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Czytaj książkę: «Aufzeichnungen eines Jägers», strona 7

Czcionka:

Wladimir schoß, zum großen Trost Jermolais, gar nicht so vorzüglich; nach jedem Fehlschuß wunderte er sich, untersuchte seine Flinte, blies in den Lauf und erklärte uns schließlich den Grund, warum er fehlgeschossen habe. Jermolai schoß wie immer glänzend; ich, meiner Gewohnheit nach, ziemlich schlecht. Sutschok betrachtete uns mit den Augen eines Menschen, der von jung auf in herrschaftlichen Diensten steht; ab und zu rief er: »Da, da ist noch eine Ente!« und kratzte sich fortwährend den Rücken, aber nicht mit den Händen, sondern durch eine bloße Bewegung der Schulterblätter. Das Wetter war herrlich; weiße, runde Wolken schwebten langsam und hoch über unseren Köpfen dahin und spiegelten sich klar im Wasser; das Schilf rauschte um uns herum; der Teich glänzte stellenweise in der Sonne wie Stahl. Wir wollten schon ins Dorf zurückkehren, als wir plötzlich ein recht unangenehmes Abenteuer erlebten.

Wir hatten schon längst merken können, daß das Wasser allmählich in unser Flachboot hereinsickerte. Wladimir hatte den Auftrag, es mittels einer Schöpfkelle zu entfernen, die mein umsichtiger Jäger einem Bauernweib, das sich gerade auf etwas vergaffte, entwendet hatte. Die Sache ging ordentlich, solange Wladimir seine Pflicht nicht vernachlässigte. Aber gegen das Ende der Jagd stiegen die Enten wie zum Abschied in solchen Schwärmen auf, daß wir kaum Zeit hatten, unsere Gewehre zu laden. Im Eifer des Gefechts achteten wir nicht mehr auf den Zustand unseres Bootes, als plötzlich, infolge einer heftigen Bewegung Jermolais (er bemühte sich, einen erschossenen Vogel aus dem Wasser zu holen und beugte sich mit dem ganzen Körper über den Rand), unser altersschwaches Schiff sich auf die Seite neigte, sich mit Wasser füllte und feierlich sank, glücklicherweise an einer nicht tiefen Stelle. Wir schrien auf, aber es war schon zu spät. In einem Augenblick standen wir bis an den Hals im Wasser, umgeben von den schwimmenden Körpern der toten Enten. Heute kann ich mich nicht des Lachens enthalten, wenn ich an die erschrockenen und blassen Gesichter meiner Genossen zurückdenke (auch mein Gesicht zeichnete sich damals wohl kaum durch besondere Röte aus); aber damals kam es mir gar nicht in den Sinn, zu lachen. Ein jeder von uns hielt sein Gewehr über den Kopf, und Sutschok hob, wohl aus Gewohnheit, alles seinen Herren nachzumachen, seine Stange über den Kopf. Jermolai brach als erster das Schweigen.

»Verflucht!« murmelte er und spuckte ins Wasser. »Eine schöne Bescherung! Das hast du, alter Teufel, angestellt!« fügte er, wütend an Sutschok gewandt, hinzu. »Was hast du auch für ein Boot«

»Verzeihung!« stammelte der Alte.

»Auch du bist nett«, fuhr mein Jäger fort und wandte sein Gesicht Wladimir zu: »Wie hast du aufgepaßt? Warum hast du nicht das Wasser geschöpft? Du, du, du . . .«

Wladimir dachte aber gar nicht an eine Rechtfertigung: Er zitterte wie Espenlaub, seine Zähne klapperten, und er lächelte ganz blöde. Wo war jetzt seine Beredsamkeit, sein raffiniertes Anstandsgefühl, sein Bewußtsein der eigenen Würde!

Der verdammte Dostschannik schwankte leicht unter unseren Füßen . . . Im Augenblick des Schiffsunterganges kam uns das Wasser furchtbar kalt vor, aber wir gewöhnten uns bald daran. Als der erste Schreck vergangen war, sah ich mich um: Ringsum, zehn Schritte um uns, wuchs Schilf, in der Ferne, über den Spitzen des Schilfes war das Ufer zu sehen. Es ist schlimm, dachte ich mir.

»Was sollen wir anfangen?« fragte ich Jermolai.

»Das werden wir schon sehen; übernachten werden wir hier nicht«, antwortete er. »Du, halt mal das Gewehr«, sagte er zu Wladimir.

Jener gehorchte ohne Widerrede.

»Ich will gehen und eine Furt suchen«, fuhr Jermolai mit fester Überzeugung fort, als wenn in jedem Teich unbedingt eine Furt sein müßte; er nahm Sutschok die Stange aus der Hand und ging, den Boden vorsichtig betastend, in der Richtung zum Ufer.

»Verstehst du denn zu schwimmen?« fragte ich ihn.

»Nein, ich verstehe es nicht«, antwortete seine Stimme hinter dem Schilf.

»Nun, dann wird er ertrinken«, bemerkte Sutschok gleichgültig, der auch vorher schon nicht über die Gefahr, sondern nur über unseren Zorn erschrocken war und nun, vollkommen beruhigt, nur ab und zu pustete und keinerlei Bedürfnis nach einer Änderung seiner Lage äußerte.

»So ganz ohne Nutzen zugrunde gehen«, versetzte Wladimir mit klagender Stimme.

Jermolai blieb länger als eine Stunde aus. Diese Stunde erschien uns als eine Ewigkeit. Anfangs riefen wir uns mit großem Eifer an; dann beantwortete er immer seltener unsere Rufe und verstummte schließlich ganz. Im Dorf läutete man zum Abendgottesdienst. Wir sprachen nicht miteinander und vermieden sogar, einander anzusehen. Die Enten schwirrten über unseren Köpfen; einige von ihnen machten sogar Anstalten, sich neben uns niederzulassen, stiegen aber plötzlich schnurgerade auf und flogen mit Geschrei davon. Wir fingen an, vor Kälte steif zu werden. Sutschok bewegte schwer die Augenlider, als wollte er einschlafen.

Endlich kam zu unserer unbeschreiblichen Freude Jermolai wieder zurück.

»Nun?«

»Ich war am Ufer, habe eine Furt gefunden . . . Kommen Sie.«

Wir wollten uns sofort auf den Weg machen, aber er holte erst unter dem Wasser aus der Tasche einen Strick hervor, band die geschossenen Enten an den Beinen fest, nahm beide Enden des Strickes zwischen die Zähne und watete voraus; Wladimir folgte ihm und ich Wladimir. Sutschok beschloß den Zug. Bis ans Ufer waren es etwa zweihundert Schritt. Jermolai schritt tapfer und ohne stehenzubleiben voraus (so gut hatte er sich den Weg gemerkt) und rief nur ab und zu: »Mehr links, hier rechts ist eine Untiefe!« oder: »Mehr rechts, links kann man im Schlamme versinken . . .«

Das Wasser reichte uns zuweilen bis an den Hals, und der arme Sutschok, der kleiner als wir alle waren, mußte Wasser schlucken und ließ Blasen aufsteigen. »Nun, nun, nun!« schrie ihn dann Jermolai drohend an, und Sutschok krabbelte sich heraus, zappelte mit den Beinen, hüpfte und kam schließlich doch auf eine seichtere Stelle, aber selbst in höchster Not konnte er sich nicht entschließen, sich an meinem Rockschoß festzuhalten. Furchtbar müde, schmutzig und naß erreichten wir schließlich das Ufer.

Zwei Stunden später saßen wir schon alle, nach Möglichkeit getrocknet, in einem großen Heuschuppen und schickten uns an, zu Abend zu essen. Der Kutscher Jehudiel, ein außerordentlich langsamer, schwerfälliger, vernünftiger und verschlafener Mensch, stand am Tor und traktierte Sutschok eifrigst mit Tabak. (Ich habe bemerkt, daß die Kutscher in Rußland sich sehr schnell befreunden.) Sutschok schnupfte mit Wut bis zur Übelkeit; er spuckte, hustete und empfand wohl einen großen Genuß. Wladimir neigte den Kopf mit schmachtender Miene auf die Seite und sprach wenig. Jermolai rieb unsere Gewehre ab. Die Hunde wedelten mit übertriebener Geschwindigkeit mit ihren Schwänzen in Erwartung ihres Haferbreies; die Pferde stampften und wieherten unter dem Schutzdach . . . Die Sonne ging unter; ihre letzten Strahlen zogen sich als purpurrote, breite Streifen hin; goldene Wölkchen breiteten sich immer feiner wie gewaschene und gekämmte Wolle über den Himmel aus . . . Im Dorf erklangen Lieder.

Die Bjeschin-Wiese

Es war ein herrlicher Julitag, einer von den Tagen, die nur dann vorkommen, wenn kein Wetterumschlag zu erwarten ist. Der Himmel ist dann vom frühen Morgen an heiter; das Morgenrot flammt nicht wie eine Feuersbrunst; die Sonne ist nicht feurig und glühend wie zur Zeit einer Dürre, auch nicht trüb-blutrot wie vor einem Sturm, sondern schwebt hell und freundlich unter einer schmalen und langen Wolke hervor, leuchtet heiter und versinkt im lilagrauen Nebel. Der obere dünne Rand der langgestreckten Wolke glitzert wie voller feiner Schlangen; ihr Glanz erinnert an den Glanz getriebenen Silbers . . . Schon brechen aber die spielenden Strahlen aufs neue hervor, und das mächtige Gestirn steigt lustig, majestätisch, wie auffliegend empor. Um die Mittagsstunde erscheint gewöhnlich eine Menge runder, hoher, goldig-grauer Wolken mit zarten weißen Rändern. Gleich Inseln, auf einem uferlosen Fluß verstreut, der sie mit tiefen und durchsichtigen Armen einer tiefen Bläue umflutet, bewegen sie sich kaum von der Stelle; weiter unten am Horizont drängen sie sich mehr zusammen, und es ist kein Blau zwischen ihnen mehr zu sehen; aber sie sind selbst da so leuchtend blau wie der Himmel; sie sind ganz von Licht und Wärme durchtränkt. Die Farbe des Horizonts, leicht und blaßlila, ändert sich während des ganzen Tages nicht und ist in der ganzen Runde gleich; nirgends verdunkelt sie sich, nirgends sammelt sich ein Gewitter; höchstens ziehen sich hier und da bläuliche Streifen herab – es ist ein kaum bemerkbarer Regen, der wie eine Saat herabrieselt. Gegen Abend verschwinden diese Wolken; die letzten von ihnen, dunkel und formlos wie Rauch, ballen sich rosenrot der scheidenden Sonne gegenüber; an der Stelle, wo sie ebenso ruhig untergegangen ist wie sie emporgestiegen, bleibt das hellrote Leuchten nur eine kurze Zeit über der dunkelgewordenen Erde, und leise flimmernd, wie eine vorsichtig getragene Kerze, leuchtet darin der Abendstern auf. An solchen Tagen sind alle Farben gedämpft; sie sind leuchtend, aber nicht grell; auf allen Dingen liegt das Siegel einer eigenen rührenden Milde. An solchen Tagen ist die Hitze oft sehr groß, manchmal brütet sie an den Abhängen der Felder; aber der Wind vertreibt und verweht die angesammelte Glut, und Wirbel – sichere Anzeichen beständigen Wetters – ziehen als hohe weiße Säulen über die Wege und Äcker dahin. In der trockenen und reinen Luft duftet es nach Wermut, nach gemähtem Korn und Buchweizen; selbst eine Stunde vor Anbruch der Nacht spürt man keine Feuchtigkeit. Ein solches Wetter wünscht sich der Landmann für die Getreideernte.

An einem solchen Tag jagte ich einmal im Tschernschen Kreise des Tulaer Gouvernements auf Birkhühner. Ich hatte recht viel Wild aufgestöbert und geschossen; meine gefüllte Jagdtasche schnitt mir unbarmherzig in die Schulter; das Abendrot war aber schon im Verlöschen, und in der noch hellen, wenn auch von den Strahlen der untergegangenen Sonne nicht mehr erleuchteten Luft verdichteten sich schon kalte Schatten, als ich mich endlich entschloß, nach Hause zurückzukehren. Mit raschen Schritten durchstrich ich die lange, von Gebüsch bedeckte Strecke, stieg einen kleinen Hügel hinauf und erblickte statt der von mir erwarteten, mir bekannten Ebene mit dem Eichenwäldchen rechts und der niederen weißen Kirche in der Ferne eine mir völlig unbekannte Gegend. Zu meinen Füßen zog sich ein schmales Tal hin; gerade vor mir erhob sich als eine steile Wand ein dichtes Espengebüsch. Ich blieb erstaunt stehen und sah mich um . . . Aha! dachte ich mir – ich bin ganz woanders hingeraten: Ich bin viel zu weit nach rechts gekommen. – Mich über mein Versehen selbst wundernd, stieg ich den Hügel hinab. Mich umfing sofort eine unangenehme, unbewegliche Feuchtigkeit, als wäre ich in einen Keller geraten; das dichte, hohe Gras auf dem Grund des Tales breitete sich naß und weiß wie eine Decke aus; es war irgendwie unheimlich, es zu betreten. Ich stieg möglichst schnell an der anderen Seite wieder hinauf und schlug den Weg nach links, das Espengehölz entlang, ein. Die Fledermäuse flatterten schon über den schlafenden Wipfeln des Gehölzes, geheimnisvoll am dunklen und doch noch heiteren Himmel kreisend; schnell und geradeaus schoß in der Höhe ein verspäteter junger Habicht seinem Neste zu. – Wenn ich nur jene Ecke dort erreicht habe, dachte ich mir, so komme ich gleich auf die Straße; ich habe ja einen Umweg von einer Werst gemacht!

Endlich erreichte ich die Ecke des Waldes, aber dort war keinerlei Weg: Niedere Büsche breiteten sich vor mir aus, und hinter ihnen war in weiter Ferne ein leeres Feld zu sehen. Ich blieb wieder stehen. – Was ist das für ein Wunder . . .? Wo bin ich denn? – Ich fing an, mich zu besinnen, wie und wohin ich an diesem Tag gegangen war . . . – Ach! Das ist ja das Parachinsche Gebüsch! rief ich endlich aus. – Es stimmt! Das da muß ja das Sindejewsche Gehölz sein . . . Wie bin ich nur hergeraten? So weit . . .! Seltsam! Jetzt muß ich wieder nach rechts abbiegen.

Ich ging nach rechts durch die Büsche. Die Nacht senkte sich indessen und wuchs wie eine drohende Gewitterwolke; die Dunkelheit schien sich zugleich mit den Abenddünsten von überall zu erheben und sogar von der Höhe zu fallen. Ich stieß auf einen verwachsenen Fußpfad; ich schlug ihn ein und blickte aufmerksam vorwärts. Alles um mich her wurde schnell dunkel und still, nur die Wachteln schrien noch dann und wann. Ein kleiner Nachtvogel, der unhörbar und leicht auf seinen weichen Flügeln dahinflog, stieß beinahe auf mich und verschwand scheu seitwärts. Ich erreichte das Ende des Gebüsches und ging einen Feldrain entlang. Mit Mühe konnte ich schon die entfernten Gegenstände unterscheiden; das Feld um mich her leuchtete weiß; hinter ihm erhob sich, mit jedem Augenblick zunehmend, die düstere Finsternis. Meine Schritte hallten dumpf in der erstarrenden Luft wider. Der bleichgewordene Himmel fing wieder an, blau zu werden, aber es war schon die Bläue der Nacht. In dieser Bläue regten sich und flimmerten die Sterne.

Was ich für ein Gehölz gehalten hatte, erwies sich jetzt als ein dunkler, runder Hügel. – Wo bin ich denn? fragte ich wieder laut; ich blieb zum drittenmal stehen und blickte fragend auf die Dianka, meinen englischen, gelbgefleckten Hund, entschieden das klügste von allen vierfüßigen Geschöpfen. Aber das klügste von allen vierfüßigen Geschöpfen wedelte nur mit seinem Schweif, zwinkerte traurig mit seinen müden Augen und gab mir keinerlei vernünftigen Rat. Ich schämte mich vor dem Hund und ging verzweifelt vorwärts, als wäre ich plötzlich dahintergekommen, wohin ich zu gehen hätte. Ich umging den Hügel und geriet in eine nicht sehr tiefe, von allen Seiten umpflügte Schlucht. Ein sonderbares Gefühl bemächtigte sich meiner sofort. Diese Schlucht sah wie ein fast regelmäßiger Kessel mit abschüssigen Wänden aus; auf dem Grund ragten einige aufrechtstehende, große weiße Steine – es sah so aus, als wären sie zu einer geheimen Beratung in die Schlucht hinabgestiegen, und alles war da so stumm und so öde, und der Himmel hing so flach und so traurig über der Schlucht, daß mein Herz sich zusammenkrampfte. Irgendein kleines Tier piepste schwach und jämmerlich zwischen den Steinen. Ich beeilte mich, wieder den Hügel zu erreichen. Bis jetzt hatte ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, den Weg nach Hause zu finden; nun überzeugte ich mich aber endgültig, daß ich mich gänzlich verirrt hatte, und ging nun weiter geradeaus, den Sternen nach, aufs Geratewohl, ohne mir die geringste Mühe zu geben, die Umgebung, die schon ganz in der Dunkelheit versunken war, wiederzuerkennen . . . Etwa eine halbe Stunde ging ich so, die Füße mit Mühe bewegend. Es war mir, als sei ich noch niemals in einer so öden Gegend gewesen; nirgends flimmerte ein Feuer, nirgends ließ sich ein Ton vernehmen. Ein abschüssiger Hügel folgte dem anderen, die Felder zogen sich in die Unendlichkeit hin, die Büsche wuchsen plötzlich aus dem Boden dicht vor meiner Nase empor. Ich ging immer weiter und hatte schon die Absicht, mich bis zum Morgen irgendwo hinzulegen, als ich vor mir plötzlich einen schrecklichen Abgrund erblickte.

Ich zog den schon erhobenen Fuß schnell zurück und sah durch die kaum noch durchsichtige Dunkelheit der Nacht eine riesengroße Ebene vor mir. Ein breiter Strom umbog sie in einem Halbkreis; die stählernen Reflexe des Wassers, die hier und da trübe aufleuchteten, bezeichneten seinen Lauf. Der Hügel, auf dem ich mich befand, fiel beinahe senkrecht hinab; seine großen Umrisse hoben sich schwarz von der bläulichen, leeren Luft ab, und gerade vor mir, in der Ecke zwischen dem Abhang und der Ebene, am Flusse, der an dieser Stelle als dunkler Spiegel unbeweglich zu liegen schien, dicht unter dem Abhang des Hügels, brannten und rauchten zwei rote Feuer nahe nebeneinander. Um sie herum bewegten sich Menschen, schwankten Schatten, und zuweilen fiel das Licht auf den Vorderteil eines kleinen Lockenkopfes . . .

Endlich wußte ich, wo ich hingeraten war. Diese Stelle war in unserer Gegend als die ›Bjeschinwiese‹ bekannt . . . Aber es war schon ganz unmöglich, besonders jetzt in der Nacht, nach Hause zurückzukehren; die Beine knickten vor Müdigkeit ein. Ich entschloß mich, auf das Feuer loszusteuern und in Gesellschaft dieser Menschen, die ich für Rinderhirten hielt, auf den Morgen zu warten. Ich stieg glücklich hinunter, hatte aber noch nicht Zeit gehabt, den letzten Ast, an dem ich mich festhielt, loszulassen, als plötzlich zwei große, weiße, zottige Hunde mit bösem Bellen auf mich losstürzten. Helle Kinderstimmen klangen in der Nähe der beiden Feuer; einige Jungen erhoben sich rasch von der Erde. Ich antwortete auf ihre fragenden Rufe. Sie liefen auf mich zu, riefen sogleich ihre Hunde zurück, auf die das Erscheinen meiner Dianka solchen Eindruck gemacht hatte, und ich kam näher.

Ich hatte mich geirrt, als ich die Menschen, die um die Feuer saßen, für Rinderhirten gehalten hatte. Es waren einfache Bauernkinder aus dem nächsten Dorf, die eine Pferdeherde hüteten. In der heißen Sommerzeit pflegt man bei uns die Pferde nachts auf die Weide zu treiben: Bei Tage würden ihnen die Fliegen und die Bremsen keine Ruhe lassen. Die Pferde abends hinauszutreiben und beim Morgengrauen wieder zurückzubringen, ist für die Bauernjungen ein großes Fest. Ohne Mützen, in alten Halbpelzen auf den lebhaftesten Mähren sitzend, jagen sie mit lustigem Geschrei, die Arme und Beine schwenkend, hoch aufspringend, und lachen, daß es nur so hallt. Der leichte Staub erhebt sich als gelbliche Wolke über der Straße; weit hallt das Gestampfe vieler Hufe, die Pferde rennen mit gespitzten Ohren; allen voran jagt irgendein rothaariger Gaul mit Kletten in der zerzausten Mähne, den Schweif hoch erhoben, ununterbrochen den Takt wechselnd.

Ich sagte den Jungen, daß ich mich verirrt habe, und setzte mich zu ihnen. Sie fragten mich, woher ich sei, schwiegen eine Weile und machten mir Platz. Wir unterhielten uns eine Weile miteinander. Ich streckte mich unter einem angenagten Busch aus und sah mich um. Das Bild war wunderschön: Neben den Feuern zitterte und erstarb, an die Dunkelheit stoßend, ein runder rötlicher Widerschein; die Flamme warf aufflackernd über die Grenze des Kreises schnelle Reflexe hinaus; schmale Lichtzungen beleckten ab und zu die nackten Äste des Weidengebüschs, und sofort verschwand wieder alles; spitze, lange Schatten drangen für einen Augenblick in den Lichtkreis ein und erreichten die Flammen: Die Dunkelheit kämpfte mit dem Licht. Zuweilen, wenn das Feuer schwächer brannte und der Lichtkreis enger wurde, erschienen aus der Finsternis, die näher herantrat, plötzlich ein brauner Pferdekopf mit zackiger Blesse oder ein ganz weißer Kopf; er sah uns aufmerksam und stumpf an, an dem langen Gras kauend, und verschwand gleich wieder. Man hörte ihn nur noch kauen und schnauben. Von der erleuchteten Stelle aus war es schwer zu erkennen, was im Finstern geschah, und darum schien alles in der Nähe von einem fast schwarzen Vorhang verdeckt. Aber weiter, am, Horizont zeichneten sich die Hügel und Wälder als verschwommene, lange Flecken ab. Der dunkle, reine Himmel hing feierlich und unermeßlich hoch über uns in seiner ganzen geheimnisvollen Pracht. Die Brust fühlte sich wonnig beengt beim Einatmen dieses eigentümlichen, ermattenden und frischen Duftes, des Duftes der russischen Sommernacht. Ringsum gab es fast kein Geräusch . . . Nur ab und zu plätscherte im nahen Fluß plötzlich ein großer Fisch, oder das Uferschilf fing, von einer Welle kaum berührt, leise zu rauschen an . . . Nur die Feuer allein knisterten leise.

Die Jungen saßen um die Feuer. Neben ihnen lagen auch die beiden Hunde, die solche Lust hatten, mich zu fressen. Sie konnten sich noch lange mit meiner Anwesenheit nicht befreunden und knurrten, schläfrig nach dem Feuer blinzelnd und schielend, ab und zu mit einem ungewöhnlichen Ausdruck eigener Würde; anfangs knurrten sie, dann winselten sie leise, als beklagten sie die Unmöglichkeit, ihren Wunsch zu erfüllen. Es waren fünf Jungen da: Fedja, Pawluscha, Iljuscha, Kostja und Wanja. (Aus ihren Gesprächen erfuhr ich ihre Namen, und ich will den Leser mit ihnen gleich bekannt machen.)

Der erste, der älteste, Fedja, mochte vierzehn Jahre alt sein. Er war ein schlanker Junge mit hübschen, feinen, etwas zu schwach ausgeprägten Gesichtszügen, mit krausem, blondem Haar, hellen Augen und einem fortwährenden halb heiteren, halb zerstreuten Lächeln. Er gehörte allem Anschein nach einer wohlhabenden Familie an und war wohl nicht aus Notwendigkeit, sondern nur zum Zeitvertreib ins Feld hinausgeritten. Er trug ein buntes Kattunhemd mit gelbem Saum und einen kleinen, neuen Kittel übergeworfen, der sich kaum auf seinen schmalen Schultern hielt; am blauen Gürtel hatte er einen Kamm hängen. Seine Stiefel mit niedrigen Schäften waren tatsächlich seine Stiefel und nicht die seines Vaters. Der zweite Junge, Pawluscha, hatte zerzaustes, schwarzes Haar, graue Augen, breite Backenknochen, ein blasses, pockennarbiges Gesicht, einen großen, aber regelmäßigen Mund; sein ganzer Kopf war ungewöhnlich groß, wie ein Kessel; der Körper untersetzt und plump. Er war ein unansehnlicher Junge, das war nicht zu leugnen, und doch gefiel er mir gut: Er blickte klug und frei, und in seiner Stimme lag Kraft. Mit seiner Kleidung konnte er nicht prahlen: Sie bestand aus einem einzigen, schmutzigen Hemd und einer geflickten Hose. Der dritte, Iljuscha, hatte ein recht unbedeutendes Gesicht – mit der gebogenen Nase, lang und kurzsichtig, drückte es eine stumpfe, krankhafte Besorgnis aus; die zusammengepreßten Lippen bewegten sich nicht, die zusammengezogenen Brauen rückten nicht auseinander, es sah so aus, als blende ihn immer das Feuer. Seine hellgelben, fast weißen Haare ragten in spitzen Strähnen unter dem niederen Filzhütchen hervor, das er sich fortwährend mit beiden Händen über die Ohren zog. Er hatte neue Bastschuhe und Fußlappen an; ein dicker Strick, dreimal um seine Hüften geschlungen, hielt sorgfältig sein sauberes schwarzes Filzmäntelchen. Er sowohl als Pawluscha schienen nicht mehr als zwölf Jahre alt zu sein. Der vierte, Kostja, ein Junge von etwa zehn Jahren, erregte mein Interesse durch seinen nachdenklichen, traurigen Blick. Sein Gesicht war nicht groß, mager, von Sommersprossen bedeckt, nach unten zu spitz wie bei einem Eichhörnchen; die Lippen waren kaum zu unterscheiden; aber einen seltsamen Eindruck machten seine großen, schwarzen, schwachglänzenden Augen: Sie schienen etwas ausdrücken zu wollen, wofür es in der Sprache, jedenfalls in seiner Sprache, keine Worte gibt. Er war klein gewachsen, schmächtig und recht ärmlich gekleidet. Den letzten, Wanja, hatte ich anfangs gar nicht bemerkt: Er lag auf der Erde, mäuschenstill unter einer Bastdecke zusammengekauert, und streckte nur ab und zu seinen blonden Lockenkopf unter ihr hervor.

Ich lag also seitwärts unter einem Strauch und sah die Jungen an. Ein kleines Kesselchen hing über einem der Feuer, in ihm kochten Kartoffeln. Pawluscha sah nach ihnen und rührte, auf den Knien liegend, mit einem Span das Wasser, das eben zu brodeln anfing. Fedja lag, auf einen Ellenbogen gestützt, die Schöße seines Kittels auseinandergeschlagen. Iljuscha saß neben Kostja und zwinkerte gespannt mit den Augen. Kostja hatte den Kopf ein wenig gesenkt und blickte irgendwohin in die Ferne. Wanja lag unbeweglich unter seiner Bastdecke. Ich stellte mich schlafend. Die Jungen kamen allmählich wieder ins Gespräch.

Zuerst redeten sie von dem und jenem, von den Arbeiten des nächsten Tages und von den Pferden; plötzlich wandte sich aber Fedja an Iljuscha und fragte ihn, als setze er ein begonnenes Gespräch wieder fort: »Nun, hast du den Hausteufel wirklich gesehen?«

»Nein, gesehen habe ich ihn nicht, und man kann ihn auch gar nicht sehen«, antwortete Iljuscha mit einer heiseren und schwachen Stimme, deren Tonfall vollkommen seinem Gesichtsausdruck entsprach. »Aber ich habe ihn gehört . . . Und nicht ich allein.«

»Wo wohnt er denn bei euch?« fragte Pawluscha.

»In der alten Lumpenmühle.«Lumpenmühle heißt in den Papierfabriken das Gebäude, in dem man das Papier aus den Kuren schöpft. Es befindet sich dicht am Damm, unter dem Wasserrad. (Anmerkung Turgenjews)

»Geht ihr denn auf die Fabrik?«

»Gewiß. Ich und mein Bruder Awdjuscha arbeiten als Papierglätter.«

»Ihr seid also Fabrikarbeiter . . .!«

»Nun, wie hast du ihn gehört?« fragte Fedja.

»Es war so. Ich war mit meinem Bruder Awdjuscha und mit Fjodor von Michejewo und mit Iwaschka Kossoi und mit dem anderen Iwaschka, dem von den Roten Hügeln, und mit dem Iwaschka Suchorukow, es waren auch andere Jungen dabei, im ganzen an die zehn Mann, die ganze Schicht; wir mußten in der Lumpenmühle übernachten; wir mußten es eigentlich nicht, aber Nasarow, der Aufseher, sagte uns: ›Was sollt ihr noch nach Hause gehen, Jungens? Morgen ist viel Arbeit, bleibt dann lieber hier.‹ So blieben wir in der Lumpenmühle. Wir liegen zusammen, und Awdjuscha fragt plötzlich: ›Und wenn jetzt der Hausteufel kommt?‹ Kaum hatte Awdjuscha diese Worte gesprochen, als plötzlich jemand über unseren Köpfen zu gehen anfing; wir lagen aber unten, und er ging oben bei dem Rad. Wir hören – er geht herum, die Bretter biegen sich unter ihm und knarren; da geht er schon über unseren Köpfen; plötzlich fängt das Wasser an zu rauschen, das Rad klopft und dreht sich; aber die Schleusen sind heruntergelassen. Wir wundern uns: Wer hat die Schleusen geöffnet, daß das Wasser hindurchkann? Das Rad drehte sich aber eine Weile und blieb plötzlich stehen. Jener ging oben wieder zur Tür und fing an, die Treppe hinunterzusteigen, aber langsam, ohne Eile; die Stufen stöhnten unter seinen Tritten . . . So kam er zu unserer Tür, wartete eine Weile, und plötzlich ging die Tür weit auf. Wir fuhren zusammen, sahen hin – es ist nichts . . . Plötzlich bewegte sich eine Schöpfkelle bei einem der Kufen, sie hob sich, bewegte sich durch die Luft, als tauchte sie jemanden unter, und kehrte wieder auf ihren Platz zurück. Dann hob sich der Haken an einer anderen Kufe und schloß sich wieder; dann klang es, als ginge jemand wieder zur Tür, und plötzlich hustete er und pustete wie ein Schaf, so laut . . . Wir fielen alle auf einen Haufen zusammen und krochen einer unter den anderen . . . So erschrocken waren wir damals!«

»So, so!« versetzte Pawel. »Warum fing er aber zu husten an?«

»Ich weiß nicht, vielleicht von der Feuchtigkeit.«

Alle schwiegen.

»Nun«, fragte Fedja, »sind die Kartoffeln gar?«

Pawluscha untersuchte sie.

»Nein, sie sind noch roh . . . Wie der Fisch plätschert«, fügte er hinzu, das Gesicht zum Fluß wendend, »ist wohl ein Hecht . . . Und dort fiel ein Sternchen vom Himmel.«

»Nein, Brüder, ich will euch etwas ganz anderes erzählen«, begann Kostja mit feiner Stimme. »Hört mal, was Vater neulich erzählt hat.«

»Wir hören«, sagte Fedja mit herablassender Miene.

»Ihr kennt doch Gawrilo, den Zimmermann aus der Vorstadt?«

»Gewiß kennen wir ihn.«

»Wißt ihr aber, warum er immer so traurig ist und schweigsam, wißt ihr es? Er ist darum so traurig: Einmal ging er, so hat’s Vater erzählt, einmal ging er, Brüder, in den Wald nach Nüssen. Er ging also in den Wald nach Nüssen und verirrte sich; er kam Gott weiß wohin. Er geht und geht, Brüder, und kann den Weg nicht finden; es ist aber schon Nacht. So setzte er sich unter einen Baum: ›Ich will auf den Morgen warten.‹ Er setzte sich hin und schlief ein. Er schlief ein und hörte plötzlich, wie ihn jemand rief. Er sieht hin: Es ist niemand da. Er schlief wieder ein, und wieder rief man ihn. Er sieht wieder hin: Vor ihm sitzt auf einem Ast eine Nixe, sie schaukelt hin und her, ruft ihn zu sich und schüttelt sich vor Lachen . . . Der Mond leuchtet aber hell, so hell, so klar, Brüder, daß alles zu sehen ist. So ruft sie ihn zu sich und ist so hell und weiß, wie sie auf dem Ast sitzt, wie eine Plötze oder ein Gründling, oder es gibt auch solche weißliche, silberne Karauschen . . . Der Zimmermann Gawrilo war ganz starr vor Schreck, Brüder, aber sie lacht immer und lockt ihn mit der Hand zu sich. Gawrilo stand schon auf, wollte auf die Nixe hören, aber der liebe Gott gab es ihm ein, ein Kreuz zu schlagen . . . Es war ihm aber furchtbar schwer, das Kreuz zu schlagen, Brüder; er sagt, die Hand sei wie aus Stein gewesen, er hätte sie kaum bewegen können . . . Hast du es gesehen . . .! Als er das Kreuz geschlagen hatte, hörte die Nixe zu lachen auf und fing zu weinen an . . . Sie weint, Brüder, wischt sich mit den Haaren die Tränen aus den Augen, ihre Haare sind aber grün wie Hanf. Gawrilo guckte sie an und fing an, sie zu fragen: ›Was weinst du, du Waldkraut?‹ Die Nixe aber antwortete ihm: ›Hättest du kein Kreuz geschlagen, Mensch, so hättest du bis ans Ende deiner Tage mit mir in Freuden gelebt; ich weine aber und gräme mich, weil du das Kreuz geschlagen hast; aber ich werde mich nicht allein grämen: Auch du sollst bis ans Ende deiner Tage trauern.‹ – Da verschwand sie, und Gawrilo sah sofort, wie er aus dem Wald herauskommen konnte . . . Aber seitdem geht er so traurig herum.«

»Ach!« sagte Fedja nach kurzem Schweigen. »Wie kann bloß so ein Waldspuk eine Christenseele verderben! Er hat auf sie doch nicht gehört?«

»Was soll man machen!« sagte Kostja, »Gawrilo erzählte, sie hätte eine so feine und klagende Stimme gehabt wie eine Kröte.«

»Hat das dein Vater selbst erzählt?«

»Er selbst. Ich lag auf der Pritsche und hörte alles.«

»Eine merkwürdige Sache! Warum soll er traurig sein . . .? Er hat ihr wohl gefallen, daß sie ihn rief.«

»Ja, er hat ihr gefallen!« bestätigte Iljuscha. »Gewiß! Sie wollte ihn zu Tode kitzeln, das wollte sie. Das machen die Nixen immer!«

»Es muß doch auch hier Nixen geben«, bemerkte Fedja.

»Nein«, antwortete Kostja, »hier ist ein reiner, freier Ort. Eines nur: Der Fluß ist nah.«

Alle verstummten. Plötzlich ertönte irgendwo in der Ferne ein gedehnter, klingender, fast klagender Laut, einer der unerklärlichen nächtlichen Laute, die manchmal in der tiefsten Stille entstehen, aufsteigen, anhalten und endlich, langsam verhallend, ersterben. Wenn man genauer hinhorcht, so ist es nichts, und doch klingt es. Es war, als habe jemand ferne dicht unter dem Himmelsgewölbe geschrien, und ein anderer habe ihm im Walde mit einem feinen, scharfen Gelächter geantwortet, und ein schwacher, zischender Pfiff zog über den Fluß dahin. Die Jungen wechselten Blicke und fuhren zusammen . . .

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Data wydania na Litres:
10 grudnia 2019
Objętość:
510 str. 1 ilustracja
Właściciel praw:
Public Domain

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