Seewölfe - Piraten der Weltmeere 682

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 682
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-096-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Jan J. Moreno

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Die Arwenacks unter falschem Verdacht

Der Mann wirkte verschlagen. Er war unglaublich dürr, und seine von der Sonne verbrannte Haut erinnerte an altes, sprödes Pergament.

Unstet und lauernd huschte sein Blick umher.

Ein Dolch blitzte in seiner Rechten. Er benutzte die zweischneidig geschliffene Klinge, um das verschlossene Schott eines achteren Laderaums aufzubrechen.

Was immer er zu sehen erwartet hatte, die Wirklichkeit übertraf seine Vorstellungen bei weitem. Die goldenen Skulpturen, Barren und Gebrauchsgegenstände – überwiegend in Kisten verstaut und seefest verzurrt – waren eines Maharadschas würdig. Schon für einen Bruchteil dessen wurden Menschen gemeuchelt oder Kriege entfesselt.

Schwer atmend preßte der Mann den Dolch an die Lippen. Ein Ausdruck unbezähmbarer Gier stand in seinen Augen …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Die Hauptpersonen des Romans:

Malindi Rama – hat den Weisheitszahn Buddhas gestohlen, was den Seewölfen mehr als nur Ärger einbringt.

Chandra Bose – der Hauptmann der Stadtwache von Tuticorin hat einen Auftrag für die Seewölfe, der ihnen gar nicht paßt.

Edwin Carberry – entflammt in Liebe und merkt zu spät, daß der Zweck die Mittel heiligt.

Mac Pellew – hält es für eine glorreiche Idee, einem Inder den Backenzahn zu ziehen.

Dina – eine rassige Inderin, nur hat sie es faustdick hinter den Ohren.

Philip Hasard Killigrew – die Fahrt nach Madras mit einer Schatzladung an Bord wächst sich für ihn zu einem Alptraum aus.

1.

Unter vollen Segeln lief die Schebecke der Seewölfe auf Nordkurs. Der Wind wehte aus Südosten und trieb eine sanfte, gleichmäßige Dünung dem Land entgegen, das sich palmenbestanden, aber ohne nennenswerte Erhebungen an Backbord erstreckte.

Eine Zeitlang begleiteten Fischerboote den schnellen Dreimaster. Ihre Segel hoben sich nur undeutlich gegen die Wolken und die im Sonnenschein gleißende türkisfarbene See ab. Sie verloren sich an der Kimm, als die Schebecke Tuticorin anlief.

Eine flache, mit Bänken und Riffen besetzte Bucht öffnete sich vor den Seewölfen, und Türme und Kuppeln schimmerten vom Westufer herüber. Philip Hasard Killigrew sah durchs Spektiv eine weit geschwungene Mole, Kais und hölzerne Stege, an denen Schiffe aller Größen vertäut lagen. Es handelte sich nur um einheimische Fahrzeuge: Pattamars, Maschwas und zwei der hochseetüchtigen Sambuken, die vor allem von Händlern gesegelt wurden.

Hasard ließ das Großsegel wegnehmen. Die Abdrift der Schebecke nach Steuerbord wurde daraufhin deutlicher, doch als die Peilung zur Mole auszuwandern begann, legte Piet Straaten Gegenruder.

„Starke Strömung nach Nordwest!“ meldete Stenmark, der vom Bug aus lotete. „Der auflaufende Gezeitenstrom unterstützt die Drift. Geschwindigkeit knapp zwei Knoten.“

Der Seewolf nickte stumm und widmete sich wieder dem Land. Ben Brighton, der Erste Offizier, hatte das Kommando übernommen.

Nördlich von Tuticorin verlief die Küste bogenförmig weiter und blieb niedrig und palmenbestanden. Aus den Karten war ersichtlich, daß die vorgelagerte breite Küstenbank zahlreiche Untiefen aufwies, darüber hinaus viele kleine Inseln.

„Siebeneinhalb Faden!“ rief Stenmark.

„Kurs halten!“

Ein hufeisenförmiges Riff verriet sich lediglich durch schwache Gischt. Die Flut verbarg zur Zeit die Felsen, die bei Niedrigwasser wohl dicht unter der Oberfläche lagen.

„Fünf Faden!“

Der Meeresboden stieg an. An Backbord war vorübergehend Grund zu sehen; ein Heer roter Seesterne wanderte dem Riff entgegen.

Dann wirkte das Wasser wieder trübe und spiegelte nur die Sonne und die rasch dahinziehenden Schönwetterwolken. Die Tiefe blieb konstant bei viereinhalb Faden. Ben Brighton vermied dennoch jedes Risiko, indem er frühzeitig auch das Besansegel auftuchen ließ. Nur mehr unter der Fock laufend, näherte sich die Schebecke der Hafenmole.

Inzwischen war man an Land auf den fremden Dreimaster mit den Lateinersegeln aufmerksam geworden. Händler, Fischer und eine lärmende Kinderschar warteten darauf, daß das große Schiff anlegte.

Malindi Rama wurde sich bewußt, daß nicht nur er ein Geheimnis verbarg. Die Engländer waren Piraten oder Räuber: um zu erkennen, daß die goldenen Skulpturen von indischen Goldschmieden angefertigt worden waren, bedurfte es keines besonders wachen Verstandes.

Malindis linke Hand verkrampfte sich um den Lederbeutel, den er an einer dünnen Kordel um den Hals trug. Vorübergehend schloß er die Augen und genoß das Gefühl, einen Schatz in der Hand zu halten, der wertvoller war als Gold und Silber. Die Arwenacks hatten zwar herausgefunden, daß in dem Beutel ein Backenzahn lag, aber sie wußten nicht, was für eine Bedeutung er hatte.

Das Geräusch sich nähernder Schritte ließ den Singhalesen zusammenzucken. Blitzschnell zog er das Schott zu. Gerade noch rechtzeitig, ehe einer der Engländer über den Niedergang abenterte.

„Was tust du hier?“ fragte der Mann in einem Hindu-Dialekt, wie er weit im Norden des Landes gesprochen wurde. Malindi kannte den helläugigen und hellhaarigen Mahn – nicht zuletzt, weil er und die Söhne des Kapitäns die einzigen waren, die sich einigermaßen mit ihm verständigen konnten.

„Nichts“, erwiderte Malindi Rama mit einem Schulterzucken.

„Wir laufen in Tuticorin ein. Ich dachte, dein Platz wäre jetzt an Deck.“

„Natürlich.“ Der Singhalese fuhr sich mit der flachen Hand über den kahlgeschorenen Kopf, auf dem eine Karte Ceylons eintätowiert war. Einige Arwenacks glaubten sogar, eine stilisierte Tempelanlage zu erkennen – daß sie mit der Vermutung genau ins Schwarze trafen, behielt Malindi Rama aber wohlweislich für sich.

Die Engländer hatten seine Lockenpracht abgeschnitten, weil es in ihnen von Läusen gewimmelt hatte. Ihm waren die Plagegeister jedoch hundertmal lieber gewesen als der haarlose Zustand. Immerhin mußte er befürchten, daß die singhalesischen Bewohner von Tuticorin vom Frevel im Tempel von Kandy wußten und beim Anblick der Karte die richtigen Schlüsse zogen.

Die Schebecke holte über und legte sich in den Wind, um entweder vor Anker zu gehen oder zu vertäuen. Die leichte Krängung genügte, das Schott des Laderaums aufschwingen zu lassen. Malindi Rama erkannte zu spät, daß er mit dem Dolch das Schloß beschädigt hatte.

Dan O’Flynn, der noch auf dem untersten Tritt des Niedergangs stand, zog überrascht die Brauen hoch. Sein Blick streifte die Schatzkisten und wanderte zu Malindi zurück.

„Willst du uns bestehlen, obwohl wir dich von der Insel gerettet haben?“ fragte er.

Vorübergehend war unter der Wasserlinie ein dumpfes, hohles Gluckern zu vernehmen, Holz schrammte gegen Holz, dann klangen Stimmen auf. Die Schebecke legte an einem Steg an.

Malindi Ramas Gedanken überschlugen sich.

Dan O’Flynns Haltung hatte sich versteift, weil er den Kerl nun als gemeinen Dieb sah.

Andererseits spielte das für Malindi keine Rolle mehr. Ihm war nur daran gelegen, Tuticorin unbeschadet zu erreichen, wo er sicher sehen sehnsüchtig von einer Handvoll Männer und Frauen erwartet wurde, die ebenso dachten und handelten wie er. Die kleine Gemeinschaft der Verschwörer würde in großer Sorge sein, denn niemand wußte, daß sein Boot in der Brandung einer Insel gekentert war und er nur mit Mühe und Not den Strand erreicht hatte.

„Warum antwortest du nicht?“ fragte Dan O’Flynn.

Malindi warf sich herum und floh. Die Furcht, daß alles vergeblich gewesen sein könnte, hatte ihn gepackt und ließ ihn nicht mehr los. Er achtete nicht darauf, was der Engländer rief, er registrierte nur, daß ihm der Mann mit einigem Abstand folgte.

Die Engländer hatten ihn nach Tuticorin gebracht, mehr durfte er nicht von ihnen erwarten. Malindi wußte, daß es zum Bug hin noch einen Niedergang an Deck gab. Er vertraute darauf, daß ihm der heilige Zahn Buddhas Glück brachte. Daß sein Verfolger offenbar glaubte, ihn einholen zu können, ohne die Mannschaft zusammenzurufen, rechnete er dazu.

Die Unterkunft der Engländer! Auf einer der Kojen lag eine bunte Wollmütze. Daneben eine Pistole. Malindi Rama zögerte nicht. Er riß die Waffe hoch und richtete sie auf Dan O’Flynn, der nur noch wenige Schritte hinter ihm war.

 

„Bleib stehen!“ stieß er keuchend hervor.

Malindi wußte, wie man eine Steinschloßpistole handhabte. Mit einer einzigen schnellen Bewegung spannte er den Hahn.

Dan O’Flynn verharrte abrupt.

„Was soll der Unsinn, Malindi? Wenn du auf mich schießt, wirst du die Schebecke nicht lebend verlassen.“

Ohne Dan O’Flynn aus den Augen zu lassen oder gar die Richtung des Pistolenlaufs zu verändern, griff Malindi nach der Wollmütze, Sie erschien ihm zumindest fürs erste geeignet, seinen kahlen Schädel zu bedecken. Später, sobald er bei Freunden in Sicherheit war, hatte er Zeit, einen Turban zu winden.

„Gib mir die Waffe!“

Dan O’Flynn mußte verrückt sein. Oder lebensmüde. Oder sogar beides zusammen. Jedenfalls schritt er, die Rechte fordernd ausgestreckt, weiter auf Malindi zu.

Der Singhalese wich zurück, bis er die nächste Koje hinter sich spürte.

Gleichzeitig riß er den Abzug der Pistole durch. Aber nichts geschah. Lediglich ein helles Klicken war zu vernehmen.

Der Hellhaarige lachte spöttisch. Er mußte gewußt haben, daß die Waffe nicht geladen war.

Eine Verwünschung auf den Lippen, schleuderte ihm Malindi die Pistole entgegen. Abermals warf er sich herum, sprang über die Koje, hinweg und lief, wie von Furien gehetzt, zum Niedergang.

Einige Mannen waren noch damit beschäftigt, das Vorsegel aufzutuchen, andere belegten die Leinen und brachten die Stelling aus. Bis sie den Singhalesen bemerkten, hatte sich Malindi schon auf die Backbordverschanzung geschwungen und war ins Hafenwasser gesprungen. Alles ging so schnell, daß keiner Gelegenheit fand, ihn zurückzuhalten.

Malindi Rama hatte die Lungen kräftig voll Luft gepumpt. Er war kein sehr guter Schwimmer, aber im Moment wollte er nur von der Schebecke und den Leuten fort, die sich auf dem Steg versammelt hatten und das Schiff begafften.

Mit Armen und Beinen um sich schlagend, gelangte er wieder an die Oberfläche. Das Salzwasser brannte in seinen Augen, trotzdem schaffte er es, sich zu orientieren. Daß ihm die Arwenacks nicht folgten, erschien ihm wie ein kleines Wunder.

Keine zehn Yards entfernt, an einem menschenleeren Steg vertäut, dümpelten Boote. Malindi schaffte es, einen der morschen Kähne zu erreichen und sich hineinzuziehen. Innen stand das Wasser fast eine Handbreite hoch. Wahrscheinlich achtete deshalb niemand auf die Boote.

Der Singhalese löste die Halteleine und griff nach den Riemen. Er pullte, als sei alle Welt hinter ihm her.

Philip Hasard Killigrew hatte nicht erwartet, daß Tuticorin über eine eigene Stadtwache verfügte! Eine fünfköpfige Truppe Uniformierter betrat den Steg, als die ersten Leinen belegt wurden.

Die Männer trugen bunte, grellfarbene Kurtás, das waren lange, über der Hose getragene Hemden ohne durchgehende Knopfreihe, und bis zu den Waden reichende Wickelhosen. Einheitlich waren lediglich die blutroten Turbane, die Riemensandalen und ihre Bewaffnung aus Krummdolch und Säbel, beides in kunstvoll ziselierten Scheiden steckend, sowie je einer altertümlichen Flinte, die vermutlich, nur der Dekoration diente.

Hasard konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, daß jemand mit einem solchen Schießprügel – sofern die Pulverladung überhaupt zündete – tatsächlich zu treffen verstand.

Mit unbewegten Gesichtern bauten sich die Soldaten vor der Schebecke auf, als wollten sie allzu Neugierige von dem fremden Schiff fernhalten oder die Engländer hindern, an Land zu gehen.

„Eine eindrucksvolle Demonstration“, murrte der Profos. „Die Kerle wirken fürchterlich respekteinflößend.“ Er grinste breit und schob sein Rammkinn angriffslustig vor.

„Ed“, sagte der Seewolf, „halte dich zurück!“

Carberrys Grinsen blieb abwartend. „Aye, Sir!“ erwiderte er. „Wir sind schließlich friedliebende Menschen.“

Die Inder präsentierten ihre Luntenschloßflinten. Dabei wurde ersichtlich, daß sie glimmende Lunten neben den Schäften hielten.

Unaufgefordert traten die Zwillinge zu ihrem Vater ans achtere Schanzkleid.

„Erklärt den Leuten, daß wir in friedlicher Absicht hier sind“, verlangte der Seewolf. „Wir wollen Vorräte einkaufen.“

Philip junior deutete eine Verbeugung an, wobei er mit der flachen Hand nacheinander seine Stirn, die Lippen und den Brustkorb berührte.

„Der Kapitän und die Mannschaft der Schebecke grüßen euch, die ihr begnadet seid, Handel zu führen und Reisenden alle die Dinge zu verkaufen, deren sie bedürfen.“

Das war zu dick aufgetragen, aber im allgemeinen wirkungsvoll. Bei den Soldaten und den auf den Steg nachdrängenden Neugierigen lösten die Worte jedoch kaum eine Reaktion aus.

„Sie verstehen dich nicht, Bruderherz“, sagte Jung Hasard. „Wahrscheinlich ist ihr Dialekt vom Singhalesischen beeinflußt. Sag einfach: Hier sind wir, Freunde.“

Bevor Philip den Vorschlag in die Tat umsetzen konnte, wandte sich der Anführer der Soldaten dem Achterdeck zu. „Senhor Capitán“ – er sprach ein halbwegs verständliches Portugiesisch – „willkommen in Tuticorin. Unsere Stadt ist auch Ihre Stadt, unsere Händler sind ehrliche Leute.“

Hasard nickte dankbar. Er antwortete ebenfalls auf Portugiesisch, stellte sich selbst vor und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, die Proviantlast der Schebecke könne mit frischen Nahrungsmitteln gefüllt werden.

„Wir bezahlen gut“, sagte er.

„Dann hält Tuticorin für Sie bereit, was Ihr Herz begehrt.“ Der Anführer der Soldaten senkte endlich die Flinte und gab seinen Männern Befehl, ebenfalls die Waffen abzusetzen. Die Lunten wurden aber noch nicht gelöscht.

Der Inder bemerkte Hasards spöttischen Gesichtsausdruck.

„Ich hoffe, Senhor, Sie verstehen unsere Vorsichtsmaßnahmen. Leider ist mir die Flagge unbekannt, unter der Sie segeln.“

„Ebenso wie mir Ihr Name“, erwiderte der Seewolf.

Der Mann bedachte ihn mit einem forschenden Blick, dem er mühelos standhielt. Danach zeigte er ein anerkennendes Lächeln. Ihm imponierte Hasards offene Art.

„Ich bin Chandra Bose, Hauptmann der Stadtwache.“

Der Seewolf deutete zu der im Wind flatternden Flagge am Besanmast.

„Das sind die Farben Englands.“

Der Inder zog die Stirn in Falten. „Inglés“, wiederholte er nachdenklich. „Ich habe von dem fernen Land gehört. Stimmt es wirklich, daß eine Frau über England regiert?“

Schon der Gedanke daran war ihm sichtlich unangenehm, was aber wenig verwunderte, bedachte man, daß Indiens Frauen ohne Bildung aufwuchsen und in der Mehrheit ihr Leben mit schwersten Arbeiten verbrachten, von rühmlichen Ausnahmen natürlich abgesehen.

Dennoch sagte der Seewolf: „Unsere Lissy ist eine besondere Frau, am besten einer Maharani vergleichbar, nur ist ihr Reichtum größer und …“

Er wurde unterbrochen, weil in diesem Moment Malindi Rama wie ein Mehlsack außenbords sprang und Dan O’Flynn das Achterdeck betrat, um Bericht zu erstatten. Zwei Männer der Stadtwache, die das Geschehen verfolgt hatten, redeten auf ihren Hauptmann ein.

Chandra Boses Miene verfinsterte sich. Er zielte mit seiner Flinte auf den Seewolf und klemmte die noch glimmende Lunte fest.

„Sie haben Inder an Bord?“ fragte er mißtrauisch. „Warum haben Sie das verschwiegen, Senhor?“

„Niemand hat danach gefragt. Außerdem hielt ich es für unwichtig.“

Der Hauptmann rief seinen Soldaten einen Befehl zu. Daraufhin gingen sie über die Stelling an Bord und postierten sich, daß sie alle Decks überblicken konnten.

„Laßt sie gewähren!“ rief der Seewolf. „Kein Widerstand!“

„Was haben Sie gesagt?“ Chandra Bose sah sich nun ebenfalls gezwungen, das Schiff zu betreten. Im Laufschritt stürmte er die Planken hinauf – ein farbenprächtiges Chamäleon, das den Arwenacks ein belustigtes Grinsen entlockte. „Nun?“ herrschte er den Kapitän an, als er gleich darauf unmittelbar vor ihm stand. „Sie sind mir eine Antwort schuldig, Senhor.“

„Ich habe meine Mannschaft nur wissen lassen, daß Sie und Ihre Soldaten willkommene Gäste seien.“

Der Hauptmann verfärbte sich, das Blut schoß ihm in die Wangen.

„Wer war der Mann, der über Bord gesprungen ist?“ Er schnaubte zornig.

„Ein Singhalese“, erklärte Hasard. „Ein Schiffbrüchiger, den wir von einer kleinen Insel geholt haben.“

„Natürlich.“ Bose fuchtelte mit der Flinte herum, als könne er sich nicht entscheiden, ob es besser sei, erst zu schießen oder erst Fragen zu stellen. „Der Mann bedankt sich bei Ihnen, indem er im nächsten Hafen über Bord springt. Einfach so. Und dann rudert er mit einem Boot, das ihm nicht gehört, aufs Meer zurück.“ Er deutete hinter dem Singhalesen her, der mittlerweile unbehelligt das Ende der Mole erreicht hatte.

„Er bat uns, ihn nach Tuticorin zu bringen.“

„Warum?“

„Fragen Sie ihn selbst. Ich weiß es nicht.“

„Senhor, ich glaube Ihnen nicht.“ Der Hauptmann klemmte sich den Schaft der Flinte unter die rechte Achsel. Auf die Distanz von nur zwei Schritten konnte er den Seewolf keinesfalls verfehlen. „Ihr Schiff ist beschlagnahmt, Sie selbst begleiten mich an Land. Falls Sie die Wahrheit sagen, wird sich das herausstellen. Wenn nicht …“ Die Bewegung mit der linken Hand an seiner Kehle entlang war eindeutig.

„Akzeptieren Sie einen Beweis?“

In den Augen des Inders blitzte es flüchtig auf, als hätte er nur auf diese Frage gewartet.

„Wenn der Beweis gut ist“, erwiderte er.

Malindi Rama dachte gar nicht daran, im Hafenbereich an Land zu gehen. Die Gefahr, daß ihn jemand erkannte, war zu groß.

Außerhalb der Mole ließ er das Boot in der Strömung treiben, überprüfte den Lederbeutel mit dem Weisheitszahn, wand die Wollmütze aus und zog sie sich bis zu den Ohren über den kahlrasierten Schädel. Er wußte, daß sein Anblick unweigerlich zum Lachen reizte, aber lieber hatte er dieses bunte Wollding auf dem Kopf, als daß ihm sofort der tätowierten Karte wegen der Prozeß bereitet wurde.

Malindi zweifelte nicht daran, daß inzwischen in allen Hafenstädten entlang des Golfs von Mannar bekannt war, welcher Frevel den Tempel von Kandy entweiht hatte. Jeder gläubige Singhalese würde ihm und seinen Helfern ohne Zögern die Kehle durchschneiden.

Er verließ den schon tief im Wasser liegenden Kahn eine halbe Meile vom Hafen entfernt und hielt sich im Schatten hoher Ölpalmen, bis er die ersten Häuser aus Korallengestein vor sich sah.

Ein Weg führte an der Küste entlang nach Süden, wo in größerer Entfernung als einzige deutliche Erhebung der rötliche Berg Valland aufragte. Ochsenkarren hatten tiefe Spuren in den sandigen Boden gegraben.

Aus den Ästen eines Gebüschs schnitt sich Malindi einen passenden Wanderstab. Es konnte nicht schaden, wenn jeder in Tuticorin glaubte, er hätte einen langen und beschwerlichen Fußmarsch hinter sich. Seine noch vom Salzwasser nasse Kleidung trocknete in der Sonne schnell.

Er staubte zwei Handvoll Sand über seine Beine und die Hose und verrieb sich den Rest im Gesicht. Bei der Vorbereitung seines Diebstahls in Kandy hatte er gelernt, selbst unbedeutenden Kleinigkeiten genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Anderenfalls wäre es wohl unmöglich gewesen, die Reliquie aus dem Tempel zu entwenden und Kandy mit heiler Haut zu verlassen. Nun, da das alles wie ein Traum hinter ihm lag, wollte er sich nicht durch einen lächerlichen Fehler verraten.

Zufrieden tastete er nach dem Lederbeutel. Er, Malindi Rama, hatte es geschafft. Die ewige Glückseligkeit, die Buddhas Weisheitszahn verhieß, war alle Strapazen wert.

Kläffend stürmten zwei abgemagerte Köter heran. Malindi stieß ihnen den Ast zwischen die hervorstehenden Knochen, daß sie sich jaulend verzogen.

Flüchtig verhielt er seinen Schritt und gab sich dem von allen Seiten auf ihn einstürzenden Lärm hin, den er auf der kleinen Insel im Golf von Mannar und ebenso auf der Schebecke der Engländer vermißt hatte. Lärm bedeutete Leben, die Stille der Einsamkeit erdrückte.

Er roch Fisch, der in der Hitze des Tages allmählich zu stinken begann, und frisch gebackenes Brot. Am Wegesrand trocknender Kuhdung vermischte sich mit dem Aroma verschiedener Gewürze, Wolken buntschillernder Fliegen stürzten sich auf ihn, als hätte er etwas an sich, das sie in Schwärmen anlockte.

Verschleierte Frauen, die vor den Häusern Teig kneteten, bedachten ihn mit scheuen Blicken. Er hörte, daß sie sich hinter seinem Rücken Bemerkungen über die seltsame Kopfbedeckung zuflüsterten.

Und dann, er hatte eine der beiden mit Steinen gepflasterten Straßen erreicht, die vom Hafen aus zum Tempel und sogar noch einige Meilen weit nach Norden führte, standen plötzlich Kinder vor ihm. Sie riefen, schrien und redeten wild durcheinander, aber sie kreisten ihn so zielstrebig ein, daß er sofort die Absicht dahinter erkannte.

 

Zwei Dutzend junge Burschen waren es, einige bestimmt schon dreizehn oder vierzehn Jahre alt.

„Verschwindet!“ herrschte Malindi sie an.

Die Meute achtete nicht darauf. Als er sich den Weg erzwingen wollte, sprangen sie ihn johlend an.

Malindi Rama hatte Mühe, sich der Vielzahl von Fäusten und Füßen zu erwehren, die ihn traktierten. Zugleich versuchte er, den Lederbeutel zu schützen. Wie eine Bande von Straßenräubern fielen die Burschen über ihn her.

Jemand zerrte ihm die bunte Wollmütze vom Kopf, die so ganz anders war als ein Turban. Auf sie hatten es die Kinder abgesehen.

Dann erklang ein Schrei: „Seht doch! Seht euch seinen Kopf an!“ Daß so etwas geschehen könnte, hatte Malindi nicht erwartet.

„Das ist eine Karte!“

„Von Ceylon und Kandy!“

Er schaffte es nicht, die Wollmütze wieder an sich zu bringen. Dazu war er nicht mehr gelenkig genug. Und das lauter werdende Geschrei lockte Erwachsene an.

Einige von ihnen waren Buddhisten. Sie verstanden vielleicht nicht, wer er war und was geschehen war, aber die Kandy-Rufe ließen sie hellhörig werden.

„Haltet ihn auf!“ gellte es zwischen den Häusern.

„Er ist ein Frevler, der gewagt hat, Buddha Schande anzutun!“

Malindi Rama begann zu rennen wie nie zuvor. Er wußte, daß er um sein Leben lief.

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