Czytaj książkę: «Das Grab in der Ville-Close», strona 3

Czcionka:

Kapitel 6

Dustin lag auf dem Bauch in dem ausgehobenen Graben und bemühte sich die Erde unter dem Skelett, das vor wenigen Minuten sorgfältig herausgenommen worden war, zu untersuchen. Vorsichtig trug er Zentimeter für Zentimeter des Bodens mit einer kleinen Blumenschaufel ab, sah den Inhalt auf der Schaufel an, um nur nichts zu übersehen und warf das Erdreich danach weg. Seine Ausbeute war gering. Immerhin hatte er ein kleines Schnapsfläschchen und zahlreiche Knöpfe, die vermutlich von den Kleidern des Toten stammten, gefunden. Reste der Kleidung waren von einem Kollegen sichergestellt worden. Seine weitere Suche förderte noch einige Münzen und ein Portemonnaie zu Tage. Jetzt galt es kleinere oder kleinste Spuren zu sichern. Langsam arbeitete er sich vor. Dustin stach mit seiner kleinen Schaufel erneut ins Erdreich und hob einen weiteren Zentimeter Erde aus als er auf der Schaufel eine kleine dunkle dünne Scheibe entdeckte, deutlich vom langen Liegen angegriffen. Er nahm sie in die Hand und betrachtete sie sorgfältig. Vorsichtig rieb er die Erde ab. Er war überrascht, eine alte Münze in der Hand zu halten. Er tippte auf eine Kupfermünze, die aber bestimmt schon sehr lange hier lag. Auch wenn die Münze wahrscheinlich nichts mit dem Mord zu tun hatte, legte er den Fund in eine Plastiktüte. Nach zwei weiteren Stunden des Grabens hatte er einen Zigarettenstummel, ein kleines Stück Eisen, ein Stück Ölpapier und Reste einer Plastiktüte gefunden.

Dustin stieg zufrieden aus dem Graben. Erst jetzt merkte er, dass ihn sein Brustraum schmerzte. Das lange Liegen auf dem Bauch war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Nach einigen Minuten beruhigte sich der Druckschmerz wieder und Dustin widmete sich seiner Ausbeute. Die Reste der Kleidung des Toten würde er sich genauer ansehen müssen. Vielleicht wären sie zur Identifizierung des Mannes hilfreich. Vorsichtig öffnete er das Portemonnaie, dessen Leder zwar angegriffen aber nicht zerstört war. In der Münztasche lagen drei Euro in kleinen Einheiten von 50, 20 und 10 Cent Münzen. Die Scheinfächer waren leer. Dustin legte das Portemonnaie wieder in die Plastiktüte und betrachtete die anderen Fundstücke. Sein Interesse galt vor allem dem kleinen Stück Ölpapier. Was war in diesem Papier eingewickelt gewesen? Er betrachtete das Stück genauer. Es war etwas Herausgerissenes, wie ein Fetzen eines aufgerissenen Pakets. Er legte es wieder zurück in die Tüte. Dann machte er sich mit seinen Kollegen an die Arbeit, den Grasboden rund um den Graben abzusuchen. Die Arbeit erschien ihm eigentlich sinnlos, denn im Laufe der letzten Monate hatten sich bestimmt hunderte von Menschen hier aufgehalten.

Der kleine Bagger, mit dem der Graben ausgehoben worden war, hatte tiefe Spuren in dem Grasboden hinterlassen, so dass es nicht viel Sinn machte hier weiter zu suchen. Dustin ordnete an, die weitere Suche einzustellen. Die Männer packten ihre Utensilien zusammen und machten sich zurück auf den Weg ins Kommissariat. Die Ausbeute ihrer akribischen Arbeit war zufriedenstellend. Seine wichtigste Arbeit begann, sobald er die einzelnen Fundstücke einer genauen Prüfung in seinem Labor unterzog. Manchmal genügte schon ein Blick durchs Binokular auf den Gegenstand um wichtige Hinweise zu finden.

Dustin begann mit seiner Arbeit, die er am liebsten alleine und in völlig ungestörter Umgebung absolvierte. Jedes Geräusch störte ihn, er konnte weder Musik noch das Klingeln eines Telefons gebrauchen. Aber genau in diesem Moment klingelte das Telefon und störte ihn in seiner minutiösen Arbeit.

„Goarant“, meldete er sich mürrisch, ohne auf die Nummer von Anaïk zu achten, die das Display signalisierte.

„Dustin, Anaïk hier, ich möchte wissen, ob du etwas Brauchbares gefunden hast?“

„Hallo Anaïk, ich habe gerade erst mit der Untersuchung der Fundstücke begonnen. Wir haben eine ganze Reihe von Gegenständen gefunden. Wenn ich von den Kleiderresten absehe haben wir noch ein Portemonnaie, ein kleines Schnapsfläschchen, zahlreiche Knöpfe, einen Zigarettenstummel, eine recht alte Kupfermünze, ein kleines Stück Metall, vermutlich Eisen, ein Stück Ölpapier und Reste einer Plastiktüte gefunden. Aber ich muss mir alles genauer ansehen, bevor ich eine Aussage machen kann.“

„Dustin, ich will dich nicht drängen, aber wir haben bisher so wenige Anhaltspunkte, dass wir uns an jedem Strohhalm festhalten.“

„Anaïk, gib mir noch einige Stunden Zeit, dann kann ich dir vielleicht etwas mehr sagen. Hast du schon mit Yannick gesprochen? Ich könnte mir vorstellen, dass er mit seinen Untersuchungen etwas schneller ist.“

„Nein, habe ich noch nicht. Dustin, ich gehe davon aus, dass der Mediziner länger braucht als du.“

„Alte Schmeichlerin, aber danke, tut gut.“

„Dustin, ich warte geduldig ab und versuche in der Zwischenzeit bei Yannick mein Glück.“

Anaïk legte auf. Dustin fuhr in seiner Arbeit fort. Das Ölpapier hatte es ihm angetan. Was war in diesem Papier einmal eingewickelt gewesen? Warum hatte das Papier in einem Grab gelegen? War es Zufall oder gehörte es zu dem Toten? Auch unter dem Binokular gab das Papier keine Antwort auf seine Fragen. Er konnte an einer Seite erkennen, dass es dem Erdreich ausgesetzt gewesen war. Der kleine Fetzen stammte jedenfalls nicht aus dem Innern eines Pakets, soviel konnte er sagen. Was wickelt man in Ölpapier wenn man es vergraben will? Ein wertvolles Bild? Heroin, wie bei einem der letzten Fälle auf Ouessant? Eine Waffe? Geldscheine? Es gab bestimmt hunderte von Gegenständen, die man so verpackt um sie vor Feuchtigkeit zu schützen. Was war in dem Ölpapier eingewickelt gewesen? Sollte dieser Fetzen durch Zufall ins Grab gelangt sein als der Tote eingebuddelt worden war?

Als nächstes nahm er sich das Portemonnaie vor. Einen schnellen Blick hatte er bereits an der Fundstelle auf die wenigen Münzen geworfen. Er ließ den Inhalt der Börse jetzt auf seinen Arbeitstisch fallen und sah sich die Münzen genauer an. Es waren exakt 3 Euro und sieben Cent. Die Scheinfächer waren leer. Dustin untersuchte das Portemonnaie. Hinter der Münztasche befand sich noch ein Fach, das er am Tatort übersehen hatte. Darin steckte ein Papier. Dustin nahm seine Pinzette und zog das Stück Papier vorsichtig aus dem Fach. Er gab acht, es nicht zu beschädigen. Die Feuchtigkeit des Erdreichs hatte auch dem zusammengefalteten Papier zugesetzt. Dustin faltete es auseinander und versuchte zu entziffern was auf dem kleinen Blättchen geschrieben stand.

Ca. 160 Meter von dem Quai der Fähre. Markierung an Mauer, Kreuz im Stein, 60 – 80 cm tief, in Ölpapier eingepackt

Die Schrift war noch gut zu lesen, trotz der Bodenfeuchtigkeit. Die Notiz schien auf etwas hinzuweisen, das in Ölpapier eingepackt worden und wohl an der Stelle vergraben gewesen war. Der kleine Fetzen Ölpapier gehörte also offensichtlich zu einem Paket. War das die Antwort auf die Frage, ob das gefundene Stück Ölpapier mit der Leiche zusammenhängt und eventuell mit ihr vergraben worden war?

Dustin arbeitete sich weiter durch das Portemonnaie durch. Außer den Münzen und der Notiz war nichts mehr darin enthalten. Er hatte keinen Hinweis auf den Besitzer gefunden. Die Notiz könnte Anaïk bei der Suche nach einem Motiv helfen. Es wäre durchaus denkbar, dass die Person wegen eines an der Stelle vergrabenen Pakets ermordet worden war. Was auch immer in dem Paket gesteckt hatte, Heroin, Ecstasy, Gold, Falschgeld oder echte Scheine? Dustin legte den kleinen Notizzettel in eine eigene Plastiktüte, er würde ihn noch auf Fingerabdrücke oder andere Spuren untersuchen müssen, dann nahm er sich die gefundene Münze vor. Er reinigte sie. Es war eine 1/2 Sol Münze, eine Umlaufmünze aus Kupfer. Auf der einen Seite zeigte sie eine Jahreszahl, darunter ein gekröntes Wappenschild und ein Symbol. Auf der anderen Seite war das Abbild von König Ludwig XVI. Die Münze hatte vielleicht einen Wert von ein oder zwei Euro. Dafür würde niemand einen Menschen ermorden. Als nächstes nahm er sich das kleine Stück Eisen vor, das direkt unter dem Kopf des Toten gelegen hatte. Er untersuchte es unter dem Binokular und kam zu dem Schluss, dass es sich um ein Stück Metall von einem Arbeitsgerät handelte, von einem Spaten, einer Schaufel oder einer Hacke. Es schien keine weiteren Geheimnisse zu bergen.

Die Überbleibsel der Plastiktüte verrieten ihm, dass es sich um eine Tüte der bekannten Chocolaterie Larnicol handelte. Das Unternehmen hatte Geschäftslokale in ganz Frankreich. In Paris, Toulon, Rennes, Nantes, Quimper und natürlich in der Ville Close von Concarneau. Seine Fabrikationsanlagen lagen nicht weit von der Altstadt von Concarneau entfernt. In dem etwa sieben Kilometer entfernten kleinen Ort Melgven, oder Melgwenn, wie die Bretonen die Kleinstadt nennen. Das Stück Plastik trug noch den Aufdruck eines Datums. Das könnte eventuell noch wertvolle Hinweise beinhalten. Die Tüte war 2014 bedruckt oder hergestellt worden. Was auch immer in der Tüte gewesen war, Dustin konnte es nicht mehr ermitteln.

Es blieben jetzt noch das Fläschchen und die Reste der Kleidungsstücke zu untersuchen, ein rot blau kariertes Hemd, eine blaue Jeans und ein schwarzer Wollpullover.

Kapitel 7

Yannick Detru hatte sich das Skelett akribisch angesehen. Er konnte auf Grund des Knochengerüsts bereits definitiv sagen, dass es sich um einen Mann handelte. Das Opfer war erschlagen worden. Der Schädel zeigte zwei Öffnungen, die dem Toten mit einem scharfkantigen Gegenstand zugefügt worden waren. Das Os frontale, das Stirnbein, und das Os parietale, das Scheitelbein, waren zertrümmert worden. Jeder dieser Schläge war für sich bereits tödlich gewesen, hinter der Tat schien eine enorme Brutalität zu stecken.

Haar- und Nagelreste waren für eine DNA-Untersuchung ausreichend vorhanden. Vielleicht gelang es die Identität des Opfers zu bestimmen. Yannick machte sich sofort an die Arbeit. Die beiden Kommissarinnen warteten bestimmt auf die Antwort.

Yannick näherte sich langsam der Pensionierung. Noch wenige Jahre, dann würde er seinem Freund Ewen Kerber folgen. Wie viele Jahre hatte er mit Ewen zusammengearbeitet? Warum dachte er gerade jetzt an ihn? In den nächsten Tagen würde er seinen alten Freund einmal wieder anrufen und ein kleines Schwätzchen halten.

Yannick Detru liebte gutes Essen, was an seiner Statur abzulesen war. Er war noch ein attraktiver Mann, trotz seiner grauen Haare, mit dunklem Teint, mit einem ovalen Gesicht, großen hellblauen Augen, einer wohlgeformten Nase und ebensolchen Augenbrauen. Yannick erschien stets korrekt gekleidet im Kommissariat, obwohl er keine Frau hatte, die darauf achtete. Er war Single, daran würde sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern.

Yannick arbeitete gewissenhaft und hoffte, dass er die Ergebnisse der DNA-Analyse bis zum nächsten Morgen vorliegen hatte. Er war selbst gespannt auf das Ergebnis. Vielleicht gab es die DNA ja bereits in einer Datenbank. Nachdem er alles für die Analyse in die Wege geleitet hatte ging er wieder zum Skelett zurück. Seiner Meinung nach handelte es sich um einen jüngeren Mann. Die Gelenke zeigten keinerlei Abnutzungsspuren oder Kalkeinlagerungen. Auch der Knorpel, soweit noch vorhanden, passte zu einem jüngeren Menschen. Die Knochen an einem Fuß waren deformiert, das war ihm nicht sofort aufgefallen. Der junge Mann hatte einen Klumpfuß, der nicht behandelt worden war. Er hatte bestimmt besonderes Schuhwerk getragen. Vielleicht hatte Dustin Überreste davon gefunden. Wenn sie Glück hatten, dann konnten sie feststellen, bei welchem orthopädischen Schumacher die Schuhe angefertigt worden waren. Am Ende seiner Untersuchung war er sicher, dass die menschlichen Überreste zu einem jungen Mann von 20 bis 30 Jahren gehörten. Eine wichtige Erkenntnis für die Kommissarinnen.

Yannick ging an seinen Schreibtisch und wählte Dustins Nummer.

„Na du Leichenfledderer, hast du keine Lust mehr an den Knochen herumzuspielen?“ Dustin zog Yannick auf. Und, obwohl sie sich schon seit mehr als zwanzig Jahren kannten, fiel Yannick immer noch auf Dustin herein.

„Was heißt hier Leichenfledderer? Ich gehe absolut wissenschaftlich vor.“

„Ja, ja, Yannick, nur keine Aufregung. Was kann ich für dich tun? Es ist äußerst selten, dass du mich anrufst.“

„Ich habe eine Frage, hast du Schuhe sichergestellt? Der Knochenmann hatte einen Klumpfuß, was spezielles Schuhwerk erfordert.“

„Ich bin noch nicht mit allen Fundstücken durch. Warte kurz, ich sehe nach.“

Es dauerte nur wenige Minuten, dann war Dustin wieder am Apparat.

„Yannick, der Mann hatte solche Schuhe. Die Schuhe scheinen speziell angefertigt worden zu sein.“

„Sehr gut, wenn du jetzt noch rausfindest wer die Schuhe gemacht hat, dann können sich unsere hübschen Frauen über die Arbeitserleichterung freuen.“

„Das sollen die selber machen, Yannick, warum soll ich das herausfinden?“

„Weil manche Schuhmacher an der Innenseite der Schuhe ihren Namen anbringen.“

„Okay, dann habe ich tatsächlich etwas von einem Pathologen gelernt. Ich werde mir die Schuhe sofort vornehmen. Hoffentlich hat der Aufenthalt im Erdreich dem Leder nicht zu stark zugesetzt.“

Yannick war zufrieden.

Kapitel 8

Am nächsten Morgen fand Anaïk einen ersten Bericht von Dustin auf dem Schreibtisch vor. Sie überflog die zwei Seiten, auf denen Dustin die Ergebnisse seiner Untersuchung der gefundenen Gegenstände beschrieb.

„Bonjour, wünsche ich“, schallte es aus dem Flur. Im Türrahmen stand Yannick mit einem Schnellhefter. Üblicherweise pflegte er darin seine Berichte zu senden.

„Bonjour Yannick, bringst du deinen Bericht heute persönlich vorbei?“

„Genau das, liebe Anaïk. Ich glaube, wir können unseren Toten recht schnell identifizieren. Ich habe seine DNA festgestellt und eine Übereinstimmung in unserer Datenbank gefunden. Auch wenn die Übereinstimmung nicht 100%ig ist.“

„Hmmm, was heißt nicht 100%ig?“

„Nun, ich will sagen, dass wir in unserer Datenbank nicht seine DNA vorliegen haben, sondern die eines nahen Verwandten.“

„Nahen Verwandten? Wie nah?“

„Seinem Alter nach zu urteilen, könnte es sich um seinen Großvater handeln. Aber langsam. Die DNA in unserer Datenbank gehört einem Mann, der ist 1936 geboren worden. Sein Name ist Heneg Bolloc´h. Der Mann ist 2002 bei den Ermittlungen zu einem spektakulären Bankraub ins Visier der police judiciaire geraten, dabei wurde seine DNA abgenommen. Bei dem Bankraub wurde eine Filiale der BNP Paribas hier in Quimper überfallen, just zu dem Zeitpunkt als ein Geldtransporter eine große Menge Bargeld in der Filiale abgeliefert hat. Es handelte sich damals um die erste Lieferung der neuen Euro-Scheine. Diese Informationen habe ich noch von deinem Vorgänger Ewen. Ich habe heute Morgen mit ihm telefoniert. Ich hatte seit Längerem vor ihn einmal wieder anzurufen. Ewen konnte sich noch sehr gut an den Fall erinnern, weil damals ein Wachmann zu Tode gekommen ist. Aber es geht noch weiter. Also, dieser Heneg Bolloc´h wurde damals anonym angezeigt. Der Mann war zu dem Zeitpunkt bereits weit über 60 Jahre alt. Die unbekannte Person, die ihn angezeigt hat, hat behauptet, dass Heneg Bolloc´h in den Überfall verwickelt gewesen ist. Die police judiciaire ist der Anzeige nachgegangen, hat Bolloc´h aber nicht nachweisen können, dass er etwas mit der Sache zu tun gehabt hat. Bei dem Überfall sind damals sechs Millionen Euro gestohlen worden.“

„Sechs Millionen Euro! Das ist ein ganz schöner Batzen Geld!“

„Genau sechs Millionen Euro, eine ganz schön hübsche Summe. Die Kollegen vom Raubdezernat haben zwei Komplizen festnehmen können und 3,6 Millionen des gestohlenen Geldes sichergestellt. Da an dem Überfall drei Männer beteiligt gewesen sind, handelt es sich bei dem gefundenen Betrag eventuell um ihren Anteil an der Beute. Die restlichen 2,4 Millionen sind bis heute verschwunden. Die beiden Ganoven haben den dritten Beteiligten nie verraten. Sie sitzen ihre Strafe in Brest ab. Vermutlich werden sie demnächst freikommen, vielleicht sind sie auch bereits entlassen worden. Einem der beiden hatte Ewen den Mord an dem Wachmann nachweisen können. Da der Richter damals dem Verteidiger gefolgt war, wurde der Mann nur wegen Todschlags verurteilt.“

„Und was hat jetzt unser Skelett mit dem Überfall zu tun?“

„Das, liebe Anaïk ist deine Aufgabe. Ich kann dir sagen, dass unser Toter vermutlich der Enkel von Monsieur Bolloc´h ist. Ob Bolloc´h damals wirklich an dem Überfall beteiligt gewesen ist oder nicht, oder wie sein Enkel in die Sache verstrickt sein könnte, das entzieht sich meiner Kenntnis.“

„Danke, Yannick, damit sind wir jedenfalls ein Stück weiter. Dustin hat mir seinen vorläufigen Bericht auch gegeben. Er hat festgestellt, dass der Mann orthopädische Schuhe getragen hat, und in den Schuhen hat er tatsächlich den Namen des Schuhmachers gefunden.“

„Ich musste ihn erst auf die Spur bringen, denn ich habe festgestellt, dass der Mann einen Klumpfuß hatte. Allerdings war ich mit der DNA-Analyse zu dem Zeitpunkt noch nicht soweit, so dass ich gehofft habe, dass wir den Namen über die Schuhe herausfinden können.“

Monique Dupont betrat Anaïks Büro.

„Na, Yannick, hast du schon eine heiße Spur?“

„Yannick hat mir gerade gesagt, um wen es sich wahrscheinlich bei unserem Toten handelt. Ich erzähle es dir gleich.“

Yannick verabschiedete sich von den beiden Kommissarinnen und verließ den Raum. Anaïk trat an die Pinnwand und begann mit den Eintragungen, während sie Monique gleichzeitig auf den neuesten Stand brachte. In den großen Kreis schrieb sie jetzt den Namen Bolloc´h. Einen Vornamen hatten sie noch nicht.

„Wissen wir schon, wo sich dieser Heneg Bolloc´h zurzeit aufhält?“

„Nein, Monique, das wird die nächste Aufgabe werden. Hast du eine Auskunft von der Vermisstenstelle erhalten?“

„Ja, das habe ich. In dem Zeitraum ist eine ganze Reihe von Personen als vermisst gemeldet gewesen. Ich habe die Liste gerade erhalten.“

„Dann lass uns nachsehen, ob der Name Bolloc´h erscheint.“

Sie brauchten nicht lange zu suchen bis sie den Namen Mewen Bolloc´h fanden. Der Mann war vor 19 Monaten verschwunden. Damit konnten sie relativ sicher sein, dass es sich um das Opfer handelte.

„Lass uns in der Datenbank überprüfen wer den Mann als vermisst gemeldet hat“, meinte Anaïk, ging zu ihrem Rechner und wählte sich in die Datei ein.

„Da ist es schon. Sein Vater, Tadeg Bolloc´h hat die Anzeige aufgegeben. Der junge Mann soll demnach am Tag vor seinem Verschwinden abends aus dem Haus gegangen sein. Er hat sich mit einem Freund treffen wollen. Den Namen des Freundes konnte der Vater den Kollegen nicht sagen. Nachdem er auch am übernächsten Tag nicht wieder aufgetaucht ist hat sein Vater die Anzeige aufgegeben. Die Suche nach dem Vermissten hat zu keinem Ergebnis geführt.“

„Dann sollten wir uns mit dem Vater unterhalten“, meinte Monique und sah Anaïk gespannt an.

„Genau das werden wir jetzt sofort machen. Zuerst ergänze ich aber den Namen unseres Opfers. Dustin hat noch andere interessante Hinweise gefunden. Eine kleine Notiz scheint mir besonders interessant zu sein.“ Anaïk zog die Plastikhülle mit dem Zettel aus dem Bericht von Dustin und zeigte sie Monique.

Ca. 160 Meter von dem Quai der Fähre. Markierung an Mauer, Kreuz im Stein, 60 – 80 cm tief, in Ölpapier eingepackt

„Aber Anaïk, das ist doch die genaue Beschreibung des Fundortes der Leiche.“

„Das liest sich auch wie die Beschreibung zu einem Versteck, findest du nicht, Monique?“, meinte Anaïk und betrachtete den kleinen Zettel. Dann fügte sie hinzu:

„Und wenn es sich hier um das Versteck von dem Geld aus dem Raubüberfall handelt?“

„Raubüberfall? Welcher Raubüberfall?“

„Entschuldige, du kennst noch nicht die ganze Geschichte, die Yannick mir gerade erzählt hat. Demnach ist der Großvater unseres Toten verdächtigt worden, vor 14 Jahren an einem Raubüberfall auf die BNP Paribas beteiligt gewesen zu sein. Allerdings konnte man dem Mann nichts nachweisen. Seine Kollegen haben dichtgehalten, so dass nur zwei von den drei Ganoven verurteilt worden sind. Da bei dem Überfall ein Wachmann ums Leben gekommen ist, ist mein Vorgänger, Ewen Kerber, an der Aufklärung beteiligt gewesen. Und Kerber hat Yannick die Einzelheiten erzählt.“

„Das heißt, dass unser Mord eventuell mit dem Bankraub vor 14 Jahren zu tun hat?“

„Das weiß ich nicht und möchte es auch nicht behaupten, aber möglich wäre es. Die beiden Verurteilten sitzen eventuell noch im Gefängnis von Brest und könnten in der nächsten Zeit entlassen werden. Wir müssen das überprüfen.“

„Gut, das bedeutet, dass die beiden ein Alibi haben, falls sie noch einsitzen. Warum ist der Enkel des dritten mutmaßlichen Beteiligten ermordet worden? Das passt nicht so richtig ins Bild“, fragte Monique nachdenklich.

„Das sind Fragen, die wir zu klären haben. Aber es ist ja noch nicht einmal sicher, dass der Bankraub von damals etwas mit dem Mord zu tun hat.“

„Dann lass uns zuerst mit dem Vater von Mewen Bolloc´h sprechen. Hast du seine Adresse?“

„Die steht in der damaligen Anzeige. Der Mann wohnt in der Rue Neuve, in Beuzec Conq, einem Vorort von Concarneau.“

Monique und Anaïk machten sich auf den Weg nach Concarneau. Es regnete schon seit Stunden in Strömen. Der Himmel hing voller schwarzer Wolken. Die Bäume hatten ihr Laub zum größten Teil verloren. Anaïk mochte diese spätherbstliche feuchte Jahreszeit nicht besonders. Sie liebte ihre Bretagne hell und blühend, mit dem Geschrei der Möwen und dem Geruch von Algen, Meer und Fisch. Die letzten Tage des Herbstes und die Wintermonate erlitt sie mehr. Natürlich hatten auch die Winterstürme ihren Reiz. Wenn der Wind das Meer aufpeitschte und die Wellen sich bis zu zwanzig Meter hoch auftürmten und krachend über die vorgelagerten Felseninseln stürzten, die Leuchttürme mit einem Wasserschleier umgeben waren, und der Algenschaum sich wie ein Schneeteppich über die Strände ausbreitete und allen angespülten Schmutz zudeckte. Es gab nicht wenige Touristen, die genau deswegen in den Wintermonaten in die Bretagne reisten.

Die Voie Express nach Concarneau war beinahe leer. Anaïk lenkte den Wagen in die Ausfahrt des Lieu dit Coat Conq und fuhr in Richtung der Stadt. Die Rue Neuve von Beuzec Conq lag knappe 4 Kilometer von der Ausfahrt entfernt. Sie verließen den Kreisverkehr vor dem Hotel Ibis an der zweiten Ausfahrt und hatten nach weiteren 200 Metern bereits die Rue Neuve erreicht. Nach einem weiteren Kilometer standen sie vor dem Haus von Tadeg Bolloc´h. Es war ein kleines einfaches Haus, nichts typisch Bretonisches. Der kleine Garten machte einen eher tristen Eindruck, was vielleicht daran lag, dass lediglich ein paar Hortensienbüsche an der Hauswand standen, die nur noch braune Stängel und keine Blätter mehr trugen. Ein ehemals weißes Gartentor, das die mit grauem Kies gedeckte Zufahrt abschloss, stand geöffnet.

Anaïk und Monique stiegen aus dem Wagen und schützten sich auf ihrem Weg zur Haustür mit ihren Regenmänteln, die sie sich über den Kopf gezogen hatten, vor den Wassermassen. An einen Schirm hatten beide nicht gedacht als sie das Kommissariat verlassen hatten. Das kleine Vordach über der Haustür bot ihnen Schutz, sie klingelten.

Es dauerte eine Weile, dann hörten sie sich nähernde schlurfende Schritte. In der Tür stand ein unrasierter Mann mit zerzausten Haaren, wulstigen Lippen und tiefliegenden Augen. Seine abstehenden Ohren erinnerten etwas an Segel. Der dicke schwarze Wollpullover hatte seine bessten Zeiten hinter sich und die weiten, einst vermutlich grauen, Jogginghosen endeten über ausgelatschten karierten Pantoffeln.

„Was wünschen Sie?“, fragte Monsieur Bolloc´h die beiden Kommissarinnen.

„Bonjour Monsieur, Sie sind Tadeg Bolloc´h?“

„Ja, das bin ich.“

„Monsieur Bolloc´h, mein Name ist Anaïk Bruel, das ist meine Kollegin, Monique Dupont, wir sind von der police judiciaire aus Quimper, dürfen wir hereinkommen?“ Beide zeigten ihren Dienstausweis.

„Um was geht es?“, antwortete Bolloc´h mit einer Gegenfrage, ohne Anstalten zu machen die Kommissarinnen eintreten zu lassen.

„Es geht um ihren Sohn, den Sie vor über einem Jahr als vermisst gemeldet haben“, sagte Anaïk und wartete seine Reaktion ab.

„Haben Sie ihn jetzt gefunden?“ Bolloc´h trat zur Seite und ließ die beiden Kommissarinnen eintreten. Seine Miene ließ nicht erkennen, ob er gespannt war ein Lebenszeichen von seinem Sohn zu erhalten. Sie blieb eher gleichgültig, beinahe desinteressiert. Sie betraten einen vernachlässigten Flur, dessen Erscheinungsbild dem des Mannes entsprechend war.

„Nach rechts“, meinte Bolloc´h kurz und zeigte auf die offenstehende Tür. Anaïk betrat als erste das Wohnzimmer. Ein in die Jahre gekommenes Vinylsofa und zwei Sessel gruppierten sich um einen kleinen, runden schwarzen Tisch, der unter der Last der Zeitschriften und Zeitungen zusammenzubrechen drohte. Oben auf dem Zeitungsstapel stand ein Aschenbecher, über und über mit Zigarettenstummeln und Asche gefüllt. Eine immer noch glimmende Zigarette lag auf dem Rand.

„Nehmen Sie Platz“, sagte Monsieur Bolloc´h, nachdem er weitere Zeitungen vom Sofa genommen hatte. Er selbst ließ sich in einen der beiden Sessel fallen.

„Also, erzählen Sie schon, haben Sie ihn endlich gefunden?“

„Monsieur Bolloc´h, wir haben gestern, bei Ausgrabungen in der Ville Close, ein Grab entdeckt. Der darin gefundene Leichnam entpuppte sich als die sterblichen Überreste ihres Sohnes.“

„In der Ville Close? In einem Grab? Wie kommt Mewen in die Ville Close? Ich habe ihn dort nicht beerdigt.“

„Davon sind wir auch nicht ausgegangen, Monsieur Bolloc´h. Soweit wir bis jetzt feststellen konnten, ist ihr Sohn einem Verbrechen zum Opfer gefallen.“

Tadeg Bolloc´h zeigte jetzt deutlich wahrzunehmende und offensichtlich ehrliche Rührung. Seine versteinerte Miene wich und machte dem Ausdruck seiner Betroffenheit Platz.

„Mein Sohn ist ermordet worden? Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass er sich nur aus dem Staub gemacht hat. Es hätte zu ihm gepasst, mich mit allen Problemen alleine zurückzulassen. Seit meine Frau vor sechs Jahren an Krebs verstorben ist, hat Mewen keinerlei Interesse mehr an der Schule oder an einer Lehre gezeigt. Ich habe kurze Zeit später meine Arbeit verloren. Die Konservenfabrik hat dichtgemacht, und alle haben ihren Job verloren. Suchen sie mal mit 52 einen neuen Job in Concarneau. Einige Jahre habe ich von dem Arbeitslosengeld gelebt. Dann bin ich frühpensioniert worden und muss seither mit einer Minirente leben. Ich habe immer gehofft, dass Mewen eine gute Arbeit finden und mich unterstützen kann.“

Anaïk hatte nicht vor, in dieses Gespräch einzusteigen. Sie interessierte sich ausschließlich für das Verschwinden von Mewen.

„Wie war das damals als ihr Sohn verschwunden ist? War dem etwas vorausgegangen, zum Beispiel eine Auseinandersetzung oder ein Streit?“

„Nein, überhaupt nicht. Mewen ist am Nachmittag in der Ville Close gewesen. Als er zurückkam sagte er nur, dass er sofort wieder losgehen müsse, er wolle sich mit seinem Freund treffen, und er sei schon spät dran.“

„Haben Sie ihn nicht nach dem Namen des Freundes gefragt?“

„Nein, er hätte ihn mir wahrscheinlich sowieso nicht genannt. Mewen ist in den Jahren nach dem Tod seiner Mutter immer verschlossener geworden.“

„Was hat ihr Sohn in der Ville Close gemacht?“ Die Frage von Monique schien Monsieur Bolloc’h zu überraschen.

„Wieso wollen Sie das wissen?“

„Nun, wir versuchen den Mord an ihrem Sohn zu klären, da sind alle Informationen wichtig, zumal er offensichtlich in der Ville Close ermordet worden ist.“

„Hmmm, also er hat seinen Großvater besucht. Der hat sich vor einigen Jahren ein Studio in der Récidence Vauban, in der Ville Close, gekauft. Dort gibt es angeblich so etwas wie betreutes Wohnen. Mein Vater ist inzwischen 80 Jahre alt und kann ohne Rollator nicht mehr gehen. Mein Sohn hat ihn regelmäßig dort besucht. Ich habe nur sehr sporadisch Kontakt zu meinem Vater gehabt. Wir sind uns nicht gerade sehr sympathisch.“

„Wann haben Sie ihren Vater zum letzten Mal aufgesucht?“

„Das ist bestimmt schon drei Jahre her. Er hat damals keinen großen Wert auf meinen Besuch gelegt. Mewen ist der einzige gewesen, den er gerne um sich gehabt hat. Mein Vater ist kein sehr umgänglicher Mensch. Mir hat er immer nur Versagen vorgeworfen, dabei hat er selbst nichts auf die Reihe gebracht. Vor vielen Jahren hat die Police judiciaire sogar geglaubt, dass er an einem Bankraub beteiligt gewesen ist. Können Sie sich das vorstellen? Mein Vater ist damals bereits 65 Jahre alt gewesen.“

„Und? War er beteiligt?“, fragte Anaïk dazwischen.

„Ich kann es Ihnen nicht sagen. Kann sein, kann auch nicht sein. Wenn er es gewesen ist, dann hätte er einen großen Batzen Geld auf die Seite gebracht. Davon haben wir aber nie etwas bemerkt.“

„Ihr Vater hat die Familie nie unterstützt?“

„Nein, dabei hätten wir seine Hilfe gut gebrauchen können. Er ist schon immer ein geiziger Egoist gewesen.“

„Zurück zum Verschwinden ihres Sohnes, haben Sie nach ihm gesucht?“

„Was denken Sie? Natürlich habe ich nach ihm gesucht. Aber ich habe ihn nirgends gefunden. Ich war in allen Clubs, in denen er sich so herumgetrieben hat, habe alle möglichen Leute gefragt, die meinen Sohn gekannt haben. Aber niemand hatte ihn gesehen. Bei der Polizei hat man mich zuerst vertröstet. Der wird schon auftauchen, hat der Polizist in Concarneau gemeint. Erst nachdem er drei Tage lang verschwunden war, haben sie endlich eine Suchmeldung herausgegeben.“

„Können Sie uns ein Foto ihres Sohnes geben, das würde unsere Arbeit erleichtern.“

„Ein Foto? Muss ich suchen, warten Sie.“

Monsieur Bolloc´h erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel, nahm die bereits erloschene Zigarette aus dem Mund, die er vorhin aus dem Aschenbecher genommen hatte, und legte den Stummel erneut auf dem Rand des Aschenbechers ab. Er schlurfte quer durch den Raum und öffnete die Schublade eines Schrankes. Er wühlte in den offensichtlich planlos hineingeworfenen Fotos. Nach einigen Minuten schob er die Schublade wieder zu und kam mit einem Bild zurück.

30,19 zł
Gatunki i tagi
Ograniczenie wiekowe:
0+
Objętość:
291 str. 2 ilustracje
ISBN:
9783742707727
Wydawca:
Właściciel praw:
Bookwire
Format pobierania:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip