Czytaj książkę: «Dichtung und Wahrheit», strona 8

Czcionka:

»Jawohl! zu lange habe ich es gewußt und geduldet, sonst hätte dieser sich nicht unterstanden, mir in den bedeutendsten Augenblicken solche Beleidigungen ins Gesicht zu sagen. Es mögen sein so viel ihrer wollen, sie sollen in diesem ihrem kühnen Repräsentanten gestraft werden, und sich merken, was sie zu erwarten haben.«

»Nur Aufschub, Herr Graf!«

»In gewissen Dingen kann man nicht zu geschwind verfahren.«

»Nur einen kurzen Aufschub!«

»Nachbar! Ihr denkt mich zu einem falschen Schritt zu verleiten; es soll Euch nicht gelingen.«

»Weder verleiten will ich Euch zu einem falschen Schritt, noch von einem falschen zurückhalten; Euer Entschluß ist gerecht: er geziemt dem Franzosen, dem Königslieutenant; aber bedenkt, daß Ihr auch Graf Thoranc seid.«

»Der hat hier nicht mitzusprechen.«

»Man sollte den braven Mann doch auch hören.«

»Nun, was würde er denn sagen?«

»›Herr Königslieutenant!‹ würde er sagen, ›Ihr habt so lange mit so viel dunklen, unwilligen, ungeschickten Menschen Geduld gehabt, wenn sie es Euch nur nicht gar zu arg machten. Dieser hat's freilich sehr arg gemacht; aber gewinnt es über Euch, Herr Königslieutenant! und jedermann wird Euch deswegen loben und preisen.‹«

»Ihr wißt, daß ich Eure Possen manchmal leiden kann, aber mißbraucht nicht mein Wohlwollen. Diese Menschen, sind sie denn ganz verblendet? Hätten wir die Schlacht verloren, in diesem Augenblick, was würde ihr Schicksal sein? Wir schlagen uns bis vor die Tore, wir sperren die Stadt, wir halten, wir verteidigen uns, um unsere Retirade über die Brücke zu decken. Glaubt Ihr, daß der Feind die Hände in den Schoß gelegt hätte? Er wirft Granaten und was er bei der Hand hat, und sie zünden, wo sie können. Dieser Hausbesitzer da, was will er? In diesen Zimmern hier platzte jetzt wohl eine Feuerkugel und eine andere folgte hintendrein; in diesen Zimmern, deren vermaledeite Pekingtapeten ich geschont, mich geniert habe, meine Landkarten nicht aufzunageln! Den ganzen Tag hätten sie auf den Knien liegen sollen.«

»Wie viele haben das getan!«

»Sie hätten sollen den Segen für uns erflehen; den Generalen und Offizieren mit Ehren- und Freudenzeichen, den ermatteten Gemeinen mit Erquickung entgegengehen. Anstatt dessen verdirbt mir der Gift dieses Parteigeistes die schönsten, glücklichsten, durch so viel Sorgen und Anstrengungen erworbenen Augenblicke meines Lebens!«

»Es ist ein Parteigeist; aber Ihr werdet ihn durch die Bestrafung dieses Mannes nur vermehren. Die mit ihm Gleichgesinnten werden Euch als einen Tyrannen, als einen Barbaren ausschreien; sie werden ihn als einen Märtyrer betrachten, der für die gute Sache gelitten hat; und selbst die anders Gesinnten, die jetzt seine Gegner sind, werden in ihm nur den Mitbürger sehen, werden ihn bedauern und, indem sie Euch recht geben, dennoch finden, daß Ihr zu hart verfahren seid.«

»Ich habe Euch schon zu lange angehört; macht, daß Ihr fortkommt!«

»So hört nur noch dieses! Bedenkt, daß es das Unerhörteste ist, was diesem Manne, was dieser Familie begegnen könnte. Ihr hattet nicht Ursache, von dem guten Willen des Hausherrn erbaut zu sein; aber die Hausfrau ist allen Euren Wünschen zuvorgekommen, und die Kinder haben Euch als ihren Oheim betrachtet. Mit diesem einzigen Schlag werdet Ihr den Frieden und das Glück dieser Wohnung auf ewig zerstören. Ja, ich kann wohl sagen, eine Bombe, die ins Haus gefallen wäre, würde nicht größere Verwüstungen darin angerichtet haben. Ich habe Euch so oft über Eure Fassung bewundert, Herr Graf; gebt mir diesmal Gelegenheit, Euch anzubeten. Ein Krieger ist ehrwürdig, der sich selbst in Feindes Haus als einen Gastfreund betrachtet; hier ist kein Feind, nur ein Verirrter. Gewinnt es über Euch, und es wird Euch zu ewigem Ruhme gereichen!«

»Das müßte wunderlich zugehen«, versetzte der Graf mit einem Lächeln.

»Nur ganz natürlich«, erwiderte der Dolmetscher. »Ich habe die Frau, die Kinder nicht zu Euren Füßen geschickt: denn ich weiß, daß Euch solche Szenen verdrießlich sind; aber ich will Euch die Frau, die Kinder schildern, wie sie Euch danken; ich will sie Euch schildern, wie sie sich zeitlebens von dem Tage der Schlacht bei Bergen und von Eurer Großmut an diesem Tage unterhalten, wie sie es Kindern und Kindeskindern erzählen, und auch Fremden ihr Interesse für Euch einzuflößen wissen: eine Handlung dieser Art kann nicht untergehen!«

»Ihr trefft meine schwache Seite nicht, Dolmetscher. An den Nachruhm pfleg' ich nicht zu denken, der ist für andere, nicht für mich; aber im Augenblick recht zu tun, meine Pflicht nicht zu versäumen, meiner Ehre nichts zu vergeben, das ist meine Sorge. Wir haben schon zu viel Worte gemacht; jetzt geht hin – und laßt Euch von den Undankbaren danken, die ich verschone!«

Der Dolmetsch, durch diesen unerwartet glücklichen Ausgang überrascht und bewegt, konnte sich der Tränen nicht enthalten, und wollte dem Grafen die Hände küssen; der Graf wies ihn ab und sagte streng und ernst: »Ihr wißt, daß ich dergleichen nicht leiden kann!« Und mit diesen Worten trat er auf den Vorsaal, um die andringenden Geschäfte zu besorgen, und das Begehren so vieler wartenden Menschen zu vernehmen. So ward die Sache beigelegt, und wir feierten den andern Morgen, bei den Überbleibseln der gestrigen Zuckergeschenke, das Vorübergehen eines Übels, dessen Androhen wir glücklich verschlafen hatten.

Ob der Dolmetsch wirklich so weise gesprochen, oder ob er sich die Szene nur so ausgemalt, wie man es wohl nach einer guten und glücklichen Handlung zu tun pflegt, will ich nicht entscheiden; wenigstens hat er bei Wiedererzählung derselben niemals variiert. Genug, dieser Tag dünkte ihm, so wie der sorgenvollste, so auch der glorreichste seines Lebens.

Wie sehr übrigens der Graf alles falsche Zeremoniell abgelehnt, keinen Titel, der ihm nicht gebührte, jemals angenommen, und wie er in seinen heitern Stunden immer geistreich gewesen, davon soll eine kleine Begebenheit ein Zeugnis ablegen.

Ein vornehmer Mann, der aber auch unter die abstrusen einsamen Frankfurter gehörte, glaubte sich über seine Einquartierung beklagen zu müssen. Er kam persönlich, und der Dolmetsch bot ihm seine Dienste an; jener aber meinte derselben nicht zu bedürfen. Er trat vor den Grafen mit einer anständigen Verbeugung und sagte: »Exzellenz!« Der Graf gab ihm die Verbeugung zurück, so wie die Exzellenz. Betroffen von dieser Ehrenbezeigung, nicht anders glaubend, als der Titel sei zu gering, bückte er sich tiefer, und sagte: »Monseigneur!« – »Mein Herr«, sagte der Graf ganz ernsthaft, »wir wollen nicht weiter gehen, denn sonst könnten wir es leicht bis zur Majestät bringen.« – Der andere war äußerst verlegen und wußte kein Wort zu sagen. Der Dolmetsch, in einiger Entfernung stehend und von der ganzen Sache unterrichtet, war boshaft genug, sich nicht zu rühren; der Graf aber, mit großer Heiterkeit, fuhr fort: »Zum Beispiel, mein Herr, wie heißen sie?« – »Spangenberg«, versetzte jener – »Und ich«, sagte der Graf, »heiße Thoranc. Spangenberg, was wollt Ihr von Thoranc? und nun setzen wir uns, die Sache soll gleich abgetan sein.«

Und so wurde die Sache auch gleich zu großer Zufriedenheit desjenigen abgetan, den ich hier Spangenberg genannt habe, und die Geschichte noch an selbigem Abend von dem schadenfrohen Dolmetsch in unserm Familienkreise nicht nur erzählt, sondern mit allen Umständen und Gebärden aufgeführt.

Nach solchen Verwirrungen, Unruhen und Bedrängnissen fand sich gar bald die vorige Sicherheit und der Leichtsinn wieder, mit welchem besonders die Jugend von Tag zu Tag lebt, wenn es nur einigermaßen angehen will. Meine Leidenschaft zu dem französischen Theater wuchs mit jeder Vorstellung; ich versäumte keinen Abend, ob ich gleich jedesmal, wenn ich nach dem Schauspiel mich zur speisenden Familie an den Tisch setzte und mich gar oft nur mit einigen Resten begnügte, die steten Vorwürfe des Vaters zu dulden hatte: das Theater sei zu gar nichts nütze, und könne zu gar nichts führen. Ich rief in solchem Falle gewöhnlich alle und jede Argumente hervor, welche den Verteidigern des Schauspiels zur Hand sind, wenn sie in eine gleiche Not wie die meinige geraten. Das Laster im Glück, die Tugend im Unglück wurden zuletzt durch die poetische Gerechtigkeit wieder ins Gleichgewicht gebracht. Die schönen Beispiele von bestraften Vergehungen, »Miß Sara Sampson« und der »Kaufmann von London«, wurden sehr lebhaft von mir hervorgehoben; aber ich zog dagegen öfters den kürzern, wenn die »Schelmstreiche Scapins« und dergleichen auf dem Zettel standen, und ich mir das Behagen mußte vorwerfen lassen, das man über die Betrügereien ränkevoller Knechte und über den guten Erfolg der Torheiten ausgelassener Jünglinge im Publikum empfinde. Beide Parteien überzeugten einander nicht; doch wurde mein Vater sehr bald mit der Bühne ausgesöhnt, als er sah, daß ich mit unglaublicher Schnelligkeit in der französischen Sprache zunahm.

Die Menschen sind nun einmal so, daß jeder, was er tun sieht, lieber selbst vornähme, er habe nun Geschick dazu oder nicht. Ich hatte nun bald den ganzen Kursus der französischen Bühne durchgemacht; mehrere Stücke kamen schon zum zweiten- und drittenmal; von der würdigsten Tragödie bis zum leichtfertigsten Nachspiel war mir alles vor Augen und Geist vorbeigegangen; und wie ich als Kind den Terenz nachzuahmen wagte, so verfehlte ich nunmehr nicht als Knabe, bei einem viel lebhafter dringenden Anlaß, auch die französischen Formen nach meinem Vermögen und Unvermögen zu wiederholen. Es wurden damals einige halb mythologische, halb allegorische Stücke im Geschmack des Piron gegeben; sie hatten etwas von der Parodie und gefielen sehr. Diese Vorstellungen zogen mich besonders an: die goldnen Flügelchen eines heitern Merkur, der Donnerkeil des verkappten Jupiter, eine galante Danae, oder wie eine von Göttern besuchte Schöne heißen mochte, wenn es nicht gar eine Schäferin oder Jägerin war, zu der sie sich herunterließen. Und da mir dergleichen Elemente aus Ovids »Verwandlungen« und Pomeys »Pantheon mythicum« sehr häufig im Kopfe herumsummten, so hatte ich bald ein solches Stückchen in meiner Phantasie zusammengestellt, wovon ich nur so viel zu sagen weiß, daß die Szene ländlich war, daß es aber doch darin weder an Königstöchtern, noch Prinzen, noch Göttern fehlte. Der Merkur besonders war mir dabei so lebhaft im Sinne, daß ich noch schwören wollte, ich hätte ihn mit Augen gesehen.

Eine von mir selbst sehr reinlich gefertigte Abschrift legte ich meinem Freund Derones vor, welcher sie mit ganz besonderem Anstand und einer wahrhaften Gönnermiene aufnahm, das Manuskript flüchtig durchsah, mir einige Sprachfehler nachwies, einige Reden zu lang fand, und zuletzt versprach, das Werk bei gehöriger Muße näher zu betrachten und zu beurteilen. Auf meine bescheidene Frage, ob das Stück wohl aufgeführt werden könne, versicherte er mir, daß es gar nicht unmöglich sei. Sehr vieles komme beim Theater auf Gunst an, und er beschütze mich von ganzem Herzen; nur müsse man die Sache geheim halten: denn er habe selbst einmal mit einem von ihm verfertigten Stück die Direktion überrascht, und es wäre gewiß aufgeführt worden, wenn man nicht zu früh entdeckt hätte, daß er der Verfasser sei. Ich versprach ihm alles mögliche Stillschweigen, und sah schon im Geist den Titel meiner Piece an den Ecken der Straßen und Plätze mit großen Buchstaben angeschlagen.

So leichtsinnig übrigens der Freund war, so schien ihm doch die Gelegenheit, den Meister zu spielen, allzu erwünscht. Er las das Stück mit Aufmerksamkeit durch, und indem er sich mit mir hinsetzte, um einige Kleinigkeiten zu ändern, kehrte er im Laufe der Unterhaltung das ganze Stück um und um, so daß auch kein Stein auf dem andern blieb. Er strich aus, setzte zu, nahm eine Person weg, substituierte eine andere, genug, er verfuhr mit der tollsten Willkür von der Welt, daß mir die Haare zu Berge standen. Mein Vorurteil, daß er es doch verstehen müsse, ließ ihn gewähren: denn er hatte mir schon öfter von den drei Einheiten des Aristoteles, von der Regelmäßigkeit der französischen Bühne, von der Wahrscheinlichkeit, von der Harmonie der Verse und allem, was daran hängt, so viel vorerzählt, daß ich ihn nicht nur für unterrichtet, sondern auch für begründet halten mußte. Er schalt auf die Engländer und verachtete die Deutschen; genug, er trug mir die ganze dramaturgische Litanei vor, die ich in meinem Leben so oft mußte wiederholen hören.

Ich nahm, wie der Knabe in der Fabel, meine zerfetzte Geburt mit nach Hause, und suchte sie wieder herzustellen, aber vergebens. Weil ich sie jedoch nicht ganz aufgeben wollte, so ließ ich aus meinem ersten Manuskript, nach wenigen Veränderungen, eine saubere Abschrift durch unsern Schreibenden anfertigen, die ich denn meinem Vater überreichte und dadurch so viel erlangte, daß er mich nach vollendetem Schauspiel meine Abendkost eine Zeitlang ruhig verzehren ließ.

Dieser mißlungene Versuch hatte mich nachdenklich gemacht, und ich wollte nunmehr diese Theorien, diese Gesetze, auf die sich jedermann berief, und die mir besonders durch die Unart meines anmaßlichen Meisters verdächtig geworden waren, unmittelbar an den Quellen kennen lernen, welches mir zwar nicht schwer, doch mühsam wurde. Ich las zunächst Corneilles »Abhandlung über die drei Einheiten« und ersah wohl daraus, wie man es haben wollte; warum man es aber so verlangte, ward mir keineswegs deutlich, und, was das Schlimmste war, ich geriet sogleich in noch größere Verwirrung, indem ich mich mit den Händeln über den »Cid« bekannt machte und die Vorreden las, in welchen Corneille und Racine sich gegen Kritiker und Publikum zu verteidigen genötigt sind. Hier sah ich wenigstens auf das deutlichste, daß kein Mensch wußte, was er wollte; daß ein Stück wie »Cid«, das die herrlichste Wirkung hervorgebracht, auf Befehl eines allmächtigen Kardinals absolut sollte für schlecht erklärt werden; daß Racine, der Abgott der zu meiner Zeit lebenden Franzosen, der nun auch mein Abgott geworden war (denn ich hatte ihn näher kennen lernen, als Schöff von Olenschlager durch uns Kinder den »Britannicus« aufführen ließ, worin mir die Rolle des Nero zuteil ward), daß Racine, sage ich, auch zu seiner Zeit weder mit Liebhabern noch Kunstrichtern fertig werden können. Durch alles dieses ward ich verworrener als jemals, und nachdem ich mich lange mit diesem Hin- und Herreden, mit dieser theoretischen Salbaderei des vorigen Jahrhunderts gequält hatte, schüttete ich das Kind mit dem Bade aus, und warf den ganzen Plunder desto entschiedener von mir, je mehr ich zu bemerken glaubte, daß die Autoren selbst, welche vortreffliche Sachen hervorbrachten, wenn sie darüber zu reden anfingen, wenn sie den Grund ihres Handelns angaben, wenn sie sich verteidigen, entschuldigen, beschönigen wollten, doch auch nicht immer den rechten Fleck zu treffen wußten. Ich eilte daher wieder zu dem lebendig Vorhandenen, besuchte das Schauspiel weit eifriger, las gewissenhafter und ununterbrochner, so daß ich in dieser Zeit Racine und Mollière ganz, und von Corneille einen großen Teil durchzuarbeiten die Anhaltsamkeit hatte.

Der Königslieutenant wohnte noch immer in unserm Hause. Er hatte sein Betragen in nichts geändert, besonders gegen uns; allein es war merklich, und der Gevatter Dolmetsch wußte es uns noch deutlicher zu machen, daß er sein Amt nicht mehr mit der Heiterkeit, nicht mehr mit dem Eifer verwaltete wie anfangs, obgleich immer mit derselben Rechtschaffenheit und Treue. Sein Wesen und Betragen, das eher einen Spanier als einen Franzosen ankündigte, seine Launen, die doch mitunter Einfluß auf ein Geschäft hatten, seine Unbiegsamkeit gegen die Umstände, seine Reizbarkeit gegen alles, was seine Person oder Charakter berührte, dieses zusammen mochte ihn doch zuweilen mit seinen Vorgesetzten in Konflikt bringen. Hiezu kam noch, daß er in einem Duell, welches sich im Schauspiel entsponnen hatte, verwundet wurde, und man dem Königslieutenant übel nahm, daß er selbst eine verpönte Handlung als oberster Polizeimeister begangen. Alles dieses mochte, wie gesagt, dazu beitragen, daß er in sich gezogner lebte und hier und da vielleicht weniger energisch verfuhr.

Indessen war nun schon eine ansehnliche Partie der bestellten Gemälde abgeliefert. Graf Thoranc brachte seine Freistunden mit der Betrachtung derselben zu, indem er sie in gedachtem Giebelzimmer, Bahne für Bahne, breiter und schmäler, neben einander und, weil es an Platz mangelte, sogar über einander nageln, wieder abnehmen und aufrollen ließ. Immer wurden die Arbeiten aufs neue untersucht, man erfreute sich wiederholt an den Stellen, die man für die gelungensten hielt; aber es fehlte auch nicht an Wünschen, dieses oder jenes anders geleistet zu sehen.

Hieraus entsprang eine neue und ganz wundersame Operation. Da nämlich der eine Maler Figuren, der andere die Mittelgründe und Fernen, der dritte die Bäume, der vierte die Blumen am besten arbeitete, so kam der Graf auf den Gedanken, ob man nicht diese Talente in den Bildern vereinigen, und auf diesem Wege vollkommene Werke hervorbringen könne. Der Anfang ward sogleich damit gemacht, daß man z.B. in eine fertige Landschaft noch schöne Herden hineinmalen ließ. Weil nun aber nicht immer der gehörige Platz dazu da war, es auch dem Tiermaler auf ein paar Schafe mehr oder weniger nicht ankam, so war endlich die weiteste Landschaft zu enge. Nun hatte der Menschenmaler auch noch die Hirten und einige Wandrer hineinzubringen; diese nahmen sich wiederum einander gleichsam die Luft, und man war verwundert, wie sie nicht sämtlich in der freiesten Gegend erstickten. Man konnte niemals voraussehen, was aus der Sache werden würde, und wenn sie fertig war, befriedigte sie nicht. Die Maler wurden verdrießlich. Bei den ersten Bestellungen hatten sie gewonnen, bei diesen Nacharbeiten verloren sie, obgleich der Graf auch diese sehr großmütig bezahlte. Und da die von mehrern auf einem Bilde durch einander gearbeiteten Teile, bei aller Mühe, keinen guten Effekt hervorbrachten, so glaubte zuletzt ein jeder, daß seine Arbeit durch die Arbeiten der andern verdorben und vernichtet worden; daher wenig fehlte, die Künstler hätten sich hierüber entzweit und wären in unversöhnliche Feindschaft geraten. Dergleichen Veränderungen oder vielmehr Zutaten wurden in gedachtem Atelier, wo ich mit den Künstlern ganz allein blieb, ausgefertiget; und es unterhielt mich, aus den Studien, besonders der Tiere, dieses und jenes Einzelne, diese oder jene Gruppe auszusuchen, und sie für die Nähe oder die Ferne in Vorschlag zu bringen; worin man mir denn manchmal aus Überzeugung oder Geneigtheit zu willfahren pflegte.

Die Teilnehmenden an diesem Geschäft wurden also höchst mutlos, besonders Seekatz, ein sehr hypochondrischer und in sich gezogner Mann, der zwar unter Freunden durch eine unvergleichlich heitre Laune sich als den besten Gesellschafter bewies, aber, wenn er arbeitete, allein, in sich gekehrt und völlig frei wirken wollte. Dieser sollte nun, wenn er schwere Aufgaben gelöst, sie mit dem größten Fleiß und der wärmsten Liebe, deren er immer fähig war, vollendet hatte, zu wiederholten Malen von Darmstadt nach Frankfurt reisen, um entweder an seinen eigenen Bildern etwas zu verändern, oder fremde zu staffieren, oder gar unter seinem Beistand durch einen Dritten seine Bilder ins Buntscheckige arbeiten wo zu lassen. Sein Mißmut nahm zu, sein Widerstand entschied sich, und es brauchte großer Bemühungen von unserer Seite, um diesen Gevatter – denn auch er war's geworden – nach des Grafen Wünschen zu lenken. Ich erinnere mich noch, daß, als schon die Kasten bereit standen, um die sämtlichen Bilder in der Ordnung einzupacken, in welcher sie an dem Ort ihrer Bestimmung der Tapezierer ohne weiteres aufheften konnte, daß, sage ich, nur eine kleine doch unumgängliche Nacharbeit erfordert wurde, Seekatz aber nicht zu bewegen war herüberzukommen. Er hatte freilich noch zu guter Letzt das Beste getan, was er vermochte, indem er die vier Elemente in Kindern und Knaben, nach dem Leben, in Türstücken dargestellt, und nicht allein auf die Figuren, sondern auch auf die Beiwerke den größten Fleiß gewendet hatte. Diese waren abgeliefert, bezahlt, und er glaubte auf immer aus der Sache geschieden zu sein; nun aber sollte er wieder herüber, um einige Bilder, deren Maße etwas zu klein genommen worden, mit wenigen Pinselzügen zu erweitern. Ein anderer, glaubte er, könne das auch tun; er hatte sich schon zu neuer Arbeit eingerichtet; kurz, er wollte nicht kommen. Die Absendung war vor der Türe, trocknen sollte es auch noch, jeder Verzug war mißlich; der Graf, in Verzweiflung, wollte ihn militärisch abholen lassen. Wir alle wünschten die Bilder endlich fort zu sehen, und fanden zuletzt keine Auskunft, als daß der Gevatter Dolmetsch sich in einen Wagen setzte und den Widerspenstigen mit Frau und Kind herüberholte, der dann von dem Grafen freundlich empfangen, wohl gepflegt, und zuletzt reichlich beschenkt entlassen wurde.

Nach den fortgeschafften Bildern zeigte sich ein großer Friede im Hause. Das Giebelzimmer im Mansard wurde gereinigt und mir übergeben, und mein Vater, wie er die Kasten fortschaffen sah, konnte sich des Wunsches nicht erwehren, den Grafen hinterdrein zu schicken. Denn wie sehr die Neigung des Grafen auch mit der seinigen übereinstimmte; wie sehr es den Vater freuen mußte, seinen Grundsatz, für lebende Meister zu sorgen, durch einen Reicheren so fruchtbar befolgt zu sehen; wie sehr es ihn schmeicheln konnte, daß seine Sammlung Anlaß gegeben, einer Anzahl braver Künstler in bedrängter Zeit einen so ansehnlichen Erwerb zu verschaffen: so fühlte er doch eine solche Abneigung gegen den Fremden, der in sein Haus eingedrungen, daß ihm an dessen Handlungen nichts recht dünken konnte. Man solle Künstler beschäftigen, aber nicht zu Tapetenmalern erniedrigen; man solle mit dem, was sie nach ihrer Überzeugung und Fähigkeit geleistet, wenn es einem auch nicht durchgängig behage, zufrieden sein und nicht immer daran markten und mäkeln: genug, es gab, ungeachtet des Grafen eigner liberaler Bemühung, ein für allemal kein Verhältnis. Mein Vater besuchte jenes Zimmer bloß, wenn sich der Graf bei Tafel befand, und ich erinnere mich nur ein einziges Mal, als Seekatz sich selbst übertroffen hatte und das Verlangen, diese Bilder zu sehen, das ganze Haus herbeitrieb, daß mein Vater und der Graf zusammentreffend an diesen Kunstwerken ein gemeinsames Gefallen bezeigten, das sie an einander selbst nicht finden konnten.

Kaum hatten also die Kisten und Kasten das Haus geräumt, als der früher eingeleitete aber unterbrochne Betrieb, den Grafen zu entfernen, wieder angeknüpft wurde. Man suchte durch Vorstellungen die Gerechtigkeit, die Billigkeit durch Bitten, durch Einfluß die Neigung zu gewinnen, und brachte es endlich dahin, daß die Quartierherren den Beschluß faßten: es solle der Graf umlogiert, und unser Haus, in Betracht der seit einigen Jahren unausgesetzt Tag und Nacht getragnen Last, künftig mit Einquartierung verschont werden. Damit sich aber hierzu ein scheinbarer Vorwand finde, so solle man in eben den ersten Stock, den bisher der Königslieutenant besetzt gehabt, Mietleute einnehmen und dadurch eine neue Bequartierung gleichsam unmöglich machen. Der Graf, der nach der Trennung von seinen geliebten Gemälden kein besonderes Interesse mehr am Hause fand, auch ohnehin bald abgerufen und versetzt zu werden hoffte, ließ es sich ohne Widerrede gefallen, eine andere gute Wohnung zu beziehen, und schied von uns in Frieden und gutem Willen. Auch verließ er bald darauf die Stadt und erhielt stufenweise noch verschiedene Chargen, doch, wie man hörte, nicht zu seiner Zufriedenheit. Er hatte indes das Vergnügen, jene so emsig von ihm besorgten Gemälde in dem Schlosse seines Bruders glücklich angebracht zu sehen; schrieb einige Male, sendete Maße und ließ von den mehr genannten Künstlern verschiedenes nacharbeiten. Endlich vernahmen wir nichts weiter von ihm, außer daß man uns nach mehreren Jahren versichern wollte, er sei in Westindien, auf einer der französischen Kolonien, als Gouverneur gestorben.

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