Czytaj książkę: «Jack London – Gesammelte Werke», strona 81

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»Sie wa­ren an Deck, Herr van Wey­den«, sag­te Lar­sen am nächs­ten Mor­gen beim Früh­stück. »Wie sieht es aus?«

»Schön Wet­ter«, ant­wor­te­te ich und blick­te auf den Son­nen­schein, der in die Ka­jü­te her­ein­ström­te. »Fri­sche Bri­se aus West mit der Aus­sicht auf stei­fen Wind, wenn man Louis glau­ben kann.«

Er nick­te ver­gnügt. »An­zei­chen von Ne­bel?«

»Dich­te Bän­ke in Nord und Nord­west.«

Er nick­te wie­der, an­schei­nend mit noch grö­ße­rer Be­frie­di­gung als zu­vor.

»Was Neu­es von der ›Ma­ce­do­nia‹?«

»Sie ist nicht zu se­hen«, ant­wor­te­te ich.

Ich hät­te schwö­ren mö­gen, dass sein Ge­sicht sich bei die­ser Nach­richt ver­düs­ter­te, aber den Grund sei­ner Ent­täu­schung konn­te ich nicht er­ra­ten.

Ich soll­te ihn in­des­sen bald er­fah­ren.

»Rauch ahoi!« er­tön­te es von Deck, und sei­ne Züge er­hell­ten sich wie­der.

»Schön!« rief er aus und stand so­fort auf, um sich an Deck und ins Zwi­schen­deck zu be­ge­ben, wo die Jä­ger ge­ra­de ihr ers­tes Früh­stück seit ih­rer Ver­trei­bung aus der Ka­jü­te ein­nah­men.

Maud Brewster und ich be­rühr­ten kaum die vor uns ste­hen­den Spei­sen, wir starr­ten uns in stil­ler Be­sorg­nis an und lausch­ten auf die Stim­me Wolf Lar­sens, die gleich dar­auf das Schott zwi­schen Zwi­schen­deck und Ka­jü­te durch­drang. Er sprach lan­ge, und sei­ne Schluss­wor­te wur­den mit wil­dem Ju­bel be­grüßt. Das Schott war zu dick, als dass wir ihn hät­ten ver­ste­hen kön­nen, was er aber auch ge­sagt ha­ben moch­te, so muss­te es doch recht et­was nach dem Her­zen der Jä­ger ge­we­sen sein.

Aus dem Geräusch an Deck ent­nahm ich, dass die Ma­tro­sen her­aus­ge­purrt und im Be­griff wa­ren, die Boo­te hin­ab­zu­las­sen. Maud Brewster be­glei­te­te mich an Deck, aber ich ließ sie an der Acht­er­hüt­te, von wo sie die Sze­ne be­ob­ach­ten konn­te, ohne selbst mit­zu­spie­len. Die Ma­tro­sen muss­ten er­fah­ren ha­ben, was be­vor­stand, denn die Rüh­rig­keit und Ar­beits­freu­dig­keit, die sie an den Tag leg­ten, zeug­ten von Be­geis­te­rung. Die Jä­ger er­schie­nen an Deck mit ih­ren Ge­weh­ren und Mu­ni­ti­ons­kas­ten und – was ganz un­ge­wöhn­lich war – ih­ren Ku­gel­büch­sen. Die­se wur­den sehr sel­ten mit in die Boo­te ge­nom­men, denn wenn eine Rob­be auf wei­te Ent­fer­nung mit der Büch­se ge­schos­sen wur­de, sank sie un­wei­ger­lich, ehe das Boot sie er­rei­chen konn­te. Aber heu­te nahm je­der Jä­ger sei­ne Büch­se und einen großen Vor­rat an Pa­tro­nen mit. Ich be­merk­te, wie sie ver­gnügt grins­ten, als sie den Rauch der ›Ma­ce­do­nia‹ er­blick­ten, der im­mer hö­her stieg, je mehr sie sich von Wes­ten nä­her­te.

Die fünf Boo­te gin­gen wie der Wind über Bord, brei­te­ten sich fä­cher­för­mig aus und setz­ten, wie am ver­gan­ge­nen Nach­mit­tag, den Kurs nach Nor­den. Ich be­ob­ach­te­te sie eine Zeit lang ge­spannt, aber es war nichts Un­ge­wöhn­li­ches an ih­nen zu be­mer­ken. Sie lie­ßen die Se­gel nie­der, schos­sen Rob­ben, heiß­ten die Se­gel wie­der und setz­ten ih­ren Weg fort, wie ich es im­mer hat­te tun se­hen. Die ›Ma­ce­do­nia‹ wie­der­hol­te ihr gest­ri­ges Ma­nö­ver, in­dem sie ihre Boo­te vor den un­se­ren und quer über un­serm Kurs aus­setz­te. Vier­zehn Boo­te er­for­dern ein aus­ge­dehn­tes Ge­biet, um be­quem ja­gen zu kön­nen, und als die ›Ma­ce­do­nia‹ uns voll­kom­men ab­ge­schlos­sen hat­te, fuhr sie wei­ter nord­west­lich, in­dem sie im­mer noch Boo­te aus­setz­te.

»Was ha­ben Sie vor?« frag­te ich Wolf Lar­sen, ganz un­fä­hig, mei­ne Neu­gier noch län­ger im Zaum hal­ten zu kön­nen.

»Las­sen Sie das mei­ne Sor­ge sein«, ant­wor­te­te er barsch. »Es wird kei­ne tau­send Jah­re dau­ern, bis Sie es wis­sen. Be­ten Sie nur, dass wir gu­ten Wind be­kom­men.«

»Üb­ri­gens kann ich es Ih­nen auch gern er­zäh­len«, sag­te er einen Au­gen­blick spä­ter. »Ich will mei­nem Bru­der eine Do­sis sei­ner ei­ge­nen Me­di­zin ver­ab­rei­chen. Kurz, ich will ihm selbst mal den Fang aus­span­nen, und nicht nur für einen Tag, son­dern für den gan­zen Rest der Fang­zeit – wenn wir Glück ha­ben.«

»Und wenn wir kei­nes ha­ben?« frag­te ich.

»Gar nicht aus­zu­den­ken!« lach­te er. »Wir müs­sen ein­fach Glück ha­ben, sonst sind wir glatt ge­lie­fert.« Er stand am Rad, und ich ging nach mei­nem La­za­rett in der Back, wo die bei­den zu Scha­den Ge­kom­me­nen, Nil­son und Mu­gridge, la­gen. Nil­son fühl­te sich so wohl, wie man nur er­war­ten konn­te, denn sein ge­bro­che­nes Bein heil­te aus­ge­zeich­net; der Cock­ney aber war nie­der­ge­schla­gen und ver­zwei­felt, und ich hat­te das größ­te Mit­leid mit dem un­glück­li­chen Men­schen. Es war ein rei­nes Wun­der, dass er noch leb­te und am Le­ben hing. Die grau­sa­men Jah­re hat­ten sei­nen aus­ge­mer­gel­ten Kör­per zu ei­nem zer­split­ter­ten Wrack ge­macht, und doch brann­te der Le­bens­fun­ke in ihm so hell wie nur je.

»Mit ei­nem künst­li­chen Fuß – man ver­fer­tigt jetzt ganz aus­ge­zeich­ne­te – kannst du bis ans Ende der Zei­ten in Schiffs­kom­bü­sen her­um­lau­fen«, ver­si­cher­te ich ihm freund­lich.

Aber sei­ne Ant­wort war ernst, ja fast fei­er­lich. »Ich weiß nicht, ob es stimmt, was Sie sa­gen, Herr van Wey­den, aber ei­nes weiß ich: Ich wer­de kei­ne glück­li­che Stun­de ha­ben, bis die­ser Höl­len­hund tot zu mei­nen Fü­ßen liegt. Er kann nicht so lan­ge le­ben wie ich. Er hat kein Recht zu le­ben, und wenn das alte Wort sagt, dass er si­cher ster­ben muss, so sage ich ›A­men‹ und ›mög­lichst bald!‹ dazu.«

Als ich wie­der an Deck zu­rück­kehr­te, fand ich Wolf Lar­sen mit ei­ner Hand steu­ernd und mit der an­de­ren ein See­glas hal­tend und die Lage der Boo­te stu­die­rend, wo­bei er der ›Ma­ce­do­nia‹ be­son­de­re Auf­merk­sam­keit schenk­te. Die ein­zi­ge Ver­än­de­rung an un­sern Boo­ten war, dass sie jetzt dicht am Win­de la­gen und meh­re­re Stri­che West zu Nord vor­ge­rückt wa­ren. Ich konn­te aber noch nicht die Zweck­mä­ßig­keit die­ses Ma­nö­vers ein­se­hen, denn sie wa­ren im­mer noch durch die fünf Luv­boo­te der ›Ma­ce­do­nia‹, die sich eben­falls dicht an den Wind ge­legt hat­ten, vom of­fe­nen Mee­re ab­ge­schnit­ten. Die zo­gen auf die­se Wei­se lang­sam nach Wes­ten und leg­ten einen im­mer grö­ße­ren Ab­stand zwi­schen sich und die üb­ri­gen Boo­te in der Li­nie. Auf un­sern Boo­ten wur­den ne­ben den Se­geln auch die Rie­men ge­braucht. Selbst die Jä­ger pull­ten, und so über­hol­ten sie bald den – ich kann es wohl so nen­nen – Feind.

Der Rauch der ›Ma­ce­do­nia‹ war zu ei­nem trü­ben Fleck am nord­öst­li­chen Ho­ri­zont ein­ge­schrumpft. Vom Damp­fer selbst war nichts zu se­hen. Wir hat­ten uns bis jetzt, teil­wei­se mit im Win­de schla­gen­den Se­geln, trei­ben las­sen; zwei­mal hat­ten wir, mit kur­z­em Zwi­schen­raum, bei­ge­legt. Jetzt aber wur­de es an­ders. Die Se­gel wur­den ge­trimmt, und bald hat­te Wolf Lar­sen die ›Ghost‹ in vol­le Fahrt ge­bracht. Wir lie­fen an un­sern Boo­ten vor­bei und hiel­ten auf das ers­te Luv­boot der an­de­ren Li­nie.

»Run­ter mit dem Au­ßenklü­ver, Herr van Wey­den«, be­fahl Wolf Lar­sen. »Und hal­ten Sie sich be­reit, den Klü­ver her­über­zu­ho­len!«

Ich lief nach vorn und hat­te den Au­ßenklü­ver eben ein­ge­holt, als wir ei­ni­ge hun­dert Fuß in Lee an dem Boot vor­bei­schos­sen. Die drei In­sas­sen be­trach­te­ten uns miss­trau­isch. Sie wuss­ten, dass sie uns die Jagd ver­dor­ben hat­ten, und sie kann­ten Wolf Lar­sen je­den­falls dem Na­men nach. Ich be­merk­te, wie der Jä­ger, ein mäch­ti­ger Skan­di­na­vier, der im Bug saß, das Ge­wehr schuss­be­reit über den Kni­en hielt – es hät­te ei­gent­lich an der Na­gel­bank hän­gen müs­sen. Als wir sie ge­ra­de hin­ter un­serm Achters­te­ven hat­ten, wink­te Wolf Lar­sen ih­nen mit der Hand zu und rief:

»Kommt zu ei­nem Schwätz­chen an Bord.«

›Schwätz­chen‹ be­deu­tet un­ter Rob­ben­jä­gern so­viel wie ›Be­such‹, ›Un­ter­hal­tung‹. Es be­zeich­net die Schwatz­lust der See­leu­te und ist eine an­ge­neh­me Un­ter­bre­chung des ein­för­mi­gen Le­bens auf die­sen Schif­fen.

Die ›Ghost‹ dreh­te sich in den Wind, und da ich ge­ra­de mei­ne Ar­beit vorn be­en­det hat­te, lief ich nach ach­tern, um bei der Groß­schoot zu hel­fen.

»Sie sind wohl so freund­lich, an Deck zu blei­ben, Fräu­lein Brewster«, sag­te Wolf Lar­sen, in­dem er nach vorn schritt, um sei­ne Gäs­te zu be­grü­ßen. »Und Sie auch, Herr van Wey­den.«

Das Boot hat­te sei­ne Se­gel ein­ge­holt und leg­te sich ne­ben uns. Der Jä­ger, gold­bär­tig wie ein al­ter See­kö­nig, klet­ter­te über die Re­ling an Deck. Aber trotz sei­nem rie­si­gen Wuch­se konn­te er of­fen­bar sei­ne Furcht kaum ver­ber­gen. Zwei­fel und Miss­trau­en zeig­ten sich deut­lich auf sei­nen Zü­gen. Es war trotz sei­nem be­haar­ten Schild ein of­fe­nes Ge­sicht, dem man so­fort die Er­leich­te­rung an­sah, als er Wolf Lar­sen und mich sah und sich klar wur­de, dass er es nur mit zwei­en zu tun hat­te. Un­ter­des­sen wa­ren auch sei­ne bei­den Leu­te an Bord ge­kom­men, und nun hat­te er kaum Grund, sich zu fürch­ten. Er über­rag­te Wolf Lar­sen wie ein Go­liath. Er muss­te we­nigs­tens sechs Fuß und neun Zoll mes­sen und wog – wie ich spä­ter er­fuhr – zwei­hun­dert­und­vier­zig Pfund. Und es war kein Fett an ihm. Al­les nur Kno­chen und Mus­keln!

Sein Arg­wohn er­wach­te in­des­sen wie­der, als Wolf Lar­sen ihn ein­lud, mit in die Ka­jü­te zu kom­men. Aber ein Blick auf sei­nen Wirt be­ru­hig­te ihn wie­der. War der auch ge­wiss ein star­ker Mann, so er­schi­en er doch ne­ben die­sem Rie­sen wie ein Zwerg. So schwan­den denn sei­ne Be­den­ken, und die bei­den stie­gen mit­ein­an­der in die Ka­jü­te hin­ab. Sei­ne bei­den Leu­te wa­ren un­ter­des­sen nach See­manns­brauch in die Back ge­gan­gen, um dort einen Be­such ab­zu­stat­ten.

Plötz­lich er­tön­te ein ent­setz­li­ches Ge­brüll aus der Ka­jü­te, ge­folgt von dem Ge­tö­se ei­nes wü­ten­den Kamp­fes. Der Leo­pard und der Löwe kämpf­ten mit­ein­an­der. Wolf Lar­sen war der Leo­pard.

»Da se­hen Sie, wie hei­lig die Gast­freund­schaft hier ge­hal­ten wird«, sag­te ich bit­ter zu Maud Brewster. Sie nick­te, um zu zei­gen, dass sie hör­te, und ich las in ih­rem Ge­sicht, dass sie bei dem Geräusch des hef­ti­gen Kamp­fes eben­so litt, wie ich es bei der­ar­ti­gen Ge­le­gen­hei­ten in den ers­ten Wo­chen mei­nes Auf­ent­hal­tes auf der ›Ghost‹ ge­tan hat­te.

»Wäre es nicht bes­ser, wenn Sie nach vorn gin­gen – etwa zur Zwi­schen­decks­kap­pe – bis es vor­bei ist?« schlug ich ihr vor.

Sie schüt­tel­te den Kopf und sah mich mit ei­nem mit­lei­der­re­gen­den Blick an. Sie fürch­te­te sich nicht, war aber ent­setzt über die­se mensch­li­che Bes­tia­li­tät.

»Sie wer­den be­grei­fen«, nahm ich die Ge­le­gen­heit wahr, »dass ich nur ge­rin­gen An­teil an den Vor­gän­gen an Bord neh­me. – Es ist nicht schön für mich«, füg­te ich hin­zu.

»Ich ver­ste­he Sie«, sag­te sie mit schwa­cher Stim­me, die klang, als käme sie aus wei­ter Fer­ne, und ihre Au­gen zeig­ten mir, dass sie mich ver­stand.

Das Ge­tö­se un­ten erstarb bald. Kurz dar­auf kam Wolf Lar­sen al­lein an Deck. Sein brau­nes Ge­sicht war leicht ge­rötet, sonst aber hat­te der Kampf kei­ne Spu­ren bei ihm hin­ter­las­sen.

»Schi­cken Sie die bei­den Leu­te nach ach­tern, Herr van Wey­den«, sag­te er.

Ich ge­horch­te, und we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter stan­den sie vor ihm.

»Holt euer Boot ein«, sag­te er zu ih­nen, »euer Jä­ger hat sich ent­schlos­sen, eine Wei­le an Bord zu­blei­ben, und möch­te nicht, dass es längs­seits zer­sto­ßen wird. – Holt euer Boot her­ein, sage ich«, wie­der­hol­te er schär­fer, als sie zö­ger­ten, sei­nem Be­fehl Fol­ge zu leis­ten.

»Wer weiß? Vi­el­leicht wer­det ihr eine Zeit lang mit mir fah­ren«, sag­te er ganz freund­lich, aber mit ei­nem lei­sen, dro­hen­den Klang, der sei­ne Freund­lich­keit Lü­gen straf­te, als sie sich lang­sam in Be­we­gung setz­ten, um zu ge­hor­chen. »Es ist schon am bes­ten, wenn wir uns gleich freund­schaft­lich ver­stän­di­gen. Ein biss­chen flink nun! Tod Lar­sen lässt euch ganz an­ders sprin­gen, das wisst ihr gut!«

Un­ter sei­ner An­lei­tung wur­den ihre Be­we­gun­gen merk­lich schnel­ler, und als das Boot über Bord schwang, wur­de ich nach vorn ge­schickt, um den Klü­ver hoch­ge­hen zu las­sen. Wolf Lar­sen stand am Rade und steu­er­te die ›Ghost‹ auf das zwei­te Luv­boot der ›Ma­ce­do­nia‹.

Vor­läu­fig gab es nichts für mich zu tun, und so wand­te ich mei­ne Auf­merk­sam­keit den Boo­ten zu. Das drit­te Luv­boot der ›Ma­ce­do­nia‹ wur­de von zwei­en der uns­ri­gen an­ge­grif­fen, das vier­te von un­sern an­de­ren drei, wäh­rend das fünf­te kehrt­ge­macht hat­te; um sei­nem nächs­ten Ge­fähr­ten zu Hil­fe zu kom­men. Die Schlacht war auf wei­te Ent­fer­nung er­öff­net, und die Büch­sen knall­ten un­auf­hör­lich. Kur­ze, kräf­ti­ge Seen, vom Win­de auf­ge­peitscht, hin­der­ten ein si­che­res Schie­ßen, und hin und wie­der sa­hen wir beim Nä­her­kom­men die Ku­geln von Wel­le zu Wel­le tan­zen.

Das Boot, das wir ver­folg­ten, hat­te sich vor den Wind ge­legt und ver­such­te, uns zu ent­wi­schen. Es nahm die Rich­tung auf die an­de­ren Boo­te, um ih­nen zu hel­fen, den all­ge­mei­nen An­griff zu­rück­zu­schla­gen.

Da ich Se­gel und Schoo­te be­dien­te, blieb mir we­nig Zeit zu se­hen, was vor­ging, als ich aber zu­fäl­lig auf der Ach­tern­hüt­te war, hör­te ich, wie Wolf Lar­sen den bei­den frem­den Ma­tro­sen be­fahl, sich nach vorn in die Back zu be­ge­ben. Sie gin­gen wi­der­stre­bend, aber sie gin­gen. Dann schick­te er Fräu­lein Brewster hin­un­ter und lä­chel­te, als er den er­schro­cke­nen Aus­druck in ih­ren Au­gen sah.

»Sie wer­den nichts Schau­er­li­ches un­ten fin­den«, sag­te er, »nur einen Mann, der si­cher am Ring­bol­zen fest­ge­macht, sonst aber un­ver­letzt ist. Es ist mög­lich, dass Ku­geln an Bord flie­gen, und ich möch­te nicht, dass Sie ge­tö­tet wer­den.«

Er hat­te noch nicht aus­ge­spro­chen, als eine Ku­gel zwi­schen sei­nen Hän­den hin­durch ge­gen eine Mes­sings­pa­ke des Steu­er­ra­des schlug und luv­wärts durch die Luft pfiff.

»Da se­hen Sie!« sag­te er zu ihr, dann wand­te er sich zu mir: »Herr van Wey­den, wol­len Sie das Rad neh­men.«

Maud Brewster war auf die Lauf­brücke ge­tre­ten, so­dass nur ihr Kopf aus­ge­setzt war. Wolf Lar­sen hat­te sich eine Büch­se ge­holt und schob jetzt eine Pa­tro­ne in den Lauf. Ich bat sie durch einen Blick, nach un­ten zu ge­hen, aber sie lä­chel­te und sag­te:

»Wir mö­gen ja schwa­che Lan­drat­ten sein, die kaum auf ei­ge­nen Fü­ßen zu ste­hen ver­mö­gen, aber wir kön­nen Ka­pi­tän Lar­sen we­nigs­tens zei­gen, dass wir tap­fer sind.«

Er warf ihr einen schnel­len be­wun­dern­den Blick zu. »Da­für ge­fal­len Sie mir um hun­dert Pro­zent bes­ser«, sag­te er. »Bü­cher, Ver­stand und Mut. Sie sind wirk­lich voll­kom­men, trotz Ih­rer Ge­lehr­sam­keit, wert, das Weib ei­nes See­räu­ber­häupt­lings zu sein. Na, dar­über wer­den wir spä­ter re­den«, lä­chel­te er, als eine Ku­gel in die Ka­jüts­wand schlug.

Ich sah, wäh­rend er sprach, den gol­de­nen Schim­mer in sei­nen Au­gen und das Ent­set­zen in den ih­ren.

»Wir sind tap­fer«, be­eil­te ich mich zu sa­gen. »Ich für mei­nen Teil we­nigs­tens weiß, dass ich tap­fe­rer bin als Ka­pi­tän Lar­sen.«

Jetzt beehr­te er mich durch einen schnel­len Blick. Mach­te ich mich über ihn lus­tig? Ich dreh­te das Rad ei­ni­ge Spa­ken wei­ter, um ein Gie­ren der ›Ghost‹ ge­gen den Wind zu ver­hin­dern, und mach­te es fest. Wolf Lar­sen war­te­te noch auf eine Er­klä­rung von mir, und ich wies auf mei­ne Knie her­ab.

»Sie wer­den hier«, sag­te ich, »ein lei­ses Zit­tern be­mer­ken. Das kommt da­her, dass ich mich fürch­te, mein Fleisch fürch­tet sich, und mei­ne See­le fürch­tet sich, weil ich nicht ster­ben möch­te. Aber mein Wil­le be­meis­tert das zit­tern­de Fleisch und die ängst­li­che See­le. Ich bin mehr als tap­fer – ich bin ein Held. Ihr Fleisch hin­ge­gen fürch­tet sich nicht. Sie ha­ben kei­ne Furcht. Nicht nur kos­tet es Sie nichts, der Ge­fahr zu be­geg­nen, es macht Ih­nen so­gar Freu­de. Ganz si­cher sind Sie ein un­er­schro­cke­ner Mann, Herr Lar­sen, aber Sie müs­sen mir ein­räu­men, dass ich der Mu­ti­ge­re von uns bei­den bin.«

»Sie ha­ben recht«, gab er so­fort zu. »Von die­ser Sei­te habe ich es noch nie an­ge­se­hen. Aber ist dann das Ge­gen­teil rich­tig? Wenn Sie mu­ti­ger sind als ich, bin ich dann fei­ger als Sie?«

Wir lach­ten bei­de über die­se Ab­sur­di­tät, und er ließ sich aufs Deck nie­der und leg­te sei­ne Büch­se auf die Re­ling. Die Ku­geln, die wir bis­her er­hiel­ten, hat­ten fast eine hal­be Mei­le zu­rück­zu­le­gen ge­habt, in­zwi­schen hat­te sich aber die­ser Ab­stand auf die Hälf­te ver­kürzt. Er ziel­te sorg­sam und schoss drei­mal. Der ers­te Schuss ging fünf­zig Fuß in Luv des Boo­tes vor­bei, der zwei­te dicht da­ne­ben, und beim drit­ten ließ der Bootss­teu­rer das Ru­der los und sank auf dem Bo­den des Boo­tes zu­sam­men.

»Ich wet­te, das ge­nügt«, sag­te Wolf Lar­sen, in­dem er sich er­hob. »Ich kann es mir nicht leis­ten, den Jä­ger zu tref­fen, und ich rech­ne da­mit, dass der Pul­ler nicht steu­ern kann. Der Jä­ger kann nicht steu­ern und schie­ßen zu­gleich.«

Sei­ne Be­rech­nung er­wies sich als rich­tig, denn das Boot dreh­te sich so­fort in den Wind, und der Jä­ger sprang nach ach­tern, um den Platz am Ru­der ein­zu­neh­men. Wir merk­ten nichts mehr von der Schie­ße­rei, wenn auch die Büch­sen von den an­de­ren Boo­ten noch mun­ter knall­ten.

Es war dem Jä­ger ge­glückt, das Boot wie­der in den Wind zu brin­gen, aber wir mach­ten un­ge­fähr dop­pelt so­viel Fahrt. Als wir noch etwa hun­dert Schritt ent­fernt wa­ren, sah ich, wie der Pul­ler dem Jä­ger eine Büch­se reich­te. Wolf Lar­sen be­gab sich mitt­schiffs und nahm eine Rol­le Tau­werk vom Bol­zen des Klau­falls. Dann lug­te er mit er­ho­be­ner Büch­se über die Re­ling. Zwei­mal sah ich den Jä­ger mit ei­ner Hand das Ru­der los­las­sen und zur Büch­se grei­fen – aber je­des Mal be­dach­te er sich wie­der. Dann wa­ren wir ne­ben ih­nen und schos­sen schäu­mend vor­bei.

»Hier!« rief Wolf Lar­sen plötz­lich dem Pul­ler zu. »Fang das Ende!«

Gleich­zei­tig warf er das Tau. Er traf so gut, dass es den Mann bei­na­he zu Bo­den riss, der aber ge­horch­te nicht, son­dern blick­te den Jä­ger an, um des­sen Be­feh­le ab­zu­war­ten. Der Jä­ger sei­ner­seits be­dach­te sich einen Au­gen­blick. Er hat­te die Büch­se zwi­schen den Kni­en, wenn er aber das Ru­der losließ, um zu schie­ßen, muss­te das Boot her­um­ge­wor­fen wer­den und mit dem Scho­ner zu­sam­men­sto­ßen. Dazu sah er die Büch­se Wolf Lar­sens auf sich ge­rich­tet und wuss­te, dass je­ner schie­ßen wür­de, ehe er selbst auch nur das Ge­wehr an die Ba­cke ge­bracht hät­te. »Nimm es«, sag­te er zu dem Pul­ler.

Der ge­horch­te, in­dem er das Tau um die vor­de­re Ducht wand. Es straff­te sich, das Boot gier­te plötz­lich, und der Jä­ger brach­te es, ei­ni­ge zwan­zig Fuß ent­fernt, par­al­lel zur ›Ghost‹.

»Jetzt das Se­gel ’r­un­ter, und dann kommt längs­seits!« be­fahl Wolf Lar­sen.

Er be­hielt die Büch­se in der Hand und ließ die Ta­kel mit der an­de­ren hin­ab. Als Bug und Ste­ven fest­ge­macht wa­ren, und die bei­den Män­ner sich an­schick­ten, an Bord zu kom­men, nahm der Jä­ger sei­ne Büch­se, als ob er sie an einen si­che­ren Platz stel­len woll­te.

»Fal­len las­sen!« rief Wolf Lar­sen, und der Jä­ger ge­horch­te, als ob sie glü­hend wäre.

Ein­mal an Bord, hol­ten die bei­den Ge­fan­ge­nen das Boot ein und tru­gen auf Wolf Lar­sens An­wei­sung den ver­wun­de­ten Bootss­teu­rer in die Back.

»Wenn un­se­re fünf Boo­te eben­so tüch­tig sind, wie Sie und ich, wer­den wir eine hüb­sche Mann­schaft zu­sam­men­be­kom­men«, sag­te Wolf Lar­sen zu mir.

»Der Mann, den Sie ge­trof­fen ha­ben – ich hof­fe, er ist – –«, sag­te Maud Brewster zit­ternd.

»Schul­ter­schuss!« ant­wor­te­te er. »Nichts Erns­tes. Herr van Wey­den wird ihn in drei bis vier Wo­chen wie­der auf die Bei­ne brin­gen.

Aber die da drü­ben wird er al­lem An­schein nach kaum durch­brin­gen«, füg­te er hin­zu und wies auf das drit­te Boot der ›Ma­ce­do­nia‹, auf das ich jetzt los­steu­er­te, und das sich bei­na­he in der glei­chen Höhe wie wir be­fand. »Das ist Hor­ners und Smo­kes Ar­beit Ich habe ih­nen ge­sagt, dass ich le­ben­di­ge Män­ner brau­che und kei­ne Lei­chen. Aber die Freu­de am Tref­fen ist eine zu große Ver­su­chung, wenn man erst ein­mal Schie­ßen ge­lernt hat. Ha­ben Sie es je ver­sucht, Herr van Wey­den?«

Ich schüt­tel­te den Kopf und be­trach­te­te ihr Werk. Es war in der Tat blu­tig ge­we­sen, und jetzt wa­ren sie ein­fach wei­ter­ge­fah­ren und hat­ten sich un­sern an­de­ren drei Boo­ten bei ih­rem An­griff auf die üb­ri­gen Fein­de an­ge­schlos­sen. Das sich selbst über­las­se­ne Boot lag in ei­nem Wel­len­tal und roll­te wie trun­ken über den Schaum, wäh­rend das lose Sprietse­gel im rech­ten Win­kel her­aus­stak und im Win­de flat­ter­te. Jä­ger und Pul­ler la­gen hilf­los auf dem Bo­den, der Steu­rer je­doch lag quer über dem Schan­de­ckel, halb über der Re­ling, sei­ne Arme schleif­ten das Was­ser, und sein Kopf roll­te von ei­ner Sei­te zur an­de­ren.

»Se­hen Sie nicht hin, Fräu­lein Brewster, bit­te, se­hen Sie nicht hin«, fleh­te ich sie an und war froh, dass sie mir folg­te, und dass ihr die­ser An­blick er­spart blieb. »Hal­ten Sie ge­ra­de auf den Hau­fen los, Herr van Wey­den!« be­fahl Wolf Lar­sen.

Als wir nä­her ka­men, hat­te das Feu­er auf­ge­hört, und wir sa­hen, dass der Kampf vor­bei war. Die bei­den letz­ten Boo­te wa­ren von un­sern fünf er­beu­tet wor­den, und alle sie­ben la­gen jetzt zu­sam­men­ge­drängt da und war­te­ten dar­auf, von uns auf­ge­nom­men zu wer­den.

»Se­hen Sie dort!« rief ich un­will­kür­lich, in­dem ich nach Nord­west wies.

»Ja, ich hab’ es ge­se­hen«, er­wi­der­te Wolf Lar­sen ru­hig. Er maß die Ent­fer­nung zur Ne­bel­bank und blieb einen Au­gen­blick ste­hen, um die Stär­ke des Win­des an sei­ner Ba­cke zu füh­len. »Ich den­ke, wir schaf­fen es. Aber Sie kön­nen sich dar­auf ver­las­sen, dass mein teu­rer Bru­der uns auf die Sprün­ge ge­kom­men ist und ge­ra­de auf uns los­geht. Schau­en Sie nur!«

Der Rauch­fleck wuchs plötz­lich und war sehr schwarz. »Ich wer­de schon noch mit dir fer­tig, und wenn du zehn­mal mein Bru­der bist!« frohlock­te er. »Du kannst froh sein, wenn dei­ne alte Ma­schi­ne nicht in tau­send Stücke springt.«

Als wir bei­leg­ten, lös­te sich das schein­ba­re Wirr­warr. Die Boo­te ver­teil­ten sich auf bei­de Sei­ten, und die Leu­te ka­men gleich­zei­tig an Bord. So­bald die Ge­fan­ge­nen über die Re­ling ge­klet­tert wa­ren, wur­den sie von un­sern Jä­gern in die Back ge­schafft, wäh­rend un­se­re Ma­tro­sen die Boo­te ein­hol­ten, sie in wir­rem Durchein­an­der auf Deck fal­len lie­ßen und sich nicht ein­mal Zeit nah­men, sie fest­zu­sur­ren. Wir wa­ren schon in vol­ler Fahrt; als das letz­te Boot aus dem Was­ser ge­ho­ben wur­de und über die Re­ling schwang, wa­ren be­reits alle Se­gel ge­setzt.

Eile tat denn auch not. Die ›Ma­ce­do­nia‹, de­ren Schlot schwär­zes­ten Rauch aus­stieß, kam aus Nord­west her­an­ge­jagt. Ohne die Boo­te, die ihr ge­blie­ben wa­ren, zu be­ach­ten, hat­te sie ih­ren Kurs so ge­setzt, dass sie uns über­ho­len muss­te. Sie fuhr nicht ge­ra­de auf uns los, son­dern ihr Kurs bil­de­te einen spit­zen Win­kel zu dem un­se­ren, und wir muss­ten uns ge­ra­de am Ran­de der Ne­bel­bank tref­fen. Dort oder nir­gends konn­te die ›Ma­ce­do­nia‹ hof­fen, uns zu fan­gen. Die ein­zi­ge Ret­tung der ›Ghost‹ wie­der­um war, die­sen Punkt vor der ›Ma­ce­do­nia‹ zu er­rei­chen.

Wolf Lar­sen steu­er­te. Sei­ne Au­gen fun­kel­ten und blitz­ten, wäh­rend sie von ei­nem zum an­de­ren spran­gen. Bald durch­forsch­te er die See in Luv nach An­zei­chen, ob der Wind sich leg­te oder auf­frisch­te, bald blick­te er nach der ›Ma­ce­do­nia‹ dann wie­der schweif­ten sei­ne Au­gen über die Se­gel, und er gab Be­fehl, hier eine Lei­ne zu lo­ckern, dort eine an­zu­zie­hen, bis er aus der ›Ghost‹ al­les her­aus­hol­te, was sie zu leis­ten ver­moch­te. Al­ler Streit, al­ler Groll war ver­ges­sen, und ich war er­staunt über die Be­reit­wil­lig­keit, mit der die Mann­schaft, die so lan­ge sei­ne Bru­ta­li­tät er­dul­det hat­te, jetzt sei­ne Be­feh­le aus­führ­te. Selt­sam: ich muss­te an den un­glück­li­chen John­son den­ken, und als wir uns so über die Wel­len ho­ben und ganz auf die Sei­te leg­ten, wur­de ich mir ei­nes Be­dau­erns be­wusst, dass er jetzt nicht am Le­ben und mit da­bei war. Er hat­te die ›Ghost‹ so ge­liebt, und ihre Ma­nö­vrier­fä­hig­keit hat­te ihn so be­geis­tert.

»Holt lie­ber eure Ge­weh­re, Jun­gens«, rief Wolf Lar­sen un­sern Jä­gern zu, und die fünf Mann stell­ten sich, die Büch­sen in der Hand, an die Lee­re­ling und war­te­ten.

Die ›Ma­ce­do­nia‹ war jetzt nur noch eine Mei­le ent­fernt, der schwar­ze Rauch wälz­te sich im rech­ten Win­kel aus ih­rem Schorn­stein, so wahn­sin­nig durch­pflüg­te sie mit ih­rer Fahrt von sieb­zehn Kno­ten die Wo­gen. – – »Heu­lend durchs Meer!« zi­tier­te Wolf Lar­sen, wäh­rend er auf sie blick­te. Wir schaff­ten nicht mehr als neun Kno­ten, aber die Ne­bel­bank war jetzt ganz nahe. Ein Rauch­bal­len lös­te sich vom Deck der ›Ma­ce­do­nia‹. Wir hör­ten einen schwe­ren Knall, und in un­serm Groß­se­gel zeig­te sich ein run­des Loch. Sie schos­sen auf uns mit ei­ner der klei­nen Ka­no­nen, die sie dem Gerücht nach an Bord hat­ten. Un­se­re Leu­te, die mitt­schiffs in ei­nem Hau­fen zu­sam­men­stan­den, schwan­gen die Müt­zen und er­ho­ben ein Hohn­ge­schrei. Wie­der ein großer Rauch­bal­len und ein lau­ter Knall. Dies­mal ging die Ku­gel nicht mehr als zwan­zig Fuß ach­tern vor­bei und tanz­te zwei­mal in Luv von Wel­le zu Wel­le, ehe sie ver­sank.

Mit Ge­weh­ren wur­de nicht ge­schos­sen aus dem ein­fa­chen Grun­de, weil alle Jä­ger der ›Ma­ce­do­nia‹ ent­we­der in den Boo­ten oder un­se­re Ge­fan­ge­nen wa­ren. Als der Ab­stand zwi­schen den bei­den Fahr­zeu­gen noch eine hal­be Mei­le be­trug, riss ein drit­ter Schuss ein zwei­tes Loch in un­ser Groß­se­gel. Dann ver­schwan­den wir im Ne­bel. Er leg­te sich um uns und ver­barg uns mit dich­ten, feuch­ten Schlei­ern.

Der plötz­li­che Über­gang wirk­te er­schre­ckend. Eben noch wa­ren wir in dem kla­ren Son­nen­schein, mit dem blau­en Him­mel über uns, ge­se­gelt, wäh­rend die Wo­gen weit bis zum Ho­ri­zont roll­ten und sich bra­chen und ein Schiff sich, Rauch, Feu­er und ei­ser­ne Ge­schos­se spei­end, wie toll auf uns los­stürz­te. Und auf ein­mal, nur den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de spä­ter, war die Son­ne aus­ge­löscht, es gab kei­nen Him­mel mehr, selbst un­se­re Mast­spit­zen wa­ren dem Blick ent­zo­gen, und un­ser Ho­ri­zont war so, wie ihn trä­nen­ver­schlei­er­te Au­gen se­hen mö­gen. Der graue Ne­bel trieb wie fei­ner Sprüh­re­gen an uns vor­bei. Je­des Woll­fä­ser­chen an un­sern Klei­dern, je­des Här­chen auf un­serm Kop­fe und in un­serm Ge­sicht war mit kris­tal­le­nen Kü­gel­chen wie mit Ju­we­len be­setzt. Die Wan­ten trof­fen vor Näs­se; es tropf­te von dem Tau­werk über uns, und an der Un­ter­sei­te der Spie­ren nah­men die Trop­fen die Form lan­ger flie­ßen­der Rei­hen an, die sich bei je­dem Über­ho­len des Scho­ners los­lös­ten und wie ein Sturz­re­gen auf das Deck ge­schleu­dert wur­den. Ich hat­te ein Ge­fühl des Ein­ge­sperrt­seins und Er­sti­ckens. Wie das Geräusch, das das Schiff bei sei­nem Stamp­fen durch die Wo­gen mach­te, von dem Ne­bel zu­rück­ge­wor­fen wur­de, so auch die Ge­dan­ken. Der Geist beb­te zu­rück vor der Be­trach­tung ei­ner Welt jen­seits der Schlei­er, die uns um­schlos­sen. Dies war die Welt, das Uni­ver­sum selbst, sei­ne Gren­zen wa­ren so eng, dass es ei­nem ver­lang­te, bei­de Arme aus­zu­stre­cken und sie zu­rück­zu­sto­ßen. Al­les an­de­re war nur ein Traum, ja nichts als Erin­ne­rung an einen Traum.

Es war un­heim­lich, geis­ter­haft. Ich sah Maud Brewster an und fühl­te, dass es ihr ähn­lich ging. Dann sah ich auf Wolf Lar­sen, aber auf ihn schi­en es kei­nen Ein­druck zu ma­chen. Sein gan­zes In­ter­es­se galt le­dig­lich der Ge­gen­wart und ih­ren Er­for­der­nis­sen. Er stand im­mer noch am Steu­er­ra­de, und ich fühl­te, dass er die Zeit maß, den Lauf der Mi­nu­ten nach je­der Be­we­gung, je­dem Über­kren­gen der ›Ghost‹ nach Lee be­rech­ne­te. »Ge­hen Sie nach vorn und hal­ten Sie hart an den Wind, aber ohne Lärm«, sag­te er lei­se zu mir. »Ho­len Sie zu­erst die Topp­se­gel ein. Stel­len Sie an alle Schoo­te Leu­te. Aber kein Ras­seln von Blö­cken und kein lau­tes Wort. Kei­nen Lärm, hö­ren Sie, kei­nen Lärm!«

Als al­les be­reit war, wur­de der Be­fehl »Hart an den Wind!« von Mann zu Mann wei­ter­ge­ge­ben, bis er mich er­reich­te; und die ›Ghost‹ schwang sich wirk­lich fast ge­räusch­los um die Back­bord-Hal­sen her­um. Das ein­zi­ge, was man hör­te – ei­ni­ge Sei­sin­ge, die im Win­de flat­ter­ten, ein paar Bö­cke, die knarr­ten, eine Rol­le, die kreisch­te –, wur­de geis­ter­haft von der schwe­ren De­cke, die uns ein­hüll­te, zu­rück­ge­wor­fen.

Wir wa­ren kaum mit dem Ma­nö­ver fer­tig, als der Ne­bel sich plötz­lich zu ver­dün­nen schi­en, wir uns wie­der im Son­nen­schein be­fan­den, und das Meer bis zum Ho­ri­zont aus­ge­brei­tet vor uns lag. Aber der Ozean war leer. Kei­ne zor­ni­ge ›Ma­ce­do­nia‹ durch­brach die Flä­che oder ver­dun­kel­te den Him­mel mit ih­rem Rauch. Wolf Lar­sen braß­te so­fort vier­kant und lief am Ran­de der Ne­bel­bank ent­lang. Sei­ne Ab­sicht war ein­leuch­tend. Er war in Luv des Damp­fers in den Ne­bel ge­gan­gen, und wäh­rend die ›Ma­ce­do­nia‹ um ihn zu fan­gen, blind hin­ein­ge­sto­ßen war, hat­te er jetzt sein Ver­steck ver­las­sen, um es auf der Lee­sei­te wie­der auf­zu­su­chen. Glück­te sein Plan, so wäre das alte Gleich­nis von der Steck­na­del im Heu­scho­ber schwach ge­we­sen ne­ben der Aus­sicht sei­nes Bru­ders, ihn zu fin­den. Es soll­te je­doch nicht lan­ge dau­ern. Wir hat­ten Fock und Groß­se­gel ge­jibbt, jetzt setz­ten wir die Topp­se­gel und fuh­ren wie­der in den Ne­bel hin­ein. Wäh­rend wir hin­ein­tauch­ten, hät­te ich dar­auf schwö­ren mö­gen, in Luv einen schwar­zen Rumpf ge­se­hen zu ha­ben. Ich warf einen ra­schen Blick auf Wolf Lar­sen. Schon wa­ren wir im Ne­bel be­gra­ben, aber er nick­te. Auch er hat­te es ge­se­hen – die ›Ma­ce­do­nia‹ hat­te sein Ma­nö­ver er­ra­ten, und auf ein Haar hät­te sie uns über­rum­pelt. Es war das Werk ei­nes Au­gen­blicks ge­we­sen, aber kein Zwei­fel: wir wa­ren un­ge­se­hen ent­wischt.

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18+
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5251 str. 2 ilustracje
ISBN:
9783962813475
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