365 Schicksalstage

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365 Schicksalstage



Johanes Sachslehner

365 Schicksalstage

Ereignisse, die Österreich bewegten


Redaktionelle Mitarbeit: Laura Sachslehner

Ein herzliches Danke für die tatkräftige Unterstützung an Thomas Fric und Nina Fric-Sachslehner.

Bild Seite 8: Das Denkmal von Gerald Brandstötter für die hingerichteten Waldenser am „Ketzerfriedhof“ in Steyr.

ISBN 9783990401705


© 2013 by Pichler Verlag

in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Wien – Graz – Klagenfurt

Alle Rechte vorbehalten

Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in

jeder Buchhandlung oder im Online-Shop.

Buch- und Umschlaggestaltung: Bruno Wegscheider

Produktion: Franz Hanns, Alfred Hoffmann

Reproduktion und Bildbearbeitung: Pixelstorm, Wien

1.digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zitat

Einleitung

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

Ausgewählte Literatur

Bildnachweis

Die Wirklichkeit der Ereignisse ist nicht rekonstruierbar.

Die unermüdliche Suche nach Erkenntnis geht weiter,

und mag sie noch so aufwändig sein,

damit nicht alles verloren und vergessen wird.

Raul Hilberg, Die Quellen des Holocaust


Lebendige Erinnerung und nationales Gedenken

Historisches Erinnern schweißt zusammen, schafft Identität, ist Voraussetzung für die Deutung der Gegenwart – das gilt auch für Österreich, ein Land, das erst seit wenigen Jahrzehnten von der Mehrheit seiner Bürger als Nation empfunden wird. Lebendige Erinnerung an vergangenes Geschehen legitimiert gegenwärtiges Handeln und bestimmt den Blick in die Zukunft. Das vorliegende Buch blickt Tag für Tag, vom 1. Januar bis zum 31. Dezember, auf jene Ereignisse zurück, die dem rot-weiß-roten Nationalmythos Inhalt und Kontur verliehen haben, es versammelt die „Fixpunkte der nationalen Memoria“ (Aleida Assmann). Es ist ein Blick auf Heldentaten ebenso wie auf Verbrechen, auf helle und auf dunkle Tage, auf Tage, die man zu feiern gewohnt ist, und auf Tage, die man am liebsten für immer vergessen möchte.

Es ist kein patriotisches Heldenlied, sondern eine kritische Sondierung, es werden auch Ereignisse genannt, die verdrängt und vergessen sind und nicht mehr erinnert werden möchten. Neben den „Feiertagen“ wie dem 1. November, dem Tag der Erstnennung Österreichs in der Ostarrîchi-Urkunde, dem 12. September, dem Tag des Sieges über die Osmanen vor Wien, oder dem 15. Mai, dem Tag des Staatsvertrags, stehen Erinnerungstage, die sich mit „negativer Vergangenheit“ auseinandersetzen, mit den dunklen Tagen österreichischer Geschichte: Da ist etwa der 7. April, der Gedenktag des Massakers am Präbichl, da sind der 1. Februar, der Tag der Hinrichtung der Matrosen von Cattaro, oder der 25. Juli, der Tag der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, und der 15. März, der Tag von Hitlers Auftritt am Heldenplatz. Da sind Tage, die an Katastrophen erinnern, wie der 3. Juli, der Tag des Gemetzels von Königgrätz, oder auch Tage, die einst als Feiertage gegolten haben und heute ganz normale Tage sind wie Kaisers Geburtstag, der 18. August. Und der Kalender benennt die Meilensteine auf dem Weg zur Demokratie, vom Ausbruch der Revolution am 13. März 1848 bis zur Proklamation über die „Wiedererrichtung der selbständigen demokratischen Republik Österreich“ am 29. April 1945.

Ein Blick auf „Heldentaten“ ebenso wie auf Verbrechen, ein Blick auf Tage, deren Geschehen sich eingeschrieben hat in den Mythenschatz Österreichs – Schuld und Scham, Triumph und Jubel sind mit diesen Tagen verbunden.

Was vergessen ist, kann nicht mehr erzählt werden. Nur an das, was ich weiß, kann ich mich erinnern. Dieser erste Gedächtnis-Kalender Österreichs möchte dazu Hilfestellung und Anregung bieten. Zum Weiterlesen und Weiterforschen. Er möchte kein Erinnerungs-Diktat verhängen, sondern ein Angebot unterbreiten, manchmal auch provozieren. Ich würde mich freuen über eine lebendige Diskussion.

Johannes Sachslehner

Januar


Der EU-Beitritt

Es ist der erste Tag einer neuen Epoche und er fällt passenderweise auf einen Sonntag. Ein 1. Januar, der sich wie immer anfühlt: Die Wiener Philharmoniker brillieren unter der Leitung von Zubin Mehta bei ihrem traditionellen Neujahrskonzert, Andreas Goldberger wird beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen hinter dem Finnen Janne Ahonen Zweiter und befindet sich auf dem Weg zu seinem zweiten Tourneesieg. Einige ärgern sich wohl auch darüber, dass nun in Österreich keine Pumpguns mehr verkauft werden dürfen, ja, und vielen ist es noch gar nicht so richtig bewusst: Österreich hat, 50 Jahre nach Kriegsende, Abschied von seinem Inseldasein genommen, hat auf den wachsenden Druck des Globalisierungsprozesses reagiert und sich einer größeren Gemeinschaft anvertraut.


Feierstimmung zum Jahreswechsel 1994/​95: Österreich ist EU-Mitglied.

Die letzte Entscheidung dazu ist am 1. November 1994 gefallen: 78 Prozent der anwesenden Abgeordneten stimmen im Nationalrat dem EU-Beitrittsvertrag zu. In Anwesenheit von Kommissionspräsident Jacques Delors spricht Peter Kostelka, der Klubobmann der SPÖ, von einem „Meilenstein in der Geschichte Österreichs“, und Andreas Khol, Klubobmann der ÖVP, von einem „freudigen Ja“, das die ÖVP zu Europa gebe, jetzt komme es darauf an, „Europa in den nächsten zehn Jahren eine Seele zu geben“. Der „europäische Geist“, so schließt Khol in dieser denkwürdigen Sitzung, sei „die Zukunft“. Sehr kritisch äußert sich dagegen FPÖ-Obmann Jörg Haider (1950 – 2008): Der Beitritt zur EU würde einen Verlust von Bürgerrechten und Demokratie bedeuten, er erwarte sich negative Auswirkungen auf Landwirtschaft und Industrie, auch für das Preisniveau und den Arbeitsmarkt habe der EU-Beitritt keine positiven Effekte. Johannes Voggenhuber von den Grünen, der gegen den Beitritt gewesen ist, klagt über „gravierenden Reformbedarf“ in der EU und Heide Schmidt, die Klubobfrau des Liberalen Forums, warnt schließlich davor, die EU zu einer „westlichen Wohlstandsburg“ werden zu lassen. Vieles gehört jetzt der Vergangenheit an, ohne dass man es sofort spürt: die altgewohnte Geld- und Währungspolitik etwa, der mit der Einführung des Euro am 1. Januar 1999 auch der Schilling, die liebgewordene Währung der Republik, zum Opfer fällt. Und vieles sollte der Vergangenheit angehören, tut es aber nicht: etwa das engstirnige Mir-san-mir-Denken und der „Autarkie-Mythos“ (Oliver Rathkolb), der es zulässt, dass über einen EU-Austritt spekuliert wird.

 


Die Abschaffung der Folter

Den Stein ins Rollen bringt ein so verstockt als gefährlicher Böswicht namens Franz Sachs, der 1773 vor dem Stadt- und Land-Gericht Wien steht. Da Franz Sachs bereits in seiner Zelle großspurig angekündigt hat, dass er auch unter der Folter nichts aussagen werde, wird die sogenannte „Intercalar Tortur“ angeordnet: Die in der „Wiener Praxis“ üblichen drei Grade der Folter – Daumenschrauben, „Schnürung“ und „trockener Aufzug mit Gewichtsanhängung“ – kommen an drei aufeinanderfolgenden Tagen zur Anwendung; der Gefolterte hat dabei keine Möglichkeit, sich von den Qualen der vorausgehenden Folter zu erholen. Der Böswicht hat Glück: „Folterarzt“, der den Criminal-Inquisiten vor der peinlichen Frage (= Tortur) zu untersuchen hat, ist der angesehene Chirurg Ferdinand Leber (1727 – 1808), und dieser spricht sich nun in einem Gutachten gegen die „Intercalar Tortur“ aus. Unterstützung findet er in der medizinischen Fakultät der Universität Wien, die grundsätzlich diese verschärfte Foltermethode ablehnt – Maria Theresia verbietet daraufhin am 16. November 1773 die „Intercalar Tortur“, gleichzeitig lässt sie prüfen, ob die Folter nicht „gänzlich aufzuheben oder auf besondere species delicti zu beschränken wäre“.


In der „Wiener Praxis“ der erste Grad der Folter: der Daumenstock.

Während sich etwa der Oberst-Landrichter Freiherr von Hahn für eine Beibehaltung der Folter ausspricht, tritt Maria Theresias Berater Joseph von Sonnenfels mit einer eigenen Schrift (Über die Abschaffung der Tortur, 1775) entschieden für deren Abschaffung ein, sei sie doch nur ein Mittel, „an welchem alles ungewiss ist, als der Schmerz, die Lähmung, die Entehrung, die Verzweiflung, welcher der unglückliche Untersuchte preisgegeben wird“. Maria Theresia schließt sich den klaren Sonnenfels’schen Argumenten an, ja, sie geht sogar noch weiter als ihr Berater, indem sie die Aufhebung der Folter ohne Einschränkungen verfügt. In der allerhöchsten Entschließung dieses Januartages dekretiert sie den entscheidenden Satz:

Die peinliche Frage seye nach dem in mehreren Staaten schon Vorgegangenen Beyspiel, ohne einigen Vorbehalt allgemein aufzuheben; sämtliche Gerichtsbehörden in den Erblanden seien zur Nachachtung dieses Erlasses zu verständigen. Zu bedenken gibt die Monarchin weiters, ob nicht auch die Todesstrafe zumindest zum größten Theile aufzuheben sei, da man ja aus der Arbeit der Delinquenten noch einigen Nutzen ziehen könne.

Das Habsburgerreich ist nach Preußen der zweite europäische Staat, der die Folter abschafft. Eine „große That einer erlauchten Frau“, so der Linzer Kommunalpolitiker Franz Melichar (1835 – 1881) in einem Vortrag zum Jubiläum 1876.


Die Rumfordschen Suppenanstalten

Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford (1753 – 1814), ist nicht nur ein bedeutender Experimentalphysiker, der den Boden für den Ersten Hauptsatz der Thermodynamik bereitet hat, sondern auch ein unermüdlicher Tüftler, dessen Erfindergeist auch vor kulinarischen „Problemstellungen“ keineswegs Halt macht. Von seinem Arbeitgeber, dem bayerischen Kurfürsten Karl Theodor, mit der Reorganisation der bayerischen Armee beauftragt, erfindet der Mann aus Massachusetts nicht nur wärmedämmende Unterwäsche für Karl Theodors Soldaten, sondern auch den Energie sparenden Rumfordherd und schließlich die Rumfordsuppe, ein Eintopfgericht, das 1795 erstmals an die Streiter des Kurfürsten ausgegeben wird. Schließlich sorgt die kräftige Suppe auch im Militärischen Arbeitshaus in der Münchener Au bei Bettlern und Arbeitslosen für Furore und von hier aus tritt sie ihren Siegeszug in der Armenfürsorge Europas an. „Sie verlangt“, so schreibt Benjamin Thompson, „freylich ein langes und starkes Kochen; aber wenn dies gehörig geschieht, so verdickt sie eine große Maße Waßer und bereitet es, wie ich vermuthe, zur Zersetzung vor. Sie giebt also einer Suppe, von der sie einen Bestandtheil ausmacht, einen Reichthum an nährenden Stoff, den nichts anderes zu geben im Stande ist.“ Die wichtigsten Zutaten neben Wasser: Rollgerste (Graupen), getrocknete gelbe Erbsen, Salz und Bier- oder Weinessig, wobei diese beliebig mit anderem Gemüse oder auch Fleisch oder Speck sowie diversen Kräutern und Gewürzen ergänzt werden können; häufig wird auch ein Teil der Rollgerste durch Kartoffeln ersetzt.


Erstmals billige Suppen für die Armen von Wien.

Während in Bayern und Teilen Preußens die Rumfordsuppe bereits während der Kriege gegen Napoleon an die Armen ausgeschenkt wird, hält sie in Wien erst im Revolutionsjahr 1848 Einzug: Die wachsende Armut in den Vorstädten Wiens macht die Errichtung von „Rumfordschen Suppenanstalten“ auch in der habsburgischen Residenz notwendig. Auf der Landstraße, in Mariahilf und auf dem Schottengrund wird nun die Suppe Thompsons an die Armen von Wien verteilt; allmählich findet seine „Kraft-Suppe“ aber auch den Weg in den bürgerlichen Haushalt, wie unter anderem etwa Katharina Pratos Kochbuchklassiker Die Süddeutsche Küche von 1881 beweist.


Die Eroberung von Bregenz

Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges nähert sich Unheil dem Land am Bodensee. Im Spätherbst 1646 zieht ein etwa 40.000 Mann starkes schwedisches Heer unter Feldmarschall Karl Gustav Wrangel nach Süden, man sucht nach Beute und bequemen Winterquartieren; die in Bayern stationierten kaiserlichen und bayerischen Truppen rühren keinen Finger, um dies zu verhindern. Am 29. November fordert der schwedische Generalproviantmeister von der Stadt Bregenz u. a. zweihunderttausend Pfund Brot und zweihundert Fass Wein, am 1. Dezember drohen die Schweden mit der Einquartierung von vier Regimentern Infanterie – die Bregenzer verzichten in beiden Fällen auf eine Antwort. Da auch eine neuerliche schwedische Quartierforderung am 28. Dezember erfolglos bleibt, beginnt Wrangel am Morgen des 4. Januar mit 8.000 Mann den Angriff auf Bregenz, das von etwa 2.200 Mann verteidigt wird. Den Verteidigern fehlt es an Proviant, Geschützen und Munition; die Schlüsselstellung, der sogenannte Haggen, fällt nach wenigen Stunden; ortskundige Einheimische führen die Schweden in den Rücken der Bregenzer Stellungen, die Verteidiger werden umkreist und zur Aufgabe gezwungen. Am längsten, so berichten die Quellen, wehren sich die Dornbirner Kriegsleute, Landammann Thomas Rhomberg bekräftigt seine Treue mit seinem Blut; Oberst Äscher, der kommandierende Offizier, veranlasst die kampflose Übergabe und versucht, auf einem Schiff aus dem Hafen zu flüchten, wird aber gefangen genommen.

In der einen Hand die Pistole, mit der anderen ihre Pferde am Zügel nachschleifend, dringen die schwedischen Reiter in die wehrlose Stadt ein, ein Haus nach dem anderen wird geplündert, diesen schlägt, diesen schießt man zu tod und war aller Orten lauter Jammer und äußerstes Elend, desjenigen was mit den ledigen und verheirateten Weibspersonen geschah, zu schweigen; zahlreiche Bewohner versuchen zu flüchten, dabei kommt es auf der überfüllten Achbrücke zu schrecklichen Szenen – im Gedränge werden viele ins Wasser gestoßen und ertrinken in der Hochwasser und Eis führenden Bregenzer Ache. Erst um fünf Uhr abends lässt Wrangel „Generalpardon und jedermann Quartier“ verkünden, das Totschlagen und Aufmetzgen hat damit ein Ende – etwa 200 bis 300 Tote sind zu beklagen, 17 Bregenzer Bürger umgekommen.

Feldmarschall Wrangel bezieht mit seinen Generälen Quartier in der Stadt, seine Soldateska, etwa 3.000 Mann, hausen zwei Monate lang in Bregenz und plündern systematisch die Häuser aus – täglich fahren mit Beute voll beladene Wagen über den Rhein, auf den Märkten jenseits des Flusses bekommen die rauen Kriegsmänner gutes Geld für den geraubten Hausrat, der in manchen Fällen von den geflüchteten Eigentümern selbst wieder zurückgekauft wird; Wrangel lässt sie gewähren. Erst am 6. März 1647 werden die Schweden die devastierte Stadt verlassen, nicht ohne vorher noch das Schloss auf dem Gebhardsberg zu sprengen und die Schanzen auf dem Pfänder zu zerstören.


Die Ermordung der burgenländischen Sinti und Roma in Kulmhof

Etwa 130 Kilometer östlich von Posen (Poznań) liegt das Dorf Chełmno nad Nerem, das die Deutschen „Kulmhof“ nennen. Hier, im Landkreis Warthbrücken im Reichsgau Wartheland, haben sie einen, wie sie meinen, guten Platz zum Massenmord durch „irgendein schnellwirkendes Mittel“ gefunden.

Für die geplante Vernichtungsstätte werden im Dorf Kulmhof ein unbewohntes Gutshaus, „Schloss“ genannt, nebst Park und Kornspeicher sowie Teile einer angrenzenden Gärtnerei gepachtet; das „Schlossgelände“ schirmt man mit einem Bretterzaun ab; ein Großteil der Dorfbewohner wird vertrieben, im November 1941 errichtet man die notwendigen Lagereinrichtungen. Am 8. Dezember 1941 kann das „Sonderkommando Kulmhof“, es sind dies etwa 15 SS- und Sipo-Männer unter dem Befehl von SS-Hauptsturmführer Herbert Lange, mit der Ermordung von Juden aus den benachbarten Amtsbezirken beginnen; getötet wird in einem großen „Gaswagen“, in den Motorabgase geleitet werden.

Wenig später sterben hier erstmals auch Österreicherinnen und Österreicher: Am 5. Januar 1942 trifft der erste „Transport“ von burgenländischen Roma und Sinti aus dem Ghetto Litzmannstadt in Kulmhof ein; bis zum 12. Januar 1942 folgen drei weitere „Transporte“. Insgesamt werden innerhalb dieser einen Woche gegen 5.000 Roma ermordet – es sind jene Menschen, die zwischen 5. und 9. November 1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert und dort unter katastophalen Verhältnissen im „Zigeunerlager“ untergebracht worden sind – es gibt keine sanitären Einrichtungen und auch keine Möglichkeit zu kochen.

Unter den Ermordeten sind viele Kinder. Die Männer des Sonderkommandos Kulmhof erhalten Lohnzuschläge: täglich zwischen 10 und 13 Reichsmark, je nach Dienstrang – sie verdienen damit mehr als das Doppelte des normalen Lohns.


„Wir erinnern uns“: Gedächtnisstätte für die Opfer des Vernichtungslagers Kulmhof (Chełmno).


Bestätigung des „Privilegium maius“


Eine geschickte Fälschung: das „Privilegium maius“, mit dem sich Rudolf IV. grundlegende Rechte für sein Haus und die österreichischen Länder sicherte. Titelseite des für Kaiser Maximilian I. angefertigten Exemplars. Haus-, Hof- und Staatsarchiv.

Kaiser Friedrich III. lädt zu diesem feierlichen Akt hochrangige Gäste in seine Wiener Neustädter Residenz, sie alle sollen Zeugen dieses für das Haus Österreich so bedeutsamen Vorgangs werden: Kardinal Nicolaus Cusanus und der Nuntius Aeneas Silvius Piccolomini, sein ehemaliger Sekretär, sind ebenso erschienen wie Friedrichs Bruder Albrecht IV., Herzog Wilhelm von Sachsen, Markgraf Albrecht von Brandenburg und zwei Pfalzgrafen bei Rhein sowie die kaiserlichen Räte und Träger der Hofämter. Jetzt endlich soll durch das Oberhaupt des Reiches bestätigt werden, was Friedrichs Großonkel Herzog Rudolf IV. so verwegen hatte fälschen lassen: jene „Freiheitsbriefe“, die die Sonderstellung der habsburgischen Dynastie festschreiben, vor allem auch das „Kernstück“ dieser Fälschungen, das Privilegium maius, eine angeblich von Kaiser Friedrich Barbarossa ausgestellte Urkunde. Zu diesen bestätigten Privilegien zählen die Erblichkeit des Lehens, Steuerfreiheit, das Recht auf Tragen der Königskrone, kein Zwang zu einer Dienstleistung gegenüber dem Reich, keine Pflicht zum Besuch der Reichstage, oberste Lehenshoheit über alle österreichischen Güter, oberste Gerichtshoheit des Landesherren, die Unteilbarkeit der habsburgischen Länder und der Titel „Erzherzog“, den Friedrich allerdings ausdrücklich nur auf die steirische Linie der Habsburger bezogen wissen will. Und allein die steirischen Erzherzöge erhalten weitere zusätzliche Rechte, so werden sie ermächtigt, neue Steuern, Zölle und Mautgebühren einzuführen, und sie dürfen Wappen verleihen und akademische Titel zuerkennen – eine Vorgangsweise, die ein praktisches politisches Ziel hat: Friedrich will damit sein Mündel Ladislaus Postumus und Siegmund von Tirol, der inzwischen der Vormundschaft entwachsen ist, ausschalten.

 

Großzügig wird jedes einzelne Privileg bestätigt, ja, man findet auch nichts dabei, angebliche Urkunden von Julius Caesar und Kaiser Nero, die Rudolf IV. in ein Diplom Kaiser Heinrichs IV. hatte „inserieren“ lassen, zu bestätigen.


Die Hinrichtung von Herbert Eichholzer

Herbert Eichholzer, geboren 1903 in Graz, ist einer der begabtesten jungen Architekten der Ersten Republik und ein politisch engagierter Mann. 1932 wird er Mitglied des Republikanischen Schutzbunds und nimmt an den Februarkämpfen teil, 1937 arbeitet er für die Vaterländische Front und nach seiner Flucht tritt er im Exil der KPÖ bei. Er ist in Februar und März 1938 einer jener aufrechten Österreicher, die aktiv dem „Anschluss“ entgegenarbeiten – als Mitglied der „Sozialen Arbeitergemeinschaft“ verteilt er Flugblätter zur von Schuschnigg angekündigten Volksabstimmung, die für ein freies Österreich eintreten. Nach dem „Anschluss“ flieht Eichholzer nach Triest, dann geht er nach Paris, wo er unter dem Decknamen „Karl Hase“ Umschulungen und Hilfe für Flüchtlinge aus Österreich organisiert.

Nach einem Aufenthalt in der Türkei bei Clemens Holzmeister kehrt Eichholzer im April 1940 nach Graz zurück – die Gestapo hat ihm eine Rückreiseerlaubnis erteilt, da er vorgibt, sich von nun an nur nationalsozialistisch betätigen zu wollen. Auf der Rückreise lernt er einen österreichischen Kommunisten kennen, der ihm den Auftrag gibt, einen Grenzverkehr nach Zagreb einzurichten. Der Kontakt zwischen dem Auslandsapparat der KPÖ und den einzelnen KPÖ-Gruppen soll dadurch verbessert werden. Doch das ist dem Architekten, der in Paris bei Le Corbusier ein Praktikum absolviert hat, zu wenig: Er beschließt, sich freiwillig zur Wehrmacht zu melden, um auch hier politisch tätig werden zu können. Unmittelbar nach seiner Einberufung am 18. Oktober 1940 beginnt er mit dem Verfassen und Verteilen regimekritischer Flugzettel; der Widerstandsgruppe gehören neben ihm noch Karl Drews, Josef Neuhold, Franz Weiß und andere an. Man nimmt sich kein Blatt vor den Mund – in einem Flugblatt, das die Euthanasie anprangert, heißt es: „Vielleicht wird auch euer Hitler, den ihr vor März 1938 in Vorausahnung schon auf die Außenseite der Feldhofmauer gemalt habt, in Steinhof, aber innerhalb der Mauer landen. (…) Kein anständiger Mensch kann mehr in dieser Partei bleiben, die kaltblütig und überlegt kranke und alte Leute mordet.“

Am 7. Februar 1941 wird Herbert Eichholzer verhaftet; am 9. September 1942 verurteilt man ihn wie Drews, Neuhold und Weiß wegen „Hochverrat“ zum Tode. Ein Gnadengesuch wird abgelehnt, das Urteil am 7. Januar 1943 im Wiener Landesgericht vollstreckt.

Seit 1992 wird von der Stadt Graz und der Technischen Universität Graz alle zwei Jahre der „Herbert-Eichholzer-Förderungspreis“ vergeben, der an die „verantwortungsbewusste Auseinandersetzung des Architekten mit den Strömungen seiner Zeit“ erinnern und diese fortführen soll.


Der Tod des heiligen Severin

Im Kloster von Favianis, dem heutigen Mautern an der Donau, bereitet sich Severin von Noricum auf den Tod vor. Es ist Mitternacht, als der Heilige, der seit drei Tagen einen leichten Schmerz in der Seite spürt, seine Brüder zu sich kommen lässt. Er sagt ihnen nochmals, was mit seinem Leichnam zu geschehen habe, und wendet sich dann mit „eindringlichen und wunderbaren Worten“ an sie, anschließend tauscht er mit jedem einzelnen der Mönche einen Kuss und empfängt das heilige Abendmahl. Severin bittet sie, nicht um ihn zu weinen, dann „machte er mit ausggestreckter Hand über seinen ganzen Körper das Kreuzeszeichen und forderte sie auf, einen Psalm zu singen. Als sie vor übermäßiger Trauer zögerten, stimmte er selbst den Psalm an und sang:, Lobet den Herrn in seinen Heiligtümern … alles, was atmet, lobe den Herrn‘“ – mit diesem Vers auf den Lippen stirbt der Heilige.

Seine Mitbrüder tun, wie ihnen geheißen worden ist. Nach der Beisetzung fertigen sie einen hölzernen Sarg an, in dem die sterblichen Überreste Severins bei der Übersiedlung des Konvents nach dem Süden, die er vorausgesagt hat, mitgenommen werden sollen. Als 488, sechs Jahre später, auf Befehl des Skiren Odoaker der Abzug der romanischen Bevölkerung aus dem Land an der Donau Wirklichkeit wird und die Prophezeiung sich erfüllt, öffnen sie das Grab und finden den „ganzen Körper vollkommen erhalten“ vor.


Der Leichnam Severins wird von der 488 aus Ufernoricum abziehenden Bevölkerung mit in die neue Heimat genommen.

Mit dem Tod des heiligen Severin, dessen Sterben uns in der Vita Sancti Severini des Eugippius überliefert ist, neigt sich die Herrschaft Westroms in Noricum dem Ende zu. Eindringlich zeigt die Schrift des Eugippius, der die Entfernung der Provinzialbevölkerung als Mitglied des Klosters von Favianis selbst miterlebt, wie Severin, ein Mann vornehmer italienischer Abstammung, allein durch seine Autorität als Seelsorger, durch sein diplomatisches Geschick im Umgang mit den Germanenfürsten und durch seine soziale Fürsorge über knapp drei Jahrzehnte hinweg – er kommt 453 nach dem Tod des Hunnenkönigs Attila an die Donaugrenze – das Schicksal der Provinz bestimmt, auch über den Untergang des Reiches 476 hinaus.

Die Gebeine des heiligen Severin von Noricum ruhen seit 1807 in der Pfarrkirche von Frattamaggiore nördlich von Neapel.


Die Hinrichtung Walter Caldonazzis

Er ist der Erste, der aus der Widerstandsgruppe um Kaplan Heinrich Maier (siehe 22. März) und Semperit-Generaldirektor Franz Josef Messner (siehe 23. April) der Gestapo in die Hände fällt: Am 25. Februar 1944 wird der 1916 in Mals in Südtirol geborene und in Kramsach aufgewachsene Forstingenieur Walter Caldonazzi in Wien verhaftet. Die „Selbständigmachung Österreichs zum Schaden des Deutschen Reiches“ wird man ihm in der Anklageschrift vorwerfen, gemeint sind damit das Verteilen von Flugblättern und die Besorgung von fiebererregenden Medikamenten für Wehrpflichtige, die dem Dienst für „Führer“ und Vaterland entkommen wollen. Vor allem aber geht es den Gestapobeamten darum, in den Verhören mit ihm mehr über Arbeitsweise und Kontaktpersonen der Gruppe zu erfahren, bereitet man doch den entscheidenden Schlag gegen Maier und Messner vor.


1184 Hinrichtungen in der NS-Zeit: der Gedenkraum im Wiener Landesgericht.

Am 28. Oktober 1944 wird Walter Caldonazzi gemeinsam mit seinen Mitstreitern zum Tode verurteilt und wartet von nun an in der Zelle E44 auf die Hinrichtung. Am 1. Januar 1945 schreibt er an seine Familie und seine Braut Hedi Kapeller: „Meine Tage und Stunden sind bereits gezählt, wisset, daß ich mein Leben gerne für die Heimat hingebe, obwohl mich der Gedanke an meine Hedi und Hertha so manche bittere Träne kostete. Ihr wißt, ich war immer ein Gegner des Krieges, immer ein Feind des geistlosen preußischen Militarismus. Macht mir keine Vorwürfe, bitte, mir war dieser scheußliche Tod vorgezeichnet, ich trage mein Los voll treu ergeben als treuer Christ. Eine Freude hätte ich, das heißt Bitte: Bringt mir am schönsten Platz der Welt, wie es mir schien, am Almkranz auf der Praa-Alm ein Marterl an, mit der Bitte um Gebet und den Worten, O Land Tirol, mein einzig Glück, dir sei geweiht mein letzter Blick!‘“

Walter Caldonazzi, der „unentwegte Österreicher“ und engagierte Burschenschafter – er ist seit seiner Gymnasialzeit bei der Kufsteiner MKV-Verbindung „Cimbria“ und seit 1937 Mitglied der Wiener „Amelungia“ –, der für die Monarchie als Staatsform wirbt, ist ein tief religiöser Mensch und tritt mit dem Ruf „Es lebe Christus der König!“ den Weg zum Schafott an; er stirbt um 18.04 Uhr.

Gedenktafeln in Kufstein und Kramsach sowie auf der Praa-Alm und der Walter-Caldonazzi-Platz in Wien-Hietzing, auf dem 2008 ein Gedenkstein enthüllt wird, erinnern an den Tiroler Widerstandskämpfer.


Die Anarchistenmorde

Am Abend des 10. Januar 1884 geht die Nachricht wie ein Lauffeuer durch Wien: Im „Apothekerhaus“ in der Mariahilfer Straße 55 sei der Wechselstubenbesitzer Heinrich Eisert überfallen und durch einen Axthieb gegen den Kopf schwer verwundet und verstümmelt worden; sein elfjähriger Sohn Rudolf sei getötet, der neunjährige Heinrich ebenfalls schwer verletzt worden, die 65-jährige Caroline Baier, die Französischlehrerin der beiden Kinder, habe ebenfalls eine Verwundung erlitten; ein großer Teil der Wertgegenstände in der Wechselstube sei verschwunden.


Anton Kammerer versucht, sich bei seiner Verhaftung den Weg freizuschießen.

Die Täter, so kann man bereits am nächsten Morgen in den Blättern der Hauptstadt lesen, seien zwei Männer gewesen, einer davon groß und schlank „mit schwarzem Haar und ebensolchem Backenbart“; das „grauenvolle Verbrechen“, so erkennen die Ermittler der Polizei schnell, trägt die Handschrift der beiden „Anarchisten“ Anton Kammerer und Hermann Stellmacher, die wenig später wieder töten: Am 25. Januar 1884 wird der Polizeiagent Ferdinand Blöch auf offener Straße erschossen; Heinrich Eisert erliegt am 22. Januar seiner schweren Verletzung, Sohn Heinrich stirbt vier Tage später. Bereits am 15. Dezember 1883 hatten Kammerer und Stellmacher in Floridsdorf den Polizeibeamten Franz Hlubek erschossen. Nach den Morden tauchen jeweils Flugblätter auf, in denen den „Ordnungskanaillen vom Schottenring“ der „Kampf mit allen Mitteln“ angesagt wird – Wasser auf die Mühle der Regierung Taaffe, die nun glaubt, scharf gegen die radikalen Exponenten der Arbeiterbewegung vorgehen zu können: Am 30. Januar 1884 verhängt die Regierung Eduard Taaffe über die Sädte Wien, Wiener Neustadt und Korneuburg den Ausnahmezustand; bis zum 17. Februar 1884 werden 238 Personen wegen „anarchistischer Umtriebe“ aus Österreich-Ungarn ausgewiesen; Prozesse wegen Hochverrats, „Geheimbündelei“ oder der Verbreitung verbotener Druckschriften sind an der Tagesordnung; am 25. Juni 1888 wird vom Abgeordnetenhaus im Reichsrat ein „Sozialistengesetz“ mit zweijähriger Geltungsdauer verabschiedet, das starke Einschränkungen des Versammlungsrechts sowie die strenge Überwachung des Vereinswesens und der „sozialistischen“ Presse vorsieht.

Kammerer und Stellmacher werden am 28. Februar 1884 verhaftet, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Presse (!) werden beide zum Tode verurteilt und hingerichtet: Stellmacher am 8. August 1884 im Landesgericht, Kammerer, der 1882 vom Infanterieregiment Nr. 84 desertierte, in der Alser Kaserne.