Czytaj książkę: «Der Fuchs»
Inhaltsverzeichnis
Impressum 2
Widmung und Dichtung 3
Das olympische Feuer 4
Der Mondstein 5
Prolog 6
Erstes Kapitel Agora 9
Zweites Kapitel Nimbus 36
Drittes Kapitel Xenia 53
Viertes Kapitel Prinzipat 85
Die Ballade vom kalten Winter 112
Fünftes Kapitel Portale 113
Sechstes Kapitel Scettro 168
Siebtes Kapitel Tradimento 201
Achtes Kapitel Familia 232
Epilog Der Hintergrund Eine kleine Geschichte des Krieges 236
Glossar 238
Impressum
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© 2021 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99107-635-3
ISBN e-book: 978-3-99107-636-0
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Widmung und Dichtung
Für Hannah, Veronika, Dzeneta,
meine allerbesten Freundinnen,
die diesen Wahnsinn mitgemacht haben.
Danke.
Das olympische Feuer
Flamme hoch und hell,
heile was da war,
gerinnen soll das Blut,
scheine wie Gold so klar.
Flamme, oh, wie schön,
weichen soll das Gift,
leuchte durch die Nacht,
bis man die Sonne trifft
und erstarkst durch ihre Macht.
Flamme hoch und hell,
eine was da war,
zur Unsterblichkeit hinauf,
lege uns die Hoffnung dar.
Der Mondstein
Fels scharf und kalt,
zerstöre, was da war,
fließen soll das Blut,
räche mir das, was ich sah.
Fels, oh, wie schrecklich,
rotte Tier wie Pflanze,
verschling des Tages Licht,
durchbreche spitz wie Speer und Lanze,
bis aller Widerstand an deinen Wogen bricht.
Fels scharf und kalt,
vernichte, was da war,
bis in die Ewigkeit hinaus,
lösch uns das Leben aus.
Prolog
Dunkelheit umfing die Welt. Bald schon würde das Feuer endgültig erlöschen. Langsam brannte die rote Flamme, kurz bevor die Nacht alles verschlingen würde. Ein Mann mit blondem Haar und grimmigem Gesichtsausdruck hockte regungslos davor. Sein Blick war starr in die Ferne gerichtet. Neben ihm lag, sich windend und zitternd, sein verwundeter Gefährte. Reflexartig breitete der Erstgenannte eine warme Decke über dem anderen aus. Saphirblaue Augen studierten eingehend und emotionslos die am Boden liegende Kreatur. Einst hätte man sie als Feinde bezeichnen können. Wahrhaftig als die Schlimmsten jener Sorte, doch nun war das völlig belanglos. Wenn das Ende kam, war nichts mehr von großer Bedeutung. Bald war alles vorbei, für immer. Nichts war mehr wichtig.
Die Nacht, die zuvor schon überaus ungemütlich kühl und feucht gewesen war, zeigte sich nun von ihrer grausamen Seite. Es war bitterkalt, und kleine Eisgebilde hoben sich klar und deutlich vom finsteren Bergmassiv in ihrem Rücken ab. Der Blondschopf seufzte und fragte sich, wie ihr gemeinsames Unterfangen nur so furchtbare Dimensionen hatte annehmen können. Der Wind wurde stärker. Er fröstelte. Mit der festen Überzeugung, dass sich sowieso nichts mehr gegen das drohende Unheil ausrichten ließ, griff er sich die zweite Decke, um sie sich um seine Schultern zu schlingen. Eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er stellte fest, dass das Fieber des Verletzten zugenommen hatte. Wortlos legte er das letzte Holz nach. Abermals flackerten die Glutstücke auf. Gierig züngelte das Feuer nach den trockenen Ästen und Zweigen.
Schwach ließ sich eine Stimme vernehmen: „Du traust mir immer noch nicht, oder?“ – „Wieso sollte ich, schließlich hast du mir nie einen gewichtigen Grund geliefert, dir nicht zu misstrauen!“, kam die gehässige Antwort. Sie schwiegen abermals. Stille. Totenstille.
„Manchmal frage ich mich, was genau ich dir eigentlich getan habe, dass du mich immer noch so sehr hasst.“ – „Das Wort,eigentlich‘ ist relativ, und ich brauche keinen Grund, um zu hassen. Ich bin schlicht und ergreifend Antimonarchist.“ Die blauen Augen funkelten bedrohlich. „Ich lasse mir von niemandem etwas vorschreiben. Diese gesamte Bagage zielt doch nur darauf ab, die Masse zu schikanieren und sich an ihr zu bereichern!“ – „Dass ich nicht lache, du warst ja auch nie ein zimperlicher Kostverächter. Davon abgesehen ist dir wohl kaum in den Sinn gekommen, dass ich derselben Ansicht sein könnte?“ – „Maße dir nicht an, mich zu kennen! Wir haben nichts gemeinsam!“ Scharf und böse hingen die Worte in der Luft. Das Feuer malte lange Schatten an die Felsen. „Ich bin kein Verlierer, wie du einer bist“, fügte die erste Stimme hinzu und übertraf in ihrer Kälte noch den Nordwind. „Verlieren ist keine Schande, es gehört nun mal dazu, wie alles im Leben!“ Ein Hustenanfall unterbrach ihn. „Ha, für so naiv hatte nicht mal ich dich gehalten. Mein Lieber, es gibt nur Sieg oder Niederlage, und der Schwächere zahlt den Preis. So war es schon seit Anbeginn, und so wird es auch in Zukunft sein. Mich wundert es kaum, dass ihr den Krieg damals verloren habt. Ihr seid alle so aufopferungsvoll und gutherzig und dabei so schrecklich dumm!“ Nun zeigte sich auch bei seinem Gegenüber Unmut. „Wenn du uns alle für so beschränkt und nutzlos hältst, wozu kämpfst du dann noch?“ Stille.
„Ich kämpfe für etwas, das Leute wie ihr Trojaner nie verstehen werdet!“, spuckte Achilles dem anderen abfällig entgegen. Der Hohn wie auch seine Arroganz unterstrichen wie üblich die unfreundlichen Worte. „Dir ist schon klar, wie absurd diese Argumentation ist, oder, Pelide?“ Achilles horchte auf. Mit einem derart klugen Einwand hatte er nicht gerechnet. „Ist doch ganz egal, ich gehöre nur nicht zu dieser Art von Bürgern, die fremdbestimmt irgendwelchen Narren ins Verderben folgen. Ich werde mir immer die Freiheit nehmen, selbst zu entscheiden.“ – „Klar, so etwas wie Verantwortung ist dir ja völlig fremd! Hast du jemals daran gedacht, dass alles Tun auch Folgen hat?“ – „Nein.“ Eine einfache Antwort. Achilles dachte bei sich, ob man im Prinzip nicht in allen Lebenslagen mit diesem kleinen Wort auskam. „Nein, dafür bist du ja schließlich zuständig, mein lieber Hektor.“
Erstes Kapitel
Agora
Aber wie war es eigentlich zu diesem Gespräch gekommen? Die gesamte Misere nahm an einem Dienstagmorgen ihren Lauf und hätte wohl kaum harmloser oder banaler beginnen können. „Odysseus, Schatz, könntest du auf dem Rückweg Milch und Brot mitbringen? Es geht zur Neige!“ – „Sicherlich, Penny, für meine liebe Frau tue ich alles.“ Der König von Ithaka stand auf, um sich die Schuhe anzuziehen. Dabei fiel sein Blick auf die Frühausgabe der Korinther Zeitung. „Diese Aktienkurse treiben ja jeden vernünftigen Menschen zur Verzweiflung“, knurrte er, belustigt über die Einfältigkeit mancher Landsleute. „Hast du übrigens unseren Sohn heute schon gesehen?“, fragte er Penelope, bevor er zur Tür hinaustrat. Diese schüttelte nur den Kopf. „Götter, wie schön sie ist. Das wundervollste Mädchen, das ich je treffen konnte“, dachte Odysseus, wie er seinen Hund Argos an der Leine nahm und Richtung Agora, dem Marktplatz, spazierte. Das Leben im Jenseits ließ sich gut ertragen. Bis zu diesem Tag.
Auf dem Markt angelangt, jagte Argos gleich ein paar Hühnern hinterher. Laut bellend versuchte er, auch den listigen Odysseus für diese Tiere zu begeistern. „Argos, sitz und sei brav. Penny hat gesagt, dass wir Milch und Brot beschaffen sollen und keine Hühner ärgern.“
Traurig blickte der Hund zu seinem Herrn auf. Dann legte er sich flach auf den Boden und hielt sich die Pfoten über den Kopf. Odysseus verdrehte entnervt die Augen. „Also gut, aber nur für zehn Minuten!“ Der Hund machte einen freudigen Luftsprung, danach verschwand er kläffend vor Freude in dem Haufen von Federvieh. Jedoch sollte es länger dauern, bis der Listenreiche wieder zurückkam. Das Brot unter den Arm geklemmt, stand er in einer langen Schlange, die sich vor dem Milchladen gebildet hatte. „Zweitausendvierhundertfünfzig Drachmen für einen Viertelliter, für das Geld bekomme ich in Makedonien eine halbe Kuh!“, empörte sich eine Stimme, die Odysseus durchaus bekannt war. „Tut mir außerordentlich leid, Pat, aber so sind die Preise“, erwiderte Orestes, während der andere ungeduldig mit den Fingerkuppen auf die Theke trommelte. „Auch, wenn ich mich auf den Kopf stelle, würde König Minos die Milchsteuer nicht verringern, also willst du die verdammte Kanne kaufen, oder nicht?“ Wütend schleuderte Patroklos Orestes das verlangte Geld hin. „Eine haushohe Überteuerung ist das. Dieser Wucher allein grenzt ja schon an Betrug!“ Dann war er weg. Odysseus war als Nächster dran und – sagen wir mal so – ihm behagte der Preis noch weniger als dem jungen Mann vor ihm. „Orestes, willst du mich in die Insolvenz treiben?“ Der listige König von Ithaka sah den jungen dunkelhaarigen Griechen herausfordernd an. „Ich sicherlich nicht, aber König Minos wäre wohl kaum besonders bestürzt darüber.“ – „Was, ich dachte immer, als Richter in der Unterwelt macht der nur so juristischen Kram, seit wann bitteschön sind denn auch die Finanzen unter seiner Kontrolle?“ Odysseus blickte finster um sich. Das waren wirklich heitere Zukunftsaussichten. „Nun, Aietes und er berauben und erpressen mit ihren Sturmtruppen nach Lust und Laune die Leute. Sie haben bereits eine Menge Bürokraten unter ihrer Gewalt. Das geht schon mindestens ein paar Monate so. Sonst noch Fragen? Falls nicht, würde ich gerne weiter meine Kundschaft bedienen. Wiedersehen!“ Nun war Odysseus ja nicht gerade auf den Kopf gefallen, sein Verstand war der beste im antiken Griechenland, und trotzdem starrte er nun völlig perplex und ratlos auf das Schild, das frische Mittelmeerfrüchte bewarb. Vielleicht, hatten die Zitronen und Granatäpfel, wenn er sie nur lange genug anschaute, eine Lösung für ihn parat. Ja, König Minos war schon ein Problem an sich. Und obwohl der einstige Richter und König der Insel Kreta brutal, korrupt und gierig war, stand er seinem eigenen Schwager dann doch noch um etwas nach.
Kopfschüttelnd ging der Listenreiche auf und ab. Sein Hund Argos war in der Zwischenzeit auf Telemachos gestoßen. Er war der Sohn von Penelope und Odysseus und der Einzige mit einem vergnügten Gesichtsausdruck – denn er war frisch verliebt. Verträumt sprang er über Kisten und zwischen Ständen hindurch, als ob es sich um eine hell erleuchtete Waldlichtung handelte und nicht um eine dicht gedrängte Menschenmenge. „Jetzt ist er völlig verrückt geworden“, stellte Patroklos fest. Bedrückt sah er seinem Freund nach, während dieser laut lachend über die Agora rannte. „Ich hab’s ja schon immer gesagt, die Liebe macht irre!“, zischte jemand hinter ihm. Pat schaute erstaunt zurück. Es war sein älterer Cousin und Lehrmeister, der große Achilles, der ihm in diesem Moment seine Hand um die Schulter legte. „Für Telemachos hoffe ich, dass es ein gutes Ende nimmt. Er hat es wirklich verdient.“ – „Jaaa, und ich verdiene ein Bruttogehalt, das es mir erlaubt, auch weiter Milch zu kaufen. Dieser Minos hat sie ja wohl nicht mehr alle!“, sagte Achill gedehnt und fügte spitz hinzu: „Für den Fall, dass er gedenkt, auch noch die Getreidepreise in die Höhe zu jagen, sehe ich mich gezwungen, uns zukünftig nur von Wasser und Algen zu ernähren!“ Langsam schritten sie über den Platz, auf dem weitere Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände feilgeboten wurden. „Nun, irgendwann wird er selbst auf den Produkten sitzen bleiben. Wenn es kein neues Angebot gibt, bleibt die Nachfrage aus. Damit würde Minos einfach seine eigenen Pläne durchkreuzen“, stellte Patroklos klug fest. „Ach, Pat, bis dahin sind wir alle elendig an einer Hungersnot verreckt.“ Darauf wusste auch sein Schüler keine Antwort.
Am Abend war Odysseus völlig fertig. Seinen Hund an der einen, den spärlichen Einkauf in der anderen Hand und seinen verknallten Sohn im Schlepptau, machte er sich auf den Weg nach Hause. „Vater, wie hast du Mutter eigentlich gesagt, dass du sie liebst?“, sagte Telemachos plötzlich. Der Angesprochene blieb abrupt stehen. „Wieso fragst du?“ – „Nur reines Interesse.“ Sein Vater warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Wer ist denn die Glückliche?“ Doch die Antwort blieb aus.
Penelope umarmte zuerst Telemachos und dann ihren Ehemann. Odysseus sog sofort genüsslich den blumigen Duft ihres schwarzen Haars ein. Seine Frau schmiegte sich an ihn. Sie kicherte leise. „Du könntest dich wirklich wieder einmal rasieren.“ – „Ach so, könnte ich das?“ Er fuhr mit einer Hand durch ihre dichten Locken und legte seine Lippen an ihr Schlüsselbein. Mit einem Ruck zog er sie noch dichter an sich. „Was würde ich nur ohne dich tun, Penny?“, murmelte er leise. „Vielleicht selbst das Holz hacken und das Unkraut jäten.“ Er spürte ihre weichen Hände auf seinen Schultern ruhen. „Komm her!“ Aus seiner Stimme war eindeutiges Verlangen zu hören. Odysseus hob sie kurzerhand hoch, einen Arm unter ihren Kniekehlen, den anderen um ihren Rücken geschlungen. Zu zweit wirbelten sie durch das gesamte Vorhaus in Richtung der kleinen Küche. Dort angekommen, legte er Penelope über den Tisch, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie leidenschaftlich. Der Geschmack ihrer Lippen ließ ihn jedes Mal Zeit und Raum vergessen. Ihr Mann positionierte sich zwischen ihren Schenkeln und war gerade im Begriff, ihr Kleid zu öffnen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Einmal, dann nochmals etwas fordernder. „Erwartest du heute noch Besuch?“, fragte Penelope etwas verwundert. „Ich nicht. Du etwa, Penny?“
Doch dieser späte Besuch, der es nicht für nötig gehalten hatte zu warten, ob sich vor dem dritten Klopfen jemand um ihn scherte, war einfach eingetreten. Jetzt stand er mitten in der Küche. „Oh, Verzeihung, störe ich bei irgendetwas Wichtigem?“, fragte Achilles, amüsiert über diese leicht peinliche Situation. „Bei Hermes und Pallas Athena, schon mal was von einer Hausordnung gehört? Was fällt dir ein, hier hereinzuschneien, Pelide?“ Der Listenreiche warf dem Unverwundbaren einen vernichtenden Blick zu, denn schließlich hatte der Sohn der Göttin Thetis ihn gerade um ein paar vergnügte Stunden mit seiner Frau gebracht. „Schämst du dich gar nicht?“ Noch während er die Frage stellte, merkte er, wie überflüssig sie war. Achilles hatte sich noch nie im Leben für irgendetwas geschämt. Der Blonde musterte kurz die leicht bekleidete Penelope, dann wandte er sich an ihren Ehemann. „Patroklos ist weg! Ist er bei euch gewesen?“ Achill wirkte zornig und etwas frustriert. „Nein, brauchst du ihn für etwas Besonders?“, flüsterte Penny. „Brauchen?“ Achill wiederholte dieses Wort, als kenne er dessen Bedeutung nicht. „Nein, ich nicht, aber es ist doch immer gut zu wissen, wo die Verwandtschaft sich rumtreibt, ob man sie braucht oder nicht.“ Diese Anmerkung erschien logisch. Odysseus gab resigniert die Hoffnung auf eine angenehme Nacht auf, denn ihm dämmerte, dass Achill ihn auffordern würde, nach Patroklos zu suchen. Die Sorgen konnte der Blondschopf nicht ganz unterdrücken, dafür lag ihm zu viel an dem Kleinen. Dieser Tatsache war sich auch Odysseus bewusst. Er küsste seine Frau zum Abschied und versprach, bald wieder zurück zu sein. Penelope ordnete ihr Gewand und begleitete ihren Mann noch zur Haustüre. Und schon war er mit Achilles auf der Suche nach dem jungen Burschen.
Der Pelide fegte mit seinem achtspännigen Kampfwagen durch die Landschaft. Odysseus war mit seinem Zweispänner weit zurückgeblieben. Missbilligend starrte Achill ihn an. „Sag mal, Listenreicher, was ist mit deinen Pferden los, die werden ja von jeder Schnecke überholt. Sind die etwa auch aus Holz?“ Ein Blick genügte, und Achilles stellte den Spott sofort wieder ein. „Komm, lass uns weitersuchen, bevor die Dunkelheit uns überrollt.“ Es folgte nur ein bestätigendes Kopfnicken der Gegenseite.
Doch es sollte sich als nahezu unmöglich erweisen, Pat zu finden. Der Mond zeichnete sich voll und rund am Horizont ab, als Achilles seine Wut, die aber auch nur Verzweiflung sein konnte, laut hinausschrie. Er brüllte mindestens acht Minuten lang so laut, dass ein Rabe tot vom Himmel fiel. Odysseus hielt sich vor Schreck die Ohren zu.
Ohnmächtig, die Suche weiterzuführen, blieb Achill einfach vor seinem Wagen sitzen. Vor Wut über sein Versagen traten ihm Tränen in die Augen. „Pat, mein Kleiner, wo bist du bloß?“ Schließlich fasste er einen bitterbösen Entschluss. „Ich schwöre, wer auch immer für dein Verschwinden verantwortlich ist, ich werde ihn finden und ihm dann seine Knochen bei lebendigem Leib einzeln herausreißen, bis er langsam daran krepiert!“ Bedrohlich flackerten Achills eisblaue Augen. „Niemand vergreift sich straflos an meinem kleinen Pat.“ Odysseus einfach ignorierend stand Achill auf, packte sein Schwert und verschwand wortlos im Dunkeln. Den armen Odysseus ließ er frierend alleine zurück. Es schien ihm zutiefst absurd, dem Abgott weiter zu folgen. Dieser war schon längst außer Reichweite. Odysseus kam es klüger vor, wieder nach Hause zu fahren. Er schirrte die Pferde an.
Penelope schlief bereits tief und fest in ihrem Bett. Odysseus ließ sich entkräftet neben sie fallen. Die Wärme seiner Frau beruhigte seine wirren Gedanken, die ziellos durch seinen Kopf geisterten. Ihre Hand legte sich auf seine Brust. Müde lächelte er, als er ein leises Stöhnen vernahm. Seine Finger glitten ihre schlanken Beine hinauf und zeichneten dabei jede Rundung und jede Kurve nach. Zufrieden entspannte sich sein Körper endlich. Doch Schlaf sollte keiner kommen in dieser Nacht.
Um Schlag drei Uhr nachts flog ein schwerer Gegenstand durch das Fenster und explodierte auf dem Boden des Zimmers. Sofort ging die gesamte Einrichtung in Flammen auf. Überall war Feuer. Begierig fraß es sich die Möbel und Textilien entlang. Das Erste, was Odysseus vernahm, waren die Schreie seiner Frau. „Es brennt! Es brennt, Odysseus! Unser Haus brennt ab!“ Er hatte nur einen Gedanken. – Raus hier. Sofort!
Penelope lief nur mit einem Schuh an den schmalen Füßen los. Telemachos und der Hund waren bereits aus dem Haus gestürmt, sobald sie die Explosion vernommen hatten. Der Sohn des Hauses war in der Küche eingeschlafen, als er sich vor Hunger über die alten eingelegten Rüben hergemacht hatte. Wildes Bellen und Jaulen hatten ihn rechtzeitig geweckt. Der Hund witterte sofort die Gefahr. So waren nur noch Odysseus und Penelope im Gebäude, das jeden Moment einzustürzen drohte. Die Treppe ins Untergeschoß war weggebrochen. Zu allem Überfluss fielen donnernd brennende Balken vom Dach hinab. Dadurch wurde Odysseus von seiner Frau getrennt, obgleich er ihre Hand fest umschlungen hatte. Sie stolperte. Ohne es zu wollen, ließ sie seine Hand los. Im nächsten Moment versperrten Flammen und Geröll den Weg. Odysseus konnte nur noch ihre erstickten Hilferufe hören. „Penne, Penne, bitte … sag doch was, Penelope! – Penelope antworte mir, bitte!“ Er merkte, wie der Rauch ihn im Hals kratzte. Hustend und keuchend brach er zusammen. Neben ihm loderte das Feuer heiß und vernichtend weiter. Er schloss verzweifelt die Augen. Das wäre wohl das Ende der Eheleute aus Ithaka gewesen, wenn nicht Achilles zurückgekommen wäre. Nachdem dieser festgestellt hatte, dass ihm niemand mehr folgte und ihn bei seiner Suche unterstützte, brach er sie schweren Herzens ab. Nur eine halbe Stunde trennte ihn von Odysseus‘ Haus. Jedoch legte er sich nicht schlafen, sondern ging ratlos und fluchend auf seinem Balkon auf und ab. Verwünschungen ausstoßend trabte er in seinen kleinen Garten mit den netten Bäumen und schönen Hecken. Da zog die hellgelbe, grelle Feuersbrunst die Aufmerksamkeit des Abgottes auf sich. Es tat schon fast weh, sie anzusehen, eine reine Qual für das menschliche Auge. Achilles, der schon immer mehr ein Mann der Tat als des Kopfes war, stürzte sich ohne weiter nachzudenken geradewegs in das brennende Haus, während Telemachos mit dem Hund verängstigt und verwirrt auf der Straße saß. Achilles packte zuerst die am Boden liegende Penelope und zog Odysseus dann mit sich. Noch nie war er selbst so froh darüber gewesen, unverwundbar zu sein. Pallas Athena sei Dank waren sie alle gerettet.
Kaum waren sie aus dem brennenden Haus entkommen, brach Penelope zusammen. Bewusstlos lag sie auf dem Weg. Odysseus übergab sich hustend neben ihr. Als er aufsah, hätte er lieber nicht gesehen, was da vor ihm saß. Ein fetter und hässlicher Drache hockte vor ihm. Odysseus kniete zwischen Schutt und Asche, und über ihm thronten zwei finstere wie bedrohliche Gestalten. Ein heiseres Lachen ertönte. Es klang, als würden Nägel über eine Säge kratzen. „Der große Odysseus, sieh an, sieh an! Der schlauste aller Griechen. Ich möchte sehr hoffen, dass dir unsere kleine Inszenierung hier zugesagt hat.“ Eine Schwertklinge legte sich unter sein Kinn und zwang so seinen Blick nach oben. Vor ihm stand ein Mann, groß gewachsen und mit eingefallenen Augen. Sein schwarzes Haar wurde von einem prächtig verzierten Helm verdeckt. Der Federbusch wie auch sein Umhang waren tiefschwarz. Ein wenig glich er mit diesem Aussehen einem riesigen bösartigen Raubvogel. Geringschätzig musterte er den König von Ithaka, als wäre dieser etwas sehr Ekelhaftes. Achilles zog seinerseits sofort sein Schwert, sowie er bemerkte, dass seine Freunde in Schwierigkeiten steckten. „Na, na, das willst du nicht wirklich. Ich wünsche keine faulen Tricks von euch Bauerngesindel!“
Wütend sah Achill, dass die beiden Fremden sich den jungen Telemachos gekrallt hatten. „Die Waffen weg, oder ich schlitze dem Jungchen hier langsam die Kehle auf!“ Um dem Gesagten noch Nachdruck zu verleihen, schnitt sich ein Messer langsam in die Halsbeuge des Jünglings. „Wartet, was wollt ihr von mir?“ Odysseus hatte trotz seines Entsetzens seine Sprache wiedergefunden. „Ich war ein Narr, jemals eine hohe Meinung über deinen Verstand zu haben, Bastard. Ich will mein Geld, und du wirst es mir bringen, ob du möchtest oder nicht!“ Nun schaltete sich Achilles wieder ein. „Das ist lächerlich. Wir lassen uns doch nicht einfach erpressen!“ Aber weder der Fremde noch die Leute aus Ithaka schienen ihn zu hören. Es war, als ob er gegen eine Wand redete, obgleich er nur drei Meter entfernt stand. „Aber ich habe überhaupt kein Geld!“, rief Odysseus verzweifelt aus. „Spar dir deine dreckigen Lügen und zahle gefälligst!“ Der Mann holte aus und schlug ihm mit dem Heft des Schwertes ins Gesicht. Der Listenreiche spürte zuerst das Blut spritzen, dann hörte er, wie sein Nasenrücken brach. Es war kein besonders schönes Geräusch. „Bis Freitag gebe ich dir Zeit, ansonsten würde es mich durchaus freuen, der Beisetzung deines Sohnes und deiner schönen Frau beizuwohnen.“ Daraufhin drehte sich der Mann um und schwang sich elegant auf den Rücken des Lindwurms. „Und um zu gewährleisten, dass ihr keine Regeln brecht, hast du wohl auch nichts dagegen, wenn ich Telemachos hier umquartiere. Abgesehen davon hat ein Tapetenwechsel noch nie jemandem geschadet. Man sieht sich!“ Damit flog das Ungeheuer auf mächtigen Schwingen mit den Dreien davon. „Wartet, König … Aietes!“, zischte Odysseus aus, dessen Stimme unwillkürlich in ein Decrescendo übergegangen war. Penelope klammerte sich schmerzhaft in die Schulter ihres Gatten. „Was hast du getan? Was hast du nur getan?“ Tränen rannen ihre schönen Wangen hinunter. Weinend lehnte sie sich an die Brust von Odysseus. Dieser saß immer noch, wie vom Blitz getroffen, gänzlich erstarrt am Boden. „Sag doch was, bitte! Wieso sagst du nichts?“, schrie sie ihren Ehemann nun förmlich an. Sie trommelte mit den Fäusten gegen sein Brustbein. Danach schlug sie ihre Hände über den Kopf, und Krämpfe durchzuckten ihren Körper.
Achilles hatte unterdessen aufgehört, derbe Flüche gegen alles und jeden auszustoßen. Denn bald musste er sich eingestehen, dass das zu rein gar nichts führte.
Odysseus hatte sich unterdessen die Ohren zugehalten und versucht, einen klaren und rationalen Gedanken zu fassen. Dann kam er zu dem niederschmetternden Schluss, dass sie zahlen mussten. Nachdem er dem anderen seine Lösung präsentiert hatte, verfiel der Abgott in einen seiner berühmten cholerischen Wutanfälle. „Tut, was ihr nicht lassen könnt, wenn ihr euch gerne erpressen lasst, bitte!“ – „Nicht jeder ist unverwundbar, Pelide!“ Der Angesprochene überhörte diesen unterschwelligen Vorwurf. „Jeder, wie’s ihm beliebt, ich suche weiter nach Pat, und wehe dem, der mich aufzuhalten versucht!“ Mit hoch erhobenem Kopf stolzierte der Blonde von dannen. Odysseus wischte sich mit dem Handrücken das Blut ab und blickte ihm lange nach.
Nun wollt ihr Leser sicher wissen, was mit Patroklos geschehen ist. Nach dem Zwischenfall auf der Agora war der Bursche mit Achilles nach Hause gegangen. Am selben Abend noch gerieten die beiden in einen großen Streit. Der Abgott, der seinem geliebten Schützling sonst jeden Wunsch von seinen wunderschönen großen Augen ablas, blieb dieses Mal unerwartet kalt und verschlossen. Ein Wort gab das andere. Patroklos blieb stur. In dieser Hinsicht kam er ganz nach seinem Lehrmeister. Wütend und enttäuscht schrie der Jüngere ihn an. „Nie sagst du, was los ist! Nie darf ich dich bei deinen geheimen Missionen begleiten! Nie scherst du dich darum, wie es mir wohl geht!“ Achill blickte lange in diese grünblauen Iriden, welche, seiner Meinung nach, die Krönung der Schöpfung darstellten. Es fiel ihm sehr schwer, dem Flehen nicht nachzugeben. Pat hatte er bisher noch nie etwas abschlagen können. Doch er blieb hart. Der göttliche Auftrag seiner Mutter Thetis erforderte äußerste Geheimhaltung und Diskretion. Folglich kein Wort zu niemanden, auch nicht zu Patroklos. Obwohl es ihm beinahe das Herz zerriss, ihn so voller Gram und Missgunst zu sehen, sagte er nichts. Irgendwann, so dachte der Pelide, würde Pat das vielleicht verstehen. Irgendwann, wenn er reifer, erfahrener und vernünftiger war. Dieser Gedanke des Achilles erschien vielleicht etwas absurd, da er auch nicht gerade zu den Denkern zählte, doch die Vergangenheit hatte ihn einige Lektionen gelehrt. Eine davon war, auf Patroklos zu achten und ihm nicht alles durchgehen zu lassen.
Er nahm seine gesamte Autorität und Dominanz zusammen, um seinem übermütigen Schüler einmal so richtig über dessen vorlautes Mundwerk zu fahren. „Nein! Dabei bleibt es. Wage es nicht, mit mir zu diskutieren, denn ich bleibe dabei. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen und kann mich nicht in jede Kleinigkeit, über die auf der Agora getuschelt wird, einmischen!“ – „Aber, das ist ein richtiger Skandal!“ Patroklos konnte nun seinen Eifer und den Tatendrang nicht mehr verhehlen. Sein Lehrmeister sollte ruhig sehen, welche krummen Geschäfte er, nämlich Pat ganz allein, da aufgedeckt hatte. In seiner Vorstellung hatte Achilles ihm für seine kluge Vorgehensweise gratuliert und ihn vor Stolz gelobt. Doch das Gegenteil war eingetreten. Achilles war weder von dem Wirbel um die Milchsteuer im Allgemeinen noch von seinem Schüler im Besonderen erbaut. Leider verringerte seine herrische Attitüde die Missverständnisse beider Parteien nicht im Geringsten. „Ich glaube es nicht, dass du einfach dabei zusiehst, wie unsere Landsleute von König Minos um ihr Geld gebracht werden! Wieso, verdammt noch mal, tust du nichts dagegen?“ Der Streit war mittlerweile bis auf die Straße zu hören. „Pat, das kann ich dir nicht sagen, du würdest es noch nicht verstehen!“ – „Ach, für dumm willst du mich jetzt auch noch verkaufen? Schön, ich helfe ihnen wenigstens, damit sie nicht im Schuldenturm landen oder verhungern!“ – „Patroklos, bitte, jetzt sei doch nicht gleich so melodramatisch!“ Achilles seufzte entnervt. Dieses gesamte Gespräch strapazierte seine ohnehin nicht große Geduld besonders. „Ich kann ihnen nicht helfen, selbst wenn ich wollte!“ – „Ich fasse es nicht, dass du uns einfach so verrätst …“ Weiter kam er nicht. Achill hatte ihn mit einem festen Schlag zum Schweigen gebracht. „Niemand nennt mich Verräter, hörst du? – Niemand!“ Ein zweites Mal bekam der Jüngere die Hand des Älteren zu spüren. Entsetzte grünblaue Augen sahen zu dem Abgott auf, der sogleich bereute, Gewalt angewandt zu haben. „Verfluchte Verdammnis! Pat, es tut mir leid. Das wollte ich nicht, hörst du, es tut mir leid!“ Doch der Schüler stürzte verängstigt und verstört aus dem Haus. Achilles und dessen Wutanfall im Gedächtnis, rannte er orientierungslos einfach geradeaus. „Ich muss vollkommen von Sinnen sein! Ich habe Pat geschlagen. Ich habe ihm ins Gesicht geschlagen, weil er nicht hören wollte.“ Achilles fuhr sich, entsetzt über sich selbst, durch das blonde Haar. Dann rannte er ihm hinterher. Doch Patroklos war längst verschwunden. „Was habe ich bloß getan? Pat, bitte komm zurück!“
Der Wind nahm bedrohlich zu. Ihm folgte ein regelrechtes Unwetter. Das wäre schon in einem Wagen nicht ganz ungefährlich gewesen. Eine halbe Stunde später vermutlich hatte er Sturmstärke erreicht. Von den Dächern fielen Ziegel herab, und sämtliche kleinen Bäume wurden entwurzelt. Zusätzlich schüttete es Wassermassen vom Himmel, die Achilles annehmen ließen, das Mittelmeer sei ausgepumpt worden, um es anschließend wieder über seinem Kopf auszuleeren. Die Sintflut war dafür sozusagen nur ein Hilfsausdruck.
Zur selben Zeit war dem armen Odysseus das Haus in die Luft geflogen. Achilles war natürlich sofort zur Stelle, denn wenn es einmal im Süden ein derartiges Unwetter gab, wurde man bei einem nichtlöschbaren Häuserbrand hellhörig. Das Geheimnis dahinter war eigentlich ganz einfach, um nicht plump zu sagen: Jemand hatte den Leuten aus Ithaka einen Molli durchs Schlafzimmer gejagt. Unter diesen Umständen konnte man von Glück reden, dass das Feuer sich nicht weiter ausgebreitet hatte. Nun stellt sich die Frage, wie es bei einem Wolkenbruch geschehen kann, dass Odysseus‘ Haus in Flammen steht. König Aietes, der Schwager von Minos, war einer der besten Zauberer seiner Zeit, doch bei diesem Anschlag griff er zu subtileren Mitteln. Das Ganze diente vielmehr einer Machtdemonstration, denn vor nicht allzu langer Zeit hatte er einige Erdöl- und Teerspeicher an sich gerissen. Mit diesen Zutaten panschten Minos und Aietes den Molli zusammen. Der Brandcocktail enthielt eine Flamme, die nicht erlischt und besonders heiß ist, das sogenannte Griechische Feuer. Dieses ließ sich nur mit Sand löschen, da es durch die eingesetzten Komponenten in der Lage war, auch auf Wasser zu brennen. Folglich war dies auch eine beliebte Waffe bei Seeschlachten.