Czytaj książkę: «Das Theater leben», strona 5

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DIE STRUKTUR ZERLEGEN. POLIZEI THEATER I

Wenn wir die Struktur zerlegen wollen, müssen wir sie von allen Seiten angreifen, von allen zehntausend Seiten.

Für die Polizei: Stücke, die den Zweifel befeuern, die Ordnung zeigen, ohne Gesetz, Stücke, die zu Klassenbewusstsein anregen, sexuelle Stücke, sexuelle Krise, prise sexuelle, Stücke in zehntausend Formen. Das Projekt heißt Sich Durchbeißen. Ohne brutale Reaktionen hervorzurufen, ein Stück, das sie [die Polizei] endgültig von ihrer Autorität befreit.

Nicht, um sie wie Haifische aus dem Meer zu ziehen und im Sand verenden zu lassen, nicht, um ihnen Kastration anzudrohen, sondern ein Stück, das sie endgültig von ihrer Autorität befreit, das heilige Instinkte weckt, das sadistische Chemie in menschliches Fleisch übersetzt.

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Vertikal sein, sich aufrichten, Homo erectus: Dieser Akt des Aufstehens, sich Erhebens, ist ein Akt gegen die Natur: sich aus den Tiefen des Natürlichen ins Übernatürliche erheben.

Die Arbeit der Welt formt die Natur und löst die Probleme der Existenz, die das Universum der Menschheit auferlegt hat. Sich nicht beugen, nicht der Hierarchie der Elemente, des Mangels, des Todes unterwerfen, nicht zum erbärmlichen Subjekt der Naturgesetze werden, nicht zum Subjekt ihrer Gewalt.

Die Arbeit der Welt transformiert die natürliche Energie, die in ihrem natürlichen Stadium gewalttätig ist, wenn sie obenauf ist auf dem Gipfel des Lebens, schöpferisch, wenn die Menschheit zum Schöpfer wird. Niedergestreckt ist jeder ein Opfer, Bewohner der Unterwelt, Höhlenmensch; aufgerichtet fliegen wir ins Licht, überwinden das erdrückende Gewicht der Schatten, wir heben ab.

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Wenn die sexuelle Energie der Menschen befreit ist, werden sie die Ketten sprengen. Wenn ihre Fantasie frei ist, werden die Menschen und nicht etwa der Künstler oder Anführer oder Sprecher wissen, wo es langgeht, und es schaffen. Wenn ihre Seelen befreit sind, werden sie mit einer Kraft handeln, die alle Technokratie in den Schatten stellt. Nicht der Künstler muss den Plan für die Zukunft entwerfen. Das Volk gibt das Zeichen. Nur die Masse kann tun, was zu tun ist. Strategisch ist das die wichtigste Entdeckung unserer Zeit. Sie macht klar, worin die Rolle der Kunst besteht. Die Sozialisten und Kommunisten, die das seit einem halben Jahrhundert verkünden, haben es so gedreht, dass der Künstler Werke schaffen soll, die den bürokratischen Staat stützen. Lügen liegt in der Natur des Herrschers.

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Kleinliche Zusammenstöße, gefolgt von kleinlichen Szenen vor Gericht. Eine Probe von Die Zofen in unserem Hotelzimmer in Paris im Oktober 1964. Das Hotel Normandie, Rue de la Huchette, ist eine Absteige; jeden Morgen, wenn ich die Treppe runterkomme, verlangt der Manager vierzehn Francs von mir, sieben Francs pro Tag und Person. Ich muss nach Berlin, Judith probt mit Bill Shari, Luke Theodore und Tom Lillard. Der Manager klopft an, „Madame, violation de domicile! Vous ne pouvez pas rester dans la chambre avec des inconnus sans que votre mari soit présent! Si ces messieurs ne quittent pas la chambre tout de suite, je serai constraint d’appeler la police!“ Niemand verlässt das Zimmer, er holt die Polizei, alle werden verhaftet. Mehrere Stunden, Ohrfeigen und Schläge später werden sie freigelassen. Gegenüber der Gendarmerie liegt die Hongkong Bar, die Genet in den Zofen erwähnt, als Monsieur Madame anruft, gerade aus dem Gefängnis entlassen.

In Stockholm wollen wir nach der Vorstellung essen gehen. Aber nach 21 Uhr sind alle Restaurants geschlossen. Chester Kallman hatte uns am Abend vor unserer Abreise vorgewarnt. Er sagte: „Ihr müsst wissen, nach 21 Uhr bekommt ihr in Stockholm nichts mehr zu essen.“ Wir fanden dann doch ein Restaurant, das abends geöffnet hat, das Röde Rummet ist für Leute, die nachts arbeiten. In der Dezemberkälte standen wir Schlange, um eingelassen zu werden. (Wir essen immer nach der Vorstellung.) Endlich waren wir dran. „Sie können hier nicht rein“, sagte der Manager. „Aber wir arbeiten. Wir arbeiten im Theater“, erklären wir. „Nein, sie können hier nicht rein.“ Wir weigern uns zu gehen. Also ruft er die Polizei. Die kommen schwingend an. Sie fassen uns an die Kehlen, die schwedische Methode, und zerren uns weg. Erst am nächsten Abend werden wir aus dem Gefängnis entlassen.

In Rotterdam hatten wir ein Hotel reserviert, und als wir dort ankamen, waren die versprochenen Zimmer doch nicht frei, und als wir gingen, sagte der Manager, „Ihr seid viel zu schmutzig für mein Hotel!“ Als wir gingen, nahm jemand ein Handtuch mit, er rief die Polizei, die uns alle verhaftete. Das Handtuch wurde zurückgegeben, aber der Manager wollte nicht, dass die Polizei uns laufen ließ; er wollte seine Rechtsmittel voll ausschöpfen und mehrere Frauen mussten auf der Wache weinen, bis er uns in Ruhe ließ.

In Triest blieb während eines tableau vivant bei einer Aufführung der Mysterien ein Schauspieler für drei flüchtige Sekunden nackt, sein wunderschönes Geschlechtsorgan glänzte vor 2000 Augen im Licht. Die tableaux vivants bestehen aus 72 Schlaglichtern: Das Licht geht an: Vier Leute in vier Positionen vor vier Kästen: Das Licht ist für vier Sekunden aus, dann wieder für drei Sekunden an, die vier Leute in anderen Positionen, Licht aus Licht an, Licht aus Licht an. Jemand „meinte“, er hätte einen nackten Mann gesehen, die Polizei wurde gerufen, sie stürmte das Theater und versuchte, die Vorstellung abzubrechen, aber wir haben weitergemacht, weil who the fuck are they, und wir spielten unser Stück und wurden nach der Vorstellung verhaftet und durften am nächsten Tag nicht spielen. Einige von vielen Zusammenstößen.

Die Bourgeoisie hat es so eingerichtet, dass sie die Polizei rufen kann, wenn ihr danach ist.

Die Polizei ist ihr zu Diensten. Strindberg lesen: Die Diener wissen, wie ihre dekadenten Herren zu beherrschen sind. Sie machen es wie die Vampire. Aber sie bleiben in Strindbergs Schreckenshaus. Diener identifizieren sich mit ihren Herrschaften. Genet. Das ist ihr Problem.

Die Polizei ist nicht uns zu Diensten. Sie dient nicht dem Volk, sondern der privilegierten Klasse. Sie sind unsere Brüder, aber sie wissen es nicht und auch wir wissen es nicht.

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Die große Fliegenklatsche. Der große Ertränker. Wer ertränkt uns in seinen Flüssigkeiten. Der große Anführer. Die großen Zerteiler. Die großen Eigentümer. Ihr gestohlenes Blut. Flügel. Sie schlagen auf meinen Rücken. Was kann ich tun? Ich öffne die Tür. Ich lasse sie ein. Ich Armer. Ich habe mich verkauft. Ich bin ein Ding geworden. Marx. Und sie, die großen Ertränker, haben uns. Wir haben unsere Paranoia, von der aus wir unser Theater erfinden gegen sie, gegen die großen Käufer.

Das Theater als Zeremonie, die Dämonen auszutreiben. Praktisch.

Denn wenn die Zeremonie vorbei ist, spielen die Teilnehmer das große Volk.

Als sein Bewusstsein einschlief, schnitt Gautama sich die Lider ab.

Dieser Planet hat Augen und Lider. Nicht handeln wollen bedeutet nicht atmen wollen.

Rom, Juni 1967. Cefalù, Sizilien, April 1968

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POLIZEI THEATER II

Paris, Februar 1970. Gedanken im Streifenwagen:

Voll auf den Mund, mit der rechten Faust, dieser Hand der freien Bourgeoisie: die Faust des Polizisten. Wir sind in Frankreich, aber ich denke an den Irak, wo sie letzte Woche vierzehn Drogenschmuggler hängten! Ich denke an deine Ehre, o Herr, und des Menschen Ehre, und die Schande unserer Pfuscherei, die unmoralischen Verfehlungen, die Löcher, in die das Leben fällt, so wie die Gehängten fallen. Der Polizeistaat. In diesem Land können sie dich zwölf Tage festhalten, wegen nichts, zur „Feststellung deiner Identität“, zur „Untersuchung“: Mehr als drei oder vier Leute zusammen auf der Straße (oder in der Metro) sind eine Versammlung und können wegen Teilnahme an einer illegalen Demonstration verhaftet werden. Deshalb hat die Masse in Frankreich keine Stimme; aber der Bourgeoisie – sogar den Armen – wird eingeredet, Frankreich wäre frei. Aber wir erkennen dich als das, was du bist, Frankreich und all deine Schwestern, verdeckte Neo-Faschisten seid ihr.

Paris, 2. Februar 1970. Die Geschichte: Die Metropreise steigen wieder, neunzig Prozent mehr in zwei Jahren! Wer zahlt das? Wer verdient daran?

Ein Arbeiter fährt jeden Tag mit der Metro zur Arbeit, hin und zurück, zwölf Mal die Woche, zwölf Stunden die Woche, 600 Stunden im Jahr, macht über dreißig Jahre 18 000 Stunden Metro! Wie viele im ganzen Leben? 750 Vierundzwanzig-Stunden-Tage, zwei ganze Jahre in unterirdischen Schächten, zwei Jahre seines/ihres Lebens in Höhlen, diese Höhlenfahrer, der Unterwelt!

Vor drei Tagen fuhr die Aktionszelle des Living Theatre zur Universität in Vincennes, um zu unterrichten. Unterricht? Das war einmal. Wir schlagen vor: Anstatt in einer Diskussion Ideen auszutauschen (die beste Methode, um alles abzuwürgen), nutzen wir die Zeit und erfinden zusammen ein Stück. Und so machen wir es.

1.) „Wir brauchen keine Stücke, wir brauchen Aktion.“ Einverstanden. „Die Leute lernen durch handeln.“ Einverstanden.

2.) Welches Thema brennt euch auf den Nägeln? Antwort: „Die Erhöhung der Metropreise.“

3.) Was ist das Ziel? Sollen die Leute sich erheben und nicht bezahlen? Sollen sie verstehen, dass das System sie ständig zwingt, gegen ihr Interesse zu handeln? Wird die Revolution kommen? Was ist das Ziel?

Ziel ist, die Schlafenden zu wecken. Das Volk, das sind die Schlafenden.

Das Leben ein Traum. Nur wer die Welt beiseiteschiebt, wird erwachen. Das Ziel ist, den schlummernden Geist der Revolution zu wecken, dann folgen Morgenlicht, revolutionäre Erleuchtung, und dann (bald) revolutionäres Handeln. Unruhe stiften, kritische Haltung. Das erste Ziel ist erreicht, wenn die Leute selbst Vorkehrungen treffen.

Student: „Sie können in diesem Raum nicht sprechen, zu viele Spione. Wir können nur das Allgemeine besprechen.“ „Dann teilen wir uns in Gruppen auf und sprechen konkret?“ Einverstanden. Aber ich weiß jetzt, dass es zu spät ist. Die Spione sind hier und überall. POLIZEISTAAT. Die Operation am Montag wird sorgfältig beobachtet und kontrolliert werden. Aber daraus lernen wir.

Die Zellen haben sich formiert. Jede Zelle hat ihre eigene Aufgabe.

Die Living Theatre Action Zelle hat ihre Aufgabe. Sie plant das U-Bahn Stück: Tod in der Metro.

Wir arbeiten zwei Tage daran. Das Stück dauert ungefähr vierzig Sekunden. Wenn alles gut geht, können wir es den ganzen Montag über 20, 30 Mal an 20, 30 Stationen spielen …

Dann planen wir, wie wir es machen. Stellen uns vor, was alles passieren könnte.

Am Montagmorgen sehen sich zwei von uns, bevor wir Tod in der Metro spielen, eine andere Aktionsgruppe an.

Wir stehen für Tickets an. 7 Uhr morgens. Ich sehe Gesichter, die ich in einem Theater niemals sehen würde. Welches Recht habe ich zu denken, sie alle könnten sich für Theater interessieren?

Es interessieren sich die, die so geprägt sind, dass sie sich für Theater interessieren. Aber das alte Theater dürfte für diese Leute nicht interessant sein. Warum sollen sie sich für die Leiden Fausts oder Phädras interessieren? Was die bürgerliche Intellektuellenaristokratie für universell hält, ist höchstens für sie selbst universell, und trotzdem suggeriert uns die gesellschaftliche Ordnung, es könne außerhalb ihres Einflussbereichs kein Theater geben. Sie hält sich für das absolute Eden, eine Selbsttäuschung, die dem allgemeinen Bewusstsein gewaltsam eingeimpft wurde. Die Tänze und Riten primitiver Gesellschaften widerlegen diese Impertinenz. Eine andere Ästhetik ist die Antwort. Die Aristokratie definiert Schönheit nach ihrem eigenen Bild. Sexualität wird offen unterdrückt. Forschungen (Kinsey) über sexuelle Vorlieben in verschiedenen Klassen legen nahe, dass Proletarier ein eher kurzes Vorspiel haben. Steuern sie direkt aufs Chakra-Zentrum zu? Haben sie es eilig? Haben sie keine Veranlagung dazu? Sind sie zu müde? Sieht ihre Schönheit anders aus, hat sie andere Farben, ist vielleicht das ganze Bezugsfeld anders?

„Vielleicht hat der Prozess der Zivilisation, der intellektuelle Fortschritt und seine Errungenschaften, uns auf jenes abschüssige Feld der Möglichkeiten geführt, von dem aus wir Gott nicht mehr erfahren können. Unsere Zivilisation hat uns gottlos gemacht. Man kann nicht zivilisiert sein, wie wir es sind, und an Gott glauben.“ R. D. Laing.

Was für ein Theater wollen Menschen, die 700 bis 1000 Tage ihres Lebens in Tunneln verbringen? Sie …

Wir gehen zum Treffpunkt Nummer 1, nehmen die Metro zum Treffpunkt Nummer 2. Warten. Wir sind schon zu lange hier. Nervös. Zum Treffpunkt Nummer 3. Wir hängen zu lange herum. Die Genossen Q und R stoßen dazu. Das ist das Zeichen. Q und R machen sich auf den Weg zum Stationshäuschen, um den Lautsprecher zu kapern. Die anderen verteilen Flugblätter. Die Bullen! Sich zerstreuen. Pierre B. und ich gehen langsam, um nicht verdächtig zu wirken. Schließlich sind wir nur Beobachter „en passage“. Ein Bulle packt mich am linken Ellbogen, dreht mich herum, Becks Blut befleckt friedliche Demonstration.

Damit die Leute es wissen. Alles Wissen den Menschen.

„Die Trennung zwischen Arbeit und Wissen abschaffen.“ Aktionskomitee des 13. Arrondissements, das Politische Programm entspricht dem der Generalversammlung am 25. Mai 1968.

Wie kann sich die Masse in etwas verwandeln, das mehr ist als eine amorphe Masse?

„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion.“ Marx, zitiert von Daniel und Gabriel Cohn-Bendit.

„Dem russischen Proletariat hat deshalb ein Jahr der Revolution jene ‚Schulung‘ gegeben, welche dem deutschen Proletariat 30 Jahre parlamentarischen und gewerkschaftlichen Kampfes nicht künstlich geben können.“ Rosa Luxemburg, zitiert von den Cohn-Bendit-Brüdern.

Zwölf Leute werden verhaftet. Im Polizeiwagen kotzt der Bulle, der mir ins Gesicht geschlagen hat, Beleidigungen über uns aus:

„Wenn ich euch sehe, tut es mir leid, dass ich nicht in der SS war und mich nicht um euch und euresgleichen gekümmert habe. Das Volk hasst euch! Die wollen euren Scheiß nicht! Ihr macht nur Ärger! Deshalb müssen wir uns um euch kümmern!“

Ein junger Arbeiter, der mit uns verhaftet wurde, entgegnet:

„Deshalb müssen wir uns um euch kümmern!“

Große Faust: „Du bist zu jung, um dir die Zähne einschlagen zu lassen. Du bist zu jung für ein Gebiss. Mit Gebiss essen ist schwer.“

Arbeiter-Aktivist-Anarcho-Syndikalist: „So viel zu essen ist eh nicht da.“

Nach vier Stunden lassen sie uns gehen. Laut Radio wurden „zwölf Demonstranten zur Feststellung ihrer Identität festgehalten“. Unter dieser dünnen Decke versteckt die französische Polizei, dass sie Straßentheater verbietet.

Guerilla Theater. Wo? Wie? Und es ist nicht mehr viel Zeit.

Croissy-sur-Seine, Frankreich, 3. Februar 1970

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„Gegenüber Studenten gibt es keinen Pardon, man kann draufhauen, es sind schließlich feine Bürgersöhnchen. Die Polizisten mit ihrer faschistischen Mentalität erleben den Klassenkampf auf ihre eigene Weise.“ Gabriel und Daniel Cohn-Bendit: Linksradikalismus

POLIZEI THEATER III

Sie machen immer ihr eigenes. Allein ihre Anwesenheit erhöht die Spannung des Moments. Auch wenn sie in Zivil sind, tragen sie immer ein Kostüm. In Zivil spielen sie wirklich eine Rolle, ganz nach den Regeln des klassischen Theatervokabulars: Sie nehmen einen anderen Charakter an, verkleiden sich, legen eine Maske an, ahmen Gewohnheiten und Eigenschaften nach, suchen einen Rahmen, einen Hintergrund für ihre Figur. Charles Demmerle, ein Rechter, stand für ungefähr vier Jahre auf dem Gehaltszettel des FBI, kooperierte mit linken Aktivisten, legte sogar Bomben – United Fruit Company, General Motors Gebäude, Chase Manhattan Gebäude, 69th Street Armory in N.Y.C. 1969 – seine aufsehenerregenden Bombenanschläge erschütterten das internationale Gleichgewicht. Alles im Kostüm eines verrückten Linken. Dann informierte er das FBI, Leute wurden verhaftet,* die Öffentlichkeit zufriedengestellt. Er spielte sein Stück, die Rolle des Spions, des Lockvogels, Provokateurs, des Rechten, des Rächers.

Interessant ist, dass seine linken Freunde ihn in diesen vier Jahren nicht wachrütteln konnten: Weder mit der Kraft ihrer Liebe noch mit der Schönheit ihres Glaubens, auch mit ihrer Leidenschaft konnten sie ihn nicht dazu bringen, die Seite zu wechseln, und den Verräter gegenüber der Klasse der Polizei zu spielen, sich zu rächen, das zu werden, was er spielte, ein Revolutionär. Wie weit er bei der Herstellung und beim Anbringen der Bomben half, wissen wir nicht: Womöglich spielte er eine besondere Rolle, die des Schizophrenen, in der es heißt: „Leckt mich, Terroristen, leck mich, Bourgeoisie – (Ich sprenge eure wahnsinnigen Gebäude) – leck mich, Polizei – (Ich helfe den Linken), und leck mich ewige Seele – ich press euch alle aus!“

Was lernen wir Performer daraus? Mit solcher Überzeugung zu spielen, dass alle anderen Performer, die mit uns auf der Bühne stehen, der Kraft der Wahrheit und der Kraft der Liebe und der Kraft des Lebens nicht widerstehen können, dass wir sie hineinziehen in das magische Ritual, das Rad zurückdrehen, und die Erde zurückholen in den freudvollen Zustand kreativer Veränderung.

Die Polizei ist immer im Zustand des Dramas. Ständig spielt sie den heroischen Beschützer der herrschenden Klasse, den sogar diese Klasse fürchtet. (Die Vorstellung ins Gefängnis zu kommen ist für die Reichen weitaus schrecklicher, als sie für die Armen ist oder für den Revolutionär, der jederzeit damit rechnet.) „Natürlich ist Mr. Antrobus ein sehr feiner Mensch, ein ausgezeichneter Ehemann und Vater, eine Säule der Kirche, und nur das Wohl der Gemeinschaft liegt ihm am Herzen. Natürlich verspannt sich jedes Mal jeder Muskel, wenn er an einem Polizisten vorbeikommt.“ Thornton Wilder.

Nach jeder Vorstellung von Paradise Now passte uns die Polizei an der Pforte ab und wollte uns nicht auf die Straße lassen. Sie machten uns deutlich, dass sich der Feind der Freiheit im Körper des Polizisten manifestiert. Die Straße befreien: Das geht so lange nicht, bis die Macht der Polizei nicht zerschlagen ist, verwelkt, transformiert. Wie gelingt das? Das meine ich, wenn ich von Polizei Theater rede.

Wir brauchen ein Szenario, einen Weg, der zur Polizei durchdringt und sie dazu bringt, zu desertieren, wie die Soldaten, wie die Armee. Das sind Tagträume. Leer, nutzlos. Denn sie begreifen das Leben nur in Form von Grausamkeit, als eine Formel, die immer auf Strafe hinausläuft.

Die Schlüssel zum Szenario: ihre Träume ansprechen, ihre unterdrückten Hoffnungen, ihre echten Sehnsüchte. (Feindseligkeit und Steine greifen ihr Bewusstsein an, beides zwingt sie, Verteidigung auszubauen.) Wir brauchen den unsichtbaren Strahl, der um die Ecken geht, eine Gegenkultur, die in den Schwanz fährt. Eine Strategie, die den Verstand befreit.

Ziel ist es, der Polizei Rollen anzubieten, die viel mehr Spaß machen als die des Polizisten. Ein Spiel erfinden, das seinem Ego und seinem sehnsüchtigen Schwanz gefällt.

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POLIZEI THEATER IV

Wie ein Blutbad verhindern, wenn die Reaktion mit ihrem Militär, ihrer Polizei aufmarschiert? Die herrliche gewaltlose Revolution? Wie kann sie gelingen?

Stellen wir uns vor, die Arbeiter übernehmen die Fabrik, sie gehen zum Boss und sagen: „Die Dinge liegen jetzt anders. Wenn du bei uns mitmachen willst, dann tu das, arbeite mit uns, aber nicht als Boss, sondern als einer von uns, als einer, der in der Produktion mitarbeitet, und wenn es so weit ist, trete dem Arbeiterrat bei – wir wählen alle sechs Monate einen neuen und treffen die Entscheidungen; früher oder später ist jeder mal dran mitzuentscheiden.“

Und der Boss sagt, „Nein! Die Fabrik gehört euch nicht!“ Und ruft die Polizei (oder das Militär oder die Marine). Und die Polizei kommt. Aber in der Polizei arbeiten die Söhne und Töchter der Arbeiterklasse und des Lumpenproletariats, sie sind selbst Arbeiter, die Arbeit der Revolution wird ihnen das über die Jahre klarer machen …

Und die Polizei trifft ein vor der Fabrik und die Arbeiter sagen, „Brüder, schießt nicht auf uns!“ Und die Polizei antwortet, „Brüder!“ und schießt nicht … Das ist die gewaltlose Revolution.

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