Czytaj książkę: «DRECKSPACK», strona 2

Czcionka:

„Ich befinde mich an einer Bank vor dem Hintereingang der Stiftskirche und habe vermutlich die Kleidung der Toten gefunden“, sagte er.

„Wir kommen.“ Fuchs reagierte sofort und drängelte sich an Tatjana Struck vorbei, die das nicht unkommentiert ließ. Frau Struck war heute sehr mies gelaunt, was ihm mehr und mehr auf die Nerven ging. Eine Abwechslung kam ihm da sehr gelegen. Er sah Leo Schwartz, wie der sich an einer Bank abstützte.

„Sie sollten zum Arzt gehen“, sagte Fuchs zu Leo.

„Da war ich schon.“

Mehr wollte Fuchs zum Zustand seines Kollegen nicht sagen. Das Befinden seiner Kollegen gehörte nicht zu seinem Aufgabengebiet. Außerdem war Herr Schwartz alt genug, um sich selbst um seinen Gesundheitszustand zu kümmern.

„Gibt es eine Handtasche, ein Handy, oder dergleichen?“ Leo hatte ohne Handschuhe nicht gewagt, die Plastiktüte zu durchsuchen.

„Nein. Nur Kleidung und Schuhe, mehr leider nicht.“

Fuchs hatte alles im Griff, deshalb konnte Leo endlich weitergehen. Er musste mehrere Passanten nach der nächstgelegenen Apotheke fragen, bis er endlich an seinem Ziel in der Bahnhofstraße angekommen war. Er riss sich zusammen, denn je näher er der Apotheke kam, desto größer wurden die Schmerzen.

Eine Frau kümmerte sich um ihn und nahm ihm das Rezept ab, das er in der Hand hielt.

„Wollen Sie sich setzen? Sie sehen nicht gut aus.“ Die Frau schien ernsthaft besorgt.

Leo erschrak. Die Schmerzen waren tatsächlich nicht mehr ganz so schlimm. Gab er solch ein jämmerliches Bild ab?

„Danke, aber das geht schon“, sagte er und ärgerte sich, dass er sich so gehen ließ. Leo wusste, dass er nicht sehr leidensfähig war, was er aber niemals freiwillig zugeben würde. Er lächelte die junge Frau an, die neben ihm stand und von einem Mann bedient wurde. Es schien ihr peinlich zu sein, dass sie nach Schlafmitteln verlangte, die es nur in geringer Menge gab. Schweigend hörte sie sich die Belehrungen des Apothekers an, bevor sie endlich die Schlafmittel bekam. Sie steckte sie in ihre Tasche. Dabei verhakte sich die Verpackung und fiel auf den Boden. Wenn Leo fit gewesen wäre, hätte er sie aufgehoben, aber dazu fühlte er sich nicht in der Lage. Die Frau kniete sich auf den Boden und steckte die Packung rasch in ihre Handtasche, deren Inhalt für einen kurzen Moment sichtbar wurde. Leo erschrak, denn darin befanden sich mehrere Medikamentenverpackungen. Ihm war sofort klar, dass es sich dabei auch um Schlafmittel handeln musste.

„Dann bekomme ich von Ihnen fünf Euro neunzehn Zuzahlung“, sagte die Frau hinter dem Tresen. Leo schob ihr einen zehn Euroschein zu. Als Schwabe hätte er auf das Restgeld pochen müssen, aber er war auch Polizist. Jede Sekunde zählte, denn er musste dringend mit der Frau sprechen, die bereits die Apotheke verlassen hatte. Als er die Schmerzmittel an sich nahm, war er für einen Moment irritiert. Hatte er die nicht auch schon in diversen Werbungen gesehen? Konnte es sein, dass ihm der Arzt für die heftigen Schmerzen nur ein handelsübliches Mittel verschrieben hatte, das es an jeder Ecke zu kaufen gab? Darum musste er sich später kümmern, jetzt gab es Wichtigeres.

„Stimmt so“, sagte er deshalb und lief der Frau hinterher. Im Gehen nahm er eine Tablette. Wie lange wohl die Wirkung auf sich warten ließ? Er biss die Zähne zusammen, denn er spürte jeden Schritt, wobei die Schmerzen seltsamerweise nicht mehr ganz so schlimm waren. Wirkten die Tabletten so schnell? Konnte das sein? Die junge Frau lief Richtung Bahnhof. Ob er es schaffte, sie zu erreichen? Zum Glück kam eine Gruppe Wallfahrer mit hunderten von Gläubigen vom Bahnhof her auf ihn zu. Diese Gruppe, die von einem Mann mit einem riesigen Kreuz angeführt wurde, blockierte die ganze Bahnhofstraße. Leo kannte das schon. Er hatte schon oft gesehen, wie rücksichtlos manche Wallfahrerzüge vorgingen, um sich den Weg zum Ziel, der Gnadenkapelle auf dem Altöttinger Kapellplatz, zu bahnen. Normalerweise würde er sich darüber aufregen, aber diesmal kam ihm die Rücksichtslosigkeit entgegen. Die junge Frau, die er schon fast verloren glaubte, musste anhalten und kam nur schrittweise vorwärts, was ihm Zeit gab, aufzuholen. Er war nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Dann steckte auch er fest. Er wurde angerempelt und rücksichtslos zur Seite gedrängt, was seinem Rücken nicht guttat und ihn wütend machte. Am liebsten hätte er jeden einzelnen verhaftet, aber dafür war keine Zeit. Er hielt Ausschau nach der Frau, die es geschafft hatte, an dem Wallfahrerzug vorbeizugehen. Leo war sauer und drängelte nun seinerseits zurück, was von den Teilnehmern des Wallfahrerzuges mit Beschimpfungen quittiert wurde. Leo war das egal. Er hatte nur noch die Frau im Blick, die jetzt an der Fußgängerampel kurz vor dem Bahnhof stehenbleiben musste. Super, vielleicht erreichte er sie doch noch. Er versuchte, die Schmerzen zu ignorieren und konnte schneller gehen, als er sich endlich an der Gruppe vorbeigedrängelt hatte. Die Ampel schaltete auf grün und die Frau hatte bereits einen Fuß auf die Straße gesetzt, als Leo sie zurückhielt.

„Kriminalpolizei“, keuchte er und hielt ihr seinen Ausweis vor. „Papiere!“ Mehr brachte er nicht hervor. Der kurze Fußweg von der Apotheke bis hierher war für ihn ein wahnsinniger Kraftaufwand gewesen; er war völlig fertig.

Die Frau starrte Leo erschrocken an. Dann kramte sie umständlich in ihrer Tasche, wobei sie bemüht war, dass er den Inhalt nicht sehen konnte.

„Regina Liebers“, las Leo laut. „Sie wohnen in Kastl?“

„Ja. Was habe ich angestellt?“

Leo sah sich um. Hier direkt an der Kreuzung war kein geeigneter Platz für eine Befragung. Außerdem musste er sich setzen. Der Gasthof gegenüber hatte noch zu. Dann entdeckte er auf der anderen Straßenseite neben dem Bahnhofsvorplatz den Omnibusbahnhof mit mehreren Bänken.

„Gehen wir dort rüber, dann erkläre ich es Ihnen“, sagte Leo und versuchte ein gequältes Lächeln. Die Schritte wurden schwerer und schwerer. Als eine der Bänke des Omnibusbahnhofes in greifbare Nähe kam, konnte er es kaum erwarten, sich endlich setzen zu können. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich langsam nieder. Geschafft. Er brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. Außerdem war er immer noch, oder schon wieder, außer Atem.

„Geben Sie mir Ihre Tasche“, sagte Leo, auch wenn ihm klar war, dass er dazu nicht befugt war. Er hatte die erschrockenen Augen der zweiunddreißigjährigen Frau gesehen und hatte Mitleid mit ihr. Außerdem spürte er, dass sie Angst hatte.

Wortlos übergab ihm Regina Liebers die Tasche. Leo bemerkte sehr wohl, dass sie zitterte. Waren das Tränen in ihren Augen?

Er öffnete die Tasche und sah eine riesige Menge Medikamente. Er nahm eine Packung nach der anderen – alles Schlafmittel.

„Das sind ganz schön viele. Was haben Sie damit vor?“ Leo sprach so ruhig wie möglich.

Jetzt weinte Frau Liebers. Leo sah keinen Ring an ihrem Finger. Ob er sie einfach in den Arm nehmen und trösten sollte? Nein, das wagte er nicht. Er gab ihr ein Taschentuch und schämte sich, wie übel und zerknittert das aussah.

„Das ist unbenutzt, auch wenn es nicht so aussieht“, entschuldigte er sich.

Jetzt lächelte sie und nahm es trotzdem. Leo war erleichtert.

„Wollen Sie mir nicht antworten? Was haben Sie mit den vielen Tabletten vor?“

Die Frau sagte immer noch nichts.

„Sehen Sie sich doch um, Frau Liebers! Es ist Frühling! Die Natur explodiert und die Vögel geben ihr Bestes. Das Leben ist schön und Sie sind jung. Warum wollen Sie Ihr Leben wegwerfen? Ich bin sicher, dass Sie noch sehr viel daraus machen können.“

„Die Tabletten sind nicht für mich“, sagte sie und starrte Leo an.

„Nicht? Da bin ich aber erleichtert! Wenn die nicht für Sie sind, für wen sind sie dann?“

„Für meinen Onkel. Er ist schwer krank und möchte nicht mehr leben.“

Leo war sauer. Auch wenn er die Beweggründe des Onkels vielleicht verstehen würde, durfte er seine Nichte dazu nicht missbrauchen. Er musste mit dem Onkel sprechen und ihm ins Gewissen reden.

„Was passiert jetzt? Es war nicht leicht, an die Schlafmittel zu kommen. Seit Tagen klappere ich eine Apotheke nach der anderen ab.“

„Ich verstehe. Die Abgabemenge darf nicht groß sein, deshalb müssen Sie sammeln.“

Regina Liebers nickte nur.

Bevor sich Leo den Onkel vornahm und der sich eine Predigt anhören durfte, brauchte er mehr Details.

„Erzählen Sie mir von Ihrem Onkel. Vor allem interessiert mich, warum er Sie um diesen Gefallen bat.“

Während sich Leo mit Frau Liebers unterhielt, hatten Hans Hiebler und Diana Nußbaumer endlich Bruder Clemens gefunden. Er befand sich in der Sakristei der Basilika. Hans war genervt, denn sie hatten lange suchen müssen. Außerdem gab es zwei Besucher in der Basilika, die sich über den kurzen Rock und das schulterfreie Top Dianas aufregten. Während Diana die blöden Sprüche ignorierte und einfach weiterging, legte sich Hans mit den beiden an und stauchte sie zusammen.

„Lass sie doch reden“, sagte Diana, die sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.

„Diese Pseudoreligiösen gehen mir tierisch auf die Nerven! Vor allem die Frau war sehr unverschämt. So etwas kann ich auf den Tod nicht ausstehen.“

„Wie kann ich helfen?“, fragte Bruder Clemens und sah Diana abschätzend an.

„Kriminalpolizei. Mein Name ist Hiebler, das ist meine Kollegin Nußbaumer. Kennen Sie diese Frau?“ Hans hielt ihm sein Handy vor, worauf sich der Mann bekreuzigte.

„Ist sie tot?“

„Ja. Kennen Sie die Frau?“

„Nein, ich denke nicht.“

„Sie sind sich nicht sicher?“

„Entschuldigen Sie, aber auf dem Bild kann man nicht viel erkennen. Wie kommen Sie darauf, dass ich die Frau kennen könnte?“

„Sie war gestern Abend an der Pforte des Klosters und hat nach Ihnen gefragt.“

„Nach mir?“

„Bitte kommen Sie mit und sehen Sie sich die Frau an. Vielleicht können Sie sich doch erinnern.“

Die drei gingen zurück in die Stiftskirche. Fuchs hatte die Kleidungsstücke an sich genommen und war wieder zurück am Tatort. Er und seine Mitarbeiter waren fertig und gerade dabei, die Absperrungen zu beseitigen.

„Dürfen wir einen Blick auf die Leiche werfen?“, fragte Diana den Leiter der Spurensicherung und lächelte ihn an.

„Sie müssen sich beeilen, die Leiche wird jeden Moment weggebracht“, sagte Fuchs und lächelte zurück, auch wenn er dabei kaum die Mundwinkel bewegte.

Bruder Clemens bekreuzigte sich und ging langsam auf die Leiche zu, die immer noch auf dem Tilly-Sarg lag. Hans schlug das Tuch zur Seite. Das Gesicht der Toten lag genau auf dem Sichtfenster des Sarges, das sonst Besuchern den Blick auf den Schädel Tillys freigab. Rote Locken umrahmten das Gesicht, auf dem Hinterkopf war eine klaffende Wunde, die den größten Teil des Haares blutdurchtränkt hatten. Das Blut glänzte immer noch im Schein der Deckenlampe der Tilly-Gruft, ohne Fuchs‘ Lampen allerdings gedämpfter. Die Augen der Frau waren geschlossen. Die rotgeschminkten Lippen waren geradezu perfekt, der Rest sah schrecklich aus.

„Und? Kennen Sie die Frau?“, drängelte Hans.

Anfangs war Bruder Clemens angewidert und wollte verneinen, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Konnte das sein? Nein, das war doch nicht möglich! Er trat näher an die Leiche und strich vorsichtig das Haar zur Seite.

„Ich bin mir nicht sicher, aber das könnte Hildegard Bückler sein“, flüsterte er und trat zurück, wobei er strauchelte und fast gefallen wäre, wenn Hans ihn nicht gestützt hätte.

„Wer ist Hildegard Bückler?“

„Sie ist die Schwester meines bestens Freundes Norbert“, stammelte Bruder Clemens. „Wir wuchsen in Erding auf und waren unzertrennlich. In der Schule saßen wir immer nebeneinander. Auch, als wir beide aufs Gymnasium gingen. Jede freie Minute verbrachten wir gemeinsam, obwohl wir sehr unterschiedliche Interessen entwickelten. Norbert machte viel Sport, während ich lieber las und Geige spielte. Trotzdem haben wir uns immer gut verstanden. Nach dem Abitur hat das Leben seine Weichen gestellt und wir haben uns aus den Augen verloren. Es kam nicht selten vor, dass ich das sehr schade fand. Vor drei Monaten stand Norbert plötzlich vor mir und teilte mir mit einem strahlenden Lächeln mit, dass er sich in Burghausen selbständig machen wolle. Das würde natürlich auch bedeuten, dass er künftig hier leben würde. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe. Die Aussicht darauf, mit meinem besten Freund wieder regelmäßig verkehren zu können, hat mich sehr gefreut. Auch wenn wir beide sehr unterschiedliche Leben führen, fühlten wir sofort wieder die Verbundenheit zwischen uns. Und jetzt ist Hildegard tot. Was wollte sie von mir? Und wo ist Norbert? Es wird ihm doch nichts passiert sein?“ Bruder Clemens sah Hans mit weit aufgerissenen Augen an. Dann griff er unter die Kutte und zog ein Handy hervor, das er mit zitternden Händen einschaltete. Er versuchte wieder und wieder seinen Freund zu erreichen, es meldete sich aber nur die Mailbox. Dort hinterließ Bruder Clemens mehrere Nachrichten.

„Er meldet sich nicht. Da muss etwas passiert sein, denn Norbert geht sonst immer ans Telefon. Ich bitte Sie: Helfen Sie mir.“

„Wir kümmern uns darum. Wo wohnt Ihr Freund?“

„Momentan im Hotel Eichenhof in Burghausen. Er hat trotz großer Bemühungen noch keine passende Wohnung gefunden. Das kann ich verstehen, denn der Aufbau seiner Firma hat Vorrang.“

„Hat Ihr Freund Familie?“

„Nein. Nach dem Tod der Eltern hatte er nur noch Hildegard.“

„Was macht er beruflich?“

„Er ist Versicherungsmakler, wie sein Vater es war. Er hatte damals die Firma seines Vaters übernommen, aber es war irgendwie nie seine eigene. Auf einer Fortbildung hat er einen Kollegen aus Burghausen kennengelernt und beide wollten sich hier in Burghausen eine gemeinsame Firma aufbauen.“

„Warum hier und nicht in Erding?“

„Das müssen Sie ihn selbst fragen. Auch wenn Norbert nicht von hier ist, würde er in kürzester Zeit sehr erfolgreich werden, davon bin ich überzeugt. Norbert war immer schon sehr ehrgeizig. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt, zieht er das gnadenlos durch.“

„Was ist mit ihr?“, zeigte Diana auf die Tote. „Hatte sie Familie?“

„Nein, auch sie war alleinstehend. Sie lebte immer noch in Erding. Sie hat nach dem Tod der Eltern das Haus übernommen und ihren Bruder ausbezahlt. Das Erbe hat er zur Seite gelegt und ist ein Teil des Startkapitals für die neue Firma, den Rest hat er sich in den letzten Jahren zusammengespart. Über welche Beträge wir sprechen, weiß ich nicht, davon habe ich keine Ahnung und das geht mich auch nichts an. Über Geld haben Norbert und ich nie groß gesprochen.“

„Wann haben Sie das Opfer zum letzten Mal gesehen?“

„Das ist viele Jahre her, weit über zwanzig Jahre. Wir wollten uns in diesem Sommer zu Norberts fünfundvierzigsten Geburtstag sehen. Norbert sagte mir, dass sich Hildegard schon sehr darauf freue, mich zu sehen. Mir ging es ähnlich, schließlich kannten auch wir uns schon von klein auf.“

„Wie können Sie sich dann sicher sein, dass das Hildegard Bückler ist?“

„Norbert hat mir Bilder gezeigt. Außerdem ist das feuerrote Haar unverkennbar. Alter und Größe passen auch.“

Hans war überrascht. Hildegard Bückler hatte also naturrotes Haar. Das der Toten war gefärbt, da würde er jede Wette eingehen.

„Wann haben Sie Norbert Bückler zum letzten Mal gesehen?“, fragte Diana. Bruder Clemens vermied es, die hübsche Frau, die für eine Kirche äußerst unpassend gekleidet war, direkt anzusehen. Diana hatte das bemerkt und achtete nicht weiter darauf. Sie wollte Antworten auf ihre Fragen, alles andere war ihr egal.

„Das ist etwa drei Wochen her. Er kam nach Altötting und wir waren gemeinsam beim Essen. Ein weiteres Treffen hat sich leider nicht mehr ergeben. Wir sind in den Vorbereitungen des Pfingstfestes und Norbert muss sich um seine Firma kümmern.“

„Und wann haben Sie zum letzten Mal miteinander telefoniert?“

„Das war vor drei Tagen. Handys sieht man im Kloster nicht gerne, sie werden aber toleriert. Wir Brüder vermeiden Telefonate, um die anderen nicht stören. Deshalb telefoniere ich nur außerhalb des Klosters. Bitte finden Sie Norbert!“

„Das werden wir, keine Sorge“, sagte Hans und klopfte ihm auf die Schulter. Ob das bei einem Klosterbruder angebracht war? Sicher nicht, aber jetzt war es nun mal so.

Bruder Clemens ging mit gesenktem Kopf davon. Hans berichtete Tatjana, was er ausgesagt hatte.

„Das Opfer ist also Hildegard Brückler, wohnhaft in Erding. Sie hat einen Bruder namens Norbert Brückler, der momentan in Burghausen im Hotel Eichenhof wohnt“, wiederholte Tatjana, als sie sich Notizen machte. „Wir brauchen den Bruder, um die Identität abzuklären. Bruder Clemens hat die Tote vor über zwanzig Jahren das letzte Mal gesehen, das ist mir zu vage.“

„Wenn es okay ist, werde ich nach Burghausen fahren und mit Norbert Bückler sprechen“, sagte Hans.

„Nein, das übernehmen Diana und ich. Du suchst nach Leo. Der hatte es bis jetzt nicht mehr nötig gehabt, hier aufzutauchen. Wir treffen uns im Präsidium.“

„Leo ist noch nicht zurück?“

„Das sagte ich eben. Komm, Diana. Ich muss hier raus, diese alten Mauern machen mich noch ganz depressiv. Außerdem ertrage ich das Gesicht von Fuchs nicht länger. Der bringt mich heute echt an meine Grenzen!“

Diana wusste, dass Fuchs ein schwieriger Charakter war, aber Tatjana war heute auch nicht ungefährlich. Wenn sie es sich hätte aussuchen können, wäre sie viel lieber mit Hans gefahren.

3.

„Leo? Wo zum Teufel bist du?“

„Am Busbahnhof Altötting. Kannst du kommen?“

„Klar. Was machst du am Busbahnhof?“

„Das erkläre ich dir später.“

Leo hatte versucht, mehr von der Frau zu erfahren, die sehr schüchtern zu sein schien. Sie erzählte von ihrem kranken Onkel Waldi, der sich mit seinen Kindern vor Jahren zerstritten hatte. Außer ihr kümmerte sich niemand um ihn. Dieser Mann war offenbar sehr krank und wiederholte seit Monaten immer öfter, dass er nicht mehr leben möchte. Da sie ihn verstand, wollte sie ihn in seinem Wunsch, seinem Leben ein Ende zu setzen, unterstützen. Von ihr selbst hatte Leo erfahren, dass sie Kassiererin in einem hiesigen Supermarkt war und allein lebte. Momentan hatte sie Urlaub – das war es aber auch schon, was er ihr entlocken konnte. Regina Liebers war nicht unfreundlich, aber sie antwortete nur knapp und sagte von sich aus nicht viel.

Regina Liebers zitterte innerlich. Sie hatte sich von Onkel Waldemar zu diesem Irrsinn überreden lassen. Er war sehr krank und wollte nicht mehr leben. Ja, sie konnte ihn verstehen, aber eigentlich wollte sie nichts damit zu tun haben. Onkel Waldemars Kinder Fritz und Dagmar hatten sich längst von ihm abgewandt, sie sprachen kein Wort mehr miteinander. Die beiden hatten nach dem Tod der Mutter wegen des Erbes einen heftigen Streit, seitdem gingen sie sich aus dem Weg, auch wenn das in dem kleinen Ort Kastl sehr schwierig war. Sie alle lebten in dem kleinen Dorf, sie trennten nur wenigen Straßen. Regina kannte nur die Version ihres Onkels, in dem er das Opfer war und sich keiner Schuld bewusst war. Da sie sich den Kindern, ihrem Cousin und Cousine, gegenüber nicht parteiisch zeigte, wandten die sich auch von ihr ab. Bei jeder Gelegenheit schimpfte Onkel Waldi über seine undankbaren Kinder, auch wenn Regina sehr wohl wusste, dass Onkel Waldemar ein schwieriger Mensch war, der sich mit allen und jedem anlegte. So lange sie denken konnte dachte er nur an sich. Immer und überall kam er an erster Stelle und alle hatten zu schweigen, wenn er etwas zu sagen hatte. Und ging etwas schief, dann waren immer die anderen schuld. Ihre Tante Ruth hatte es nicht leicht mit ihm gehabt und gab irgendwann auf, sich gegen ihn aufzulehnen. Auch ihr gegenüber war Onkel Waldemar oft sehr fies, was sie aber äußerlich ignorierte, obwohl sie jedes einzelne Wort traf. Vor sieben Jahren ging sie zu Bett und wachte nicht mehr auf. Reginas Mutter hatte sich anfangs um den Bruder gekümmert, der mit der Beerdigung und dem Haushalt völlig überfordert war. Aber ihre Mutter wurde krank und verstarb nach wenigen Monaten. Es war für Regina selbstverständlich, dass sie sich jetzt um Onkel Waldi kümmerte, der auch nicht immer freundlich zu ihr war. Aber was hätte sie tun sollen? Einfach gehen und einen alten, kranken Mann im Stich lassen? Nein, das konnte sie nicht. Wenn ihm etwas passieren würde, könnte sie sich das niemals verzeihen.

Der Polizist redete in einem komischen Akzent auf sie ein. Woher kam der? Aus dem Osten? Aus dem Schwäbischen oder Badischen? Sie wollte nicht mit ihm reden. War es verboten, so viele Schlafmittel zu kaufen? Aktive Sterbehilfe war strafbar, das wusste sie, aber noch war niemand gestorben. Welche Strafe sie wohl zu erwarten hatte? Es war ihr klar, dass der Polizist mit Onkel Waldemar sprechen wollte. Alles hing jetzt von dem ab, was Onkel Waldi sagte. Es gab noch den Hauch einer Chance, denn sie wusste, dass ihr Onkel die Polizei verabscheute. Wenn er sich weigerte, mit der Polizei zu sprechen oder irgendeine Aussage zu machen, käme sie vielleicht nochmal mit einem blauen Auge davon.

Hans war erstaunt, dass er Leo nicht allein antraf. Neben ihm saß eine unscheinbare Frau. Wer war sie? Was hatte das zu bedeuten?

Leo stand auf und ging auf Hans zu. Mit wenigen Worten erklärte er ihm, worum es ging.

„Du glaubst ihr die Geschichte mit dem Onkel nicht?“

„Ich bin mir nicht sicher.“

„Wenn sie gelogen hat, sind die Schlaftabletten für sie bestimmt, dann müssen wir handeln. Das hast du gut gemacht, Leo, das müssen wir abklären. Fahren wir nach Kastl und sprechen mit dem Onkel, wenn es ihn überhaupt gibt.“

„Du zweifelst daran?“

„Keine Ahnung, irgendetwas stimmt nicht. Wenn es ihn gibt, bin ich gespannt, was er zu sagen hat. Und dann werde ich ihn mir vornehmen.“ Hans sah sofort, dass er es mit einer eingeschüchterten Frau ohne jedes Selbstwertgefühl zu tun hatte. Wenn sie sich Mühe geben würde, wäre sie durchaus sehr hübsch. Er lächelte sie an und sie wich seinem Blick aus.

Auf der kurzen Fahrt nach Kastl vermieden es die Kriminalbeamten, über den Mordfall in der Tilly-Gruft zu sprechen, auch wenn sich Leo sehr dafür interessierte. Trotzdem wollten sie die Frau nicht erschrecken, da sie jedes Wort hören würde.

„Hier wohnt mein Onkel“, sagte sie und zeigte auf ein Reihenhaus im Albererweg. Der kleine Vorgarten war sehr hübsch angelegt.

„Waren Sie das?“, fragte Hans und zeigte auf mehrere Blumentöpfe und Dekorationen, die ganz sicher nicht von einem alten Mann stammten.

Regina wurde rot und nickte. Das war das erste Mal in all den Jahren, dass jemand ihre Arbeit würdigte. Sie klingelte zwei Mal kurz hintereinander und dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss.

„Ich bin es, Onkel Waldi“, rief sie laut.

„Das wird auch Zeit! Wo bleibst du denn? Warum trödelst du so und lässt mich so lange allein?“ Die tiefe Stimme hallte durchs Haus. Leo und Hans folgten der Frau, die zielstrebig ins Wohnzimmer ging. „Hast du alles bekommen?“, empfing er seine Nichte. Dann sah er die fremden Männer. „Wen bringst du da mit? Was soll das?“

Der alte, übergewichtige Mann saß auf der Couch, wobei er fast den ganzen Platz einnahm. Er sah sich eine Volksmusiksendung an, der Ton war sehr laut. Links und rechts war er von Kissen eingehüllt. Auf seinem Schoß lag eine dicke Decke. Vor ihm stand eine Flasche Bier, eine Fernbedienung, das Telefon und ein Teller, auf dem ein angebissenes Brot lag. Daneben lag eine geöffnete, fast leere Chipstüte.

Da Regina Liebers nicht wusste, wie sie die Anwesenheit der Polizei erklären sollte, übernahm Leo das Wort.

„Schwartz, Kripo Mühldorf. Das ist mein Kollege Hiebler. Können Sie uns das erklären?“ Leo hielt ihm den Inhalt der Tasche vor. Er musste laut reden, um gegen die Blaskapelle anzukommen.

„Polizei? Raus aus meinem Haus! Mit euch habe ich nichts zu schaffen! Raus!“ Waldemar Liebers war sehr aufgebracht und schnaubte vor Wut.

Hans blieb ganz ruhig. Er ging zum Fernsehgerät und schaltete es aus. Jetzt war es endlich ruhig.

„Was erlauben Sie sich? Sie sollen sich zum Teufel scheren! Ich sage es ein letztes Mal: Raus aus meinem Haus!“, rief Waldemar Liebers erneut.

„Sie beruhigen sich jetzt auf der Stelle! Wenn nicht, werden wir Sie aufs Präsidium mitnehmen und dort befragen“, sagte Hans und lächelte. Er kannte solche Typen, die nur auf Krawall gebürstet waren und versuchten, mit ihrer dominanten Art jeden zu unterdrücken. Ihm war klar, dass die schüchterne Regina Liebers gegen diesen Mann nicht den Hauch einer Chance hatte. Und es war ihm auch klar, dass der Onkel nicht klein beigeben würde. Es würde eine Auseinandersetzung geben, die sich gewaschen hatte. Aber damit kam er klar und stellte sich der Herausforderung.

„Das sieht euch Bullen ähnlich! Einen alten, kranken Mann zu schikanieren macht euch sicher viel Spaß. Aber nicht mit mir!“ Es folgten haltlose Vorwürfe und Beschimpfungen, die alle an Hans abprallten. Leo hatte Regina Liebers zur Seite gezogen. Das Gespräch mit dem aufgebrachten Mann wollte er Hans überlassen, der viel besser mit solchen Krawallbrüdern zurechtkam. Heimlich machte Leo mit seinem Handy ein Foto des Mannes. Seit er ein neues Handy hatte, das ihm seine Verlobte Sabine Kofler geschenkt hatte, fotografierte er alles, was ihm vor die Augen kam. Früher hatte er Handys nicht gemocht, hatte sie sogar oft verflucht. Wenn er damals schon gewusst hätte, was man damit alles machen konnte, hätte er sich sehr viel früher damit beschäftigt.

Waldemar Liebers redete sich in Rage. Hans stand vor ihm und verzog keine Miene. Irgendwann war der alte Mann erschöpft.

„Sind Sie jetzt so weit oder wollen Sie noch mehr loswerden? Nur raus damit, ich höre Ihnen gerne zu, ich habe Zeit.“

Dem Alten verschlug es die Sprache. Er hatte vor allem diesen unverschämten Polizisten beleidigt und mit Dreck beworfen, aber der blieb unbeeindruckt. Damit konnte Waldemar Liebers nicht umgehen, das war ihm in seinem langen Leben nur sehr selten passiert. Normalerweise gingen die, mit denen er so sprach, einfach weg oder es gab eine handgreifliche Auseinandersetzung. Dieser Polizist ließ sich nicht provozieren, der war aus anderem Holz geschnitzt.

„Dann darf ich davon ausgehen, dass wir uns wie normale Menschen auf einem normalen Niveau unterhalten können, sehr schön“, sagte Hans und setzte sich. „Was sagen Sie zu den vielen Schlafmitteln, die wir in der Tasche Ihrer Nichte gefunden haben.“

„Was soll ich dazu sagen? Das geht mich nichts an.“

„Ihre Nichte sagte, dass die für Sie bestimmt sind und Sie sie dazu angestiftet haben, sie zu besorgen.“

„Ich habe was? Das Mädl spinnt doch! So etwas würde ich niemals tun! Die Regina ist nicht ganz richtig im Kopf, das hat sie von ihrer Mutter. Meine Schwester, Gott hab sie selig, war nie ganz gesund. Depressionen hat der Arzt gesagt, aber das halte ich für Schwachsinn. Sie war einfach im Kopf nicht gesund, so wie die Regina eben auch. Die hat sich etwas zusammengesponnen und will jetzt mir den schwarzen Peter zuschieben.“

Regina Liebers glaubte, nicht richtig zu hören.

„Wie redest du denn über meine Mutter? Was ist los mit dir? Meine Mutter hat immer zu dir gehalten und dir immer geholfen!“ Regina war schockiert.

„Sie sollten sich nicht nur über Ihre Mutter Gedanken machen. Haben Sie nicht gehört, wie Ihr Onkel über Sie spricht? Er hat Sie gerade schwachsinnig und dumm genannt“, sagte Leo.

„Das habe ich nicht gesagt“, rief Waldemar Liebers, der es vermied, seine Nichte anzusehen.

„Doch, das habe ich auch gehört“, sagte Hans. „Sie sollten sich schämen, Herr Liebers. Diese Frau kümmert sich um Sie und so danken Sie es ihr. Pfui Teufel!“

„Was wissen Sie denn schon! Wer sind Sie, dass Sie sich ein Urteil erlauben dürfen? Regina ist ein Mauerblümchen, das nie einen Mann abbekommen wird. Ich gebe ihr eine Aufgabe, damit sie einen Sinn im Leben hat. Nachdem sie sich um mich gekümmert hat, geht sie zufrieden nach Hause und kann beruhigt schlafen, schließlich hat sie ein gutes Werk getan. Nur hinter der Kasse zu sitzen reicht ihr nicht aus. Ich habe Regina nicht gebeten, sich um mich zu kümmern, sie hat sich regelrecht aufgedrängt. Sie ist genauso wie ihre Mutter. Wie eine Klette klammert sie sich an einem fest und man kriegt sie nicht mehr los. Ich brauche keine Hilfe, ich komme allein sehr gut zurecht.“

„Das hat sich vorhin aber ganz anders angehört“, sagte Hans, der dem Mann kein Wort glaubte. „Sie schienen es nicht erwarten zu können, dass Ihre Nichte endlich hier ist. Sie hatten sie sogar danach gefragt, ob sie alles bekommen hätte. Dabei ging es doch um diese Schlafmittel, oder etwa nicht?“

„Nein, natürlich nicht! Ich bat sie, mir meine Zeitung, Chips und Bier zu kaufen. Ist das verboten?“

„Stimmt das?“, fragte Leo die geschockte Frau.

Regina nickte nur.

„Ich sollte einkaufen, aber dazu kam ich nicht mehr.“

„Du warst nicht beim Einkaufen? Wo warst du dann so lange?“

„Antworten Sie ihm nicht“, sagte Leo und lächelte Regina an. Für ihn war es an der Zeit, das hier zu beenden. „Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass diese Schlaftabletten für Ihren Onkel bestimmt waren und dass er Sie gebeten hat, sie zu besorgen?“

„Ja.“

„Das ist eine Lüge!“, rief Liebers. „Du bist eine Lügnerin wie deine Mutter!“

„Kommen Sie“, sagte Leo und zog Regina Liebers mit sich.

Hans stand auf und ging zur Tür.

„Was passiert jetzt? Sie werden Regina doch nicht glauben?“

„Wenn sie Anzeige erstattet, werden wir dieser selbstverständlich nachgehen. Sie sollten sich schämen, Herr Liebers.“

„Und wer schaltet mir jetzt den Fernseher ein? Soll ich das etwa selbst machen?“

Hans ging einfach und schloss die Tür. Er hörte, wie der alte Mann schimpfte und fluchte, aber das interessierte ihn nicht.

Leo stand mit Regina Liebers am Wagen.

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