Czytaj książkę: «Einmal morden ist nicht genug»
Inhalte
1 Titelangaben
2 Prolog
3 Kapitel 1
4 Kapitel 2
5 Kapitel 3
6 Kapitel 4
7 Kapitel 5
8 Kapitel 6
9 Kapitel 7
10 Kapitel 8
11 Kapitel 9
12 Kapitel 10
13 Kapitel 11
14 Kapitel 12
15 Kapitel 13
16 Kapitel 14
17 Kapitel 15
18 Kapitel 16
19 Kapitel 17
20 Kapitel 18
21 Kapitel 19
22 Kapitel 20
23 Kapitel 21
24 Kapitel 22
25 Kapitel 23
26 Kapitel 24
27 Kapitel 25
28 Kapitel 26
29 Kapitel 27
30 Kapitel 28
31 Kapitel 29
32 Kapitel 30
33 Kapitel 31
34 Kapitel 32
35 Kapitel 33
36 Kapitel 34
37 Kapitel 35
38 Kapitel 36
39 Kapitel 37
40 Kapitel 38
41 Kapitel 39
42 Kapitel 40
43 Kapitel 41
44 Kapitel 42
45 Danksagung
Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Phantasie der Autorin. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt. Nicht erfunden sind Veranstaltungen, Institutionen, Straßen und Schauplätze im Ruhrgebiet.
Alle Rechte vorbehalten,
auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe
sowie der Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2020
Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29
Titelfoto: © Günter Pilger
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-218-8
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
ISBN: 978-3-95475-207-2
Die Autorin
Irene Scharenberg ist in Duisburg aufgewachsen und hat hier Chemie und Theologie für das Lehramt studiert.
Seit 2004 sind zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien und Zeitschriften erschienen und in Wettbewerben ausgezeichnet worden. 2009 gehörte die Autorin zu den Gewinnern des Buchjournal-Schreibwettbewerbs, zu dem mehr als 750 Geschichten eingereicht wurden.
Irene Scharenberg ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Auch wenn sie heute am Rande des Ruhrgebiets in Moers lebt, so ist sie doch nach wie vor ihrer alten Heimat Duisburg und dem gesamten Pott sehr verbunden. »Einmal morden ist nicht genug« ist ihr neunter Kriminalroman mit dem liebenswert-kauzigen Kommissar Pielkötter.
Für Sabrina und Joachim
Prolog
In wilder Panik drehte Max sich nach hinten. Der Schweiß brannte in seinen Augen. Wie durch einen Schleier erkannte er die Konturen seines Verfolgers. Der Mörder, hämmerte es in seinem Schädel, der Mörder. Jeden Augenblick konnte er von einer Kugel getroffen werden. Nein, keine Kugel. Vor kaum einer Stunde hatte der Mann sein Opfer erschlagen, nicht erschossen. So würde Max sicher auch sterben, wenn er nicht schnell genug war. Das Blut rauschte in seinen Adern. Bäche von Schweiß rannen seinen Rücken hinunter. Wieder sah er den Toten vor sich. So durfte er nicht enden. Der Mann würde selbst zwei Leichen ohne große Probleme auf dem Firmengelände entsorgen können. Schließlich standen die Zementsäcke für den neuen Anbau schon auf dem Hof.
Max blickte erneut zurück. Wie erwartet kam sein Verfolger unaufhörlich näher. Außerdem schnitt er ihm den Weg zu seinem Roller ab, den er hinter ein paar Büschen versteckt hatte. Er musste den Kerl irgendwie stoppen. Ihm etwas zwischen die Beine werfen, ihn zum Stolpern bringen. Inzwischen hörte Max sogar schon seine Schritte, sein Keuchen. Gleich würde er ihn packen. Es hatte keinen Zweck, weiterzurennen. Ein Schwall Adrenalin schoss durch seine Adern. Blitzschnell drehte er sich um. Den überraschten Verfolger direkt vor sich zielte Max mit dem Fuß auf dessen Schienbein, dann auf seinen Schritt. Während der Kerl sich krümmte, spurtete Max los. Er musste schneller laufen, sonst holte ihn der Verfolger bald wieder ein.
Endlich erreichte Max das Firmentor. Hastig bog er zu der Seite ab, auf der die meisten Fahrzeuge parkten. Er musste sich dort irgendwie verstecken. Max hastete an einem PKW, an einem knallroten Lieferwagen und einem abgestellten Anhänger vorbei. Vor einem kleinen LKW stoppte er. Eilig löste er einige Schlaufen, mit denen die Plane an der gesicherten Ladeklappe befestigt war. Wenn er sich ganz dicht hinter die kleine Metallwand quetschen und der Kerl ins Innere schauen würde, konnte er ihn durchaus übersehen. Max hatte das noch nicht ganz zu Ende gedacht, da hörte er jemanden heranrennen. Scheiße. Das Blut pochte in seinen Schläfen. Ihm blieb keine Zeit, auch die letzte Schlaufe zu lösen und über die Ladeklappe zu klettern.
Mit schlotternden Knien warf sich Max unter den LKW. Wenige Sekunden später hatte der Mörder ihn erreicht. Max erkannte ihn an seinen Schuhen und der teuren schwarzen Hose mit den etwas zu kurzen Beinen. Unwillkürlich hielt er die Luft an. Der Kerl näherte sich. Er inspizierte den Laderaum und schickte sich offensichtlich an, die Plane weiter zu öffnen. Max hoffte, er würde hineinsteigen, um ihn zwischen den Kisten zu suchen. Dann hätte er Zeit, zu verschwinden. Nein, seine Beine blieben am Boden! Max wagte weiterhin kaum zu atmen. Schweiß tropfte von seiner Stirn. Jetzt, jetzt wird er sich hinunterbeugen, ging es ihm durch den Kopf, während seine Knie unkontrolliert zu zittern begannen. Und dann hörte er ihn fluchen: »Scheiße, der Mistkerl ist dort hinten. Warte, dich hab ich gleich.«
Der Mann lief los. Für einige Sekunden fühlte Max sich wie gelähmt, dann kroch er eilig unter dem LKW hervor und rannte so schnell er konnte in die andere Richtung. Es war die richtige, wenn er nach Hause wollte. Aber würde er es bis dahin schaffen?
Kapitel 1
Max Hölterhoff, eigentlich Maximilian, den Namen würde er seinen Eltern niemals verzeihen, stand auf dem Hof der Firma Teppichhandel Thorben Hachlinger im Gewerbegebiet Duisburg-Neuenkamp und schnippte die Asche von seiner Zigarette. Stoßweise blies er den Rauch aus. Er sah ihm nach, bis er sich aufgelöst hatte, und fragte sich, wie lange dieser elende Kunde noch im Büro seines Chefs abhängen würde. Missmutig blickte Max auf die billige Armbanduhr am linken Handgelenk. Seine Arbeitszeit war seit etwa fünfzig Minuten beendet und noch immer hatte sich keine Gelegenheit gefunden, mit dem Chef zu sprechen. Übermorgen fand das Auswärtsspiel seines Lieblingsvereins statt, bei dem Max unbedingt dabei sein wollte, aber dazu brauchte er von seinem Chef dringend ein paar Stunden eher Feierabend, wenn nicht gar einen ganzen Urlaubstag.
Max schaute nach unten auf seine Schuhe, die dringend geputzt werden mussten. Schließlich legte man in der Firma wegen der Kunden Wert auf das äußere Erscheinungsbild. Sein Mund verzog sich augenblicklich zu einem verächtlichen Grinsen. Alles Fassade. Max traute Thorben Hachlinger nicht zu, dass die Geschäftsbücher in Ordnung waren. Allerdings konnte er als Kleinganove, dessen Bewährungsfrist noch lange nicht abgelaufen war, Hachlinger Unregelmäßigkeiten kaum verübeln. Max warf die Kippe auf den Boden und trat sie aus. Für einen Moment erwog er, sie aufzuheben, aber dann kickte er sie einfach mit der Fußspitze etwas näher an die Wand.
Eine Frage beschäftigte ihn immer wieder. Hatte sein Chef ihn nur wegen Hannos Fürsprache eingestellt? Natürlich war sein Kumpel Hanno bei Hachlinger aus irgendeinem Grund gut angesehen, aber hatte das wirklich den Ausschlag gegeben? Max wurde das Gefühl nicht los, dass etwas anderes dahintersteckte und garantiert nicht Thorben Hachlingers Gutherzigkeit. Möglicherweise hatte der Chef vor, ihn später mal für eine windige Sache einzusetzen, zumal er seine kriminelle Vergangenheit kannte. Irgendetwas lief hier neben dem normalen Teppichgeschäft, darauf würde er wetten. Gespräche, die plötzlich verstummten, wenn er oder andere unbedarfte Kollegen sich näherten. Die helle Aufregung, als die Polizei einmal auf dem Firmengelände aufgetaucht war. Dabei hatten die nur nach einem mutmaßlichen Dieb gesucht, der sich auf dem Gelände verirrt oder versteckt haben sollte. Leider blockte Hanno in dieser Angelegenheit. Er tat seine Vermutung als Spinnerei ab und basta. Hatte er vom Chef genaue Instruktionen bekommen, wie weit er seinen Freund einweihen durfte?
Max wollte gerade laut seufzen, da öffnete sich die Tür zum Trakt, in dem sich das Büro des Chefs befand. Heraus trat ein Mann mittleren Alters mit getönter Brille und schütterem dunklen Haar. Eine dicke Strähne lag quer über seinem Kopf und schien seine Glatze eher richtig in Szene zu setzen, als zu kaschieren. Der Mann nickte Max gedankenverloren zu und lief dann in Richtung Straße. Max verlor keine Zeit und stürmte in das Firmengebäude. Im Vorraum zum Büro des Chefs saß normalerweise Hachlingers Sekretärin mit auffälligem Lippenstift und stets frisch manikürten Fingernägeln. Die Madame, wie er sie wegen ihres herrischen Gehabes insgeheim immer nannte, war durchgestylt bis zum Anschlag. Nur das dunkle Muttermal über der linken Augenbraue, das ihn seltsamerweise an eine Schlange erinnerte, störte das attraktive Erscheinungsbild. Sie selbst sah das wahrscheinlich anders, sonst hätte sie das Mal in ihrem Gesicht besser kaschiert oder vielleicht einfach von einem Arzt entfernen lassen. Womöglich auf Kosten des Chefs. Maximilian unterdrückte den aufkommenden Lachreiz. Er würde viel darauf verwetten, dass sie ein Verhältnis mit Thorben Hachlinger hatte. Okay, der Mann war frisch geschieden, aber hatte die Madame wirklich so lange abgewartet oder war sie vielmehr der Grund für die Scheidung?
Jedenfalls hatte sie das Gelände zum Glück bereits verlassen und das Vorzimmer war unbesetzt. Max drückte die Klinke hinunter, ohne vorher anzuklopfen. Die Tür, die zum Reich des Chefs führte, stand einen Spalt offen und er hörte Hachlingers Stimme. Max blieb abrupt stehen. Hatte der Boss noch Besuch oder telefonierte er gerade? Auf jeden Fall war es nicht ratsam, ihn zu stören. Erst recht nicht, wenn er ihn für sein Anliegen gnädig stimmen wollte.
»Du mieser Erpresser!«, schrie sein Chef plötzlich recht laut und hörbar verärgert.
Von einer unsichtbaren Macht angezogen verharrte Max an der Tür. »Du steckst doch da genauso drin wie ich. Bei den meisten Geschäften hast du mitgemacht. Und die Sache mit Krishan Kumar hast du sogar ganz allein durchgezogen. Mit einem international Gesuchten! Das war mir viel zu riskant. Ich möchte nicht wissen, wie viele Rupien dir der stinkreiche Inder für die illegale Einreise zur Hochzeit seiner Tochter in Good Old Germany gezahlt hat.«
Das war der Beweis! Anscheinend lief neben dem offiziellen Teppichhandel tatsächlich ein lukratives Zweitgeschäft. Versteckte man zahlungswillige Einwanderer, die sonst nicht nach Europa einreisen durften, in den Lastwagen mit der angelieferten Ware?
»Was heißt das?«, schimpfte Hachlinger mit einem Mal außer sich, so dass Max unwillkürlich zusammenzuckte. »Du willst dich aus Deutschland absetzen?« Eine Weile redete Hachlinger nicht mehr. Anscheinend hörte er seinem Gesprächspartner zu. Max fragte sich schon, ob er das Telefonat gleich beenden würde, und stellte sich darauf ein, eilig den Rückzug anzutreten. Auf keinen Fall durfte er seinem Chef jetzt begegnen, Fußballspiel hin oder her.
»Dass ich dir eine solche Summe gebe, bleibt eine einmalige Angelegenheit, damit das von vornherein klar ist«, sprach Hachlinger doch weiter, als Max schon nicht mehr damit gerechnet hatte. »Und sofort geht auch nicht. Ich kriege selbst erst in zwei Tagen die nächste Zahlung. Der Geldbote kommt am Nachmittag. Aber ich hab danach nicht sofort Zeit. Du kannst am Abend auflaufen, sagen wir um zehn.«
Max hatte genug gehört. Außerdem vermutete er, dass der Chef das Gespräch gleich beenden würde. Lautlos schlich er hinaus. Im Flur hastete er zum Ausgang. Dabei drehte er sich immer wieder um, als ob Hachlinger jeden Moment auftauchen könnte. Er verzichtete darauf, seine Jacke aus dem Spind zu holen und hetzte nach draußen. Während er das Gebäude verließ, reifte in ihm ein Plan. Hachlinger würde das Geld übermorgen garantiert in seinem Tresor deponieren, bevor sein Kumpan am späten Abend erschien. Und mit Tresoren kannte Max sich aus. Bliebe nur zu hoffen, dass der Chef nicht die ganze Zeit davorsitzen würde und das Büro eine Weile unbesetzt wäre.
Kapitel 2
Barnowski saß mit einem Morgenkaffee an seinem Schreibtisch und fuhr sich durch das volle schwarze Haar. Zuerst, als sein Chef dienstunfähig geworden war, hatte er überlegt, in Pielkötters wesentlich größeres Büro zu wechseln, aber als er die ersten persönlichen Sachen hinüberschaffen wollte, hatte ihn ein ungutes Gefühl davor zurückschrecken lassen. Er hatte das Bild von Gaby aus dem letzten Urlaub und seinen Ablagekorb, der statt aus Staatsbesitz aus einem Einrichtungshaus seines Vertrauens stammte, wieder an ihren alten Platz gestellt. Schließlich wollte er, auch wenn er sich das vor allzu langer Zeit nicht hätte träumen lassen, dass Pielkötter wieder zurückkam, Verstärkung durch Nadine Schönling hin oder her. Zweifellos war er mit der jungen Frau, die ihm nun endlich als Kommissaranwärterin zur Seite gestellt wurde, sehr gut zurechtgekommen, als sie während ihrer Ausbildung bei ihnen reingeschnuppert hatte. Allerdings würde sie Pielkötters Erfahrung nicht ersetzen können. Wo die Dame nur blieb? Eigentlich sollte sie um acht Uhr ihren Dienst antreten und nun zeigte die Uhr bereits achtundzwanzig nach. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da klopfte es an seiner Tür.
»Ja, bitte!«, sagte er laut und fuhr sich schnell noch einmal durch das Haar.
Wenige Augenblicke später trat eine junge Frau ein, die er als Nadine Schönling erkannte, auch wenn sie sich sehr verändert hatte. Zu ihrem Vorteil, überlegte er, während er ihr ein strahlendes Lächeln schenkte. Dabei war sie schon vor ein paar Jahren recht attraktiv gewesen. Schmales Gesicht, hohe Wangenknochen und dann diese ausdrucksvollen braun-grünen Augen, die ihm aus einer modischen Oversize-Brille freundlich entgegenblickten. Das Schlaksige, an das er sich meinte erinnern zu können, war zugunsten von Rundungen an den richtigen Stellen verschwunden.
»Tut mir leid, dass ich so spät dran bin, Bernhard«, begrüßte sie ihn. »Der stellvertretende Polizeipräsident hat mich so lange aufgehalten. Übrigens, ich darf dich doch wohl noch beim Vornamen nennen? Auch wenn du jetzt noch etwas mehr mein Vorgesetzter bist als damals im Praktikum.«
»Klar, Mann!«, erwiderte er lachend, »ne, klar, Nadine, meine ich. Jedenfalls freue ich mich sehr, dass ich dich als Verstärkung bekomme.«
»Ich mich auch. Es ist meine erste Stelle als Anwärterin und da beruhigt es mich, dass ich den Laden hier schon ein wenig kenne.« Inzwischen stand sie vor seinem Schreibtisch und reichte ihm ihre Hand.
Barnowski schlug ein. »Auf gute Zusammenarbeit.«
»Gib es im Moment einen ungeklärten Mordfall, in den ich mich reinknien muss?«
»Nee, zum Glück nicht. Nur jede Menge Schreibkram, bei dem du mir helfen kannst.« Er stockte. »Allerdings kann sich das mit dem Mord schnell ändern.«
»Und an welchem Platz soll ich arbeiten?«
Barnowski zog die Stirn kurz in Falten. »Man hat dir also noch keinen Schreibtisch zugewiesen. Hm, Pielkötters Büro ist ja frei. Aber falls es dir lieber ist, stellen wir noch einen Schreibtisch hier bei mir unter. Wäre zwar etwas eng, aber wir rücken ja gerne zusammen.« Er lachte. »Außerdem weiß man nicht, ob Pielkötter vielleicht bald wiederkommt.«
»Ehrlich gesagt, wäre mir die beengte Variante lieber«, erwiderte sie. »Am Anfang habe ich bestimmt jede Menge Fragen und dann brauche ich nicht immer zu telefonieren oder zu dir zu laufen.«
Kapitel 3
Pielkötter saß Doktor Salzbach im Sprechzimmer der Norderneyer Kur- und Rehabilitationsklinik am Deich mit bleichem Gesicht gegenüber. Die ruhige bedächtige Art seines Arztes mochte normalerweise wohltuend wirken, aber im Moment zerrte sie einfach nur an Pielkötters Nerven. Schließlich ging es um seine Zukunft. Warum sah Salzbach ihn einfach nur durchdringend an und spannte ihn weiter auf die Folter? Er wollte endlich wissen, ob er bald wieder seinen Dienst antreten konnte. Die Beweglichkeit seines Schultergelenks und des kranken Arms hatte in den letzten Tagen enorm zugenommen, aber würde das reichen?
»Wie mir zu Ohren gekommen ist, gehören Sie in unserer Klinik immer noch nicht zu den Musterpatienten«, begann der Arzt endlich zu sprechen.
Pielkötter unterdrückte mühsam ein Seufzen. Salzbach hatte damit durchaus Recht, aber darum ging es doch jetzt nicht. Für den Fall Immenhoff hatte er schließlich keine Therapiestunden versäumt.
»Unverbesserlich, würde ich sagen, einfach unverbesserlich« Salzbach deutete kurz ein Lächeln an, dann wurde er wieder sehr ernst. »Allerdings haben Sie gerade in der letzten Woche große Fortschritte gemacht. Deshalb habe ich keine Handhabe mehr, Sie noch länger in der Klinik zu behalten, auch wenn Ihnen das sicher guttun würde. Wie ich Ihnen schon beim letzten Gespräch unter Vorbehalt mitgeteilt habe, werden Sie morgen entlassen.«
Pielkötter freute sich natürlich auf Zuhause, erleichtert fühlte er sich durch die Ankündigung allerdings noch nicht. Schließlich musste die Entlassung nicht unbedingt heißen, dass er wieder dienstfähig sein würde. »Und meine Arbeit?«, fragte er mit einem dicken Kloß in der Stimme.
»Keine Sorge, ich weiß, wie wichtig es Ihnen ist, so bald wie möglich wieder Ihren Dienst aufzunehmen.«
Während der Arzt redete, schoss Pielkötter Adrenalin in die Adern, als müsse er sich auf einen Kampf vorbereiten.
»Nun, ich selbst kann nur Vorschläge machen«, fuhr Salzbach fort. »Ihr Arzt in Duisburg wird dann entscheiden, ob er sie umsetzen möchte oder nicht.«
»Was also schlagen Sie vor?«, brachte Pielkötter mühsam heraus und versuchte, das leichte Zittern seiner Hände zu verbergen, indem er sie gegen die Oberschenkel presste.
»Hamburger Modell. Das heißt stufenweise beziehungsweise gestaffelte Wiederaufnahme Ihres Dienstes. Damit werden Sie kontinuierlich an die Belastungen Ihres Arbeitsplatzes herangeführt. Der behandelnde Arzt legt dabei auch die möglichen Tätigkeiten fest.« Salzbach sah Pielkötter durchdringend an. »Dass Verbrecherjagd für Sie vorerst entfällt, versteht sich von selbst. Ich denke, Sie werden in der ersten Zeit vorwiegend an Ihrem Schreibtisch sitzen und die Kollegen oder Mitarbeiter beraten. Aber wie ich bereits erwähnte, entscheidet Ihr Arzt in Duisburg. Er muss sich nicht zwingend an meine Vorschläge halten.« Salzbach erhob sich und Pielkötter tat es ihm gleich. Er reichte Pielkötter zum Abschied die Hand und sah ihm direkt in die Augen. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, und ich bin zuversichtlich, dass Sie wieder ganz hergestellt werden können. Allerdings nur, wenn Sie auch zu Hause weiterhin regelmäßig Ihre Übungen machen.«
Das hörte sich doch gar nicht so übel an. Pielkötter lächelte zum ersten Mal seit langer Zeit.
Aufgewühlt lief Pielkötter den Gang entlang, der zu seinem Zimmer führte. Noch war nicht alles entschieden, aber jetzt kam er erst einmal nach Hause. Vor allem freute er sich auf das Wiedersehen mit seinem Sohn und mit seiner Frau Marianne. Es hatte ihn sehr bedrückt, sie während ihres Krankenhausaufenthaltes und in den Tagen danach nicht unterstützen zu können. Zum Glück hatte sich das entfernte Gewebe als harmlose Zyste erwiesen und nach eigenen Aussagen schien es ihr wieder ganz gut zu gehen. Nur das Tragen schwerer Sachen und körperliche Anstrengung waren ihr noch untersagt.
Pielkötter beschleunigte seinen Schritt. Auf einmal konnte er es kaum noch abwarten, mit ihr zu telefonieren. Nachdem er die Tür zu seinem Zimmer hinter sich geschlossen hatte, setzte er sich aufs Bett und zog sein Smartphone aus der Hosentasche.
»Ich bin’s, Willibald.«
»Hast du inzwischen mit diesem Doktor Salzbach gesprochen?«, fragte Marianne mit einem ängstlichen Unterton, den sie nicht vor ihm verbergen konnte.
»Ja, und stell dir vor, ich werde morgen entlassen. Mit Wiedereingliederung und einer gewissen Chance auf Erfolg.«
»Ich freu mich so für dich. Und bin natürlich froh, dich endlich wiederzusehen. Hätte die Reha länger gedauert, wäre ich noch einmal zu Besuch nach Norderney gekommen, selbst wenn mein Arzt mir davon abgeraten hätte.«
Ihre Worte gefielen ihm, auch wenn sie ihn sehr nachdenklich stimmten, denn sogleich wurde ihm bewusst, was sie nun endlich klären müssten. Sie lebten immer noch getrennt. Vor seiner Verletzung hatte er den Zustand akzeptiert, wenn auch nur äußerst ungern, und dann war er zuerst ins Krankenhaus, dann in die Reha gekommen. Was für eine Lebensform aber schwebte Marianne nach seiner Rückkehr vor? Er hatte dieses Thema erfolgreich verdrängt. Der ungewisse Ausgang seiner Rehamaßnahme hatte im Vordergrund gestanden. Daher hatten sie bisher darüber nicht miteinander gesprochen. Vielleicht war es besser, damit zu warten, bis er zurück wäre?
»Du, Marianne, könntest du dir vorstellen, wieder in unser Haus zu ziehen, wenn ich wieder in Duisburg bin?« So, nun war es doch schon heraus. Was würde sie sagen? Er wartete, fühlte sich, als sei er in einem dienstlichen Einsatz mit ungewissem Ausgang. Warum antwortete Marianne nicht? An seiner Frage war ja nichts missverständlich. Hatte sie das denn bisher überhaupt nicht in Erwägung gezogen? Bei diesem Gedanken krampften sich seine Magenmuskeln leicht zusammen.
Marianne räusperte sich. »Also, das geht mir jetzt etwas schnell. Ich kann nicht einfach so von heute auf morgen meine Wohnung aufgeben. Nachher klappt es mit unserem Zusammenleben nicht und dann ...«
Pielkötter fühlte sich wie nach einem Faustschlag, obwohl er eine solche Antwort nicht ausgeschlossen, ja befürchtet hatte. »Aber wir haben doch schon unser halbes Leben zusammengelebt.«
»Willibald, wir haben uns beide verändert«, erklärte sie seufzend.
»Nach meiner OP hast du versprochen, zu mir zu halten«, rutschte ihm raus, obwohl er davon nicht hatte anfangen wollen.
»Das will ich immer noch. Nur mit dem Zusammenziehen sollten wir vorsichtig sein.«
»Verstehe«, presste er hervor. »Lass uns ein anderes Mal darüber reden. Ich muss jetzt los. Sonst verpasse ich meine Therapie. Bis dann.«
Nachdem er aufgelegt hatte, stapfte er eine Weile wütend auf sich selbst im Zimmer auf und ab. Schließlich lief er zur Balkontür, öffnete sie und starrte hinaus. Er hatte keinen Termin. Warum hatte er Marianne angelogen? Er verabscheute Lügen. Ihm war es jedoch unmöglich erschienen, dieses Gespräch weiterzuführen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Allerdings hatte Marianne vielleicht sogar ein wenig Recht. Heutzutage gab es viele Paare, die in getrennten Wohnungen lebten. Egal, ihre Reaktion saß irgendwo in seinem Körper wie ein Stachel.