Jesus und die himmlische Welt

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Jesus und die himmlische Welt
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa


Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt

Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen


ISSN 0939-5199

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-7720-8725-7 (Print)

ISBN 978-3-7720-0118-5 (ePub)

Inhalt

  Gewidmet dem Gedenken an ...

  Vorwort des Verfassers: Hermeneutische Voraussetzungen

  Geleitwort von Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg

  ERSTER HAUPTTEIL: Hinführung zum Thema und Aspekte der Forschungsgeschichte

  A) Hinführung zum Thema

 B) Aspekte der Forschungsgeschichte: Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘1. Eschatologische Zukunft und religiöse Hochstimmung: die konsequente Eschatologie2. Die Lösung der Eschatologie von Raum und Zeit3. Das Ergebnis der religionsgeschichtlichen Betrachtung: Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus

  C) Zusammenfassung und Ausblick

  ZWEITER HAUPTTEIL: Rezeptionen des Motivs der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum

  A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution

  B) Die vorrabbinische, pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst und sein Bezug zum Himmel nach MAb 1 1. ‚Simon der Gerechte‘ (um 220 v. Chr.) 2. Antigenos aus Sochos (um 180 v. Chr.) 3. Jose ben Joezer und Jose ben Jochanan (um 150 v. Chr.) 4. Joshua ben Perachia und Nittai aus Arbela (um 110 v. Chr.) 5. Judah ben Tabbai und Simeon ben Shetach (um 90 v. Chr.) 6. Hillel und Schammai (um 30 v. Chr.) 7. Zusammenfassung

 C) Die apokalyptische Rezeptionslinie: der himmlische Hintergrund des Kultes als Ausgangspunkt einer eschatologischen Neuordnung der verklärten SchöpfungI) Die Kultordnung des Himmels und die eschatologische Verklärung des Zion nach 1HenII) Der priesterliche Erlöser als Vollzieher einer kultischen Neuordnung der Schöpfung1. Die Testamente der XII Patriarchen2. Der Menschensohn als priesterlicher Interzessor vor dem Thron Gottes nach 1HenIII) Zusammenfassung

 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeptionslinie: der Sohn aus dem Haus des VatersI) Die Beschwörung Gottes im Kreis1. Choni der Kreiszieher (gest. 65 v. Chr.)2. Die Rückbindung an den Kultpropheten Habakuk3. Mose als KreiszieherII) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre1. Chanina ben Dosa (Mitte 1. Jhdt. n.Chr.)2. Jischmael ben Elischa (Zeitgenosse von R. Akiba)3. R. Meir (Mitte 2. Jhdt. n.Chr.)4. Eleasar ben Pedat (gest. 279 n. Chr.)5. Reprojektion auf biblische Figuren: Jakob und Mose6. Nochmals: Choni der KreiszieherIII) Zusammenfassung

  E) Die kult-rezeptiven Bewegungen des Judentums und der historische Jesus

  DRITTER HAUPTTEIL: Jesus und die himmlische Welt – der kultische Hintergrund der von Jesus ausgehenden Christologie

  Einleitung

 A) Beelzebul und Menschensohn1. Βεελζεβοὺλ ἔχει2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriestera) Die zugrunde liegende Argumentationb) Der Menschensohn in der Stephanus-Traditionc) Der Menschensohn in den Sendschreiben der JohApokd) Der Menschensohn in Hebr 2e) Der Menschensohn im 4. Evangelium3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptikera) Der Menschensohn als Bevollmächtigter über die himmlisch-eschatologische Kultordnungb) Der Menschensohn als priesterlicher Interzessor (Lk 12,8f. par.; Mk8,38 par.)c) Das Selbstopfer des Menschensohnes (Mk 10,45)4. Jesus und der Menschensohn

 B) Die pneumatisch-visionäre Grundlage der Vollmacht Jesu: die Zugehörigkeit des Sohnes zum Haus des Vaters1. Zur Forschungsgeschichte2. Die Taufgeschichte als Visionsschilderung3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der vorlukanischen, paulinischen und johanneischen Rezeption des Stoffesa) Apg 8,38-40b) Röm 1,3f.c) Röm 8 und Nebentraditionend) Taufe, Geist und Sohnschaft in der johanneischen Tradition4. Verklärung und Sohnschaft: die himmlische δόξα des kultischen Ursprungsgeschehens5. Der Sohn aus dem himmlischen Haus: die Christologie des Weinberg-Gleichnisses6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f.

 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt1. Jesus und die Christologie2. Zur Eschatologie Jesu

  D) Ergebnis der Untersuchung

  Nachwort des Verfassers von 2020

  Literaturverzeichnis

Gewidmet dem Gedenken an Otto Michel (1903–1993)

und Hans Peter Rüger (1933–1990)

Vorwort des Verfassers: Hermeneutische Voraussetzungen

Die vorliegende Arbeit entstand in den Jahren zwischen 1977 und 1983. Sie wurde in Tübingen als Habilitationsschrift eingereicht, durchlief das akademische Verfahren jedoch ohne Erfolg. Der Verfasser trat danach in den Dienst der Württembergischen Landeskirche als Pfarrer, Dekan und Generalsekretär (der Deutschen Bibelgesellschaft, ehemals Württembergische Bibelanstalt). Nach fast 40 Jahren wurde der Wunsch an mich herangetragen, die Arbeit zu veröffentlichen. Die Herausgeber der TANZ haben sich diesen Wunsch gern zu eigen gemacht. In diesem Zusammenhang danke ich Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg, der diese liegengebliebene Arbeit mit großer Treue im Auge hielt und nun den Anstoß gab, sie doch noch in das Licht der Fachöffentlichkeit zu stellen. Nachdem eine Digitalisierung das Bearbeiten mit Hilfe moderner Computermethoden ermöglichte, liegt die Arbeit nun in leicht bearbeiteter und korrigierter Form vor. Auf eine Aufarbeitung der Forschungssituation seit 1983 musste ich verzichten, was die Herausgeber akzeptiert haben. So ist diese Arbeit auch ein historisches Dokument, von dem mich mehr als die Hälfte meiner Lebenszeit trennt.

Die Arbeit entstand bei Otto Michel, wie zuvor die Dissertation ‚Der Gesandte und sein Weg‘. Mit dem Tübinger Seminardirektor Hans Peter Rüger, dessen Seminarassistent ich 10 Jahre lang war, verband mich eine besonders vertrauensvolle Beziehung. Von Michel übernahm ich drei hermeneutische Rahmenbedingungen.

 

Zunächst verwies er auf Hugo Odeberg, mit dem ihn ein in der Nachkriegszeit angesiedelter akademischer Austausch verband. Odeberg war für ihn Inspirator einer Beschäftigung mit ‚jüdischer Mystik‘. „Odeberg glaubte an die himmlischen Dinge“. Für Michel stand fest, dass man Jesus nur vom Himmel her verstehen kann. Daraus ergab sich der Titel für die Arbeit.

Die zweite hermeneutische Rahmenbedingung, die Michel vorgab, war das ‚Ernstnehmen des Judentums‘. Schnell war auch klar, dass die Kategorie des ‚Himmels‘ am stärksten im Tempelkult verankert war. Er ist die Schnittstelle von ‚oben‘ und ‚unten‘ und ist Ort der Gottesbegegnung. Nun steht aber die nachexilische Zeit für die allmähliche und dann totale Loslösung Israels vom Tempel. Wie konnte eine Opferreligion sich so manifest verwandeln und diese Verwandlung zwei Jahrtausende weiter kraftvoll gestalten? Wie gehören Jesus und die auf ihn zurückgehende Messiasbewegung in diesen Prozess hinein? Es war dann klar, dass Jesus und die von ihm ausgehende Messiasbewegung in Parallelität zu anderen Strömungen des Judentums stand, die ebenfalls den Himmel ohne Opfertempel ‚behalten‘ wollten.

Die dritte hermeneutische Rahmenbedingung aus Michels Schule war das ‚Ernstnehmen der Bibel‘. Michel verstand dies nie fundamentalistisch, sondern im Sinne eines Ernstnehmens der Geschichte. Historisch-kritisch hieß für ihn, die Religionsgeschichte und die Rückbindung an die Anthropologie in allen Aspekten durchzuhalten. Das war der tragende Grund für manche radikalen Thesen, die mich beim Wiederlesen zunächst selbst erstaunten.

In einer Zeit, in der die christlichen Kirchen fast unentrinnbar an ihrer Selbstsäkularisierung arbeiten, scheint die Beschäftigung mit dem Himmel total aus der Zeit gefallen. Doch stellt man verblüfft fest, dass zentrale Motive unmittelbar in die Moderne transportiert worden sind. Eines der Konzeptalben der modernen Popmusik von der Gruppe ‚Cream‘ trägt den Namen ‚Wheels of fire‘ und stellt so ihre ekstatische Musik in das Licht der Merkaba. Die in Hamburg errichtete ‚Elbphilharmonie‘ folgt in ihrer architektonischen Grundstruktur der des orientalischen Stufentempels, ja auch die kultische Zeltstruktur zeigt sich in der Dachkonstruktion. Die scharfe Aufteilung in ‚unten‘ und ‚oben‘ und die Begegnung der ‚Unteren‘ mit den ‚Oberen‘ nach dem Aufstieg führen zu dem Anspruch, die Begegnung mit den ‚Oberen‘ habe verwandelnde Kraft. Es geht um eine Neuschöpfung unter dem Einfluss ‚himmlischer‘ Musik.

In einer durcheinandergeratenen Welt sollte auch das segnende, entsühnende Angebot einer Neuschöpfung vom Himmel her Aufnahme finden. Die Ordnung der Schöpfung im Sinne segensreichen Wetter- und Klimageschehens wird gesucht. Es geht um eine menschliche Ökologie, die Erde und Himmel einander näherbringt. Die religiöse Kategorie ‚Schöpfung‘ mit der ordnenden und heilenden Rückbindung des irdischen an den himmlischen Teil wird unverzichtbar. Der Mensch steht im Zentrum. Findet er einen Zugang zum Himmel, der ihn verändert und weiterbringt?

So hoffe ich, dass die vorliegende Arbeit trotz ihrer Unzeitigkeit Anregungen gibt über das enge Fachgebiet der Evangelien-Exegese hinaus für eine Inspiration von allen, die an ernstgemeinter Religion Interesse haben.

Frau Gisela Kienle fertigte 1982/83 das ursprüngliche Typoskript. Für die Mühe und Umsicht, die damit verbunden waren, bin ich ihr bis heute dankbar. Für die Digitalisierung und erste Korrektur des Manuskripts ist Frau Bronwyn Emma Leone und für die diesbezügliche Beratung Herrn Dr. Juan Garcés (Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden) sehr herzlich zu danken.

Cuxhaven, Oktober 2020 Jan-A. Bühner

Geleitwort von Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg

Dr. Jan Bühner ist mir seit meiner Zeit an der Universität Leiden 1971-1974 bekannt. Nach meinem Weggang aus Leiden und ohne mein Zutun erhielt er 1975 für seine Tübinger Dissertation den Preis der Godgeleerd Genotschap der Teylers Stichting in Haarlem. In der Heidelberger Zeit besuchte mich dann regelmäßig Jan Bühners Lehrer Otto Michel, mit dem mich eine große Liebe zum Judentum, besonders zur jüdischen Mystik und zum Erbe Gershom Scholems verband. Auch Hugo Odeberg wurde bei unseren Treffen stets mit Hochachtung erwähnt.

Für mich ergaben sich Querverbindungen aus Jan Bühners und Otto Michels Ansätzen aus meinen Interessen im Bereich der Apokalyptik, und zwar gerade deshalb, weil ich das komplexe Miteinander von Kult- und Geschichtsapokalyptik in der neutestamentlichen Apk erforsche. Wie die Erze in dem Bergwerk meiner Heimat sind sie so eng miteinander vermengt und verschmolzen, dass es schon chemischer (und nicht nur mechanischer) Methoden bedurfte, um sie überhaupt bei der Verhüttung voneinander zu trennen.

Jan Bühners Weg in Tübingen habe ich stets mit Anteilnahme verfolgt, und das betrifft auch das Entstehen seiner damals geplanten Habilitationsschrift. Nun, fast 40 Jahre später, sah ich es als ein Gebot der Gerechtigkeit gegenüber Dr. Bühner an, dass seine große und aus meiner Sicht sehr wichtige Arbeit endlich publiziert werden kann.

Denn die Thesen Jan Bühners halte ich für extrem stimulierend und auch nach der Zeit, die inzwischen vergangen ist, noch immer für hochaktuell. In dieser Situation greift Bühners Arbeit gerade zum Beispiel die Menschensohn-Frage neu auf. Mit der Stephanus-Vision zu beginnen halte ich für richtig, und ebenso die These, dass sich Jesus und das Bild des Menschensohnes sukzessive angenähert haben. Vor allem freut es mich immer wieder zu sehen, dass Jan Bühner neben der noch stets herrschenden Orientierung an der zeitlichen Schiene die räumliche Dimension betont und neu bewertet. Das Phänomen „Gnosis“ hatte hier lange Zeit die Aggressionen auf sich gezogen und damit eine klare Sicht blockiert.

Der Leser sollte beachten, dass die Kategorien der Kultspiritualität und die Orientierung an Tempel und Priestertum nicht konfessionell zu betrachten sind, sondern religionsphänomenologisch, oder sagen wir es verständlicher: auch von der Theologie Martin Luthers her. So hilft dieses Buch, gerade das lutherische Christentum von seiner Wurzel her neu und etwas weniger einseitig zu sehen, als es sonst geschieht. Wenn man das erkannt hat, wird die aktuelle Bedeutung des Buches durchaus noch größer.

Alles das und auch eine Würdigung des Beitrags der Ostkirche zu diesen Problemen wäre ein guter Gegenstand der ökumenischen Diskussion, deren Aufblühen ich als eine der Früchte dieses Buches erwarte.

Vor allem aber sollte der jüdischen Himmelsmystik Gerechtigkeit widerfahren, ohne die schon ein Großteil der Texte aus Qumran nicht verständlich ist. Und Jesus redet schließlich vom „Himmelreich“. Und: Warum haben wir so lange vom Himmel nicht geredet?

Heidelberg, Oktober 2020 Klaus Berger

ERSTER HAUPTTEIL: Hinführung zum Thema und Aspekte der Forschungsgeschichte

A) Hinführung zum Thema

Das historisch und theologisch notwendige Bemühen um eine sachgemäße Verbindung von Altem und Neuem Testament kann sich auf mehrere Rahmengrößen beziehen, die beide Testamente zusammenbinden. In der neueren Theologie hat man dabei vor allem den geschichtsbezogenen Charakter der biblischen Theologie hervorgehoben.1

Die Geschichte Gottes mit seinem Volk ist jedoch nicht der einzige gemeinsame Rahmen für die Theologie beider Testamente, vollzieht sich diese Geschichte doch auf einem sie erst ermöglichenden Grund, nämlich der Welt als Schöpfung Gottes.

Die biblische Betrachtung der Welt als Schöpfung ist vom ersten Buch des Alten bis zum letzten des Neuen Testaments geprägt durch eine Unterscheidung zweier Räume der Schöpfung, des Himmels und der Erde. Dabei ist unübersehbar, dass auch der Himmel Teil der Schöpfung ist;2 ebenso unübersehbar ist die Voraussetzung in beiden Bereichen der biblischen Tradition, dass der himmlische Teil der Schöpfung der Heiligkeit Gottes nähersteht. Die Priestertheologie von Gen 1 macht dies durch die betonte Vorordnung des Himmels deutlich, während die Kultapokalyptik der Johannesoffenbarung aus der Schau der himmlischen Prozesse einen Übergang des himmlischen Lebens um den Thron des Lammes herum in die eschatologische Neuschöpfung von Himmel und Erde ableitet. Der himmlische Teil der Schöpfung hat seit Anbeginn, und auch für die Endzeit, eine gesteigerte Lebensqualität.

Dieser biblischen Schöpfungslehre entspricht es, wenn das Neue Testament die Lehre von Gott, dem Christus und der Erlösung vor dem Hintergrund einer eschatologischen Neuverbindung der getrennten Schöpfungsräume expliziert. So geschieht es schon auf der frühesten Stufe der nachösterlichen Tradition: Mit Phil 2,5-11 zitiert Paulus einen bekenntnisartigen Hymnus.3 Er handelt von Jesus Christus, der aus der Würde einer überhimmlischen Gottgleichheit heraus sich für seinen irdischen Gang der göttlichen Gestalt entäußert hat und nach seinem gehorsamen Weg an das Kreuz nun als Erhöhter den kosmischen Machtnamen besitzt, der ihn zum eschatologischen Herrn der Schöpfung macht.4 Bis in die altkirchliche Lehrbildung hinein – und von ihr aus bis in die Theologie der beginnenden Neuzeit – lässt sich unschwer feststellen, dass eine mehr räumliche als zeitlich-geschichtliche Deutung der Schöpfung den Rahmen für die Darstellung des Heilshandelns Gottes an der Welt gegeben hat. Die biblische Erfassung der Wirklichkeit als Geschichte ist nicht nur ein Relikt nomadischer Väter-Religion, sondern bezieht ihren zukunfts- und zielorientierten Charakter aus der Spannung der zweigeteilten Schöpfung, die hinweist auf eine Neuschöpfung, welche diese Spannung aufheben wird.

Die vorliegende Untersuchung will die Beobachtung historisch und theologisch verständlich machen, dass die Evangelien Jesus aus einer ihm eröffneten Beziehung zur himmlischen Welt verstehen, ja Jesus sich selbst so versteht. Durch Taufe, Verklärung und Passion-Erhöhung ist Jesu irdischer Weg als ein Geschehen gedeutet, welches sich aus dem Himmel heraus vollzieht. Seine Verkündigung und sein vollmächtiges Wunderwirken realisieren die Gegenwart der himmlischen Basileia Gottes. Im Vollzug seines irdisch-geschichtlichen Lebens öffnet sich der der himmlischen Heiligkeit Gottes und der eschatologischen Neuschöpfung nahe Teil der Schöpfung zum irdischen hin. Jesu Gebet eröffnet im Medium kultischer Sprache den Zugang zum Vater ‚im‘5 Himmel. Er realisiert geradezu die erlösende Kraft der Gemeinsamkeit zwischen himmlischer und irdischer Gemeinde in der Doxologie des Schöpfers.6

Trotz breitester biblischer Fundierung ist das Thema ‚Himmel‘ und damit auch der Versuch, die Jesus-Tradition in diesem theologischen Rahmen zur Sprache kommen zu lassen, seit der Aufklärung verdrängt worden.

Der Liberalismus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat hierbei entscheidende Weichen gestellt: Er reduzierte die Christologie auf eine Darstellung des Werkes Jesu im Sinne der Bedeutsamkeit seiner Botschaft. Das Reich Gottes, welches in der Verkündigung Jesu auch eine gegenwärtige, himmlische Größe ist, wurde so zu einem höchsten sittlichen Gut, das als zukünftig erreichbare Größe erschien. Jesu Person wurde zum sittlichen Vorbild, ausgedrückt in Kategorien hervorgehobenen, heroischen Menschseins.7 Die Kategorie der Zeit wurde damit zum tragenden Rahmen des Versuchs, Jesus dem modernen Menschen nahezubringen und das Menschsein entsprechend seinem Vorbild voran zu bringen.

Diese liberale Reduktion untersteht deutlich dem aufklärerischen Impetus, den Menschen als verantwortlichen Gestalter der ihm begegnenden Wirklichkeit zu sehen, einer Wirklichkeit, die, soll sie nicht irrelevant sein, eben eine irdische und zeitliche ist. Das religiös Bedeutsame muss sich im Rahmen eines Zeitbegriffs verankern lassen, der die Verbindung dieses religiös Bedeutsamen mit dem Jetzt der menschlichen Geschichte ohne Postulat einer Transzendenz offenhält.

Es ist nicht verwunderlich, dass sich diese aufklärerische Hermeneutik des Christentums als einer sittlichen Bewegung auch mit einer eschatologischen Deutung verbinden kann. Sie drängt auf das Ziel der Erziehung des neuen Menschen hin. Dabei wird die Zukunft nicht mehr als Paradigma der Transzendenz8 gesehen, sondern als Paradigma für den Anspruch, dass die Menschheit um ein letztes geschichtliches Ziel weiß.9

 

Hier taucht die grundsätzliche Frage auf, ob es letztlich egal ist, von einem räumlichen oder zeitlichen ‚Himmel‘ zu sprechen, wenn nur festgehalten wird, dass es einen raum-zeitlichen Aspekt der Schöpfung gibt, welcher sich dem Zugriff des Menschen entzieht und Paradigma des Einbruchs der Transzendenz ist.10

Wichtig ist eine doppelte Beobachtung. Einerseits ist die Tendenz erkennbar, die Zukunft als Dimension des Handelns Gottes gegen das räumliche Oben des Himmels, als die der Transzendenz nähere Sphäre, auszuspielen. Die moderne Situation ist dann deutlich mit der Gefahr verbunden, Zukunft als Verlängerung irdischer Geschichte zu verstehen.11 Andererseits zeigt die Religionsgeschichte, dass das grundlegende, alles andere tragende Angerührtsein des Menschen von der Transzendenz sich in den stärker ‚senkrecht‘ orientierten Phänomenen, wie beispielsweise Ekstase und Gebet, äußert. Neutestamentlich muss man mit H.R. Balz fragen, „… ob sich die urgemeindliche Eschatologie … wirklich nur als ein Zeitproblem verstehen lässt …“12 Karl Barth hat mit Entschiedenheit gegen eine drohende Verengung im Umkreis der ‚konsequenten Eschatologie‘ das Augenmerk darauf gelenkt, dass der pneumatisch-gegenwärtige, himmlische Christus der Ermöglichungsgrund für den Blick in die eschatologische Zukunft ist.13 Jenseits des Zeitproblems steht also die Antwort der Religionsgeschichte und auch des biblischen Zeugnisses, dass es eine Verbindung im Pneuma zum himmlischen als dem der Transzendenz näheren Raum gibt.

Der Fixpunkt für die urchristliche Eschatologie liegt in der durch das Pneuma gewährten Beziehung der Gemeinde zu ihrem himmlischen Herrn. Daraus ergibt sich die Erwartung, dass auch die Reich-Gottes-Ansage Jesu ihren eigenen Fixpunkt in seinem gegenwärtig-pneumatischen, personhaften Einbezogensein in das Reich Gottes findet. Jesus blickte dann nicht nur auf eine zukünftige Realisierung des Reiches. Mehr noch ist es eine Größe, die aus der himmlischen Verborgenheit in die Wirklichkeit der neuen Schöpfung eintritt.

Diese Konsequenz zog M. Dibelius in seinem Jesusbuch: „… eine (scil. Jesu) Verkündung des unbedingten Gotteswillens hat das Kommen des Reiches zur Voraussetzung; die Art, wie er die Menschen vor die Wirklichkeit Gottes stellt, ist begründet in der Aussicht, dass diese himmlische Wirklichkeit demnächst irdische Wirklichkeit werden solle.“14

Jesus kennt die Basileia als himmlische Wirklichkeit und weiß darum, dass diese himmlische Wirklichkeit sich anschickt, nach der Erde auszugreifen. Ändert man den etwas vagen Ausdruck der ‚Aussicht‘ bei Dibelius zu dem der pneumatischen Gewissheit, so ergibt sich unausweichlich, dass Jesus mit dieser himmlischen Wirklichkeit einen intensiven Kontakt gehabt haben muss, ja zu ihr gehört hat. Urchristlicher Pneumatismus mit der Vielzahl seiner Phänomene als Haftpunkt urchristlicher Eschatologie verlangt als begründende Analogie ein Jesusverständnis, nach dem er Pneumatiker gewesen ist, der schon als Irdischer der himmlischen Basileia zugehörte.

Für eine hermeneutisch nicht eingeschränkte historische Forschung15 scheint es also aus mehreren Gründen notwendig zu sein, die Dimension des Himmlischen als Raum der angrenzenden Transzendenz weder aus der neutestamentlichen Christologie noch aus dem historisch erkennbaren Bild vom irdischen Jesus zu entlassen:

die räumliche Dimension der biblischen Lehre von der in Himmel und Erde getrennten Schöpfung wehrt sich heftiger gegen alle Versuche, das Transzendente in den irdischen Geschichtsablauf einzubinden, als eine rein zeitliche Eschatologie. Die Rede vom ‚Himmel‘ benötigen wir, um Eschatologie vor dem Versinken in Immanenz zu bewahren.

Auf der Folie der räumlichen Kategorie ‚Himmel‘ werden die mit der Religionsgeschichte unlösbar verbundenen pneumatischen Phänomene wieder erkennbar und als Zeichen präsentischer Eschatologie deutbar.

Neutestamentlich ergibt sich aus diesem in die biblische Schöpfungslehre eingebundenen Rückgriff auf den ‚Himmel‘, dass Jesus als Pneumatiker deutbar wird. Wenn er der Anfänger der Bewegung ist, die die eschatologische Neuschöpfung mit dem gegenwärtigen Pneuma-Besitz verschränkt, dann gehört er bereits als Irdischer auch zur himmlischen Welt.