Stillen mit (herz-)krankem Kind

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Z serii: Erste Hilfen #16
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Stillen mit (herz-)krankem Kind
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Erste Hilfen, Band 16

für Linus, Jonathan, Charlotte und Max


Julia Berg ist Kinderkrankenschwester und Hebamme. Sie hat viele Jahre im Kreißsaal einer Uniklinik gearbeitet und ist freiberuflich vor allem in der Wochenbettbetreuung und Stillberatung tätig. Im Jahr 2016 kam ihr drittes Kind mit einem Herzfehler zur Welt. Während der ersten 4½ Lebensmonate wurde es fast ausschließlich mit abgepumpter Muttermilch ernährt, obwohl Mutter und Tochter diese Zeit gemeinsam in der Klinik verbrachten. Zu Hause stellte Julia Berg auf Vollstillen um und stillte insgesamt 19 Monate.

Julia Berg

Stillen mit (herz-)krankem Kind

Hebammenwissen für Eltern


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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Umschlaggestaltung: Marion Ullrich, Frankfurt am Main

Umschlagfoto: Julia Berg

Illustrationen und Fotos: Julia Berg, außerdem: Stefanie Stelzer

(Abb. 11–14), Dr. med. Tina Springer (Abb. 17)

Lektorat: Bettina Salis, Hamburg

Korrektorat: Antonia Ley, Hebenshausen

ISBN: 978-3-86321-540-8

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Einige Worte vorweg

Über dieses Buch

1.Allgemeine Informationen

1.1Warum Muttermilch so wichtig ist – gerade für kranke Säuglinge

1.2Besonderheiten bei (herz-)kranken Babys

1.3Der Partner als wichtiger Unterstützer

2.Schwangerschaft und Geburt

2.1So kommt die Milch in die Brust – und wieder hinaus

2.2Milch von Hand gewinnen

2.3Das Baby ist da! – Oder: Das erste Anlegen nach der Geburt

2.4Stillen und Schnuller

3Das (herz-)kranke Kind stillen

3.1Die ersten Stunden und Tage

3.2Stillpositionen und Anlegetechnik

3.3Entwicklungsschübe

3.4Stillen in der Öffentlichkeit

3.5Schwierigkeiten und schmerzende Brustwarzen

3.6Wenn mein Baby zu schwach an der Brust saugt

3.7Wenn die Milchmenge nicht ausreicht

3.8Zu viel Milch

3.9Schmerzen in der Brust

4Wenn Stillen nicht möglich ist

4.1Die Milchpumpe

4.2So pumpst du richtig ab

4.3Lagerung und Transport abgepumpter Milch

4.4Muttermilch aufwärmen und füttern

4.5Spenderinnenmilch und Frauenmilchbanken

5Genug zunehmen

5.1Gewichtsentwicklung beim herzkranken Baby

5.2Wenn mein Baby zu langsam zunimmt

5.3Wenn mein krankes Kind nicht essen kann oder mag

6Was die Stillzeit begleitet

6.1Das Kind isst mit – Ernährung der Mutter

6.2Stillen und Berufstätigkeit

6.3Langzeitstillen

6.4Kariesprophylaxe beim Kleinkind

7Abstillen und Relaktation

7.1Abstillen – Wann und Wie

7.2Wiederaufnahme der Stillbeziehung nach dem Abstillen

8Adressen, Links und weiterführende Literatur

9Endnoten

10Register

Einige Worte vorweg

Liebe Eltern,

in Deutschland kommt jedes Jahr etwa eines von hundert Kindern mit einem Herzfehler zur Welt. Ein Teil dieser Kinder startet mit noch anderen Besonderheiten ins Leben – zum Beispiel einer Chromosomenstörung und/oder Erkrankung eines weiteren Organsystems. Dank unserer fortgeschrittenen Medizin sind die meisten angeborenen Herzfehler heute gut behandelbar. Über 90 Prozent dieser Kinder erreichen das Erwachsenenalter. Nichtsdestotrotz ist die Diagnose für die (werdenden) Eltern ein Schock. Auf Mutter und Vater stürmen viele Gefühle ein. Schließlich wünschen sich Eltern für ihr Kind den bestmöglichen Start ins Leben. Für ein Neugeborenes oder einen Säugling mit angeborenem Herzfehler oder einer anderen Erkrankung bedeutet dies: die optimale, der Schwere der Erkrankung angepasste, medizinische Versorgung. Und: die Ernährung mit Muttermilch.

Muttermilch ist in ihrer Zusammensetzung unnachahmlich, unterstützt das noch unreife Immunsystem des heranwachsenden Kindes und kann über die gesamte Lebensspanne vor einer Vielzahl von Erkrankungen schützen. Besonders für Babys, die krank und/oder zu früh zur Welt gekommen sind und nach der Geburt in einer Klinik behandelt werden müssen, ist Muttermilch wichtig, um Komplikationen vorzubeugen. Eine Mutter, die ihrem Kind Muttermilch gibt und ein Partner, der sie dabei unterstützt, leisten einen wichtigen Beitrag zur Genesung ihres Kindes. Und eine gelingende Stillbeziehung kann für Mutter und Kind sehr tröstend sein.

 

Dabei sind die Voraussetzungen für die Mutter eines kranken Kindes oft nicht optimal. Neugeborene mit angeborenem Herzfehler oder anderen schweren Erkrankungen werden häufig schon kurz nach der Geburt im Kreißsaal von ihren Müttern getrennt und zur Überwachung und Behandlung in eine Kinderklinik verlegt. Die räumliche Trennung vom Kind, der körperliche und vor allem psychische Stress für die junge Mutter können den Stillstart bzw. das In-Gang-Kommen der Milchbildung nach der Geburt ebenso erschweren wie der Umstand, dass das Neugeborene infolge seiner Erkrankung und Behandlung vielleicht kurz- oder längerfristig nicht in der Lage sein wird, selbst effektiv an der mütterlichen Brust zu saugen. Schlimmstenfalls stillt dann eine Mutter, die sich auf das Stillen gefreut hat und ihrem Kind Muttermilch geben wollte, früh ab, weil sie zu wenig Milch oder Beschwerden der Brust hat.

Ich hoffe, dieser Ratgeber kann euch den Start in das Leben mit eurem kleinen Wunder, und das ist euer Baby in jedem Fall, ein wenig erleichtern. Er informiert euch zu vielen Themen rund ums Stillen und die Ernährung mit Muttermilch. Stillen ist zwar ein natürlicher Vorgang, der seit Menschengedenken das Überleben des Homo Sapiens sicherte, andererseits will es von Mutter und Kind gelernt sein. Das Wissen über Faktoren, die das Stillen fördern oder stören können, ist wichtig. Dieses Buch gibt euch Antwort auf die Frage, wie die Muttermilchbildung angeregt und aufrechterhalten werden kann, wenn das Kind zeitweise nicht in der Lage ist, selbst an der Brust zu saugen. Und darüber, wie das kranke Kind beim Stillen unterstützt oder Muttermilch alternativ gefüttert werden kann. Aufgrund meiner persönlichen Betroffenheit als Mutter einer schwer herzkranken Tochter richtet es sich zwar in erster Linie an Eltern herzkranker Neugeborener und Säuglinge; die allgemeinen Empfehlungen gelten aber ebenso für die Muttermilchernährung von Kindern mit anderen Grunderkrankungen, insofern diese eine Ernährung mit Muttermilch zulässt.* Wurde die Erkrankung eures Kindes schon in der Schwangerschaft diagnostiziert, so könnt ihr euch mithilfe dieses Buches schon vor der Geburt über das Stillen und die Vorteile einer Ernährung mit Muttermilch informieren.

Auch wenn du als Mutter – egal aus welchem Grund – nicht stillen möchtest oder kannst und euer Baby künstliche Nahrung aus der Flasche bekommen soll, bekommt ihr als Eltern Informationen für den Aufbau einer guten Fläschchen-Beziehung. Denn an erster Stelle, noch vor der Art der Ernährung, steht die Bindung zum Kind!

Ich wünsche euch, eurem kranken Kind und eurer ganzen Familie viel Kraft und Zuversicht auf dem gemeinsamen Weg. Möge euer Kind gesund werden, und wenn dies nicht möglich ist und seine Lebenszeit begrenzt scheint, diese erfüllt sein mit viel Liebe und unzähligen glücklichen Momenten!

Herzlichst,

Julia Berg

*Bei bestimmten angeborenen Stoffwechselerkrankungen ist eine Ernährung mit Muttermilch ausgeschlossen (Galaktosämie) oder nur ein Teilstillen möglich (Phenylketonurie).

Über dieses Buch

Dieses Buch möchte euch werdenden und gewordenen Eltern mit Informationen zum Stillen von der Geburt des Kindes bis zum Abstillen versorgen. Aber es ersetzt nicht die Begleitung und Unterstützung durch eine erfahrene Hebamme oder Stillberaterin, vor allem wenn dies euer erstes Kind ist. Haltet ihr schon einige Monate vor dem geplanten Entbindungstermin nach einer Hebamme Ausschau, ist das optimal. So könnt ihr euch eine Betreuung für die Zeit nach der Geburt sichern und die Hebamme noch in der Schwangerschaft kennenlernen. Bei diesem Treffen kann die Hebamme euch unter anderem verschiedene Stillpositionen zeigen. Auch wenn dies nicht euer erstes Kind ist und du in der Vergangenheit größere Schwierigkeiten beim Stillen hattest, kann ein Beratungsgespräch in der Schwangerschaft helfen; ebenso, wenn du zum ersten Mal schwanger bist und Zweifel an deiner Stillfähigkeit hast. Plant ihr die Geburt in einer Kinderklinik, die weit von eurem Wohnort entfernt liegt, ist es sinnvoll, auch Kontakt zu einer Hebamme vor Ort aufzunehmen – denn es kann gut sein, dass ihr die ersten Wochen nach der Geburt mit dem Baby dort verbringen werdet. Diese Hebamme kann dich nach der Geburt in einem sogenannten Elternhaus der Klinik oder auf Station besuchen und euch gerade in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt mit Rat und Tat zur Seite stehen – auch über Stillthemen hinaus. Hebammen arbeiten ganzheitlich und kümmern sich um das körperliche und seelische Wohlbefinden der Mutter.

Wie wichtig die Ernährung mit Muttermilch vor allem für kranke Neugeborene und Säuglinge ist, ist in der Regel bei Ärztinnen und Pflegepersonal bekannt. Aber oft es fehlt am Wissen über das Stillen und richtige Anlegen des Neugeborenen. Dies ist auch nicht verwunderlich, gehört Stillberatung ja nicht zu den Kernkompetenzen einer Kinderkrankenschwester oder eines Pflegers. Dieses Pflegepersonal leistet eine anspruchsvolle Arbeit – gerade auf den Intensivstationen – und ist zudem oft belastet durch ein hohes Arbeitsaufkommen bei gleichzeitigem Personalmangel. Da erscheint es manchen vielleicht einfacher, wenn eine Mutter Milch abpumpt und diese mit der Flasche füttert, anstatt sie am Bett des Kindes beim Stillen zu unterstützen. Auch lässt sich dann besser dokumentieren, wie viel das Kind getrunken hat.

Manche Stationen verfügen über eine eigene Stillberaterin. Die Regel ist dies leider nicht. Deshalb ist es so wichtig, eine Hebamme gerade für die erste Zeit mit dem Neugeborenen zu haben, sowohl für die Zeit des stationären Aufenthalts in der Kinderklinik als auch für die erste Zeit nach der Klinikentlassung zu Hause.

In Deutschland übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für tägliche (Haus-)Besuche oder telefonische Beratungen durch eine Hebamme in den ersten zehn Tagen nach der Geburt und weitere 16 Besuche im Zeitraum bis acht Wochen nach der Geburt. Darüber hinaus werden weitere acht Hausbesuche oder Beratungen bei Stillschwierigkeiten oder Ernährungsproblemen des Säuglings übernommen, bei nichtgestillten Kindern bis zu einem Alter von neun Monaten und bei gestillten Kindern bis zum Ende der Stillzeit – egal wie lange die Mutter stillt. Hat die Mutter darüber hinaus noch Betreuungsbedarf (zum Beispiel, wenn ihr Kind erst mehrere Wochen oder sogar Monate nach der Geburt mit den Eltern nach Hause entlassen wird), kann eine Kinderärztin ein Rezept für weitere Besuche ausstellen. Bist du privat krankenversichert, informierst du dich am besten schon während der Schwangerschaft darüber, welche Leistungen von deiner Kasse übernommen werden.

Leider besteht in Deutschland aktuell (Stand Frühjahr 2021) ein Mangel an Hebammen. Für viele junge Frauen (und Männer) scheint der Hebammenberuf nicht mehr so attraktiv wie noch vor einigen Jahren, gleichzeitig sind die Geburtenraten in den letzten Jahren gestiegen. Deshalb haben immer mehr junge Eltern Schwierigkeiten, eine Hebamme für die Betreuung zu finden. Falls es euch genauso geht, rate ich euch, Kontakt zu einer Stillberaterin aufzunehmen und/oder euch einer Stillgruppe anzuschließen. Vielleicht findet ihr eine Hebamme, die zwar keine freien Kapazitäten für Hausbesuche mehr hat, euch aber für telefonische Beratungen zur Verfügung steht. In Kapitel 8 findet ihr hilfreiche Adressen.

Wegen der besseren Lesbarkeit habe ich mich entschieden, bei der Nennung von Berufsgruppen jeweils nur eine Bezeichnung zu nehmen. Das ist überwiegend die weibliche. Gemeint sind jeweils alle Geschlechter, wenn ich von „dem Partner“ spreche, meine ich die Partnerin ebenso, denn „Familie“ ist neben Vater-Mutter-Kind auch eine Regenbogen- oder Patchworkfamilie und alles, was sich selbst als solche bezeichnet.

Am Ende des Buches findet ihr ein Register mit einer Übersicht der erwähnten (Fach-)Begriffe. Dies soll euch erleichtern, direkt nachzuschlagen, falls ihr Informationen zu einem bestimmten Thema sucht.

1. Allgemeine Informationen
1.1 Warum Muttermilch so wichtig ist – gerade für kranke Säuglinge

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt jungen Müttern ausschließliches Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes** und ein Weiterstillen nach Einführung der Beikost bis zu einem Alter von zwei Jahren oder länger1.

1.1.1 Muttermilch: Ein Wunder der Natur …

Weshalb die Empfehlung der WHO so lautet, ist schnell erklärt: Muttermilch ist das natürliche, artgerechte und gesunde Nahrungsmittel für Neugeborene und Säuglinge. Sie enthält neben Wasser über 100 verschiedene andere Stoffe, genau genommen sogar über 1000, wenn man bedenkt, dass in Muttermilch allein mehr als 200 verschiedene Arten Mehrfachzucker und über 700 verschiedene Arten Bakterien zu finden sind. Künstliche Säuglingsnahrung (Formula) hingegen enthält neben Wasser nur etwa 50 verschiedene Inhaltsstoffe. Eine schöne Übersicht über die Inhaltsstoffe von Muttermilch im Vergleich zu Formula findet ihr unter www.hebammenverband.deHebammenforumMaterialien zum Herunterladen„Was ist eigentlich in Muttermilch und in Formula?“

Muttermilch ist in ihrer Zusammensetzung variabel und immer genau auf die Bedürfnisse des wachsenden Kindes abgestimmt. Die Milch für ein Neugeborenes unterscheidet sich in ihrer Zusammensetzung von der für einen älteren Säugling. Jede Mutter bildet die für ihr eigenes Baby passende Milch. Neben einem für den kindlichen Stoffwechsel optimalen Nährstoffangebot enthält Muttermilch eine Vielzahl lebender Zellen (rund 4000 allein in einem Tropfen!), unter anderem Stammzellen mit ähnlichen Eigenschaften wie embryonale Stammzellen sowie spezifische, immunologisch wirksame Substanzen und Mikroorganismen, darunter eine Vielzahl von Bakterien wie Milchsäure- und Bifidobakterien, Staphylokokken, Streptokokken und Pseudomonas. Etliche von denen tragen zur Entwicklung eines kompetenten, kindlichen Immunsystems bei.

Wissenschaftler, die sich mit der Zusammensetzung der Muttermilch beschäftigen, finden immer neue Bestandteile – die meisten haben mehrere Funktionen für den kindlichen Organismus, kooperieren miteinander und ergänzen einander in ihren Wirkmechanismen. Für seine Entwicklung braucht das kindliche Immunsystem mindestens zwei Jahre. Muttermilch enthält viele Stoffe, die das Kind während dieser Zeit vor schweren Infektionen schützen und gleichzeitig helfen, sein Immunsystem aufzubauen. Bereits während der Schwangerschaft wird das Kind passiv immunisiert, und zwar durch den Transfer von Immunglobulin-G-Zellen (IgG) aus dem mütterlichen Blut ins kindliche über die Plazenta. Nach der Geburt übernimmt die Brust diese Aufgabe zum Teil.

Kolostrum, die Muttermilch der ersten Stunden und Tage, hat beispielsweise großen Einfluss auf die Besiedelung des kindlichen Magen-Darm-Traktes mit gesunden Mikroorganismen. Dadurch haben es krankmachende Erreger schwer, sich im Darm zu vermehren. Zudem legen sich bestimmte Stoffe in der Muttermilch wie ein Schutzfilm auf die noch unreife und durchlässige Darmschleimhaut des Neugeborenen. So verhindern sie, dass potenziell schädliche Zellen eindringen. Studien zeigen: Je länger die Mutter ausschließlich stillt, desto umfassender ist der Schutz vor Infektionen2.

Die Ernährung mit Muttermilch von Anfang an stellt wichtige Weichen für die Zukunft des Immunsystems – also auch für die spätere Gesundheit des kleinen Menschen. Warum das so ist, das können Wissenschaftlerinnen noch immer nicht genau sagen. Jedoch haben zahlreiche Studien gezeigt, dass gestillte Kinder (im Vergleich zu nicht gestillten) ein geringeres Risiko für Infektionskrankheiten, plötzlichen Kindstod, Allergien und die Entwicklung von Übergewicht, Diabetes Typ-1 und Typ-2 haben3. Zudem erfolgt die Immunisierung des Kindes durch die Milch seiner Mutter dynamisch: Die Mutter hat über die Brustwarze Kontakt zum Keimspektrum im Gesicht und Mund ihres Kindes. Ihr Immunsystem erkennt potenziell schädliche Bakterien und Viren und reagiert sofort mit der Bildung von Immunstoffen, die diese bekämpfen. Diese Abwehrstoffe werden über den Darm der Mutter (wie genau dies funktioniert, ist noch nicht vollständig geklärt) oder deren Blut in die Muttermilch geschleust. Somit schützt die Mutter mit ihrer Milch das eigene Kind vor genau den Keimen, die in seiner direkten Umgebung vorhanden sind4. Dieser Mechanismus ist vor allem für Kinder wichtig, die im Krankenhaus betreut werden. Genauso erhöht sich bei einer Infektion der Mutter die Zahl der Immunzellen und anderer Abwehrstoffe in ihrer Milch, um das Kind vor einer Ansteckung zu schützen. Damit der Keimaustausch zwischen Mutter und Kind möglich ist, bedarf es des direkten Körperkontakts zwischen beiden. Stillhütchen oder ausschließliches Pumpen oder Ausstreichen von Milch verhindern dies. Deshalb sollten auch sehr kranke Neugeborene und Säuglinge, die vielleicht zu schwach zum Trinken an der Brust sind, immer mal wieder die Möglichkeit bekommen, an der mütterlichen Brust zu lecken oder zu saugen5.

 

Seit langem ist in der Medizin bekannt, dass Frühgeborene in besonderem Maße von einer Ernährung mit Muttermilch profitieren. Muttermilch hat für sie – zusätzlich zur nährenden – eine besonders schützende Funktion. Sie schützt vor lebensbedrohlichen Komplikationen wie der nekrotisierenden Enterokolitis (NEC, das ist eine schwere Entzündung des Dickdarms), die bei mit Muttermilch ernährten Frühgeborenen viel seltener vorkommt als bei mit künstlicher Säuglingsnahrung (Formula) ernährten. Zudem hilft Muttermilch, diese Kinder vor einer Frühgeborenen-Retinopathie (einer Schädigung der Netzhaut des Auges) sowie der Entwicklung einer bronchopulmonalen Dysplasie (einer Schädigung der Lunge) zu schützen und sie fördert die strukturelle Vernetzung verschiedener Regionen im Gehirn des zu früh geborenen Kindes6.

Die Konzentration an Immunzellen ist im Kolostrum am höchsten, sinkt in den folgenden Wochen und Monaten, um ab dem sechsten Lebensmonat des Kindes wieder anzusteigen – eben zu einer Zeit, in der das Kind aktiver wird, Dinge greift und mit dem Mund erforscht. In der es seine Umgebung robbend und krabbelnd erkundet. Viele Abwehrstoffe erreichen sogar bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes Werte ähnlich dem Kolostrum7. Noch ein Argument für eine lange Stillzeit.