»Was hast du, Alter?« fragte Bert. »Du siehst aus, als seien dir alle Felle weggeschwommen. Was ist los mit dir? Heraus damit!«
»Donnerwetter, ich denke daran, wo das Bett und alles andere für die hintere Schlafkammer ist.«
»Das ist nicht da«, erklärte Saxon. »Wir haben noch nichts bestellt.«
»Dann muss ich morgen dafür sorgen.«
»Wir brauchen das Zimmer nicht«, sagte Saxon zu Billy. »Und ich habe keine Möbel dafür berechnet. Das Geld ist draufgegangen, um bessere Teppiche und einen besseren Herd zu kaufen.«
Billy, der zu ihr getreten war, hob sie vom Stuhl auf und setzte sie auf seinen Schoß.
»Das ist sehr recht, mein Mädelchen. Ich freue mich darüber. Immer das Beste für uns. Und morgen Abend gehst du mit mir zu Salinger und suchst ein Bett und einen Teppich aus und was sonst noch dazu gehört. Aber gut muss es sein. Keine Knickerei.«
»Das kostet fünfzig Dollar«, wandte sie ein.
»Schön«, nickte er. »Lass es fünfzig Dollar kosten und nicht einen Cent weniger. Das Beste ist nicht gut genug. Und was haben wir von einem leeren Zimmer? Das verschandelt uns das Haus. Sieh, von dem Augenblick an, als ich die Miete bezahlte und den Schlüssel in die Tür steckte, habe ich dieses Nestchen wachsen und warm und behaglich werden sehen. Aber wenn dies Zimmer hier leer und ohne Teppich dasteht, werde ich den ganzen Tag nichts als den bloßen Fußboden sehen. Ich würde mich betrogen fühlen. Das Haus würde eine Lüge sein. Sieh nur die Gardinen, die du drinnen aufgehängt hast, Saxon, damit die Nachbarn glauben, dass es möbliert sei. Saxon, die Gardinen lügen. Das schickt sich nicht für uns.«
»Ihr könnt es ja vermieten«, schlug Bert vor. »Ihr wohnt dicht an der Bahn, und zwei Straßen von hier ist eine Wirtschaft.«
»Nicht um alles in der Welt. Ich heirate Saxon nicht, um Zimmerherren zu bekommen. Wenn ich nicht für sie sorgen kann – weißt du, was ich dann tue? Auf die Mole gehen und sagen: ›An dem geht nichts verloren!‹ und mich mit einem Stein um den Hals ins Wasser plumpsen lassen. Hab ich nicht recht, Saxon?«
Es widersprach ihrer Vorsicht und ihrem gesunden Menschenverstand, aber es gefiel ihrem Stolz. Sie schlang die Arme um den Hals ihres Liebsten und sagte, ehe sie ihn küsste:
»Du hast zu bestimmen, Billy. Was du sagst, soll gelten, heut und immer.«
*
Sarah war konservativ. Ja, schlimmer als das, sie war in einer festen Form erstarrt seit dem Augenblick, als ihre Verliebtheit vorbei war, das heißt, seit sie ihr erstes Kind haben sollte. Die Form waren die Vorurteile und die Vorstellungen, in denen sie von Kind auf erzogen war. Dermaßen war sie zum Gewohnheitstier geworden, dass die geringste Veränderung im täglichen Leben zu den Dimensionen einer ganzen Revolution anschwoll. Tom hatte verschiedene dieser Revolutionen erlebt, unter anderm, so oft sie umzogen. Nach dem dritten Umzug hatte er genug, und seitdem zog er nie mehr um.
So kam es, dass Saxon es aufgeschoben hatte, von ihrer Hochzeit zu reden, bis es durchaus notwendig wurde. Sie erwartete eine Szene, und die bekam sie.
»Ein Boxer, ein Herumtreiber, ein Taugenichts!« fauchte Sarah, nachdem sie alle Kalamitäten erschöpft hatte, mit denen der Verlust von Saxons viereinhalb Dollar die Woche ihre und ihres Mannes Zukunft bedrohte. »Ich möchte wissen, was deine Mutter sagen würde, wenn sie lebte und sähe, dass du einen Taugenichts wie Bill Roberts heiratest. Bill! Ach, deine Mutter war viel zu vornehm, als dass sie einen Mann geheiratet hätte, der Bill hieß. Und ich kann dir nur sagen, dass es jetzt keine seidenen Strümpfe und drei Paar Schuhe mehr geben wird. Es dauert nicht lange, und du wirst dich glücklich preisen, wenn du in Latschen und baumwollenen Strümpfen zu fünfundzwanzig Cent für zwei Paar herumlaufen kannst.«
»Ach, ich habe keine Angst. Billy ist schon der Mann, mir die Schuhe zu verschaffen, die ich brauche«, antwortete Saxon und warf stolz den Kopf zurück.
»Du weißt nicht, wovon du redest.« Sarah hielt inne und brach in Lachen aus – ein Lachen, das nicht den geringsten Humor enthielt. »Pass nur auf, wenn erst Kinder kommen. Die kommen heutzutage schneller als Geld.«
»Aber wir wollen keine Kinder haben – wenigstens nicht, bis wir unsere Aussteuer bezahlt haben.«
»So klug sind die jungen Leute heute – wie beliebt? In meiner Jugend waren die Mädchen zu ehrbar, um etwas von solchen unanständigen Dingen zu wissen.«
»Es ist das erste Mal, dass ich höre, dass kleine Kinder etwas Unanständiges sind. Gott, Sarah, du mit deinen fünf musst ja sehr unanständig gewesen sein! Billy und ich haben beschlossen, dass wir nicht annähernd so unanständig sein wollen. Wir wollen nicht mehr als zwei haben, einen Jungen und ein Mädchen.«
Tom hätte fast laut gelacht, um des Friedens willen aber erstickte er sein Lachen in der Kaffeetasse. Sarah ließ sich kaum Zeit, Atem zu schöpfen, als sie auch schon von einer anderen Seite angriff.
»Und so schnell zu heiraten! Welche Eile! Wenn das nicht unanständig ist, dann weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wie junge Mädchen heute darüber denken. Aber das kommt davon, wenn man Sonntags ausrennt und tanzt und so etwas. Soviel Leichtfertigkeit und Unsittlichkeit habe ich noch nie gesehen.«
Saxon war blass vor Zorn geworden. Während aber Sarah in ihrem Redestrom fortfuhr, glückte es Tom, mit seiner Schwester zu einer Verständigung zu gelangen, indem er sie durch eifriges Blinzeln um Erhaltung des Friedens bat.
»Es stimmt ja alles, Schwesterchen«, tröstete er Saxon, als sie allein waren. »Es hat nur keinen Zweck, mit Sarah darüber zu reden. Bill Roberts ist ein netter Kerl, ich weiß allerlei von ihm. Du bekommst einen guten Mann, und du wirst sicher glücklich mit ihm werden.« Er senkte die Stimme, und sein Gesicht erhielt plötzlich einen alten, müden Ausdruck, als er ängstlich fortfuhr: »Nimm dir eine Lehre an Sarah. Zanke dich nicht. Was du auch tust, zanke dich nicht. Ein Mann muss mal etwas sagen dürfen. Männer haben auch ein bisschen Verstand, wenn Sarah es auch nicht glaubt. Sieh, Sarah hat mich im Grunde ungeheuer lieb, wenn sie es auch nicht merken lässt. Hab du deinen Mann lieb und, Gott strafe mich, lass es ihn merken. Mit Küssen und Streicheln kannst du ihn zu allem bringen, was du wünschst. Lass ihm nur hin und wieder einmal seinen Willen, dann lässt er dir auch deinen. Du sollst ihn nur liebhaben und dich auf ihn stützen – er ist kein Dummkopf – dann wirst du auf Händen getragen werden.«
»Glaub mir, ich werde ihn schon liebhaben, Tom«, nickte Saxon. »Und mehr als das, ich werde dafür sorgen, dass Billy mich liebt, und dass es dabei bleibt. Und dann brauche ich ihn weder zu küssen noch zu streicheln, damit er tut, was ich wünsche. Er wird es tun, weil er mich liebt. Verstehst du?«
»Du hast das richtige Ende erwischt, Saxon. Halt es fest, dann wird es schon gehen.«
Später, als sie sich den Hut aufgesetzt hatte, um zur Plätterei zu gehen, traf sie Tom an der Ecke wartend.
»Weißt du, Saxon«, sagte er schnell, »was ich dir vorhin von Sarah sagte – du verstehst mich doch – das fasst du doch nicht etwa so auf, als wollte ich etwas Herabsetzendes von ihr sagen. Sie ist eine gute Frau und treu, und ihr Leben ist nicht leicht gewesen. Jeder hat wohl seine Plage im Leben. Es ist ein Fluch, arm zu sein, das sage ich dir.«
»Du bist immer schrecklich gut zu mir gewesen, Tom. Ich werde das nie vergessen. Und ich weiß ja, dass Sarah es gut meint. Sie tut ihr Bestes.«
»Ich kann dir leider nichts zur Hochzeit schenken«, entschuldigte ihr Bruder sich. »Sarah will nichts davon hören. Sie sagt, dass wir bei unserer Heirat nichts von der Familie bekommen haben. Aber ich habe doch etwas für dich. Ich glaube nicht, dass du es raten kannst.«
Saxon sah ihn erwartungsvoll an.
»Sieh, als du mir erzähltest, dass du heiraten wolltest, fiel es mir ein, und da schrieb ich an Bruder George und bat ihn darum. Und Gott strafe mich, wenn er es nicht umgehend schickte. Ich sagte nichts davon, denn ich wusste ja nicht, ob er es vielleicht verkauft hätte. Er verkaufte ja die silbernen Sporen. Er brauchte wohl Geld. Aber das – ich ließ es in die Werkstatt schicken – Sarahs wegen – verstehst du – und dann brachte ich es heimlich gestern Abend her und versteckte es im Holzschuppen.«
»Ach, etwas, das Vater gehört hat! Ach, was ist es?«
»Sein Säbel.«
»Den er trug, wenn er sein rotes Streitross ritt! Ach, Tom, ein schöneres Geschenk hättest du mir nicht machen können. Lass uns zurückgehen. Ich will ihn sehen. Wir können durch die Hintertür hineinkommen. Sarah wäscht in der Küche – in der ersten Stunde hängt sie das Zeug nicht auf.«
»Ich sprach mit Sarah davon, dass du die alte Kommode, die Mutter gehört hat, haben solltest«, flüsterte Tom, während sie sich durch den engen Gang zwischen den Häusern hindurchschlichen. »Aber sie setzte sich auf die Hinterbeine. Sie sagte, dass Daisy ebenso gut meine Mutter wie deine gewesen sei, wenn wir auch jedes seinen Vater gehabt hätten, und dass die Kommode immer Daisys Familie und nicht der Kapitän Kits gehört hätte, und dass sie mein sei, und was mein sei, darüber hätte auch sie zu verfügen.«
»Es ist schon alles in Ordnung«, beruhigte Saxon ihn. »Sie hat sie mir gestern Abend verkauft. Sie wartete mit blitzenden Augen auf mich, als ich heimkam.«
»Ja, sie war den ganzen Tag, nachdem ich darüber geredet hatte, auf dem Kriegspfad. Wie viel hast du ihr dafür gegeben?«
»Sechs Dollar.«
»Nepp. Sie ist nicht die Hälfte wert«, brummte Tom. »Und die eine Seite ist ja ganz entzwei, und sie ist uralt.«
»Ich hätte gern zehn Dollar dafür gegeben. Ich hätte jeden Preis dafür bezahlt. Sie gehörte Mutter, weißt du. Sie stand immer in ihrer Stube.«
Im Brennholzschuppen zog Tom den verborgenen Schatz hervor und packte ihn aus. Zum Vorschein kam ein rostiger Säbel mit einer Stahlscheide von dem schweren Typ, der in den Tagen des Bürgerkrieges von den Kavallerieoffizieren gebraucht wurde. Daran hing eine mitgenommene Schärpe aus dicker roter Seide mit schweren Seidenquasten. Saxon hätte sie ihrem Bruder vor lauter Eifer fast aus den Händen gerissen. Sie zog die Klinge heraus und drückte den Stahl an ihre Lippen.
*
»Mein Gott, Bert! Du bist ja betrunken!« rief Mary vorwurfsvoll.
Zu viert saßen sie am Tisch in einem Zimmer bei Barnum. Das Hochzeitsmahl, das an sich recht einfach war, Saxon aber verschwenderisch erschien, war soeben beendet. Bert stand mit einem Glas kalifornischen Rotweins – von der Art, wie das Etablissement ihn für fünfzig Cent die Flasche liefert – in der erhobenen Hand da und versuchte, eine Rede zu halten. Sein Gesicht war rot, und seine schwarzen Augen glühten wie im Fieber.
»Du hast getrunken, ehe du herkamst«, fuhr Mary fort. »Das kann ich mit einem halben Auge sehen.«
»Geh zum Augenarzt, mein Schatz«, antwortete er. »Bertram weiß, was er tut. Und hier ist er nun aufgestanden, um einem alten Kameraden die Pfote zu drücken. – Bill, alter Junge, ich grüße dich. Du bist jetzt ein verheirateter Mann, Bill, und das wirst du wohl bleiben. Fertig mit den Kameraden, kein Urlaubsschein mehr. Du bist in den Hafen eingelaufen, du musst jetzt für dich selber aufpassen, ja, und dir eine Lebensversicherung kaufen und dich gegen Unfall versichern und Aktionär eines Bauvereins und einer gegenseitigen Darlehens- und Beerdigungskasse werden –«
»Jetzt hör aber auf, Bert«, unterbrach Mary ihn. »Von Beerdigung redet man nicht bei einer Hochzeit. Du solltest dich schämen.«
»Hallo, Mary, immer sachte! Ich sagte, was ich sagte, weil ich es meinte. Ich meine nicht dasselbe wie Mary. Was ich meine – jetzt will ich euch sagen, was ich meine. Ich sagte Beerdigungskasse, nicht wahr? Nun, das tat ich nicht, um die Freude an dieser festlichen Zusammenkunft zu verderben. Das sei weit von mir –. Soll ich euch sagen, warum? Weil du, Bill, so eine verteufelt hübsche Frau gekriegt hast, ja, Bill, so eine verteufelt hübsche Frau gekriegt hast, ja, eben darum! Alle Kameraden sind wild nach ihr, und wenn sie anfangen, ihr nachzulaufen, was tust du dann? Du kriegst was zu tun. Und brauchst du keine Beerdigungskasse, wenn sie in die Erde kommen? Doch. Kurz, es war ein Kompliment, das ich deinem guten Geschmack machen wollte, als Mary mich überfiel.«
Seine schimmernden Augen ruhten einen Augenblick mit gutmütigem Triumph auf Mary.
»Wer sagt, dass ich betrunken bin? Ich? Keine Spur! Ich sehe alles in einem klaren weißen Licht. Und da sehe ich Bill, meinen alten Freund Bill, und ich sehe nicht zwei Bills, ich sehe nur den einen. Billy gehörte nie zu denen, die zwei Gesichter haben. Billy, alter Junge, wenn ich dich als frischgebackenen Ehemann da sitzen sehe, dann tut es mir leid – –« Er schwieg plötzlich und wandte sich zu Mary. »Geh nur nicht gleich in die Luft, altes Mädel. Ich weiß, was ich sage. Bill, wenn ich dich hier sitzen sehe, dann kann ich nicht anders, ich muss trauern.« Er sah Mary herausfordernd an. »Über mich selber, wenn ich dich da sitzen sehe und weiß, welchem Glück du entgegen gehst. Hör, was ich sage. Du bist ein kluger Satan, Gott segne die Frauenzimmer! Du hast gut angefangen. Mach weiter so! Heirate, wer heiraten will, Gott mit ihm! Bill, ich grüße dich. Du bist der Mohikaner mit dem Skalp am Gürtel. Und du hast eine Frau gekriegt, die eine richtige Squaw ist. Minnehaha, ich grüße dich. Ich grüße euch beide, und die Kinderchen mit. Der Teufel hole sie!«
Er trank das Glas aus und sank auf seinem Stuhl zusammen, wo er sitzen blieb und dem jungen Paar zublinzelte, während die Tränen unbeachtet über seine Wangen rollten. Mary legte tröstend ihre Hand auf die seine, was ihm den Rest gab.
»Bei Gott«, schluchzte er. »Ich habe Grund genug zum Weinen. Ich verliere meinen besten Freund. Es wird nie wieder, wie es war – nie. Wenn ich an all den Spaß und all die frohen Stunden denke, die Billy und ich zusammen gehabt haben, dann könnte ich dich fast hassen, Saxon, wie du dasitzt und seine Hand hältst.«
»Schon gut, Bert«, lachte sie. »Sieh die an, deren Hand du hältst.«
»Ach, er hat nur einen Anfall«, sagte Mary mit einer Härte, der doch ihre freie Hand widersprach, die tröstend sein Haar streichelte. »Ermanne dich jetzt, Bert. Es ist alles in schönster Ordnung. Und jetzt ist Billy an der Reihe, dir auf deine feine Rede zu antworten.«
Bert trank ein Glas Wein und kam schnell wieder zu sich.
»Los, Bill«, rief er. »Jetzt bist du an der Reihe.«
»Ich bin kein großer Redner«, brummte Billy. »Was soll ich sagen, Saxon? Es hat keinen Sinn, zu erzählen, wie glücklich wir sind, denn das wissen sie.«
»Sag ihnen, dass wir gedenken, immer glücklich zu bleiben«, sagte sie. »Dank ihnen für alle guten Wünsche, und wir wollen immer zusammenhalten, wir vier, wie in alten Tagen. Und sag ihnen, dass sie Sonntag zum Mittagessen in die Pine Street 507 eingeladen sind – und Mary, wenn du Lust hast, schon Sonnabend zu kommen, so kannst du im Fremdenzimmer schlafen.«
Billy klatschte in die Hände. »Das hast du viel besser gesagt, als ich es je gekonnt hätte. Du hast es prachtvoll gesagt, und ich glaube nicht, dass noch viel hinzuzufügen wäre. Aber einerlei – ich will auch etwas sagen.«
Das Glas in der Hand, stand er auf. Seine klaren blauen Augen schienen tiefer als sonst unter den dunklen Brauen und im Schatten der dunklen Wimpern, die sein Haar und seine Haut noch heller aussehen ließen. Die runden Backen waren gerötet, nicht vom Wein, denn es war erst sein zweites Glas, sondern von Gesundheit und Freude. Saxon sah ihn an, und ihr Herz jubelte vor Stolz. Er war so gut gekleidet, so stark, so schön, so rein, der große Junge, der ihr Mann war. Und nicht weniger stolz war sie auf sich selber, auf ihren weiblichen Wert, der ihr einen so herrlichen Mann verschafft hatte.
»Schön, Bert und Mary, hier sitzt ihr also bei Saxons und meinem Hochzeitsschmaus. Wir werden uns all eure guten Wünsche ans Herz legen und euch dasselbe wünschen, und wenn wir das sagen, so meinen wir damit mehr, als ihr vielleicht glaubt. Saxon und ich glauben daran: wie du mir, so ich dir. Deshalb wünschen wir, dass der Tag bald kommen möge, da der Tisch wieder für vier gedeckt ist, und da wir Gäste bei euerm Hochzeitsschmaus sind. Und wenn ihr dann Sonntags zum Essen kommt, dann könnt ihr beide die Nacht über in dem Zimmer bleiben, das wir übrig haben. Ich glaube, es war klug von mir, es zu möblieren. Nicht wahr?«
»Das hätte ich nie von dir gedacht, Billy!« rief Mary. »Du bist genau so roh wie Bert. Aber einerlei.«
Ihre Augen waren plötzlich feucht geworden, und die Stimme versagte ihr. Sie lächelte ihm durch Tränen zu, dann wandte sie sich um und sah Bert an, der den Arm um sie legte und sie auf seinen Schoß zog.
Als sie das Restaurant verließen, gingen sie alle vier nach dem Broadway, wo sie an der Straßenbahn haltmachten. Bert und Billy waren verlegen und schweigsam, etwas merkwürdig Kaltes und Fremdes war zwischen sie getreten. Aber Mary umarmte Saxon zärtlich.
Der Schaffner klingelte, und die beiden Paare trennten sich in plötzlicher Verwirrung.
»O du Mohikaner!« rief Bert ihm nach, als der Wagen abfuhr. »O du Minnehaha!«
»Denk daran, was ich gesagt habe«, war das letzte, was Saxon von Mary hörte.
Der Wagen hielt an der Ecke der Pine Street, wo die Endstation war. Es war nur ein kurzes Stück bis zum Hause. Vor der Tür zog Billy den Schlüssel aus der Tasche.
»Komisch, nicht wahr?« sagte er, als er den Schlüssel im Schloss umdrehte. »Du und ich. Nur du und ich.«
Während er die Lampe im Wohnzimmer anzündete, nahm Saxon ihren Hut ab. Dann ging er ins Schlafzimmer und zündete die Lampe drinnen an, kam aber wieder zurück und blieb in der Tür stehen. Saxon, die sich unbegreiflich lange mit ihrer Hutnadel zu schaffen machte, sah ihn verstohlen an. Er breitete seine Arme aus.
»Komm«, sagte er.
Sie kam zu ihm, und er fühlte sie in seinen Armen beben.
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Am ersten Abend nach der Hochzeitsnacht traf Saxon Billy in der Tür, als er gerade hereinwollte. Als sie sich umarmt hatten, wanderten sie Hand in Hand durch die Stube und in die Küche, und hier sog Billy mit hörbarem Wohlbehagen die Luft durch die Nase ein.
»Herrgott, wie gut dieses Haus riecht, Saxon! Es ist nicht der Kaffee – den rieche ich auch! Es ist das ganze Haus. Es riecht wie, nun ja, es riecht gut, soviel weiß ich.«
Er wusch sich am Ausguss, und unterdessen setzte sie die Bratpfanne auf das vorderste Herdloch. Während er sich die Hände trocknete, wichen seine Augen nicht von ihr, und er gab laut seinen Beifall zu erkennen, als sie das Fleisch auf die Bratpfanne legte.
»Wo hast du gelernt, Beefsteak auf einer trockenen, heißen Pfanne zu braten? Das ist die einzig richtige Art, aber es gibt verflucht wenig Frauen, die sie kennen.«
Als sie den Deckel von einem Topf nahm und begann, den duftenden Inhalt mit einem Küchenmesser umzurühren, stellte er sich hinter sie, legte ihr die Arme in die Achselhöhlen, sodass seine Hände auf ihrer Brust ruhten, und beugte den Kopf über ihre Schulter, bis seine Wange die ihre berührte.
»Oh – um-um-m-m! Bratkartoffeln mit Zwiebeln, wie Mutter sie zu machen pflegte. Das ist etwas für mich. Das riecht gut. Um-um-m-m-m!«
Seine Hände ließen sie los, und seine Wange glitt liebkosend an der ihren herab; dann umschlossen seine Hände sie wieder. Sie fühlte seine Lippen auf ihrem Haar und hörte ihn tief und zufrieden atmen.
»Um-um-m-m-m! Und du riechst auch gut. Ich habe nie verstanden, was man meinte, wenn man sagte, ein Mädchen sei süß. Aber jetzt weiß ich es. Und du bist die süßeste, die ich je gekannt habe.«
Seine Freude war grenzenlos. Als er sich im Schlafzimmer gekämmt hatte und sich ihr gegenüber an den Tisch setzte, hielt er inne, Messer und Gabel in der Hand.
»Weißt du, verheiratet sein ist wahrhaftig nicht wenig mehr, als man glauben sollte, wenn man verheiratete Leute reden hört. Weiß Gott, Saxon, wir können ihnen etwas zeigen, wir beide! Nur eines ärgert mich.«
Die Furcht, die sich sofort in ihren Augen zeigte, ließ ihn vor Lachen glucksen.
»Und das ist, dass wir uns mit dem Heiraten nicht mehr beeilt haben. Eine ganze Woche habe ich verloren.«
Ihre Augen strahlten vor Dankbarkeit und Glück, und in der Tiefe ihres Herzens gelobte sie sich feierlich, dass es, solange sie lebten, nie anders werden sollte.
Als sie gegessen hatten, räumte sie ab und begann, die Teller aufzuwaschen. Als er Miene machte, sie zu trocknen, fasste sie ihn am Rockaufschlag und stieß ihn rückwärts in einen Stuhl.
»Jetzt rate ich dir, hübsch sitzenzubleiben – und vergiss nicht, was ich sage. Jetzt nimmst du dir eine Zigarette – nein, du sollst mich nicht ansehen. Neben dir liegt die Morgenzeitung. Und wenn du dich nicht ein bisschen beeilst und sie liest, dann bin ich mit den Tellern fertig, ehe du angefangen hast.«
Ein paar Minuten vergingen, dann legte Billy die Zeitung mit einem Seufzer hin.
»Es hat keinen Zweck«, klagte er. »Ich kann nicht lesen.«
»Was ist los?« neckte sie ihn. »Sind deine Augen schlecht?«
»Ja«, antwortete er. »Sie tun weh. Und nur eines kann helfen, nämlich, dass ich dich ansehe.«
»Ja – ja, armer kleiner Billy; ich bin gleich fertig.«
Die salzige Kühle in der Luft, die nach Sonnenuntergang der Segen aller Hafenstädte ist, drang zu ihnen herein. Vom Bahnhof her konnten sie das Schnaufen der Rangiermaschinen und das Poltern der Lokalbahn hören, wenn sie langsam von der Mole nach dem West-Oaklander Bahnhof fuhr. Von der Straße hörte man den Lärm von Kindern, die im Sommerabend spielten, und von den Treppen der Nachbarhäuser die leise Unterhaltung der Hausfrauen.
»Weißt du«, sagte Billy, »jedes Mal, wenn ich an mein möbliertes Zimmer zu sechs Dollar denke, werde ich krank vor Ärger, weil ich mir so vieles habe entgehen lassen. Aber eines tröstet mich. Wenn ich die Veränderung früher vorgenommen hätte, würde ich dich jetzt nicht haben. Vor ein paar Wochen wusste ich ja noch nicht einmal etwas von deiner Existenz.«
Seine Hand glitt über ihren Unterarm und in den Ärmel am Ellbogen.
»Deine Haut ist so kühl. Nicht kalt, aber kühl. Sie fühlt sich so gut an.«
»Es dauert wohl nicht lange, dann nennst du mich deinen kleinen Kühlapparat«, lachte sie.
»Und deine Stimme ist kühl«, beharrte er. »Sie gibt mir genau dasselbe Gefühl wie deine Hand, wenn du sie auf meine Stirn legst. Es ist etwas Merkwürdiges, und ich kann es nicht erklären, aber deine Stimme geht gleichsam durch mich hindurch, kühl und fein. Sie ist wie eine schwache Brise. Wie die erste Brise vom Meer, wenn sie abends nach einem brennendheißen Tage durch die Stadt streicht. Und zuweilen, wenn du leise sprichst, klingt es so rund und schön wie das Cello im Macdonough-Theater. Ich denke mir, dass die Engel im Himmel, wenn es welche gibt, solche Stimmen haben müssen.«
Ein paar Minuten vergingen, in denen sie sich so unsagbar glücklich fühlte, dass sie immer nur ihre Hand durch sein Haar gleiten ließ und sich an ihn schmiegte, und dann begann er wieder:
»Jetzt will ich dir sagen, woran du mich erinnerst. Hast du nie Vollblutstuten gesehen, wenn sie im Stall stehen und glänzen? Haar wie Seide, und eine Haut so dünn und weich, dass der geringste Schmitz mit der Peitschenschnur sich abzeichnet. Nerven durch und durch, fein und empfindsam. Und dabei können sie an Ausdauer den stärksten Ochsen bezwingen und können sich wie ein Blitz eine Sehne verzerren und erfrieren, wenn sie nur eine Nacht ohne Decke stehen. Ich will dir nur sagen, dass man nicht viel in der Welt sehen kann, was so schön ist. Sie sind so feinfühlend und empfindsam und zart. Du bist von anderen Frauen ebenso verschieden wie eine solche Stute von einem gewöhnlichen derben Arbeitspferd. Du bist ein Vollblut. Du hast Linie, Geist und Figur. Rede mir nicht von Annette Kellermann! Der bist du über. Sie ist Australierin, und du bist Amerikanerin, nur nicht nach deiner Figur. Du bist anders, du bist reizend. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Andere Frauen sind nicht wie du gewachsen. Du gehörst in ein anderes Land. Du bist französisch, das ist es. Du bist wie eine Französin gewachsen, aber viel schöner – die Art, wie du dich bewegst, wie du gehst, wie du sitzt, und wenn du nichts tust.«
Und er, der nie außerhalb Kaliforniens, ja nicht einmal eine Nacht außerhalb seiner Geburtsstadt Oakland gewesen war, hatte recht in seinem Urteil. Sie war eine Blüte der angelsächsischen Rasse, eine Seltenheit mit ihren ungewöhnlich kleinen Händen und Füßen, mit der Frische ihrer Haut, mit ihrer Anmut – sie war ein Rückschlag in jene fernen Zeiten, da die verheerenden französischen Normannen ihr Blut mit der kräftigen sächsischen Rasse vermischten.
»Und wie du deine Kleider trägst! Sie sind mit dir verwachsen. Sie sind gleichsam ein Teil von dir, wie deine Haut und die Kühle deiner Stimme. Sie sind immer, wie sie sein sollen und könnten nicht anders sein. Und weißt du, ein Mann zeigt sich nun einmal gern mit einem Mädchen wie du, deren Kleider wie ein Traum an ihr sitzen, und hört gern die anderen Männer sagen: ›Wer ist Billys neues Mädel? Donnerwetter, ist die fesch! Die möcht ich gern mal zu fassen kriegen!‹ Und dergleichen mehr.«
Und Saxon drückte ihre Wange gegen die seine und fühlte sich reich belohnt für die vielen nächtlichen Stunden, die sie mit Nähen verbracht, die vielen qualvollen Stunden, da sie schläfrig über dem Nähzeug genickt hatte, todmüde nach der Arbeit des Tages, während sie für ihren eigenen Bedarf die Ideen neu schuf, welche sie von den eleganten Kleidungsstücken, die unter ihrem fleißigen Eisen dampften, gestohlen hatte.
»Wirst du meiner nie überdrüssig werden?« fragte sie.
»Deiner überdrüssig? Weiß Gott, wir sind doch für einander geschaffen.«
»Ist es nicht wie ein Wunder, Billy, dass wir uns treffen sollten! Denk, wenn wir uns nie getroffen hätten. Es war doch der reine Zufall.«
»Wir sind Glückskinder«, erklärte er. »Das ist sicher.«
»Vielleicht ist es mehr als Zufall«, meinte sie.
»Gewiss. Es ist Schicksal. Nichts in der Welt hätte uns voneinander fernhalten können.«
Sie saßen schweigend da, aber das Schweigen zitterte von einer Liebe, die keine Worte fand. Langsam zog er sie an sich, seine Lippen zitterten an ihrem Ohr, und sie hörte ihn flüstern: »Was meinst du, wollen wir zu Bett gehen?«
*
Viele Abende verbrachten sie auf diese Art. Zuweilen aber gingen sie aus und tanzten oder gingen ins Orpheum oder ins Bell-Theater oder ins Kino und zu den Freitagskonzerten im City-Hall-Park. Sonntags packten sie oft einen Frühstückskorb und fuhren mit Prince und King, die Billys Chef gern von ihm bewegen ließ, in die Berge.
Jeden Morgen wurde Saxon vom Wecker geweckt. Am ersten Morgen hatte Billy darauf bestanden, dass er mit ihr zusammen aufstehen und Feuer im Herd machen sollte. Sie erlaubte es ihm am ersten Morgen; aber später legte sie alles abends zurecht, sodass sie am Morgen nichts zu tun hatte, als ein Streichholz anzuzünden. Und dann zwang sie ihn, im Bett zu bleiben und weiterzuschlafen, bis sie ihn rief, wenn das Frühstück fertig war. In den ersten Wochen gab sie ihm sein Essen mit. Dann kam eine Woche, in der er mittags nach Hause kam. Dann musste er wieder Essen mitnehmen. Es hing davon ab, wie weit er zu fahren hatte.
»Du machst es nicht richtig mit deinem Mann«, versicherte Mary ihr. »Du bedienst ihn zu sehr. Du verziehst ihn ja direkt. Und er sollte dich verziehen.«
»Er ist der Versorger«, antwortete Saxon. »Er arbeitet schwerer als ich. Ich habe so viel Zeit übrig, dass ich nicht weiß, was ich damit machen soll. Außerdem verziehe ich ihn, weil ich ihn liebe und weil … nun, weil ich es will.«