Czytaj książkę: «Rosmarie Weichsler und das Lächeln des Teufels»

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J. J. Preyer

ROSMARIE WEICHSLER

und das Lächeln des Teufels

Kriminalroman

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen und realen Handlungen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

www.ennsthaler.at

1. Auflage 2014

ISBN 978-3-7095-0040-8 (EPUB)

J. J. Preyer

Rosmarie Weichsler und das Lächeln des Teufels

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2013 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Satz & Umschlaggestaltung: Thomas Traxl

Bildnachweis Titelbild: Elisanth – fotolia.de

Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab, sein Leben lang spielt jeder manche Rollen.

Shakespeare

(übersetzt von August Wilhelm Schlegel)

1. DAS LÄCHELN DES TEUFELS

»Du siehst aus wie eine Rose, Rosmarie«, schmeichelte Herbert Frühauf seiner festlich herausgemachten Begleiterin.

Für Rosa Weichsler war der Vergleich nachvollziehbar. Das ihrer Augenfarbe entsprechende grüne Satinkleid, das sie trug und ihr rotes Haar verleiteten zugegebener Maßen zu diesem poetischen Bild. Sie selbst allerdings, hätte sie die Wahl gehabt, hätte die Paeonia officinalis gewählt. Rosa Weichsler war wie die Pfingstrose nicht eben die Fragilste. Sie strotzte von Leben und Energie und wog, wie sie fand, um mindestens zehn Kilo zu viel für ihre bescheidene Größe. Sie reichte dem 1,76 Meter großen Chefinspektor bis zu den Schultern.

»Ja, ein perfekter Abend«, lenkte Rosa Weichsler vom Kompliment ihres Begleiters ab, als sie die Treppe in den Schlossgraben hinunterstiegen. Es war Viertel vor acht und noch hell. Die auf einem Podium aufgestellten Stühle waren zum Großteil schon besetzt.

Herbert Frühauf steuerte auf die zweite Reihe zu. Als Chefinspektor der Steyrer Bundespolizeidirektion hatte er exzellente Freikarten erhalten.

»Ein wunderschöner Abend, fast so schön wie du«, ließ er sich im Lob nicht beirren und verfehlte die Wirkung nicht. Ein rosaroter Hauch der Verlegenheit legte sich auf Rosa Weichslers runde Wangen.

Wieder wollte sie die abgehobene Stimmung etwas dämpfen, indem sie nach den Dornen der Rose fragte, doch Herbert Frühauf hatte das überhört oder wollte es nicht hören. Er war anderweitig beschäftigt.

Die zweite Reihe war bereits voll besetzt, bis auf die zwei für Frühauf und Rosa bestimmten Stühle in der Mitte. Der Chefinspektor, der voranging, entschuldigte sich bei allen, die aufstehen mussten, grüßte mit einer leichten Verbeugung. Mit einem Wort: Der Mann wusste, was sich schickte. Und Rosa Weichsler wusste, warum er das wusste. Seine Mutter hatte ihm schon in frühen Jahren, als die beiden ein Abonnement im Stadttheater hatten, beigebracht, dass man bei solchen Gelegenheiten den sich Erhebenden auf gar keinen Fall den Rücken zuwenden dürfe. Liliane Frühauf hatte in diesem Zusammenhang etwas drastischer von Hintern gesprochen. Der gebildete Theaterbesucher schaute den Leuten, die seinetwegen aufstehen mussten, ins Gesicht. Und entschuldigte sich.

Rosa Weichsler fühlte sich beim Anblick ihres Freundes, in all seiner tapsigen Gutmütigkeit, an einen Bernhardiner erinnert. Ein Bernhardiner, der zu diesem Theaterabend geputzt und gestriegelt, in einem perfekt aufgebügelten schwarzen Anzug erschienen war. Am linken Revers seines Sakkos trug er wie immer die weiße Perle, die auf seine Mitgliedschaft beim Gesellschaftsverein Schlaraffia verwies.

Wie es sich gehörte, nahm Herbert Frühauf erst Platz, nachdem seine Begleiterin sich niedergesetzt hatte, an ihrer linken Seite, selbstredend. Dann reichte er ihr ein Programm für die Aufführung von Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel Jedermann.

Es war so warm bei dieser Freiluftaufführung im Graben des Steyrer Schlosses, dass Rosa Weichsler die mitgebrachte weiße Strickjacke nicht trug, sondern als Kissen auf den harten Kunststoffsessel legte.

»Ich bin gespannt auf die beiden«, flüsterte sie dem Chefinspektor zu. Sie hatte die Stimme gesenkt, obwohl die Vorstellung noch nicht begonnen hatte.

»Es wird ein schöner Abend werden, Rosmarie«, gab sich Frühauf zuversichtlich und weckte damit Rosa Weichslers Misstrauen.

Frühauf hatte sich schon oft getäuscht. Wenn man sich ehrlich war, eigentlich immer. Er war berühmt für seine Fehleinschätzungen in privaten sowie dienstlichen Belangen. Rosa Weichslers scharfer Verstand und ihre Intuition hatten ihn vor allerlei Blamagen bewahrt. Ein Umstand, der die beiden in Freundschaft verband. Sie liebte seine brummige Tapsigkeit, er ihr detektivisches Talent.

Und in all den Jahren, in denen sie sozusagen zusammenarbeiteten, war er nie hinter Rosa Weichslers großes Geheimnis gekommen. Sie schmunzelte, als sie daran dachte. Und er würde es auch nicht. Niemals.

Vom schmalen Glockenturm des Schlosses Lamberg schlug die Uhr achtmal, ein Trompetensignal erklang, und der Intendant der Sommerspiele betrat die Bühne.

Nur wenige der an die 250 Zuschauer applaudierten, der Mann verbeugte sich überschwänglich und begrüßte den Bürgermeister in der Reihe vor Rosa Weichsler und Herbert Frühauf, den Leiter des Kulturamtes der Stadt sowie deren Gemahlinnen, wie er sich ausdrückte.

»Ein schmieriger Typ«, zischte Rosa Weichsler dem Chefinspektor zu. Dieser nickte stumm und dachte vermutlich an die Dornen seiner Rose. Er selbst wollte die feierliche Stimmung des Abends nicht durch böse Worte stören.

Die Rede, zu der Siegfried Hagen, der in Rosmarie Weichslers Augen einem Schweinshund glich – als solche pflegte sie die Bullterrier zu bezeichnen – angehoben hatte, nahm kein Ende. Der Mann liebte es, auf der Bühne zu stehen. Das Selbstlob, in dem er sich suhlte – wieder dachte Rosmarie Weichsler an den Schweinshund – reichte von der Gründung der Festspiele vor vierzehn Jahren bis zu seiner besonderen Freude, dass es ihm dieses Jahr gelungen war, zwei wirkliche Stars für die Festspiele zu gewinnen, und zwar Lou Marold für die Rolle der Buhlschaft und Roger Foltin für den Jedermann. Das Stück vom Sterben des reichen Mannes hatte er selbst ausgesucht, weil es wichtig sei, in wirtschaftlich bewegten Zeiten darauf hinzuweisen, dass Geld nicht alles sei im Leben der Menschen, dass es daneben noch Werte wie Liebe, Freundschaft, Solidarität und Familie gebe. In diesem Zusammenhang begrüßte er seine Frau Anita und die Kinder Christa und Christian, die ebenfalls in der ersten Reihe Platz gefunden hatten.

»Magersüchtige Ziege«, zischte Rosa Weichsler und meinte damit Hagens Frau.

»Auch wenn der Mammon, wie es in Hofmannsthals Drama heißt, nicht alles bedeutet«, gab sich der Intendant weihevoll, »im Leben der Menschen«, fand er, »lässt sich seine Bedeutung nicht verleugnen. Aus diesem Grund möchte ich darauf hinweisen, dass die Aufführungen des Jedermann im Steyrer Schlossgraben und bei Schlechtwetter im Alten Theater … aber glücklicherweise haben wir heute einen wunderbaren milden Sommerabend …« An dieser Stelle blickte der Intendant etwas verloren ins Publikum. Er hatte den Faden verloren, aber seine Frau erwies sich als exzellente Souffleuse.

»Bank«, rief sie ihrem Gatten zu.

»Ja, natürlich«, nahm dieser den Hinweis auf. »Ich danke der Stadtgemeinde Steyr für die Finanzierung der Aufführungen und der Sparkasse der Stadt, die unser größter Sponsor ist.«

»Und die Eintrittskarten sind auch nicht ganz billig«, sagte Rosa Weichsler zu Frühauf, der ihr verschwiegen hatte, dass er die Karten gratis erhalten hatte.

»Hugo von Hofmannsthal lebte von 1874 bis 1929. Er …«

An dieser Stelle von Siegfried Hagens Rede begann jemand zu applaudieren, und immer mehr Zuschauer schlossen sich ihm an, bis der tosende Beifall den Intendanten am Weitersprechen hinderte. Er verbeugte sich und ging ab.

Wieder ertönte das Trompetensignal, dann begrüßte der Spielansager in altertümelndem Deutsch die noch immer unruhigen Zuschauer.

Mein Gott, dachte Rosa Weichsler, diese Aufführung würde ein Reinfall werden. Das alles war mehr als antiquiert.

Auch der nun folgende Auftritt von Gott und Tod konnte das Publikum nicht überzeugen. Die Privatgespräche im Schlossgraben gingen munter weiter.

Erst Roger Foltin, der als Jedermann aus dem hell erleuchteten Barockpavillon des Schlosses trat, brachte die Menschen zum Schweigen. Er war ein auffallend großer, athletischer Mann mit einer tiefen, verrauchten Stimme, die auch den vertracktesten Versen Hofmannsthals Bedeutung verlieh.

Was für ein Mann, dachte Rosa Weichsler und betrachtete abwechselnd den Schauspieler auf der Bühne und Herbert Frühauf an ihrer Seite. Der Chefinspektor wirkte geradezu kläglich gegen das Symbol der Männlichkeit auf der Bühne. Der Vergleich zwischen Edelobst und Mostbirne drängte sich auf. Jede Geste, jedes Wort war von viriler Energie durchflutet.

Wenn Roger – Rosa Weichsler verwendete in Gedanken den Vornamen des Stars – einen vernünftigen Text zu sprechen hätte, wäre ihr Glück perfekt. So trösteten sie Aussehen und Klang über holprige, dümmliche Verse hinweg.

Frühauf wiederum zeigte sich besonders aufmerksam, als Jedermanns Mutter auftauchte und ihren Sohn mahnte, doch endlich zu heiraten. Der Chefinspektor saß kerzengerade in seinem Sessel und hielt den Mund leicht geöffnet, als er von der Bühne folgende Worte vernahm:

Du bist ein stattlicher Mann

Und Fraulieb steht dir wohl an.

Und hat denn unser Erlöser nicht,

Der weiß, woran es uns gebricht,

Und alles auf dieser Erden kennt

Und alles zu unsrem Segen wendt,

Ein Sakrament nit eingesetzt

Wodurch was also dich ergetzt

Verwandelt wird und kehrt sich um

Aus Wollust in ein Heiligtum!

Willst stets in arger Zucht umtreiben

Und fremd die heilige Eh dir bleiben?

Die Darstellerin der Mutter war eindeutig Laienschauspielerin, im Gegensatz zu Roger Foltin, der den Text mit feiner Ironie begleitete und augenzwinkernd Kontakt zum Publikum suchte.

Wer kannte eine solche Mutter nicht, die den Sohn eigentlich für sich behalten wollte und doch immer wieder von Heirat sprach!

Rosa Weichsler dachte an Liliane Frühauf, die Mutter des Chefinspektors, die wohl der Grund war, warum der Mann bis heute als Single lebte. Eine kluge, robuste Frau. Zu klug für Rosas Verhältnisse. Sie schien sie und ihr Geheimnis längst durchschaut zu haben, obwohl sie dazu schwieg.

Rosa Weichsler wartete nun gespannt auf den Auftritt des zweiten großen Stars des Abends, auf Lou Marold als Buhlschaft, der durch zarte Musik und einen Hauch Parfüm angekündigt wurde, der sich über die Zuschauer legte.

Lou Marold, die auf die Bühne tanzte, hielt ein Windlicht in der Hand, das ihrem Gesicht und dem tiefen Dekolletee ein warmes Leuchten verlieh.

Was für eine schöne Frau! Und was für eine Persönlichkeit! Die rauchig-tiefe Stimme, die einen Hauch Vulgarität anklingen ließ, erinnerte an Marlene Dietrich. Man sehnte sich geradezu, die Schauspielerin auch singen zu hören, und tatsächlich stimmte sie ein Trinklied an, das im Originaltext des Stückes, den Rosa Weichsler in den ruhigeren Stunden in der Trafik gelesen hatte, nicht vorkam.

Roger Foltins tiefe Stimme mischte sich in den Gesang, die Buhlschaft hörte zu singen auf, die begleitende Musik verstummte, sodass nur mehr die hallende Stimme des Mannes zu hören war. Verzweifelt in ihrer Verlassenheit.

Auch die Buhlschaft bekam es mit der Angst zu tun, und sie fragte ihren Liebhaber:

Dein Blick ist starr und fürchterlich,

Für was willst du mich strafen, sprich!

Dieser antwortete:

Dich strafen, Süße, ist mir fern,

Lieb dich gleich meinem Augenstern,

Hab müssen denken von ungefähr

Wie deine Miene beschaffen wär,

Wenn dir auf eins zukäm die Kund,

Dass ich müsst sterben zu dieser Stund.

Die Buhlschaft versicherte ihm ewige Treue:

Um Christi Willen, was ficht dich an,

Mein Buhle traut, mein lieber Mann,

Ich bin bei dir, sieh doch auf mich,

Dein bin ich heut und ewiglich.

Ein abgrundtief schlechtes Stück, fand Rosa Weichsler. Der Ablauf der Handlung war voraussehbar bis zur letzten Minute. Jedermann erwies sich als hartherziger Mann, dem ausschließlich Geld, Genuss und oberflächliche Beziehungen wichtig waren. Er wurde anfangs in all seiner moralischen Kläglichkeit bloßgestellt, dann gemartert, um schließlich geläutert was zu tun? Das einzige Spannungsmoment für Rosa Weichsler in diesem Reimegeklapper – ach was – Geplapper – es war nicht mehr als das, in diesem Geplapper, erschöpfte sich in der Frage, ob Jedermann die religiöse Folter überlebte oder nicht. Und auch das wusste sie, seit sie das Stück gelesen hatte. Jedermann starb.

Ein Ende, das sie ungeduldig herbeisehnte, als sich ihre Stimmung nach schier endloser Qual beim Auftritt Gottes mit einem Schlag änderte.

Gott war erstens eine Frau und war als Teufel verkleidet, der einen weißen Umhang trug.

Einige Zeit und viele holpernde Verse später trat eben diese Schauspielerin als Teufel auf. Ein böser, verderbter Satan, der mit seinen tänzerischen Bewegungen, der gebrochenen Stimme und dem bleichen Gesicht auf Rosa Weichsler bedrohlich wirkte.

Sie ahnte, ja wusste mit einem Mal, dass an diesem Abend ein Unglück geschehen würde, dass ein Mensch ums Leben kommen würde, und zwar hier im Schlossgraben.

Sie schaute auf ihren Begleiter, ob auch er das drohende Unheil spürte. Doch Herbert Frühauf spürte nichts. Er war eingeschlafen und saß mit gesenktem Kopf und weit geöffnetem Mund zu ihrer Linken.

Nach dem Abgang des Teufels mühte sich die Aufführung schwerfällig ihrem Ende entgegen.

Jedermann stieg, um Gottes Gnade flehend, in sein Grab und der Darsteller des Glaubens sprach die letzten Worte:

Nun hat er vollendet das Menschenlos,

Tritt vor den Richter nackt und bloß

Und seine Werke allein,

Die werden ihm Beistand und Fürsprech sein.

Heil ihm, mich dünkt es ist an dem,

Dass ich der Engel Stimmen vernehm,

Wie sie in ihren himmlischen Reihn

Die arme Seele lassen ein.

Brrrr! Das war ganz einfach schlecht. Nackt und bloß, Beistand und Fürsprech. Wer so etwas schrieb, war kein Dichter, kein Schriftsteller. Hofmannsthal war ein heillos überschätzter Stümper, fand Rosa Weichsler und stupste mit dem linken Ellbogen den Chefinspektor an, der aus seinen Träumen hochschrak und sich dem allgemeinen Applaus anschloss, im Gegensatz zu seiner Begleiterin, die erst klatschte, als der Teufel auf die Bühne zurückkam, mit funkelnden Augen in die Menge starrte und sich nicht verbeugte.

Was für eine imposante Erscheinung!

Die Vorstellung war vorbei. Was sollte jetzt noch geschehen? Die Schauspieler hatten sich vollzählig auf der Bühne versammelt, auch der Regisseur, die Souffleuse, einige Techniker und der Trompetenbläser verbeugten sich. Und natürlich der Intendant, der einen Kelch vom Festtisch des Jedermann nahm, den Schauspielern und dem Publikum zuprostete und trank.

Im nächsten Moment begann er zu wanken und glitt zu Boden. Seine Frau in der Reihe vor Rosa Weichsler und Chefinspektor Frühauf war aufgesprungen und eilte auf die Bühne. Roger Foltin trat zu dem Gefallenen und redete auf ihn ein.

In all dem Tumult war nur eine einzige ruhig geblieben. Die Darstellerin des Teufels. Sie blickte in das Publikum und schien zu lächeln.

»Ein Arzt. Ist ein Arzt im Publikum?«, rief der Regisseur, hilflos mit den Armen in der Luft rudernd.

Diese Geste verriet Rosa Weichsler, dass es zu spät war, dass kein Mediziner der Welt Siegfried Hagen helfen konnte.

»Du musst auf die Bühne. Er ist ermordet worden«, sagte sie zu ihrem Begleiter.

»Wie, was?«, fragte dieser, noch immer etwas desorientiert. »Der widerliche Intendant. Jemand hat ihn vergiftet.«

Inzwischen war ein Arzt auf die Bühne geeilt. Dr. Reinhard Mayrhuber lockerte die Krawatte und öffnete den Hemdkragen des auf dem Boden Liegenden. Dann erhob er sich und winkte schweigend Herbert Frühauf zu sich.

Rosa Weichsler folgte ihrem Begleiter auf das Podium.

»Ich kann leider nichts mehr machen. Exitus. Bittermandelgeruch. Cyanwasserstoff, Nitrit der Ameisensäure.«

»Blausäure«, sagte Rosa Weichsler mehr zu sich selbst. Jemand hatte Gift in den Kelch getan, aus dem der Intendant getrunken hatte.

Jetzt war der Chefinspektor voll aus dem Dämmerzustand erwacht, in den ihn die Aufführung versetzt hatte. Entschlossenen Schrittes bewegte er sich auf den Regisseur zu und bat ihn zu bleiben.

»Alle anderen«, sagte Frühauf, »können nach Hause gehen, müssen aber mit einer Einvernahme in den nächsten Tagen rechnen.« Dann wandte er sich zum Publikum: »Wir haben einen bedauerlichen Todesfall zu beklagen. Ich muss Sie bitten, den Ort des Geschehens in aller Ruhe zu verlassen.«

»Was ist los? Was ist mit meinem Mann?«, rief die Frau des Intendanten.

»Doktor Mayrhuber wird sich Ihrer annehmen«, sagte der Chefinspektor.

Die Buhlschaft weinte. Der Teufel lächelte.

2. DIE KARTEN DER SOUFFLEUSE

Rosa Weichsler war erst gegen halb drei ins Bett gekommen. Zuerst hatte sie an der Seite des Chefinspektors ausgeharrt, um ihm einerseits in den Ermittlungen beizustehen, andererseits wollte sie in diesem Fall von Anfang an auf dem Laufenden bleiben. Frühauf würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine falsche Fährte aufnehmen, einen Unschuldigen, ob Mann oder Frau, verdächtigen und diesen Menschen am Ende entweder ins Gefängnis oder sich um seinen Job bringen.

Als sie kurz nach ein Uhr endlich zu Hause war, wollte ihre Zwillingsschwester Marie wissen, wie der Abend gelaufen war, dann rief noch Frühaufs Mutter an.

»Weichsler«, meldete sich Rosa.

»Wer genau? Spreche ich mit Rosa oder mit Marie?«, erkundigte sich die Frau mit für ihr Alter und die fortgeschrittene Stunde erstaunlich kräftiger Stimme.

»Wie meinen Sie das?«, fragte Rosa.

Ihr und ihrer Schwester war es wichtig, in der Öffentlichkeit als eine Person aufzutreten, nämlich als Rosmarie Weichsler.

»Meinem Sohn können Sie das vormachen, mich täuschen Sie nicht«, sagte Liliane Frühauf. »Es ist wohl eindeutig, dass er mit zwei verschiedenen Frauen unterwegs ist. Wenn sie einander auch sehr ähnlich schauen.«

»Aber nein, ich versichere Ihnen …«

»Keine Angst. Ich verrate es ihm nicht. Dieses Geheimnis bleibt unter uns. Solidarität unter Frauen, sozusagen.«

»Ich weiß nicht …«

»Kein Wort mehr zu diesem Thema. Was ist heute Abend passiert? Herbie hat sich geweigert, mir irgendetwas zu verraten. Das macht er immer, wenn er verwirrt ist.«

»Ein Mord, Frau Frühauf. Am Ende der Premiere der Sommerspiele im Schlossgraben.«

»Jedermann.«

»Jedermann.«

»Wer?«

»Der Intendant.«

»Das Schwein?«

»Wie?«

»Siegfried Hagen. Eine üble Figur. Er wollte nicht zahlen.«

»Wie meinen Sie das, Frau Frühauf?«

»Er hat uns eine viel zu teure Gebäudeversicherung angedreht. Ich habe Herbie vor ihm gewarnt. Aber weil sie demselben infantilen Verein angehören, wollte er unbedingt mit Hagen ins Geschäft kommen …«

»Welcher Verein?«, fragte Rosa Weichsler.

»Schlaraffen. Jedenfalls wollte er nicht zahlen, als der Sturm unser Dach beschädigte. Ich musste mich an die Versicherungszentrale wenden. Hat ihn jemand erstochen?«

»Nein.«

»Erschossen?«

»Vergiftet.«

»Das kann nur seine Frau gewesen sein.«

»Warum?«

»Sie ist eine giftige Person.«

»Wir … ich werde diesem Hinweis nachgehen.«

»Sie halten mich auf dem Laufenden.«

»Wenn Sie das Geheimnis wahren.«

»Welches Geheimnis, teure Rosmarie? Habe ich irgendetwas von einem Geheimnis gesagt?«

»Natürlich nicht. Danke.«

»Nicht der Rede wert.«

All das musste Rosa mit ihrer Schwester bereden. Kein Wunder, dass sie erst spät ins Bett kam und dann lange nicht einschlafen konnte.

Als sie dann endlich schlief, träumte sie von Hugo. Hugo von Hofmannsthal, der gegen die ungerechte Beurteilung durch einen literarischen Laien wie Rosa protestierte. Diese wiederum beschied dem Poeten, dass sie von seiner Frauenfeindlichkeit wisse, dass er ein verkappter Homosexueller und zu feig gewesen sei, mit Stefan George zu schlafen. Seine schriftstellerischen Hervorbringungen seien kläglich gewesen, ohne originelle Ideen, ohne eigenständige Form. Sein Lebensinhalt sei die Krise gewesen, in der er sich divenhaft mithilfe seines Chandos-Briefes geradezu gesuhlt habe. Der Umstand, dass man ihn nicht völlig vergessen habe, sei ausschließlich der Musik von Richard Strauss zu verdanken.

»Wenn Sie mir jetzt auch noch meine jüdische Herkunft und den Selbstmord meines Sohnes vorwerfen …«

»Unsinn«, unterbrach ihn Rosa Weichsler. »Sie wollen vom Thema ablenken.«

»Gut, bleiben wir beim Thema. Das Stück Jedermann. Es wurde nicht vertont und hat sich dennoch auf den Bühnen gehalten.«

»Weil es so schlecht ist. Das ist der Grund. Und weil es zwei große Rollen für so genannte Stars bietet.«

»Ach, gehen Sie doch zum Teufel. Wie komme ich dazu, mich mit Ihnen zu unterhalten!«, fauchte Hofmannsthal und entschwand.

Rosa Weichsler erwachte mit dem Wort Teufel auf den Lippen.

Hatte der Teufel den Intendanten geholt? Das wäre doch zu offensichtlich. Und doch lohnte es sich, dieser Spur nachzugehen.

Rosa Weichsler lag bis zum Morgen wach im Bett und war froh, dass ihre Schwester Vormittagsdienst in der Trafik hatte.

»Du hast gut geschlafen. Du bist so frisch heute Morgen«, begrüßte Herbert Frühauf Marie Weichsler in der Trafik am Steyrer Schloss. Er kaufte jeden Morgen die auflagenstarke Boulevardzeitung des Landes, weniger der Lektüre wegen, als um seine Rosmarie zu sehen, bevor er seine Dienstelle aufsuchte, die ebenfalls im Schloss untergebracht war.

»Und?«, schaute er sie hoffnungsvoll an, »hast du schon eine Idee, wer Siegfried Hagen auf dem Gewissen hat? Wenn man von einem Motiv ausgeht, käme die ganze Stadt in Frage.«

»Für mich ist es noch zu früh, mich auf jemanden festzulegen«, erwiderte Marie, die den Stapel mit den Morgenzeitungen öffnete, der in den frühen Morgenstunden vor der Trafik abgelegt worden war und stellte die Gegenfrage: »Und du? Wie siehst du den Fall?«

»Mir gefällt der Teufel ganz und gar nicht.«

Marie Weichsler sagte nichts dazu. Sie wusste nicht, was Frühauf damit meinte. Sie musste erst ihre Schwester dazu befragen.

Frühauf jedoch interpretierte ihr Schweigen als Kritik und begann sich zu verteidigen: »Der Regisseur hat mir erzählt, dass die Frau, die den Teufel spielt, schon einmal bei einer der Proben etwas in die Getränke der Schauspieler geschüttet hat, ein Abführmittel. Die Schauspieler haben seitdem das Trinken nur angedeutet.«

»Mit Ausnahme des Intendanten, wie sich gezeigt hat. Nein, ich bin noch nicht so weit.«

»Aber du hast doch Ideen«, ließ Frühauf nicht locker.

»Die habe ich, natürlich. Nicht die ganze Stadt kommt für den Mord in Frage, sondern nur Leute, die Zugang zur Bühne hatten.«

»Natürlich. Das ist selbstverständlich.«

»Und wer hatte Zugang zur Bühne?«, fragte Marie Weichsler.

»Die Schauspieler.«

»Die Techniker. Alle, die irgendwie an der Aufführung mitwirkten.«

»Die Frau des Ermordeten, die Kinder.«

»Die Schlaraffen«, ergänzte Marie Weichsler.

Sie erinnerte sich daran, dass ihre Schwester von einer Führung für die Schlaraffen und ihre Angehörigen vor der Vorstellung erzählt hatte, die sie absichtlich versäumt hatte, indem sie den Aufbruch von ihrem Haus so lange hinausgezögert hatte, bis es zu spät dafür gewesen war.

Ein Fehler, wie sich jetzt herausstellte. Rosa hätte möglicherweise eine interessante Beobachtung machen können.

Das Gespräch zwischen Trafikantin und Inspektor wurde immer wieder durch Kunden unterbrochen, die sich mit Zeitungen und Zigaretten versorgten.

»So, jetzt störe ich dich nicht mehr. Halte Augen und Ohren offen! Vielleicht erfährst du etwas über die Beteiligten«, verabschiedete sich Frühauf.

Die meisten Kunden wussten nicht vom Tod des Intendanten. Zeitungen und Fernsehen berichteten noch nicht darüber, nur im Radio hatte es eine Nachricht dazu gegeben.

Kurz vor neun besorgte sich wie jeden Tag Bert Schober seine Memphis-Zigaretten. Drei Packungen. Der Redakteur des Tagesboten war starker Raucher.

»Keine hundert Meter von hier entfernt wurde Siegi ermordet«, stellte er fest.

Die Trafik, die die Schwestern Weichsler von ihrem Vater übernommen hatten, war an die äußere Schlossmauer angebaut.

»Und keine hundert Meter weiter befindet sich die Bundespolizeidirektion mit ihrem Ermittler Herbert Frühauf«, stellte Marie Weichsler fest. »Ein Kraftfeld der Ereignisse in diesem Fall.«

»Diese Formulierung muss ich mir merken. An Ihnen ist ein Journalist verlorengegangen«, sagte Schober und steckte sich eine Zigarette an.

Lächelnd las er die Warnung auf der soeben geöffneten Packung: Rauchen kann Ihre Gesundheit gefährden.

»Siegi hat nicht geraucht und ist jetzt tot. Ich lebe noch. Soviel zu diesem Thema«, meinte er.

»Sie kannten Herrn Hagen?«

»Wer kannte ihn nicht? Er hatte in dieser Stadt überall seinen Nassen drin.« Verschämt ob dieser Aussage senkte er seinen Blick und entschuldigte sich.

»Keine Ursache«, beruhigte ihn Marie Weichsler.

»Ja, und ich kannte ihn von den Schlaraffen her.«

Schon wieder die Schlaraffen, dachte Marie Weichsler. Ein weiteres Kraftfeld in diesem Fall.

»Irgendjemand muss doch Fotos gemacht haben von der Aufführung«, überlegte der Journalist.

»Wenn es nicht verboten war, Fotos zu machen.«

»Das ist heutzutage kein Problem. Man kann mit jedem Handy Aufnahmen machen, ohne dass es jemand bemerkt.«

»Sie meinen …«

»Es wäre«, sagte der Redakteur, »zumindest eine Möglichkeit, zu sehen, wer bei den Getränken war.«

»Sie könnten einen Aufruf in die Zeitung geben, mögliches Material anonym an Sie zu senden.«

»Per E-Mail. Eine gute Idee. Ich weiß, was ich an Ihnen habe, Rosmarie.«

»Ich auch«, erwiderte diese. Und Schober war sich nicht im Klaren, ob er soeben ein Kompliment oder Eigenlob vernommen hatte.

Dann rief Rosa Weichsler bei ihrer Schwester an und teilte ihr mit, dass sie Monika Hauser gebeten habe, sie am Nachmittag in der Trafik zu vertreten. So konnte zumindest eine von ihnen ermitteln, ohne dass das Geheimnis der Zwillingsschwestern verraten wurde.

»Ich werde sie bitten, sich auch an den kommenden Tagen bereitzuhalten«, sagte Marie Weichsler und erkundigte sich nach der Darstellerin des Teufels.

»Warum fragst du, Rosa?«

»Frühauf verdächtigt sie.«

»Ein sicheres Zeichen, dass die Frau unschuldig ist.«

»Er hat erzählt, dass – ich weiß nicht einmal, wie sie heißt …«

»Viola Gattinger.«

»… dass diese Gattinger schon einmal die Getränke auf der Bühne manipuliert hat. Allerdings nur mit einem Abführmittel.«

»Sie wirkte ziemlich authentisch als Teufel.«

»Du verdächtigst sie auch?«

»Wie gesagt, wenn Frühauf sie nicht in Verdacht hätte, wäre sie ein möglicher Täter.«

»Eine erste Spur, also.«

»Und sonst?«

»Noch nichts Dramatisches. Schober sucht nach heimlich gemachten Fotos.«

»Gut. Du kommst zum Mittagessen.«

»Alles klar. Was gibt es?«

»Marillenknödel.«

»Erdäpfel- oder Topfenteig?«

»Was du willst.«

»Topfen.«

»Ist mir auch lieber.«

»Wirklich?«

»Schließlich sind wir Zwillinge und lieben denselben Mann.«

»Von lieben kann keine Rede sein.«

»Auch darin sind wir uns einig.«

Um Viertel vor elf betraten eine große, stattliche Frau und eine etwas verwachsen wirkende Kleine das Geschäft. Die Große gab drei Lottotipps auf, die Zierliche erwarb Frauenzeitschriften.

Von den beiden erfuhr Marie Weichsler, dass für elf eine Krisensitzung im Schlossrestaurant anberaumt war. Die Frage, ob trotz des Todes des Intendanten weitergespielt werden solle, erübrigte sich zumindest für die Souffleuse.

»Selbstverständlich. Alle zehn Vorstellungen sind ausverkauft. Und es wäre sicherlich auch im Sinne des Verstorbenen, weiterzumachen«, fand Herta Sonnleitner.

»Ich weiß nicht recht«, entgegnete Nella Steiner-Optresal. »Mir macht die Arbeit heuer wenig Freude. Sie steht unter keinem guten Stern.«

»In den Karten finde ich Klarheit und Reinigung«, widersprach ihr die Souffleuse.

»Sie sind Kartenlegerin, Frau Sonnleitner?«, fragte Marie Weichsler.

»Ein Hobby.«

»Welches System?«

»Wie meinen Sie das?«

»Skat, Lenormand, Zigeunerkarten?«

»Tarot«, antwortete die Souffleuse.

»Hast du schon herausgefunden, wer der Mörder ist?«, fragte die Schauspielerin.

»Oder die Mörderin«, sagte die Kleine und blinzelte durch ihre dicken Brillengläser. »Für Gift sind die Frauen zuständig.«

»Und was sagen Ihnen die Karten?«, wollte Marie Weichsler wissen.

»Mehr als mein Verstand. Die Karten deuten auf einen Zwiespalt hin. Noch bin ich mir nicht im Klaren, was genau es bedeutet, aber ich arbeite daran.«

»Gut, dann lassen wir uns überraschen, was die beiden Gro-ßen sagen. Entschuldige, Herta. Wie gedankenlos von mir. Ich meine die beiden Stars. Von ihnen hängt wohl alles ab.«

»Sie meinen Marold-Foltin«, schaltete sich Marie Weichsler wieder in das Gespräch ein.

»Alles tanzt nach ihrer Pfeife. Nur dass jetzt ein Totentanz daraus geworden ist.« Die Stimme von Nella Steiner-Optresal klang verbittert. »Kommst du mit, Herta?«, wandte sich die Schauspielerin des Linzer Landestheaters an die Souffleuse.

»Einen Augenblick noch«, bat die Kleingewachsene.

»Ich geh inzwischen voraus.«

Nach Nella Steiner-Optresals Abgang vertraute Herta Sonnleitner Marie Weichsler an, dass die Steinerin, wie sie sich ausdrückte, eigentlich über Hagens Tod froh sein müsste. Hagen hatte ihr und dem Ursprunger die großen Rollen weggenommen, die sie seit Jahren spielten und sie den Stars überlassen.

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Ograniczenie wiekowe:
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Data wydania na Litres:
22 grudnia 2023
Objętość:
171 str. 2 ilustracje
ISBN:
9783709500408
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