Wege nach Südafrika

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Wege nach Südafrika
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Judith May, lebt seit ihrer Geburt im Jahre 1956 in Leipzig. Sie studierte Ökonomie und arbeitete unter anderem als Angestellte eines Großunternehmens in der Finanzbuchhaltung und später als selbstständige Diplombetriebswirtin. Judith May ist seit 1978 verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und zwei Enkelkinder. Dies ist ihr erstes literarisches Werk.

Judith May

WEGE NACH SÜDAFRIKA

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Laboe

Die Entscheidung

Abreise nach Johannesburg

Anna in Johannesburg

Der Ausflug

Krugersdorp Highschool

Umzug zu Leveys

Auf nach Sambia

Wieder in Johannesburg

Valentinstag in Südafrika

Maries Reise

Letzter Schultag in Südafrika

Abschied

Steven

Gartenroute und Kapstadt

Sharon und Geoff

Weihnachten 2005

Silvester 2005

Jessica

Auf dem Weg zum See

Unser Urlaub bei Sharon und Geoff

Diane

»Everything’s gonna be alright …«

Weitere Informationen

Endnoten

PROLOG

Im Sommer, welcher bei mir manchmal bis zum Oktober dauert, fahre ich mit Begeisterung per Fahrrad an die kleine Kiesgrube am Rande der Stadt. Ich liebe es, in dem klaren Seewasser zu schwimmen, das nicht diesen unangenehmen Chlor- und Schwimmhallengeruch verbreitet. Das Wasser sollte gar nicht so warm sein, umso besser ist das Gefühl nach dem Schwimmen. Ein Prickeln und eine wohlige Wärme strömt nach dem Bad durch den gesamten Körper.

Auf der Fahrt zum See kreisen meine Gedanken, fahren Achterbahn oder schleichen einfach ruhig am Boden meinem Rad hinterher. Jedes Mal ist es anders. Manchmal verwandelt sich angestaute Aufregung auf einen Schlag in Belustigung. Das liegt an den Wahrnehmungen auf meiner Fahrt, entweder sehe ich witzige Personen, kleine kesse Hunde oder aufgeplusterte Entenmütter am Dorfteich. Am See erholen sich auch andere Badefreudige. Ich liege auf meiner Decke und nehme das umwerfend oberflächliche Geplauder meiner Handtuchnachbarn wahr ...

An einem dieser Tage kam es mir in den Sinn, aufzuschreiben, was mir an Erlebnissen und Gedanken schon jahrelang im Kopf herum geschwirrt ist.

Einige Formulierungen hatte ich immer und immer wieder in Gedanken parat. So manchem Erlebnis gelang es, sich unendlich viel Raum in meinem Kopf zu verschaffen und mir gelegentlich ein klein wenig den Schlaf zu rauben. Ab und zu entwickelte sich in mir der Wunsch, nachts einfach aufzustehen, um mit dem Schreiben zu beginnen. Doch jedes Mal hat er mich gehindert, dieser innere faule Hund, der ziemlich viel Macht über mich ausübte. Leise hat er gebellt: »Es ist jetzt Nacht, alle schlafen, dein Bett ist wohlig warm.« Auch der wuschelige Bettzipfel hat mich immer wieder zurückgezogen. Soviel zu den rein menschlichen Ausreden, um zu begründen, etwas nicht in die Tat umgesetzt zu haben ...

Doch tagsüber kam diese Schreiblust wieder zurück, plötzlich war sie da und jetzt habe ich sie endlich genutzt!

Ich widme dieses Buch meinen Kindern und meinem Mann. Sie alle haben mich als Person gefordert, dieses Erlebnis Südafrika zu akzeptieren, zu verarbeiten und daraus Kraft zu schöpfen sowie eine veränderte und neue Sicht auf viele Dinge und andere Menschen zu entwickeln.

Unsere Erde zeigt sich oft farbenfroh und einzigartig, mancherorts arm und karg, anderenorts üppig und reich. Nutzen wir unsere Chance und sehen jeden Tag als gute Gelegenheit mit unserem Leben zufrieden zu sein.

Wege nach Südafrika
LABOE

Einige Monate vor Beginn des Sommers kam jedes Jahr für unsere Familie, Mama Juliana, Papa Jürgen und die Töchter Marie und Anna, die Frage nach dem Urlaubsziel unserer nächsten Sommerreise auf. Nach Öffnung der innerdeutschen Grenze für uns ehemalige DDR-Bürger haben wir diese neue Freiheit permanent genutzt und diverse interessante Urlaubsziele in aller Welt angesteuert. Sommerurlaub bedeutete für uns meist strahlende Sonne, breite Sandstrände, blaues Meer, einsame Buchten, warme und beständige Witterung, Kennenlernen verschiedenster Architekturen und Kulturen, mediterranes Lebensgefühl – einfach das südländische Flair »aufsaugen« und Kraft für den stressigen Alltag tanken.

Ende 2001 kam mir die Idee den Urlaub fürs nächste Jahr innerdeutsch zu planen. Stürmischer Protest meiner mitreisenden Familienmitglieder, d.h. meiner besseren Hälfte Jürgen und meiner jüngsten Tochter Anna raste mir in Form von meterhohen Protestwellen entgegen. Guter Rat war mir nun teuer – wie immer so gesagt wird …, d.h. erst mal Ratlosigkeit meinerseits. Dabei hatte ich mir schon Hamburg und im Anschluss die Kieler Bucht – dort speziell den Ostseeort Laboe für die Reisezeit Ende Juni 2002 ausgewählt. Ich wollte endlich auch den westlichen Teil unserer landschaftlich so abwechslungsreichen Ostsee kennen lernen. Nach dem Motto »steter Tropfen höhlt auch den härtesten Stein« blieb ich gefestigt in meiner Argumentation dieses Urlaubsziel anzupreisen. Irgendwann hatte ich meine beiden »weich geklopft« – sie waren sicherlich nicht von der Richtigkeit dieses Urlaubsziels überzeugt, doch zumindest konnte ich Jürgen und Anna überreden, denn ich glaube, es wurde nie der beiden innigster Wunsch nach Laboe zu reisen. Unsere Große war 2002 bereits zweiundzwanzig und hatte uns Eltern und ihre Schwester als Urlaubsbegleitung gegen ihren Schatz eingetauscht.

Nachdem ich nun endlich von meiner Reisegruppe grünes Licht erhielt, buchte ich drei Übernachtungen in einem zentral gelegenen Hotel in Hamburg und zehn Tage eine gemütliche Ferienwohnung in Laboe. Einige Wochen vor Reisebeginn ergaben sich für uns unliebsame Änderungen, denn Jürgens Firma hatte eine teambildende Maßnahme mitten in unsere Urlaubszeit gelegt und eine Entfernung von der Truppe war für Jürgen einfach unmöglich. Die teamstabilisierende Freizeitgestaltung Jürgens Firma sollte in Form eines Segeltörns von Wilhelmshaven nach Helgoland und zurück stattfinden, um aus den Landratten echte Seemänner zu küren …

So starteten wir gemeinsam per Auto nach Hamburg und verbrachten dort drei ausgesprochen erlebnisreiche Tage mit einem hohen Kennenlernzuwachs an Flair dieser recht offenen und architektonisch interessanten Großstadt. Wir atmeten den Hauch längst vergangener Zeiten in der Speicherstadt, bestaunten den über hundert Jahre alten Autofahrstuhl zum Tunnel unter der Elbe, erlebten abgewrackte Fans auf der Reeperbahn und Fußballmeile (es war gerade Fußball-WM) und besuchten eine 1989 aus der DDR ausgereiste Familie aus unserem damaligen Wohnhaus. Wir haben viel gemeinsam erlebt bei dieser recht angenehmen Citytour, doch nun hieß es Abschiednehmen von Jürgen, denn sein Vertriebsteam wies den Weg nach Wilhelmshaven. Anna und ich fuhren mit der Bundesbahn weiter nach Kiel. Unser Riesenkoffer, der aussah wie das Gepäck einer Auswandererfamilie wurde nun zu einem echten Blockadegepäckstück im Überlandzug. Auf Grund des Gewichtes unseres Koffermonsters konnten wir selbigen nicht auf die völlig unterdimensionierten Gepäckablagen oberhalb der Fenster verfrachten und so stand das »gute Stück« im Gang, denn zwischen den Sitzreihen fand sich auch kein Platz. Da der Regionalzug sehr oft hielt und neue Reisende zustiegen, mussten Anna und ich den Überseekoffer laufend aus dem Gang zerren und so halb auf uns verstauen. Zu unserer Erbauung bot in dem Regionalzug auch ein mobiler Speisen- und Getränkeservice in Form eines Serviceboys mit Servierwagen, der sich während der Fahrt mehrmals durch den Mittelgang schlängelte, seine Waren an. Der Stopp dieses Servicefahrzeuges erfolgte nun jedes Mal vor unserem Megagepäckstück und wieder und wieder mussten wir das Teil auf uns zerren. Froh, endlich Kiel erreicht zu haben, fanden wir auch zügig die Haltestelle des Linienbusses, welcher uns zum Ziel unserer Reise – nach Laboe – bringen sollte. Doch leider benutzten außer uns viele weitere Reisende diesen Bus am frühen Nachmittag, teils quirlige Schüler und Frauen mit riesigen Einkaufstüten auf der Heimfahrt in ihre Dörfer. Zwischendrin drängelten wir uns mit unserem viel zu großen und zu schweren Reisegepäck und standen mehr schlecht als gut in dem ständig anfahrenden und abrupt bremsenden Linienbus. Nach einer Stunde recht unbequemen Fahrens leerte sich der Bus allmählich und auch wir erreichten völlig durchgeschwitzt und erschöpft unser Reiseziel Laboe und bezogen endlich unsere gemütlich eingerichtete kleine Ferienwohnung. In Laboe wehte uns zur Begrüßung ein kalter Wind entgegen und ließ uns wenig Hoffnung auf ein Sonnenbad am Strand an diesem Nachmittag. Doch wir erwarteten die kommenden Tage und träumten von erholsamen Stunden am Strand und im Wasser der guten Ostsee. Leider belehrte uns die folgende Urlaubswoche eines anderen. Als Anna und ich am nächsten Morgen erwachten, rauschte es draußen ganz fürchterlich – es hörte sich wie Sturm an. Mit verschlafenen Augen lugten wir durch die Vorhänge und zu unserem großen Entsetzen goss es in Strömen und heftigster Sturm tobte. Diese Wettersituation bewog uns zum Weiterschlafen. Am späten Vormittag rafften wir uns zum Frühstück auf. Der Wetterbericht aus dem Fernsehen verhieß nichts Gutes für die nächsten Tage – Regen, Sturmwarnung, Tageshöchsttemperaturen von vierzehn Grad und so blieb das Wetter auch.

 

Ängstlich dachten wir an Jürgen, unseren Teamsegler, denn zwischenzeitlich müssten die Herren an Bord gegangen und in See gestochen sein. Der Handykontakt zu Jürgen war erloschen – gespannt erwarteten wir von ihm ein Lebenszeichen.

Unser Tagesprogramm in Laboe bestand nun im ausgiebigen Ausschlafen, täglichem Besuch der Meeresschwimmhalle, kurzen Einkäufen, Fußballweltmeisterschaftsspiele ansehen und essen gehen. Für den heutigen Abend hatten Anna und ich einen Besuch in der Pizzeria geplant. Nass und vom Wind zerzaust kamen wir am späten Nachmittag dort an. Wir aßen gemütlich und plötzlich sagte Anna zu mir: »Mama – ich möchte mich unbedingt für so ein Schuljahr in Amerika bewerben ...« Mich durchfuhr dieser Satz wie ein Blitz und mir blieben die Worte weg, was, glaub ich, noch nie zuvor passiert ist. Schlagartig wurde ich traurig und Mama Glucke meldete sich in meinem Innersten. Schließlich wusste ich genau, wenn Anna etwas sagt, dann meint sie die Sache ernst und sie hat bereits mit sich alle Für und Wider abgewogen. Es bedeutet, dass meine Anna, dann gerade mal siebzehn Jahre für zehn Monate weit weg von Leipzig sein würde in einem mir fremden und sehr fernen Land.

Unsere weiteren Urlaubstage in Laboe verliefen entsprechend der weiterhin ungeliebten Wetterlage. Gespannt warteten wir auf einen Anruf von unserem Teamsegler, der ja längst auf Helgoland angekommen sein müsste. Wir hatten uns schon viele Sorgen gemacht, doch als dann endlich das Handy läutete und Jürgen sich meldete, legte sich unsere Besorgnis. Jürgen berichtete kurz, dass die Herren und eine Dame bei schrecklichem Wellengang nach neun Stunden auf Helgoland angekommen waren und er während der Fahrt mehrmals »die Fische gefüttert hatte«. In zwei Tagen wird er dann endlich zu uns nach Laboe kommen und alles weitere berichten. Wir wünschten ihm noch eine gute Reise und Anna stimmte mir zu, dass der Segeltörn schrecklich gewesen sein muss, denn wir haben noch nie erlebt, dass Jürgen sich übergeben hatte.

Am nächsten Tag sprach ich erstmals ausführlich mit Anna über das angestrebte Schuljahr in Amerika. Sie hatte sich bereits viele Gedanken über ihr Vorhaben gemacht. Zunächst schwebte ihr vor, sich für das Parlamentarische Jahr zu bewerben. Dies ist eine Möglichkeit für gute Schüler, von einer Partei des Bundestages einen finanziellen Zuschuss für dieses Schuljahr im Ausland zu erhalten. Mir war immer noch mau in der Magengegend, wenn ich an dieses Thema dachte, doch der rege Gedankenaustausch mit meiner Anna beruhigte mich etwas, denn sie hatte sich schon ergiebig Gedanken gemacht und die Idee war in ihr offensichtlich bereits gut ausgereift. Nach unserem Urlaub wollte Anna die Bewerbungsunterlagen für das Parlamentarische Jahr zusammenstellen.

Einige Jahre zuvor hatte Jürgen oft mit unserer Marie über die Möglichkeit gesprochen, ein Auslandsschuljahr zu absolvieren, doch Marie zeigte daran zu keiner Zeit Interesse. Sie war über ihre Reisen mit einer Pfadfindergruppe innerhalb Deutschlands oder nach Österreich glücklich und zufrieden und ich schwebte in meinem Seelenfrieden, mein Töchterchen im Land zu behalten. Doch auch als Mutter wuchs ich mit meinen Aufgaben und stellte mich darauf ein, dass in vielen Dingen meine beiden Mädels verschieden waren und jede ihren eigenen Weg zu gehen hatte.

Wie angekündigt, erschien Jürgen zwei Tage später bei uns in Laboe. Er hatte einen mehrere Tage alten Stoppelbart und brachte einige Beutel, reichlich gefüllt mit Lebensmitteln, für uns mit. Die Segeltruppe hatte sich offensichtlich auf eine recht gefährliche Reise begeben, denn selbst die offizielle, große Fähre nach Helgoland hatte an diesem Tag ihren Fährbetrieb einstellen müssen. Nur diese winzigen Segelnussschalen mit jeweils acht Persönchen an Bord, wovon nur ein Segler echte Segelerfahrungen mitbrachte, hatten sich in dieser Sturmesnacht auf die offene See bei Windstärke acht begeben. Jürgen und seine Reise- oder besser gesagt Leidensgefährten, hatten sich mit Seilen und Karabinerhaken am Schiff befestigen müssen, um nicht in der tobenden Nordsee zu landen. Die permanenten kurzen Wellen machten diese Fahrt zu einem echten Höllentrip. Aus diesem Grund war von dem reichlich erworbenen Reiseproviant nichts verzehrt worden, daher die prall gefüllten Beutel. Jürgen schilderte uns die Seereise und sowohl Anna als auch mir stand das Entsetzen im Gesicht. Jürgen berichtete, dass auf Helgoland außer dieser beiden kleinen Segler an jenem Tag kein Schiff angekommen sei und die dortigen Bewohner sich außerordentlich über diese gestrandeten Landratten gewundert haben. So schnell hätte Jürgens Firma das gesamte Vertriebsteam loswerden können und wir als Außenstehende fanden die Sache schon sehr wagemutig und verantwortungslos.

Von jetzt an bestand unser Urlaub aus einem erweiterten Programm, da uns nun Jürgens Auto als Fortbewegungsmittel zur Verfügung stand. Jeden Tag unternahmen wir bei strömenden Regen einen Ausflug. Unsere Tagestouren führten uns nach Lübeck, Kolding in Dänemark, nach Flensburg und Wilhelmshaven. Interessant fanden wir das U-Boot aus dem zweiten Weltkrieg und die gigantische Gedenkstätte in Laboe für alle auf dem Meer gebliebenen Seeleute.

Irgendwann endete dieser nasskalte Ostseeurlaub und wir reisten, diesmal wie gewohnt bequem, mit unserem Auto zurück nach Leipzig in unser schönes Zuhause.

In den folgenden Wochen stellte Anna die Bewerbungsunterlagen für das Parlamentarische Jahr zusammen und eines Tages lag er da, der entscheidende Brief und wartete darauf, in den Briefkasten zu flattern. Anna sagte zu mir, ich soll ihr Glück wünschen und das tat mein Verstand auch, doch mein kleines Mutterherz tickte einfach anders und das konnte ich nicht abstellen. Mir war klar, dass eine schwere Zeit auf mich zukommen würde.

DIE ENTSCHEIDUNG

Einige Wochen waren seit Annas Bewerbung ins Land gegangen, der Alltag hatte uns wieder und verdrängte dieses Thema etwas aus meinem Kopf. Doch dann wurde Anna zu der entscheidenden Gesprächsrunde der bereits in die engere Wahl gekommenen Bewerber für das Parlamentarische Jahr eingeladen und ging entsprechend aufgeregt in das Hotel »Seaside«. Die Jugendlichen führten eine interessante Gruppendiskussion zu diversen aktuell-politischen und allgemein wissenswerten Themen und am Ende der Veranstaltung gab es nur eine Person, für die sich die kompetenten »Tester« entscheiden mussten und die Wahl fiel leider nicht auf Anna, doch für sie persönlich blieb der moralische Erfolg, diese Auswahlrunde erreicht und eine neue Erfahrung gemacht zu haben.

Nun galt für uns, sich weiter um eine Organisation zu kümmern, die deutsche Austauschschüler nach Amerika vermittelt. Letztendlich haben wir uns für diejenige entschieden, welche auch für das Parlamentarische Jahr die jungen Menschen ins Ausland schickt, und wir waren der Meinung eine gute Wahl zu treffen, denn schließlich hatten unsere Politiker im Bundestag diese Organisation favorisiert.

Die Finanzierung des großen Vorhabens haben wir gemeinsam in der Familie besprochen und jeder hat seinen Teil dazugegeben. Anna setzte die Geldgeschenke der Familie anlässlich ihrer Jugendweihe mit zur Finanzierung ein und Mama, Papa und Oma zeigten sich auch nicht geizig, sodass diese wichtige Seite eine gute Regelung gefunden hatte.

Inzwischen war es März 2003 geworden und die politische Situation im Irak spitzte sich immer mehr zu. Wieder einmal spielten die USA den Weltgendarm und so begann am 20.3.2003 durch die Streitkräfte der Vereinigten Staaten Amerikas, Großbritanniens und anderer verbündeter Staaten der Irakkrieg. Einige Rechtswissenschaftler und Kritiker werteten diesen Krieg als Angriffskrieg und auch in Leipzig fanden wieder regelmäßig »Montagsdemonstrationen« der Leipziger Kriegsgegner statt. Deutschland war glücklicherweise nicht in diesen Krieg involviert und dafür bin ich heute noch unserem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgesprochen dankbar.

Von Freunden unserer Familie erfuhren wir, dass deren Nichte während ihres Aufenthaltes in den USA von einigen dortigen Mitschülern gemieden und sogar beschimpft wurde, da Deutschland nicht bereit war, sich an diesem umstrittenen Krieg zu beteiligen. Von dieser Gesamtsituation geprägt, war Annas Euphorie inzwischen verflogen, ihr Auslandsschuljahr in den USA zu absolvieren. Und so begann für unsere Familie eine weitere Aktion mit Wälzen von Katalogen, mit Erkundigungen und letztendlich der Auswahl eines anderen Landes für dieses geplante Vorhaben. Am Ende all unserer Recherchen blieben die Länder Südafrika und Brasilien in unserem Fokus. Nach Abwägung aller Für und Wider entschieden sich Anna und Jürgen für Südafrika, unter anderem auf Grund der englischen Amtssprache des Landes. In Brasilien wären Portugiesischkenntnisse erforderlich gewesen. Ich erwähne absichtlich, dass sich nur Anna und Jürgen entschieden haben, denn mir war es einfach utopisch, mein hübsches blondes Kind in dieses gefährliche Land Südafrika reisen zu lassen. Es war mir noch mehr bange, für dieses Abenteuer meine Zustimmung zu geben.

Oft grübelte ich über dieses Land Südafrika. Was wusste ich eigentlich darüber? Als Kind hatten wir in der Schule Protestschreiben verfasst, um die Freiheit für Nelson Mandela zu erreichen. Inzwischen war Südafrika von der Apartheid befreit und schwarze sowie weiße Menschen wurden offiziell gleichgestellt. Gehört hatte ich von der hohen Kriminalität in diesem Land, ich kannte Statistiken mit den gefährlichsten Städten der Welt und Johannesburg gehörte dazu. Andererseits war ich aber auch beeindruckt von diesem einmaligen Menschen Nelson Mandela und dessen unerschütterlichem Kampf für die Freiheit aller Menschen in seinem Land. Bewundernswert fand ich schon damals die großen Erfolge der südafrikanischen Medizin, z.B. der ersten Herztransplantation auf der Welt. In Reisekatalogen fand ich faszinierende Landschafts- und Tieraufnahmen von diesem mir so fremd und unsicher erscheinenden Land.

Ja, und dann eines Tages lag er da, der Vertrag über diese zehn Monate Auslandsschulzeit unserer Anna in Südafrika und alles stand schwarz auf weiß vertraglich fixiert, was noch fehlte war meine Unterschrift. Noch nie zuvor in meinem Leben ist mir etwas so schwer gefallen und eigentlich handelte ich gegen meinen Willen. Immer und immer wieder habe ich mit Jürgen darüber diskutiert und meine Argumente dargelegt und immer und immer wieder kamen wir nicht unter einen Hut.

 

Ich verstand Anna in ihrer Euphorie auf dieses Abenteuer, doch ich blieb traurig und konnte mich einfach nicht damit abfinden.

Anfang Mai 2003 flatterte eine Einladung des Reiseveranstalters zu einem Vorbereitungswochenende in Kassel für unsere künftigen Austauschschüler und die zu beruhigenden Mütter sowie die euphorischen, aber auch manchmal ängstlichen Väter ein. Die Jugendlichen übernachteten dort gemeinsam in einer Jugendherberge und konnten sich somit schon etwas kennen lernen. Für uns Eltern haben sich die Gespräche untereinander als sehr nützlich erwiesen. Wir konnten viele unserer Fragen stellen, erhielten ziemlich begeisterte Antworten seitens der Mitarbeiter der Austauschorganisation. Einige von ihnen hatten schon Südafrika, speziell die Schulen, Gastfamilien und örtlichen Betreuer kennen gelernt und zerstreuten teilweise die Sorgen der Eltern. Mit viel neuem Wissen kehrten wir aus Kassel zurück und besonders für mich war es schon ein Stück Annäherung, auch in meinem Innersten der großen Reise unserer Anna meine Zustimmung zu geben.

Die folgenden Wochen vergingen wie im Flug. Jürgen und ich bereiteten unsere Silberhochzeitsfeier am 3.8.2003, zu der wir mindestens vierzig Gäste erwarteten, vor. Die Lokalität hatten wir schon vor Wochen gebucht und es sollte wirklich ein besonderer Abend für uns alle werden. Um mich abzulenken, fokussierte ich mich nur auf dieses Highlight und verdrängte alle nach diesem Datum stattfindenden Ereignisse, wie z.B. Annas Abreise am 12.8.2003.

Durch den Reiseveranstalter für Annas Auslandsschuljahr hatten wir längst den Namen und die Anschrift der Gastfamilie, Abreisetermin sowie den Namen der Schule in Südafrika mitgeteilt bekommen und eines Tages flatterte ein Brief mit Fotos der gesamten Gastfamilie ins Haus. Die Menschen auf den Fotos hatten eine ausgesprochen freundliche und fröhliche Ausstrahlung und das häusliche Umfeld vermittelte uns einen guten Eindruck. Der Gastvater arbeitete bei einer Bank in Johannesburg und es gab jede Menge Geschwister für unsere Anna. Die Gastschwester hieß Brenda und sollte die gleiche Klasse zusammen mit Anna besuchen. Unsere Eindrücke waren alle sehr positiv und wir konnten auch schon mal mit der zukünftigen Gastfamilie ein Telefonat führen, bei dem die »Big Mama« jubelte und ständig wiederholte, ganz super glücklich über den baldigen Besuch unseres Kindes zu sein. Anna würde also bei dieser schwarzen Familie leben und alle freuten sich in Kagiso auf Annas Ankunft im August. Kagiso ist eine Wohnsiedlung (genannt Township) unweit von Johannesburg in der Provinz Gauteng.

Wir in Leipzig arbeiteten die Checkliste der Reisevorbereitungen ab und eröffneten ein Konto für das Ausland, beantragten das Visum bei der Botschaft in Berlin, kauften einen geeigneten Koffer und Kleidung, überlegten laufend welche sinnvollen Geschenke wir für die Gastfamilie in Kagiso mitgeben könnten. Inzwischen traf auch das Flugticket für den 12.8.03 bei uns in Leipzig ein und eigentlich fehlte nur noch das Visum, welches erst kurz vor Reisebeginn zugestellt werden sollte.

Doch erst mal wollten wir richtig zünftig mit unserer großen Familie, unseren lieben Freunden und einigen Kolleginnen die Silberhochzeit feiern. Der Tag unseres großen Festes favorisierte zum wohl heißesten Tag des Sommers und kurbelte mächtig den Wasserkonsum bei unseren Gästen an, doch den rechnungstechnischen Ausgleich dafür schaffte ein ganz geringer Ausschank an alkoholischen Getränken. Unser großer Tag begann mit meiner Rede, ich stellte alle unsere lieben Gäste vor – mit viel Humor und Frohsinn wurde applaudiert und anschließend mit einem kühlen und prickelnden Sekt angestoßen. Unsere Marie und ihr Matthias starteten mit Musik der 70er und 80er Jahre und die Tanzrunde war recht schnell eröffnet. Jeder unserer Gäste hatte etwas vorbereitet, es gab Spaß und Frohsinn, fröhliches Gelächter und bei dem Lied vom damals hochaktuellen »Holzmichel« spielten alle lustig mit. Es gab eine mächtige Schwitzorgie an diesem Abend, der sich bis in die frühen Morgenstunden hinzog. Eine unerwartete Überraschung verschaffte uns ein Jongleur mit seiner gelungenen Show – eine wirklich sehenswerte Einlage – organisiert durch unsere Kinder. Die Schwiegertochter unserer langjährigen Freunde bot ihren ausgesprochen eindrucksvollen Gesang (u.a. »Memorys« aus dem Musical »Cats«) dar und ich hatte echt Gänsehaut, als diese nette junge Frau uns mit ihrer schönen Stimme verwöhnte. Uns bleibt bis heute ein Kick und ein Freudenschauer im Körper und Geist, wenn wir uns an diesen wirklich einmaligen Abend und die lange erlebnisreiche Nacht erinnern. Wir tanzten bis zur Erschöpfung und ich persönlich habe wohl kaum meinen Stuhl benutzt an diesem Abend. Sicherlich kann eine Feier gut geplant werden, doch wie das Flair und der Frohsinn sich entwickeln, scheint mir nicht steuerbar zu sein. Dieses Fest kann mit keinem anderen zuvor verglichen werden, es hat unsere Herzen berührt und wird in all seiner Herzlichkeit und in seinem Erlebnisreichtum nicht wiederholbar sein.

Anna hatte nun gleich die ganze »Sippe« und viele liebe Freunde der Familie zur Verabschiedung für ein Jahr Südafrika zur Verfügung, ausgiebig tauschten die Gäste und Anna Küsschen, liebe Worte und coole Sprüche aus und versteckt sind auch rührende Tränen geflossen.

Unsere Heimfahrt in mehreren Großraumtaxen entwickelte sich zu einem recht spaßigen Abtransport der ausgelassenen, fröhlichen Gästeschar und irgendwann in dieser Nacht fielen alle in einen seligen Schlaf.

Nun war es vorbei dieses lang ersehnte Fest und der nächste Höhepunkt sollte Annas Abreise nach Südafrika werden.

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