Czytaj książkę: «Jesus in Bern»

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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

Der Bericht 3

Vor den Ereignissen 4

Krise 4

Elfenbeinkugeln 29

Comeback 33

Fluch 49

Die Ereignisse 64

Vorbereitungen 64

Überfall 82

Erste Predigt 89

Anschlag 93

Aufruhr 98

Entführung 112

Höhenflüge 133

Nach den Ereignissen 137

Dreißig Jahre später 137

Ernüchterung 138

Ende des Berichtes 140

Nachweise 142

Namen 142

Literatur und andere Nachweise 143

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-977-4

ISBN e-book: 978-3-99107-978-1

Lektorat: Lucas Drebenstedt

Umschlagfoto: Aphichat Phongphirom, F11photo | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Der Bericht

Ich, Thierry Cognac, habe es unternommen, über das, was unter uns geschehen und in Erfüllung gegangen ist, einen Bericht abzufassen, nach meinen eigenen Erfahrungen und nach der Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Dienende des Wortes waren. Ich bin allem sorgfältig nachgegangen und habe der Reihe nach für die Bewunderinnen und Bewunderer von Jesus von Nazaret aufgeschrieben, was sich tatsächlich in Bern zugetragen hat.

Ich habe die Personen in diesem Bericht, auch mich selbst, nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt.

Thierry Cognac

Abt des Alexanderklosters Paix in Paix an der Ach

Vor den Ereignissen

Krise

Papst Gregor XVII. empfängt die Gäste in seinem Arbeitszimmer. Es ist März. Heftige Winde rütteln an den Fensterläden. Die Gäste, eine Frau und zwei Männer, setzen sich in die breiten, mit grünem Samt überzogenen Fauteuils und schauen zufrieden in den Raum. Dunkelrote Vorhänge, flackernde Kerzenlichter und ein knisterndes Kaminfeuer verbreiten eine warme, heimelige Atmosphäre. An den Wänden hängen große Ölgemälde mit den typischen Venedigmotiven aus dem Umfeld von Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto. Die Luft ist allerdings zu trocken. Gregor hat Altersasthma und Mühe mit dem Atmen. Er leidet aber nicht nur unter der Trockenheit, sondern auch unter seinem Gewicht, dem hohen Blutdruck und unter den vielen Hiobsbotschaften, die ständig im Vatikan eintreffen. Er will sich allerdings keine Luftbefeuchter aufschwatzen lassen. Die seien keine Wohltat, sondern eine Tanzeinladung für Grippeviren.

Gregor hat Kurienkardinal Pietro Palermo vor einer Woche angerufen und ihn kurzfristig nach Frascati eingeladen. Er wolle mit ihm wieder einmal über den Niedergang des Christentums reden. Der Papst hat am Telefon gelacht. Es handle sich um ein Geheimgespräch mit drei weiteren Teilnehmern. Diese seien allerdings Geisterwesen, berühmte Geisterwesen. Pietro ist deshalb nicht überrascht, dass das Gespräch nicht im Vatikan stattfindet, sondern in der Villa Pace in Frascati. Der Papst hat die Villa vor einigen Jahren gekauft. Er findet hier wenige Kilometer von Rom entfernt Ruhe und Erholung und kann Leute ohne die strengen Regeln des vatikanischen Protokolls treffen. Frascati ist bekannt für die Schönheit der Landschaft und die Qualität seiner Weißweine. Schon in der Antike hat man hier römische Patriziervillen für den Sommeraufenthalt reicher Römer gebaut. Die Villa Pace verfügt neben der Privatwohnung des Papstes auch über einen Gästetrakt mit fünf Schlafzimmern und zwei großzügigen Besprechungsräumen.

Pietro Palermo ist der engste Vertraute des Papstes. Er ist Neapolitaner, aufgewachsen in großer Frömmigkeit und strenger Selbstdisziplin. Als junger Arbeiterpriester arbeitet er in den Ranchos von Caracas und in den Townships von Kapstadt. Mit dreißig Jahren kehrt er nach Europa zurück und wird Jesuit. An der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main drückt er nochmals die Schulbank, ebenso an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, wo er auch zum Doktor der Theologie promoviert. Im Vatikan legt er eine Blitzkarriere hin. Er wird Kardinal und schließlich vom Papst zum Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre ernannt, dem wichtigsten Amt innerhalb der Kurie. Pietro ist fünfundfünfzig Jahre alt.

Gregor erhebt sich und stellt die drei Gäste mit theatralischen Gesten auch gleich vor. Der erste sei Paulus von Tarsus, der großartige christliche Denker und Theologe aus dem Urchristentum. Paulus, mittelgroß und von schmaler Gestalt, verbeugt sich leicht in der Manier eines Grandseigneurs. Er hat tiefschwarze, stechende Augen, trägt einen Bart und ist kahlköpfig. Paulus sei sechzig Jahre alt, sagt Gregor, so alt also wie bei seinem gewaltsamen Tod durch den römischen Kaiser Nero während der Christenverfolgung im Jahre 64. Dann, so Gregor weiter, stehe hier Martin Luther, der Theologieprofessor und Initiator der Reformation. Luther erinnert Pietro an einen Bauern, der von der harten Landarbeit gezeichnet ist. Er ist klein und rundlich, hat ein schwulstiges, sonnenverbranntes Gesicht und einen großen, kahlen Kopf. Er sei so alt wie Paulus, erklärt Gregor, so alt wie bei seinem Tod 1546 in Eisleben. Und schließlich sei Rosa Ochsenbein hier, die ehemalige Soziologieprofessorin an der Universität Bern. Rosa ist eine charmante, mittelgroße Frau mit blauen Augen und kurzen, blonden Haaren. Gregor spielt den Gentleman und sagt nichts über ihr Alter. Pietro schätzt sie auf etwa fünfzig Jahre.

Der Papst schmunzelt mit einem schelmischen Blick. Er denke, mit Zeitzeugen aus verschiedenen Epochen des Christentums und mit Persönlichkeiten, die alle etwas streitsüchtig, starrköpfig und nervig seien und kein Blatt vor den Mund nehmen würden, die richtigen Antworten zu finden. Er wolle aber ihre wahre Identität mit einem Pseudonym verschleiern. Die echten Namen sollten zu ihrem eigenen Schutz geheim bleiben. Er nenne Paulus Fanaticus, Martin den Turbator und Rosa die Maestra. Er sei überzeugt, die einzelnen Charaktere mit diesen Namen gut getroffen zu haben.

Die drei Eingeladenen scheinen keine Einwände gegen ihre Pseudonyme zu haben und schauen Pietro nun ihrerseits erwartungsvoll an. In ihren Händen halten sie schwere Weinkelche aus reinem Gold und mit herrlichen Pflanzenmotiven verziert. Gregor hat ihnen einen alten Pinot Noir aus dem Kanton Wallis eingeschenkt. Die Soldaten der Schweizergarde bringen den Wein jeweils nach Rom, wenn sie von ihren Ferien aus der Schweiz zurückkehren. Gregor ist der erste Papst aus der Schweiz. Er ist als Sohn einer Weinbauerfamilie in Saint-Frédéric aufgewachsen, gleich neben der Antoniusabtei Saint-Frédéric. Gregor, der jetzt fünfundsiebzig Jahre alt ist, heißt mit bürgerlichem Namen Bernard Ambuel. Der Abt der Klosters, Georges Dumont, ist ein langjähriger, enger Freund von ihm.

Pietro hat im Vatikan gelernt, keine Emotionen zu zeigen. Sein Pokergesicht, das er sich in all den Romjahren angewöhnt hat, passt gut zu seinem asketischen Körper und den dunklen Augen, die kühl, kalkulierend und beobachtend wirken. Er widerspricht dem Papst nie öffentlich, außer in rein sachlichen Dingen, Zahlen und Fakten eben. Er fragt ihn deshalb auch nicht, weshalb Paulus plötzlich Deutsch sprechen kann oder Luther, der Erzfeind der römisch-katholischen Kirche, überhaupt eingeladen worden ist. Der Grund ist Pietro bekannt. Gregor hat ein Hobby. Er spielt gerne Theater, am liebsten Dramen. Und jetzt tut er es wieder. Er spielt den Regisseur und verteilt die Rollen nach seinem Gusto. Er beobachtet die Akteure während der Aufführung genau und beurteilt ihr Talent und ihr Auftreten. Zum Schluss hebt er den Daumen hoch oder senkt ihn. Viele Akteure haben in der Vergangenheit so Karriere im Vatikan gemacht, andere sind mit gebrochenem Genick liegengeblieben. Für Pietro ist klar, dass Rosa Ochsenbein, Paulus von Tarsus und Martin Luther nicht Pseudonyme erhalten haben, um sie vor der Außenwelt zu schützen, sondern weil Gregor ausdrucksstarke Namen für sein Theater braucht. Und es liegt auf der Hand, dass das Pseudonym Maestra beim Publikum wohl besser ankommen würde als der Name Rosa Ochsenbein.

So spielt Pietro das ihm bekannte Theater eben mit. Er stellt sich nun selber den anderen vor. Fanaticus nickt anerkennend mit dem Kopf. Der berühmte Kardinal verstehe wohl etwas vom Geschäft und sei sicherlich ein kompetenter Gesprächspartner für ihn.

Nach der Vorstellungsrunde erläutert Gregor die desolate Situation der Kirche. Immer mehr Menschen würden sich aus dem Staub machen. Die Priester seien frustriert und hätten kaum noch Freude an der Arbeit. Er brauche aber einen Rettungsanker und keine Propheten, die ihm sagen würden, das Christentum sei am Ende. Er habe sie nicht nach Frascati eingeladen, um über Probleme zu sprechen. Er wolle Lösungen hören, Lösungen, Lösungen und nochmals Lösungen. Wie könnte man das Christentum retten?

Gregor hat kaum aufgehört zu sprechen, da legt die Maestra schon los. Sie sei nun einmal eine Prophetin, und ihre Prophezeiung würde eintreffen. Die christliche Religion sei am Ende, der Rettungsanker endgültig weg. Sie habe im Unterschied zu Fanaticus und dem Turbator noch in der modernen Gesellschaft gelebt und wisse als Soziologin nur zu gut, weshalb die heutigen Menschen nicht mehr gläubig sein könnten. Fanaticus stellt seinen Kelch mit zitternden Händen auf den Beistelltisch und schlägt sich wütend auf die Schenkel. Sein Gesicht läuft rot an. Die Professorin könne wohl nicht warten. Statt voreilige Schlüsse zu ziehen, sollte sie sich doch lieber einmal fragen, wie das Christentum überhaupt entstanden sei. Nur wer die Vergangenheit kenne, könne die heutige Zeit verstehen. Es liege deshalb an ihm, dem ersten Theologen des Christentums, zu reden. Und er fordere Respekt.

Fanaticus hat sich wieder beruhigt. Er lehnt sich zurück und blickt in das Kaminfeuer.

Er fange einmal mit seinen beiden Aufenthalten in Jerusalem an und erzähle dann von seinen Missionsreisen nach Damaskus, Antiochia und Athen, auch von der letzten Reise nach Rom. Gregor unterbricht Fanaticus abrupt. Er will keine endlosen Reden über Juden, Heiden und Christen vor über zweitausend Jahren hören und fordert deshalb die Maestra auf, weiterzusprechen und die Gründe für die christliche Katastrophe doch einmal überzeugend darzulegen. Weshalb könnten moderne Menschen nicht mehr religiös sein? Fanaticus rollt beleidigt die Augen. Der Turbator kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der Papst zieht eine Frau dem großen Theologen vor.

Die Maestra steht auf und beginnt, vor dem Kamin mit verschränkten Armen hinter dem Rücken auf- und abzugehen. Sie wolle zuerst einmal erklären, wie der Glaube aus der modernen Gesellschaft verschwunden sei, und zwar in gerade nur vier Generationen: Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel. Dabei gehe es um ihre eigene Familie. Sie gibt sich Mühe, langsam und deutlich zu sprechen. Als Dozentin an der Universität Bern hat sie immer viel zu schnell geredet. Die meisten Studentinnen und Studenten konnten ihr damals kaum folgen.

Die erste Generation, die Eltern, hätten in miserablen Zuständen gelebt: Kindheit in Armut, kaum Schule, zwei Weltkriege, Arbeitslosigkeit, soziale Ängste, Krankheiten und schlecht bezahlte Arbeiten. Aber sie seien streng religiös gewesen. Sie hätten an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist geglaubt und in der Kirche Unterschlupf vor den Nöten des harten Alltags gefunden. Zum Pfarrer hätten sie mit schuldigem Gehorsam hinaufgeschaut. Beim Sterben sei ein glückliches Lächeln auf ihrem Gesicht gelegen, so als hätten sie sie sich über den Tod gefreut. Das Paradies im Himmel sei ihnen gewiss gewesen.

Die Maestra macht eine kurze Atempause und bleibt stehen. Der Turbator lacht laut heraus. Das Leben der Eltern sei doch ein gutes gewesen, ein gottesfürchtiges und demütiges und mit einem strengen Pfarrer, vor dem sie sich verbeugt hätten. Die Maestra schüttelt verärgert den Kopf und nimmt ihre Schritte wieder auf.

Ihr eigenes Leben habe zum Glück einen anderen Verlauf genommen, einen sehr guten: Studium dank Staatshilfe, Karriere bis zur Professorin, Leben in einem freien und demokratischen Land, soziale Absicherung, keine Kriege. Mit dem Glauben sei es so eine Sache gewesen. Sie sei getauft und gefirmt worden und anfangs noch regelmäßig zur Kirche gegangen. Aber mit dem Alter seien Zweifel aufgekommen. Vieles habe ihr nicht mehr gefallen, das Machtgehabe der Kirchen, die sexuellen Übergriffe von Priestern auf Jugendliche, Urbi et orbi als Gala-Show, Ex cathedra Petri als unnötiges Dogma. Wo wären Bescheidenheit und Demut geblieben? Sie habe zwar immer noch gebetet und an Gott geglaubt, aber die Kirchen mit ihren strengen Vorschriften seien ihr fremd geworden.

Die Maestra macht wieder eine Pause und schaut in die Runde. Sie will sehen, wie ihre Worte bei den anderen ankommen. Der Turbator nickt diesmal wohlwollend. Die Kritik an der Kurie in Rom gefalle ihm natürlich sehr, meint er frech und prostet dem Papst mit dem Kelch zu. Die Maestra kommt zur dritten Generation.

Die Kinder hätten ebenfalls studiert und Karriere gemacht. Der Staat habe weiterhin gut für seine Bürgerinnen und Bürger gesorgt. Mit der Religion sei es hingegen immer weiter den Bach heruntergegangen. Die Kinder seien zwar noch getauft worden. Sie hätten allerdings freudlos und nur noch unter Druck am Religionsunterricht teilgenommen, mit dem Tag der Firmung sei aber Schluss gewesen. Sie hätten die Kirche verlassen. Weshalb hätte ein junger Mensch an einem Sonntagmorgen zur Messe gehen sollen, wenn er zur selben Zeit glücklich und frei mit einem Segler über Seen und Berge hätte schweben können?

Sie kommt zur letzten Generation und damit zum endgültigen Aus. Die Enkel seien nicht einmal mehr getauft worden. Sie seien völlig religionslos aufgewachsen und hätten das christliche Wissen komplett verloren. Sie hätten nicht einmal mehr gewusst, was die Trinität oder die Buchstaben INRI auf den Jesus-Kreuzen bedeuten würden oder weshalb sie an Ostern und Auffahrt nicht hätten arbeiten müssen. Seien sie danach gefragt worden, hätten sie Unverständnis gezeigt. Die Fragenden wären wohl gaga.

Die Maestra ist am Ende ihres kleinen Vortrages angekommen und schaut wieder fragend in die Runde. Der Papst faltet die Hände über dem Bauch zusammen, schaut zur Decke hoch und meint lakonisch, es könnten wohl nur noch Arme und Dumme religiös sein, Reiche und Gebildete hingegen nicht mehr. Fanaticus reibt sich hämisch die Hände. Das sei doch gut so. So kämen nur die Armen ins Paradies. Habe nicht Jesus Christus höchstpersönlich gesagt, eher gehe ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes komme? Die Maestra widerspricht ihm mit ernster Miene und zwar so als würde sie zu einem Primarschüler in der ersten Klasse sprechen. Jesus habe für eine Gesellschaft vor über zweitausend Jahren gesprochen. Die Reichen hätten damals nach ihren eigenen Gesetzen gelebt, Sklaven gehalten und die Armen unterdrückt. Und heute? Heute würden die Gesetze für alle Menschen gelten, und der Staat hole das Geld bei den Reichen, um die Armen und Kranken zu unterstützen. Die Reichen täten viel Gutes und kämen deshalb auch in das Reich Gottes. Fanaticus schaut Gregor fragend an. Er erwartet einen Rüffel. Dieser schweigt aber und nimmt seufzend einen großen Schluck Wein aus dem Kelch. Dann bittet er die Maestra, die moderne Gesellschaft doch noch etwas genauer zu beschreiben. Was überhaupt ist eine moderne Gesellschaft?

Die Maestra zählt die wichtigsten Merkmale auf: soziale und rechtliche Gerechtigkeit, Sicherheit, hervorragende Ausbildung und Wohlstand. Heutige Menschen würden in einem glaubwürdigen Sozialstaat mit modernen Grundwerten und in einem gut funktionierenden öffentlichen Gemeinwesen leben. In solchen Gesellschaften würden Menschen heranwachsen, die einfach nicht mehr religiös sein könnten. Die Maestra sagt es klar und deutlich, moderne, gut ausgebildete Menschen bräuchten keine christliche Vorgaben mehr, um glücklich und erfolgreich zu sein. Sie würden ihr Schicksal lieber selber in die Hand nehmen und auf Vernunft und Eigenverantwortung setzen. Sie will ein Beispiel geben und spricht das Apostolische Glaubensbekenntnis, das wichtigste Bekenntnis der christlichen Religion:

Ich glaube an Gott,

den Vater, den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zur richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige katholische Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden,

Auferstehung der Toten.

Die Maestra sagt, moderne Menschen könnten nun einmal solche Texte ganz einfach nicht mehr verstehen, auch nicht mehr mit den klügsten Kommentaren. Sätze wie

… empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria …

könne man den Menschen nicht mehr zumuten, ebenso irgendwelche Drohungen nicht mehr, wonach nur glaubende Menschen gerettet, nichtglaubende aber verurteilt würden. Solche Drohungen würden genau das Gegenteil bewirken. Noch mehr Menschen würden sich vom christlichen Glauben entfernen.

Fanaticus hat den Ausführungen der Maestra gar nicht mehr zugehört. Er hat die Augen geschlossen und denkt nach. Zur Überraschung aller kommt er mit einem gewagten Vergleich. Die Maestra sei mit ihrem Sozialstaat eigentlich gar nicht so weit weg vom Reich Gottes. Sie gibt ihm sofort recht. Sozialstaat und Reich Gottes wollten im Grunde dasselbe, nämlich Gerechtigkeit. Aber weil der Sozialstaat jetzt im Mittelpunkt der Menschen stehe, brauche es die Botschaft vom Reich Gottes nicht mehr. Gregor bewegt den Kopf hin und her. Der Sozialstaat sei sicherlich eine gute Sache. Doch damit gleich die ganze Botschaft vom Reich Gottes vom Tisch wischen?

Der Papst hat eine letzte Frage. Es gäbe doch immer noch Menschen, die am Sonntag in der Kirche beten, an Prozessionen teilnehmen und auf Wallfahrten gehen würden. Weshalb überhaupt noch? Religionen würden nie ganz aus einer modernen Gesellschaft verschwinden, so die Maestra, aber religiöse Menschen seien in Zukunft eine absolute Minderheit und würden von der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen.

Fanaticus ärgert sich. Bei den modernen Menschen sei immer alles super, bei den Religionen immer alles schlecht. Die Maestra lässt sich jedoch nicht beirren. Das Christentum stehe vor dem Aus, und damit basta! Sie ist in Schwung gekommen und fängt an, frech das Lied Time to Say Goodbye zu singen.

Auch der Turbator ärgert sich jetzt. Die Maestra male den Teufel an die Wand. Sie solle doch lieber das Lied vom Tod pfeifen. Der Turbator ist ein Fan von Western-Filmen. Der Italowestern von Sergio Leone mit Claudia Cardinale, Charles Bronson und Henry Fonda ist sein Lieblingsfilm.

Der Papst möchte das Thema mit den modernen Menschen abschließen. Er habe genug gehört und wolle jetzt zu zwei anderen Themen wechseln, zu den Theologen und den Kirchen. Hätten die einen besseren Job machen und den Niedergang verhindern können? Fanaticus solle zu den Theologen sprechen, der Turbator zu den Kirchen.

Fanaticus ist ein scharfer Analytiker und Denker. Er weiß natürlich auch, dass die Religionen in den westlichen Gesellschaften eine geringe Überlebenschance haben. Hätten die Theologen trotzdem einen besseren Job machen können? Fanaticus will diplomatisch sein und einer kurzen, direkten Antwort vorerst aus dem Weg gehen. So fängt er einmal ganz von vorne an und stellt eine erste Frage. Was müssten Theologen überhaupt machen? Die Antwort sei klar. Sie sollten die uralten Texte der Bibel übersetzen und zwar so, dass sie ebenfalls die modernen Menschen verstehen würden. Könnten sie das heute aber überhaupt noch? Fanaticus sagt, nein, das gehe heute nicht mehr. Wo die Theologen auch reden würden, die Leute würden ihnen mit Ablehnung, Hohn und Spott entgegentreten. Der Vorwurf, es sei alles zu verstaubt, zu kompliziert, zu irrational, zu widersprüchlich, zu abstrakt, zu wenig attraktiv. Er wolle noch etwas mehr in die Tiefe gehen und stelle deshalb eine zweite Frage. Was überhaupt sei Religion? Er, der erste Theologe des Christentums, wisse es natürlich haargenau. Religion sei Moral und Glaube.

Fanaticus beginnt mit der Moral und erinnert an Jesus, der in der Bergpredigt über Moral gesprochen und den Armen im Geist das Himmelreich versprochen habe. Wie könnten Theologen nun ein solches Versprechen ins Heute übersetzen, ohne sich zu verkrümmen und lächerlich zu machen? Sie könnten es ganz einfach nicht mehr. Er selbst habe über Moral geschrieben, und zwar im ersten Brief an die Korinther. Die Korinther hätten damals die christlichen Gebote nicht befolgt und zum Beispiel kultische Fleischmahlzeiten zelebriert. Er habe ihnen das liederliche Alltagsleben austreiben wollen. Aber eben, das sei vor zigtausend Jahren gewesen. Die Welt sei heute eine komplett andere geworden.

Von der Moral wechselt Fanaticus zum christlichen Glauben. Im Zentrum des Glaubens stehe die Befreiung der Menschheit von der Sünde durch den Kreuztod Jesu, die Befreiung vom Tod durch die Auferstehung und die Errichtung eines Gottesreiches. Hinzu kämen die Dogmen der großen Konzilien von Nicäa, Konstantinopel und Chalzedon. Christinnen und Christen müssten sich zu diesem Glauben bekennen, um den Kirchen beitreten zu können. Er wisse natürlich auch, dass ein solches Bekenntnis heute nicht mehr möglich sei. Er zählt auf: Marias Unbefleckte Empfängnis, Erlösung von den Sünden am Kreuz, Gott ein Wesen mit drei Personen, Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich und schließlich das ungeheuerliche Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. Fanaticus schaut Gregor tief in die Augen, nein, das gehe heute alles einfach nicht mehr. Selbst Petrus, der spätere erste Bischof von Rom, sei nicht unfehlbar gewesen. Der habe Jesus dreimal verleugnet und später bitterlich über den Verrat geweint. Gregor widerspricht Fanaticus nicht. Er will die angespannte Stimmung auflockern, grinst und meint, er wäre wohl nur beim Weintesten unfehlbar. Die anderen lachen nun auch und prosten ihm zu. Der Papst fordert Fanaticus auf, endlich auf den Punkt zu kommen und keine langen Vorträge mehr zu halten, vor allem nicht zu Erkenntnissen, die ihnen schon längst bekannt seien.

Hätten die Theologen einen besseren Job machen können? Fanaticus sagt klar und deutlich, nein, sie hätten keinen besseren Job machen können. Die veraltete biblische Moral und ein komplizierter Glaube könnten nicht mehr verständlich in die moderne Gesellschaft hineingetragen werden. Fanaticus schaut den Papst an. Was würde dieser jetzt sagen? Gregor schweigt. Er ist in Gedanken versunken. Die anderen wissen nicht, worüber er nachdenkt. Seine Gedanken kreisen um Fanaticus. Dieser ist eine prophetische Gestalt, die viel für das Christentum getan hat. Ohne seine theologischen Konzepte wäre die christliche Religion wohl nicht dort, wo sie heute ist, nämlich die Nummer eins unter den Weltreligionen. Die christliche Religion ist sein Kind, daran besteht kein Zweifel. Die Erkenntnis zu den Theologen muss ihn deshalb besonders hart treffen. Es spricht einiges für Fanaticus, wenn er nun die ganze christliche Theologie zu Grabe tragen will.

Die Maestra klatscht zufrieden mit den Händen. Selbst Fanaticus hätte einsehen müssen, dass moderne Menschen nicht mehr glauben könnten. Auch der Papst nickt. Er verstehe es, wenn sich die Kirchen in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einer Organisation für Events wie Hochzeiten und Beerdigungen und für soziale Hilfswerke entwickelt hätten. Das Bekenntnis zu Jesus Christus und der Glaube an die Offenbarung würden heute wohl keine große Rolle mehr spielen.

Pietro hat bisher nichts gesagt. Das Gespräch gefällt ihm aber sehr. Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre weiß er seit langem, dass der christliche Glaube für die modernen Menschen ein No-Go geworden ist und deshalb alle Maßnahmen aus dem Vatikan ins Leere laufen. Eigentlich ist er froh, dass der Papst die Maestra, Fanaticus und den Turbator eingeladen hat und nicht irgendwelche Fundamentalisten und Erzkonservativen, die jetzt die religiöse Tradition mit Inbrunst und Härte verteidigen würden. Eines versteht Pietro allerdings nicht. Woher hat Fanaticus, der vor zweitausend Jahren in Rom gestorben ist, überhaupt seine Kenntnisse zu den modernen Menschen und Theologen? Er verdrängt die Frage allerdings sofort wieder. Sie würden hier ja großes Theater spielen, ohne Sinn und Verstand. Er kann es sich allerdings nicht verkneifen vorzuschlagen, Maria Magdalena könnte doch auch noch vorbeikommen und ihnen ein Stück Datteltorte aus dem Himmel mitbringen. Eine solche würde zum Wein sehr gut passen. Es überrascht ihn nicht, dass Fanaticus und der Turbator den Vorschlag sofort ausgezeichnet finden. Die Maestra schlägt sogar vor, außerdem noch Jesus zum Tortenessen einzuladen. Dabei lacht sie laut heraus. Gregor ist verärgert. Er schaut alle böse an und unterbricht das Gespräch mit einer abrupten Handbewegung. Er liebt sein Theater, aber nicht, wenn andere plötzlich die Initiative ergreifen und selbst die Regie übernehmen wollen. Er fordert deshalb den Turbator auf, mit den Kirchen, dem dritten Thema nach den modernen Menschen und der Theologie, sofort weiterzumachen. Hätten die wenigstens einen besseren Job machen können?

Der Turbator ist eine widersprüchliche Gestalt. Er kann verständnisvoll und gesellig sein, jedoch auch aggressiv, verletzend und jähzornig. Jetzt fängt er an, zu fluchen und über die Kirchen zu klagen. Bereits vor fünfhundert Jahren hätte er gegen die römisch-katholische Kirche in Rom gekämpft. Und was sei seither passiert? Nichts, überhaupt nichts! Der nutzlose Kampf gegen die machtgierigen Kirchenleute, die Hierarchien und Strukturen, die alle noch aus dem Mittelalter kämen, sei ihm leid geworden. Die Maestra habe schon recht gehabt. Weshalb sollten die Menschen einer unglaubwürdigen, verfetteten, verfilzten und korrupten Ecclesia catholica vertrauen, wenn sie einen glaubwürdigen Staat hätten? Der Turbator hat schnell gesprochen und muss jetzt durchatmen. Eigentlich wollte er noch länger reden, aber er hat ganz einfach genug. Er sagt, sein Kampf gegen Windmühlen sei endgültig vorbei. Er lehnt sich zurück und zieht beleidigt die Mundwinkel nach unten. Sein kurzer, wilder Redeausbruch überrascht die anderen nicht. Gregor hakt nochmals nach. Hätten die Kirchen nicht doch einen besseren Job machen können? Der Turbator beugt sich nach vorne und hebt die Faust hoch. Ja, die Kirchen hätten es besser machen können, aber sie hätten jämmerlich versagt und dabei den Niedergang der christlichen Religion noch beschleunigt. Die Maestra und Fanaticus geben dem Turbator recht. Pietro schweigt. Er will abwarten, wie der Papst nun selbst reagiert.

Gregor gibt vor, traurig zu sein, und schüttelt den Kopf. Welche Lagebeurteilung! Moderne Menschen könnten nicht mehr religiös sein, die Theologen würden an den Menschen vorbeireden und die Kirchen ihr Grab gleich selber schaufeln. Er sehe nur Abgründe, keine Hoffnung! Er fasse einmal zusammen. Da sei der Glaubenszerfall, der sich nicht mit Trompeten und Trommeln ankündige, sondern auf leisen Sohlen in die moderne Gesellschaft hineinschleiche. Die Maestra habe es mit ihrer Familiengeschichte sehr schön aufgezeigt. Sobald die Kinder nicht mehr religiös erzogen würden, sei es mit dem Glauben vorbei. Und da seien die Seitenhiebe von Fanaticus, die aufhorchen ließen. Die christliche Religion sei viel zu kompliziert und unverständlich, vor allem für junge Leute. Er selbst habe das am eigenen Leib auch schon einmal erfahren müssen. Er habe einmal den beiden Kindern seiner Putzfrau hier in Frascati den ersten Satz aus dem Johannesevangelium erklären wollen:

Im Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos.

Die Kinder hätten ihn angeschaut, als käme er von einem fremden Planeten. Bla, bla, bla! Sie hätten schnell wieder ihre Tablets in die Hand genommen, um bei irgendeinem Game zu schießen und zu töten. Die Worte des Turbators habe er allerdings erwartet. Die Kritik an den Kirchen sei ihm bewusst. Im Grunde genommen würde er ja selbst alles wissen. Was aber solle er mit einer solchen Lagebeurteilung machen? Er erhalte jeden Tag prallgefüllte Aktenordner mit gutgemeinten Vorschlägen aus aller Welt. Viel Brauchbares sei hingegen nie dabei. Er schenkt den anderen nochmals seinen Pinot Noir nach. Dann fordert er sie auf, doch noch einmal, ein letztes Mal wenigstens, zu versuchen, mit Lösungsvorschlägen zu kommen, wie man das Christentum doch noch retten könnte.

Für die Maestra ist die Sache klar. Sie habe es bereits mehrmals klar gesagt, das Christentum sei am Ende und könne nicht mehr gerettet werden. Sie wisse natürlich auch nicht, ob eine Weltkatastrophe, ein großer Krieg oder eine neue Pest alles wieder ändern könnte. Es könnte möglich sein, dass die Menschen bei einem großen Leid wieder zum Glauben und zu Gott zurückkehren würden, allerdings nicht mehr zur christlichen Religion und ihren komplizierten Glaubenskonzepten. Sie spricht dann den alles entscheidenden Satz:

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