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Die Zeit Constantins des Großen

1  Inhalt

2  Vorrede der Erstausgabe (1853)

3  Vorwort der zweiten Auflage

4  Die Reichsgewalt im dritten Jahrhundert

5  Diocletian Das System seiner Adoptionen Seine Regierung

6  Einzelne Provinzen und Nachbarlande Der Westen

7  Einzelne Provinzen und Nachbarlande Der Osten

8  Das Heidentum und seine Göttermischung

9  Die Unsterblichkeit und ihre Mysterien Die Dämonisierung des Heidentums

10  Alterung des antiken Lebens und seiner Kultur

11  Die Christenverfolgung Constantin und das Thronrecht

12  Constantin und die Kirche

13  Hof, Verwaltung und Heer Konstantinopel, Rom, Athen und Jerusalem

14  Register

Inhalt


Vorreden
Erster Abschnitt: Die Reichsgewalt im 3. Jahrhundert
Zweiter Abschnitt: Diocletian. Das System seiner Adoptionen. Seine Regierung
Dritter Abschnitt: Einzelne Provinzen und Nachbarlande. Der Westen
Vierter Abschnitt: Einzelne Provinzen und Nachbarlande. Der Osten
Fünfter Abschnitt: Das Heidentum und seine Göttermischung
Sechster Abschnitt: Die Unsterblichkeit und ihre Mysterien. Die Dämonisierung des Heidentums
Siebenter Abschnitt: Alterung des antiken Lebens und seiner Kultur
Achter Abschnitt: Die Christen Verfolgung. Constantin und das Thronrecht
Neunter Abschnitt: Constantin und die Kirche
Zehnter Abschnitt: Hof, Verwaltung und Heer. Konstantinopel, Rom, Athen und Jerusalem
Register

Vorrede der Erstausgabe (1853)

Der Zweck des Verfassers vorliegender Schrift war, das merkwürdige halbe Jahrhundert vom Auftreten Diocletians bis zum Tode Constantins in seiner Eigenschaft als Übergangsepoche zu schildern. Es handelte sich nicht um eine Lebens- und Regierungsgeschichte Constantins, ebensowenig um eine Enzyklopädie alles Wissenswürdigen, was sich etwa auf jene Zeit bezieht; wohl aber sollten die bezeichnenden, wesentlich charakteristischen Umrisse der damaligen Welt zu einem anschaulichen Bilde gesammelt werden.

Diese Absicht hat das Buch allerdings nur in beschränktem Sinne erreicht, und der Leser wird ihm vielleicht keinen andern Titel zugestehen wollen als den von »Studien über die Zeit Constantins«. Diejenigen Lebensbeziehungen jener Epoche, welche nicht hinlänglich genau zu ermitteln sind und sich also auch nicht lebendig in das Ganze verweben liessen, sind weggeblieben, so zum Beispiel die damaligen Eigentumsverhältnisse, das gewerbliche Leben, die Staatsfinanzen und so vieles andere. Der Verfasser wollte nicht wissenschaftliche Kontroversen durch Herbeiziehung neuer Einzelheiten um einen Schritt weiterführen helfen, um sie dann doch im wesentlichen ungelöst liegen zu lassen; er hat überhaupt nicht vorzugsweise für Gelehrte geschrieben, sondern für denkende Leser aller Stände, welche einer Darstellung so weit zu folgen pflegen, als sie entschiedene, abgerundete Bilder zu geben imstande ist. Immerhin wird es ihm von grösstem Werte sein, wenn die neuen Resultate, die er in den hier behandelten Partien gewonnen zu haben meint, auch bei den Männern vom Fache Billigung finden.

Abgesehen von dieser nicht ganz freien Wahl des Materials, lässt allerdings auch das Prinzip der Verarbeitung und Darstellung ohne Zweifel viel zu wünschen übrig, und der Verfasser glaubt auch hierin weder das Beste noch das einzig Richtige getroffen zu haben. Bei universalhistorischen Arbeiten kann man schon über die ersten Grundsätze und Absichten verschiedener Meinung sein, so dass zum Beispiel dieselbe Tatsache dem einen als wesentlich und wichtig, dem andern als völlig uninteressant, als blosser Schutt erscheint. Deshalb ergibt sich der Verfasser darein, dass seine Behandlungsweise als eine subjektive bestritten werde. Sicherer wäre es wohl zum Beispiel gewesen, aus den vorhandenen Geschichten Constantins mittelst kritischer Prüfung eine neue zusammenzustellen und mit einer gehörigen Anzahl von Quellenzitaten zu versehen; allein ein solches Unternehmen hätte für den Verfasser nicht denjenigen innern Reiz gehabt, welcher einzig imstande ist, alle Anstrengung aufzuwiegen. Es soll hiemit über die verschiedenen Behandlungsweisen dieses Stoffes durchaus nicht abgeurteilt werden; genug, wenn man nur auch der unsrigen ihr Plätzchen an der Sonne gönnt.

Im Zitieren hat sich der Verfasser ein gewisses Mass vorgeschrieben. Kenner werden leicht bemerken, wie vieles er Gibbon, Manso, Schlosser, Tzschirner, Clinton und andern Vorgängern verdankt, wie sehr er aber zugleich auf durchgängiges eigenes Quellenstudium verwiesen war. Von dem trefflichen Werke Tzschirners glaubte er, beiläufig gesagt, in einer Beziehung vollständig abweichen zu müssen: der Einfluss des Christentums auf das sinkende Heidentum schien ihm nämlich dort viel zu hoch angeschlagen zu sein, und er zog es vor, die betreffenden Phänomene durch eine innere Entwicklung im Heidentum selbst zu erklären, aus Gründen, welche hier nicht weiter entwickelt werden können.

Die diesem Gegenstand gewidmeten Abschnitte (V und VI) unseres Buches ermangeln, wie man sehen wird, fast aller systematischen Einkleidung. Der Verfasser war überzeugt, hierin eher zu wenig als zu viel tun zu dürfen. Im Verallgemeinern geistiger Wahrnehmungen, besonders auf dem Gebiete der Religionsgeschichte, will er sich lieber zu zaghaft als zu dreist schelten hören.

Vorwort der zweiten Auflage

Als vor beinahe drei Jahrzehnten der Stoff dieses Buches gesammelt und die Ausarbeitung begonnen wurde, schwebte dem Verfasser als Ziel nicht sowohl eine vollständige geschichtliche Erzählung als eine kulturhistorische Gesamtschilderung der wichtigen Übergangsepoche vor, welche der Titel nennt. Er hatte das Bewusstsein, dass er dabei auf eine sehr subjektive Auswahl desjenigen geraten möchte, was zum Weltbilde jener Zeiten gehört, allein der Anklang, welchen das Buch in der Folge gefunden hat, lässt ihn glauben, dass er für viele Leser im ganzen das Wünschbare getroffen habe. Seither ist jene Epoche vielfach durchforscht und besonders in ihren politischen und kirchengeschichtlichen Partien neu dargestellt worden, auch wird diese zweite Auflage Zeugnis davon geben, wie vieles Neue und Wichtige Forschern wie Vogel, Hunziker, v. Görres und manchen andern, namentlich der vortrefflichen Schrift von Preuss über Diocletian, zu verdanken ist. Doch durfte das vorliegende Buch nicht stark vergrössert, der Maßstab und die wesentlich kulturgeschichtliche Tendenz nicht durch Verstärkung des politischen und biographischen Details verändert oder beseitigt werden; die Berichtigung zahlreicher Irrtümer in den Tatsachen und die wesentlichsten Ergänzungen des geschichtlichen Zusammenhanges, wo er seither besser ermittelt worden, mussten genügen. Und so sei die Arbeit auch in ihrem neuen Gewände einem jetzt grossenteils neuen Geschlecht von Lesern bestens empfohlen.

Basel, im Juli 1880.

Der Verfasser.

Die Reichsgewalt im dritten Jahrhundert
Erster Abschnitt

In der vorliegenden Darstellung der Zeiten vom Auftreten des Kaisers Diocletian bis zum Ausgang Constantins des Grossen könnte jeder Abschnitt seiner eigenen Einleitung bedürfen, weil die Dinge nicht nach der Zeitfolge und der Regierungsgeschichte, sondern nach den vorherrschenden Richtungen des Lebens geschildert werden sollen. Wenn dieses Buch aber gleichwohl einer allgemeinen Einleitung bedarf, so wird dieselbe am ehesten die Geschichte der höchsten Staatsgewalt des sinkenden Römerreiches im dritten Jahrhundert nach Christo enthalten müssen. Nicht dass aus ihr sich alle übrigen Zustände entwickeln liessen, aber sie gibt immerhin den Boden für die Beurteilung einer Menge äusserer wie geistiger Ereignisse der Folgezeit. Alle Formen und Grade, welche die Gewaltherrschaft erreichen kann, von den schrecklichsten bis zu den günstigsten, sind hier in einer merkwürdig abwechselnden Reihe durchlebt worden.

Unter den guten Kaisern des zweiten Jahrhunderts, von Nerva bis auf Marcus Aurelius (96–180 n. Chr.), hatte das Römische Reich eine Ruhezeit, welche eine Zeit des Glückes sein konnte, wenn die tiefsten Schäden alternder Nationen überhaupt dem Wohlwollen und der Weisheit auch der besten Regenten zugänglich wären. Innere und äussere Grösse eines Trajan, Hadrian, Antonin und Marcus Aurelius dürfen uns nicht verblenden über Dinge und Verhältnisse, welche schon damals als offenes Geheimnis vor aller Augen lagen. Die drei grossen Mächte: Kaiser, Senat und Heer mussten auf die Länge wieder aneinander irre werden und ihre künstlich geschonte Harmonie verlieren; vollends unheilbar schien in der Folge die Verwirrung, als Angriffe der Barbaren, eigentümliche Regungen der Provinzen und entsetzliche Naturereignisse damit zusammentrafen.

Ein Vorspiel hievon zeigt schon die Regierung Marc Aurels selber. Über seine Persönlichkeit zu reden wäre überflüssig; unter den unvergänglichen Idealgestalten des Altertums ist der stoische Philosoph auf dem Thron der Welt wohl nicht die schönste, jugendlichste, aber gewiss eine der ehrwürdigsten. Und doch war es ihm nicht erspart, die drohenden Vorboten künftigen Unterganges an die Pforten des Reiches pochen zu hören. Zunächst in Betreff des Kaisertumes offenbarte sich deutlich genug, dass dasselbe – trotz des Systemes von Adoptionen, welches die vier grossen Kaiser miteinander verknüpft hatte – durch einen Handstreich usurpiert werden könne. Dies wagte, wenn auch ohne Erfolg, der bedeutendste Feldherr des Reiches, Avidius Cassius, nachdem fast drei Generationen hindurch vortrefflich oder wenigstens wohlwollend regiert worden war. Was sodann das Heer anbelangt, so hat zwar Marc Aurel den Ruhm »den Soldaten nie in Reden geschmeichelt noch irgend etwas aus Furcht vor ihnen getan zu haben«; allein dem hergebrachten Unheil, dem Riesengeschenke an die Armee beim Regierungsantritt, hatte er sich in solcher Weise gefügt, dass jeder Soldat (wenigstens von der Garde) ein Vermögen besass und dass die Summe Marc Aurels fortan von den Soldaten als Norm betrachtet wurde. Von äussern Unglücksfällen kam hinzu der erste gewaltige Einbruch eines germanisch-sarmatischen Völkerbundes in das Römische Reich, und eine furchtbare Pest. Der gefahrvollste Krieg, die tiefsten Sorgen füllten die letzten Jahre des Kaisers. Aber auch in seinem Zelt an der Donau suchte er sich über den engen, bedrohten Augenblick zu erheben durch den stillen Kultus des allgemeinen Sittlichen, des Göttlichen im Menschenleben.

Für seinen Sohn Commodus (180–192) soll er eine Art von Regentschaft, »die Besten aus dem Senate«, eingesetzt haben, und jedenfalls liess sich der junge Fürst in den ersten Wochen von den Freunden seines Vaters leiten. Aber ungemein rasch entwickelte sich in ihm jener scheussliche Kaiserwahnsinn, dessen man seit Domitian nicht mehr gewohnt gewesen war. Das Bewusstsein der Herrschaft über die Welt, die Furcht vor allen, die nach dieser Herrschaft streben konnten, der Ausweg: rasch das Vorhandene zu geniessen und die unaufhörliche Sorge zu übertäuben – dies alles konnte in einem nicht ganz gut und stark geborenen Menschen sehr bald jenes Gemisch von Blutdurst und Ausschweifung hervortreiben. Den Anlass mochte ein Attentat geben, dem die eigene Familie nicht fremd war, das man aber auf den Senat schob. Kein Wunder, dass bald darauf der Gardepräfekt die erste Person im Staate, der Bürge des kaiserlichen Daseins war, wie einst unter Tiberius und Claudius, und dass die wenigen Tausende, welche er befehligte, sich mit ihm als die Herren des Reiches fühlten. Den einen, tüchtigern dieser Präfekten, den Perennis, opferte freilich Commodus einer Deputation des unwilligen britannischen Heeres auf, welche 1500 Mann stark ungehindert nach Rom gekommen war; den folgenden Präfekt, Kleander, gab er einem Hungeraufruhr des römischen Pöbels preis, allerdings nicht unverdient, weil Kleander in unbegreiflicher Habsucht nicht nur durch Konfiskationen und Ämterverkauf die höhern Klassen, sondern auch durch ein Getreidemonopol das ärmere Volk gegen sich aufgebracht hatte.

Wenn nun der feige und grausame Fürst im Amphitheater erschien, um sich als Gott verkleidet von dem tödlich bedrohten Senat bewundern zu lassen, so konnte man wohl fragen, ob dieser »commodianische Senat« überhaupt noch den alten Namen verdiente, auch wenn er noch eine gewisse Mitregierung in den Provinzen, Ernennungsrechte, eigene Kassen und äussere Ehren besass. Auch römisch im engern Sinne durfte er kaum mehr heissen, seitdem die Mehrzahl seiner Mitglieder vielleicht nicht einmal Italier, sondern Provinzialen waren, in deren Familien die Würde sogar zeitweise erblich geworden war. Es ist leicht, sich von einem idealen Standpunkte aus über diese entwürdigte Versammlung in den strengsten Urteilen zu ergehen, zumal wenn man von dem Effekt einer dauernden Todesgefahr, die über ganzen Familien und Korporationen schwebt, sich keine klare Vorstellung zu machen vermag. Die Zeitgenossen urteilten billiger; Clodius Albinus, als er die Würde eines Caesar aus den blutigen Händen eines Commodus nicht annehmen wollte, hielt den Senat noch immer für lebensfähig genug, um öffentlich vor seinen Truppen sich für die Herstellung einer republikanischen Staatsregierung auszusprechen Hist. Aug., Clod. Alb. 13, 14.. Ob er aufrichtig redete, ist hier gleichgültig; genug dass der Senat (wie wir sehen werden) noch immer viele von den edelsten Männern jener Zeit enthielt und in schwierigen Augenblicken Kraft und Entschlossenheit zur Staatsregierung zeigte; selbst die Illusionen, in welchen wir ihn befangen finden werden, gereichen ihm nicht durchaus zur Unehre. So ist es denn auch begreiflich, dass er trotz zeitweisem Eindrängen unwürdiger Subjekte noch immer als Repräsentation, wenn nicht des Reiches, doch der römischen Gesellschaft galt und sich als den natürlichen Vorstand der sogenannten Senate oder Kurien der Provinzialstädte betrachtete Hist. Aug., Florian. 5.; ohne ihn konnte man sich noch immer kein Rom denken, auch wenn sein Wirkungskreis durch Gewaltübung anderer oft auf lange Zeit zernichtet schien Sept. Severus mit seiner Rede bei Dio Cass. 75, 8 darf uns hier nicht täuschen (vgl. unten, S. 23). So konnte der Senat der Antonine nicht aussehen, selbst nach der Zwischenregierung eines Commodus..

Nachdem Commodus noch die Senatoren gebrandschatzt hatte, um durch ungeheure Geschenke das murrende Volk der Hauptstadt zu besänftigen, fiel er durch eine gemeine Palastverschwörung Eine gründliche Erörterung namentlich der politischen und dynastischen Fragen in dem halben Jahrhundert von Commodus abwärts s. in dem Art. Gordianus, bei Ersch und Gruber, Encycl. (von Emil Müller)..

Das Schreckliche an den römischen Thronveränderungen lag darin, dass niemand wusste, wem die Erhebung eines neuen Kaisers eigentlich zustand. Eine Dynastie konnte sich nicht bilden, weil der Kaiserwahnsinn – das Schicksal aller nicht sehr begabten Menschen auf diesem Throne – zu periodischen Revolutionen mit Notwendigkeit hindrängte. Und selbst ohne diese letztern hätte die Kinderlosigkeit der ausschweifenden Kaiser und auch einiger der bessern eine regelmässige Erbfolge unmöglich gemacht; Adoptionen aber, wie sie schon im augusteischen Hause vorkamen, hatten nur dann Aussicht auf Beachtung, wenn der Adoptivvater sowohl als der neue Sohn die Eigenschaften besassen, um sich zu behaupten.

Offenbar gehörte dem Senat, welcher einst dem göttlichen Augustus einen Titel der Macht nach dem andern dekretiert hatte, das grösste historische Recht zur Ernennung eines neuen Kaisers. Allein sobald die Kaiser den Senat hassten und sich einzig auf die Garden verliessen, massten diese letztern sich die Kaiserwahl an; es dauerte nicht lange, so konkurrierten auch die Heere in den Provinzen mit den Kasernen des prätorianischen Lagers zu Rom. Bald fand man hier seinen Vorteil bei kurzen Regierungen, weil sich das Geschenk an das Lager jedesmal wiederholte. Dazu rechne man die dunkle Tätigkeit entschlossner Intriganten, deren Interesse es hie und da sein mochte, zunächst einen Bewerber zu unterstützen, dessen baldigen Untergang sie voraussahen und wollten.

So wurde von den Mördern des Commodus ein braver Mann, Helvius Pertinax, wie zur Rechtfertigung ihrer Tat vorgeschoben, den zuerst die Soldaten, dann der Senat anerkannten (193). Durch anfängliche Begünstigung eines gewissen Triarius Maternus erpressten die Garden von Pertinax ein enormes Donativ, zu dessen Bestreitung die Kostbarkeiten des Commodus veräussert wurden; die natürliche Folge war ein baldiger zweiter Versuch zugunsten des Konsuls Falco; das drittemal aber begannen die Garden geradezu mit der Ermordung des Kaisers. Und nun ging im Lager jene unerhörte Gant der Kaiserwürde vor sich; es fand sich ein reicher Tor, Didius Iulianus, der um etwa 6000 Franken an jeden einzelnen Soldaten ein paar Wochen Schwelgerei und Todesangst erkaufte. Dies war aber auch die letzte und höchste Spitze prätorianischen Übermutes. Drei Provinzialheere hatten sich gleichzeitig das Vergnügen gemacht, ihre Anführer zu Kaisern auszurufen; darunter war der düstre Afrikaner Septimius Severus. Der ratlose Julian versuchte es zuerst mit Aussendung von Mördern; es gab damals einen Offizier Aquilius, der bei der Ermordung von Grossen schon öfter Dienste geleistet hatte Hist. Aug., Pescenn. 2. Aquilium centurionem notum caedibus ducam. und einen Ruf geniessen mochte wie zu Neros Zeiten Locusta. Darauf wollte Julian, weil er ja das Reich um sein gutes Geld gekauft, die Sache wie einen Rechtshandel gegen Sever durchführen; weiterhin erklärte er letztern, als er näher rückte, zum Mitregenten; er war aber verlassen, verhöhnt, und auf Veranstaltung des Senates hingerichtet, als Sever noch mehrere Märsche weit von Rom stand.

In Septimius Severus (193–211) ist die Militärherrschaft zum ersten Male rein repräsentiert. Der Hochmut des Standes und Grades, den er schon als Legat an den Tag legt Hist. Aug., Sept. Sev. 2., hat etwas Unrömisches, Modernes. Wie wenig er dagegen die alte Hoheit des Senates begreifen und achten würde, konnte schon die Deputation von 100 Senatoren inne werden, welche ihn bei Terni begrüsste und die er gleich untersuchen liess, ob sie etwa Dolche bei sich führten. Die reinste Konsequenz eines Kriegsfürstentums aber befolgte er, als er die Prätorianer schimpflich entwaffnete und aus Rom jagte. Eine solche bevorzugte, verdorbene Garde mit politischen Prätentionen passte nicht in sein System. Seinem eigenen mitgebrachten Heere gab er einstweilen nur ein Fünfteil von dem verlangten Donativ. Ebenso folgerichtig benahm sich Sever im Kampfe gegen seine Mitbewerber Pescennius Niger und Clodius Albinus; er rottete ihren ganzen Anhang aus; es war ihm unbegreiflich, wie eine Anzahl Senatoren sich mit jenen in Briefwechsel hatten einlassen können und wie sogar der gesamte Senat sich hatte neutral halten mögen. »Ich bin's ja«, schreibt er an den Senat Hist. Aug., Clod. Alb. 12., »der dem römischen Volke Getreide und Öl verschafft, der für euch Kriege führt, und jetzt – welch ein Dank? . . . Ihr habt euch seit Trajans und Marc Aurels Zeiten sehr verschlechtert.« – Byzanz, wo sich die Anhänger des Pescennius über ein Jahr verteidigten, wurde, trotz seiner Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit als Grenzfeste gegen die Barbaren des Pontus, dem Boden eben gemacht und die ganze Besatzung nebst vielen Einwohnern getötet Die lange Gegenwehr der Besatzung erklärt sich nicht sowohl aus einer Anhänglichkeit an den längst umgekommenen Pescennius, als vielmehr daraus, dass die höheren Offiziere den Charakter Severs und demnach auch ihr Schicksal im Fall der Einnahme kennen mochten und auf einen Sieg des Albinus warteten. Auffallender ist die eifrige Teilnahme der Einwohnerschaft, welche zu ahnen scheint, dass ihre Stadt gar nicht hoch genug im Preise stehen könne. Die bereits gegen die Antiochener als Anhänger des Pescennius verhängte Strafe wirkte wohl erst in zweiter Linie mit.. Die Welt sollte sich ein Beispiel daran nehmen, wie es den Städten und Faktionen ergehen müsse, welche unter mehrern Usurpatoren nicht sogleich denjenigen herausfinden würden, der bleibenden Gehorsam verdiente. Nicht besser ging es den Anhängern des Albinus; Sever hatte ihre Korrespondenz in die Hände bekommen und hätte sie, wie einst der grosse Caesar die der Pompejaner, ungelesen verbrennen können. Dies wäre sehr edel, aber durchaus nicht zeitgemäss gewesen, weil es sich nicht mehr um Prinzipien und deren Amalgamierung durch persönliches Versöhnen und Gewinnen handelte, sondern um eine einfache Unterwerfung. Eine Menge Senatoren und Vornehme in und ausserhalb Rom wurden hingerichtet; vor Senat, Volk und Soldaten hielt der Kaiser Lobreden auf Commodus, gewiss nicht aus Überzeugung, sondern aus Hohn gegen den Senat.

In Rom selber brach einmal während dieses Reichskrieges bei den Zirkusspielen ein plötzliches Jammern und Räsonieren los, welches ein Ohrenzeuge Dio Cass. 75, 4. sich nur durch göttliche Inspiration zu erklären weiss. »O Rom! Königin! Unsterbliche!« (so riefen die vielen Tausende einstimmig). »Wie lange leiden wir noch solches? Wie lange führt man noch Krieg um uns?« – Es war besser, dass sie ihre Zukunft nicht wussten.

Als der Friede im Innern hergestellt war, wurde man inne, dass die Militärherrschaft mit der notwendigen Zutat auswärtiger Kriege sich Selbstzweck geworden war. Ihr Mittelpunkt war Sever mit seiner in die höchsten Ämter verteilten Familie, aus welcher er eine Dynastie machen wollte; nur seinen Bruder, welcher gern Mitregent geworden wäre, hielt er geflissentlich von sich ab. Das nächste Mittel zur Behauptung der Macht war die Bildung einer neuen Garde, welche mehr als viermal so stark wurde als die alte; mit einer solchen stets disponiblen Leibarmee konnte man fortan auch den Provinzialheeren ganz anders gegenüberstehen; mit ihr konnte man, wie später geschah, im Reiche herumreisen und überall morden und plündern. Die frühere Garde hatte aus Italienern, sogar vorzugsweise aus Leuten der Umgegend Roms bestanden; jetzt füllte Severus Rom mit rohen und schrecklichen Barbarengesichtern. War er mit dem Donativ sparsam gewesen, so erhöhte er dafür den Sold mehr als irgend ein anderer Kaiser; aus dem einmaligen Wegwerfen von ein paar Millionen wurde ein regelmässiges Aussaugen des Reiches zugunsten der Soldaten. Jener väterliche Rat Severs an seine Söhne mag wohl eher von den Zeitgenossen aus seiner Regierungsweise abstrahiert als wirklich von ihm ausgesprochen worden sein, lautet aber bezeichnend genug: »Seid einträchtig, macht die Soldaten reich, und verachtet alle andern« Dio Cass. 76, 15. Anders bei Zonaras 12, 10..

Man möchte nun glauben, dass dieser Soldatenstand, so hoch geehrt und in beständigem Atem gehalten durch einen so rastlosen Feldherrn, den grössten kriegerischen Erinnerungen Roms Ehre machen musste. Allein dem war nicht so. Sever selber klagt laut genug über Verfall der Disziplin, und auf seinem grossen asiatischen Feldzuge kamen Fälle von Insubordination vor, welchen er nur mit Nachsicht und fernern Geschenken zu begegnen wusste. Konnte er wohl sich verhehlen, dass seine Neuerung nur ihn und seine Regierungszeit sicherte, während sie einem schwachen und schlechten Nachfolger, der nicht mehr gleichsam sein eigener Gardepräfekt war, den unvermeidlichen Untergang zuziehen musste? Oder war ihm dieses gleichgültig, wenn nur die Soldatenherrschaft als solche sich erhielt?

Man darf hier wie in diesen letzten Jahrhunderten des Heidentumes überhaupt nicht übersehen, dass die Mächtigsten oft unfrei handelten, weil sie sich der Astrologie und den Vorbedeutungen fügten. So allein wird man es zum Beispiel bei dem gerechtigkeitsliebenden Sever erklären müssen, wenn er einen unvorsichtigen Frevler wie Plautian so beharrlich in der Gardepräfektur und in der engsten Verbindung mit seinem Hause festhielt. Mannigfache Superstitionen umgaben das Leben Severs von der Jugend bis zum Grabe. Da der römische Kaiserthron das grosse Los einer Lotterie geworden war, so gab es Eltern der verschiedensten Stände, welche das tägliche Leben ihrer begabteren Kinder sorgfältig beobachteten, ob nicht eine Vorbedeutung künftiger Herrschaft sich zeige; es wird Notiz davon genommen, wenn der Knabe absonderliche Verse im Munde führt, wenn Schildkröten oder junge Adler ins Haus gebracht werden, oder gar ein purpurfarbnes Taubenei, wenn Schlangen sich als Hausgenossen hervortun, Lorbeerbäume hervorspriessen und dergleichen; kommt aber ein Kind schon mit einer Krone von Schwielen um das Haupt zur Welt, braucht man von ungefähr ein Stück Purpurstoff zur Bedeckung des Neugebornen – dann ist sein künftiges Kaisertum in der Stille entschieden S. die Hist. Aug., in den meisten Biographien.. Ähnliche Befangenheit begleitete manche Kaiser ihre ganze Regierung hindurch und lenkte ihre Handlungen in einer Weise, die wir nicht mehr berechnen können. Es erweckt Mitleid, wenn der greise Severus nach seinen letzten Siegen in Britannien unruhig und zornig wird, weil ihm ein Mohr mit einem Zypressenkranz begegnet, oder weil man ihn zum Opfer in den unrechten Tempel führt und dunkelfarbige Opfertiere herbeibringt, die dem Kaiser dann bis in sein Quartier nachlaufen.

Es bedurfte aber der Omina im Palast zu York nicht mehr; der eigne Sohn, Caracalla, stand ihm beharrlich und fast offen nach dem Leben. Mit bewusster, prinzipieller Erbarmungslosigkeit hatte Sever jeden Gedanken an Usurpation darniedergehalten; nur auf den Hochverrat des Thronfolgers war nicht gerechnet, und auch darauf nicht, dass seine Garden sich so ungescheut mit demselben einlassen würden. Es lautet wie eine schmerzliche Wahrung seines Herrscherprinzips, wenn er dem entmenschten Sohn zuflüstert: »Töte mich wenigstens nicht so, dass es alle sehen!« Zonaras XII, 10.. – Ein anderes Wort scheint er öfter wiederholt zu haben: »Alles war ich, und es hilft doch nichts.«

Und nun bestieg das entsetzliche Scheusal, das man Caracalla zu nennen pflegt, den Kaiserthron (211– 217). Seit seinem Eintritt in das Jünglingsalter zeigte er einen bösartigen Hochmut; er rühmte sich Alexanders d. Gr. als seines Vorbildes und lobte dabei Tiberius und Sulla. Erst später, vielleicht seit der Ermordung seines Bruders Geta, kommt noch der eigentliche Kaiserwahnsinn hinzu, der Mittel und Macht des ganzen Reiches zu seinem eigenen sichern Untergang missbraucht. Seine einzige Vorsichtsmassregel, die er für genügend hielt, war die Kameradschaft mit den Soldaten, deren Anstrengungen und Lebensart er wenigstens zeitweise teilte; dass er es mit Fechtern und Wagenlenkern ebenso hielt, machte ihn überdies beim römischen Pöbel beliebt; den Bessern und Gebildeten aber brauchte er ja nicht mehr zu gefallen. – Seit dem Brudermorde, wozu die Soldaten anfangs finster blickten, ist Caracalla an diese Schmeichelei nach unten gänzlich verkauft; um der Soldaten willen bedarf er ungeheurer Konfiskationen und tötet 20 000 Menschen als Anhänger Getas, – darunter auch einen Sohn des Pertinax, während es sonst einer der bessern Züge des römischen Usurpationswesens ist, dass man die Verwandten gestürzter Kaiser meist am Leben liess. Um der Soldaten willen macht Caracalla jenen Feldzug im eigenen, völlig ruhigen Reiche, während er die Angriffe der Nachbarn abkauft. Der Massenmord von Alexandrien zeigte, wie sich der Despotismus gegen geistreiche Spöttereien zu verhalten gedenke. Die eigentliche Strafe solcher Missetaten lag (abgesehen von den Gewissensqualen, deren die Schriftsteller erwähnen) in dem wachsenden Misstrauen des Tyrannen gegen die bevorzugten Soldaten selbst; er verliess sich zuletzt, was seine engere Umgebung betraf, nur noch auf ganz barbarische Leibwachen, die nichts von römischen Dingen beurteilen konnten, auf Kelten und Sarmaten, deren Kostüm er trug, um sie sich geneigt zu halten. Den Gesandten solcher Völker pflegte er Dio Cass. 78, 6. zu sagen: wenn er etwa ermordet würde, möchten sie in Italien einfallen; Rom sei leicht zu nehmen. Und doch wurde er, man kann sagen, in der Mitte dieser Wachen niedergemacht, auf Veranstaltung solcher, die ihn aus der Welt schaffen mussten, um nicht selber durch ihn zu fallen.

Die nächsten Kaiserernennungen mussten ganz in den Händen der übermächtigen Armee liegen. Sie erhob zuerst den einen der beiden Gardepräfekten, Macrinus, ohne zu wissen, dass dieser den Mord ihres geliebten Caracalla angestiftet. Er nahm dessen Namen an und liess ihn prächtig begraben, um jeden Verdacht von sich abzulenken; den Senat begrüsste er mit verdeckter Unverschämtheit um seine Bestätigung und erhielt nicht ohne Zögerung die einzelnen Titel der Kaisermacht. Die ersten strengen Schritte zur Zügelung des verwöhnten Heeres brachten ihm jedoch den Untergang. Zwei junge Syrer, Seitenverwandte der Antonine und des Sever, traten auf einmal an die Spitze des Reiches; es waren die ungleichen Vettern Elagabal und Alexander Severus nebst ihren Müttern Soaemias und Mammaea und ihrer gemeinsamen Grossmutter Iulia Maesa.

Die Regierung Elagabals (218–222) ist bei allem Ekelhaften und Widersinnigen nicht ohne Interesse für die Geschichte römischer Herrschaft; diese unglaubliche Schwelgerei, dieser asiatische Götzenpomp, dieses ganz besinnungslose Leben in den Tag hinein bildet eine förmliche Reaktion gegen das bewusste Soldatenkaisertum des Sept. Severus. Dass Elagabal allen römischen Formen den Krieg erklärte, seine Mutter und Grossmutter in den Senat einführte, Tänzern, Wettrennern und Barbieren die höchsten Stellen gab und zahllose Ämter verkaufte, dies alles hätte ihn nicht gestürzt; selbst die nachlässige Verproviantierung der Hauptstadt wäre ihm vielleicht lange nachgesehen worden; sein Verderben war das in den Soldaten erwachte Schamgefühl, welchem eine Verschwörung in der Familie selbst zugunsten des Alexander entgegenkam. Die Soldaten wissen den letztern bedroht und erzwingen von dem zitternden Elagabal eine Säuberung seines Hofstaates; darauf hält er sich schadlos, indem er den Senat aus der Stadt jagt, was demselben alle Ehre macht und darauf hindeutet, dass die Versammlung durchaus nicht aus lauter »Sklaven in der Toga« bestand, wie Elagabal sonst meinte. Endlich ermorden den letztern die Garden und erheben den Alexander Severus.

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620 str. 1 ilustracja
ISBN:
9783754166970
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Bookwire
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