zu zittern anfing. „Wo ist das Geld?“

„Welches Geld“, fragte Gideon leise und bereitete sich mental vor. „Leg das Messer weg, Junge. Noch können wir reden…“

„Will nicht reden!“ Hastig fuhr er mit der Klinge durch die Luft. Viel zu weit entfernt. Hektisch wandte er den Kopf und schielte zum Ausgang.

„Ich werde dich nicht gehen lassen“, bemerkte Gideon trocken und setzte alles auf eine Karte. „In dem Zustand wirst du noch jemanden verletzen. Du bist doch ein netter Junge. Das ist doch nicht Marlon, der als Kind seiner Mutter so viel Freude gemacht hat! Das bist doch nicht du! Setz dich, und leg das Messer weg.“

„Nein!“ schnappte Marlon über und wilder Zorn verdunkelte seine Sicht der Dinge. „Gib mir alles Geld, das du hast! Sofort! Du nimmst mich nicht ernst! Warum nimmt mich keiner ernst!?“

Jetzt ist aber gut! Messer weg, sofort!“

„Nein! Ich steche dich ab, du…!“

Mehr Aufmunterung brauchte Gideon nicht. Er spürte, wie etwas Altbekanntes von ihm Besitz ergriff, die Entfernung abschätzte und seinen Gegner taxierte. Mit einer Waffe in der Hand hätte die Sache schnell und sauber gelöst werden können, dafür aber tödlich und gewiss nicht professionell genug, um sich dafür später bei Linda entschuldigen zu können. Aus Respekt vor ihr wählte Gideon die sanfte Tour, die auch, zugegeben, ihm perfiden Spaß machte. Auch der Sheriff war nicht frei von Fehlern.

Marlon hatte unterdessen sich entschlossen, zum Mörder zu werden. Ein Ausfallschritt und die Klinge weit erhoben, stürzte er sich auf das vermeintlich wehrlose Opfer.

Dumm, dachte Gideon bei sich und hätte fast dabei gelächelt. Es passierte alles so langsam vor seinen Augen. Wie auf einem Skizzenblatt konnte er klar vor sich die Schneise sehen, die genau auf seine Kehle zielte.

Mit der Linken konterte er den Schlag, indem er seinen Zeigefinger und Mittelfinger auf die ungeschützte Innenseite des rechten Arms schlug und dabei einen bestimmten Nerv traf. Marlon ächzte getroffen auf und sah hilflos zu, wie das Messer kraftlos aus seinen Fingern glitt. Er verstand nicht, dass Gideon nicht viel Kraft brauchte um ihn am Kragen zu packen und gegen die Anrichte zu schleudern, so dass die Teller und Tassen scheppernd zu protestieren anfingen.

Mit dem Fuß beförderte er die Klinge aus seiner Reichweite und versetzte Marlon eine schallende Backpfeife, die ihn zurücktaumeln ließ. Der Junge stieß krächzend etwas aus, was sich wie ein Fluch anhörte und ging sofort zum Angriff über: mit einem wilden Aufschrei umpackte er Gideons Hals und stemmte sich gegen ihn. Ganz nahe konnte er den stinkenden Atem und vor allem, den Wahnsinn in den Augen sehen. Hinter der Hirnrinde schienen kleine Dämonen um die Vorherrschaft zu kämpfen, und alle wurden Erste.

Gideon hatte endgültig genug, schlug ihm in den ungeschützten Bauch und packte mit der anderen Hand seinen Kopf, um ihn gegen den Türrahmen zu schlagen. Hier und da ein weiterer Tritt, ein Schlag mit dem Ellenbogen und schon landete Marlon getroffen zu Boden. Der Wahnsinn flackerte noch kurz auf, dann schlossen sich die Augen des kraftlosen Burschen für eine lange Zeit.

Der Sieger des ungleichen Kampfes blickte auf den zusammengekrümmten Körper und atmete stöhnend auf. Was war jetzt zu tun?

Mit Handschellen fesselte er ihn an die Heizung, telefonierte mit der Zentrale und begann dann erst die Taschen zu durchsuchen. Ein paar Credits, eine zusammengeknüllte Zigarettenschachtel und ein Inhalator.

Seltsam.

Der Inhalator war aus Plastik, doch in der gläsernen Patrone schwappte eine rötliche Flüssigkeit, die wie Liquid an dem Glas zu perlen begann. Gideon schnüffelte kurz an dem zerbissenen Mundstück und verstand schnell, mit was er es hier zu tun hatte. Der Grund, warum sich Goyers Junge so feindselig verhalten hatte.

Das Department war verhältnismäßig voll, und Gideon spürte Kopfschmerzen aufkommen. Der Apotheker stand in seinem Jackett, das in seiner Schäbigkeit bestens zu den Schuppen auf seinem Kragen passte, und besah sich den Inhalator in seiner behandschuhten Hand an. Jonathan, Fernandez und Oswald standen um Gideon herum und bestürmten ihn mit Fragen, während sie aufgeregt rauchten. Er schauderte und stieß ein Schnauben aus. Die schlechte Luft zermürbte ihn und der Kopfschmerz nahm zu. „Also, was haben wir hier, Doc?“ Gideon konnte den jungen Apotheker nicht ausstehen; er sah oft aus, als wäre er eben gerade aus einer Mülltonne gekrochen. Außerdem haftete ihm etwas penetrant Selbstgefälliges an, weshalb Gideon ihn im Verdacht hatte, dass er sich im Kreise seiner Familie ziemlich aufspielte.

„Ein einfacher Inhalator“, erklärte der Apotheker und rückte seine Brille zurecht. „Das ist definitiv RedStar, eine synthetische Droge, von der ich schon gehört habe. Ein tiefer Zug, und man ist drauf, salopp gesagt. Viele leicht zugängliche und alltägliche Produkte enthalten Lösungsmittel, Gase oder andere flüchtige Stoffe, die eine berauschende Wirkung haben können, wenn man sie inhaliert. Auch auf der Erde und auf dem Mars machen manche Kinder und Jugendliche frühe Drogenerfahrungen mit solchen Schnüffelstoffen, die oft in Gruppenritualen konsumiert werden. Vor allem der langfristige Gebrauch von Schnüffelstoffen ist mit erheblichen körperlichen, psychischen und sozialen Risiken und Folgeschäden verbunden.“

„Siehe Beweisstück A“, meinte Jonathan abfällig und deutete auf die einzige Zelle hinter sich. Marlon plärrte und beschwerte sich, so dass die Anwesenden sich gezwungen sahen, die Tür zum Bereich geschlossen zu halten. Es war kein schöner Anblick.

„Kann er vom Stoff entwöhnt werden?“

„Nicht bei RedStar“, verneinte der Apotheker und setzte eine mitleidige Miene auf, die derartig gespielt war, dass Gideon nur kurz Hass empfand. „Ähnlich wie bei Crack. Der Körper braucht jetzt diesen Stoff und vergiftet sich selbst. Es wirkt wie Fettentferner oder Tipp-Ex: Butan, Pentan, chlorierte Kohlenwasserstoffe oder auch Feuerlöschflüssigkeit, wie Halone. Der Körper nimmt Crack über die Lunge wesentlich schneller als geschnupftes Kokain über die Nasenschleimhäute auf. Nach ca. 10 Sekunden erreichen die Kokainmoleküle die Nervenzellen des Gehirns. Schwerwiegend sind zudem oft die psychischen Begleiterscheinungen: Charakterveränderung. Der Konsument fühlt sich einsam und er wird häufig von der Umwelt als aggressiv wahrgenommen. Wahnvorstellungen, Psychosen, Dermatozoenwahn, Soziale Vereinsamung. Ich denke, dass euer Junge in eine geschlossene Abteilung der Medizin verlegt werden sollte. Natürlich braucht ihr eine gerichtliche Verfügung.“

Jonathan langte zum Hörer. „Das erledige ich.“

Fernandez stieß einen Pfiff aus und warf Oswald einen Blick zu. „Wir sind so weit draußen. Habe echt gedacht, dass erreicht uns nicht.“

„Verdammte Schande, das.“ Oswald nickte weise und klopfte Gideon auf der Schulter. „Das wirst du wohl der lieben Mama selbst beibringen müssen.“

Gideon schauderte und stieß erneut ein Schnauben aus. Er wollte jetzt nicht an Linda denken. Wie würde sie darauf reagieren? „Das sollte besser unser Boss machen, nicht wahr Jonathan?“

„Verzichte. Das machst du. Du kennst sie länger.“

„Ach, komm schon!“

„Nichts da“, stellte sein Boss klar. „Er ist dein Problem. Er ist bei dir eingestiegen, und du hast ihn festgenommen. Jetzt machst du den ganzen Abwasch. Keine Diskussion.“

Die Logik dahinter wollte Gideon nicht einleuchtend, aber er wusste, ab wann es klug war einfach zu gehorchen. „Wie kam das Zeug hierher? Wer dealt mit Drogen? Hat jemand eine Idee?“

Fernandez und Oswald schüttelten die Köpfe, und auch Jonathan sah ratlos aus.

Mit nichts anderem hatte Gideon gerechnet. Besah man sich die drei Kollegen, hätte man annehmen können, dass sie außer ihre Uniform nur ihre Bäuche und ihr Sitzfleisch ausreichend pflegten. Oswald hatte deutliche Gewichtsprobleme, und Fernandez selbst klagte über Plattfüße und fuhr die meisten Wege mit einem Buggy. Und Jonathan verließ so gut wie nie seinen Platz im Departement. Dagegen wirkte Gideon wie ein Fitnesslehrer. Auf solche Krisen waren sie nicht vorbereitet. „Keine Idee? Wir müssen dagegen vorgehen, Leute.“

„Ich halte dich nicht auf, Gideon“, bemerkte Jonathan auf eine seltsame Art, die ihm nicht gefiel. „Das ist jetzt dein Fall. Ich werde einen Bericht zur Zentrale und eine Anfrage an das Drogendezernat schicken. Dr. Kelputsch kommt gleich und schaut sich den Patienten an. Wir werden ihre Meinung zusammen mit unserem Verdacht protokollieren und uns an das Verfahren halten. Du weißt, was du zu tun hast?“

Gideon starrte seinen Freund an und schnaubte zum wiederholten Male. „Wie weit darf ich gehen?“

Alle sahen ihn verdutzt an, nur Jonathan schien kein bisschen verunsichert. „Wie weit möchtest du denn gehen? Ich will den Dreck hier nicht haben. Klopf mal auf den Busch und schaue nach, was dabei herumkommt, aber wenn die Profis von der Drogenbehörde auftauchen, bist du raus. Dann überlassen wir es ihnen. Kapiert?“

„Ist das alles?“ wollte der Apotheker wissen, während er seine Handschuhe auszog. „Darf es sonst noch etwas sein?“

Gideon versuchte zu schlafen und starrte Linda von seiner Seite des Bettes aus an, die geruhsam den Schlaf gefunden hatte. Zuerst hatte sie geweint, er hatte sie gehalten und war den ganzen Abend bei ihr geblieben. Aus dem Trösten war ein Streicheln geworden und dann… na, sie hatte schon viel zu lange die Nähe eines Mannes nicht mehr gespürt. Darauf war Gideon nicht stolz.

In seinem Kopf ging es zu wie in einem lebhaften Miethaus – überall Streitereien, und ein Stück weiter den Flur hinunter kam es sogar zu einer Schlägerei. Er fühlte sich leer und ausgehöhlt, und vor dem Schlafengehen hatte er noch Wein mit ihr getrunken. Die Dunkelheit rückte ihm zu dicht auf die Pelle, weshalb er aufstand, das Licht im Badezimmer anschaltete und sich wieder anzog. Es war fünf Uhr in der Früh. „Wo gehst du hin“, hörte er sie sagen.

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