Czytaj książkę: «Kommunikationswissenschaftliches Arbeiten»
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PD Mag. Dr. Petra Herczeg und PD Mag. Mag. Dr. Dr. Julia Wippersberg lehren als Senior Lecturers am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://d-nb.de abrufbar.
2., vollst. überarb. Auflage 2021
© 2019 Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien
facultas Verlag, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Atelier Reichert, Stuttgart
Gestaltung: grafzyx.com, Wien
Satz: Florian Spielauer, Wien
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany
utb-Nummer 5056
ISBN 978-3-8252-5639-5 (Print-Ausgabe)
ISBN 978-3-8385-5639-0 (Online-Leserecht, erhältlich unter utb-shop.de)
ISBN 978-3-8463-5639-5 (E-PUB) [4]
Inhalt
1Einleitung
2Publizistik- und Kommunikationswissenschaft als (Sozial-)Wissenschaft
2.1Was ist eigentlich eine Wissenschaft?
2.2Kommunikationswissenschaft
2.2.1Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (PKW)
2.2.2Unterscheidung Medienwissenschaft – Kommunikationswissenschaft
2.3Alltagswissen vs. wissenschaftliches Wissen
3Publizistik- und Kommunikationswissenschaft – Anmerkungen zum Fach
3.1Das Selbstverständnis der PKW: Was ist sie und was tut sie?
3.2Facetten der PKW
3.3Die „Lasswell-Formel“ – eine „klassische“ Differenzierung der PKW
3.4Teildisziplinen und Praxisbereiche der PKW
3.5Generelle wissenschaftstheoretische Positionen mit Fokus auf die Sozialwissenschaften
3.5.1Wissenschaftstheoretische Blitzlichter
3.5.2Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen in der PKW
3.5.3Die kommunikationswissenschaftliche Fachgeschichte
3.5.4Wiener RAVAG-Studie. Von Paul F. Lazarsfeld (1932)
3.5.5The Peopleʼs Choice. How the Voter Makes Up His Mind in a Presidental Campaign. Von Paul F. Lazarsfeld, Bernard Berelson und Hazel Gaudet (1944)
3.5.6The Invasion from Mars. A Study in the Psychology of Panic. Von Hadley Cantril unter der Mitarbeit von Hazel Gaudet und Herta Herzog (1940)
3.5.7Torches of freedom. Von Edward Bernays (1929)
3.5.8Unterhaltungs-, Werbe- und Motivationsforschung. Von Herta Herzog [5]
4Forschungsprozess
4.1Die zwei Paradigmen
4.1.1Quantitative und qualitative Forschung
4.1.2Induktion und Deduktion
4.2Forschungsabläufe
4.2.1Typisches quantitatives Arbeiten
4.2.2Typisches qualitatives Arbeiten
4.2.37-Schritte-Modell eines typischen Forschungsablaufs
4.3Ansprüche an wissenschaftliches Arbeiten – wissenschaftliche und methodische Gütekriterien
4.3.1Die „klassischen“ Ansprüche
4.3.2Rechtmäßigkeit, insbesondere Datenschutz
5Problem und Forschungsinteresse, Erkenntnisinteresse und Ziel
5.1„Das Problem“ – Problemorientierte Erkenntnissuche
5.2„Generierung“ von Problemen
5.3Forschungsinteresse
5.3.1Anforderungen an ein Forschungsinteresse
5.3.2Vom Problem zum Forschungsinteresse
5.3.3Tipps zur Fokussierung auf ein Arbeitsthema bzw. ein konkretes Forschungsinteresse
5.4Erkenntnisinteresse
5.4.1Exkurs Wissenschaftstheorie: Erkenntnis und Erkenntnisinteressen
5.4.2Erkenntnisinteressen in wissenschaftlichen Forschungsarbeiten
5.5Zielformulierung
5.6Forschungsstand
6Forschungsfragen
6.1Anforderungen an Forschungsfragen
6.2Häufige Fehler bei der Erstellung von Forschungsfragen
6.3Andere Arten von Fragen in einer wissenschaftlichen Arbeit
7Hypothesen
7.1Arten von Hypothesen
7.2Überprüfung einer Hypothese
7.3Variablen und Ausprägungen
7.3.1Variablen
7.3.2Ausprägungen
7.3.3Hinweis zur Formulierung von Hypothesen
7.3.4Weitere Arten von Variablen [6]
7.4Operationalisierung
7.4.1Operationalisierung als „Übersetzungsvorgang“
7.4.2Indikatoren
7.4.3Anforderungen an Indikatoren/Merkmalsausprägungen
7.5Skalen
7.6Kriterien für die Erstellung von Hypothesen
8Methoden der empirischen Sozialforschung
8.1Empirische Sozialforschung
8.2Die Paradigmen der empirischen Sozialforschung
8.2.1Das quantitative Paradigma
8.2.2Das qualitative Paradigma
8.2.3Resümee zum „Paradigmenstreit“
8.3Sozialwissenschaftliche Methoden
8.3.1Befragung
8.3.2Inhaltsanalyse
8.3.3Beobachtung
8.3.4Experiment
8.4Methodenwahl
8.5Untersuchungsdesign
9Der Umgang mit wissenschaftlichen Quellen
9.1Quellen
9.1.1Eigene vs. fremde Quellen
9.1.2Selbständige vs. unselbständige Quellen
9.1.3Arten wissenschaftlicher Literatur
9.1.4Internetquellen
9.2Quellenkritik
9.2.1Zitierfähige vs. zitierwürdige Quellen
9.2.2Kriterien zur Bewertung einer guten wissenschaftlichen Arbeit
9.3Zitat
9.4Plagiat
9.5Grundregeln für wissenschaftliches Zitieren
9.5.1Rechtliche Grundlage für das Zitieren (Urheberrecht)
9.5.2Direkte vs. indirekte Zitate
9.6Zitiermethoden – formale Kriterien für die Quellenangabe zum Zitat
9.6.1Fußnoten-Methode = deutsche Zitierweise
9.6.2Grundlegendes zur amerikanischen Zitierweise
9.6.3APA-Style
9.6.4Vorgaben und Beispiele für Zitate und Quellenangaben nach APA-Style
9.6.5Sekundärzitate [7]
9.7Quellenverzeichnis
9.7.1Monographien im Quellenverzeichnis
9.7.2Sammelbände im Quellenverzeichnis
9.7.3Nachdrucke im Quellenverzeichnis
9.7.4Artikel aus Sammelbänden im Quellenverzeichnis
9.7.5Artikel aus Fachzeitschriften (Journals) im Quellenverzeichnis
9.7.6Weitere wissenschaftliche Quellen im Quellenverzeichnis
9.7.7Audiovisuelle Quellen im Quellenverzeichnis
9.7.8Journalistische Quellen und Online-Medien im Quellenverzeichnis
9.7.9Sonstige Anmerkungen
9.8Häufig verwendete Abkürzungen
10Wissenschaftliches Lesen
10.1Aussortieren – erste Prüfung der Literatur
10.1.1Relevanzprüfung von Literatur
10.1.2Probleme beim Lesen
10.2Lesetechniken
10.3Texte bearbeiten und Gelesenes festhalten
10.3.1Notizen und Markierungen
10.3.2Exzerpte/Zusammenfassungen
11Wissenschaftliches Schreiben
11.1Forschungskonzept
11.2Texterstellung der wissenschaftlichen Arbeit
11.3Korrekturphase
11.4Elemente einer wissenschaftlichen Arbeit
11.5Gliederung einer wissenschaftlichen Arbeit
11.6Die Argumentation
11.6.1Typen von Argumenten
11.6.2Ablauf einer Argumentation
11.7Wissenschaftlicher Schreibstil
11.7.1Formulierungsvorschläge
11.7.2Praktische Hinweise zum Schreiben
12Literaturverzeichnis
13Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Anhang A – Eine Auswahl an kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften
Anhang B – Grundlagen wissenschaftlicher Datenbanken [8]
1Einleitung
Wissenschaftliches Arbeiten erfordert spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die Kompetenz, von alltäglichen Fragestellungen und gewöhnlichem Wissen-Wollen zu systematischen Fragestellungen und wissenschaftlicher Organisation des Erkenntnisgewinns vorzustoßen. In diesem Buch wird das „Handwerkszeug“ des wissenschaftlichen Arbeitens (wie der Umgang mit wissenschaftlichen Quellen, das Zitieren, das wissenschaftliche Lesen und Schreiben) genauso thematisiert wie die Kompetenz zur Erstellung von Forschungsfragen und Hypothesen, zur Entscheidung über Forschungsabläufe und Methodenauswahl, zur Bestimmung von Untersuchungsdesigns und zur Operationalisierung von „abstrakten“ theoretischen Konstrukten.
Das Buch geht aber über die reine Anwendung von Kompetenzen im Forschungsalltag hinaus, es soll auch der Rahmen, in dem Wissenschaft betrieben wird, aufgezeigt werden.
Wenn wir uns mit Wissenschaft befassen, dann sind wir nicht nur damit konfrontiert, Probleme zu formulieren und zu prüfen, auf wissenschaftliches Niveau zu heben und mit theoretischen Aussagen zu kombinieren, sondern wir müssen uns auch damit befassen, was eigentlich der Sinn und Zweck von Wissenschaft ist, was Wissenschaft leisten kann – und was eine Disziplin wie die Kommunikationswissenschaft als eine Sozialwissenschaft zum Gelingen der Gesellschaft beitragen kann.
Dazu wird einerseits kurz auf Grundsätzliches eingegangen (Wissenschaftstheorie), andererseits auf die Wurzeln der kommunikationswissenschaftlichen Forschung Bezug genommen (Fachgeschichte und zentrale Forschungsarbeiten des Faches). Beides ist wichtig, um zu verstehen, woher die kommunikationswissenschaftliche Forschung kommt, und um zu verinnerlichen, wie die großen Wissenschaftstraditionen auf die eigenen Forschungsvorhaben wirken.
Dazu ist es nötig, sich mit der Wissenschaftstheorie zu beschäftigen, die zu erfassen versucht, warum wir als Sozialwissenschaftler auf welche Art Wissenschaft betreiben und wie wir unser Vorgehen erklären und einordnen können. So erfolgt eine sehr kompakte und auf das [9] Wesentliche konzentrierte Darstellung einiger grundlegender wissenschaftstheoretischer Positionen, v. a. aber eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den bestimmenden Paradigmen der sozialwissenschaftlichen Forschung (quantitative und qualitative Forschung), die als Grundgerüst zum Verständnis des kommunikationswissenschaftlichen Arbeitens notwendig sind. Die beschriebenen Aspekte sind keinesfalls als abschließend zu verstehen, sie verdeutlichen nur wegweisende Schritte unserer Disziplin.
Zum besseren Verständnis wurden diese Aspekte – sofern möglich – an den relevanten Stellen bei der Erarbeitung der einzelnen Schritte des wissenschaftlichen Arbeitens eingebaut, um zu zeigen, dass diese grundlegenden Facetten Einfluss und Auswirkungen auf die eigene Forschung haben.
Schließlich ist es wichtig, sich mit den Wurzeln des Fachs zu beschäftigen, zu verstehen, nach welchen Spielregeln hier wissenschaftliches Arbeiten zu erfolgen hat und mit welchen zentralen Studien die kommunikationswissenschaftliche Forschung begonnen hat. Diese zentralen Studien werden in diesem Buch zum grundlegenden Verständnis unserer Disziplin vorgestellt.
Auf diesem Verständnis bauen alle weiteren Kapitel zum wissenschaftlichen Arbeiten auf, wobei alle wesentlichen Schritte des wissenschaftlichen Arbeitens thematisiert werden. Wissenschaftliches Arbeiten und Forschen erlernt man aber nur durch häufiges Üben und nicht nur durch das Studium eines Buches.
Deshalb kann und soll dieses Buch ein ständiger Begleiter während des Studiums der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sein und als Nachschlagewerk für das wissenschaftliche Arbeiten dienen. Seine Inhalte sind die Basis für jedes weitere wissenschaftliche Arbeiten im Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Dabei genügt es nicht, sie zu kennen oder bei einer Prüfung wiedergeben zu können, sondern das Wissen muss in allen Proseminar- und Seminararbeiten über die Bachelorarbeit bis hin zur Masterarbeit und Dissertation angewendet werden können.
Daher wird speziell auf die in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft üblichen Vorgehensweisen des wissenschaftlichen Arbeitens eingegangen; in anderen Disziplinen können andere Rahmenbedingungen gelten. Das Buch versteht sich als Orientierungshilfe, um sich mit den Anforderungen, die an das wissenschaftliche Arbeiten in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft gestellt werden, auseinandersetzen zu können. Wir hoffen, dadurch das Verständnis dafür, was wissenschaftliches Arbeiten ausmacht, zu fördern und zu zeigen, [10] dass Wissenschaft einerseits nach bestimmten nachvollziehbaren Kriterien, oder salopp formuliert nach bestimmten Spielregeln abläuft, aber andererseits auch das Potenzial schafft, über gesellschaftlich relevante Fragestellungen nachzudenken, diese aufzuzeigen, zu reflektieren und möglicherweise auch Lösungsvorschläge bzw. Handlungsalternativen zu formulieren. Und – dieser Satz sei erlaubt – das Buch soll auch Freude am Erarbeiten von Forschungsinteressen wecken.
Zusätzlich zu den bereits angesprochenen Ausführungen finden sich in diesem Buch ganz grundsätzliche rechtliche Anforderungen zum rechtmäßigen Arbeiten, das seit 2018 durch die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen Bedeutungszuwachs erfahren hat. Schließlich ist noch der Hinweis auf einen wichtigen Aspekt des wissenschaftlichen Arbeitens im Bereich der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft erforderlich: Für den Forschungsprozess ist das Wissen um Medien und ihre Inhalte unbedingt nötig. Vieles davon (bspw. Themen wie Medienkunde oder Medienlandschaft) kann man sich in Lehrveranstaltungen aneignen. Was man allerdings nicht lehren kann, ist das Interesse an Medien und den Inhalten, die dort täglich veröffentlicht werden, das Interesse an Vorgängen in allen Bereichen der Kommunikationswirtschaft und das Interesse an den Zusammenhängen von Politik und Medien. Dieses Interesse müssen Studierende mitbringen und durch Eigeninitiative professionell weiterentwickeln. Ohne dieses Interesse ist kommunikationswissenschaftliche Forschung nicht denkbar – es lassen sich keine Probleme identifizieren oder aktuelle Entwicklungen erkennen und beurteilen. Solche Alltagsbeobachtungen auch unserer Disziplin sind für den Forschungsprozess aber unbedingt nötig.
„Wir können wohl sagen, daß, während unser hypothetisches Wissen endlich ist, unser Nichtwissen unendlich ist“ – sagte Karl Popper (2016/1983, S. 216), einer der bedeutendsten Wissenschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Und wir müssten – so Popper – den sokratischen Satz „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ ernst nehmen. In diesem Sinne: Es gibt viel zu erkennen und zu erforschen. Einen Tipp, der uns am Herzen liegt, möchten wir Ihnen ganz zu Beginn mitgeben. Es ist ein Satz, der sich bis jetzt aus unseren Erfahrungen immer bewährt hat: „Wer nichts liest, der schreibt schlecht.“ In diesem Sinne: lesen, lesen und lesen – denn Lesen ist, wie es eine Studierende einmal formuliert hat, der Schlüssel zum wissenschaftlichen Arbeiten.
Dieses Buch soll als Basis dienen, um sich mit den Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens zu befassen und darauf aufbauend eigenständige wissenschaftliche Arbeiten verfassen zu können. [11]
Unser Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die bei der Zusammenstellung der Inhalte dieses Buches beteiligt waren, insbesondere Klaus Lojka, Tanja Fabian, Albrecht Haller und Larissa Ruhani, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des facultas Verlags.
Im Dienste einer erleichterten Lesbarkeit wurden die Personenbezeichnungen für Frauen und Männer in diesem Buch bunt gemischt – ganz wie im echten Leben.
Petra Herczeg & Julia Wippersberg
Wien, Juli 2021 [12]
2Publizistik- und Kommunikationswissenschaft als (Sozial-)Wissenschaft
Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft wird den Sozialwissenschaften zugerechnet und zählt damit zu einem bestimmten Wissenschaftstypus. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Wissenschaften zu typisieren (vgl. näher dazu Seiffert, 1997).
2.1Was ist eigentlich eine Wissenschaft?
Sucht man nach Definitionen des Begriffs „Wissenschaft“, wird man rasch fündig. Allein im Brockhaus (eine der führenden deutschsprachigen Enzyklopädien) finden sich mehrere Begriffsbestimmungen: Demnach ist Wissenschaft der „Inbegriff menschlichen Wissens einer Epoche, das systematisch gesammelt, aufbewahrt, gelehrt und tradiert wird.“ Weiter heißt es: „Wissenschaft meint auch den method[ischen] Prozess intersubjektiv nachvollziehbaren Forschens und Erkennens aufgrund eines Interesses, die Wirklichkeit der Natur, der Gesellschaft oder des menschlichen Geistes zu erschließen, sowie die Institutionalisierung des Wissensbestandes und aller darauf bezogenen Aktivitäten im Rahmen einer Gesellschaft.“ (Brockhaus, 1998, S. 291)
Wenn vom „Interesse“ am Forschen und Erkennen die Rede ist, dann kann man nach dem Sinn und Zweck bzw. nach dem Ziel des wissenschaftlichen Wissenserwerbs fragen. Neben dem Hinweis auf das Entwickeln von Theorien wird in diesem Zusammenhang auch der praktische Nutzen von Wissenschaft angeführt: „Wissenschaft könnte somit allgemein als Erarbeitung von gesellschaftlich nutzbarem Wissen durch Theoriebildung, Forschung und Anwendung ihrer Erkenntnisse begriffen werden.“ (Dahinden & Hättenschwiler, 2001, S. 491)
Auch wenn die zitierten Definitionen nicht deckungsgleich sind, zeigen sie in Summe doch die wichtigsten Bestandteile des Begriffs „Wissenschaft“: [13]
•die Forschung, als die systematische Erarbeitung von Wissen mithilfe bestimmter innerhalb der Wissenschaft anerkannter Forschungsmethoden bzw. Methoden der Erkenntnisgewinnung,
•die daraus resultierenden Erkenntnisse und Theorien, die das zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene wissenschaftliche Wissen darstellen; eine Theorie ist dabei die Gesamtheit logisch zusammenhängender Urteile über Teile der Realität. Sie erfüllt drei Funktionen: Darstellungs-, Erklärungs- und Prognosefunktion. Der Theoriebegriff ist nach wie vor unscharf. Weil die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes „soziale Realität“ viel zu umfassend ist, um jemals Gesetzesaussagen naturwissenschaftlicher Strenge zuzulassen, herrscht mittlerweile Konsens darüber, dass selbst die bestgeprüften sozialwissenschaftlichen Theorien immer nur „Theorien mittlerer Reichweite“ (Merton, 1968, zit. nach Burkart, 2019, S. 136) sein können, d. h., ihre Gültigkeit ist in der Regel raum- und/oder zeitabhängig,
•die systematische Sammlung und Dokumentation dieses Wissens,
•die Lehre bzw. Weitergabe dieses Wissens, insbesondere die Ausbildung der Studierenden an den Universitäten,
•das institutionelle Gefüge (Universitäten, Hochschulen, Forschungsinstitute …), in dem all diese Tätigkeiten stattfinden,
•und die Nützlichkeit des Wissens für die Gesellschaft. Diese „Nützlichkeit“ ist freilich nicht immer gleich einsehbar (bspw. im Fall von Grundlagenforschung), aber letztendlich ist jede Wissenschaft dazu da, Probleme mithilfe der gewonnenen Einsichten zu lösen oder wenigstens zu minimieren.
Nun ist es für die Tätigkeit der Wissenschaftler nicht unerheblich, welchen Ausschnitt der uns umgebenden Wirklichkeit sie untersuchen. Je nach Untersuchungsgegenstand (= Materialobjekt) und Untersuchungsperspektive (= Formalobjekt) werden verschiedene Wissenschaftsbereiche unterschieden, die zumeist auch mit bestimmten Forschungstraditionen verbunden sind. Als eine derartige Grobdifferenzierung kann gelten: Natur-, Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaften. Innerhalb dieser Bereiche können dann wiederum vielfältige Fächer bzw. Disziplinen unterschieden werden.
Die grobe Einteilung in Abbildung 1 zeigt eine im vorliegenden Kontext sinnvolle Möglichkeit auf, unterschiedliche Typen von Wissenschaften zu unterscheiden. [14]
Abb. 1: Typologisierung von Wissenschaften
Quelle: Eigene Darstellung.
Formalwissenschaften
Die Formalwissenschaften umfassen jene wissenschaftlichen Disziplinen, die sich nicht mit Dingen der realen Welt beschäftigen, dazu gehören die Logik, die Mathematik, die Linguistik und die theoretische Informatik. Allen Formalwissenschaften ist eigen, dass festgelegte, axiomatisch bestimmte Satzbildungs- und Ableitungsregeln befolgt werden, die der Forderung nach Widerspruchsfreiheit genügen müssen. Das heißt, diese Wissenschaften befassen sich mit formalen Systemen und mit abstrakten Objekten und den damit verbundenen Zusammenhängen.
Realwissenschaften
Die Realwissenschaften können in Natur-, Geistes-, Human-, Kultur- und Sozialwissenschaften unterteilt werden, sie befassen sich mit konkreten Gegenständen und gelten daher auch als Erfahrungswissenschaften. Das Ziel der Realwissenschaften ist es, allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Realität zu erfassen. Albert fasst das in dem Sinne zusammen, dass man „nun überall nach der Erklärung von Zusammenhängen auf der Basis allgemeiner Gesetzmäßigkeiten [strebt] und sucht dazu möglichst umfassende Theorien von großer Erklärungskraft zu entwickeln, Theorien, die auf möglichst einfache Weise möglichst viel erklären“ (Albert, 1978, S. 50). Realwissenschaftliche Perspektiven generieren Aussagen über die Zustände der Realität und systematisieren dabei empirische Regelmäßigkeiten. [15]
Naturwissenschaften
Der Gegenstand der Naturwissenschaften ist die unbelebte und die belebte Natur, also die anorganische Materie und das organische Leben. Die Gegenstände der Naturwissenschaften haben sich zunächst unabhängig vom Menschen und dessen Handeln entwickelt. Für die Naturwissenschaften ist eine bestimmte (in der Regel quantifizierende) Forschungsmethodik typisch: Zu Beginn des Forschungsprozesses werden Annahmen (Hypothesen) aufgestellt, die dann empirisch (erfahrungs-wissenschaftlich) überprüft werden. Ziel ist die Entwicklung möglichst allgemeingültiger Theorien, welche die untersuchten Phänomene erklären und Prognosen zukünftiger Entwicklungen erlauben. Beispiele für naturwissenschaftliche Fächer sind Physik, Chemie, Astronomie, Geologie sowie die biologischen Wissenschaften (allgemeine Biologie, Botanik, Zoologie etc., häufig auch „Lebenswissenschaften“ genannt).
Strukturwissenschaften
In die sog. Strukturwissenschaften werden Disziplinen wie Mathematik und Informatik eingeordnet. Im Mittelpunkt stehen im Gegensatz zu anderen Wissenschaften nicht die Erforschung tatsächlicher Gegebenheiten in engerem Kontext, sondern die Methoden zu diesem Zweck. Zu den Strukturwissenschaften werden von den Befürwortern dieser Wissenschaftskategorie folgende Forschungsbereiche gezählt: Mathematik, Theoretische Informatik, Logik, Informationstheorie, Systemtheorie, Kybernetik, Synergetik.
Der Begriff „Strukturwissenschaft“ wurde 1971 von Carl Friedrich von Weizsäcker geprägt. Bernd-Olaf Küppers beschrieb im Jahr 2000 Strukturwissenschaften als Bindeglied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. In früheren Zeiten sprach man von Vernunftwissenschaft, die man der Erfahrungswissenschaft entgegenstellte.
Technikwissenschaften/Ingenieurwissenschaften
Mit den Naturwissenschaften verwandt, aber doch eigenständig sind die Technikwissenschaften, auch Ingenieurwissenschaften genannt. Sie verstehen sich als angewandte Wissenschaften, deren zentrales Bestreben die Umsetzung der in den Naturwissenschaften gewonnenen Erkenntnisse und die Entwicklung konkreter Anwendungen sind. Typische Beispiele für die Ingenieurwissenschaften sind Maschinenbau, Elektrotechnik, Bauwesen und Verfahrenstechnik.
Kulturwissenschaften
Darunter fallen alle jene Disziplinen, die sich mit den Produkten des menschlichen Denkens und Handelns auseinandersetzen. Der große [16] Bereich der Kulturwissenschaften kann nochmals in Geistes- und Sozialwissenschaften unterteilt werden.
Geisteswissenschaften
Die Geisteswissenschaften beschäftigen sich mit dem menschlichen Geist und dessen Schöpfungen (seinen kulturellen Produkten, den sog. „Hervorbringungen des menschlichen Geistes“ oder „Artefakten“), wozu insbesondere Recht, Religion, Geschichte, Sprache, Literatur, Kunst, Kultur – und eben auch die entsprechenden Wissenschaften zählen. Die bewusste Abgrenzung von den Natur- und Technikwissenschaften und die Herausbildung einer eigenständigen Identität als „Geisteswissenschaften“ erfolgte erst im 19. Jahrhundert, als traditionelle Disziplinen wie Geschichte, Literatur-, Sprach- und Kunstwissenschaft durch die Erfolge der naturwissenschaftlichen Forschung herausgefordert wurden.
Nicht nur im Gegenstand (geistige Schöpfungen im Gegensatz zu (un-)belebter Natur), sondern auch in der Methodik grenzen sich die Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften ab. Nicht so sehr die Suche nach allgemeinen Gesetzen (nomothetisches Vorgehen) steht hier im Vordergrund, sondern das Verstehen und die genaue Beschreibung von Einmaligem (idiographisches Vorgehen).
Dabei bedienen sich die Geisteswissenschaftler hermeneutischer bzw. interpretativer Verfahren und historischer Forschungsmethoden. Die Hermeneutik ist die Wissenschaft und Kunst der Textauslegung, Textinterpretation. Ursprünglich war dies die Lehre vom Verstehen, Deuten oder Auslegen von Kunstwerken, wie literarischen Werken, Gemälden, Musikstücken, historischen Quellen, Filmen, Denkmälern, aber auch der mündlichen Rede.
Typische geisteswissenschaftliche Disziplinen sind alle geschichtswissenschaftlichen Fächer, sämtliche Sprachwissenschaften sowie Literatur- und Theaterwissenschaft.
Sozialwissenschaften/Gesellschaftswissenschaften
Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelten sich die Sozialwissenschaften als eigenständiger Wissenschaftsbereich – etymologisch abgeleitet vom lateinischen socius (der Gefährte) oder socialis (gemeinschaftsbildend, die Gemeinschaft/Gesellschaft betreffend). Diese Wissenschaften werden deshalb auch als Gesellschaftswissenschaften bezeichnet. Im Zentrum steht „soziales Handeln“ – zielgerichtetes und bewusstes Handeln im Hinblick auf andere; Handeln, das auf andere/Dritte ausgerichtet ist (vgl. Weber, 1956). [17]
Die Sozialwissenschaften rücken die Beziehungen zwischen den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Es geht ihnen um die Ursachen, Abläufe und Ergebnisse menschlichen Handelns. Sie sind damit typischerweise Gesellschaftswissenschaften. Untersucht werden die Beziehungen der Menschen untereinander, sei es auf individueller Ebene (Verhalten und Handeln einzelner Individuen) oder auf gesellschaftlicher Ebene (gesellschaftliche Institutionen und Systeme). Sozialwissenschaft beschäftigt sich also grob gesagt mit dem Zusammenleben der Menschen in Gemein- und Gesellschaften und damit, wie dieses organisiert ist sowie welche Gruppen, Rollen, Institutionen, Organisationen, Kommunikationen es gibt und wie sie miteinander in Beziehung stehen.
Die Methodik der Sozialwissenschaften orientiert sich einerseits sehr stark am naturwissenschaftlichen Forschungsideal (Hypothesenbildung und -überprüfung) und verwendet empirische Erhebungsmethoden wie Befragung, Inhaltsanalyse, Beobachtung und Experiment. Andererseits finden auch geisteswissenschaftliche Methoden (hermeneutisch-interpretative Verfahren, historische, phänomenologische Forschungsmethoden) Verwendung.
Typische sozialwissenschaftliche Fächer sind Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie, Pädagogik/Erziehungswissenschaft, Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie, die Wirtschaftswissenschaften sowie eben die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Darüber hinaus gibt es in natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen Fachbereiche, die sich mit sozialen Zusammenhängen beschäftigen (Sozial-Geschichte, -Philosophie, -Geographie …).
Angesichts der Tendenzen zum interdisziplinären Arbeiten ist diese Unterscheidung bisweilen relativiert worden. Eine modernere Begriffsbildung fasst mit der Bezeichnung Humanwissenschaften alle Wissenschaften zusammen, die irgendeinen Aspekt der Menschen zum Untersuchungsgegenstand haben. Darunter fallen sowohl die Geistes- und Sozialwissenschaften als auch einige wenige Naturwissenschaften wie beispielsweise die Humanbiologie oder Medizin.
Bei manchen Disziplinen gibt es Einordnungsprobleme, bspw. bei der Psychologie. Sie ist eine empirische Wissenschaft. Sie beschreibt und erklärt das Erleben und Verhalten des Menschen, seine Entwicklung im Laufe des Lebens und alle dafür maßgeblichen inneren und äußeren Ursachen und Bedingungen. Psychologie ist als Wissenschaft bereichsübergreifend. Sie lässt sich nicht den Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften oder den Geisteswissenschaften jeweils allein zuordnen. [18]