Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 66»

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Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-383-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

1.

Die beiden Schiffe lagen in der Bucht von Vigo vor Anker, also in portugiesischen Gewässern und daher verhältnismäßig sicher vor dem Zugriff von Spaniern und Piraten der Barbarenküste Nordafrikas.

Die Segel der Galeone „Isabella VIII.“ und der Karavelle „Le Vengeur“ waren aufgegeit. Auf beiden Schiffen waren die Kanonen geladen, und den Männern war erhöhte Wachsamkeit befohlen worden. Philip Hasard Killigrew wußte, daß es immer gefährlich war, Kapitän und Ersten Offizier von Bord eines Schiffes zu holen. Aber die Besprechung mit den beiden führenden Männern der „Le Vengeur“ war unabdingbar geworden.

Sie saßen um den Eichentisch in der Kapitänskammer der „Isabella VIII.“: Hasard, den seine Freunde und sogar seine Gegner respektvoll den Seewolf nannten, Ben Brighton, Erster Offizier der „Isabella“, und die beiden Eigner der „Le Vengeur“, Jean Ribault und Karl von Hutten. Auf der sandgescheuerten Platte des Tisches standen Weingläser.

Es war Mitte August 1581.

„Und ich sage dir noch einmal: Es kommt überhaupt nicht in Frage“, sagte Karl von Hutten entschieden.

„Ganz meine Meinung.“ Der ruhige Jean Ribault strich eine dunkle Haarsträhne aus seiner Stirn. „Entweder wir sind Freunde oder nicht. Und wenn du Keymis und Burton deine Kinder abjagen willst, dann ist das genausogut unsere Sache wie deine.“

„Und damit basta!“ Karl von Hutten, Sohn eines deutschen Konquistadoren und einer indianischen Häuptlingstochter, schlug mit der Faust auf den Tisch.

„Nichts basta.“ Hasard lehnte sich zurück und blickte seine beiden Freunde und Kampfgefährten an. „Ich danke euch für euer Angebot, mir zu helfen. Aber die Suche nach meinen Kindern ist meine Privatangelegenheit, und ich habe nicht das Recht, dafür auch noch ein zweites Schiff zu beanspruchen.“

„Wer spricht denn hier von Recht!“ Karl von Hutten beugte sich erregt vor. „Es ist unser Schiff! Von unserem eigenen Geld gekauft! Und wenn wir sagen, daß wir mit dir segeln, dann ist das, verdammt noch mal, unsere Sache!“

Ben Brighton, der große Schweiger, verfolgte aufmerksam das Rededuell und blickte prüfend und nachdenklich von einem zum anderen. Dann räusperte er sich und sagte ruhig: „Natürlich ist das eure Sache. Aber die beiden Halunken können wir auch allein erwischen. Der Erfolg hängt jedoch davon ab, möglichst nicht aufzufallen. Mit einem Schiff ist das vielleicht zu schaffen. Aber wenn wir gleich im Geschwader aufkreuzen …“

„Genau das wollte ich auch sagen, Ben“, unterbrach ihn Hasard. „Und selbst allein müssen wir schon eine Menge Glück haben, um die Jungen zu finden – und mit heiler Haut davonzukommen.“

„Genau darum geht es mir doch, Hasard.“ Karl von Hutten war wie ein Terrier, der sich in eine Ratte verbissen hat und nicht losläßt. „Wenn ihr in die Klemme geratet, sind wir da, um euch herauszupauken.“

„Hasard hat recht“, sagte Jean Ribault ruhig. „Helfen können wir ihnen kaum. Wahrscheinlich sind wir ihnen sogar im Weg und gefährden die ganze Aktion.“

„Und die Kinder“, setzte Ben Brighton hinzu. „Die Zwillinge sind schließlich noch im Säuglingsalter.“

„In Ordnung. Du bist der Kapitän.“ Karl von Hutten kippte den Rest seines Weins und stellte das leere Glas mit Nachdruck auf die Tischplatte zurück. „Und was du sagst, wird getan.“

„Sei doch nicht kindisch, Karl.“ Jean Ribault lächelte ein wenig nachsichtig. „Ich habe dir nichts befohlen, sondern nur versucht, dir die Situation zu erklären. Und da Hasard unsere Hilfe sogar ausdrücklich ablehnt, sollten wir uns wirklich nicht aufdrängen. Ich hoffe, du siehst das ein.“

Der Mann mit dem deutschen Adelsnamen und den indianischen Gesichtszügen brummelte Unverständliches und sah an seinem Freund vorbei.

„Trotzdem vielen Dank, Karl.“ Hasard legte von Hutten die Hand auf die Schulter. „Ich werde es dir niemals vergessen.“ Er wandte sich an Ribault. „Ich nehme an, ihr bleibt bei eurem Plan, wieder in die Karibik zurückzusegeln?“

Der französische Freibeuter nickte. „Da unten wimmelt es von Dons, die die Schätze der Neuen Welt abschleppen. Und die wollen wir uns doch nicht entgehen lassen, was, Karl?“

Das Schiff lag auf Ostkurs. Eine leichte, achterliche Brise trieb die „Isabella“ direkt auf die Straße von, Gibraltar zu. Die zweihundertfünfzig Tonnen große Galeone hatte alles Tuch gesetzt, das ihre Masten tragen konnten, um möglichst rasch die schmale, gefährliche Meerenge zu passieren, in der Spanier und algerische Piraten lauerten.

Der Seewolf stand an der Schmuckbalustrade des Heckkastells und blickte auf die Kuhl hinunter. Die Männer, die hinter beiden Schanzkleidern bei den Culverinen in Bereitschaft saßen, dösten vor sich hin oder unterhielten sich leise.

Es war eine dunkle Nacht, fast Neumond, Wunschwetter für diesen Durchbruch durch die Straße von Gibraltar. Nur undeutlich erkannte Hasard die vertrauten Konturen des Decks, die plumpen Rohre der Culverinen, bei denen lange Luntenschnüre herabhingen. Sie brannten nicht. Hasard hatte befohlen, alle Lichter und Feuer an Bord zu löschen, um das Schiff unentdeckt ins Mittelmeer bringen zu können.

„Licht links voraus!“ rief Dan O’Flynn aus dem Großmars. Dan war nicht mehr der Junge, dem die Aufgabe des Ausgucks sozusagen automatisch zufiel. Er hatte sich zu einem hervorragenden Seemann gemausert, und Hasard hatte ganz besondere Pläne für seine Zukunft. Aber Dan hatte nach wie vor die schärfsten Augen von allen Männern der „Isabella“, und deshalb übernahm er in kritischen Situationen wie dieser freiwillig den Ausguck.

„Kannst du schon erkennen, was es ist, Dan?“

„Ich bin doch kein … Moment mal – ein zweites Licht! Jetzt sind es vier! Entweder mehrere Schiffe im Verband dicht vor der Küste oder eine Reihe von Fuhrwerken auf der Uferstraße.“

„Oder ein Dorf, in dem ein paar Bauern noch nicht in die Federn finden können“, setzte Hasard lachend hinzu. „Behalte die Lichter im Auge.“

„Ohne deine freundliche Aufforderung hätte ich das wirklich vergessen.“ Sein freches Mundwerk hatte Dan O’Flynn auch als junger Mann noch nicht abgelegt. Aber das hatte ihm Hasard schon immer nachgesehen, und nicht erst, seit Dan sein Schwager geworden war.

Gwen, dachte er und starrte in das Dunkel, Gwen …

Er sah sie wieder vor sich, so wie er sie vor über vier Jahren kennengelernt hatte: ein bildschönes, rothaariges Mädchen, voll wildem, trotzigem Temperament.

Und sie war von zwei Männern und deren Schergen verfolgt und in den Tod getrieben worden: Keymis, dem ehemaligen Friedensrichter von Falmouth, und Isaac Henry Burton, einem degradierten Offizier und Verräter!

Nachdem Hasard selbst den Schergen hatte entkommen können, hatten die beiden versucht, seine Frau Gwen als Geisel in ihre Gewalt zu bringen. Gwen aber war rechtzeitig gewarnt worden, hatte ihre beiden Zwillingssöhne Hasard und Philip in die Obhut ihres Arztes und Vertrauten Sir Freemont gegeben und versucht, mit einem Fischerboot nach Frankreich zu fliehen. Burton und Keymis hatten jedoch davon erfahren und waren mit ihren Schergen zur Stelle gewesen, ihre Flucht zu verhindern. Der Fischer, der Gwen über den Kanal bringen wollte, wurde durch Musketenschüsse getötet. Trotzdem hatte Gwen versucht, auch ohne seine Hilfe nach Frankreich zu fliehen. Aber in einem plötzlich aufziehenden Sturm ging das Boot verloren. Von Gwen wurde niemals eine Spur gefunden …

„Falls das da vorn ein Dorf ist“, rief Dan O’Flynn aus dem Großmars, „dann eins auf Rädern! Jedenfalls bewegen sich die Lichter direkt auf uns zu.“

„Dann sind es keine Lichter auf Rädern“, sagte Hasard amüsiert. „Oder können Räder über das Wasser rollen?“

„Die Schlußfolgerung wollte ich dir überlassen!“ rief Dan zurück. „Ich bin hier nur der Ausguck!“

Wahrscheinlich ein auslaufender spanischer Verband, der genau wie sie die enge Straße von Gibraltar im Schutz der Dunkelheit passieren wollte, um den arabischen Piraten zu entgehen. Und mit Sicherheit Galeeren, dachte er weiter. Kein Segelschiff konnte direkt gegen den Wind halten.

„Entfernung?“

„Achtzehn Meilen, schätze ich.“

Wenn es Spanier waren, würden sie sich möglichst nahe an der eigenen Küste halten, überlegte Hasard und blickte zu den Segeln hoch. Sie standen prall im achterlichen Westwind. Wenn er ein paar Strich nach Steuerbord abfiel, mußte es möglich sein, den Verband der Dons unbemerkt zu passieren. Bei einem größeren Verband waren immer ein paar gut bestückte Kriegsschiffe dabei, um die schwer beladenen Frachtgaleeren zu schützen.

„Pete?“ Er wandte sich um.

Pete Ballie, der am Ruder stand, steckte den Kopf aus der Seitenöffnung des Ruderhauses.

„Zehn Strich nach Steuerbord abfallen. Und achte auf die Segel.“

Diese Anweisung war völlig überflüssig. Pete Ballie, der schon auf den Schiffen Francis Drakes am Ruder gestanden hatte, war ein Mann mit einem fast unheimlichen Instinkt für Kurs, Drift und Wind.

„Aye, aye, Sir.“ Pete tauchte wieder unter.

Die „Isabella VIII.“ war als eins der ersten Schiffe mit einem Radruder ausgerüstet, das den alten Kolderstock später allmählich verdrängte. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, hatte einen Verschlag um das Ruder gebaut, um den Rudergänger vor Wind und Regen zu schützen, wahrscheinlich das erste Ruderhaus der Seefahrtgeschichte.

„Halte den Kurs etwa zwei Meilen, Pete, und dann gehst du wieder auf den alten zurück.“ Das würde ihnen genügend Abstand zu den Schiffen geben, deren Lichter jetzt auch vom Heckkastell aus sichtbar waren. Zwölf gelblich flackernde Funzeln, zählte Hasard. Wahrscheinlich sechs Galeeren, die jetzt fast querab an Backbord lagen.

„Carberry!“ rief Hasard halblaut zur Kuhl hinab.

„Sir?“

Ein Schatten trabte nach achtern, stieg den Niedergang hoch und trat zu Hasard. Der Profos der „Isabella“ war ein Riese mit einem von Platzwunden und Messerstichen zernarbten Gesicht, das jetzt glücklicherweise von dem Dunkel verhüllt wurde.

„Absolutes Sprechverbot für alle. Sag den Männern Bescheid, Ed.“

„Aye, aye, Sir.“ Carberry wandte sich um und verschwand im Dunkel.

„Hört mal her, ihr Rübenschweine“, vernahm Hasard kurz darauf die Stimme des Profos’ vom Hauptdeck. Unwillkürlich mußte er grinsen. Carberry hatte sein gewaltiges Organ den Umständen entsprechend gedämpft, aber er sah keine Notwendigkeit, auch sein Vokabular zu ändern. „Und wenn ich von euch auch nur einen Mucks hören sollte, ziehe ich euch die Haut streifenweise von euren Affenärschen. Klar?“

Es wurde völlig still auf dem Schiff. Auch das leise Gemurmel der Männer verstummte. Irgendwo klirrte eine Waffe. Jemand stieß einen unterdrückten Fluch aus. Dann waren das Rauschen der Bugwelle und das leise Knarren der Wanten die einzigen Geräusche.

Hasard starrte zu den zwölf Lichtern hinüber, die immer näher aufrückten.

„Zwei Meilen, Sir“, meldete Pete Ballie. „Gehe auf Ostkurs zurück.“

„In Ordnung, Pete.“

Hasard blickte gewohnheitsmäßig zu den Segeln hinauf, als der Bug des Schiffes langsam nach Backbord schwang. Und dann nach Süden, wo die Barbarenküste Nordafrikas lag. Sie war unsichtbar in dem fast völligen Dunkel dieser Nacht. Bis zum Horizont glänzten die Sterne. Dicht über der Kimm flimmerte Sirius, des Seemanns Freund, wie er von den Navigatoren genannt wurde. Und dann erlosch er plötzlich wie eine Kerze, die man ausgeblasen hat.

Hasard runzelte verwundert die Brauen und starrte nach Steuerbord voraus. Der Sirius strahlte wieder, dafür sah er aber andere Sterne, die erloschen. Dann formten sich vor dem Sternenhimmel dunkle Schatten. Schatten von Segeln.

Ein rahgetakeltes Schiff, das gerade kreuzte! Jetzt hielt es direkt auf die „Isabella“ zu, lautlos und ohne Lichter.

„Hasard.“ Dan hatte die geisterhafte Silhouette ebenfalls entdeckt. „Segler zwei Strich Steuerbord voraus.“

„Schon gesehen, Dan.“ Er machte Dan O’Flynn keinen Vorwurf. Genau wie er selbst hatte auch Dan sich von dem hellbeleuchteten Konvoi vor der spanischen Küste ablenken lassen.

„Soll ich etwas nach Backbord abfallen, Sir?“ unterbrach Pete Ballie seine Gedanken.

„Noch nicht.“ Hasard starrte zu der schwarzen Silhouette hinüber, die sich wie ein Spuk auf sie zubewegte. „Ich schätze, daß wir den anderen in etwa einer Viertelmeile Abstand …“

„Hasard!“ Seit Dan O’Flynn Stimmbruch und Pubertät hinter sich ließ, hatte seine Stimme nicht mehr so erregt geklungen. „Da ist noch ein zweites Schiff, gleich hinter dem ersten, und – noch eins! Sechs, sieben, acht! Mein Gott, da segelt ein ganzer Geleitzug auf uns zu!“

Arabische Piraten? Kaum anzunehmen. Die Söhne Mohammeds fuhren keine rahgetakelten Schiffe, sondern bevorzugten Daus und Galeeren. Außerdem fuhren Piraten nicht in großen Verbänden.

„Entfernung?“ Das Schiff, das er zuerst entdeckt hatte, war nur noch eine knappe Meile entfernt.

„Zwischen ein und anderthalb Meilen“, bestätigte Dan. „Wenn wir hart in ihren Kurs drehen, könnten wir ihnen weglaufen.“

Hasard antwortete ihm nicht.

„Carberry?“ rief er leise.

„Sir?“

„Gefechtsbereitschaft. Laß die Lunten anstecken, aber tarnt die Enden unter Pützen oder was ihr sonst besorgen könnt.“

„Aye, aye, Sir.“

Mehrere Schatten enterten den Niedergang zum Heckkastell hoch. Lautlos, auf nackten Sohlen, liefen sie an Hasard vorbei und bemannten die hinteren Drehbassen: Batuti, der riesige Gambia-Neger, Smoky, Jeff Bowie und Matt Davies, der an Stelle der rechten, amputierten Hand eine Prothese mit einem scharfgeschliffenen Haken trug.

Auch auf dem Hauptdeck war lautlose Bewegung, die sich mehr ahnen als sehen ließ. Irgendwo knarrten die Scharniere einer Stückpforte, eine Sekunde lang sah Hasard bei den Backbordkanonen eine Lunte glimmen, dann war sie wieder verdeckt.

„Hasard?“ Er hatte Ben Brighton nicht kommen hören. Er stand plötzlich seitlich hinter ihm und starrte zu den Silhouetten der Schiffe hinüber, die mit Kollisionskurs auf sie zuhielten. „Abdrehen?“

Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Die Brüder haben uns bestimmt ebenfalls entdeckt. Wenn wir jetzt weglaufen, wissen sie, daß wir hier nichts zu suchen haben.“

Ben Brighton nickte. „Verstehe. Sie sollen uns für Dons auf dem Weg nach Hause halten, und wir scheren knapp an ihnen vorbei.“

„Falsch. Wir laufen mitten durch den Konvoi hindurch.“

Ben brauchte ein paar Sekunden, um diese Nachricht zu verdauen.

„In Ordnung“, erwiderte er dann. „Ich gehe nach unten und sag den Männern Bescheid, damit sie nicht durchdrehen.“

„Gut, Ben. Und sag ihnen, daß ohne meinen Befehl kein Schuß abgegeben wird, und wenn die anderen uns die Farbe von der Bordwand kratzen.“

„Aye, aye.“ Brighton wandte sich um und verschwand auf dem Niedergang.

Hasard starrte voraus auf die dunklen Schatten vor dem Sternenhimmel, die von Südosten her direkt auf sie zuhielten. Wahrscheinlich Spanier, die im geschlossenen Konvoi nach Südamerika ausliefen. Weil sie gegen den Wind kreuzen mußten, war die Passage durch die schmale Straße von Gibraltar für sie natürlich besonders gefährlich. Bei den Kreuzschlägen gerieten sie der afrikanischen Küste und den Piratennestern unangenehm nahe. Deshalb auch die Tarnung, das Fehlen jeglicher Beleuchtung, selbst vor der eigenen Küste. Und darauf baute Hasard seinen verwegenen Plan. Den Dons war genau wie ihm vor allem daran gelegen, ungesehen und ohne Zusammenstöße durch die Meerenge zu gelangen.

Er wandte den Kopf und blickte wieder zu den zwölf Lichtern vor der Küste hinüber. Er war fast sicher, daß da nur ein paar Galeeren spazierenfuhren, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und von dem großen Konvoi abzulenken. Und bei ihnen war das den Dons ja auch recht gut gelungen.

Das Führungsschiff des Konvois lag jetzt nur noch knapp zweihundert Yards Steuerbord voraus.

Hasard wandte den Kopf und blickte zu Pete Ballie. Der Rudergänger nickte ihm zu. Pete brauchte man keine besonderen Anweisungen zu geben. Er drehte das Rad nach Steuerbord, und die „Isabella“ drehte in den Kurs des Spaniers hinein. Dicht vor ihrem Bug rauschte eine schwere Karavelle vorbei.

Dann waren sie mitten im Konvoi. Vor dem Bug und hinter dem Heck schnitten die Schiffe den Kurs der „Isabella“, manche so dicht, daß Hasard an der Reling und auf dem Achterkastell Menschen erkennen konnte, die aufmerksam und mißtrauisch herüberstarrten.

Aber kein Ruf schallte herüber. Niemand forderte sie auf, sich erkennen zu geben. Kein Schuß fiel. Lautlos und dunkel glitten die Schatten vorüber und verschwanden wie ein Spuk in der Nacht.

Es hatte geklappt. Er hatte die Absichten der Dons richtig eingeschätzt und seinen Bluff durchgezogen. Dennoch atmete er erleichtert auf, als das letzte Schiff des Konvois im Dunkel verschwand.

„Wegtreten von Gefechtsbereitschaft!“ rief er leise zum Hauptdeck hinunter.

Sie waren im Mittelmeer.

2.

Die Galeere schoß hinter einer der winzigen Inseln hervor, die vor der Küste südlich von Alicante liegen. Wahrscheinlich hätte Hasard sie mit einer Breitseite in die Tiefe schicken können, aber er wollte den Bluff der vergangenen Nacht noch einmal durchspielen.

Doch jetzt, im hellen Licht der Nachmittagssonne, waren die Dons wachsam und mißtrauisch. Aber vielleicht war es auch eine reine Schreckreaktion, daß die Spanier sofort mit der Bugdrehbasse losballerten. Die Kugel schlug zehn Yards vor der Bordwand der „Isabella“ ins Wasser.

„Gefechtsbereitschaft!“ rief Hasard und sprang selbst an eine der unbemannten Drehbassen auf dem Heckkastell. Er zielte auf das Ruder der Galeere und drückte die glimmende Lunte auf das Zündloch. Obwohl er sehr hoch gehalten hatte, lag die Kugel ebenfalls zu kurz.

„Hart Steuerbord!“ rief er dem Rudergänger zu, als vier Männer den Niedergang aufenterten und zu den Drehbassen liefen.

„Hart Steuerbord, Sir.“ Jetzt stand der blonde Stenmark am Ruder, und er wuchtete das Rad herum.

Wieder blitzte es bei der Galeere auf. Zweimal kurz hintereinander. Die zweite Bugdrehbasse hatte gefeuert, und auch die einzige Heckkanone hatten sie bugwärts gedreht. Die Kugeln lagen noch immer zu kurz, aber diesmal unangenehm nahe.

Deutlich schallte der dumpfe Ton der Pauke herüber, die den Schlag der Galeerensträflinge bestimmte. Das Schiff drehte in den kurzen Winkel auf die „Isabella“ zu, um nicht vor die Breitseite der Backbordkanonen zu geraten.

Hasard starrte auf den Bug, der mit lähmender Langsamkeit nach Steuerbord schwang, und warf einen Blick auf Stenmark. Der deutete nur auf sein Steuerrad, zum Zeichen, daß er es bis zum Anschlag nach rechts gedreht hatte, und zuckte mit den Schultern.

Hasard wußte, daß er das Ruderschiff dicht vor der Küste und bei dem flauen Westwind nicht ausmanövrieren konnte. Nur ein Trick konnte dieses Gefecht zu ihren Gunsten entscheiden – die Geheimwaffe der „Isabella“.

„Shane!“

Carberry trabte über das Deck. „Ist schon vorn auf der Back, Sir.“

Hasard blickte voraus und sah die beiden Riesen seiner Besatzung hinter dem Schanzkleid stehen. Sie hatten ihre gewaltigen Bögen in den Händen.

Big Old Shane, der frühere Waffenmeister von Arwenack, legte gerade den ersten seiner Spezialpfeile auf die Sehne und zog sie zurück.

Der Pfeil schnellte los. Noch während er in der Luft war, hatte der Gambia-Neger Batuti seinen Pfeil in ein Becken mit glühender Kohle gesteckt, bis er brannte. Als Big Old Shanes Pfeil das dreieckige Segel der Galeere in Brand setzte, surrte Batutis Pfeil ebenfalls auf den Gegner zu.

Er schlug dicht vor dem Mann an der Pinne ins Heck. Der Spanier hielt ihn für einen gewöhnlichen Brandpfeil, sprang auf ihn zu und wollte ihn aus den Decksplanken reißen. Doch in diesem Augenblick explodierte die Pulverladung im hohlen Schaft des Pfeils. Die Wucht der Detonation riß den Mann von den Beinen und schleuderte ihn über Bord. Die Galeere lief aus dem Ruder.

Sie hörten die Dons und die Galeerensklaven erregt schreien, und für ein paar Sekunden verstummte der Schlag der Pauke. Als er wieder einsetzte, war es zu spät. Big Old Shanes zweiter Brandpfeil schlug mittschiffs ein, zwischen die Ruderer.

Die Männer, die die unheimliche Wirkung des anderen Brandpfeils gesehen hatten, schrien entsetzt auf, ließen ihre Riemen fahren und zerrten verzweifelt an den Eisenketten, mit denen sie an die Bänke geschmiedet waren.

Hasard verzog das Gesicht, als die Pulverladung des Pfeils explodierte, mehrere Männer zu Boden schleuderte und einen weiteren Brand an Bord der Galeere entfachte. Es war ihm schon immer zutiefst verhaßt gewesen, gegen hilflose, willenlose Sklaven zu kämpfen.

Vier, fünf Riemen auf der Backbordseite der Galeere hingen jetzt bewegungslos im Wasser, andere verhedderten sich mit ihnen. Zwei Soldaten hieben mit langen Peitschen auf die angeschmiedeten Sklaven ein, und ihr Schreien hallte zu den Männern der „Isabella“ herüber.

Doch trotz der Panik, trotz des verbrannten Segels und der zwei Brände im Oberdeck gelang es dem spanischen Kapitän, sein Schiff von der Breitseite der „Isabella“ klar zu halten. Da die Galeone jetzt so weit nach Steuerbord abgefallen war, daß sie hart im Wind lag, konnte Hasard nicht weiter drehen.

„Klar zur Wende!“ schrie er wütend.

„Klar zur Wende!“ wiederholte die Stentorstimme Carberrys. „An die Brassen, ihr langschwänzigen Affen! Oder soll ich euch Beine machen?“

Hasard wußte, daß die Männer ihr Bestes gaben – wie immer, und daß es nicht länger dauerte als sonst, bis die Rahen herumgebraßt waren, aber es erschien ihm wie eine Ewigkeit.

„Ruder hart Backbord.“

„Aye, aye, Sir.“

Langsam schwang der Bug herum, und die Segel füllten sich wieder.

Hasard starrte zu der Galeere hinüber. Das Segel bestand nur noch aus verkohlten Fetzen. Das Feuer mittschiffs hatten die Dons anscheinend eindämmen können, aber im Heck loderten noch immer Flammen, und mehrere Männer holten in Pützen Seewasser herauf und kippten es ins Feuer.

„Die Kerle scheinen sich wieder gefangen zu haben“, sagte Ben Brighton, der neben Hasard getreten war, und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Galeere, deren Riemen wieder einigermaßen im Takt durchs Wasser gezogen wurden.

Ein paar von ihnen waren zersplittert, zwei hingen ins Wasser, aber die anderen trieben das Schiff voran.

„Auf jeden Fall scheinen sie die Nase voll zu haben“, sagte Ben befriedigt.

Der Spanier hatte anscheinend eingesehen, daß er sich besser nicht mit dieser Galeone anlegte, deren Brandpfeile vierhundert Yards weit flogen und immer im Ziel saßen. Er versuchte, zur Küste hin zu entwischen.

„Er darf uns nicht durch die Lappen gehen“, murmelte Hasard grimmig. „Laß alles Zeug setzen, was die Masten tragen können, Ben.“

„Aye, aye.“ Ben Brighton lief zum Niedergang und rief seine Befehle.

Er begriff, was auf dem Spiel stand. Wenn die Galeere die Küste erreichte, war ihr Versteckspielen vorbei, dann wußten die Spanier, daß sich ein feindliches Schiff vor der Küste herumtrieb. Dann waren viele Hunde des Hasen Tod. Und was mit Hasards Jungen passieren würde, die Keymis und Burton nach Valencia verschleppt hatten, war gar nicht auszumalen.

Hasard lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterdecks und starrte zu der Galeere hinüber, die von raschen, kräftigen Ruderschlägen auf die Küste zugetrieben wurde. Wenn nur der Wind etwas auffrischen würde, dachte er ungeduldig und schlug mit der rechten Faust auf die Balustrade. Und er mußte auch noch gegen den Westwind ankreuzen.

Mit kurzen Schlägen und hart am Wind setzte die „Isabella“ ihrer Beute nach. Es war ein mühsames, langwieriges Unternehmen, aber eine halbe Stunde später war der Abstand zwischen den beiden Schiffen erheblich kleiner geworden.

Hasard hatte sich das Fernrohr geben lassen und sah, wie zwei Männer auf die erschöpften Sträflinge einschlugen. Dann flog drüben etwas über Bord und schlug ins aufspritzende Wasser.

Kurz darauf trieben zwei Leichen dicht an der Bordwand der „Isabella“ vorbei. Sie waren noch mit Ketten aneinandergeschmiedet und trieben in drei Fuß Tiefe im klaren Wasser.

„Wir sind bald auf Schußweite, Hasard.“ Al Conroy, der Stückmeister des Schiffes, stand auf der Kuhl und blickte zu Hasard hoch. „Drehst du ein, damit wir eine Breitseite auf sie abfeuern können?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Es wird nicht geschossen, Al.“ Sie waren schon zu nahe an der Küste. Kanonenschüsse mußten von irgend jemandem gehört werden, und dann war alle Anstrengung umsonst gewesen. „Wir werden den Dons in den Kurs laufen und entern.“

„Entern?“ Der stämmige Stückmeister runzelte die Brauen. „Aye, aye, Sir. Entern.“

„Sag den Männern, daß sie sich klarmachen sollen, Al.“

Conroy gab den Befehl an den Profos weiter, und Hasard sah, wie die Männer ihre Kanonen verließen und nach den Musketen und Pistolen griffen, nach Säbeln und Entermessern. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, langte sich wie gewohnt seine langstielige, schwere Axt, die im Kampf zu einer mörderischen Waffe wurde.

Noch eine Viertelmeile Abstand zu der Galeere.

Die Männer drängten sich an der Steuerbordseite, mit der die „Isabella“ voraussichtlich gegen die Bordwand des Spaniers krachen würde.

„Shane! Batuti! Schaltet die Männer an den Heckdrehbassen mit euren Pfeilen aus, wenn wir nah genug heran sind. Es darf kein Schuß fallen.“

„Aye, aye, Sir!“ riefen die beiden Bogenschützen zurück. Sie hatten ihre Position vorn auf der Back nicht verlassen und blickten aufmerksam zum Heck der spanischen Galeere hinüber.

Es durfte kein Schuß fallen, überlegte Hasard, darum würde er den Spanier entern. Aber er hatte noch einen anderen Grund dafür. Er wollte nicht an die hundert Rudersklaven mit der Galeere absaufen lassen. Er hatte vor, die Galeere zu erbeuten, die Spanier als Gefangene an Bord zu nehmen und die Sklaven auf irgendeiner Insel freizulassen. Das würde zwar etwas Zeit kosten, schien ihm aber der beste und sicherste Weg zu sein, wenn er sinnloses Blutvergießen vermeiden wollte.

„Aufpassen, Batuti!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Großmars.

Der riesige Neger hatte aufgepaßt. Er hatte gesehen, daß zwei Männer zu den hinteren Drehbassen der Galeere traten und sie auf die „Isabella“ richteten.

Sein Pfeil schwirrte gleichzeitig mit dem Big Old Shanes von der Bogensehne. Bevor die beiden Spanier dazu kamen, die Lunte auf das Zündloch zu drücken, sanken sie zusammen und versuchten, sich die Pfeile aus der Brust zu zerren.

„Klar zum Entern!“ dröhnte die gewaltige Stimme Carberrys über das Deck. „Und wenn ihr Affenärsche nicht gehörig zuschlagt, ziehe ich euch die Haut streifenweise vom Hintern!“

Die Männer drängten sich am Schanzkleid und suchten nach guten Absprungpositionen.

„Auf zum Schlachtfest!“ schrie Smoky und enterte ein Stück in die Wanten, um engelgleich von oben über die Spanier herzufallen.

„Laß mir auch noch ein paar übrig, du Angeber!“ Sam Roskill, der ehemalige Karibik-Pirat, liebte außer Frauen nichts so sehr wie einen richtigen Kampf. Das heißt, wahrscheinlich lagen Frauen sogar nur auf Platz zwei.

Batuti und Big Old Shane schickten Pfeil um Pfeil auf das Heck der Galeere. Sie blieben zitternd in den Decksplanken stecken. Aber es war auch nicht beabsichtigt, daß sie trafen. Sie sollten den Spaniern nur zeigen, daß es gesünder war, sich nicht bei den achteren Drehbassen sehen zu lassen, und diesen Zweck erfüllten sie völlig.

Fünfzig Yards.

Jetzt konnten sie schon die geschwungenen Helme der spanischen Soldaten erkennen, die hinter dem Schanzkleid hockten.

Von der Back dröhnte die Baritonstimme Batutis: „Ist langweilig, so schießen auf Deck. Was meinen? Wir schießen Spanier komische Helme von Kopf? Wer schießt meiste Helme, kriegt dafür …“

„Hart Steuerbord, Hasard!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Riff voraus!“

Hasard nahm sich nicht die Zeit, Stenmark einen Befehl zu geben. Er stürzte ins Ruderhaus, stieß den anderen beiseite und stemmte sich in die Speichen des Rades. Dabei starrte er über das Backbordschanzkleid ins Wasser. Deutlich hoben sich im klaren Blau des Meeres dunkle Schatten ab, die immer mehr zur Oberfläche wuchsen und immer klarer wurden. Ein scharfkantiger, unterseeischer Bergrücken, erkannte Hasard, ein Anblick, der jedem Seemann einen Schauer über den Rücken jagt.

Es war plötzlich totenstill an Deck. Niemand sprach, die Männer wagten kaum, sich zu bewegen. Schweigend starrten sie über das Schanzkleid ins Wasser, auf die Zacken und Schluchten des Riffs.

Niemand interessierte sich mehr für die Galeere, von der jetzt höhnisches Gelächter zu ihnen herüberschallte. Die Dons hatten sie mit voller Absicht zu diesem Riff gelockt. Für die flachbordige Galeere bildete es keine Gefahr.

Hasard zuckte zusammen, als der Kiel der „Isabella“ schurrend und knarrend über harten Fels glitt. Die Männer auf dem Hauptdeck hielten die Luft an.

„Jesus“, flüsterte der drahtige Luke Morgan aufgeregt.

Und dann waren sie darüber hinweg. Vielleicht waren ein paar Splitter aus dem Eichenkiel der „Isabella“ gefetzt worden, aber sonst war nichts passiert. Nur die Galeere war nun endgültig entwischt.

„Neuer Kurs Nordost!“ sagte Hasard.

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