Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 672»

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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-086-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Jan J. Moreno

Inferno

Die Flotte der Portugiesen stellt eine tödliche Gefahr dar

Der Kanonendonner war verhallt, doch das entscheidende Gefecht stand erst bevor.

In einer Bucht des Pandavi an der Westküste Indiens ankerten sieben weitere portugiesische Schiffe. Ihre Stückpforten waren geöffnet. Nur der auflandige Südwest-Monsun und die hohe Dünung hinderten die Kapitäne am Auslaufen. Sobald der Wind drehte oder abflaute, würden die Portugiesen ihr Wild erbarmungslos hetzen.

Das „Wild“ waren die „Respectable“ der englischen Lordschaften und die Schebecke der Seewölfe.

Leider war die Schiffsführung der „Respectable“ alles andere als kampferprobt. Und sie hatte es ihrer eigenen Dummheit zu verdanken, in eine tödliche Gefahr geraten zu sein.

Die Hauptpersonen des Romans:

Sir Thomas Carnavon – dem Kommandanten der „Respectable“ fällt ein übler Plan ein, um die fünf gepreßten Arwenacks bestrafen zu können.

Bennet Whistler – der Zuchtmeister der „Respectable“ soll die Bestrafung vornehmen, aber da greifen die Portugiesen an.

Old Donegal O’Flynn – unternimmt eine Erkundung und stößt ausgerechnet wieder auf „Knochenmänner“.

Don Juan de Alcazar – führt einen Branderangriff durch, der ein Inferno entfesselt.

Philip Hasard Killigrew – wünscht die Lordschaften der „Respectable“ zum Teufel, muß aber für sie kämpfen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

„Na los, ihr faulen Hunde, jagt ihnen noch eine Breitseite hinterher!“ brüllte der Kommandant des englischen Viermasters. „Schickt die verfluchten Portugiesen endlich zu den Fischen!“

„Am liebsten würde ich das Rübenschwein querkant ins Rohr rammen.“ Edwin Carberry reagierte seinen Zorn an der rund achtzehn Pfund schweren Eisenkugel ab, die er mit wuchtigen Stößen verdämmte.

Er sprach halblaut, so daß ihn nur Ferris Tucker und Dan O’Flynn verstehen konnten. Aber keiner achtete auf sie. Die Männer an den anderen Geschützen hatten genug damit zu tun, dem angeschlagen fliehenden Portugiesen noch eins aufzubrennen.

„Die gesamte Achterdecksmannschaft taugt nichts“, murmelte Ferris Tucker, während er mit wuchtigen Schlägen den Richtkeil lockerte und die Höhenrichtung des Geschützrohrs veränderte.

„Alle kneifen, sobald es ernst wird.“ Carberry meinte in erster Linie Bennet Whistler, seinen Profos-Kollegen auf der „Respectable“, Whistler würde es sich in Zukunft wohl dreimal überlegen, ob er einen der Arwenacks wieder so brutal auspeitschte, wie er es mit Dan getan hatte. Immerhin hatte sich Carberry dafür schlagkräftig revanchiert.

Dan O’Flynn verzog plötzlich das Gesicht.

„Tut’s noch weh?“ fragte Carberry mitfühlend.

„Nur beim Lachen“, erwiderte Dan.

Er hatte sich erstaunlich schnell erholt. Obwohl sein Rücken sicherlich bei jeder Bewegung höllisch schmerzte, packte er wieder kräftig mit zu. Das war er sich und den anderen schuldig, die mit ihm zum Dienst auf das Expeditions- und Kriegsschiff gepreßt worden waren.

„He, ihr, Killigrew-Pack, schlaft nicht ein!“ Sir Thomas Carnavon hämmerte mit dem Lauf seiner Pistole auf die Querbalustrade und starrte feindselig vom Achterdeck hinunter.

Der Kapitän war ein Narr. Aber die Offiziere waren weiß Gott keinen Deut besser. Ihre Hochnäsigkeit und Arroganz wurde noch von ihrem Unvermögen übertroffen, ein Schiff wie die „Respectable“ zu führen. Bei ihnen langte es bestenfalls für einen Themsekahn.

„Wir verlieren die Portugiesen aus der Reichweite, Sir“, sagte John Macleod von Dunvegan-Castle, der Dritte Offizier.

Carnavons spitze Nase schien noch spitzer und sein dünner Mund noch schmallippiger zu werden. In dem Moment erinnerte er an einen ausgehungerten Geier.

„Ich erwarte Meldung!“ brüllte er über die Kuhl.

Die Reaktion seitens der Geschützmannschaften erfolgte prompt.

„Geschütz eins: geladen und feuerbereit, Sir!“

„Geschütz zwei: geladen und feuerbereit, Sir!“

Die Arwenacks warfen sich vielsagende Blicke zu. Sie hatten inzwischen erlebt, wie auf der „Respectable“ gekämpft wurde. Ein größeres Gefecht würde der Viermaster trotz der guten Bestückung kaum überstehen, und ohne das Eingreifen der Schebecke wäre das Schiff vermutlich bereits als Wrack auf Legerwall getrieben worden.

Die zum Dienst auf dieses Schiff gepreßten Arwenacks bedienten das fünfte Geschütz auf der Kuhl. Edwin Carberry verzog sein Narbengesicht zu einer breiten Grimasse, als die Reihe an ihm war, Meldung zu erstatten.

„Klar zum Feuern!“ sagte er und fügte mit unverkennbar Verächtlicher Betonung hinzu: „Sssör!“

Der Kommandant schnappte nach Luft. Für einen Moment sah es so aus, als wolle er die Pistole auf Carberry abfeuern, doch da ertönte Lord Hyram Scalebys Piepsstimme: „Feuer! Jagt die Portus in die Hölle!“

Die Culverinen brüllten auf. Pulverqualm wirbelte über das Achterdeck. Der Kommandant und zwei seiner Offiziere verschwanden inmitten der ätzenden Schwaden. Nur ihr Husten war zu hören.

Carberry grinste zufrieden.

„Ja“, murmelte er. „So ein bißchen Qualm ist schon was Feines, besonders wenn die hohen Herren keine Ahnung haben, von wo der Wind weht.“

„Woher weht er wirklich, Ed?“ fragte Smoky.

„Hoffentlich bald aus einer ganz anderen Richtung“, sagte der Profos. „Ich wette, die Stinksäcke kriegen den Wind demnächst von vorn.“

Im Kielwasser des fliehenden Portugiesen stiegen Fontänen auf. Obwohl die Kugeln viel zu kurz lagen, stimmten die Engländer ein frenetisches Siegesgeheul an.

„Verrückt“, murmelte Roger Brighton. „Total verrückt.“

Smoky fügte kopfschüttelnd hinzu: „Was tun die erst, wenn sie wirklich treffen?“

„Hoffentlich springen sie vor Freude über Bord“, maulte der Profos. „Und hoffentlich saufen sie dann ab. Solche Kerle bringen nur die englische Flotte in Verruf.“

„Steht nicht herum und haltet Maulaffen feil!“ erklang die Piepsstimme des Ersten Offiziers.

„Uns meint der nicht“, flüsterte Dan. „Wir schuften schon wie die Verrückten.“

Das war schamlos übertrieben. Gemächlich zog Carberry die teils noch glimmenden Überreste der Kartusche aus dem Rohr und warf sie in die bereitstehende wassergefüllte Pütz, während sich Smoky alle Mühe gab, das Zündloch zu säubern. Roger Brighton belegte inzwischen die Rückholtaljen.

„Alles?“ fragte Ferris Tucker. Er deutete auf die kokelnden Reste des Pulversäckchens.

Carberry riskierte einen Blick ins Rohr.

„Sieht so aus“, sagte er. „Die Seele ist schwarz wie die Nacht.“

„Welche Seele meinst du?“

Der Profos richtete sich halb auf und lehnte sich mit verschränkten Armen auf die wulstige Mündung. „Ich spreche von der Kanone. Nicht von dem Oberaffen und seinem Gefolge.“

Mittlerweile war Lord Hyram Scaleby, der Erste, vom Achterdeck abgeentert. Die Daumen hinter den Waffengurt eingehakt, stand er neben den Arwenacks. Aber keiner der fünf Seewölfe beachtete ihn.

Lord Scaleby war dick und verweichlicht, sein Gesicht aufgeschwemmt und blasiert. Daß dieses gewöhnliche Schiffsvolk die Unverfrorenheit besaß, seine Anwesenheit zu mißachten, trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht. Er schnappte nach Luft.

„Schiffsknechte haben sich nicht zu unterhalten!“ blaffte er. „Dafür werdet ihr euch verantworten.“

Den Arwenacks war klar, daß sie mit dem Feuer spielten. Die Lords konnten jeden von ihnen kielholen lassen. Aber es war an der Zeit, die Fronten abzustecken. Keiner sollte glauben, daß sich freie Männer widerspruchslos requirieren ließen.

Carberry zwinkerte Tucker zu. Er hatte gesehen, daß auf der Schebecke die Segel herumgeholt wurden. Der Seewolf wollte offenbar längsseits gehen.

„Kipp den Dreck über Bord, Ferris!“ sagte der Profos.

Schwungvoll hob der Schiffszimmermann die Pütz mit den durchnäßten Überresten der Kartusche – und erstarrte mitten in der Bewegung, denn um ein Haar hätte er dem Ersten Offizier den Eimer an den Kopf geschmettert. Leider konnte er nicht mehr vermeiden, daß die Flüssigkeit überschwappte.

Kreischend sprang Lord Hyram Scaleby zur Seite. Dummerweise hatte Roger Brighton inzwischen sämtliches Tauwerk aufgeschossen. Scaleby blieb mit dem Fuß hängen und strauchelte. Er hielt sich mühsam an der Kanone fest. Seine Gesichtsfarbe wechselte vom Rot einer reifen Tomate zur Leichenblässe. Im nächsten Moment färbte sie sich wieder dunkel.

„Whistler!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Whiiistler!“

Ein stiernackiger, bulliger Kerl mit Plattnase, wulstigen Lippen und Blumenkohlohren hastete von der Back heran. Bennet Whistler war der Profos der „Respectable“. Im seinem Eifer wollte er dem Ersten aufhelfen, aber Lord Scaleby schlug mit der flachen Hand nach ihm.

„Laß das, verdammt! Tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten …“

Whistler schluckte schwer. „Sir, ich – äh –, Durchlaucht …“

„Nicht du, du Affe.“ Der dickliche Hyram Scaleby bot einen recht belustigenden Anblick, als er schwerfällig versuchte, sich wieder aufzurappeln. „Das Pack da hat mich angegriffen. Häng die Kerle kopfunter an die Rah! Sie sollen baumeln, bis sie schwarz werden.“

Bennet Whistler hatte eine Glatze. Die Haare waren ausgefallen, weil der riesige Hohlraum unter den Wurzeln für eine gewisse Lockerung gesorgt hatte. Sein Gehirn war mit dem einer Mücke vergleichbar. Das fand zumindest Edwin Carberry. Und der mußte es wissen, schließlich hatte er seinem Profos-Kollegen schon gehörig auf den Schädel geklopft.

Whistlers Eifer erhielt also einen argen Dämpfer, als er Carberrys vielsagendes Grinsen bemerkte. Er war plötzlich gar nicht mehr so versessen darauf, die fünf Arwenacks an die Rahnock zu baumeln.

„Stehen Sie nicht so dumm herum, Whistler!“ fauchte der Erste Offizier, jetzt in der weniger vertrauten Anrede. „Vollziehen Sie die Bestrafung!“

Na los, Junge, auf was wartest du? Ungefähr das drückten Carberrys Blick und seine Haltung aus.

Sichtlich um Ausgleich bemüht, wandte sich der Profos der „Respectable“ an Lord Hyram Scaleby.

„Durchlaucht, diese Männer … Ich meine, dieses Pack wird sich nicht kampflos ergeben.“

Hyram Scaleby, der großen Wert darauf legte, vom gemeinen Schiffsvolk mit Durchlaucht angeredet zu werden, war einem Erstickungsanfall nahe.

„Kampflos?“ rief er schrill. „Wenn das Gesindel nur die Fäuste hebt, lasse ich jeden wegen Meuterei hinrichten!“

Der Profos schien den Worten des Ersten Offiziers wenig Glauben zu schenken. Schließlich hatte er und nicht Scaleby die Fäuste des Narbengesichtigen zu spüren gekriegt.

„Muß ich noch lange warten, Mister Whistler?“ fragte der Lord scharf.

Carberry grinste unverhohlen. Noch hatten die Arwenacks nicht nur die Offiziere gegen sich, sondern auch die Seesoldaten. Die Hackordnung an Bord war eben so, daß die Neuen nicht viel mehr wert waren als stinkende Miesmuscheln.

„Na los, Whistler, walte deines Amtes“, forderte Carberry den Profos auf. „Deine lasche Dienstauffassung schreit zum Himmel.“

Nur das Wissen, daß er erneut den Kürzeren ziehen würde, ließ Bennet Whistler zögern. Andererseits richteten sich immer mehr Augen auf ihn. Wenn er an Bord nicht den Respekt verlieren wollte, mußte er handeln.

Das Schicksal meinte es ausnahmsweise gut mit ihm und nahm ihm die Entscheidung ab.

Die Schebecke der Seewölfe war inzwischen auf Rufweite heran. Bevor einer der ehrenwerten Lordschaften reagierte und die Segel herumholen ließ, glitt der schlanke Mittelmeerdreimaster noch näher. Philip Hasard Killigrew stand an der Achterdecksverschanzung.

„Ich denke, wir haben Ihnen und Ihrer Crew das Leben gerettet, Kapitän Carnavon.“

Der Kommandant der „Respectable“ versteifte sich.

„Sir Thomas Carnavon, wenn ich bitten darf!“ rief er verärgert zurück. „Im übrigen hätten wir uns sehr gut allein gegen die Portugiesen zur Wehr setzen können.“

„Sie werden sicher noch die Gelegenheit erhalten, das zu beweisen.“

„Ist das die Meinung eines Piraten?“

Hasard zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie so wollen, Sir.“

„Dann lassen Sie sich gesagt sein, daß meine Erfahrung als Kommandant eines Kriegsschiffes wertvoller sein dürfte als Ihr Seeräuberdenken. Die ‚Respectable‘ wird weiter auf Südkurs laufen. Ich hoffe, Sie haben verstanden, Pirat.“

Hasard überhörte die Provokation geflissentlich.

„Die Portugiesen werden Ihnen folgen, Sir Thomas. Das sollte Ihnen und Ihren Lordschaften klar sein. Gegen sieben Schiffe haben Sie keine Chance.“

„Was wollen Sie mit Ihrem leeren Geschwätz erreichen? Der Wind steht günstig und hindert die Portugiesen am Auslaufen.“

„Der Wind kann drehen oder abflauen.“

„Bis dahin holt uns keiner von diesen Kähnen mehr ein.“

Obwohl auf der Schebecke nur noch das Großsegel gesetzt war, schob sie sich langsam an dem englischen Dreimaster vorbei. Carnavon und seine Offiziere, die einen höheren Standort hatten, blickten spöttisch auf den Seewolf hinunter.

„Glauben Sie wirklich alles, was Sie sagen?“ fragte Hasard. „Wenn Sie also keine weiteren Schwierigkeiten erwarten, entlassen Sie meine Männer aus Ihrem Dienst.“

„Unsinn, Pirat!“ bellte Sir Godfrey Ballantine, Earl of Berwick-upon-Tweed, der Zweite Offizier. „Sie wissen genau, daß wir einen Teil unserer Leute durch Scharbock verloren haben. Ihre Kerle bleiben an Bord, bis wir wieder in einen englischen Hafen einlaufen. Das kann Jahre dauern.“

Überheblichkeit zeichnete sich im Gesicht des Kommandanten ab, als er seine Pistole auf den Seewolf richtete.

„Sie haben es gehört, Pirat, dem ist nichts hinzuzufügen!“ rief er. „Verschwinden Sie samt Ihrem üblen Pack. Statt meine Geduld zu strapazieren, sollten Sie meine Großzügigkeit schätzen. Ich könnte Ihr Schiff konfiszieren.“

„Ist das Ihr letztes Wort?“

Sir Thomas Carnavon stützte den rechten Arm auf die Balustrade, kniff das linke Auge zusammen und fixierte mit dem rechten über den Lauf seiner Waffe hinweg den Seewolf. Im nächsten Moment drückte er ab. Die Kugel fuhr einen halben Yard neben Hasard in die Planken, der jedoch so unbewegt stehen blieb, als sei nicht das Geringste vorgefallen.

„Das war mein letztes Wort!“ höhnte Carnavon. „Haben Sie das begriffen?“

„Trimmt die Segel!“ befahl er im selben Atemzug. Ohne die Reaktion des Seewolfs abzuwarten, wandte er ihm den Rücken zu. „Ruder ein Strich Steuerbord!“

Die „Respectable“ löste sich von der Schebecke und schwenkte, hart am Wind, auf Westkurs ein. Das Kriegsschiff mußte die vorspringende Küste runden, bevor es auf Südkurs gehen konnte. Aber selbst dann würden Kreuzschläge unvermeidlich sein.

„Setzt alles Tuch!“

„Sir, wir segeln in die Nacht hinein“, gab John Macleod of Dunvegan-Castle, der Dritte Offizier, zu bedenken. Sein weißgepudertes Gesicht wirkte in der Dämmerung wie eine starre Maske. Der Schatten des schwarzen Biberhuts fiel über seine Augen. „Fürchten Sie, der Pirat könnte recht behalten?“

„Womit?“

„Daß die Portugiesen uns folgen werden.“

„Dummes Geschwätz!“ Sir Thomas Carnavon tat den Einwand mit einer verärgerten Handbewegung ab. „Aber die Nähe dieses Killigrews ist mir zuwider.“

John Macleod nickte verständnisvoll.

„Was wird aus dem Pack?“ fragte er einen Atemzug später und deutete auf die Kuhl hinunter. „Whistler vernachlässigt seinen Gehorsam.“

„Ich übe Großmut“, sagte der Kommandant.

„Das – das kann nicht Ihr Ernst sein, Sir.“

„Sehr richtig“, wandte auch Godfrey Ballantine, Earl of Berwick-upon-Tweed, ein. „Wenn die Kerle ungestraft aufmucken dürfen, tanzen uns bald alle auf der Nase herum.“

Sir Thomas vollführte eine einladende Geste. „Bitte, Sir Godfrey, tun Sie sich keinen Zwang an. Hängen Sie die Burschen kopfunter an die Rah.“

„Ich …? Das ist wohl eher Sache des Profosen.“

In Carnavons hellen Augen blitzte es auf. Zögern fuhr er mit beiden Händen durch sein schon lichtes graues Haar.

„Sie scheinen nicht hinreichend informiert zu sein, Gentlemen.“ In seiner Stimme schwang mühsam verhaltener Triumph mit. Endlich hatte er gegenüber den Lords die besseren Argumente: „Whistler wurde von dem narbengesichtigen Riesen zusammengeschlagen.“

„Das ist Aufruhr!“ schnaubte John Macleod. „Wenn keiner gegen Carberry vorzugehen wagt, muß er eben einen bedauerlichen Unfall erleiden.“

„Die vier anderen werden das nicht hinnehmen“, sagte Sir Thomas seufzend.

Godfrey Ballantine lachte hell und geziert. Umständlich zupfte er seine weißgraue Perücke zurecht.

„Es sei mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß auch ein Bennet Whistler nicht ungestraft Befehle ignorieren darf. Das bedeutet, daß wir ihn kielholen müssen.“

„Meine Lords, Sie denken zu wenig praktisch“, sagte Carnavon. „Es gut, den Willen der fünf Kerle zu brechen. Nicht mit den Fäusten, sondern damit …“ Er tippte sich an den Schädel. „Die Crew muß sehen, daß die Kerle genauso verwundbar sind wie jeder andere auch.“

„Sie haben einen Plan, Sir Thomas?“ fragte John Macleod.

Der Kommandant lächelte zufrieden. Zumindest momentan wirkte er nicht mehr deprimiert. Auf dem Absatz drehte er sich um und rief zur Kuhl hinunter: „Lord Hyram, ich wünsche nicht, daß die Leute bestraft werden!“

„Sir …“

„Wir brauchen jede Hand, die zupacken kann.“ Der Kommandant wandte sich an die fünf Arwenacks: „Ich lasse Gnade vor Recht ergehen, weil uns Killigrew gegen die Portugiesen beigestanden hat – doch dafür erwarte ich absoluten Gehorsam.“

Die Arwenacks sahen sich überrascht an. Schließlich sagte Carberry: „Aye, Sir. An uns soll es nicht liegen.“

Blutrot versank die Sonne im Meer, die Nacht zog schnell über dem Land herauf. Die in der Hafenbucht liegenden Portugiesen setzten die ersten Laternen.

„Vor dem neuen Morgen können Sie uns nicht folgen“, behauptete der Kommandant. „Bis dahin sind wir längst weit genug entfernt.“

Das letzte Marssegel entfaltete sich. Im Widerschein der sinkenden Sonne und vor dem düster werdenden Hintergrund waren die Männer auf der Rah nur noch als Schatten zu sehen.

Sir Thomas blickte achteraus, wo die Flußmündung rasch von der Finsternis verschluckt wurde. Für eine Weile flackerten noch die Laternen der Portugiesen wie winzige Irrlichter durch die Nacht.

Dann war die „Respectable“ allein. In spitzem Winkel, mit geblähten Segeln, stampfte sie gegen die Wellen und die auflaufende Flut an. Der Mond hielt sich hinter Wolkenschleiern verborgen, die Schebecke der Seewölfe hatte sich allem Anschein nach an der Küste entlang nach Norden abgesetzt. Das Land zeichnete sich ohnehin nur noch als schmale Silhouette hinter dem Kriegsschiff ab.

Die Laternen wurden angesteckt. Sie erhellten die Decks mit warmem, flackernden Lichtschein.

Sir Thomas Carnavon hatte Zeit, mit seinen Offizieren zu sprechen. Godfrey Ballantine redete danach dem Profos und dem Bootsmann ins Gewissen. Am Ende der recht einseitigen Unterhaltung wirkte er sehr zufrieden. Niemand dachte daran, sich Befehlen zu widersetzen.

2.

Roger Brighton und Dan O’Flynn überprüften befehlsgemäß die Geschütze auf der Kuhl. Sämtliche Lafetten waren ausreichend verzurrt. Decksleute fegten inzwischen den Sand von den Planken und schaufelten ihn in die Kübel zurück. Der Rest wurde durch die Speigatten ausgeschwemmt.

Lord Hyram Scaleby, der die Arbeiten mit Argusaugen überwachte, griff dann wahllos drei Kerle heraus. Roger Brighton war einer von ihnen.

„Die Ställe ausmisten!“ befahl er. „Die Viecher werden bei dem Kanonendonner alles verunreinigt haben.“

An Bord des Kriegsschiffs war das zweifellos die dreckigste Arbeit.

Die Männer enterten über den Niedergang auf der Kuhl ab. Die Helligkeit im Vorschiff unter der Back ließ zu wünschen übrig. Irgend jemand hatte die Laternen weggenommen, die noch vor kurzem hier gehangen hatten. Aber wenigstens flackerte weiter vorn, bei den Stallungen, ein spärliches Licht.

Roger Brighton stieß eine deftige Verwünschung aus, als er sich vor dem letzten Niedergang den Schädel an einem Balken stieß. Staub rieselte ihm in die Augen und reizte ihn zum Niesen. Mit einer Hand die Augen reibend, taumelte er die Stufen hinunter.

Ein fürchterlicher Gestank schlug ihm entgegen. Niemand hatte die zur Lüftung vorhandenen Luken geöffnet.

Jäh umklammerte eine Hand seinen rechten Fuß. Roger begriff noch, daß jemand von hinten zwischen den Stufen hindurchlangte, da wurde er vom eigenen Schwung bereits vorwärts gerissen und stürzte kopfüber den Niedergang hinunter.

Er krachte mit der Stirn auf eine Trittkante, überschlug sich und schrammte die letzten zwei oder drei Stufen mit dem Rücken entlang. Im nächsten Moment wurde seine Wirbelsäule zusammengestaucht. Ein stechender, vom Steißbein ausgehender Schmerz raubte ihm schier den Atem und brachte ihn an den Rand einer Ohnmacht.

Obwohl das Blut in seinen Schläfen überlaut dröhnte, hörte er, wie jemand rief: „Macht ihn fertig!“

Er schaffte es gerade noch, sich auf den Ellenbogen hochzustemmen, dann waren sie über ihm. Ihre Fäuste hämmerten in seine Magengrube und gegen die Rippen, sein Kopf wurde nach hinten gerissen und krachte erneut gegen die Stufen.

Das Summen im Schädel schwoll zum zornigen Brausen eines Schwarms gereizter Hornissen an. Roger Brightons Hände zuckten vor und zerrten ein bärtiges Gesicht zu sich herunter. Daß der Kerl neben ihm auf das Holz krachte und ächzend zur Seite kippte, war das letzte, was er noch bewußt wahrnahm.

Dan O’Flynn blieb eine ähnliche Erfahrung nicht erspart. Wie sollte er auch ahnen, daß der Kapitän der „Respectable“ ein Exempel zu statuieren gedachte?

„O’Flynn!“ rief Sir Thomas Carnavon, als sich die Männer der Freiwache anschickten, unter Deck zu verschwinden.

„Sir?“

„Sie verstehen sich aufs Kartenlesen!“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage, immerhin hatte Sir Thomas inzwischen die eine oder andere Kleinigkeit über seine neuen Mannschaftsmitglieder herausgefunden.

„So leidlich“, erwiderte Dan. „Ich bin überzeugt davon, daß Sie und Ihre Offiziere das besser können.“

„Trotzdem interessiert mich Ihre Meinung. Also beeilen Sie sich.“

Dan O’Flynn blieb keine Wahl, wollte er nicht der Befehlsverweigerung bezichtigt werden. Andererseits erschien es nicht angebracht, der Schiffsführung mit Ratschlägen beizustehen. Er hatte in der Hinsicht eine schmerzvolle Erfahrung hinter sich.

Dan enterte zum Achterdeck auf, wo er von Sir Godfrey Ballantine und John Macleod flankiert wurde.

„Sie sind der indischen Sprache mächtig?“ fragte der Kommandant. Sein Blick hatte etwas Lauerndes an sich.

„Das zu behaupten, wäre übertrieben“, antwortete Dan. „Mir sind einige Ausdrücke geläufig, mehr nicht.“

„Manchmal ist wenig sehr viel“, sagte der Kommandant philosophisch. „Also verlieren wir nicht noch mehr Zeit.“

Bevor er den Niedergang zu den Achterdeckskammern betrat, ließ er noch einmal seinen Blick in östliche Richtung schweifen. Die Lichter der Portugiesen und auch die Küstenlinie waren verschwunden. Die schäumende Hecksee des Kriegsschiffes verwischte sehr schnell zwischen den gischtgekrönten Wellen. Auch der Schein der Laternen reichte nicht weit.

„Die Nacht ist wie geschaffen für uns“, murmelte John Macleod. „Die Portugiesen brauchen wir nicht zu fürchten.“

Dan war anderer Meinung, hütete sich aber, zuviel zu sagen. Wenn die Lords darauf versessen waren, eigene Erfahrungen zu sammeln, wollte er sie nicht daran hindern.

In der Kapitänskammer herrschte ein verheerendes Durcheinander. Seekarten lagen nicht nur auf dem Tisch ausgebreitet, sondern bedeckten sogar den Boden und die Koje. Unter dem teilweise zerfledderten Papier zeichneten sich Zirkel und Navigationsinstrumente ab.

Dan begann sich ernsthaft zu fragen, wie die „Respectable“ unter solchen Umständen überhaupt bis nach Indien gelangt war.

Sir Thomas raffte einige Karten zusammen. Jetzt konnten sie wenigstens den Tisch erreichen, ohne auf den wertvollen Zeichnungen herumzutrampeln.

Fahrig begann er, das Material durchzukramen. Der auffordernde Blick, den er seinen Offizieren zuwarf, weckte Dans Mißtrauen. Aber da war es schon zu spät, und er hätte ohnehin nichts ausrichten können.

Als er sich umwandte, blickte er geradewegs in die überheblich grinsende Visage Sir Godfrey Ballantines. Der Earl of Berwick-upon-Tweed hielt eine Pistole auf ihn gerichtet. Den Schmollmund hatte er verächtlich verzogen, und in seinen stets wäßrigen Augen standen Tränen der Erregung. Er würde wohl nicht zögern, abzudrücken.

John Macleod von Dunvegan-Castle grinste nicht weniger breit. Auch er zielte mit der Pistole unmißverständlich auf Dans Bauch.

„Was soll das bedeuten?“ fragte Dan O’Flynn stockend.

„Befehlsverweigerung, vorlautes Verhalten, mangelnder Respekt. Such dir etwas aus.“ John Macleod lachte höhnisch und rieb sich mit der freien Hand die krumme Nase. „Die Mannschaft fürchtet euch Burschen …“

„Macleod!“ sagte Godfrey Ballantine scharf.

Der Dritte Offizier schwieg daraufhin zwar, doch Dan hatte genug gehört. Er war in eine plumpe Falle gelaufen, und wahrscheinlich erging es den anderen Arwenacks keinen Deut besser.

Er brauchte sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was die Lords mit ihnen anstellen würden – die Erinnerung, mit welcher Wonne Whistler ihn ausgepeitscht hatte, war für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. Hoffte Carnavon, mit einer Wiederholung des Schauspiels den Arwenacks das Rückgrat zu brechen und zugleich seiner Crew zu beweisen, daß auch die fünf neuen Schiffsknechte besiegbar waren?

„Ich sehe dir an, was du denkst“, sagte der eitle Stutzer Ballantine verächtlich. „Wenn du schreist, knall ich dich ab.“

Er meinte es ernst. Schweigend und ohne den Versuch einer Gegenwehr ließ sich Dan O’Flynn von Sir Thomas fesseln. Nicht mal das beherrschte Carnavon richtig, denn am Ende war sein Opfer mit gut der dreifachen Menge Kabelgarn umwickelt, die nötig gewesen wäre.

Unsanft stießen die Lords Dan vor der Koje zu Boden.

„Was geschieht nun?“ fragte er nach einer Weile, als John Macleod und der Kommandant die Kammer verließen.

Mit übergeschlagenen Beinen und offensichtlich gelangweilt, saß Sir Godfrey in einem gepolsterten Sessel. Abwechselnd bohrte er mit einem Finger in der Nase und im Lauf seiner Pistole.

„Wart’s ab!“ riet er. „Du wirst deinen Spaß früh genug haben.“

Die Luft im Batteriedeck war warm und fürchterlich stickig. Da keiner der Offiziere ein gründliches Lüften befohlen hatte, waren die Männer nicht zu beneiden, die zwischen den Geschützen die Nacht verbringen mußten.

Erstickend lastete der Pulverqualm unter den kaum mannshohen Deckenbalken. Manche Kerle stanken zudem, als hätten sie sich mit Ziegen und Schweinen im Dreck der Pißback gesuhlt. Offenbar hatten weder sie selbst noch ihre Kleidung während der letzten Tage einen Tropfen Waschwasser abgekriegt.

Smoky und Ferris Tucker waren ins Batteriedeck abkommandiert. Sie beteiligten sich nicht an der Unterhaltung der Geschützmannschaften. Anfangs wurde über die Portugiesen geflucht, bis einer das Thema auf Frauen brachte. Die Kerle überboten sich danach gegenseitig mit ihren Zoten.

„Ich gehe jede Wette ein, daß einer von denen eine Inderin jemals von nahem gesehen hat“, murmelte Ferris Tucker. „Aber angeben tun sie, als wären sie selbst und nicht irgendwelche Liebesgötter auf den Tempelfriesen dargestellt.“

Lustlos kaute er auf dem Stück Salzfleisch herum, das nach den langen Monaten der Überfahrt von England das Aussehen von Mahagoniholz angenommen hatte.

Bruce Skinner, der schmierige Koch der „Respectable“, der alles andere als ein guter Kombüsenmann war, hatte sich von seiner spendablen Seite gezeigt. Außer dem handtellergroßen Stück Salzfleisch gab es sogar Käse, in dem es aber von rötlichen Würmern wimmelte. Skinner hatte sich nicht der Mühe unterzogen, die Tiere vorher zu entfernen.

„Frischfleisch ist unentbehrlich“, behauptete er. „Warum sollen wir die Hühner und das andere Viehzeug schlachten, solange wir nahrhafte Würmer haben?“

Irgendwann, darauf mußte er gefaßt sein, würde ihm die Crew den Hals mit eben diesen Würmern stopfen. Aber das war zugleich eine Frage des Mutes, denn der rattengesichtige Koch hatte Mittel und Wege, sich zu rächen.

„Was gäbe ich dafür, jetzt auf der Schebecke speisen zu dürfen.“ Mit spitzen Fingern zerrte Ferris einen besonders langen, sich windenden Wurm aus dem Käse und schnippte ihn gegen die Bordwand.

Prompt reckten zwei weitere dieser appetitlichen Gesellen ihre Leiber aus dem ohnehin längst trocken und unansehnlich gewordenen Käsewürfel. Der Schiffszimmermann stieß eine Verwünschung aus und starrte mißmutig auf das rundum zu Leben erwachende Nahrungsmittel in seiner Hand.

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